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Der fremde Freund/Drachenblut
Buch

Der fremde Freund/Drachenblut

Berlin/Weimar, 1982
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 2002 Mehr

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Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Versteckte Verzweiflung

Der fremde Freund war 1982 Christoph Heins literarischer Durchbruch; inzwischen gilt die Novelle als Klassiker. Verstörend nüchtern berichtet die Ostberliner Ärztin Claudia über ihr Dasein als alleinstehende Frau und die undefinierte Beziehung zu ihrem Nachbarn Henry. Mit demonstrativer Kühle und Distanz zeichnet sie die Ereignisse nach und weigert sich – vor sich selbst genauso wie im Gespräch mit anderen Figuren –, Gefühle auszusprechen und zuzulassen. Indem sie sich gegen die Katastrophen des Lebens panzert und sich menschlicher Nähe verschließt, versucht sie, Schmerz zu vermeiden. Die einzige verwundbare Stelle in ihrem Panzer sind ihre Gefühle für Henry. Als er stirbt, kapselt Claudia sich völlig ab: In ihr Bad aus Drachenblut soll kein Lindenblatt mehr fallen. Dass das nicht funktioniert, ist offensichtlich, auch wenn es nur zwischen den Zeilen deutlich wird. Die Spannung des Textes und die große Kunst Christoph Heins bestehen darin, gerade durch die distanzierte Perspektive eine Nähe zu vermitteln: den stummen, verzweifelten Schrei.

Zusammenfassung

Henrys Beerdigung

Die Ostberliner Ärztin Claudia steht morgens vor ihrem Kleiderschrank. Sie fragt sich, was sie am Nachmittag zur Beerdigung ihres Freundes Henry anziehen soll – und ob sie überhaupt hingehen will. In der Klinik ärgert sie sich über Schwester Karla, die sich wie jeden Morgen mit einem Hinweis auf ihre Kinder verspätet. Karla geht ganz in ihrer Mutterrolle auf und wird nicht müde, das der kinderlosen Claudia gegenüber zu betonen. Schließlich zwingt sie Claudia sozusagen, zur Beerdigung zu gehen, indem sie ihren dunklen Mantel entdeckt – eindeutig ein Kleidungsstück für ein Begräbnis. Bevor sich Claudia auf den Weg macht, trinkt sie Kaffee mit Anne, die alle zwei Wochen von ihrem Mann vergewaltigt wird. Dann fährt sie los, immer noch unschlüssig, ob sie wirklich zur Trauerfeier will. Dieses Ritual scheint ihr im Grunde irrational, ein Rückschritt in eine ewigkeitsgläubige Zeit. Schließlich steht sie doch auf dem Friedhof. Vor der Kapelle warten zwei Gruppen auf verschiedene Beerdigungen. Sie weiß nicht, welche die ihre ist, und ihr wird klar, dass sie keine Angehörigen von Henry kennt. Erst der Küster, der sie fragt, ob sie...

Über den Autor

Christoph Hein wird am 8. April 1944 in Heinzendorf (Schlesien) geboren. Er wächst in Bad Düben bei Leipzig als Sohn eines Pfarrers auf. Als solcher bleibt ihm die Oberschule in der DDR verwehrt, und er besucht bis zum Mauerbau ein Gymnasium in Westberlin. 1961 muss er es ohne Abschluss verlassen. Sein Geld verdient er u. a. als Montagearbeiter, Schauspieler, Buchhändler und Kellner. 1964 holt er sein Abitur an der Abendschule nach. Von 1967 bis 1971 studiert er in Berlin und Leipzig Philosophie. Anschließend wird er Dramaturg, später Autor der Ostberliner Volksbühne. In seinen Theaterstücken beschäftigt er sich mit revolutionären Umbrüchen; seine Komödie Die Ritter der Tafelrunde ist 1989/90 das meistgespielte Stück. Ab 1979 lebt Hein als freier Schriftsteller; nicht selten hat er Schwierigkeiten mit der Zensur in der DDR. 1980 debütiert er als Prosaautor mit ersten Erzählungen, 1982 feiert er mit Der fremde Freund einen durchschlagenden Erfolg. Unter dem Titel Drachenblut macht ihn diese Novelle auch in Westdeutschland und international bekannt. In den Romanen Horns Ende (1985) und Der Tangospieler (1989) stehen die Krisen der Helden dann in weitaus direkterem Zusammenhang mit dem politischen System der DDR. Stark autobiografisch gefärbt ist sein Roman Von allem Anfang an (1997), in dem er von der Kindheit eines Pfarrerssohns in einer ostdeutschen Kleinstadt erzählt. Willenbrock (2000) wiederum handelt von einem ostdeutschen Wendegewinner, den eine Serie von Raubüberfällen nachhaltig verunsichert. 1998 wird Christoph Hein der erste Präsident des wiedervereinigten Schriftstellerverbands P.E.N. Seine Ehefrau, die Filmregisseurin Christiane Hein, stirbt 2002. Bis 2006 ist Hein Mitherausgeber der Wochenzeitung Freitag. Er hat zwei Söhne und lebt in Berlin.


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