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Der zerbrochne Krug

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Der zerbrochne Krug

Ein Lustspiel

dtv,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Komisch und tragisch zugleich: Ein Dorfrichter muss über seinen eigenen Fall urteilen und versucht vergeblich zu verhindern, dass seine Schuld ans Licht kommt.


Literatur­klassiker

  • Komödie

Worum es geht

Lustspiel um richterliche Autorität und ihren Missbrauch

Heinrich von Kleists Drama Der zerbrochne Krug wurde 1808 von keinem Geringeren als Goethe in Weimar zur Uraufführung gebracht – es war ein grandioser Misserfolg. Warum? Das Publikum fühlte sich durch das Stück irritiert. Ein Richter muss darin seinen eigenen Fall aufklären, mehr noch: Um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, spricht der Richter nicht Recht, sondern Unrecht. Kleist untergräbt bei seinem Publikum das Vertrauen in eine Gerichtsbarkeit, die ja erst wenige Jahrzehnte zuvor, im Zeitalter der Aufklärung, vom Adel auf das Bürger- und Bauerntum übergegangen war. Man war nun nicht mehr der Willkür der adeligen Richter ausgesetzt. Im Stück erscheint die Hoffnung auf eine sachliche Rechtsprechung als Illusion. Kleist bringt einen korrupten Richter aus dem bäuerlichen Milieu auf die Bühne, der sein Amt missbraucht, um seine Erpressung des Bauernmädchens Eve zu vertuschen. Die Folgen dieses moralischen Versagens stellen sich unverzüglich ein: Die übergeordnete richterliche Obrigkeit, verkörpert durch den Gerichtsrat Walter aus der Stadt Utrecht, erfährt eine Wiederaufwertung. Kleist zeigt in seinem Stück, wie sehr das Funktionieren der Gerichtsbarkeit von der moralischen Integrität ihrer Vertreter abhängt. Dabei gelingen ihm herrlich hintergründig-komische Wortwechsel seiner Figuren – sicher ein Grund für die andauernde Beliebtheit des Stücks.

Take-aways

  • Kleists Der zerbrochne Krug ist eines der wenigen bedeutenden Lustspiele der deutschen Literatur.
  • Anlass war ein Dichterwettbewerb: Kleist und drei Kollegen nahmen einen Kupferstich mit dem Titel Der Richter oder Der zerbrochene Krug als Vorbild.
  • Adam, ein schlitzohriger, klumpfüßiger Richter in einem niederländischen Dorf, muss eine Gerichtsverhandlung über einen zerbrochenen Krug führen.
  • Frau Marthe Rull klagt Ruprecht, den Verlobten ihrer Tochter Eve, an, den Krug bei einem nächtlichen Besuch zerbrochen zu haben.
  • Eve, die weiß, was in jener Nacht wirklich passiert ist, schweigt - nicht nur aus Scham.
  • Der auf Revisionsreise befindliche Gerichtsrat Walter ist zufällig bei der Verhandlung anwesend.
  • Richter Adam benimmt sich höchst verdächtig: Er führt die Verhandlung ohne Perücke und droht Eve, er habe die Macht, Ruprecht zum Militär nach Ostindien zu schicken.
  • Gerichtsrat Walter entrüstet sich über Adams Amtsführung, suspendiert ihn, lässt ihn aber der Form halber die Verhandlung zu Ende führen.
  • Obwohl die Perücke, die unter Eves Fenster gefunden wurde, sowie die Spuren von Adams Klumpfuß im Schnee beweisen, dass der Richter zu fraglicher Zeit bei Eve war, spricht Adam Ruprecht schuldig.
  • Nun platzt es aus Eve heraus: Richter Adam selbst hat den Krug zerbrochen, als er nachts versucht hat, sich an Eve heranzumachen. Adam ergreift die Flucht.
  • Die im Jahr 1808 von Goethe inszenierte Uraufführung des Stücks am Weimarer Theater war ein Misserfolg.
  • Seit Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch ist Der zerbrochne Krug im deutschen Sprachraum eines der meistgespielten Theaterstücke.

Zusammenfassung

Angst vor der Revision

Als der Gerichtsschreiber Licht eines Morgens an seine Arbeitsstätte, das Gericht des Dorfes Huisum nahe der holländischen Stadt Utrecht, kommt, findet er seinen Vorgesetzten, den Dorfrichter Adam, an Kopf und Beinen übel zugerichtet vor. Auf Lichts Frage, was in der Nacht geschehen sei, antwortet Adam, er sei aus dem Bett gefallen. Licht bringt Adam die unerfreuliche Nachricht, dass der Gerichtsrat Walter aus Utrecht sich auf Revisionsreise befinde, um sich einen Eindruck vom Stand der Rechtssprechung auf dem Lande zu machen. Im Nachbardorf, so Licht, habe Walter bereits Unregelmäßigkeiten bei Prüfung der Gerichtskasse festgestellt. Walter habe den dortigen Richter und seinen Schreiber vom Dienst suspendiert, und Ersterer habe gar in der Nacht einen – glücklicherweise fehlgeschlagenen – Selbstmordversuch unternommen. Adam wird bleich vor Angst. Er erzählt Licht, dass er geträumt habe, selbst angeklagt zu sein. Es gelingt Adam gerade noch, seinen Mägden aufzutragen, den hohen Herrn aus Utrecht großzügig zu bewirten, da erscheint Walter auch schon, um den Verhandlungen des bevorstehenden Gerichtstages als Gast beizuwohnen. Die Gerichtskasse, sagt Walter, wolle er nach der Verhandlung prüfen.

Chaos im Gerichtssaal

Adam sucht seine Perücke, das Symbol seiner richterlichen Würde, und kann sie nicht finden. Er verstrickt sich in lauter wenig plausible Erklärungen über deren Verbleib. Sowohl Gerichtsrat Walter als auch Licht ahnen, dass Adam ihnen Lügengeschichten auftischt. Ohne aufgerufen worden zu sein, stürzen laut gestikulierend Frau Marthe Rull, ihre Tochter Eve, der Bauer Veit Tümpel und dessen Sohn Ruprecht in den Saal. Obwohl Ruprecht und Eve miteinander verlobt sind, beschuldigt Frau Marthe Rull Ruprecht lautstark, in der vergangenen Nacht in Eves Zimmer einen reich verzierten, wertvollen Krug zerbrochen zu haben. Demonstrativ hält sie dem Dorfrichter Adam das entgegen, was von dem Gefäß übrig geblieben ist. Adam nimmt Eve beiseite und erkundigt sich eingehend, ob es wirklich nur um den Krug gehe, den er am gestrigen Abend ... und bricht ab, nicht ohne noch eine Drohung, Ruprecht betreffend, auszustoßen. Zur Überraschung von Gerichtsrat Walter ergreift Adam dann sofort Partei für Frau Rull und beginnt auf Ruprecht einzuschimpfen. Ruprecht, seinerseits ganz außer sich vor Wut, brüllt seine Verlobte Eve an, sie sei eine Hure. Veit Tümpel fällt in die Tirade seines Sohnes ein, im Gerichtssaal herrscht Chaos. Ungeduldig werdend, fordert Walter den Dorfrichter Adam auf, nun endlich die Verhandlung beginnen zu lassen und die einzelnen Parteien nacheinander anzuhören.

Frau Marthe Rulls Anklage

Adam stellt die zweideutige Frage, wie denn der Herr Gerichtsrat den Ablauf der Verhandlung wünsche: wie es im Gesetz stehe, oder wie man es in Huisum zu tun pflege? Nach dem Gesetz, wie in Huisum üblich, antwortet Walter unmissverständlich, und die Verhandlung kann nun tatsächlich beginnen. Adam versucht sofort Zeit zu gewinnen: So fragt er etwa Frau Marthe nach ihrem Namen, obwohl sie aus Huisum stammt und ihm bestens bekannt ist. Es kommt ihm gelegen, dass Frau Marthe umständlich und ausschweifend erzählt, was alles auf dem Krug zu sehen gewesen sei: ein Bilderreigen zur Geschichte der Niederlande und die Aufzählung früherer Besitzer. Schließlich berichtet Frau Marthe noch, wie der Krug in die Familie der Rulls gekommen ist, um dann endlich zu erzählen, was sich aus ihrer Sicht in der vergangenen Nacht zugetragen hat: Sie habe laute Männerstimmen in der Kammer ihrer Tochter Eve gehört, sei zu ihr gelaufen und habe Ruprecht dort angetroffen. Der zerbrochene Krug habe auf dem Boden gelegen. Auf ihre Frage, wer den Krug zerbrochen hat, habe Eve Ruprecht bezichtigt. Eve aber bestreitet dies nun vehement: Zu keinem Zeitpunkt habe sie Ruprecht beschuldigt.

Eve stellt die Vertrauensfrage

Ruprecht fasst Mut und versichert, dass er zwar bei Eve gewesen sei, dort jedoch einen anderen Mann angetroffen habe, den er allerdings wegen der Dunkelheit nicht habe erkennen können. Der Fremde sei geflohen, und als er, Ruprecht, dem Fliehenden die Türklinke auf den Kopf geschlagen habe, habe ihm dieser eine Handvoll Sand in die Augen geworfen und ihn so abgeschüttelt. Adam wird es zunehmend mulmiger, er will die Verhandlung so schnell wie möglich zu Ende bringen. Gerichtsrat Walter staunt nicht schlecht, als Adam plötzlich vorschlägt, die Sache mit einem Vergleich enden zu lassen. Entrüstet stellt Eve die Vertrauensfrage an ihren Verlobten: wie Ruprecht überhaupt habe denken können, dass sie ihn betrüge. Selbst wenn Ruprecht den Flickschuster Lebrecht oder wen auch immer bei ihr in der Kammer entdeckt hätte, meint Eve, wäre jegliches Misstrauen fehl am Platz gewesen. Tatsächlich wirft sich Ruprecht nun vor, nicht von Anfang an die Schuld auf sich genommen zu haben, um Eve den entehrenden Auftritt vor Gericht zu ersparen. Immerhin gehe es ja nur um einen Krug, sagt er, und spricht demonstrativ von dessen bescheidenem Materialwert.

Adam findet einen Schuldigen

Dass Eve nun mit Lebrecht einen Dritten ins Spiel bringt, kommt Adam gerade recht. Im Glauben, einen Schuldigen zu haben, der bei niemandem Widerspruch auslöst, statuiert Adam: Der Schuldige ist Lebrecht. Das ist der Tropfen, der bei Walter das Fass zum Überlaufen bringt. Bisher war Walters Kritik an Dorfrichter Adams Verhandlungsführung eher zurückhaltend, doch nun sagt er Adam unmissverständlich und frei von allen falschen Rücksichten seine Entscheidung auf den Kopf zu: Er, Adam, habe die längste Zeit in Huisum auf dem Richterstuhl gesessen. Walter hat bereits zu Beginn erzählt, dass die Richter in anderen Dörfern ihm gegenüber eine feindselige Haltung eingenommen hätten. Ganz anders Adam: Er bemühte sich von Anfang an, Walter mit schleimiger Liebenswürdigkeit bei Laune zu halten. Adam mimt den gelehrigen Schüler, akzeptiert Walters kritische Bemerkungen, gelobt Besserung oder bindet den Herrn aus Utrecht in die Verhandlung mit ein. Nichtsdestoweniger äußert Walter einmal den Verdacht, dass Adam die Verhandlung in einer Art führe, als sei er selbst der Schuldige, der von sich ablenken wolle ...

Angriff auf Eves Ehre

Als Walter Adam nun tatsächlich suspendiert, entlässt er ihn allerdings noch nicht aus der Pflicht, die Verhandlung um den zerbrochenen Krug zu Ende zu führen. Während Adam nichts unversucht lässt, Eve und Ruprecht einzuschüchtern, ermutigt Walter insbesondere Eve, ohne Scheu und frei zu sprechen. Dennoch droht die Verhandlung sich festzufahren, denn Eve weigert sich immer noch, den Namen des zweiten nächtlichen Besuchers zu verraten. Frau Marthe gibt nun auch zu, dass es ihr gar nicht so sehr um den Krug gehe. Vielmehr sieht sie Ruprechts Anwesenheit in Eves Kammer als Angriff auf die Ehre ihrer Tochter. Unmissverständlich macht sie klar, dass es ihr nichts ausmacht, wenn sie durch ihre Unnachgiebigkeit Eve und Ruprecht für immer auseinanderbringt. Sie befürchtet, dass der mögliche Verlust von Eves Jungfräulichkeit in der besagten Nacht die Chancen ihrer Tochter auf dem Heiratsmarkt grundsätzlich zunichte macht, und dafür möchte Frau Marthe Eves Verlobten Ruprecht belangen. Adam beginnt daraufhin damit, das besondere Vertrauensverhältnis, das er seit Jahren zu Frau Marthe pflegt, in die Waagschale zu werfen und von der gutnachbarlichen Harmonie mit Eve zu sprechen. Eve habe ihm eines seiner Hühner wieder aufgepäppelt, als es krank geworden sei, und mit ihrem Vater sei er gar befreundet gewesen. Zugleich aber stellt Adam Eves Glaubwürdigkeit infrage.

Tante Brigitte soll’s richten

Kaum fasst Eve Zutrauen zu Gerichtsrat Walter, weist Adam diesen auf Eves Unreife und Naivität hin. Immerhin kann Eve dem Gerichtsrat den Beweis dafür liefern, dass der Unbekannte in ihrer Kammer nicht Lebrecht gewesen sein kann, denn der ist von Richter Adam höchstpersönlich nach Utrecht zur Rekrutierungskommission geschickt worden. Plötzlich wird Adam aufgefordert, Ruprechts Tante Brigitte in den Zeugenstand zu berufen. Sie habe in der Nacht Eve mit Ruprecht vor dem Haus stehen gesehen. Während man nach Brigitte schickt, beeilt sich Adam, seinen hohen Gast mit erlesenen Speisen und Weinen zu bewirten. Adam hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Walter für sich einzunehmen und den Verdacht von sich abzulenken. Zudem weist nun alles darauf hin, dass die Zeugenaussage von Brigitte die Verhandlung einen entscheidenden Schritt weiterbringen wird, denn man nimmt an, dass auch sie Ruprecht belastet.

Die Wende

Tatsächlich bringt die Ankunft Brigittes die Lösung des Falls – aber nicht im allgemein erwarteten Sinn. Als sie den Gerichtssaal betritt, hat sie nämlich Adams Perücke in der Hand. Gefunden hat sie die künstliche Haarpracht im Spalier der Frau Marthe unter Eves Fenster. Das deutet doch sehr darauf hin, dass Adam selbst Eve einen nächtlichen Besuch abgestattet hat – zumal ein weiterer Versuch Adams, sich reinzuwaschen, misslingt: Er habe unlängst Ruprecht mit einer Perücke zum Frisör geschickt, um sie durchkämmen zu lassen. Nun bezichtigt der Richter den jungen Mann, seinen Auftrag nicht ausgefüllt und die Perücke im Spalier bei Frau Marthe verloren zu haben. Doch Brigittes weitere Aussagen durchkreuzen Adams Pläne. Sie berichtet nämlich, dass ihr in der Nacht Spuren im Schnee aufgefallen seien, die zum Haus des Richters führten. Es waren zweifelsohne die Fußstapfen Adams, denn sein Klumpfuß hinterlässt eine Spur, die keinem anderen im Dorf gehören kann. Obwohl ihm längst bewusst ist, dass er den Kopf nicht mehr aus der Schlinge ziehen kann, spricht Adam nun Ruprecht kurzerhand schuldig und verurteilt ihn zu einer Gefängnisstrafe.

Adams Schuldspruch

Walter lässt Adam zunächst noch gewähren, was Eve nicht sofort versteht. Aus Angst, dass Ruprecht tatsächlich die Gefängnisstrafe absitzen muss, tut sie sich nun keinen Zwang mehr an: Der Dorfrichter Adam sei es in Wahrheit gewesen, der den Krug zerbrochen habe, ruft sie endlich in den Gerichtssaal hinein. Adam sieht nun keinen anderen Ausweg mehr als zu fliehen. Ruprecht kann nur noch Adams Mantel fassen, der Richter selbst entkommt. Brigitte und Frau Marthe schimpfen hinter ihm her. Walter hat alle Hände voll zu tun, um die Ordnung im Gerichtssaal aufrechtzuerhalten. Er setzt den Schreiber Licht als Adams Nachfolger ein, nicht ohne diesen zugleich aufzufordern, den Flüchtigen zurückzuholen. Denn, so Walter, sollte die Revision der Kasse zu seiner Zufriedenheit verlaufen, so werde er darauf verzichten, Adam ganz aus dem Rechtsdienst zu entfernen. Da Walter erst einmal nichts unternimmt, um den Schuldspruch Ruprechts rückgängig zu machen, wirft sich Eve dem Gerichtsrat vor die Füße. Sie erklärt ihm, was es mit einem Schriftstück auf sich hat, das Adam bei sich zu tragen vorgibt und mit dem er die junge Frau erpresst hat.

Der Krug muss warten

In der Tat hat Adam Eve glauben lassen, es stehe in seiner Macht, Ruprecht ein gefälschtes Gesundheitszeugnis auszustellen, das es ihm erspare, nach Ostindien zum Militär eingezogen zu werden. Ruprecht würde wohl kaum wieder nach Hause zurückkommen, denn ein Fieber rafft die meisten jungen Männer hinweg, die in Ostindien Dienst tun. Mit diesem Papier, so erzählt Eve dem Gerichtsrat weiter, sei Adam in der vorausgegangenen Nacht zu ihr in die Kammer geschlichen. Dort habe er sich bereit erklärt, das gefälschte Krankheitszeugnis für Ruprecht zu unterschreiben, wenn Eve sich ihm hingebe. Walter lässt sich das Schreiben zeigen, in dem Ruprecht mitgeteilt wird, dass er nach Ostindien eingezogen werden soll. Er erkennt, dass der Brief gefälscht ist. Ruprecht und Eve fallen sich glücklich um den Hals. Lediglich Frau Marthe Rull ist noch nicht zu ihrem Recht gekommen. Denn wer ihren zerbrochenen Krug ersetzen muss, das wurde bei dieser Verhandlung nicht festgestellt. Walter rät ihr, ihr Glück bei der nächsthöheren Gerichtsinstanz in Utrecht nochmals zu versuchen. Frau Marthe versichert, sich zu gegebener Zeit dort einzufinden.

Zum Text

Aufbau und Stil

In Kleists Lustspiel bleibt die Haupthandlung unsichtbar: Alles ist schon passiert, und in der Gerichtsverhandlung wird nur noch über das Geschehene gesprochen. Nicht das Intrigenspiel soll den Zuschauer unterhalten, sondern die Situations- und Sprachkomik. Die Zerstörung des Kruges vollzieht sich nicht vor den Augen des Zuschauers, sie wird ihm vielmehr von den Personen des Stücks nacherzählt. Indem sie vor Gericht die Ereignisse rekapitulieren, soll der Schuldige gefunden werden. Das Stück ist daher ein so genanntes analytisches Drama. Da es keine sich schrittweise entwickelnde Handlung gibt, die sich sinnvoll in Akte aufteilen ließe, zieht Kleist es vor, den ganzen Vorgang in einem einzigen Akt abzuhandeln. Das Lustspiel bezieht seine Komik auf der sprachlichen, gestischen und symbolischen Ebene vor allem aus dem Versuch des Richters, mit scheinbar sinnlosen Wortfetzen, permanentem Aneinandervorbeireden und Ungereimtheiten seine Schuld zu vertuschen. Kleist legt Adam zudem eine holprige, unbeholfene Sprache in den Mund, die sowohl das fehlende Vertrauen in seine Position rechtfertigt als auch seine Schlitzohrigkeit reflektiert. Obwohl Der zerbrochne Krug ein Lustspiel ist, weist das Stück auch eine tragische Grundierung auf: Mit seiner Verschleierungsstrategie präsentiert sich Adam als Mensch, der zu Fall kommt, weil er von seinen Anlagen her gar nicht für das Richteramt geeignet ist.

Interpretationsansätze

  • Der Dorfrichter Adam muss wie Sophokles’ König Ödipus im gleichnamigen Drama über seine eigene Tat urteilen. Während Ödipus jedoch die schreckliche, ihm selbst unbekannte Wahrheit, nämlich den Vatermord, mit allen Mitteln aufdecken will, versucht Adam die Wahrheit zu verbergen, die er selbst am allerbesten kennt.
  • Alle Teilnehmer der Verhandlung haben anfangs Vertrauen in die Justiz. Erst als genügend Indizien Adams persönliche Schuld nachweisen, lehnen sie sich gegen ihn auf.
  • Kleists Stück ist eine ebenso komische wie schmerzhafte und analytisch genaue Untersuchung einer Tat mit allen dazugehörigen rhetorischen Mitteln: Rede und Gegenrede, Schlussfolgerungen und deren Infragestellung
  • Der zerbrochne Krug gibt einen Einblick in die bäuerliche Rechtssprechung, die stark vom Gewohnheitsrecht auf dem Lande geprägt war – sehr zum Missfallen einer zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer formalistischer und wissenschaftlicher werdenden Jurisprudenz, die einheitliche Rechtsstandards auf dem Land und in der Stadt befürwortete.
  • Adams korrupte Macht kann als eine Form der Kompensation seiner permanenten Überforderung im Amt gesehen werden, aber auch als Folge seiner Isolation innerhalb der Dorfgemeinschaft, die wiederum ihre Ursache in seinem Klumpfuß und seiner Andersartigkeit hat.
  • Kleist stattet alle Personen mit Symbolen und Attributen aus der Kultur- und Religionsgeschichte sowie der Mythologie aus und gibt so dem Leser Schlüssel für das Verständnis des Stückes in die Hand: So erinnern die Namen „Adam“ und „Eve“ an den biblischen Sündenfall und der Klumpfuß an den König Ödipus (oidipus = griech. Klumpfuß); der Krug steht als Symbol für die Jungfräulichkeit etc.

Historischer Hintergrund

Wandel des Rechtsverständnisses

Im Jahr 1806 wurde das alte Deutsche Reich aufgelöst. Der Kaiser in Wien dankte ab, und wenig später marschierten Napoleons Truppen in Berlin ein. Den deutschen Staaten fehlte nun vorerst eine gemeinschaftliche Gesetzgebungsgewalt – und damit die Fähigkeit, ein einheitliches deutsches Recht anzuwenden.

Ebenfalls im Jahr 1806 schloss Heinrich von Kleist seine Arbeit am Zerbrochnen Krug ab. Die Gepflogenheiten, nach denen Richter Adam im Stück vorgibt, Recht zu sprechen, sind die lokalen Sitten des Dorfes Huisum. Der Dorfrichter stellt sich gegen die Absicht des Utrechter Gerichtsrats Walter, das Recht zu vereinheitlichen.

Dies hatte einen realen Hintergrund: Das aus der Gewohnheit entstandene partikulare Recht sicherte auf dem Lande oft alte Gemeinschaftsrechte, etwa das Holzrecht der Bauern, aber auch das Fischerei- und das Jagdrecht. Deren Außerkraftsetzung durch die adeligen Grundherren am Ende des 18. Jahrhunderts beunruhigte die ländliche Bevölkerung. Der Adel versuchte, durch eine gebiets- und staatsübergreifende Rechtsprechung den Verlust der richterlichen Gewalt an das Bauern- und Bürgertum zu kompensieren. Dies ging nur über eine Formalisierung, d. h. eine Verwissenschaftlichung des Rechts. Es war die Zeit des Übergangs vom germanischen zum römischen Recht und der Umwandlung der volkstümlichen in gelehrte Gerichte.

Entstehung

Bei Kleists Freund Heinrich Zschokke in Bern hing ein Kupferstich von Jean Jacques Le Veau im Zimmer mit dem Titel Le juge, ou la cruche cassée (Der Richter oder Der zerbrochene Krug). Mit Zschokke, Heinrich Gessner und Ludwig Wieland vereinbarte Kleist im Frühjahr 1802 in einer Art Wettbewerb, zu der auf dem Stich dargestellten Gerichtsszene einen Text zu schreiben. Kleist wurde mit seinem Lustspiel Der zerbrochne Krug Sieger des Wettstreits. Er hatte bereits 1801 im Louvre in Paris das Gemälde La cruche cassée von Jean Baptiste Greuze gesehen. Greuze hatte den zerbrochenen Krug ganz offensichtlich als Zeichen verlorener Jungfräulichkeit eingesetzt.

1807 gelangte das Manuskript des Zerbrochnen Krugs zu Kleists Freund Adam Müller und von dort wenige Monate später nach Weimar zu Goethe. Der beschloss, das Stück im März 1808 im Weimarer Hoftheater uraufzuführen – ohne die Erlaubnis Kleists und ohne auf des Dichters Anwesenheit zu warten. Zu Kleists großem Ärger fiel das Stück beim Publikum durch. Deshalb veröffentlichte er in der von Adam Müller herausgegebenen Kunstzeitschrift Phöbus noch im gleichen Jahr einen Teilabdruck als eine Art Rechtfertigungsversuch. 1811 erschien das Stück schließlich in Buchform.

Wirkungsgeschichte

Die Buchfassung des Zerbrochnen Krugs hatte genauso wenig Erfolg wie die Uraufführung drei Jahre zuvor in Weimar. Die Geschichte eines korrupten Richters, der das Vertrauen in die Justiz untergräbt, wurde als Angelegenheit eines kleinen Dorfes missverstanden, dem jegliche repräsentative Ausstrahlung abging. Das war zumindest der Grund, der den Dramaturgen des Wiener Burgtheaters, Josef Schreyvogel, 1814 bewog, das Stück in seinem Hause nicht zu geben. Als es dann 1850 im Burgtheater das erste Mal aufgeführt wurde, blieb der Erfolg abermals aus, obwohl sich mittlerweile eine gekürzte, von Kleist anfangs intendierte Fassung durchgesetzt hatte.

1877 erregte eine Neuausgabe des Dramas Aufsehen, weil Adolf von Menzel sie illustriert hatte. Zweifellos aber hing der endgültige Durchbruch des Stücks mit der eindrücklichen Interpretation des Dorfrichters Adam durch Emil Jannings 1918 am Königlichen Schauspielhaus Berlin zusammen. Plötzlich richtete sich die Aufmerksamkeit auf diese Paraderolle, und der Erfolg des Stücks sollte nunmehr auch davon abhängen, wer den Richter spielte.

Neben Jannings, der 1937 nochmals den Adam in einem UFA-Film spielte, interpretierten auf deutschen Bühnen Gustav Knuth (1955), Hans Mahnke (1965) und Rolf Boysen (1986) die Figur. Der Schauspieler Manfred Krug schlüpfte 1991 für eine Tourneeproduktion in Adams Richterrobe. Der Wiener Helmut Qualtinger spielte in den 70er Jahren den Dorfrichter. Die Inszenierung von Dieter Dorn an den Münchner Kammerspielen stellte 1986 die tragische Dimension des Stückes in den Vordergrund, indem sie Macht-, Sprach- und Beziehungsstrukturen transparent werden ließ. Heute ist der Zerbrochne Krug eines der meistinszenierten Theaterstücke an deutschsprachigen Bühnen.

Über den Autor

Heinrich von Kleist wird am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder geboren, er stammt aus einer preußischen Offiziersfamilie. Als junger Gefreiter-Korporal nimmt er im ersten Koalitionskrieg gegen Napoleon an der Belagerung von Mainz und am Rheinfeldzug (1793 bis 1795) teil. Bald fühlt er sich vom Offiziersberuf abgestoßen und wendet sich der Wissenschaft zu. Durch seine Kant-Lektüre verliert er jedoch den Glauben an einen objektiven Wahrheitsbegriff und erkennt, dass er nicht zum Gelehrten geschaffen ist. Ebenso wenig fühlt sich der enthusiastische Kleist zum Staatsdiener berufen. 1801 bricht er aus seiner bürgerlichen Existenz aus, reist nach Paris und später in die Schweiz, wo er als Bauer leben will. Doch auch daraus wird nichts. Schon während seiner Zeit in Paris beginnt Kleist zu dichten. Seine Theaterstücke, die heute weltberühmt sind, bleiben zunächst erfolglos. Von 1801 bis 1811 entstehen unter anderem die Tragödien Die Familie Schroffenstein (1803), Robert Guiskard und Penthesilea (beide 1808), außerdem Das Käthchen von Heilbronn (1808), Die Hermannsschlacht (1821 postum erschienen), die Komödien Amphitryon (1807) und Der zerbrochne Krug (1808) sowie die Erzählungen Die Marquise von O.... (1808), Das Bettelweib von Locarno (1810) und Die Verlobung in St. Domingo (1811). 1810 verweigert der preußische Staat Kleist, der nach Stationen in Königsberg und Dresden wieder in Berlin lebt, eine Pension. Auch aus dem Königshaus erhält er keine Anerkennung, obwohl er der Schwägerin des Königs das patriotische Stück Prinz Friedrich von Homburg widmet. Dennoch ist es wohl weniger äußere Bedrängnis als innere Seelennot, die Kleist schließlich in den Freitod treibt. Am 21. November 1811 erschießt er zunächst seine unheilbar kranke Freundin Henriette Vogel und danach sich selbst am Kleinen Wannsee in Berlin.

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