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2666

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2666

Fischer Tb,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein verschollener Literat und eine monströse Mordserie an Frauen.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Ein Meilenstein der Gegenwartsliteratur

Als der Roman 2666 etwa ein Jahr nach dem Tod seines Autors erschien, galt er innerhalb der spanischsprachigen Welt sofort als literarische Sensation. 2008 ließen Übersetzungen die Bolañomanie international überschwappen: Das tausendseitige Monument, an dem der todkranke Roberto Bolaño während der letzten Jahre seines Lebens fieberhaft gearbeitet hatte, gilt bereits heute als Meilenstein der Literatur des 21. Jahrhunderts. In fünf nur lose miteinander verbundenen Teilen wechselt Bolaño meisterhaft Stile, Protagonisten und Handlungsorte. Er deckt von der Russischen Revolution über den Zweiten Weltkrieg, Nachkriegsdeutschland und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung bis in die Gegenwart fast alle wichtigen Etappen der Geschichte des 20. Jahrhunderts ab und legt dabei eine diffuse Spur aus Gewalt, Sex und Ängsten, die in einer brutalen Mordserie an Frauen in Mexiko in den 1990er-Jahren – dem Hauptmotiv von 2666 – kulminiert. In diesem Gewirr aus historischen Fakten und fiktionalen Charakteren, journalistischer Nüchternheit und visionärer Verklärtheit findet sich zuletzt eine beunruhigende und teilweise apokalyptische Gegenwartsdiagnose.

Take-aways

  • Roberto Bolaños Hauptwerk 2666 gilt als Meilenstein der zeitgenössischen Literatur.
  • Inhalt: Vier Germanisten suchen den deutschen Schriftsteller Benno von Archimboldi in Santa Teresa, Mexiko. Dort lebt Professor Amalfitano mit seiner Tochter Rosa und wird an einer monströsen Frauenmordserie verrückt, die der Reporter Oscar Fate ergründen will und die Klaus Haas, dem Neffen Archimboldis, angelastet wird.
  • Der Roman besteht aus fünf Teilen, die inhaltlich nur lose verbunden sind.
  • Das über 1000 Seiten lange Buch erschien 2004, ein Jahr nach Bolaños Tod.
  • Bolaño arbeitete die letzten Jahre seines Lebens fieberhaft an dem Werk.
  • Bereits bei der Erstveröffentlichung galt das Buch als wesentlich für die spanischsprachige Literatur.
  • Zur weltweiten Sensation wurde 2666 durch die englische Übersetzung 2008.
  • Die Bedeutung des Titels ist rätselhaft und spielt auf frühere Romane Bolaños an.
  • Um seine Hinterbliebenen finanziell abzusichern, wollte Bolaño die fünf Teile als selbstständige Bände erscheinen lassen. Doch die Nachlassverwalter setzten sich über diesen Wunsch des Autors hinweg.
  • Zitat: „Niemand schenkt den Morden Beachtung, dabei liegt in ihnen das Geheimnis der Welt verborgen.“

Zusammenfassung

Der Teil der Kritiker

Der zeitgenössische deutsche Schriftsteller Benno von Archimboldi ist ein Rätsel: Kaum jemand hat Kontakt zu ihm oder weiß, wo er sich gerade aufhält. Jahrzehntelang war er als Schriftsteller nahezu unbekannt. Doch das ändert sich durch die aufopfernde Arbeit von vier jungen Germanisten, die Archimboldi der Fachwelt sowie der Öffentlichkeit als das vorstellen wollen, was er in ihren Augen ist: der größte lebende Autor der Welt. Jean-Claude Pelletier ist Professor für Literatur in Paris und hat die ersten französischen Ausgaben der Werke Archimboldis herausgegeben. In Italien hat sich Piero Morini, der Lektor für deutsche Literatur an der Universität von Turin, als führender Archimboldi-Experte und -Übersetzer etabliert. Er leidet an multipler Sklerose und sitzt im Rollstuhl. Etwa zeitgleich hat sich Manuel Espinoza in Madrid zum anerkannten Germanisten mit Archimboldi-Schwerpunkt entwickelt. Die vierte im Bunde ist die junge Engländerin Liz Norton. Anders als ihre drei Kollegen ist Liz, als sich die vier 1994 bei einem Literaturkongress in Bremen kennenlernen, noch keine Professorin, aber ebenso glühende Archimboldi-Leserin. Zwischen den vieren entwickelt sich schnell eine enge und intensive Freundschaft.

„Während ihres Spaziergangs durch Sankt Pauli war Pelletier und Espinoza klargeworden, dass die Suche nach Archimboldi ihrer beider Leben niemals würde ausfüllen können. (…) Anders gesagt: Pelletier und Espinoza begriffen in Sankt Pauli (…), dass sie Liebe, nicht Krieg machen wollten.“ (S. 45)

Diese Freundschaft reicht schon bald über das geteilte intellektuelle Interesse hinaus. Zwischen Liz und Pelletier sowie zwischen Liz und Espinoza entwickeln sich Affären. Die beiden Männer überlassen es Liz, sich für einen von ihnen zu entscheiden. Anfang 1997 gerät ihre Dreierbeziehung in eine Krise: Liz zieht sich von beiden zurück und ist offenbar mit einem anderen Mann zusammen. Dann führt eine heiße Spur aus Mexiko die vier wieder zu ihrem Interesse an Archimboldi zurück: Ein Mexikaner behauptet, er habe den hageren, groß gewachsenen Deutschen getroffen, als er gerade nach Santa Teresa in Sonora weiterreisen wollte. Da Archimboldi inzwischen als Nobelpreis-Anwärter gilt, wollen die vier ihn unbedingt finden. Pelletier, Espinoza und Liz fliegen nach Santa Teresa, wo ihnen der Archimboldi-Experte Professor Amalfitano zur Seite steht. Doch alle Spuren verlaufen im Sand. Außerdem reist Liz überraschend ab. Einige Tage später erhalten Pelletier und Espinoza E-Mails von Liz, in denen sie ihnen mitteilt, sie habe nach ihrer Rückkehr aus Mexiko eine tiefe Krise erlebt und sei schließlich nach Turin geflogen, wo sie bei Morini eingezogen sei und ihm ihre Liebe gestanden habe. Pelletier und Espinoza beschließen, ihre Suche aufzugeben. Sie sind dennoch überzeugt, dass Archimboldi gerade in Santa Teresa ist, und dieses Gefühl der Nähe tröstet sie.

Der Teil von Amalfitano

Zwei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter Rosa bricht Lola Amalfitano mit einer alten Freundin zu einem Ausflug auf. Lolas Mann, Oscar Amalfitano, weiß, dass sie nicht zu ihm nach Barcelona zurückkommen wird. Lola will einen ehemaligen Liebhaber besuchen, einen Dichter, der in San Sebastian in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Sie schreibt Oscar Briefe, in denen sie über den Fortgang ihrer Reise berichtet. Den Dichter hat sie einst in der wilden Partyszene in Barcelona kennengelernt. Er galt damals als schwul, aber Lola gelang es, ihn auf einer Party zu verführen – seither ist sie vom Gegenteil überzeugt. Doch sie verlor ihn aus den Augen. Als die zwei Frauen den irren Dichter nun in der Psychiatrie besuchen, legen sie ihm einen kaum minder verrückten Plan vor: Sie wollen ihn aus der Anstalt befreien und mit ihm nach Paris gehen, wo er mit Lola ein Kind zeugen und sein Dichterwerk fortführen soll, während Lolas Freundin das Paar mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, bis dem Dichter der große Durchbruch gelingt. Leider werden sie kein zweites Mal zu ihm vorgelassen, und als ihnen das Geld ausgeht, reist Lolas Freundin nach Madrid, um Nachschub zu besorgen, kommt aber nicht mehr zurück. Lola wird aus ihrer Pension hinausgeworfen und landet, pleite und obdachlos, auf einem Friedhof, wo sie für die nächste Zeit ihr Lager einrichtet.

„,Warum habe ich erst so spät gemerkt, dass du mich liebst?‘, sagte ich später zu ihm. ‚Warum habe ich erst so spät gemerkt, dass ich dich liebe?‘ ‚Das ist meine Schuld‘, sagte Morini im Dunkeln, ‚ich bin so ungeschickt.‘“ (Norton und Morini, S. 214)

Anfangs geht sie noch jeden Tag zur Psychiatrie, um zu versuchen, zum Dichter gelassen zu werden. Unterdessen lernt sie Larrazábal kennen, dessen seltsame Vorliebe für Sex auf Friedhöfen sie befriedigt – anfangs bloß für Geld, später stellt er ihr sogar seine Wohnung zur Verfügung. Als Lola nach Lourdes weiterzieht, hört Oscar fünf Jahre lang nichts mehr von ihr. Dann meldet sie sich aus Paris: Lola hat nun einen Sohn und arbeitet nachts als Putzkraft. Zwei Jahre später kehrt sie unangekündigt nach Barcelona zurück und besucht Oscar. Mittlerweile lehrt er Philosophie an der Freien Universität Barcelona. Lola hat Aids und wird bald sterben, weshalb sie ein letztes Mal Rosa sehen will. Nach nur fünf Tagen trampt sie zurück nach Frankreich. Oscar gibt ihr all sein Geld mit auf die Reise. Weshalb er die Einladung annimmt, in Santa Teresa in Mexiko eine Professur zu übernehmen, bleibt sogar ihm selbst völlig unverständlich. Die Wüstenhitze und die unaufgeklärten Frauenmorde in der Region setzen seiner Psyche zu, er trinkt. Vor allem nachts hört Amalfitano Stimmen in seinem Kopf und er bereut, seine Tochter Rosa an diesen Ort gebracht zu haben. Eines Nachts stellt sich eine Stimme in seinem Kopf als sein Vater vor. Sie drängt ihn, ruhig zu bleiben und zuzuhören. Während er die ganze Nacht schweißgebadet der Stimme zuhört, beginnt er, seine Angst vor dem Wahnsinn zu verlieren, und hält von nun an wieder engagierte Seminare an der Universität – auch wenn seine Studenten kaum mehr verstehen, wovon er spricht.

Der Teil von Fate

Der afroamerikanische Reporter Quincey Williams, der sich selbst Oscar Fate nennt, steht kurz vor seinem Abflug nach Detroit, um dort einen Artikel zu recherchieren, als ihn die Nachricht vom Tod seiner Mutter erreicht. Eilig organisiert er ihre Bestattung, bevor er, völlig verstört, nach Detroit fliegt, um dort Barry Seaman, einen Mitbegründer der Black-Panther-Bewegung, zu treffen. Nach seiner militanten Zeit, die in einer langen Gefängnisstrafe endete, hat dieser sich mit einem Kochbuch einen Namen gemacht und tingelt nun als Redner durch die Vorstädte Detroits. Fate hört eine von Seamans bildreichen Reden in einer Kirche, bevor ihn die Redaktion seiner Zeitung, der Schwarzen Morgenröte, nach Santa Teresa weiterschickt, wo der amerikanische Schwergewichtsboxer Count Pickett gegen den Mexikaner Merolino Fernandez kämpfen soll. Fate soll über den Kampf berichten, weil sein Kollege aus der Sportabteilung vor Kurzem in einem Eifersuchtsdrama erschossen wurde. Er fliegt nach Tucson, überquert die Grenze mit dem Auto und quartiert sich in einem schäbigen Hotel am Stadtrand von Santa Teresa ein. Nach der Pressekonferenz von Pickett, die sich mehr um die jüngste Serie ungeklärter Frauenmorde als um den Boxkampf selbst dreht, beschließt Fate, über die rund 200 angeblich von einem Einzeltäter ermordeten Frauen und Mädchen zu schreiben. Die Redaktion in New York blockt Fates Vorschlag jedoch entschieden ab: Da kein „Bruder“ in dieser Story involviert sei, habe sie in der Schwarzen Morgenröte keinen Platz.

„Und dann fragte er im Flüsterton (…), ob Ruhe in diesem Fall das Gegenteil von Wahnsinn bedeute. Und die Stimme sagte: Nein, durchaus nicht, wenn du Angst haben solltest, verrückt zu werden, kannst du beruhigt sein, du wirst nicht verrückt, du hältst nur ein unverbindliches Schwätzchen.“ (über Amalfitano, S. 280)

Fate trifft Guadalupe Roncal, eine Journalistin, die den Hauptverdächtigen der Frauenmorde im Gefängnis interviewen soll und aus Angst Fate bittet, sie zu begleiten. Obwohl er Mexiko insgeheim gleich nach dem Boxkampf verlassen will, sagt Fate zu. Der Kampf endet bereits in der zweiten Runde mit einem klaren Sieg für Pickett. In der Arena beginnt Fate, sich für eine der Begleiterinnen eines mexikanischen Kollegen zu interessieren: Rosa Amalfitano. Als die Gruppe nach einer durchfeierten Nacht in einem Privathaus strandet, wird Rosa von zwei Männern bedrängt, worauf Fate seine Waffe zieht und mit ihr in sein Motel flieht. Er erfährt, dass die Polizei ihn sucht, und geht daraufhin mit Rosa zu Amalfitano. Dieser gibt seiner Tochter einen Stapel Geldscheine und bittet Fate, sie in die Staaten mitzunehmen und sie dann in einen Flieger nach Barcelona zu setzen. Nachdem sie Guadalupe zum Interview mit dem Mordverdächtigen, einem blonden Riesen, ins Gefängnis begleitet haben, überqueren Fate und Rosa die Grenze in die USA.

Der Teil von den Verbrechen

Im Januar 1993 beginnt in Santa Teresa eine mysteriöse Serie von Morden an Frauen und Mädchen. Neben einigen Prostituierten und Durchreisenden sind es hauptsächlich Arbeiterinnen, die auf ihrem Weg von oder zu ihrer Arbeit entführt, vergewaltigt und ermordet werden. Viele von ihnen sind schwanger, die meisten werden schwer verstümmelt. Für einige werden eifersüchtige Geliebte oder Ehemänner als Täter ermittelt, der Großteil der Fälle wird aber aus Mangel an Ansatzpunkten bald geschlossen. Kommissar Juan de Dios Martínez wird zunächst auf die Morde angesetzt, dann aber für einen anderen Fall eingeteilt, der die Öffentlichkeit mehr beschäftigt: dem eines wohl verrückten Kirchenschänders, der Reliquien zerstört und Kirchenpersonal ermordet. Auf der Suche nach dem „Büßer“, wie er bald genannt wird, lernt der Kommissar die Leiterin der lokalen Irrenanstalt, Elvira Campos, kennen und beginnt eine Affäre mit ihr. Unterdessen setzen sich die Frauenmorde mit kurzen Unterbrechungen fort. Meist werden die Opfer auf Brachen oder in der Wüste entdeckt. Hinweise bleiben rar, denn kaum jemand scheint die Ermordeten zu vermissen. Einzelne Reporter, Polizisten oder persönliche Bekannte von Mordopfern beginnen, auf eigene Faust nachzuforschen. Einer von ihnen gerät auf die Spur von Klaus Haas, einem deutschstämmigen US-Bürger, der zwei Elektronikfachgeschäfte in Santa Teresa betreibt.

„‚Wie viele unserer verfickten Brüder sind in die Sache verwickelt?‘, sagte der Ressortchef. (…) ‚Kein einziger Bruder, aber mehr als zweihundert ermordete Mexikanerinnen, du Idiot‘, sagte Fate.“ (S. 393)

Die Polizei nimmt diese Spuren auf und inhaftiert Haas als Hauptverdächtigen. Im Gefängnis verschafft sich der verrückt wirkende Hüne schnell Freunde und Respekt. Er schafft es sogar, Pressekonferenzen abzuhalten, bei denen er der Öffentlichkeit verkündet, unschuldig zu sein und den wahren Täter ermitteln zu wollen. Die Mordserie setzt sich fort, viele der Leichen sind nicht mehr identifizierbar, die meisten sowohl vaginal als auch anal vergewaltigt worden. Anfang 1997 stellt ein anonymer Zeitungsartikel die These in den Raum, Haas würde aus dem Gefängnis heraus die Bison-Gang dafür bezahlen, weiter zu morden. Dankbar nimmt der Oberbürgermeister der Stadt diese Vermutung auf und verkündet im Fernsehen, die Mordserie sei zu Ende und aufgeklärt. Tatsächlich versiegen die Leichenfunde – allerdings nur bis März. Als weitere Frauenleichen gefunden werden, beginnen Journalisten, die offizielle Version der Polizei zu hinterfragen. Ein Netzwerk von hochrangigen Politikern, Drogenhändlern und Millionären rückt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Klaus Haas selbst erklärt bei einer Pressekonferenz, ein gewisser Antonio Uribe und dessen Vetter Daniel seien mit einer Reihe von Millionärssöhnen und Polizisten für die Morde verantwortlich. Einige recherchierende Journalisten werden ermordet und die Polizei scheint kein Interesse an der konsequenten Verfolgung dieser Hinweise zu haben.

Der Teil von Archimboldi

Hans Richter wird 1920 als Sohn eines einbeinigen Kriegsinvaliden und einer einäugigen Mutter in Preußen geboren. Er ist ein übergroßes Kind und schon früh vom Tauchen und vom Meeresgrund fasziniert, später entdeckt er auch die Literatur für sich. Er bricht die Schule ab und geht nach Berlin, wo er bei Kriegsausbruch 1939 für das 310. Infanterieregiment rekrutiert wird. Sein Regiment kämpft in Polen, Nordfrankreich und in den Karpaten. Hans irritiert seine Vorgesetzten dadurch, dass er äußerst unbeteiligt an den Kämpfen teilnimmt. Während der Invasion in Russland wird er auf der Krim-Halbinsel verwundet und entdeckt während seiner Kur hinter den Frontlinien die versteckten Aufzeichnungen des russischen Juden Boris Ansky.

„Niemand schenkt den Morden Beachtung, dabei liegt in ihnen das Geheimnis der Welt verborgen. Hatte Guadalupe Roncal das gesagt oder Rosa? (…) Der mutmaßliche Mörder hatte das gesagt, dachte Fate.“ (S. 464)

Dieser Soldat der Roten Armee berichtet hauptsächlich über seinen Freund, den Science-Fiction-Autor Ephraim Iwanow, mit dem er die Begeisterung für die Revolution teilt. Iwanow, ein Bolschewik der ersten Stunde, wird zunächst als Vorzeigeautor der Russischen Revolution gefeiert, fällt aber 1937 den Scheinprozessen der Partei zum Opfer: Er wird ausgeschlossen, inhaftiert und exekutiert. Anskys Aufzeichnungen werden von diesem Zeitpunkt an chaotisch. Er schreibt viel über den Maler Archimboldo, flieht aus Moskau und will sich beim Ausbruch des Krieges den Partisanen anschließen.

„Im Oktober fand man die nächste Tote auf der neuen städtischen Mülldeponie (…). Dem Gerichtsmediziner zufolge war die Tote zwischen fünfzehn und siebzehn Jahre alt (…). Man hatte sie anal und vaginal vergewaltigt und anschließend erwürgt.“ (S. 559)

Hans Richter liest diese Aufzeichnungen immer wieder, lässt sie aber zurück, als seine Einheit den Rückzug antritt. Sein Regiment löst sich auf. Im Mai 1945 wird Richter von der US-Armee auf deutschem Gebiet aufgegriffen und in ein Gefangenenlager gesteckt. Dort gesteht ihm ein Mitgefangener Kriegsverbrechen an Juden. Dieser wird später erwürgt aufgefunden; Richter flieht aus dem Lager. Er geht in das zerbombte Köln und trifft Ingeborg Bauer, die er während eines Heimaturlaubs kennengelernt hat. Sie beziehen eine armselige Wohnung und Hans beginnt, seinen ersten Roman zu schreiben. Als er das Manuskript verschickt, ändert er seinen Namen in Benno von Archimboldi. Den hält der Verleger Jacob Bubis zwar schlicht für lächerlich, dafür gefällt ihm der Roman umso mehr. Der Hamburger Verleger ist der einzige, der Archimboldis Bücher herausbringen will. Er veröffentlicht sämtliche Romane des Autors, obwohl sie sich alle kaum verkaufen. Als Ingeborg an Tuberkulose erkrankt und stirbt, beginnt das Reiseleben Archimboldis. Währenddessen hält er nur zu Frau Bubis Kontakt.

„Als Chef war er fair und anständig und bezahlte nicht schlecht, allerdings geriet er manchmal aus nichtigen Gründen in Wut und konnte dann ohne Weiteres jedem eine Ohrfeige verpassen, egal um wen es sich handelte.“ (über Klaus Haas, S. 630)

Über Vermittlung von Frau Bubis wird Archimboldi von seiner Schwester Lotte Richter aufgespürt. Deren Sohn Klaus ist als Jugendlicher in die USA ausgewandert und dort untergetaucht. 1995 erfährt sie, dass er im Gefängnis von Santa Teresa sitzt. Auf einer ihrer Besuchsreisen zu Klaus entdeckt Lotte zufällig die Bücher von Archimboldi und erkennt in diesem Autor ihren Bruder Hans wieder. Die beiden treffen sich. Lotte trägt ihrem Bruder auf, sich um Klaus zu kümmern, woraufhin Benno von Archimboldi nach Mexiko aufbricht.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman 2666 ist ein umfangreiches und vielschichtiges Buch. Auf über 1000 Seiten deckt es eine lange Reihe geografischer Orte (Argentinien, England, Mexiko, Preußen, Rumänien, Russland usw.) und Charaktere ab. Außerdem thematisiert es zahlreiche Etappen der Geschichte des 20. Jahrhunderts: von der Russischen Revolution über die Nazizeit in Deutschland und den Zweiten Weltkrieg bis zur US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre und der zeitgenössischen globalisierten Forschungsgemeinschaft. 2666 besteht aus fünf Teilen, die aufgrund ihrer thematischen und stilistischen Unterschiede als weitgehend unabhängig voneinander gelten. Verbunden sind sie relativ lose durch einige wiederkehrende Protagonisten und Motive. Der erste Teil widmet sich, durchaus satirisch, der europäischen Wissenschaftsgemeinschaft, während der zweite Teil als „philosophischer Thriller“ beschrieben wurde und der dritte Teil die Tradition des Reiseromans aufruft. Der vierte und längste Teil weist Ähnlichkeit mit dem klassischen Detektivroman auf, während der letzte Teil eine Mischung aus Künstlerroman und historischer Fiktion darstellt. Die beiden Hauptstränge des Buches bilden einerseits die Frauenmorde von Santa Teresa, die in allen Teilen angesprochen, aber vor allem im vierten und längsten Teil mit einer erschütternden, minutiösen Auflistung forensischer Leichenbefunde behandelt werden, sowie andererseits die Figur des Benno von Archimboldi, der den ersten und letzten Teil dominiert und in dessen Neffen, dem Hauptangeklagten von Santa Teresa, beide Stränge auf komplexe Weise verbunden sind.

Interpretationsansätze

  • Die Bedeutung des Romantitels 2666 gibt der Forschung Rätsel auf. Die Zahl 2666, die allgemein als Jahreszahl gedeutet wird, taucht im Buch selbst nicht auf. Sie findet sich allerdings in Amuleto, einem früheren Roman Bolaños, in dem es die Jahreszahl einer rätselhaften Friedhofsvision ist.
  • Die mexikanische Grenzstadt Santa Maria hat einen realen Bezug. Sie ist die nur schwach fiktionalisierte Romanversion der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez, in der sich tatsächlich in den 1990er-Jahren eine ungeklärte Mordserie an über 400 Frauen ereignet hat.
  • Die zentrale Stellung der Frauenmorde von Santa Teresa kann als gesellschaftskritische Zeitdiagnose gelesen werden. Der Industrieort und die brutalen Morde an Arbeiterinnen werden als Symptome bestimmter Entwicklungen des globalisierten Kapitalismus in der Spätmoderne interpretiert.
  • Vor dem Hintergrund der realistischen Traditionen der lateinamerikanischen Literatur gilt 2666 als Entwurf einer neuen Form des Realismus. Er wendet sich gegen den magischen Realismus oder kitschig-verklärte Ethnoromane und setzt dagegen auf einen journalistisch-realistischen Zugang, der dennoch von Träumen und Visionen bevölkert wird.
  • 2666 gilt als Bruch im Gesamtwerk von Roberto Bolaño. Während die Darstellung böser Machenschaften und menschlicher Abgründe viele Bücher Bolaños prägen, fehlt in 2666 erstmals der rational-aufklärende Held, der das chaotische Böse zu bannen und zu beseitigen vermag.
  • Auffällig ist die zentrale Rolle von Deutschland im Roman. Im ersten Teil kreisen vier europäische Gelehrte um einen deutschen Schriftsteller, dessen Lebensgeschichte in Teil fünf mit der brutalen Geschichte des 20. Jahrhunderts zusammenfällt und dessen Neffe als Mordverdächtiger inhaftiert wird.

Historischer Hintergrund

Mexiko in den 1990er-Jahren

Am 1. Januar 1994 trat das North American Free Trade Agreement (NAFTA) in Kraft. Damit öffnete sich Mexiko einem gemeinsamen Markt mit den USA und Kanada. Den wirtschaftlichen Aufschwung, den eine Reihe von Deregulierungen und Privatisierungen brachten, spürte vor allem das mexikanische Grenzgebiet zu den USA: Großindustrie siedelte sich an und zog wiederum massenhaft Billiglohnarbeiter aus ganz Mexiko an. Doch auch der Drogen- und Waffenschmuggel expandierte rasant. Als Hotspot der gesellschaftspolitischen Probleme dieser Entwicklungen galt Ciudad Juarez im Bundesstaat Chihuahua, wo ab 1993 mehr als 400 Frauen und Mädchen aus der Unterschicht ermordet wurden und wo die Gewalt von Polizei wie Mafia enorm zunahm. Im Fall der Frauenmorde deckten Journalisten wie Sergio Gonzalez Rodriguez auf, dass ein Netzwerk aus Mafia, Polizei und Lokalrichtern die Aufklärung der Verbrechen massiv behinderte. Mexiko stieg zu einem der weltweit gefährlichsten Länder für Journalisten auf. 1994 wurde der Präsidentschaftskandidat Luis Colosio ermordet und zapatistische Rebellen begannen ihren bewaffneten Widerstand. Die Peso-Krise im selben Jahr gilt als erste Finanzkrise des 21. Jahrhunderts. Sie musste durch internationale Bail-outs in der Höhe von rund 50 Milliarden Dollar gelöst werden und führte zu Massenarbeitslosigkeit, Hyperinflation und Protesten in der Bevölkerung.

Entstehung

Das Verfassen von 2666 hat die letzten fünf Jahre von Bolaños Leben, bis zu seinem Tod 2003, eingenommen. Die Konzeption des Mammutprojekts reicht allerdings bis in die Mitte der 1990er-Jahre zurück. In zahlreichen Notizen und Skizzen – einmal sprach er von um die 800 000 Seiten – hat Bolaño seinen Roman vorbereitet. Die Ausarbeitung dieses Materials stand schließlich unter dem Zeichen einer zunehmend schweren Hepatitis, die den Abschluss von 2666 letztlich zu einem Wettrennen mit dem Tod werden ließ.

Die Gründe für Bolaños Krankheit sind, wie viele Aspekte seiner Biografie, bis heute von Mythen umrankt. Ein verbreitetes Gerücht, wonach eine langjährige Heroinabhängigkeit der Grund für Bolaños Leberschaden gewesen sei, wurde von seiner Witwe als falsch zurückgewiesen. Während er auf ein Spenderorgan für eine Lebertransplantation wartete, komponierte Bolaño den von Anfang an groß angelegten letzten Wurf seiner literarischen Laufbahn. Er beriet sich dabei hauptsächlich mit seinem Freund Jorge Herralde, dem Gründer des Verlags Anagrama. Über die unaufgeklärten Frauenmorde in Ciudad Juarez informierte er sich akribisch im persönlichen Kontakt mit Sergio Gonzalez Rodriguez, dem wichtigsten Investigativjournalisten zu den Vorfällen. Wiederholt veränderten die Entdeckungen des Journalisten die Romanstruktur, etwa als klar wurde, dass kein Einzeltäter für die Mordserie verantwortlich war.

Die letzten Monate seines Lebens wurde Bolaño zunehmend skeptischer, ob er sein Großprojekt würde abschließen können. Vielleicht war das ein Grund, weshalb er wenige Tage vor seinem Tod Herralde anwies, 2666 nicht in einem Stück zu veröffentlichen. Stattdessen sollte jeder der fünf Teile als eigenständiges Buch, jeweils im Abstand von einem Jahr, erscheinen – auch um Bolaños Familie finanziell bestmöglich abzusichern. Nach Durchsicht aller Notizen und Entwürfe und in Absprache mit Herralde entschloss sich jedoch Bolaños Nachlassverwalter Ignacio Echevarría dazu, 2666 doch in einem einzigen Band herauszugeben. Das veröffentlichte Werk gilt als endgültige und autorisierte Fassung.

Wirkungsgeschichte

2666 wurde etwas mehr als ein Jahr nach Bolaños Tod im Oktober 2004 veröffentlicht und überschwänglich aufgenommen. Bereits 2005 erhielt der Roman den Altazor-Preis in Chile. Doch vor allem die ihrerseits preisgekrönte und hochgelobte Übersetzung ins Englische eröffnete 2008 die internationale Erfolgsgeschichte des Romans und seines Autors: 2666 wurde unter anderem von der New York Times unter die zehn besten Bücher des Jahres gewählt, erhielt den Best-Fiction-Preis des Time-Magazins und den US-amerikanischen National Book Critics Circle Award. Oprah Winfrey, Stephen King und zahlreiche Kritiker lobten Bolaños Vermächtnis als grandioses Meisterwerk – insbesondere die thematische Spannweite und atmosphärische Intensität des Romans beeindruckte und überzeugte. 2009 erschien die deutsche Übersetzung des Romans, die in den USA ausgerufene „Bolañomanie“ erreichte den deutschsprachigen Raum.

Es gab verschiedene Adaptionen fürs Theater, unter anderem in Barcelona, Berlin, Chicago und Avignon. 2018 widmete der Kritiker Jonathan Russell Clark mit An Oasis of Horror in a Desert of Boredom ein ganzes Buch der ausgedehnten Analyse von 2666. Heute gilt Roberto Bolaños Hauptwerk nicht nur als bedeutendster spanischsprachiger Roman der jüngsten Vergangenheit, sondern bereits als innovativer und inspirierender Meilenstein für die Literatur des 21. Jahrhunderts.

Über den Autor

Roberto Bolaño wird am 28. April 1953 in Santiago de Chile geboren. Die Familie zieht bald darauf an die Küste Chiles und 1968 nach Mexico City. Roberto bricht die Schule ab und arbeitet als Journalist. Er findet Zugang zum linken Aktivismus und kehrt 1973 kurzzeitig nach Chile zurück, um Salvador Allende zu unterstützen, der im selben Jahr durch einen Putsch gestürzt wird. Bolaño landet kurzzeitig im Gefängnis und entkommt mithilfe von Freunden ins Ausland. Als freischaffender Literat und scharfer Kritiker der lateinamerikanischen Literaturgrößen macht er sich einen Namen. 1975 ist er einer der Mitbegründer der avantgardistischen Bewegung des Infrarealismus. 1977 zieht er nach Spanien, wo er sich in Blanes an der Costa Brava niederlässt und mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Er heiratet, aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor. 1992 wird die Ehe geschieden. Bolaño sieht sich hauptsächlich als Lyriker, erst spät beginnt er, Prosa zu schreiben. Sein Durchbruch gelingt ihm 1998 mit Die wilden Detektive (Los detectives salvajes). Seine Gedichte werden in der 1994 erschienenen Anthologie Die romantischen Hunde (Los perros románticos) versammelt. Während sich seine Gesundheit aufgrund einer Hepatitis ab 1995 rapide verschlechtert, beginnt seine literarische Reputation in der spanischsprachigen Welt rasant zu steigen. Fieberhaft arbeitet er an seinem Hauptwerk, dem Roman 2666, während er auf eine dringend nötige Lebertransplantation wartet. Am 15. Juli 2003 stirbt er in Barcelona an den Folgen seiner Hepatitis. Der im Folgejahr veröffentlichte Roman 2666 wird international als literarische Sensation gefeiert und Bolaño steigt zu einem der wichtigsten Autoren der lateinamerikanischen Literatur auf.

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