- Kurzprosa
- Moderne
Worum es geht
Ein Tag im Leben eines Poeten
Der Spaziergang ist äußerlich ein kleines Werk, nicht einmal 100 Seiten lang, und handelt lediglich von der Schlenderei durch einen einzigen Tag. Und es ist zugleich ein großes Werk, denn es enthält gewissermaßen das Konzentrat von Robert Walsers zahllosen kleinen Prosastücken, die wiederum den Kern seiner Schriftstellerei ausmachen. Zudem bietet Der Spaziergang einen Panoramaschwenk über Walsers spätromantische Lebensauffassung und schafft in einer einzigartigen Mischung verschiedener Jargons und Stile ein schillerndes Sprachkunststück. Inhaltlich passiert nicht viel: Ein armer Poet spaziert einen Tag lang durch das Städtchen, in dem er lebt, und durch dessen Umgebung. Er beobachtet im Vorübergehen und fühlt aus tiefstem Herzen. Er erregt sich über die Unsitten der modernen Zeit und beschwört die Seligkeit der Natur. Er hält kleine, geschraubte Ansprachen und horcht melancholisch in sich hinein. Der heitere Grundton kontrastiert dabei mehrfach mit einem traurigen Befund: Der lustwandelnde Dichter führt offenbar ein bejammernswertes Leben. So war es jedenfalls bei Robert Walser selbst: Der Autor konnte die eigene poetische Heiterkeit immer weniger mit seiner kargen Existenz versöhnen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in einer Heilanstalt, ohne zu schreiben. Von diesem traurigen Hintergrund abgesehen, ist Walsers Spaziergang ein wahrer Glücksfall für heutige Leser.
Zusammenfassung
Über den Autor
Robert Walser wird am 15. April 1878 in Biel im Kanton Bern geboren. Hier absolviert er nach der Schulzeit eine Banklehre. In den Jahren 1896-1905 lebt er überwiegend in Zürich, arbeitet dort als Angestellter in Banken und Versicherungen, als Buchhändler und technischer Gehilfe eines Ingenieurs, aber auch - nach einer entsprechenden Ausbildung in Berlin - in Oberschlesien als Diener. Erste Gedichte verschaffen ihm Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines Debüts, Fritz Kochers Aufsätze (1904), folgt Walser 1906 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner arbeitet und ihn in die Künstlerszene einführt. Walser verfasst in rascher Folge die Romane Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909). Trotz Anerkennung durch Künstlerkollegen bleibt der Erfolg beim Publikum aus; Walser kehrt Berlin wieder den Rücken. Überzeugt davon, literarisch gescheitert zu sein, reist er 1913 in seine Heimatstadt Biel zurück. Im Hotel "Blaues Kreuz" mietet er eine Mansarde, wo er unter ärmlichsten Bedingungen lebt und schreibt. Hier entstehen eine Sammlung von Kurzprosatexten und die Erzählung Der Spaziergang (1917). Trotz der Präsenz in literarischen Zeitschriften kommt es nur noch zu einer Buchveröffentlichung: Die Rose (1925). Den so genannten Räuber-Roman von 1925 hinterlässt er nur als Entwurf, in mikroskopisch kleiner Schrift (Mikrogramm). Die Entzifferung soll mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Wegen psychischer Labilität lässt sich Walser 1929 in die psychiatrische Klinik Waldau bei Bern einweisen. Bis 1933 schreibt er weiter, danach muss er aufgeben und wird gegen seinen Willen in die Heilanstalt Herisau im Kanton Appenzell überstellt. Dort vegetiert er weitere 23 Jahre dahin, unerkannt und unbeachtet. Auf einem einsamen Spaziergang im Schnee verstirbt Walser am 25. Dezember 1956.
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