Navigation überspringen
Erkenntnis und Interesse
Buch

Erkenntnis und Interesse

Frankfurt am Main, 1968
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 1973 Mehr

Buch oder Hörbuch kaufen

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Theoretisch auf dem Weg zur Praxis

Odo Marquard bezeichnete die Geschichte der Philosophie als Geschichte eines allmählichen Kompetenzverlusts: Zuletzt sei die Philosophie nur noch kompetent für das „Eingeständnis der eigenen Inkompetenz“. Wenn dem so ist, haben wir mit Erkenntnis und Interesse gleichsam die letzte Stellung der Philosophie in einem langen Rückzugsgefecht vor uns. Habermas geht dieses Rückzugsgefecht bemerkenswert offensiv an: Die Philosophie müsse eine Sonderrolle spielen, fordert er, nämlich quasi die eines Aufsichtsrats des unaufhaltsam expandierenden Unternehmens Wissenschaft; leugnenden Stimmen zum Trotz besitze sie doch eine Spezialkompetenz: die Fähigkeit, das emanzipatorische Interesse der Menschheit an Erkenntnis zu durchschauen. Eine um diese Einsicht bereicherte kritische Philosophie gelte es zu erschaffen. Nur sie könne den Schleier herrschaftslegitimierender Illusion zerreißen, die zweckrationalistische Verarmung des modernen Erkenntnisbegriffs rückgängig machen und so der Gesellschaft wieder auf den Weg zum Erwachsenwerden zurückhelfen. Ein ehrgeiziges Programm, das mit großem Ernst verfolgt wird. Wie dieses Programm umzusetzen ist, bleibt offen: Das Werk erschöpft sich in minutiösen philosophischen Analysen seiner Notwendigkeit.

Zusammenfassung

Aufstieg und Fall der Erkenntnistheorie

Mit dem Siegeszug der Naturwissenschaften stellte sich für die neuzeitliche Philosophie zunehmend die Frage nach den grundlegenden Bedingungen menschlicher Erkenntnis. Dabei blieb der Vorrang des erkenntniskritischen Denkens vor den eigentlichen Wissenschaften zunächst gewahrt. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts nahm die Erkenntnistheorie die untergeordnete Rolle einer Methodologie der Naturwissenschaften an, indem naturwissenschaftliche Erkenntnis mit Erkenntnis schlechthin gleichgesetzt wurde. Diese Entwicklung beginnt bereits mit Kant, der in seiner Vernunftkritik dem Vorbild der rationalen und effektiven Vorgehensweise exakter Wissenschaften folgt. Allerdings nimmt er Erkenntnis noch im vollen Umfang des Begriffs ernst. Anders als Hegel, in dessen sich zum absoluten Geist emporschraubender Dialektik Erkenntnis nur noch ein Durchgangsmoment darstellt.

In Hegels Philosophie ist überhaupt alles nur ein Durchgangsmoment der dialektischen Aufwärtsbewegung, auch die verschiedenen Wissenschaften; schließlich tritt diese Philosophie selbst mit dem Anspruch auf, Wissenschaft schlechthin zu sein. Die...

Über den Autor

Jürgen Habermas wird am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren und wächst in Gummersbach in einem konservativ-bürgerlichen Umfeld auf. Als Jugendlicher erlebt er den Zweiten Weltkrieg und das Ende des Nationalsozialismus mit. Aus dieser Erfahrung heraus entwickelt er früh ein Interesse am Marxismus, beschäftigt sich aber auch mit jüdischer und christlicher Mystik. Von 1949 bis 1954 studiert Habermas Philosophie, Geschichte, Psychologie, Literatur und Ökonomie in Göttingen, Zürich und Bonn. Nach der Promotion arbeitet er zunächst freiberuflich als Journalist und schreibt u. a. für die FAZ, ehe er 1956 an der Universität Frankfurt Assistent von Theodor W. Adorno wird. Als es jedoch mit Institutsleiter Max Horkheimer zu Differenzen kommt, habilitiert sich Habermas nicht in Frankfurt, sondern 1961 an der Universität Marburg mit der Schrift Strukturwandel der Öffentlichkeit. Zeitgleich tritt er eine Professur in Heidelberg an. Ab 1965 lehrt er in Frankfurt – als Nachfolger von Horkheimer. 1968 erscheint sein einflussreiches Werk Erkenntnis und Interesse. Die Studentenbewegung findet zunächst Habermas’ Unterstützung. Mit der Zeit jedoch wandelt sich seine Einstellung, er kritisiert die Studentenführer als zu dogmatisch und realitätsfern. 1971 verlässt Habermas Frankfurt und wird Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg, zusammen mit Carl Friedrich von Weizsäcker. Immer wieder meldet sich Habermas öffentlich zu Wort. So auch 1977, als die RAF Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer tötet und die Philosophie der Frankfurter Schule als geistiger Wegbereiter des Terrorismus kritisiert wird. 1981 wird Habermas’ Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns veröffentlicht. 1983 kehrt er an die Universität Frankfurt zurück und lehrt dort bis zu seiner Emeritierung 1994.


Kommentar abgeben