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Der Sandmann

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Der Sandmann

Insel Verlag,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Das Sandmännchen kennt jedes Kind – aber E. T. A. Hoffmanns Geschichte vom Sandmann ist nichts für schwache Nerven ...


Literatur­klassiker

  • Kurzprosa
  • Romantik

Worum es geht

Wahn und Wirklichkeit

Es fängt ganz harmlos an: Der kleine Nathanael fürchtet sich vor dem Sandmann, wie das bei Kindern nun mal vorkommen kann. Nathanael ist sich sicher, dass der Advokat Coppelius, der oft abends den Vater besucht, der Sandmann ist, von dem ihm die Kinderfrau schreckliche Dinge erzählt hat. Als dann der Vater ums Leben kommt, woran Coppelius nicht ganz unschuldig ist, bestätigt das die Ängste des Jungen. Jahre später - Nathanael ist inzwischen Student - glaubt er in einem Hausierer Coppelius wiederzuerkennen. Seine Angst flammt wieder auf; er fürchtet, Coppelius könnte mit dämonischen Kräften sein Leben zerstören. So kommt es dann auch: Nathanael sieht sich auf Schritt und Tritt vom bösen Sandmann verfolgt, der es auf Menschenaugen abgesehen hat. Schließlich stürzt er sich von einem Turm in den Tod. Ist Nathanael tatsächlich wehrloses Opfer einer bösen Macht? Oder verfällt hier ein übersensibler junger Mann nach und nach dem Wahnsinn? Diese Frage wird nicht geklärt. Denn E. T. A. Hoffmann, der Meister der phantastischen Literatur, verwischt in seiner Erzählung bewusst die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn und lässt unterschiedliche Deutungen zu. Mit dieser Erzählweise gilt der "Gespenster-Hoffmann" als ein Vorläufer der modernen Literatur.

Take-aways

  • Die Erzählung Der Sandmann gehört zu den bekanntesten Werken E. T. A. Hoffmanns, des Dichters des Unheimlichen.
  • Erzählt wird die Geschichte des jungen Nathanael, der von einem Kindheitstrauma verfolgt wird und am Ende den Verstand und das Leben verliert.
  • Als kleines Kind fürchtet sich Nathanael vor dem Advokaten Coppelius, den er für den bösen Sandmann hält, von dem ihm die Kinderfrau erzählt hat.
  • Als Nathanaels Vater bei einem gemeinsam mit Coppelius durchgeführten Experiment ums Leben kommt, schreibt Nathanael Coppelius dämonische Kräfte zu.
  • Jahre später begegnet er dem Hausierer Coppola, der ihn an Coppelius erinnert. Nun glaubt er, von einer sein Leben zerstörenden bösen Macht verfolgt zu werden.
  • Durch ein Fernglas, das er dem Hausierer abkauft, beobachtet er am gegenüberliegenden Fenster eine wunderschöne junge Frau: Olimpia, die Tochter des Professors Spalanzani.
  • Nathanael vergisst seine Verlobte Clara, verliebt sich in die schweigsame Olimpia und möchte sie heiraten.
  • Als er jedoch entdeckt, dass Olimpia nur eine mechanische Puppe ist, die Spalanzani und Coppola konstruiert haben, erleidet er einen Nervenzusammenbruch.
  • Nach einem Aufenthalt in einer Anstalt gilt Nathanael als geheilt. Als er aber erneut durch das Fernglas sieht, verliert er die Nerven und stürzt sich in den Tod.
  • Ob Nathanael wirklich von Coppelius verfolgt wird oder einem Wahn erliegt, wird nicht eindeutig geklärt; beide Interpretationen sind möglich.
  • Typisch für die Romantik sind die phantastischen Elemente und die Figur des übersensiblen Künstlers.
  • Der Text nimmt mit der ausgefeilten psychologischen Darstellung und der Vermischung von Realität und Wahrnehmung Entwicklungen moderner Literatur vorweg.

Zusammenfassung

Ein unheimlicher Besucher

Der kleine Nathanael und seine Geschwister sitzen abends oft bei den Eltern und hören dem Vater zu, der gern Geschichten erzählt. An manchen Abenden aber ist der Vater still und in sich gekehrt, die Mutter bedrückt. Dann schickt sie die Kinder schon früh ins Bett mit der Begründung, dass jetzt der Sandmann käme. Immer an diesen Abenden hört Nathanael Schritte im Treppenhaus; es kommt tatsächlich noch jemand. Diesen Besucher bekommt der Junge nie zu Gesicht, aber er ist sich sicher: Das muss der Sandmann sein! Irgendwann fragt er die Mutter danach, aber diese wiegelt ab: Es gebe gar keinen Sandmann, das sei nur eine Redensart.

„Kurz und gut, das Entsetzliche, was mir geschah, (...) besteht in nichts anderm, als daß vor einigen Tagen, nehmlich am 30. Oktober Mittags um 12 Uhr, ein Wetterglashändler in meine Stube trat und mir seine Ware anbot.“ (Nathanael, S. 9 f.)

Da Nathanael aber den unsichtbaren Gast immer wieder hört, erkundigt er sich auch bei der alten Kinderfrau nach dem Sandmann. Hier erfährt er mehr: Sie erzählt ihm, der Sandmann komme nachts zu unartigen Kindern und streue ihnen so lange Sand in die Augen, bis diese herausfielen. Mit den Augen füttere der Sandmann dann seine eigenen Kinder. Nathanael, der überzeugt ist, dass eben dieser Sandmann abends den Vater besucht, fürchtet sich nun noch mehr vor dem geheimnisvollen Gast.

Die Begegnung mit dem Sandmann

Über Jahre hinweg beschäftigt der Sandmann die Phantasie des Jungen. Als der inzwischen zehnjährige Nathanael ein eigenes Zimmer bezieht, das von dem des Vaters nicht weit entfernt liegt, beschließt er, dem Sandmann aufzulauern, um ihn endlich einmal zu sehen. Doch das gelingt ihm nie. Schließlich ist seine Neugierde so groß, dass er sich eines Abends, ehe der geheimnisvolle Besucher kommt, im Kleiderschrank seines Vaters versteckt. Als der Sandmann dann das Zimmer des Vaters betritt, stellt Nathanael fest, dass er einen alten Bekannten vor sich hat: Es ist der Advokat Coppelius, der manchmal bei den Eltern zum Essen eingeladen ist. Die Kinder fürchten diesen Mann wegen seiner boshaften Art und wegen seines abstoßenden Äußeren. Daher ist es für Nathanael vollkommen einleuchtend, dass Coppelius der unheimliche Sandmann sein muss.

„Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemüt sich einnistet.“ (Nathanael, S. 13)

Coppelius und der Vater beginnen nun mit geheimnisvollen alchimistischen Experimenten, die dem Jungen noch mehr Angst einflößen. Als Coppelius plötzlich "Augen her!" ruft, schreit Nathanael vor Schreck auf und fällt aus dem Schrank. Coppelius packt ihn und tut so, als wolle er ihm die Augen ausreißen und die Hände und Füße abschrauben. Nathanael wird ohnmächtig und ist anschließend mehrere Wochen lang krank.

„Gerade heraus will ich es Dir nur gestehen, daß, wie ich meine, alles Entsetzliche und Schreckliche, wovon du sprichst, nur in Deinem Innern vorging, die wahre wirkliche Außenwelt aber daran wohl wenig Teil hatte.“ (Clara an Nathanael, S. 22)

Coppelius lässt sich vorerst bei der Familie nicht mehr blicken. Aber etwa ein Jahr später sind zur gewohnten Zeit auf einmal wieder Schritte im Flur zu hören. Die Mutter erschrickt, der Vater aber versichert, dass Coppelius heute zum letzten Mal käme, und schickt seine Familie zu Bett. Nathanael gehorcht, kann aber vor Angst nicht einschlafen. Gegen Mitternacht hört er auf einmal einen fürchterlichen Knall. Coppelius flüchtet aus dem Haus. Der Vater aber liegt mit rußschwarzem Gesicht tot vor dem kleinen Ofen, auf dem die beiden ihre Experimente durchgeführt haben. Von dem Tag an ist Coppelius verschwunden - und Nathanael sieht ihn nun erst recht als einen bösen Dämon an, der auch noch den Vater auf dem Gewissen hat.

„Ja Nathanael! Du hast Recht, Coppelius ist ein böses feindliches Prinzip, er kann Entsetzliches wirken, (...) aber nur dann, wenn du ihn nicht aus Sinn und Gedanken verbannst. So lange du an ihn glaubst, ist er auch und wirkt, nur dein Glaube ist seine Macht.“ (Clara, S. 33)

Bald nach dem Tod des Vaters nimmt die Mutter zwei verwaiste Kinder von entfernten Verwandten bei sich auf, die Geschwister Clara und Lothar.

Der Hausierer und die Professorentochter

Einige Jahre später zieht Nathanael, der inzwischen mit Clara verlobt ist, zum Studium in eine andere Stadt. Eines Tages kommt ein italienischer Hausierer zu ihm in die Wohnung und will ihm Wettergläser (= Barometer) anbieten. Nathanael wirft den ungebetenen Gast sofort hinaus, denn dieser Hausierer weckt ungute Erinnerungen in ihm: Er sieht aus wie Coppelius! Nathanael ist überzeugt, dem Mörder seines Vaters wiederbegegnet zu sein - erst recht, als er den Namen des Fremden erfährt: Coppola. Der junge Mann ist von dem Zusammentreffen sehr aufgewühlt und sieht es als ein Vorzeichen für kommendes Unheil an. Doch schließlich erfährt Nathanael von seinem Physikprofessor Spalanzani, dass Coppola aus Italien stamme und ihm seit langem bekannt sei. Das beruhigt Nathanael ein wenig. Als er eines Tages zum Unterricht in Spalanzanis Haus kommt, sieht er durch eine Glastür eine auffallend schöne junge Frau bewegungslos am Tisch sitzen. Wie er erfährt, handelt es sich um Spalanzanis Tochter Olimpia, die ihr Vater bisher zu Hause vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten hat.

Eine Auseinandersetzung mit Clara

Kurz darauf kehrt Nathanael nach Hause zurück. Er ist von der Vorstellung besessen, dass mit Coppelius bzw. Coppola eine böse Macht in sein Leben getreten ist, die seine Beziehung zu Clara und sein Leben zerstören wird. Mit seinen mystischen Theorien quält er seine Familie, vor allem Clara. Diese sieht die Dinge weitaus nüchterner. Sie versucht Nathanael davon zu überzeugen, dass Coppelius nur so lange Macht über ihn hat, wie er selbst daran glaubt. Nathanael fühlt sich von ihr unverstanden und ist verstimmt. Schließlich verarbeitet er seine Gedankengänge in einem Gedicht, in dem er seine Kindheitsängste mit der Beziehung zu Clara und ihrer Zukunft verbindet: Er steht mit Clara vor dem Traualtar, als plötzlich Coppelius erscheint und Claras Augen berührt, die daraufhin gegen Nathanaels Brust springen. Dann wirft Coppelius Nathanael ins Feuer. Er hört Claras Stimme sagen, dass sie ihre Augen noch habe, und schließlich erlischt das Feuer. Aber als Nathanael seine Braut ansieht, blickt er dem Tod selbst ins Gesicht.

„Da trat aber Coppola vollends in die Stube und sprach mit heiserem Ton (...): ‚Ei, nix Wetterglas, nix Wetterglas! - hab’ auch sköne Oke - sköne Oke!’ - Entsetzt rief Nathanael: ‚Toller Mensch, wie kannst du Augen haben? - Augen - Augen? -’“ (S“

Dieses Gedicht trägt Nathanael Clara vor. Sie reagiert entsetzt und bittet ihn, es zu vernichten. Er ist erbost und wirft Clara vor, sie sei so gefühllos wie ein Automat. Als Lothar von Nathanaels Verhalten gegenüber seiner Schwester erfährt, kommt es zu einem heftigen Streit zwischen den beiden. Schließlich wollen sie sich sogar duellieren, was Clara in letzter Minute verhindern kann. Die drei versöhnen sich, und einige Tage später reist Nathanael an seinen Studienort zurück.

„Nun erschaute Nathanael erst Olimpia’s wunderschön geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpia’s Augen feuchte Mondesstrahlen auf.“ (S. 42)

Zu seinem Schrecken ist das Haus, in dem er bisher gewohnt hat, inzwischen abgebrannt: Im Laboratorium der Apotheke im Erdgeschoss ist ein Feuer ausgebrochen. Freunde haben jedoch Nathanaels Habseligkeiten retten können. Nun bezieht er eine neue Wohnung, und zwar direkt dem Haus gegenüber, in dem Professor Spalanzani wohnt. Wenn Nathanael aus dem Fenster schaut, sieht er manchmal Olimpia still und unbeweglich in ihrem Zimmer sitzen, ganz wie bei der ersten Begegnung.

Die Liebe zu Olimpia

Eines Tages - Nathanael schreibt gerade einen Brief an Clara - taucht plötzlich wieder der Hausierer Coppola auf. Nathanael erschrickt, aber da er an Claras Erklärungen denkt und nicht abergläubisch sein will, lässt er ihn herein. Als Coppola Nathanael nicht nur Wettergläser, sondern auch "sköne Oke", schöne Augen anbietet, gerät der Student in Panik. Es stellt sich zwar heraus, dass Coppola damit Brillen meint, aber auch deren Anblick weckt ungute Erinnerungen. Nathanael beruhigt sich erst wieder, als Coppola seine Brillen wegpackt und ihm stattdessen Ferngläser zeigt. Um den sonderbaren Hausierer endlich loszuwerden, wählt Nathanael ein Glas aus und sieht hindurch, direkt hinüber in Olimpias Zimmer. Nun erblickt er Olimpia, die dort wieder still am Tisch sitzt, zum ersten Mal aus der Nähe. Nathanael ist so hingerissen von ihrer Schönheit, dass er sogar für eine Weile Coppolas Anwesenheit vergisst. Er kauft dem Hausierer das Glas ab. Der Brief an Clara ist ihm nun nicht mehr wichtig, Nathanael sieht lieber durch sein neues Glas zu Olimpia hinüber. An den folgenden Tagen bleiben die Vorhänge ihres Zimmers geschlossen, das Fernglas nutzt ihm nichts mehr, aber er denkt nur noch an Olimpia und möchte sie unbedingt wiedersehen.

Das Fest bei Spalanzani

Einige Tage später erfährt Nathanael, dass Professor Spalanzani ein Fest veranstalten wird, an dem auch Olimpia teilnehmen soll. Es gelingt ihm, eingeladen zu werden. Der Abend beginnt damit, dass Olimpia den Gästen auf dem Flügel etwas vorspielt und eine Arie singt. Da Nathanael in einiger Entfernung steht, betrachtet er sie wieder durch sein Fernglas. Er ist begeistert von ihr, und Olimpia scheint auch ihm verliebte Blicke zuzuwerfen. Sie tanzen miteinander, und dann setzt sich Nathanael zu ihr. Er ist völlig hingerissen von der schönen Frau und redet wirres Zeug, aber Olimpia hört ihm aufmerksam zu und sagt nur hin und wieder: "Ach!"

„Er saß neben Olimpia, ihre Hand in der seinigen und sprach hoch entflammt und begeistert von seiner Liebe in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia. Doch diese vielleicht; denn sie sah ihm unverrückt ins Auge und seufzte einmal über’s andere: Ach - Ach - Ach!“ (S. 48)

Als das Fest zu Ende ist, fordert Spalanzani Nathanael auf, seine Tochter doch öfters zu besuchen. Nathanael nimmt die Einladung gern an und verbringt von da an viele Stunden mit Olimpia. Er erzählt ihr von sich und liest ihr seine Dichtungen vor. Olimpia spricht fast nichts, ist aber immer eine sehr gute Zuhörerin und zeigt nie Anzeichen von Langeweile. Nathanael fühlt sich von ihr im Innersten verstanden und verliebt sich immer mehr in sie. Auf Warnungen von Freunden, die seine Gefühle nicht verstehen können, weil ihnen Olimpia allzu steif und leblos erscheint, reagiert er gekränkt.

Die Entdeckung

Schließlich entscheidet sich Nathanael, Olimpia einen Heiratsantrag zu machen. Er geht hinüber zum Haus des Professors. Beim Eintreten hört er die lauten Stimmen Streitender. Als er ins Zimmer kommt, sieht er zu seinem Entsetzen, was vor sich geht: Spalanzani und Coppola kämpfen um Olimpia - aber Olimpia ist nichts weiter als eine mechanische Puppe, die die beiden gemeinsam konstruiert haben.

„Er erbebte vor innerm Entzücken (...); denn es schien ihm, als habe Olimpia über seine Werke, über seine Dichtergabe überhaupt recht tief aus seinem Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern selbst herausgetönt. Das mußte denn wohl auch sein; denn mehr Worte als vorhin erwähnt, sprach Olimpia niemals.“ (S. 53)

Coppola geht schließlich als Sieger aus dem Streit hervor; er entreißt Spalanzani die Puppe und flüchtet. Dabei sieht Nathanael, dass Olimpia keine Augen mehr hat; sie liegen auf dem Fußboden. Spalanzani hat sich bei dem Kampf mit Coppola stark blutende Schnittwunden zugezogen. Auch die Augen auf dem Fußboden sind mit Blut verschmiert. In seiner Aufregung über die verlorene Puppe packt Spalanzani diese Augen und schleudert sie Nathanael gegen die Brust. Nathanael, der sich an sein düsteres Gedicht erinnert, verliert die Nerven und stürzt sich auf den Professor, um ihn zu erwürgen. Inzwischen aber sind Nachbarn auf den Tumult aufmerksam geworden und ins Haus gekommen. Sie trennen die Kämpfenden und lassen Nathanael in ein Irrenhaus bringen.

„Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten Hand und warf sie nach ihm, daß sie seine Brust trafen. - Da packte ihn der Wahnsinn mit glühenden Krallen (...)“ (S“

Nun ist Spalanzanis Betrug entdeckt. Dass Olimpia eine Puppe ist, hat zuvor niemand bemerkt, obwohl er sie sogar zu Teegesellschaften mitgenommen hat. Nun aber behauptet jeder, schon lange Verdacht geschöpft zu haben. Spalanzani wird der Universität verwiesen, Coppola ist verschwunden.

Nathanaels Ende

Irgendwann wacht Nathanael zu Hause wieder auf. Seine Mutter und Clara sind bei ihm. Den Wahnsinn hat er anscheinend überwunden. Clara freut sich sehr über Nathanaels Genesung. Die beiden wollen heiraten und zusammen mit der Mutter und Lothar auf ein Gut ziehen, das die Familie von einem Onkel geerbt hat.

„Nathanael (...) wurde den Coppelius gewahr und mit dem gellenden Schrei: ‚Ha! Sköne Oke - Sköne Oke’, sprang er über das Geländer. Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem Steinpflaster lag, war Coppelius im Gewühl verschwunden.“ (S. 62)

Kurz vor dem Umzug sind die vier noch einmal zu Besorgungen in der Stadt unterwegs. Als sie am Rathaus vorbeikommen, möchte Clara unbedingt auf den Turm steigen. Nathanael begleitet sie, während Lothar unten auf die beiden wartet und die Mutter ihren Heimweg fortsetzt. Oben angekommen, macht Clara Nathanael auf einen grauen Busch aufmerksam, der sich auf sie zuzubewegen scheint. Gewohnheitsmäßig greift Nathanael in seine Tasche nach dem Fernglas, das er von Coppola gekauft hat. Er sieht hindurch - da kommt ihm Clara in den Blick. In diesem Moment wird bei ihm die Erinnerung an das Vergangene wach und der junge Mann verliert wiederum die Nerven. In dem Glauben, Olimpia vor sich zu haben, packt er Clara und will sie über das Geländer werfen. Sie wehrt sich verzweifelt. Lothar bemerkt von unten den Kampf und stürzt die Treppen hinauf, um seine Schwester zu retten. Es gelingt ihm auch, sie Nathanael zu entreißen und sicher nach unten zu bringen. Nathanael aber tobt weiter auf der Galerie des Turmes. Inzwischen haben sich auf dem Marktplatz immer mehr Menschen versammelt, die das Schauspiel beobachten - unter ihnen auch der Advokat Coppelius. Als Nathanael vom Turm aus seinen alten Widersacher erblickt, stürzt er sich mit dem Schrei "Sköne Oke!" in die Tiefe.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Erzählung Der Sandmann beginnt mit drei Briefen. In einem Schreiben an Lothar schildert Nathanael seine erste Begegnung mit dem Hausierer Coppola und die Kindheitserinnerungen an den Sandmann und an Coppelius, mit denen er seine panische Reaktion begründet. Da Nathanael diesen Brief versehentlich an Clara adressiert (ein erster Hinweis darauf, dass er offenbar ziemlich durcheinander ist), erhält er auch eine Antwort von ihr. Sie versucht ihn zu beruhigen, indem sie für seine Ängste eine rationale Erklärung bietet. Im dritten Brief, wiederum an Lothar gerichtet, beklagt sich Nathanael über Claras Reaktion und berichtet von seiner ersten Begegnung mit Olimpia. Danach meldet sich plötzlich ein auktorialer Erzähler zu Wort, der die Leser direkt anspricht und die Geschichte fortspinnt. Der Erzähler beschreibt nicht nur, was geschieht, sondern schaltet sich auch selbst ein und kommentiert beispielsweise die Olimpia-Episode ironisch. Nach der Darstellung von Nathanaels Wahn und Ende folgt ganz am Schluss noch ein kurzer Ausblick auf Claras Zukunft. Auch in den vornehmlich auktorial erzählten Abschnitten sind manche Passagen offensichtlich aus Nathanaels Sicht dargestellt, etwa wenn Coppelius plötzlich "riesengroß" auf dem Marktplatz erscheint. Eher ungewohnt und nicht gerade leicht verständlich wirken auf den heutigen Leser Hoffmanns Wortschatz und der verschachtelte Satzbau.

Interpretationsansätze

  • Die Erzählung Der Sandmann zeichnet sich durch ein raffiniertes Spiel mit unterschiedlichen Perspektiven aus: In den Briefen kommen die Figuren selbst zu Wort, und der Bericht des allwissenden Erzählers ist teilweise perspektivisch gebrochen. So verwischen die Grenzen zwischen Realität und Imagination.
  • Dadurch bietet die Erzählung zwei gegensätzliche Interpretationsmöglichkeiten: Entweder ist Claras Version richtig und Nathanael ist psychisch krank und bildet sich die Bedrohung nur ein, oder er wird tatsächlich vom Bösen in Gestalt des Coppelius verfolgt. Die Antwort auf diese Frage bleibt Hoffmann schuldig; insbesondere wird nicht eindeutig geklärt, ob Coppelius und Coppola tatsächlich identisch sind oder nicht.
  • Der Frage nach der richtigen Sichtweise entspricht in der Erzählung das Motiv der Augen bzw. des Sehens allgemein: Schon in der Sandmann-Erzählung aus Nathanaels Kindheit kommen die gestohlenen Augen vor; Coppola handelt mit Brillen und anderen optischen Geräten; der Blick durch das Fernglas entfacht Nathanaels Leidenschaft für Olimpia und lässt ihn am Ende den Verstand verlieren.
  • Die Geschichte bietet reichlich Spielraum für psychologische Interpretationen. So hat etwa Sigmund Freud Nathanaels Furcht vor dem Verlust der Augen als Kastrationsangst und seine Liebe zur leblosen Puppe Olimpia als Narzissmus gedeutet. Auffällig ist auch, dass sich der erwachsene Nathanael nicht von seiner Kinderangst distanzieren kann, obwohl sie eindeutig durch ein Missverständnis hervorgerufen wurde.
  • Daneben enthält der Text auch ein ironisch-gesellschaftskritisches Element: Das Verhalten Olimpias in Gesellschaft fällt z. B. gar nicht auf - denn die stumme und steife mechanische Puppe entspricht dem Frauenideal jener Zeit.

Historischer Hintergrund

Der Kampf gegen Napoleon und die Hoffnung auf Veränderung

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestand das Deutsche Reich aus zahllosen Kleinstaaten. Die Wirtschaft wurde durch unzählige Grenzen und Zölle gehemmt, das politische System war vom Absolutismus geprägt, in der Gesellschaft galt noch die jahrhundertealte Ständeordnung. Mit den französischen Truppen kamen auch die Ideen der Französischen Revolution nach Deutschland. 1806 besiegte Napoleon in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt das preußische Heer. Unter dem Eindruck dieser Niederlage setzte sich in Preußen, wie auch in anderen deutschen Staaten, die Erkenntnis durch, dass politische Reformen notwendig waren. Das Ergebnis war der Versuch einer "Revolution von oben", einer Modernisierung des Staates durch Reformen wie die Abschaffung der Zünfte. In dieser Zeit der französischen Besatzung erstarkte das Nationalgefühl der Deutschen und führte zu einer Erhebung gegen die Fremdherrschaft. In der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 siegten schließlich preußische, russische und österreichische Truppen über Napoleons Heer. Nun forderten liberale Kräfte eine Neuordnung des Staates, demokratische Reformen und vor allem die nationale Einheit Deutschlands. Diese politische Strömung spiegelte sich auch in der Kunst: So waren historische Themen sehr beliebt, die Deutschlands Vergangenheit glorifizierten; die Dichter griffen verstärkt auf volkstümliche Formen zurück wie Märchen, Sagen und Lieder. Auf dem Wiener Kongress jedoch, der 1814/15 die politische Neuordnung Europas bestimmte, dominierten restaurative Kräfte, die alle Hoffnungen auf demokratische Veränderungen zunächst einmal zunichte machten.

Entstehung

Eine erste Fassung der Erzählung Der Sandmann beendete E. T. A. Hoffmann nach eigenen Angaben am 16. November 1815 um ein Uhr nachts. Veröffentlicht wurde sie schließlich Ende 1816 im ersten Band der Erzählsammlung Nachtstücke. Wie in vielen von Hoffmanns Werken steht auch hier das Irrationale im Vordergrund. Der Sandmann entspricht in vielem den literarischen Tendenzen jener Zeit: Die Dichter der Romantik waren fasziniert vom Geheimnisvollen, Unbewussten und Märchenhaften. Zugleich aber karikierte Hoffmann mit der Figur des Nathanael das romantische Ideal des empfindsamen Dichters. Dem Zeitgeschmack entspricht auch das Auftreten einer mechanischen Puppe in der Erzählung: Schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts gab es Versuche, Automaten in Menschengestalt zu bauen. Hoffmann waren diese bekannt, bereits in der Erzählung Die Automate (1814) verarbeitete er dieses Motiv. Ein reales Vorbild hat die Figur des Professors Spalanzani: Der italienische Biologe Lazarro Spallanzani beschäftigte sich im 18. Jahrhundert als einer der ersten Wissenschaftler mit künstlicher Befruchtung, also im weitesten Sinne auch mit der Erschaffung von Menschen - ähnlich wie Spalanzani im Sandmann. Auch mit psychischen Erkrankungen war E. T. A. Hoffmann vertraut: Seine Mutter litt unter Depressionen, er selbst hatte wegen seines übermäßigen Alkoholkonsums zunehmend mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen zu kämpfen. Zudem musste er sich als Jurist oft genug mit der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit eines Verbrechers befassen. So ist es nicht verwunderlich, dass Hoffmann sich für Geisteserkrankungen interessierte. Dabei war ihm die Freundschaft mit dem Nervenarzt Adalbert Marcus von großem Nutzen: Bei ihm konnte er sich über Krankheitsbilder informieren und das Verhalten von Betroffenen studieren.

Wirkungsgeschichte

Der Sandmann ist heute eines der bekanntesten Werke E. T. A. Hoffmanns. Von der zeitgenössischen Kritik wurde die Erzählung recht unterschiedlich aufgenommen. Manche Rezensenten sahen in ihr nur das Werk eines Verrückten. Auch Johann Wolfgang von Goethe zeigte sich 1827 besorgt darüber, "dass die krankhaften Werke des leidenden Mannes lange Jahre in Deutschland wirksam gewesen". Nach Hoffmanns Tod geriet sein literarisches Schaffen weitgehend in Vergessenheit. Dies änderte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als Wissenschaft und Kunst begannen, sich verstärkt dem Unbewussten in der menschlichen Seele zuzuwenden. Der französische Komponist Léo Delibes verarbeitete den Stoff von Der Sandmann zu einem Ballett (Coppelia oder Das Mädchen mit den Glasaugen), das 1870 uraufgeführt wurde. Noch bekannter ist die Oper Hoffmanns Erzählungen von 1881, in der Jacques Offenbach verschiedene Motive aus dem Werk Hoffmanns aufgriff, u. a. die Liebesgeschichte zwischen Nathanael und der Puppe Olimpia. Sigmund Freud analysierte 1919 in seiner Studie Das Unheimliche das Verhalten Nathanaels aus psychoanalytischer Sicht und entwickelte an diesem Beispiel eine Beschreibung des Narzissmus. Außerdem ließen sich zahlreiche Maler von der Erzählung inspirieren, so schuf Alfred Kubin 1913 eine Reihe von Illustrationen zum Sandmann. E. T. A. Hoffmann beeinflusste auch Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. So findet sich z. B. die Vermischung von Realität und irrationaler, subjektiver Wahrnehmung in Franz Kafkas Werk wieder. 1984 verlegte Günther Kunert in seiner Erzählung Olympia Zwo die Liebesgeschichte zwischen Mensch und Automatenpuppe ins 20. Jahrhundert.

Über den Autor

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann wird am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren. Die Eltern trennen sich bereits zwei Jahre später; der Junge lebt mit seiner Mutter fortan im Haus der Großmutter. Sein Onkel und Vormund sieht für den künstlerisch begabten Jungen eine Laufbahn als Rechtsanwalt vor. Hoffmann studiert also Jura, wagt nebenbei aber erste literarische Versuche, zeichnet und komponiert. 1798 verlobt er sich mit seiner Kusine, aber offensichtlich ohne große Zuneigung: Nachdem er zwei Jahre später eine Anstellung am Gericht in Posen erhalten hat, das damals wie der gesamte westliche Teil Polens zu Preußen gehört, lebt er bald mit einer Polin zusammen. 1802 heiratet er seine Lebensgefährtin. Kurz darauf wird ihm sein Zeichentalent zum Verhängnis: Er fertigt Karikaturen örtlicher Würdenträger an und fällt dadurch in Ungnade. Hoffmann, der kurz vor seiner Ernennung zum Regierungsrat steht, wird strafversetzt. Als Komponist und Zeichner relativ erfolglos, verfällt er mehr und mehr dem Alkohol. 1804 wird er als Regierungsrat nach Warschau geschickt; zwei Jahre später ziehen Napoleons Truppen in die Stadt ein und schaffen den preußischen Beamtenapparat ab. Hoffmann ist stellungslos und hält sich mit Mühe als Künstler über Wasser. Schließlich erhält er 1808 eine Anstellung am Theater in Bamberg. Endlich hat er auch als Komponist, Musikkritiker und Schriftsteller Erfolg. Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Romane Die Elixiere des Teufels (1815/16) und Lebens-Ansichten des Katers Murr (1819 bis 1821) sowie die Erzählsammlungen Nachtstücke (1816/17) und Die Serapions-Brüder (1819 bis 1821). 1816 tritt er wieder in den Staatsdienst ein, 1819 wird er Mitglied einer Kommission, die staatsfeindliche Umtriebe untersucht. Da Hoffmann die staatliche Unterdrückung liberaler Strömungen als ungerecht empfindet, gibt er das Amt bald auf, kann es aber nicht lassen, seine Erfahrungen aus dieser Zeit in der Erzählung Meister Floh satirisch zu verarbeiten. Prompt wird ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Aber noch vor dessen Abschluss stirbt der von Alkohol und Krankheit gezeichnete Hoffmann am 25. Juni 1822 in Berlin.

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    Y. O. vor 7 Jahren
    Find ich gut
    • Avatar
      vor 6 Jahren
      ja war ein genuss dieses buch zu lesen, erregte meine gedanke und zeigte mir nochmal was eta hoffmann für ein genie ist!
    • Avatar
      vor 6 Jahren
      Bitte drücke dich präziser aus! Ich weiss nicht was du gut fandest. Somit kann ich mir nicht sicher sein ob du die Story verstanden hast, oder du an der wiffen Formulierung gescheitert bist!
      Ich erwarte einen Edit!
      Gruss