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Kein Ort. Nirgends
Buch

Kein Ort. Nirgends

Berlin, Weimar, Darmstadt, 1979
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 2007 Mehr

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Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Postmoderne

Worum es geht

Seelenstriptease auf hohem Niveau

Was in der Realität nie stattgefunden hat, passiert in dieser Erzählung: Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode treffen im Rahmen einer Tischgesellschaft aufeinander. Beide erkennen einander im Lauf des Nachmittags als Seelenverwandte, ohne dass diese Erkenntnis zu einem Happy End führt. Mit der Wahl dieses historisch-fiktionalen Stoffs bearbeitet Christa Wolf, in Distanz zur eigenen Gegenwart, ein zeitloses Problem: Der Einzelne möchte am großen Ganzen teilnehmen und es mitgestalten, er scheitert aber an sich selbst und an den anderen. Besonders eindrucksvoll ist der Text dadurch, dass Wolf ein authentisches Bild der seelisch angespannten Lage Heinrich von Kleists und Karoline von Günderrodes entstehen lässt. Da beide Personen im echten Leben Selbstmord begingen – kurz nach dem Zeitpunkt ihres fiktiven Aufeinandertreffens 1804 –, gewinnt die kammerspielartige Handlung zusätzlich an Spannung. Die Erzählung zeichnet sich durch einen dichten, manchmal auch etwas gestelzten Schreibstil aus. Christa Wolf ist damit ein eindringliches Stück Literatur gelungen.

Zusammenfassung

Treffen in Winkel am Rhein

Heinrich von Kleist wohnt auf einem größeren Anwesen einer Tischgesellschaft bei. Nach dem Eintreffen schlendert er umher und mustert die Gäste. Eine Erkrankung beschäftigt ihn, immer wieder ruft er sich die mahnenden Worte seines Arztes Doktor Wedekind in Erinnerung. Kleist fürchtet, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen, ist es doch offensichtlich nicht gut um seinen nervlichen Zustand bestellt. Nervös geht er umher. Dabei denkt er unentwegt an den Ratschlag seines Arztes, seine Reisen quer durch Europa aus gesundheitlichen Gründen einzustellen. Ganz in Gedanken versunken bemerkt Kleist zufällig eine ihm noch nicht bekannte Dame, die am Fenster steht: Es ist Karoline von Günderrode. Auch sie ist im Geist ganz woanders, sie hegt nämlich Selbstmordgedanken. Kleist beobachtet die Günderrode eine Weile. In ihrer unnahbaren Art ist sie ihm nicht geheuer. Sie unterscheidet sich von den anderen Damen der Gesellschaft, etwa von Bettine Brentano, der Schwester des Dichters Clemens Brentano. Alle suchen sie das Gespräch – Karoline von Günderrode nicht. Und wenn sie...

Über den Autor

Christa Wolf wird am 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe geboren. Nach der Vertreibung 1945 lässt sich ihre Familie in Mecklenburg-Vorpommern nieder. Wolf arbeitet zunächst als Schreibkraft und macht 1949 ihr Abitur. Im selben Jahr tritt sie der SED (Sozialistische Einheitspartei) bei. Während des Germanistikstudiums lernt sie ihren späteren Mann, den Schriftsteller Gerhard Wolf, kennen. Nach dem Studium arbeitet Christa Wolf zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Deutschen Schriftstellerverband, dann als Verlagslektorin und als Redakteurin einer Literaturzeitschrift. Ab 1962 ist sie freie Schriftstellerin. Ein Jahr darauf erscheint der Roman Der geteilte Himmel, eine Auseinandersetzung mit dem Mauerbau und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen in beiden Teilen Deutschlands. Christa Wolf gilt als Vorzeigeintellektuelle der jungen DDR, doch schon bald gerät sie wegen ihres subjektiven Stils und der Behandlung kontroverser Themen in Konflikt mit dem Machtapparat. Ihr zweiter Roman Nachdenken über Christa T. (1968) erscheint zunächst nur in kleiner Auflage. 1976 unterstützt die Autorin den Protest gegen die Zwangsausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Bei aller Kritik bleibt sie der Idee des Sozialismus dennoch treu. Als sogenannte „loyale Dissidentin“ darf sie reisen, hält Vorträge im Ausland und wird zunehmend als gesamtdeutsche Schriftstellerin anerkannt. 1980 erhält sie den renommierten westdeutschen Georg-Büchner-Preis. 1983 erscheint ihre Erfolgserzählung Kassandra. Nach dem Fall der Mauer setzt Wolf sich für den „dritten Weg“ einer reformierten DDR und gegen die Wiedervereinigung ein. 1993 gibt sie zu, zwischen 1959 und 1962 als IM (inoffizielle Mitarbeiterin) für die Stasi gearbeitet zu haben, weist aber auch darauf hin, dass sie ab 1969 permanent von der Spitzelbehörde überwacht wurde. In den 90er-Jahren diffamieren westliche Kritiker die einst gefeierte Schriftstellerin als „Staatsdichterin der DDR“. Sie stirbt am 1. Dezember 2011 in Berlin.


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