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Kritik der praktischen Vernunft

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Kritik der praktischen Vernunft

Suhrkamp,

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What's inside?

Kants zweite Kritik enthält den berühmten kategorischen Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Die Moralphilosophie Immanuel Kants

Was sind die ethischen Grundlagen für unser Handeln? Was sollen wir tun und lassen? Welche Prinzipien müssen wir Menschen – als Vernunftwesen – als moralischen Maßstab wählen? Das waren im Zeitalter der Aufklärung (17. und 18. Jahrhundert) Fragen, welche die fortschrittlichen Denker nicht mehr allein der Religion überlassen wollten. Immanuel Kant, der wichtigste Philosoph der deutschen Aufklärung, geht gemäß seinem Motto „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ in seiner Kritik der praktischen Vernunft daran, systematisch die Frage nach den ethischen Grundlagen unseres Handelns zu klären. Er kommt zu dem Schluss, dass wir uns in unserem moralischen Urteilen und Handeln aus dem Einflussbereich der subjektiven Sinnenwelt befreien können – indem wir uns der Vernunft bedienen. Unsere Vernunft zeigt uns das Prinzip, das ungeachtet aller speziellen Umstände die allgemeingültige Voraussetzung für unser moralisches Wollen und Handeln bietet: den berühmten kategorischen Imperativ. Kritiker kreideten Kant an, dass er positive emotionale Beweggründe wie Liebe oder Mitleid nicht als moralische Handlungsgrundlage gelten lasse. Außerdem bleibe in Kants formelhafter Umsetzung des Moralgesetzes kein Raum für Individualität. Dennoch ist Kants Werk bis heute eines der wichtigsten Bücher zur Ethik.

Take-aways

  • Die Kritik der praktischen Vernunft enthält Kants Ethik (Moralphilosophie) und ist ein Hauptwerk der Philosophiegeschichte.
  • Kants Moralgesetz, der kategorische Imperativ, ist eine der berühmtesten Formeln der Philosophie.
  • Das Werk versucht die menschliche Urfrage zu beantworten: Was soll ich tun?
  • Das Moralgesetz kann nur aus der reinen Vernunft bestimmt werden, ohne Bei-mischung von subjektiven Bedürfnissen und Neigungen.
  • Die höchste Form der Moralität besteht in einem guten Willen, d. h. einem Willen, der seinen Bestimmungsgrund allein im objektiven Moralgesetz hat.
  • Die Achtung vor dem Moralgesetz ist für uns Pflicht.
  • Allein die Gesinnung zählt: Auch eine gesetzestreue Tat ist nur dann gut, wenn sie aus der Achtung vor dem Moralgesetz erwächst.
  • Selbst positive Emotionen wie Liebe oder Mitleid sind an sich noch keine legitimen moralischen Handlungsgrundlagen.
  • Echte Willensfreiheit ist die Voraussetzung dafür, dass wir nach dem Moralgesetz handeln.
  • Der Mensch ist autonom: Durch seine praktische Vernunft wird er zum moralischen Gesetzgeber in eigener Sache, frei von Fremdeinflüssen wie etwa dem der Kirche.
  • Durch die Freiheit und Autonomie des eigenen Willens erhält jeder seine Menschenwürde.
  • Kants Moralphilosophie war außerordentlich wirkungsmächtig, sie beeinflusste Denker wie Schiller, Fichte, Hegel, Schopenhauer und John Rawls.

Zusammenfassung

Das allgemeine Moralgesetz

Nach welchen Prinzipien sollten vernünftige Wesen ihre Handlungen ausrichten? Gibt es ein objektives moralisches Gesetz? Für die Beantwortung dieser Fragen können wir uns nicht auf unsere Erfahrung verlassen, denn diese beruht auf zufälligen Ereignissen und ist subjektiv. Zudem ist unsere Existenz als Wesen der Sinnenwelt von Egoismus und den damit verbundenen Bedürfnissen, Neigungen und Begierden geprägt.

„Wenn ein vernünftiges Wesen sich seine Maximen als praktische allgemeine Gesetze denken soll, so kann es sich dieselben nur als solche Prinzipien denken, die, nicht der Materie, sondern bloß der Form nach, den Bestimmungsgrund des Willens enthalten.“ (S. 135)

Ein allgemeines und notwendigerweise gültiges Moralgesetz lässt sich nur unabhängig von persönlichen Erfahrungen erkennen. Diese Erkenntnis muss a priori, d. h. vor aller Erfahrung, rein aus der Vernunft heraus erwachsen. Wir finden ein solches Sittengesetz durch die reine praktische (also auf das praktische Handeln bezogene) Vernunft, die uns ohne Beeinflussung von Erfahrungen und ungetrübt von persönlichen Bedürfnissen und Neigungen die objektive Grundlage für eine allgemeingültige Moral liefert.

„Also ist ein Wille, dem die bloße gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen kann, ein freier Wille.“ (S. 138)

Unsere praktische Vernunft führt uns zu Imperativen (Handlungsanweisungen). Zwei unterschiedliche Arten gilt es zu unterscheiden:

  1. Hypothetische Imperative: Sie sagen uns, was zu tun ist, um bestimmte Zwecke zu erreichen, und basieren auf Klugheit und Geschicklichkeit. Sie können aber keine objektiven Handlungsanweisungen sein, die für alle vernunftbegabten Wesen unbedingt gelten. Denn ihre Bedeutung hängt von den jeweils subjektiven Zwecken und Zielen ab, die der Mensch erreichen will. Weil die einzelnen Menschen sich unterschiedliche Ziele setzen, können hypothetische Imperative nicht allgemein und notwendig gelten.
  2. Kategorische Imperative: Das sind Handlungsanweisungen, die nicht von subjektiven Zwecken bestimmt sind. Sie gelten für alle vernunftbegabten Menschen allgemein und unter allen Umständen. Es sind Imperative der reinen praktischen Vernunft, ungetrübt von Erfahrungen und subjektiven, auf Selbstliebe basierenden Motiven.

Der kategorische Imperativ

Unsere reine praktische Vernunft zeigt uns, dass es in der Tat einen solchen kategorischen Imperativ gibt, der ein allgemeingültiges Moralgesetz etabliert:

„Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselweise aufeinander zurück.“ (S. 139)

„Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

Dieses Moralgesetz ist formal: Es sagt uns nur, nach welchem Prinzip wir unseren Willen bestimmen sollen, nicht aber wie diese Willensbestimmung in konkreten Situationen inhaltlich auszusehen hat.

„Die Maxime der Selbstliebe (Klugheit) rät bloß an; das Gesetz der Sittlichkeit gebietet. Es ist aber doch ein großer Unterschied zwischen dem, wozu man uns anrätig ist, und dem, wozu wir verbindlich sind.“ (S. 148)

Unsere praktische Vernunft jedoch versetzt uns relativ einfach in die Lage, die Geltung dieses kategorischen Imperatives zu erkennen und ihn als formales Prinzip auf jeweilige konkrete moralische Fragestellungen anzuwenden. Man braucht sich nur einmal anzuhören, wie auch Nichtphilosophen über den Charakter ihrer Mitmenschen urteilen und nach welchen Kriterien sie ihr Urteil bilden. Schnell zeigt sich, dass ebendieses Moralgesetz praktisch immer automatisch und ganz natürlich die Grundlage bildet.

„Nur ein formales Gesetz, d. i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung der Maximen vorschreibt, kann a priori ein Bestimmungsgrund der praktischen Vernunft sein.“ (S. 182)

Dieses moralische Gesetz, das uns unsere reine praktische Vernunft aufzeigt, stellt eine wichtige Forderung an uns: Die Prinzipien, die wir als Grundlage für unser Wollen und Handeln wählen, müssen jenen entsprechen, nach denen alle vernunftbegabten Wesen ihr Wollen und Handeln bestimmen sollten und bestimmen würden, wenn sie dies ohne Beeinflussung durch subjektive Bedürfnisse und Neigungen tun würden.

„Das Wesentliche alles sittlichen Werts der Handlungen kommt darauf an, dass das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme.“ (S. 191)

Das Einzige, was dabei zählt, ist der Bestimmungsgrund des Willens: Nur das, was wir als Basis für unser Wollen wählen, entscheidet über den moralischen Wert unserer Handlungen. Es kommt also allein auf unsere Gesinnung an. Das moralisch Gute offenbart sich in Reinform in einem guten Willen.

„Man kann von jeder gesetzmäßigen Handlung, die doch nicht um des Gesetzes willen geschehen ist, sagen: sie sei bloß dem Buchstaben, aber nicht dem Geiste (der Gesinnung) nach moralisch gut.“ (S. 192)

Selbst wenn wir nach dem Moralgesetz handeln, dabei aber andere Beweggründe als die Achtung vor diesem haben, handeln wir lediglich legal, nicht moralisch. So können wir etwa aus Eitelkeit oder weil wir uns einen Vorteil davon versprechen richtig handeln. Damit erfüllen wir aber nur den Buchstaben des Gesetzes, nicht seinen Geist. Selbst richtige Handlungen aus an sich positiven und achtenswerten Motiven, wie etwa Liebe oder Mitleid, sind nur dann auch moralisch, wenn der wahre und letztendlich einzige Bestimmungsgrund unseres Willens die Achtung vor dem Moralgesetz ist. Nur dann handeln wir aus Pflicht. Handlungen, die eine Beimischung von anderen, subjektiven Beweggründen beinhalten, sind bestenfalls pflichtgemäß.

„Achtung fürs moralische Gesetz ist also die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder, so wie dieses Gefühl auch auf kein Objekt anders als lediglich aus diesem Grunde gerichtet ist.“ (S. 199)

Die reine praktische Vernunft lehrt uns, dass es unsere Pflicht ist, ausschließlich nach dem Moralgesetz zu handeln, mit der alleinigen Motivation, dieses Gesetz immer einzuhalten.

Wann ist eine Handlung also moralisch? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir herausfinden, was den Willen zu dieser Handlung bestimmt. Wenn subjektive Beweggründe, die nicht nur aus der Achtung vor dem moralischen Gesetz entstammen, eine Handlung bestimmen, kann diese Handlung nicht moralisch sein. Die Achtung vor dem Moralgesetz ist daher letztlich die einzige zulässige Triebfeder für unser Handeln.

Das Postulat der Willensfreiheit

Als endliche Wesen sind wir Menschen den Naturgesetzen der Sinnenwelt unterworfen, d. h. dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Würde aber diese Sinnenwelt allein unser Handeln bestimmen, so könnten wir nicht moralisch handeln. Um überhaupt eine moralische Verantwortung tragen zu können, müssen wir Willensfreiheit haben, unabhängig von der Sinnenwelt und den entsprechenden Bedürfnissen, Neigungen oder Begehren, die diese in uns auslöst. Unsere Existenz kann daher nicht nur an diese Sinnenwelt der Erscheinungen gebunden sein. Wir müssen davon ausgehen, dass wir im Grunde unseres Wesens (als „Ding an sich“) auch eine Existenz in der intelligiblen Welt haben, in der übersinnlichen Welt der Vernunftwesen.

„Die Bewirkung des höchsten Guts in der Welt ist das notwendige Objekt eines durchs moralische Gesetz bestimmbaren Willens.“ (S. 252)

Angesichts der Tatsache, dass die Menschen oft so sehr von ihren Bedürfnissen, Neigungen und ihrem Begehren vereinnahmt werden, dass auch ihre Handlungen unweigerlich dadurch bestimmt werden, behaupten manche Philosophen, es gebe nur eine vermeintliche Art von Freiheit: Wir seien insofern frei, als wir nur inneren Zwängen und keinen äußeren folgten. Diese Freiheit, die in Abhängigkeit von unseren inneren Triebkräften wirkt, ist aber keine wirkliche Freiheit. Wir können nur dann moralisch verantwortlich sein und verantwortlich gemacht werden, wenn wir auch die echte Freiheit haben, unseren Willen rein nach dem Moralgesetz zu bilden, unabhängig von unseren eigenen Bedürfnissen und Neigungen.

„Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat der Wirklichkeit eines höchsten ursprünglichen Guts, nämlich der Existenz Gottes.“ (S. 256)

Dieser Umstand wird uns von unserem Gewissen bestätigt: Es würde keinen Sinn machen, eine Tat zu bereuen, wenn wir in Wirklichkeit keine andere Wahl gehabt hätten, als sie zu dem jeweiligen Zeitpunkt genau so zu begehen, wie wir es taten. Nein, Gewissen und Reue bedeuten: Wir hatten die Wahl, wir sind frei.

„Aber das moralische Gesetz für sich verheißt doch keine Glückseligkeit; denn diese ist, nach Begriffen von einer Naturordnung überhaupt, mit der Befolgung desselben nicht notwendig verbunden.“ (S. 260)

Die reine praktische Vernunft weist uns auf das allgemeine Moralgesetz hin und darauf, dass wir im Hinblick auf unseren Willen echte Wahlfreiheit annehmen müssen. Moralgesetz und Willensfreiheit bedingen sich gegenseitig: Nur durch echte Willensfreiheit können wir uns überhaupt entgegen allen widerstrebenden Begierden und Neigungen bewusst dafür entscheiden, das Moralgesetz als einzigen Bestimmungsgrund für unseren Willen gelten zu lassen. Und nur wer allein nach dem Moralgesetz handelt, ist wirklich in seinem Willen und den daraus erwachsenden Handlungen frei und autonom.

Die Menschenwürde

Je nach Ausmaß, in dem ein Mensch sein Wollen und Handeln an dem Moralgesetz ausrichtet, verdient er unsere Achtung und erhält seine Würde. Der Mensch wird in seinem Bemühen um moralische Vollkommenheit zum Gesetzgeber in eigener Sache und damit zum Selbstzweck. Deshalb ist es auch ein wichtiger Aspekt des Moralgesetzes, dass kein Mensch einen anderen nur als Mittel zu irgendeinem Zweck benutzen darf. Er muss den anderen Menschen vielmehr immer auch als Selbstzweck anerkennen und ihn in seiner Würde und Freiheit achten.

Das höchste Gut

Wenn wir unseren Willen auch allein an dem Moralgesetz ausrichten sollen und somit keinen anderen Zweck als die Achtung vor dem Gesetz selbst anzustreben haben, so ergibt das Moralgesetz doch keinen Sinn, wenn es nicht das höchste Gut zum Ziel hat. Eine vollkommene Verwirklichung desselben würde die beste aller Welten bedeuten. Daher gehört zum höchsten Gut zweierlei: Tugend (als „Würdigkeit glücklich zu sein“, weil wir nach bestem Können das moralische Gesetz befolgen) und Glückseligkeit.

Das Postulat der Unsterblichkeit der Seele

Als endliche Wesen können wir in unserer Lebenszeit unseren Willen nur unvollkommen nach dem Moralgesetz ausrichten, weil wir naturgemäß Bedürfnissen und Neigungen unterworfen sind. Zwar sind wir in der Lage, unsere Gesinnung immer besser dem Moralgesetz anzupassen. Trotzdem können wir die Vollkommenheit nur anstreben, ohne sie jemals völlig zu erreichen.

„Daher ist auch die Moral nicht eigentlich die Lehre, wie wir uns glücklich machen, sondern wie wir der Glückseligkeit würdig werden sollen.“ (S. 261)

Ein Wille gilt als heiliger Wille, wenn er völlig frei von sinnlichen Bedürfnissen, Neigungen und Begehren nur das Moralgesetz zu seinem Bestimmungsgrund wählt. Diesen Zustand, in dem wir einzig und allein dem Moralgesetz gehorchen und von dem Begehren der Sinnenwelt überhaupt nicht mehr in Versuchung geführt werden, können wir in diesem endlichen Leben nie vollkommen erreichen. Deshalb hat das Bemühen um moralische Vollkommenheit und um das höchste Gut – die beste mögliche Welt – nur dann einen Sinn, wenn wir dieses Ziel auch über unser Leben hinaus anstreben können. Es ist daher ein Prinzip der praktischen Vernunft, für alle vernünftigen Wesen die Unsterblichkeit der Seele anzunehmen.

Das Postulat der Existenz Gottes

Ebenso wie wir in diesem Leben nie moralische Vollkommenheit erreichen werden, lässt sich – wie uns die Erfahrung lehrt – Glückseligkeit nicht automatisch an die Moralität unseres Wollens knüpfen. Das höchste Gut an Tugend und Glückseligkeit kann also selbst bei bestem Bemühen nicht aus eigener Kraft erreicht werden. Und es steht auch nicht in unserer Macht, den Grad der Glückseligkeit an den Grad der Tugend zu knüpfen: Der Tugendhafteste muss nicht auch der Glücklichste sein, im Gegenteil, seine Tugend kann ihn sogar ins Unglück stürzen. Uns bleibt allein die Pflicht, das Moralgesetz zu achten, soweit es in unserer Macht steht. Damit diese Pflicht aber einen langfristigen Sinn hat, ist es vernünftig, einen höheren Urheber anzunehmen, der dafür sorgt, dass wir die Glückseligkeit erfahren, die unserer Tugend angemessen ist. Dieser Urheber der perfekten Verknüpfung von Tugend und Glückseligkeit ist Gott.

Der Vernunftglauben

Die reine praktische Vernunft lehrt uns, dass es das objektive Moralgesetz gibt. Es verpflichtet uns, die Maximen unseres Willens so zu wählen, dass sie gleichzeitig die Basis einer allgemeinen Gesetzgebung für alle vernünftigen Wesen sein können. Die Postulate der Freiheit, der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes sind Schlussfolgerungen daraus. Sie sind nicht etwa objektive, allgemeine und notwendige Begriffe. Es ist aber für jeden von uns subjektiv sinnvoll, ihre Existenz anzunehmen, weil ansonsten das Moralgesetz für uns keinen persönlichen Sinn ergibt. Damit sind sie Aspekte eines persönlichen Vernunftglaubens.

Zum Text

Aufbau und Stil

Auch in seiner zweiten Kritik – die zwischen der Kritik der reinen Vernunft (1781) und der Kritik der Urteilskraft (1790) steht – folgt Immanuel Kant den akademischen Gepflogenheiten seiner Zeit für philosophische Arbeiten: Das Buch beginnt mit Abhandlungen zu den Themen Analytik und Dialektik der praktischen Vernunft und einer kurzen philosophischen Methodenlehre. Im Gegensatz zu Kants leichter lesbaren Ausführungen in der vorangegangenen Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) erweist sich diese systematische, kritische Abhandlung zur Moralphilosophie für den ungeübten Leser als recht anspruchsvoll. Vor allem Kants Tendenz, alle Aspekte einer Idee mit entsprechenden Einwänden und Klarstellungen in Form von Schachtelsätzen zu erörtern, erfordert mentale Anstrengung beim Lesen. Das ist wohl mit ein Grund, warum Kants Werk in seiner Gesamtheit offensichtlich auch heute noch wenig gelesen und verstanden wird. Wer sich trotzdem die Mühe macht, den Text sorgfältig durchzugehen, wird nicht nur mit tiefen Einblicken in eine der wichtigsten moralphilosophischen Schriften belohnt, er trifft auch immer wieder auf eine Anzahl von prägnanten Sätzen, die Einsichten und Weisheiten in literarisch ansprechender Weise darbieten.

Interpretationsansätze

  • Anders als alle vorherigen Philosophen versucht Kant eine Ethik zu begründen, die ihre Grundsätze aus der menschlichen Vernunft selbst nimmt, nicht aus irgendwelchen äußeren Prinzipien wie z. B. der Aussicht auf ein glückliches Leben oder einer Belohnung im Jenseits.
  • Kant leistet mit seiner Betonung der reinen praktischen Vernunft als alleinigem Bestimmungsgrund des Willens auch in der Moralphilosophie einen Beitrag zur europäischen Aufklärung: Nicht mehr Glaube und Religion entscheiden über moralisches Handeln, sondern die menschliche Vernunft gilt als Richtschnur.
  • Der rein formale Charakter des kategorischen Imperativs macht den Menschen selbst verantwortlich für die inhaltliche Ausgestaltung seines Wollens und Handelns. Der kategorische Imperativ beansprucht allgemeine Gültigkeit, unabhängig von persönlichen Neigungen oder Zwecken.
  • In seinen Postulaten der Freiheit, Unsterblichkeit der Seele und Existenz Gottes liefert Kant die Basis für einen Vernunftglauben, der sich vom religiösen Offenbarungsglauben abgrenzt. In Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) vertieft er diese Lehre.
  • Bezüglich der theoretischen Vernunft kommt Kant in der Kritik der reinen Vernunft zu dem Schluss, dass unsere Fähigkeit, die Welt zu erkennen, durch die Struktur unseres Denkapparates entscheidend begrenzt ist. Gleichzeitig findet er in der Kritik der praktischen Vernunft, dass unsere praktische Vernunft für den Bereich der Ethik zu klaren und allgemeingültigen Einsichten unabhängig von subjektiver Erfahrung führen kann.
  • Man könnte die Kritik anbringen, Kants Moralgesetz sei so rigide, dass „normale“ Menschen ihm nicht gewachsen seien, und dass die Welt sich darum auch nicht wesentlich verbessert hätte.

Historischer Hintergrund

Ethik im Zeitalter der Aufklärung

Bereits Aristoteles hatte neben Logik, Physik und Metaphysik mit der Ethik einen eigenständigen Zweig der Philosophie begründet, der sich auf die praktische Vernunft stützt. Nach der Entstehung des Christentums dominierte aber die auf der Bibelauslegung basierende Morallehre das westliche ethische Denken über Jahrhunderte. Erst im 12. und 13. Jahrhundert begannen westliche Denker theologische Überzeugungen wieder mit überlieferten aristotelischen Lehren zu verbinden und knüpften so erneut an die griechische philosophische Tradition an. Auf dieser Basis entwickelte Thomas von Aquin im zweiten Teil seiner Summa theologiae eine auf rationalen Überlegungen basierende Tugendlehre, die allgemeine, also auch für Nichtgläubige einsehbare, ethische Prinzipien darlegte. Allerdings machte er höhere ethische Einsichten weiterhin von göttlicher Offenbarung abhängig.

Im Rahmen der europäischen Aufklärung stand die Ethik plötzlich vor völlig neuen Herausforderungen. Zum einen hatten Naturwissenschaftler wie Isaac Newton und Galileo Galilei gezeigt, dass der Mensch allein mit seinem Verstand und mit wissenschaftlicher Methodik wichtige Erkenntnisse über die Welt – die irdische wie die himmlische – gewinnen kann. Zum anderen warfen Staatstheoretiker wie Thomas Hobbes die Frage auf, wie ein soziales und politisches Gemeinwesen organisiert werden soll. Damit wurden vor allem ethische Grundfragen angestoßen. Empiristen wie David Hume und Rationalisten wie René Descartes suchten jeweils auf unterschiedlichen Wegen ethische Prinzipien zu etablieren. Immanuel Kant war der führende deutsche Aufklärer. Mit dem Ziel, den Gegensatz zwischen Empirismus und Rationalismus zu überwinden, ging er systematisch daran, die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und Erfahrung zu analysieren.

Entstehung

„Konsequent zu sein ist die größte Obliegenheit eines Philosophen und wird doch am seltensten angetroffen“, schrieb Kant in seiner Kritik der praktischen Vernunft. Gemäß seinem eigenen Grundsatz begann er in seiner so genannten „kritischen Phase“ systematisch die drei Fragen abzuhandeln, die er für den Menschen als grundlegend ansah: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Die erste Frage nach dem Wissen und den Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sollte die Kritik der reinen Vernunft (1781) beantworten. Das Werk wurde jedoch anfangs wenig verstanden. Noch während Kant an einer zweiten, veränderten Fassung arbeitete, legte er 1785 mit der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten den ersten Baustein zur Beantwortung der zweiten Frage (Was soll ich tun?), auf die er dann 1788 mit seiner Kritik der praktischen Vernunft eine umfassende Antwort gab. Gleichzeitig wies er darin mit seinen Aussagen zur Unsterblichkeit der Seele und zur Existenz Gottes bereits auf Antworten auf die letzte Frage hin (Was darf ich hoffen?).

Angesichts des Primats, das Kant der praktischen Vernunft über die reine (spekulative, theoretische) einräumte, kann man davon ausgehen, dass er die Kritik der praktischen Vernunft als das Hauptwerk seiner kritischen Reihe sah, die er 1790 mit der Kritik der Urteilskraft abschloss.

Wirkungsgeschichte

Auch mit seinem zweiten Werk aus der Reihe der kritischen Schriften schrieb Kant Philosophiegeschichte. Sein kategorischer Imperativ wurde zu einer der berühmtesten Formeln der Moralphilosophie. Kant wurde zum eigenständigen Begründer der Gesinnungsethik (durch sein Konzept des guten Willens) sowie der formalen Ethik (das Moralgesetz kann uns nur sagen, nach welchem Prinzip wir unseren Willen bestimmen sollen). Seit der Veröffentlichung seiner Kritik der praktischen Vernunft ist es weltweit so gut wie unmöglich, ethische Fragen ernsthaft zu diskutieren, ohne Kants Konzept in die Überlegungen mit einzubeziehen. Das gilt bis in unsere Zeit. So wurde Kant nicht nur von Zeitgenossen wie Schiller, Fichte, Hegel, Schopenhauer u. a. gelesen, er stand auch ganz selbstverständlich im Mittelpunkt einer Vorlesung zur Geschichte der Moralphilosophie des 2002 verstorbenen Harvard-Professors John Rawls, der als bedeutendster angelsächsischer Moralphilosoph der Neuzeit gilt. Ob es um Fragen der Unternehmensethik oder der Bioethik geht, Kant spielt immer noch eine führende Rolle. Er wird in den Ausführungen der Ethikkommission des Deutschen Bundestages ebenso zitiert wie sogar in manchen Stellungnahmen der Kirchen zu ethischen Fragen. Neben seinem Moralgesetz erwies sich aber auch die von Kant aus menschlicher Freiheit und Autonomie abgeleitete Würde des Menschen als enorm einflussreich: Sie ist Bestandteil der Charta der Vereinten Nationen und der im Jahre 2000 proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zudem wurde der Begriff der Menschenwürde Bestandteil der Verfassung etlicher Nationen.

Über den Autor

Immanuel Kant wird am 22. April 1724 in Königsberg (dem heutigen Kaliningrad) geboren und wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Erziehung ist stark von den Überzeugungen seiner tiefreligiösen Eltern geprägt. Nach seiner Gymnasialzeit an einer pietistischen Schule studiert Kant u. a. Mathematik, Naturwissenschaften, Theologie und Philosophie in Königsberg. 1746 verlässt er nach dem Tod seines Vaters die Universität und wird, auch um seine Geschwister ernähren zu können, Hauslehrer bei wohlhabenden Familien in der Umgebung von Königsberg. Durch seine Kontakte zum Adel erlernt er gehobene Umgangsformen. Nach seiner Rückkehr an die Universität promoviert und habilitiert er mit Veröffentlichungen aus dem Bereich der Astronomie und Philosophie. Seine Vorlesungen an der Universität erfreuen sich großer Beliebtheit. Trotzdem bewirbt er sich 1758 vergeblich um die vakant gewordene Stelle eines Professors für Logik und Metaphysik in Königsberg. Angebote einer Professur aus Jena und Erlangen lehnt er aus Verbundenheit zu seiner Heimatstadt ab. Erst 1770 wird er in seinem Wunschbereich Professor in Königsberg, später auch zeitweise Rektor der Universität. Während der knapp 30 Jahre an der Universität führt Kant ein streng geregeltes Leben. Seine Tagesabläufe sind exakt durchgeplant, die Königsberger können die Uhr nach Kants Tagesprogramm stellen. 1781 veröffentlicht er die Kritik der reinen Vernunft, die erste seiner drei Kritiken. Weil seine Thesen weitgehend auf Unverständnis stoßen oder gar nicht erst beachtet werden, veröffentlicht er 1787 eine zweite, veränderte Fassung dieser ersten Kritik. 1788 folgt die Kritik der praktischen Vernunft und 1790 die Kritik der Urteilskraft. In der Zwischenzeit setzen sich Kants Ideen durch: Zu seinen Lebzeiten gibt es bereits über 200 Schriften zu seinen Werken, und selbst Normalbürger diskutieren seine Ideen beim Friseurbesuch. Am 12. Februar 1804 stirbt Kant, inzwischen weltberühmt, in seiner Heimatstadt Königsberg, angeblich mit den Worten: „Es ist gut.“

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