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Zettel’s Traum
Buch

Zettel’s Traum

Stuttgart, 1970
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 2010 Mehr

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Literatur­klassiker

  • Stream of Consciousness
  • Moderne

Worum es geht

Nichts für Weichlinge

„Ein Roman wie ein Gebirgsmassiv“, schrieb Literaturkritiker Denis Scheck über Zettel’s Traum. Recht hat er. Und wie jede ordentliche Bergexpedition will auch diese gut vorbereitet sein, denn die Verhältnisse auf Arno Schmidts Überberg sind alles andere als gewöhnlich: Bäume werden zu erigierten Penissen, Wasserfälle zu Urinergüssen und Bergkuppen zu Riesenbrüsten. Durch diese verhexte Landschaft streifen ein kannibalischer Drache, ein rammelnder Trinkertrottel und eine scharfe Fee, die sich aus unerfindlichen Gründen in einen impotenten Dichterpriester verliebt. Der Leser indes stolpert bei seiner Wanderung über sperrige Satzklötze, verirrt sich in einem Labyrinth aus literarischen Querverweisen und kämpft sich mühsam durch das unwegsame Gelände eines vollkommen fremden Schriftbilds. Weibliche Leser werden oft genug die Brocken hinschmeißen wollen, wenn sie zum wiederholten Mal auf eine Hütte mit dem Schild „Frauen müssen draußen bleiben“ treffen. Knapp 400 Menschen hielt Schmidt für fähig, sein Opus magnum zu bewältigen. Wenn endlich der Gipfel in Sicht ist und nur noch wenige Schritte bis zum Panoramablick fehlen, möchte man dem Autor am liebsten eine Nase drehen.

Zusammenfassung

Das Schauerfeld oder die Sprache von Tsalal

An einem Julitag 1968 im Heidedörfchen Ödingen: Der alleinstehende Schriftsteller und Übersetzer Daniel Pagenstecher, genannt Dän, hat Besuch von seinen Jugendfreunden, den Übersetzern Paul und Wilma Jacobi, und deren 16-jähriger Tochter Franziska. Morgens um halb vier schlüpfen sie durch einen Stacheldrahtzaun und machen einen Spaziergang. Unter Wilmas missfälligen Blicken trinkt Paul Ingwerschnaps, aber Dän nimmt ihn in Schutz: „Gehirntiere“ bräuchten nun mal Alkohol zum Schreiben. Dän lästert über Dichterpriester wie Edgar Allan Poe, die alles verklären, aber nichts ordentlich beschreiben. Da Paul und Wilma an einer Neuübersetzung von Poes Gesamtwerk arbeiten, möchten sie von ihm etwas Neues, leicht Verkäufliches über den Dichter hören. Dän erklärt seine Idee des Etyms: Der Klang eines Wortes verrate oft mehr über die Intention des Autors als seine Bedeutung. Wenn ein Engländer vom Ganzen („whole“) spreche, meine sein sprachliches Unbewusstes eigentlich das Loch („hole“). Wilma will von solchen Schweinereien nichts wissen. Paul ist da schon ...

Über den Autor

Arno Schmidt wird am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren. Kaum kann er lesen, macht er sich über jedes gedruckte Stück Papier her. Er ist, nach eigener Aussage, zum „Bibliophagen und zur Isolation prädestiniert“. Nachdem sein Vater, ein Polizeibeamter, stirbt, siedelt die Familie 1928 nach Lauban in Schlesien über. 1934 beginnt Schmidt mit einer kaufmännischen Lehre, die er drei Jahre später abschließt. Er arbeitet als Lagerbuchhalter in einer schlesischen Textilfabrik. 1937 heiratet er seine Kollegin Alice Murawski. Im Zweiten Weltkrieg kommt Schmidt zur Artillerie, er kämpft im Elsass sowie in Norwegen. Nach einem Einsatz in Niedersachsen gerät er in britische Kriegsgefangenschaft. Als der Krieg vorbei ist, arbeitet Schmidt an der Hilfspolizeischule Benefeld als Dolmetscher für Englisch. Noch bis 1955 müssen er und seine Frau in Notunterkünften leben, zunächst in Niedersachsen und dann, nach seiner Umsiedlung nach Rheinland-Pfalz, in Gau-Bickelheim. 1949 erscheint mit Leviathan die erste Erzählung des Autors. 1955 wird Seelandschaft mit Pocahontas veröffentlicht, ein Werk, das ihm eine Anzeige wegen „Gotteslästerung und Pornografie“ einbringt. Wieder muss Schmidt sich „umsiedeln“ lassen, diesmal vom katholischen Kastel an der Saar ins protestantische Darmstadt. Seinen Ruhepunkt findet er in Bargfeld, wo er sich mit finanzieller Unterstützung des Malers Wilhelm Michels ein Holzhaus kauft. Hier führt er fortan als freier Schriftsteller ein relativ abgeschiedenes Leben. Seine literarische Arbeit kulminiert 1970 im Hauptwerk Zettel’s Traum. Damit wird er endgültig zu einem Außenseiter der deutschen Literatur: Seine avantgardistische Prosa passt in kein Schema und kann keiner literarischen Strömung zugeordnet werden. Drei Jahre später verleiht ihm die Stadt Frankfurt am Main den Goethepreis. Neben seinem eigenen Werk tritt er als Übersetzer von James Fenimore Cooper, William Faulkner und Edgar Allan Poe hervor. Sein Interesse an Karl May führt zu Sitara und der Weg dorthin, einer Studie über den Abenteuerschriftsteller (1963). Arno Schmidt stirbt am 3. Juni 1979 an den Folgen eines Gehirnschlages in Celle.


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