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Der Untertan

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Der Untertan

Fischer Tb,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein satirischer Epochenroman über die Abgründe eines typisch wilhelminischen Charakters – unterhaltsam und furchterregend zugleich.


Literatur­klassiker

  • Satire
  • Moderne

Worum es geht

Das furchtbare Rädchen im Getriebe

Mit Der Untertan ist Heinrich Mann zweierlei gelungen: ein satirischer Rundumschlag gegen das Deutsche Reich unter Wilhelm II. und eine detaillierte Studie über einen ganz bestimmten Charakter. Manns Antiheld Diederich Heßling verehrt die Macht aufgrund eigener Schwäche. Demütig unterwirft er sich, gnadenlos unterwirft er andere, noch Schwächere. Damit ist er für den vom Kaiser gelenkten Obrigkeitsstaat das ideale Rädchen im Getriebe. Mit pointierter Schärfe schildert Mann Nationalismus und Militarismus, Scheinheiligkeit und Geldgier und zeigt den Untertan Heßling als furchtbares Allroundtalent inmitten einer moralisch verkommenen Gesellschaft. 1918 als Buch veröffentlicht, wurde der Roman zum bitter-komischen Abgesang auf eine untergegangene Epoche und entfaltete zugleich sein prophetisches Potenzial: Auf Weltkrieg und Nationalsozialismus schien Der Untertan bereits vorauszublicken. Kein Wunder, dass die Nazis das Buch verbrannten. Die deutsche Mentalität hat sich inzwischen mit Sicherheit gewandelt, aber Manns Meisterwerk besticht weiterhin durch seine Mischung aus analytischer Kraft und erzählerischem Witz.

Take-aways

  • Der Untertan ist das satirische Porträt eines autoritären Charakters.
  • Inhalt: Diederich Heßling wird durch williges Ducken vor der Macht, durch großsprecherischen Opportunismus und eiserne Kaisertreue zum angesehenen Bürger und Fabrikanten. Militärs und Adligen gegenüber kuscht er, die eigene Familie und seine Angestellten unterdrückt er. Er erhält mehrere Orden und wird als vorbildlicher Untertan zum Repräsentanten seiner Zeit.
  • Mit satirischem Schwung schildert Heinrich Mann die Mentalität und die Machtverhältnisse des wilhelminischen Deutschland.
  • Heßling lebt nach dem Motto „treten und getreten werden“.
  • Als psychologische Studie weist der Roman weit über seine Zeit hinaus: Menschen vom Typ Heßling gibt es immer und überall.
  • Der Kaiser hat selbst einen Auftritt in der Geschichte, bleibt aber letztlich eine Leerstelle: ein Götze, dessen Phrasen vom Untertan gedankenlos nachgeplappert werden.
  • Aufgrund des Ersten Weltkriegs wurde der Vorabdruck des Romans abgebrochen. Das Buch erschien erst mit vierjähriger Verspätung.
  • Viele Kritiker bemängelten die Bissigkeit und Einseitigkeit des Werks. Seine literarischen Qualitäten wurden neben der politischen Brisanz zunächst kaum wahrgenommen.
  • Im Nachhinein erstaunt die prophetische Kraft des Romans: Der Erste Weltkrieg scheint bereits angedeutet zu sein, und in Heßling schimmert der Charakter der Nazimittäter durch.
  • Zitat: „Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben!“

Zusammenfassung

Ein schwaches Kind

Als sensibles, furchtsames Kind wächst Diederich Heßling in der deutschen Provinzstadt Netzig auf. Er genießt die träumerischen Stunden mit der Mutter, die ebenso zartbesaitet ist wie er, verachtet diese aber zugleich für ihre Schwäche. Wegen kleiner Betrügereien und Lügen bezieht Diederich regelmäßig Prügel von seinem Vater, der im Ort eine kleine Papierfabrik besitzt. Der Schläge zum Trotz bewundert er die väterliche Autorität. In der Schule hat der Junge oft unter den anderen zu leiden, aber er genießt das Aufgehen in der gnadenlosen Machtmaschine, als die ihm das Gymnasium erscheint. Anerkennung erfährt er nur ausnahmsweise: z. B. bei der Demütigung eines jüdischen Mitschülers. Als der Vater ihn zum Chemiestudium nach Berlin schickt, übersteht Diederich die erste Zeit nur verängstigt und heimwehkrank. Mit einem Empfehlungsbrief seines Vaters und furchtbarer Scheu besucht er schließlich dessen Berliner Geschäftspartner Herrn Göppel. Beim Sonntagsessen lernt er die Tochter des Hauses, Agnes, kennen, der er schüchtern und unbeholfen gegenübertritt. Nach mehrmaligem Wiedersehen verhält sich Diederich zwar weiterhin tölpelhaft, hat aber auch einige Gefälligkeiten gelernt und dafür etwas Sympathie geerntet. Fast verliebt er sich – doch bevor es ernst wird, reist er während der Semesterferien zurück in die Heimat.

Der junge Kaiser

Kurz nach der Rückkehr in die Reichshauptstadt wird Diederich von seinem ehemaligen Netziger Schulkameraden Gottfried Hornung zu einem Gruppenabend der schlagenden Studentenverbindung Neuteutonia mitgenommen. Bei Gesang und Trank in strammer Männerrunde fühlt sich Diederich wohl. Durch die Kameraden gewinnt er an Selbstdisziplin und Mut. Auf der Wange trägt er bald stolz die ersten Schmisse. Trotzdem fällt die kämpferische Fassade stets in sich zusammen, wenn Diederich auf einen kräftigeren oder ranghöheren Gegenspieler trifft.

„Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.“ (S. 9)

In den nächsten Semesterferien stirbt der Vater. Diederich ist zu dessen Nachfolger als Fabrikdirektor und Familienoberhaupt bestimmt, muss aber zunächst sein Studium beenden. Außerdem möchte er der patriotischen Form genügen und wenigstens ein Jahr lang dienen. In der Armee begeistert ihn die militärische Zucht – es sei denn, er spürt sie am eigenen Leib. So sehr ihm Kommandostruktur und Ehrenkodex prinzipiell zusagen, so wenig erträgt er die „Schinderei“. Durch etwas Schauspielerei und persönliche Kontakte gelingt ihm bald die Ausmusterung. Im Winter 1892 wird er Zeuge der so genannten Februarkrawalle: Arbeitslose versammeln sich vor dem kaiserlichen Schloss. Die Stimmung eskaliert. Dann reitet der junge Kaiser Wilhelm II. aus – und scheint allein mit seiner Präsenz den Protest aufzulösen. Diederich ist euphorisiert und steht sogar für einen Augenblick dem Kaiser allein gegenüber. Sein markiger „Hoch!“-Ruf misslingt; stattdessen fällt er in eine Pfütze. Der Kaiser lacht nur und reitet weiter.

Erste Liebe mit unmoralischem Ende

Als Diederich sich aus der Pfütze erhebt, sieht er Agnes Göppel auf einer Parkbank sitzen. Mit einem Mal bricht alle früher verheimlichte Sehnsucht hervor. In Diederichs kleiner Wohnung gibt Agnes sich ihm hin. Ihm wird warm ums Herz; das erste Liebesglück lässt sein bisheriges Leben plötzlich unnütz erscheinen. Wenig später fängt er sich aber wieder und beschließt, den Tricks der Weiber nicht auf den Leim zu gehen. Trotzdem beginnt er freudig und verliebt ein Verhältnis mit Agnes, das auch Schwüre ewiger Treue beinhaltet. Doch schon bald schmeckt die Idylle schal. Diederich beginnt Agnes aus dem Weg zu gehen. Kurz nach dem letzten Examen – er ist jetzt Doktor der Chemie – bekommt er Besuch von Agnes’ Vater. Der bittet ihn, seine Tochter zu heiraten, doch Diederich lehnt ab: Ein Mädchen, das nicht als Jungfrau in die Ehe komme, könne er aus moralischen Gründen nicht als Gattin akzeptieren. Allein vergießt er ein paar Tränen über das zerstörte Glück. Dann aber freut er sich doch über die eigene Unerbittlichkeit. Kurz vor dem Aufbruch in die Heimat lässt er sich die Schnurrbartspitzen himmelwärts richten. So trägt sie auch der Kaiser.

Jetzt wird durchgegriffen

Zurück in Netzig übernimmt Diederich das familiäre Regiment: Im Haus haben von nun an sowohl die Mutter als auch die beiden jüngeren Schwestern Magda und Emmi auf ihn zu hören. In der Fabrik macht er sich die Arbeiter und den alten Buchhalter Sötbier untertan. Von Anfang an schlägt er dabei einen selbstherrlichen und strengen Ton an. Sodann besucht er die Honoratioren der Stadt, als Erstes den alten Buck, seit Langem die graue Eminenz im Ort und ein Denkmal demokratischen Bürgersinns. Diederich wagt nicht, Bucks liberalen Ansichten zu widersprechen, obwohl sie ihm als Kaisertreuem zuwider sind. Auf Anhieb besser versteht er sich mit dem scharfmacherischen Assessor Jadassohn von der Staatsanwaltschaft.

„Denn Diederich war so beschaffen, dass die Zugehörigkeit zu einem unpersönlichen Ganzen, zu diesem unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus, der das Gymnasium war, ihn beglückte, dass die Macht, die kalte Macht, an der er selbst, wenn auch nur leidend, teilhatte, sein Stolz war.“ (S. 13)

Vor dem Regierungsgebäude fällt ein Schuss. Ein Wachtposten hat sich von einem Arbeiter provoziert gefühlt und ihn einfach niedergeschossen. Am Tatort kommt es zu Meinungsverschiedenheiten: Diederich und Jadassohn begrüßen die entschiedene Reaktion, der liberale Fabrikbesitzer Lauer dagegen kritisiert die Tat. Im nahen Ratskeller treffen die streitenden Parteien erneut aufeinander. Diederich provoziert Lauer zu einer verkappten Majestätsbeleidigung und kündigt ihm deshalb eine Anzeige an; Jadassohn stellt sich umgehend als Staatsanwalt für den Prozess zur Verfügung. Am Ende eines alkoholreichen Abends schiebt Diederich dem Lokalzeitungsredakteur Nothgroschen ein falsches, von ihm selbst verfasstes Telegramm zu, in dem angeblich der Kaiser die vorherige Erschießung ausdrücklich lobt.

Der Untertan kommt obenauf

Am nächsten Morgen bedauert der verkaterte Diederich bereits, Lauer gedroht zu haben. Jadassohn allerdings besteht auf einer Anklage, und so wird der Prozess unvermeidlich. Diederich trägt der Streit zunächst nur Ärger ein; sogar die Gesinnungsfreunde rücken plötzlich von ihm ab. Er gilt als Nestbeschmutzer, der schamlos gegen einen guten Mitbürger hetzt. Auch mit der Papierfabrik geht es bergab. Aufträge bleiben aus, Personal wird entlassen und eine gerade neu gekaufte Maschine kann nicht mehr bezahlt werden. Diederich einigt sich mit dem Prokuristen Kienast, dem Vertreter der Maschinenfabrik: Die Maschine wird zurückgenommen, und Kienast bekommt Diederichs Schwester Magda samt Mitgift.

„Diederich fühlte wohl, dass alles hier, die Behandlung, die geläufigen Ausdrücke, die ganze militärische Tätigkeit vor allem darauf hinzielte, die persönliche Würde auf ein Mindestmaß herabzusetzen. Und das imponierte ihm.“ (S. 49)

Der Prozesstag rückt näher. Wolfgang Buck, der grüblerische Sohn des alten Buck, hat als Anwalt die Verteidigung Lauers übernommen. Diederich will von der Majestätsbeleidigung zuerst kaum noch etwas wissen und rudert zurück. Doch später wird er erneut aufgerufen. Nun geht er, der Stimmung im Saal folgend, wieder aggressiv gegen den Angeklagten vor, stilisiert sich selbst zum Wächter über Sitte und Ordnung und erntet dafür spontan viel Sympathie. Aber das Plädoyer von Wolfgang Buck, der Diederichs hetzerischen und duckmäuserischen Untertanengeist anprangert, droht das Blatt zu wenden – bis Buck es wagt, Lauers gute Gesinnung sogar über die des Kaisers zu stellen. Damit überspannt er den Bogen. Sein Mandant wird zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, Diederichs Ruf ist wiederhergestellt.

Geschacher an vielen Fronten

Umgehend versucht Diederich, sein gestiegenes Renommee beim Flirt mit Guste Daimchen einzusetzen, einem properen Mädel mit erheblicher Erbschaft – das aber dummerweise an ihrem Verlobten Wolfgang Buck hängt. Guste stoppt Diederichs Annäherungsversuche nur halbherzig, was ihn für die Zukunft nicht weiter abschreckt. Auf dem Harmonieball macht das Gerücht die Runde, Guste und Wolfgang seien in Wahrheit Halbgeschwister. Diederich hat es wider alle Wahrscheinlichkeit in Umlauf gebracht.

„Zwei Schritte von ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen (...). Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft.“ (S. 63)

Im Geheimen paktiert Diederich mit seinem Maschinenmeister Napoleon Fischer, einem Sozialdemokraten: Obwohl sich die beiden politisch spinnefeind sind, unterstützen sie sich gegenseitig bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung. So erringen beide ein Mandat. Gleichzeitig sucht Diederich Kontakt zum adligen Regierungspräsidenten Wulckow. Als seine Schwestern Emmi und Magda eine Einladung zum Tee bei dessen Frau erhalten, begleitet er sie in der Hoffnung auf eine Audienz. Wulckow empfängt ihn tatsächlich und lobt seine nationale Gesinnung, behandelt ihn aber zugleich mit einer Herablassung, die Diederich heftig schwanken lässt zwischen offener Unterwürfigkeit und heimlicher Kränkung und Wut.

„,Sie wissen wohl nicht, wen die Geschichte als den repräsentativen Typ dieser Zeit nennen wird?‘ ,Den Kaiser!‘ sagte Diederich. ,Nein‘, sagte Buck. ,Den Schauspieler.‘“ (S. 206)

Wolfgang Buck verlässt Netzig, um ans Theater zu wechseln. Diederich beerbt ihn zügig als Bräutigam von Guste. Bei den Mitgiftverhandlungen verlangt er die alleinige Verfügungsgewalt über Gustes Vermögen. Der Hochzeitstag wird von einer Erpressung überschattet: Wulckow verlangt durch seinen Mittelsmann Karnauke einen Teil von Diederichs Grundbesitz zu einem Spottpreis. Dafür ist er bereit, dessen Lieblingsprojekt, ein Kaiserdenkmal in Netzig, zu unterstützen. Diederich verkauft mit zusammengebissenen Zähnen. Sein Ärger wird allerdings besänftigt, als Karnauke ihm auf der Hochzeitsfeier einen Orden für besondere Kaisertreue verleiht.

Mit dem Kaiser in Rom

Die Hochzeitsreise geht nach Zürich. Doch als Diederich nach dem ersten Urlaubstag erfährt, dass der Kaiser gerade zu einem Staatsbesuch nach Rom aufgebrochen ist, lässt er sofort packen und nimmt mit Guste einen Nachtzug nach Italien. In Rom folgt er dem Kaiser auf eigene Faust: Bei jeder Station des offiziellen Besuchsprogramms jubelt er dem geliebten Herrscher lautstark zu. Einmal, während der Wartezeit, stellt er sogar eine verdächtige Person, die sich in der Nähe des Kaisers aufhält, und lässt sich dafür von Polizei und Presse als Vereitler eines Attentats feiern. Zum Ende des zweiten Besuchstags wird bekannt, dass der Kaiser die Auflösung des Berliner Reichstags verfügt hat, nachdem dieser seiner Forderung nach mehr Militär entgegengetreten war. Die Hochzeitsreise wird abgebrochen: Diederich fühlt, dass er in der Heimat dringend gebraucht wird, um dem Herrscher eine Stütze zu sein.

„Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben!“ (Diederichs Gedanken, S. 331)

Zurück in Netzig, überredet er den altgedienten Major Kunze mit allerlei Versprechungen, als Kandidat einer neuen „Partei des Kaisers“ gegen die Vertreter der bisher siegreichen Freisinnigen Partei anzutreten. Zu Hause ist Emmi dem Selbstmord nahe: Ihr Geliebter, ein adliger Offizier, hat sie mit Heiratsaussichten hingehalten und am Ende verlassen. Diederich fürchtet um die familiäre Ehre. Er stellt den Offizier zur Rede, doch wird er dabei nur gedemütigt und muss an sein eigenes Verhalten im Fall Agnes Göppel zurückdenken.

„Eisern stand er vor ihr, ordenbehangen, eisern und blitzend. ,Bevor wir zur Sache selbst schreiten‘, sagte er abgehackt, ,gedenken wir Seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers. Denn die Sache hat den höheren Zweck, dass wir Seiner Majestät Ehre machen und tüchtig Soldaten liefern.‘“ (Diederich zu seiner Frau in der Hochzeitsnacht, S. 361)

Bei der Wahl des örtlichen Reichstagsabgeordneten gräbt die Kaiserpartei den Freisinnigen zwar Stimmen ab, Sieger ist aber der Sozialdemokrat Fischer. Er profitiert von der Schlammschlacht der bürgerlichen Parteien. Der alte Buck, zu Unrecht angeschwärzt, verklagt die Zeitung Volksstimme wegen übler Nachrede. Diederich gelingt es unterdessen, wiederum mithilfe der Gerüchteküche, die Aktien des bedeutenden Konkurrenzunternehmens Gausenfeld abstürzen zu lassen. Über Mittelsmänner kauft er dieses auf, wird zum Großaktionär und kurz darauf zum Direktor von Gausenfeld. Als beim Prozess gegen die Volksstimme der aufrechte alte Buck und der Taktierer Diederich aufeinandertreffen, kann man im Publikum einen Umschwung beobachten. Buck wird plötzlich nur noch als abgewirtschafteter Alter angesehen, während Diederichs Schneid immer mehr Bewunderer findet.

Ein Denkmal mit Wolkenbruch

Guste gebiert ihrem Gatten drei Kinder in drei Jahren. Familien- und Firmenleben werden vom Oberhaupt Diederich mit strenger Hand geführt. Nur gelegentlich, für eine lustvolle Nacht masochistischer Unterwerfung, gibt der Herrscher die Macht an Guste ab. Abends sitzt er nun oft am Stammtisch, und einmal pro Woche besucht er die Edelhure der Stadt, die Pfarrerstochter Käthchen Zillich. Schließlich kommt es zur lang erwarteten Enthüllung des zäh erkämpften Kaiserdenkmals. Diederich und Guste werden zwar von Adel und Militär in die zweite Reihe verwiesen, doch Diederich darf immerhin die Festrede halten. In ausschweifenden Worten lässt er den Kaiser, das Vaterland und die Reinheit des deutschen Wesens hochleben. Als die feierliche Enthüllung ans Ende kommt und ein neuer Orden an Diederichs Brust geheftet werden soll, geht ein infernalischer Wolkenbruch nieder, der die gesamte Festgemeinschaft in die Flucht treibt. Triefnass tritt auch Diederich ab. Auf dem Weg nach Hause macht er Halt vor dem Haus des alten Buck, der offenbar im Sterben liegt. Tatsächlich sieht er ihn im Bett, umringt von der Familie. Als Bucks irrender Blick Diederich trifft, schreckt der Alte ein letztes Mal auf – dann stirbt er. „Er hat den Teufel gesehen!“, ruft eine Frau.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Untertan ist ein weitgehend realistisch erzählter und chronologisch entwickelter Roman. Heinrich Mann greift das Modell des deutschen Entwicklungsromans auf, der im 18. und 19. Jahrhundert in exemplarischen Geschichten das Heranreifen individueller Charaktere ausbreitete. Im Vergleich zum bewährten Muster handelt Der Untertan allerdings weniger von der Charakterbildung als vielmehr vom Charakterverlust: Statt zum Individuum wird Diederich Heßling zum Typus. Zwar schildert Mann auch die Gefühle und Gedanken seiner Hauptfigur, doch dienen diese Beschreibungen eher der psychologischen Profilierung des Untertanentypus, weniger der Unterfütterung von Diederichs Persönlichkeit. Ohne den realistischen Erzählton grundsätzlich zu verlassen, werden bestimmte Szenen und Beschreibungen satirisch zugespitzt. Außerdem beweist Mann großes dramaturgisches Geschick: Nicht nur einzelne Sätze, auch kluge Kreuzungen verschiedener Handlungslinien sorgen für gelungene Pointen. Das macht den Roman bei aller bitteren Zeitkritik auch zu einem unterhaltsamen und komischen Werk.

Interpretationsansätze

  • Der Untertan schildert das Werden und Wesen eines beispielhaften autoritären Charakters. Diederich Heßling ist schwach und betet deshalb das Starke an. Er sieht sich nur dann als Person bestätigt und bestärkt, wenn er sich als Teil eines großen Machtgefüges empfindet – der Obrigkeit gegenüber gehorsam, im Umgang mit den Untergebenen gnadenlos, nach dem Motto „treten und getreten werden“. Der perfekte Untertan garantiert das reibungslose Funktionieren eines autoritären Regimes nicht, weil er kuscht, sondern weil er darin aufblüht.
  • Der Kaiser bleibt ein leeres Idol. Seine „unvergleichliche Persönlichkeit“ wird häufig beschworen, ist aber nie fassbar. Brisant ist die Tatsache, dass Diederichs markig-substanzlose Reden z. T. aus Bruchstücken realer Kaiserreden montiert wurden.
  • Neben der Analyse des Untertanencharakters entwirft Mann auch ein breites Panorama der wilhelminischen Gesellschaft, in dem vom Kaiser bis zur Hure sämtliche Schichten repräsentiert sind. Kein Stand kommt ungeschoren davon, alle sind in Geldgier und Scheinheiligkeit miteinander verbunden. Selbst der Sozialdemokrat Fischer gehorcht eher den Interessen der Machtpolitik als jenen seiner Wähler.
  • Eine einzige positive Gegenfigur gestattet sich Mann: den alten Buck, der unbeirrt an den demokratisch-humanistischen Idealen der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848 festhält. Seine Werte gelten im autoritären Untertanenstaat immer weniger, deshalb muss er – stellvertretend für die von ihm vertretene Weltanschauung – sterben, als Diederichs Typus zum gültigen Erfolgsmodell wird.
  • Das Buch ist mehr als nur ein Zeitroman. Zwar bietet es das Spiegelbild einer Epoche, einen „Anatomie-Atlas des Reichs“ (Kurt Tucholsky). In seiner sozialpsychologischen Analyse geht es aber weit über die Kaiserzeit hinaus. Deutliche Spuren des Untertanengeistes ließen sich auch nach zwei Weltkriegen noch in beiderlei Deutschland finden – und nicht nur dort.
  • Geradezu prophetisch liest sich Der Untertan in Hinsicht auf den bevorstehenden Weltkrieg und den Nationalsozialismus. Während die fast apokalyptische Gewitterszene am Ende des Buches einer unmittelbaren Untergangsmetapher gleichkommt, sind in Diederichs Charakter schon die fanatischen Anhänger des Führers erkennbar.

Historischer Hintergrund

Der Wilhelminismus

Mit der Inthronisierung des 29-jährigen Wilhelm II. begann 1888 eine neue Ära im deutschen Kaiserreich. Der amtierende Reichskanzler Otto von Bismarck, der lange die Politik dominiert hatte, wurde vom Kaiser 1890 zum Rücktritt gedrängt. Der neue Monarch mischte sich weit mehr in die Staatsgeschäfte ein, als es sein Vorgänger getan hatte. Während die Bevölkerungszahl gewaltig anstieg und die Industrialisierung für ein erhebliches Wirtschaftswachstum sorgte, schürte der Kaiser den aufblühenden Nationalismus. Er sorgte für eine Aufrüstung des Militärs, um die imperialistischen Sehnsüchte des erstarkenden Reiches durchzusetzen. Auch persönlich pflegte Wilhelm II. eine große Vorliebe für militärischen Prunk und Paraden. Der Militarismus griff schrittweise aufs bürgerliche Leben über: Die Wehrdienstzeit wurde als „Schule der Nation“ angesehen. Soldatische Tugenden wie Gehorsam und Disziplin standen hoch im Kurs. Das Offizierskorps galt vielen als „erster Stand im Staate“. Offiziere trugen gern auch im zivilen Leben Uniform, um ihr gesellschaftliches Ansehen zu unterstreichen.

Das Militär selbst war traditionell kaisertreu und antiparlamentarisch geprägt, da der Adel innerhalb der Streitkräfte nach wie vor großen Einfluss hatte. Zugleich gewann die Arbeiterschaft im Land an Selbstbewusstsein und politischem Gewicht – auch wenn Sozialisten und Sozialdemokraten offiziell lange als „vaterlandslose Gesellen“ galten. Das konservative Lager versuchte, alle „staatserhaltenden“ Kräfte gegen die Sozialdemokratie zu bündeln. Dafür war der Kaiser die geeignete Symbolfigur. Militarismus und nationale Überheblichkeit erlebten schließlich mit Beginn des Ersten Weltkriegs einen Höhepunkt – bis die Niederlage 1918 den Patriotismus vorerst erstickte und der Kaiser ins Exil musste.

Entstehung

Heinrich Mann begann im Sommer 1906 mit den Vorarbeiten zum Untertan. Zwei zufällige Beobachtungen hatten ihn zu dem Buch inspiriert: zum einen die „herausfordernden Manieren“ und die „geheime Feigheit“ einer Kaffeehausgesellschaft in Berlin; diese stürzte ans Fenster, als der Kaiser vorüberritt, während gleichzeitig ein Arbeiter des Lokals verwiesen wurde. Zum anderen der Anblick eines nackten Mannes, in dem der Autor unmittelbar den Untertanentypus erkannte. Während der Vorarbeiten trugen die Notizen den Untertitel „Der Deutsche“; einem Freund gegenüber sagte Mann, die Hauptfigur solle „der durchschnittliche Neudeutsche“ sein.

Ab 1911 erschienen einzelne Kapitel als Vorabdruck in verschiedenen Zeitschriften. 1913 vereinbarte das Münchner Wochenmagazin Zeit im Bild mit Mann einen Abdruck als Fortsetzungsroman. Der Chefredakteur behielt sich nur die eventuelle Streichung von Stellen allzu erotischer Natur vor. Das Manuskript trug nun den Untertitel „Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.“. Am 1. Januar 1914 begann der Abdruck in Zeit und Bild und führte sofort zu heftigen Leserreaktionen. Mann entschärfte daraufhin einige Passagen der folgenden Abschnitte – einen Prozess wegen Majestätsbeleidigung wollte er nicht riskieren. Mitte August 1914, im Anschluss an die deutsche Mobilmachung für den Ersten Weltkrieg, wurde der Romanabdruck vom Verleger gestoppt. Erst nach Kriegsende konnte das Werk erscheinen.

Wirkungsgeschichte

Als Der Untertan schließlich als Buch auf den Markt kam, wurden binnen sechs Wochen mehr als 100 000 Exemplare abgesetzt – ein Sensationserfolg. Von Anfang an nahmen Publikum und Kritik den Roman nicht nur als literarisches, sondern auch als politisches Werk wahr. Konservative Rezensenten bemängelten die parteiliche Satire und sprachen dem Buch seinen Kunstcharakter ab. Aber auch ein Freund des Autors, Arthur Schnitzler, beklagte in seinem Tagebuch „allzu viel Hass und Einseitigkeit“, und Heinrichs berühmter Bruder Thomas Mann urteilte, ebenfalls in seinem Tagebuch: „Platt geschrieben. Hat nichts (...) mit Dichtung zu tun.“ Kurt Tucholsky jedoch lobte den Untertan enthusiastisch als „Herbarium des deutschen Mannes“ mit seiner „Erfolgsanbeterei“ und seiner „namenlosen Zivilfeigheit“.

Der Untertan gehörte zu den Büchern, die von den Nationalsozialisten im Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz verbrannt werden. Die erste deutsche Nachkriegsausgabe erschien in Ostberlin. Heinrich Mann schrieb dazu an Ludwig Marcuse: „Wann immer die Deutschen einen Krieg verlieren, drucken sie meinen Untertan.“ Aus naheliegenden Gründen galt der Roman in der DDR deutlich mehr als die Werke von Thomas Mann, die im Westen bevorzugt wurden. Daher erstaunt es nicht, dass die Verfilmung des Buches im Jahr 1951 durch Wolfgang Staudte eine DDR-Produktion war. 1969 maß Heinrich Böll den Roman noch einmal an den aktuellen Verhältnissen im Westen und schrieb: „Fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen erkenne ich immer noch das Zwangsmodell einer untertänigen Gesellschaft.“ Heute gilt Der Untertan als Heinrich Manns bedeutendstes Werk und als großer deutscher Epochenroman.

Über den Autor

Heinrich Mann wird am 27. März 1871 als Sohn einer wohlhabenden Lübecker Kaufmannsfamilie geboren. Früh verfasst er erste Novellen und Gedichte und entwickelt ein gesellschaftskritisches Denken. Das Gymnasium verlässt er vorzeitig, und auch die Buchhändlerlehre, die er in Dresden aufnimmt, schließt er nicht ab. Er tritt beim S. Fischer Verlag ein Volontariat an, gibt es aber auf, um als freier Schriftsteller zu arbeiten. Zwischen 1893 und 1914 hält er sich abwechselnd in Italien, München und Berlin auf. Er schreibt in dieser Zeit Romane, Novellen, Theaterstücke und Essays. Der literarische Durchbruch gelingt ihm mit Professor Unrat (1905). 1914 heiratet er die Schauspielerin Maria Kanova. Heinrich und sein berühmter, eher konservativ eingestellter Bruder Thomas Mann geraten in einen öffentlichen politischen Meinungsstreit, der zu einem mehrere Jahre dauernden Bruch zwischen den Brüdern führt. 1918 erscheint der satirische Roman Der Untertan und wird ein großer Erfolg. Da Manns Romane das Deutsche Reich – und insbesondere die Untertanenmentalität der Deutschen – offen kritisieren, muss er 1933 vor den Nationalsozialisten nach Frankreich und schließlich in die USA flüchten. Im Exil erscheinen 1935 und 1938 die historische Romane Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre, in denen Mann ein Gegenbild zur zeitgenössischen Realität entwirft. 1944 begeht seine zweite Frau Nelly Kröger Selbstmord. Heinrich Manns Memoiren Ein Zeitalter wird besichtigt erscheinen 1945. Fünf Jahre später wird er zum Präsidenten der Ostberliner Akademie der Künste berufen. Vor Antritt der Reise jedoch stirbt Heinrich Mann am 12. März 1950 in Kalifornien. Seine Urne wird 1961 nach Ostberlin überführt.

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