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Fluss ohne Ufer

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Fluss ohne Ufer

Hoffmann und Campe,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Widerspenstig, wortgewaltig und voller Abgründe – das Mammutwerk eines literarischen Außenseiters.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Deutsche Exilliteratur

Worum es geht

Ein undurchdringliches Meisterwerk

Fluss ohne Ufer ist ein vielschichtiger Roman, so polyphon wie die Werke des Komponisten Gustav Anias Horn, der Hauptfigur. Liebe und Lust, Verbrechen und Strafe, Mitleid mit Menschen und Tieren – viele Motive ziehen sich durch das dickleibige Werk, dessen Berühmtheit sich vor allem den homoerotischen Szenen und den drastischen Gewaltdarstellungen verdankt. Jahnns Mammutwerk ist eine Expedition in die Tiefen der menschlichen Psyche. Mal kapituliert Jahnn vor der unzureichenden Ausdruckskraft der Sprache, dann wieder findet er ganz neue Ausdrucksformen. Von Künstlern geliebt, von der Kritik verrissen und von der Wissenschaft vernachlässigt, hat sich der Romanzyklus auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung eine geheimnisvolle Aura bewahrt. Der Leser muss sich das Werk Stück für Stück selbst erarbeiten, ohne dabei kanonisierte Interpretationen zur Hand zu haben. Diese aktive Mitarbeit des Lesers wäre ganz in Jahnns Sinn gewesen, der absichtlich Leerstellen unerklärt und viele Fragen offen ließ. Fluss ohne Ufer ist ein persönliches Leseabenteuer, das herausfordert und lange über die letzte Seite hinauswirkt.

Take-aways

  • Die Romantrilogie Fluss ohne Ufer ist das Hauptwerk von Hans Henny Jahnn.
  • Inhalt: Das Leben des späteren Komponisten Gustav Anias Horn nimmt eine unerwartete Wendung, als er den Entschluss fasst, den Mörder seiner Verlobten zu lieben, statt dessen Tod zu fordern. Gustav und sein Partner Alfred Tutein errichten sich ein Leben abseits gesellschaftlicher Normen und verzichten auf den Rückhalt bürgerlich-christlicher Moralvorstellungen.
  • Fluss ohne Ufer widersetzt sich einer Genrezuordnung ebenso wie einer klaren thematischen Einordnung.
  • Ähnlich wie die Musik, die die Hauptfigur des Romans komponiert, ist auch der Roman selbst polyphon bzw. vielschichtig aufgebaut.
  • Jahnns Sprache ist bildreich und das Gemeinte oft nur intuitiv zu erfassen.
  • Der Autor lebte während der Naziherrschaft in Dänemark auf dem Hof seiner Schwägerin. Dort verfasste er zwischen 1934 und 1946 die Romantrilogie.
  • Der erste und zweite Teil wurden 1949 einzeln veröffentlicht. Der dritte, unvollendete Teil wurde 1961 aus dem Nachlass herausgegeben.
  • Jahnns Werk ist so umstritten wie seine Person. Die Einschätzungen variieren zwischen offener Ablehnung und höchstem Lob.
  • Fluss ohne Ufer gilt als eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, ist aber nur wenigen bekannt.
  • Zitat: „Alfred Tutein erdrosselte meine Geliebte, und das war der Anlaß, daß ich in wechselvollen, bitteren und beschwingten Jahrzehnten lernen mußte, ihn zu lieben.“

Zusammenfassung

Das Segelschiff

Das Segelschiff „Lais“ liegt im Hafen und wird für die Abfahrt vorbereitet. Die Ladung ist streng geheim. An Bord sind neben dem Kapitän Waldemar Strunck und seiner Tochter Ellena auch deren Verlobter Gustav Anias Horn und der Superkargo Georg Lauffer, der die geheime und wertvolle Fracht bewachen soll. Gustav beschließt, als blinder Passagier mitzufahren, um bei seiner Verlobten bleiben zu können. Er hat den Verdacht, dass auch der Reeder noch an Bord ist. Gustav entdeckt geheime Gänge und erfährt, dass der Superkargo in Kontakt mit einem anderen Schiff steht. Gustavs Anwesenheit bleibt nicht lange unentdeckt. Die Mannschaft mag ihn und sucht seine Nähe, während Gustav Gefallen an dem Abenteuer Seefahrt findet. Er stellt Nachforschungen an und will herausfinden, ob der Reeder tatsächlich an Bord ist. Damit spielt er aber dem bereits wachsenden Misstrauen der Matrosen in die Hände. Als sich die Lage zuspitzt, macht Gustav sich schwere Vorwürfe. Er spricht sich mit Ellena aus. Sie gesteht ihm, viel Zeit mit dem Superkargo verbracht zu haben, weil Gustav sie vernachlässigt hat.

Ein Mädchen verschwindet

Die mysteriöse Ladung und der für Matrosen typische Aberglaube sorgen für eine explosive Atmosphäre an Bord: Die Seeleute erzählen sich fantastische Geschichten und spekulieren wild über die Art der Fracht. Georg Lauffer befürchtet, die Gerüchte um die Ladung könnten zu einer Meuterei führen, und bittet Gustav, beruhigend auf die Mannschaft einzuwirken. Dann verschwindet Ellena. Lauffer hat sie am Abend zuvor als Letzter gesehen. Der Verdacht der Mannschaft richtet sich sofort gegen ihn. Gustav glaubt jedoch nicht, dass Lauffer seine Verlobte entführt hat. Als die Suche nach ihr über Tage erfolglos bleibt, wird ihr Tod immer wahrscheinlicher.

„Wie wenn es aus dem Nebel gekommen wäre, so wurde das schöne Schiff plötzlich sichtbar.“ (S. 17)

Die Mannschaft verschafft sich Zugang zum Laderaum, doch auch dort fehlt jede Spur von Ellena. Lauffer unterstützt sie bei der Suche. Zusammen mit dem Zimmermann Klemens Fitte öffnet Gustav an der Stelle, wo er glaubt, den Reeder gesehen zu haben, eine Bretterwand. Dahinter kommt Metall zum Vorschein. Als sie es mit einem Balken durchstoßen, dringt Wasser ein. Das Schiff ist nicht zu retten. Die Mannschaft kann gerade noch in die Rettungsboote steigen, bevor die „Lais“ sinkt. Aus den Booten sehen die Männer eine mächtige weibliche Galionsfigur, die sie nie zuvor bemerkt haben, im Meer versinken.

Gustavs Niederschrift

Gustav, inzwischen fast 50 Jahre alt, schreibt seine Geschichte nieder. Er lebt in dem Haus, das er Jahrzehnte lang mit Alfred Tutein bewohnt hat. Dessen Leichnam liegt in einer fest verschlossenen Kiste im Wohnzimmer. Gustav ist Komponist. Er erzählt die weiteren Geschehnisse nach dem Untergang der „Lais“:

„Eine schöne starke Kiste, braun poliert, von der Größe eines Sarges, wohl verwahrt mit langen und dicken Messingschrauben; im Innern, unsichtbar, mit Messingschienen zusammengeklammert, mit Pech verklebt. Und Alfred Tutein, mein Freund, liegt darin.“ (S. 244)

Die überlebenden 29 Menschen werden von einem anderen Schiff aufgenommen. Der Superkargo nimmt sich, obwohl unschuldig, das Leben, und hinterlässt Gustav eine große Summe Bargeld. Auch der Matrose Alfred Tutein will daraufhin Selbstmord begehen, doch er führt den Plan nicht zu Ende. Er gesteht Gustav, dass er Ellena umgebracht hat, und berichtet, wie er die Leiche versteckt hat. Gustav verliebt sich in ihn. Er sieht Tutein als seinen Besitz an, nachdem er ihm den Mord vergeben hat. Als sie an Land gehen, können sie die Mannschaft überzeugen, über die Vorfälle zu schweigen. Die Ermittlungen werden bald darauf eingestellt. Tutein und Gustav beschließen wenig später, die Stadt zu verlassen.

„Wohl kann es ein frommes Auge verletzen, einen entblößten Schenkel zu sehen; aber der Anblick eines aufgeschnittenen Huhnes bewegt die Sittlichkeit nicht. Die Lust wird verfolgt und ausgetrieben, die Grausamkeit darf öffentliche Brandhaufen errichten.“ (S. 251)

Sie kommen nach Bahia Blanca in Südamerika und mieten sich in einer Pension ein. Dort findet Gustav ein mechanisches Klavier. Das Instrument weckt sein Interesse. Er komponiert Stücke für das Gerät, während sich Tutein als Viehhändler etabliert. Gustav hat Sehnsucht nach einer Frau. Tutein arrangiert ein Treffen mit der Negerin Egedi, in die sich Gustav verliebt und die er fortan regelmäßig trifft. Die Inhaberin der Pension sieht die Verbindung nicht gern und lässt das Mädchen verprügeln und entführen. Gustav und Tutein suchen nach Egedi, allerdings erfolglos. Sie beschließen, nach Afrika zu reisen.

„Und die Gefahr, vom Mitleid zerfleischt zu werden, die Gott unwürdige Not der anderen nicht länger ertragen zu können, die selbstquälerische Befassung mit dem Unrecht, mit dem Schmerz, der das Lebendige zerreißt, hat mich ständig umlauert.“ (S. 472)

Während Gustav diese Erlebnisse niederschreibt, ist die Insel, auf der er inzwischen lebt, von Eis eingeschlossen. Die Mannschaft eines Dampfers sitzt dort fest. Unter den Seeleuten ist ein Matrose, der auch damals an Bord der „Lais“ war. Er steht noch mit seinem alten Freund Alwin Becker in Kontakt, der nun als Diener beim Reeder arbeitet. Gustav schreibt diesem Becker und lädt ihn zu sich ein.

Von Afrika nach Norwegen

Gustav und Tutein kommen in Kapstadt an und reisen dann die Küste hinauf nach Las Palmas. Dort verbringt Gustav einige Zeit mit einem Taucher im Hafen. Der wird eines Tages von einer Schiffsschraube erfasst und tödlich verletzt. Gustav organisiert die Beerdigung. Unterdessen wird Tutein zum Zuhälter der zwölfjährigen Buyana, die er in dieser Rolle vor noch Schlimmerem bewahren will. Als sich das als aussichtslos erweist, macht er sich mit Gustav auf den Weg nach Oslo und von dort reisen sie nach Urrland weiter. Sie bewohnen in einem kleinen Ort mehrere Jahre lang ein Hotelzimmer. Die Einwohner bleiben auf Abstand, wecken mit ihren Eigenheiten aber Gustavs Neugier. Gustav beginnt Klavier zu spielen und zu komponieren. Tutein liest viel und zeichnet. Das Leben auf dem Land ist geprägt von gefährlicher Langeweile und dunklen Leidenschaften, die vor allem im Winter hervorbrechen. Gustav und Tutein beschließen, in die Stadt Halmberg zu ziehen.

Der Pferdehändler und der Komponist

Tutein und Gustav mieten in Halmberg eine Wohnung. Gustav trifft den Kritiker Peter Thygesen, der ihm helfen will, seine Musik bekannter zu machen und einen Verleger zu finden. Tutein steigt derweil in das Geschäft des Pferdehändlers Gösta ein, das er nach dessen Tod schließlich übernimmt. Gustav und Tutein ziehen in Göstas Haus und leben dort mehrere Jahre lang. Gustav komponiert neue Stücke. Seine Werke finden inzwischen ein größeres Publikum. In seiner Heimatstadt besuchen auch Gustavs Eltern ein Konzert.

„Ich bin so besessen, daß ich mir wünschen könnte, du möchtest so schwere Brandwunden davontragen, daß die Ärzte mir meine Haut von den Muskeln schälten, um sie der deinen aufzupflanzen.“ (Tutein zu Gustav, S. 940)

Während er das Erlebte aufschreibt, vereinsamt Gustav immer mehr. Seine einzige Gesellschaft sind der Hund Eli und die Stute Ilok. Er hat inzwischen erfahren, dass die „Lais“ Giftgas an Bord gehabt haben soll, mit dem in Afrika 20 000 Menschen getötet werden sollten.

In Halmberg stellt Tutein Egil Bohn als Helfer ein und verbringt seine Zeit nun fast ausschließlich mit ihm. Gustav lernt die junge Gemma kennen und verlobt sich mit ihr. Kurz darauf stellt Tutein ihm den Stadtsyndikus Adolf Xavier Faltin vor, der ein Verhältnis mit Gemma hatte. Nun ist Gemma schwanger, wahrscheinlich von Gustav. Als Gustav sie darauf anspricht, beschimpft und schlägt sie ihn. Die beiden trennen sich. Kurz darauf versucht Egil, der sich unglücklich in Tutein verliebt hat, sich das Leben zu nehmen. Infolge dieser Erlebnisse wird Gustav depressiv. Tutein setzt alles daran, ihn aus der Lethargie zu reißen, und verführt ihn zu Ausschweifungen: Unter anderem bringen sie einen Arzt dazu, mehrere Liter ihres Blutes auszutauschen. Die beiden versprechen sich, niemanden mehr zwischen sich kommen zu lassen. Egil heiratet wenig später Gemma.

„Es ist herzzerreißend, wie sehr sie an die Liebe glauben, und wie entschlossen sie bald nachher dem trockenen Dasein einer Ehefrau zustreben. (…) Und wie unbarmherzig sie in der Ehe werden, wie nüchtern und lieblos, arbeitsam und begehrlich nach Geld, gefühllose Hühnerschlachterinnen.“ (über junge Mädchen, S. 997)

Gustav und Tutein kaufen ein Stück Land auf einer Insel und bauen ein Haus. Sie bleiben unter sich und erzählen sich aus ihrer Kindheit und Jugend. Tutein stirbt im Alter von 42 Jahren. Er wünscht sich, bei Gustav bleiben zu können. Also macht dieser die Leiche auf komplizierte Weise haltbar und schweißt sie in eine Kiste ein, die fortan in seinem Wohnzimmer steht. Seinen Bekannten verschweigt er Tuteins Tod und behauptet, dieser sei verreist. Er arbeitet an einer Symphonie, die er drei Jahre später fertigstellt. Gustav veröffentlicht das Werk auf eigene Kosten, in der Hoffnung, dass es eines Tages aufgeführt wird.

Der neue Diener

Zehn Jahre nach Tuteins Tod, Gustav ist fast 50 Jahre alt, kündigt der Matrose von der „Lais“, dem Gustav eine Einladung geschickt hat, seinen Besuch an. Doch der Mann, der dann vor Gustavs Tür steht, ist nicht jener Alwin Becker, sondern der 22-jährige Ajax von Uchri. Er behauptet, nach dem Tod Beckers für dessen Arbeitgeber, den Reeder, als Diener tätig gewesen zu sein. Gustav und er freunden sich vorsichtig an. Ajax bietet an, als Diener bei ihm zu bleiben und sich um ihn zu kümmern. Gustav lebt auf, er empfängt Besuch und arbeitet wieder mehr.

„Man kann die Welt nicht verbessern. Man kann die soziale Frage nicht lösen. Man kann den Negern Afrika nicht zurückgeben. Man kann den Tieren keinen Erdteil einräumen. (…) Man kann den Wert der Kunstwerke nicht demokratisch feststellen lassen. Alle Genies würden enthauptet, erhängt, ertränkt werden. Wegen unverzeihlicher Verbrechen und noch schlimmerer Volksuntümlichkeit.“ (S. 1029)

Gustav lässt ein tiefes Loch in den Boden sprengen, in dem er Tuteins Sarg begraben will. Eines Abends lädt Ajax Gustav in sein Bett ein. Der lehnt ab, ohne sagen zu können, warum, und bereut seine Entscheidung sofort. Gustav erzählt Ajax von Tutein und bittet um Hilfe bei der Beerdigung. Ajax schlägt vor, den Sarg statt in der Grube lieber im Meer zu versenken. Er sichert sich die Hilfe eines Fischers, des Bruders seiner Verlobten Olivia. Zu dritt setzen sie den Plan um. Gustav fühlt sich erleichtert, doch dann nehmen die Spannungen zwischen ihm und Ajax zu. Gustav fordert diesen auf, am Ende der vereinbarten Probezeit das Haus zu verlassen. Als sie eines Abends Besuch von Freunden erhalten, kommt das Gespräch auf Tuteins Zeichnungen, unter denen sich auch zahlreiche Akte von Gustav und Tutein selbst befinden. In Ajax wächst der Verdacht, dass Gustav Tutein und eventuell auch Ellena ermordet haben könnte. Er bietet sich Gustav noch einmal an, doch der bleibt bei seiner Entscheidung und bei der Kündigung. Auch Ajax’ Angebot, dass Olivia Zeit mit Gustav verbringen könne, lehnt dieser ab.

„Man wird nicht schlecht, wenn man aufhört an Gott zu glauben; man wird nicht einmal natürlicher – allenfalls wird man behutsamer im Urteilen – und duldsamer gegen lästige Wahrheiten.“ (S. 1559)

Ajax verlässt Anfang November das Haus. Eines Tages kommt Olivia mit klaren Anweisungen von Ajax zu Gustav, doch der lehnt das Angebot weiterhin ab. Er schenkt Ajax und Olivia eine wertvolle Uhr, eine Kiste Wein und 1000 Kronen zur Hochzeit. Danach versenkt sich Gustav wieder in seine Musik. Er trifft Ajax wenig später zufällig in einem Hotel, wo dieser ihn ohne ersichtlichen Grund schlägt. Eines Abends tauchen Männer vor Gustavs Haus auf, unter ihnen Ajax. Aus dem Stall ertönt ein Schuss.

„Alfred Tutein erdrosselte meine Geliebte, und das war der Anlaß, daß ich in wechselvollen, bitteren und beschwingten Jahrzehnten lernen mußte, ihn zu lieben.“ (S. 1660)

Der Tierarzt Daniel Lien, Gustavs Testamentsvollstrecker, berichtet, wie er Gustavs Leiche in dessen Haus gefunden hat. Gustav wurde mit einer Metallstange erschlagen. Vom Täter fehlt jede Spur. In seinem Testament hat Gustav verfügt, dass er in dem Erdloch auf seinem Grundstück zusammen mit seiner geliebten Stute Ilok begraben werden will.

Familie Bohn

Gemma und Egil Bohn haben inzwischen neben Gustavs Sohn Nikolaj zwei eigene Söhne, Asger und Sverre. Nun erfahren sie von Gustavs Tod. Gemma will die Nachricht zum Anlass nehmen, Nikolaj über seine Herkunft aufzuklären, doch Egil ist dagegen. Die Wahrheit kommt dennoch ans Licht: Asger schnappt Anspielungen auf und teilt der Familie während des Weihnachtsfests seine Vermutung über Nikolajs Herkunft mit. Nikolaj reist nach Fasterholm, um einen Kranz an Gustavs Grab niederzulegen. Tierarzt Lien bringt ihn zur Grabstätte und besucht mit ihm Gustavs Haus, wo er Nikolaj eine Zeichnung von Tutein schenkt. Lien selbst wird seit Tagen verhört. Seine günstige Zeugenaussage über Ajax von Uchri hat die Ermittlungen zunächst aufgehalten. Inzwischen gilt der ehemalige Diener aber als Hauptverdächtiger.

Nikolaj steigt auf dem Nachhauseweg spontan an einem kleinen Bahnhof aus und mietet sich in einer Pension ein. Dort trifft er auf einen mysteriösen Mann, der sich ihm als Tutein vorstellt. Sie unterhalten sich lange. Später am Abend kommt der Mann zu Nikolaj ins Zimmer und sie küssen sich. Danach hält sich der Fremde zurück – er erklärt, dass er Nikolaj vollkommen uneigennützig lieben und ihm beim Erreichen seiner Ziele helfen will. Das halten sie sogar vertraglich fest. Der Mann reist nach Stockholm, um dort alles für ihr gemeinsames Leben vorzubereiten. Als Nikolaj nach Hause zurückkehrt, findet ein Gedenkkonzert für Gustav statt. Nikolaj übt nun wie besessen Klavier, um sein Ziel, Kapellmeister zu werden, erreichen zu können.

Viele Jahre später: Nikolaj lebt mit seiner hochschwangeren Frau Inger und dem angeblichen Tutein in einem Haus. Nun möchte Inger wissen, wie die beiden Männer sich kennengelernt haben und wie sie wirklich zueinander stehen. Sie ist nicht eifersüchtig, nur neugierig. Tutein gesteht ihr seine Gefühle für Nikolaj und erzählt, wie er ihm geholfen hat, Inger zu umwerben. Sie beschließen, ihr Leben weiterhin zu dritt zu führen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Hans Henny Jahnns Romanzyklus Fluss ohne Ufer besteht aus drei Teilen. Der erste, Das Holzschiff, erzählt die in sich geschlossene Geschichte vom Untergang der „Lais“. Der zweite Teil ist ein Bericht aus der Perspektive der Hauptfigur Gustav Anias Horn, der an Bord war und rund 20 Jahre später das seither Erlebte niederschreibt. Er steigt mit seinem Bericht direkt nach dem Schiffbruch ein. Die Zeitstränge treffen später zusammen und Gustav berichtet nun „live“ von seinen Erlebnissen bis zu seinem Tod. Der dritte Teil, als Epilog betitelt, beruht auf Jahnns unvollendeten Handschriften und weist große Lücken auf. Hier geht es um die Erlebnisse der Familie Bohn nach Gustavs Tod. Jahnns Stil kombiniert verknappte Aussagen und mit komplexen Metaphern durchsetzte Beschreibungen, die mehr verbergen, als sie preisgeben. Auffällig ist auch, dass Jahnn Gespräche oft nicht dem Inhalt nach wiedergibt, sondern mit Blick auf ihre Form und ihre Wirkung beschreibt: „Ein wilder Strom von Worten und Gleichnissen. Gustav war wie betäubt.“ Der Text ist voller Doppeldeutigkeiten und Anspielungen, die eine konzentrierte Lektüre erfordern. Wiederkehrende Motive bieten schier unendliche Interpretationsmöglichkeiten, die genug Stoff für Dutzende Forschungsarbeiten abgeben.

Interpretationsansätze

  • Zentrale Themen der Romantrilogie sind Verbrechen und Strafe. Die persönlichen Verbrechen, Tuteins Mord an Ellena und der spätere Mord an Gustav, werden bürokratischen, auf Effizienz ausgerichteten Massenmorden gegenübergestellt: Menschen verhungern zu lassen, Tiere zu quälen, einen ganzen afrikanischen Stamm mit Giftgas auszulöschen – hierfür wird niemand bestraft, doch die Taten sind unverzeihlich.
  • Liebe und Sexualität frei von gesellschaftlichen Konventionen ist ein Grundthema, das sich durch alle Romanteile zieht. Affären, Inzest, Prostitution, Sodomie, Fetische und Gewaltfantasien werden unbewertet nebeneinander- und der als erstickend und lieblos dargestellten bürgerlichen Ehe gegenübergestellt. Die homoerotische, noch nicht sexuelle Liebe zwischen jungen Männern erscheint zwischen diesen Formen als Ideal.
  • Die drastische Darstellung von Gewalt und Sexualität nur als Ausdruck von Jahnns Kulturpessimismus zu deuten, greift zu kurz – mit dem Brechen von Tabus ist ein philanthropisches Projekt verbunden. Der Aufruf, Triebe und Sehnsüchte nicht zweifelhaften Konventionen zuliebe zu unterdrücken, zieht sich als roter Faden durch die Trilogie.
  • Gustav Horn glaubt nicht an Gott, bezieht ihn aber immer in seiner Überlegungen ein. Religion und christlicher Moral stellt er das eigene bedingungslose Mitleid gegenüber, das sich in der Natur nicht findet und deshalb nicht gottgewollt sein kann.
  • Die musikalischen Kompositionen der Hauptfigur bieten Interpretationsmöglichkeiten für alle drei Romane. Horns Werke sind polyphon und aus mehreren Schichten aufgebaut – wie die Geschichte, die Jahnn erzählt. So scheinen es auch musikalische und nicht literarische Gesetze zu sein, die Tempo und Erzählform bestimmen. Der erste Teil funktioniert als Ouvertüre, in der Themen angelegt werden, die im zweiten ausgebreitet und variiert werden und im dritten Teil ausklingen.

Historischer Hintergrund

Skandinavien während des Zweiten Weltkriegs

Dänemark erklärte sich im Zweiten Weltkrieg für neutral, wurde jedoch von den Deutschen besetzt und bis 1945 kontrolliert. Im September 1943 ermöglichte der deutsche Diplomat Georg Ferdinand Duckwitz über 7000 dänischen Juden, die von den Nazis deportiert werden sollten, die Flucht nach Schweden. Dänemark wurde 1945 befreit.

Norwegen, das sich ebenfalls für neutral erklärt hatte, wurde gleichfalls von der Wehrmacht angegriffen und kapitulierte 1940. Das Land blieb bis zum Kriegsende von deutschen Truppen besetzt. Der Angriff auf die beiden Länder, der unter dem Decknamen „Unternehmen Weserübung“ stattfand, sollte den Deutschen Zugriff auf die Häfen der beiden Länder geben, von denen aus Angriffe der Seeflotte gegen England erfolgten.

Auch Schweden hatte zu Beginn des Krieges seine Neutralität erklärt. Nach Russlands Angriff auf Finnland stand das Land Finnland finanziell zur Seite. Später erlaubte man den Deutschen Transporte über schwedisches Gebiet und schloss ein Handelsabkommen. 1943, nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad, änderte sich die Haltung: Die Transporte wurden untersagt, Schweden nahm Flüchtlinge auf und unterstützte die norwegische Exilregierung.

Entstehung

Fluss ohne Ufer entstand in den Jahren 1934 bis 1946, während Jahnn auf dem Hof seiner Schwägerin in Dänemark lebte. Der Autor verarbeitete zahlreiche literarische Einflüsse: Naheliegend und von Gustav Anias Horn zur Grundlage seines ersten großen Werkes gemacht ist das Gilgamesch-Epos – das älteste literarische Werk der Geschichte, das zudem über eine homosexuelle Hauptfigur verfügt.

Mit den Motiven der Angst und des Rückzugs ins eigene Ich ist der Roman den Ideen des Existentialismus verwandt. Jahnn wurde beeinflusst von Franz Kafka, Marcel Proust und James Joyce, es lassen sich bei ihm aber auch Anspielungen und Rückgriffe auf Georg Büchner und William Shakespeare ausmachen. Der Rückzug in die Natur, das bekennende Außenseitertum und die klare Absage an das moderne kapitalistische System verweisen auf den Schweizer Philosophen Jean-Jacques Rousseau.

Großen Einfluss hatte womöglich auch Eugène Bossards Biografie über Gilles de Rais. Die Geschichte des adligen Serienmörders aus dem 13. Jahrhundert wird in Fluss ohne Ufer aufgegriffen und nacherzählt.

Auch Seefahrerromane wie die von Joseph Conrad könnten Jahnn beeinflusst haben. Eine Deutung des Werkes als Kriminalroman kommt ebenfalls in Betracht. Doch Elemente wie die geheimen Räume auf der „Lais“ und die unwirkliche Atmosphäre sprengen die Regeln dieser Genres.

Wirkungsgeschichte

Verleger Peter Suhrkamp gab Jahnn zu verstehen, dass er den Roman in dieser Form nicht in seinem Verlag veröffentlichen würde und dass Jahnn ein Zusatzkapitel schreiben sollte. Aus diesem „Zusatz“ wurden 1700 weitere Seiten. Bemerkenswert ist, dass Jahnn im zweiten Teil indirekt auf frühere Kritiken eingeht, etwa in der eingeschalteten Abhandlung eines Musikkritikers über Horns Werk.

Die Parallelen zwischen Jahnns Biografie und den Themen des Romans sind augenfällig. Wohl auch deshalb wurde das Werk von manchen Kritikern mehr als philosophische Abhandlung denn als eigenständiges fiktionales Werk bewertet. Von der Literaturwissenschaft wurde es eher stiefmütterlich behandelt. Als hätte er es vorausgesehen, schrieb Jahnn 1947: „Man hat mich nicht soweit verstanden, um mich misszuverstehen.“

An Jahnn schieden sich noch zu seinen Lebzeiten die Geister. Seine deutliche Darstellung von Gewalt und Sexualität wurde öffentlich kritisiert und als pervers verurteilt. Während die Kritik wenig wohlgesonnen reagierte, zeigten sich Jahnns Schriftstellerkollegen beeindruckt von dessen Werk. Thomas Mann und Alfred Döblin lobten seine Schriften, Botho Strauss nannte Fluss ohne Ufer „eines der prächtigsten Prosa-Werke deutscher Sprache“ und setzte 1990 sein im Vorjahr erhaltenes Preisgeld des Büchner-Preises für einen Wettbewerb ein, um mehr Leser für Fluss ohne Ufer zu gewinnen. Die Teilnehmer sollten ihre Eindrücke niederschreiben und einreichen. Der Rücklauf war in Anbetracht der hohen Kosten für die Gesamtausgabe und der fordernden Lektüre beachtlich.

Jahnns Mammutroman blieb dennoch etwas für Liebhaber. Schon die Frage nach dem Thema wirft Fragen auf. Der Autor Clemens Meyer meinte dazu: „Wenn mich jemand fragt, worum es geht, was soll ich darauf antworten? Es geht um alles! Um Natur, das Dasein, Liebe. Es gibt Sexszenen, Gewalt. Es ist ein unerhörtes Buch.“

Über den Autor

Hans Henny Jahnn (eigentlich Hans Henry Jahnn) wird am 17. Dezember 1894 in Stellingen geboren. Der Sohn eines Schiffbauers geht in Hamburg zur Schule und schließt eine Ausbildung zum Orgelbauer ab. Zusammen mit seinem Freund Gottlieb Harms wandert er nach Norwegen aus, weil er nicht im Ersten Weltkrieg kämpfen will. Die beiden leben zurückgezogen in Aurland und gehen nach Kriegsende zurück nach Hamburg. Wenig später ziehen Jahnn und Harms mit dem Bildhauer Franz Buse und Jahnns späterer Ehefrau Ellinor ins ländliche Eckel. Jahnn, Harms und Buse gründen die Künstlergemeinschaft Ugrino, die verschiedene Kunstprojekte durchführt und einen eigenen Verlag führt. 1919 veröffentlicht Jahnn sein erstes Drama Pastor Ephraim Magnus, für das er im Jahr darauf den Kleist-Preis erhält. 1926 wird seine Tragödie Medea uraufgeführt. Mit Ellinor, die er im gleichen Jahr heiratet, bekommt Jahnn 1929 eine Tochter. Jahnn und Ellinor führen bis zu seinem Tod eine offene Ehe. 1929 erscheint sein expressionistischer Roman Perrudja. Während er von Schriftstellerkollegen wie Thomas Mann und Alfred Döblin gelobt wird, bleibt die öffentliche Meinung ablehnend. Jahnn ist den erstarkenden Nationalsozialisten als mutmaßlicher „Kommunist und Pornograph“ ein Dorn im Auge – nach der Machtübernahme 1933 geht er nach Dänemark und lebt dort auf dem Hof seiner Schwägerin, die 1929 Jahnns große Liebe Harms geheiratet hat. Hier arbeitet er an seinem Hauptwerk Fluss ohne Ufer, dessen erster Teil, Das Holzschiff, 1949 erscheint. 1950 kehrt Jahnn nach Hamburg zurück und macht sich gegen Atomwaffen und Tierversuche stark. Er ist Mitbegründer der Freien Akademie der Künste in Hamburg. Jahnn stirbt am 29. November 1959 an einem Herzleiden.

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