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Narziß und Goldmund

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Narziß und Goldmund

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Eines von Hesses beliebtesten Büchern: Es zeichnet eine Freundschaft, die gegensätzlicher nicht sein kann.


Literatur­klassiker

  • Entwicklungsroman
  • Moderne

Worum es geht

Ein symbolisches Gegensatzpaar

Hesses Hauptcharaktere Narziß und Goldmund spiegeln das zentrale Thema des Romans wider, ja sie sind bewusst so angelegt, dass der Autor dieses Thema, das ihn Zeit seines Lebens beschäftigte, anhand seiner Figuren durchspielen konnte: den Gegensatz von Kunst und Wissenschaft, Leben und Askese. Vor dem Hintergrund einer mittelalterlichen Kulisse schließen der asketische Mönch Narziß und der lebenslustige Goldmund im Kloster enge Freundschaft. Der Ältere ahnt etwas von den Seelennöten des Jüngeren und hilft ihm, sich an seine verdrängte Kindheit und an seine Mutter zu erinnern; dadurch wird Goldmund der Zugang zu seinem wahren Ich ermöglicht. Nach einem ersten Liebesabenteuer verlässt er das Kloster, zieht durchs Land und sucht in unzähligen weiteren Liebschaften nach der Mutter. Als Narziß ihn vor dem Galgen rettet und ihn zurück ins Kloster mitnimmt, widmet sich Goldmund der zwischenzeitlich erlernten Kunst der Bildhauerei, bevor er ein letztes Mal zur Wanderschaft aufbricht. Krank und gebrochen kehrt er zurück, um in den Armen seines Freunds zu sterben. Der Roman ist sicher nicht frei von Sentimentalität und Trivialität. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) gehört er zu den beliebtesten und meistverkauften Werken Hermann Hesses.

Take-aways

  • Narziß und Goldmund thematisiert vor dem Hintergrund mittelalterlichen Klosterlebens den Zwiespalt zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Geist und Lebenslust.
  • Der Roman dreht sich um die beiden Freunde Narziß und Goldmund, die sich als Klosterschüler kennenlernen und verschiedene Lebenswege einschlagen, der eine als Mönch, der andere als (Lebens-)Künstler.
  • Als Goldmund mithilfe von Narziß die Erinnerung an seine Mutter wiederbelebt, hält ihn nichts mehr im Kloster und er begibt sich auf Wanderschaft.
  • Bei einem Bildhauermeister lernt er das wahre Wesen der Kunst begreifen.
  • Als der Meister ihm die Hand seiner Tochter und seine Werkstatt anbietet, lehnt Goldmund ab und nimmt seine Wanderschaft erneut auf.
  • Seine Erfahrungen mit dem Tod und der Liebe möchte er in Kunstwerken festhalten, weshalb es ihn wieder zu seinem Meister zieht, der aber inzwischen verstorben ist.
  • Bei einem Stelldichein mit der Geliebten des Statthalters wird Goldmund ertappt und zum Tod verurteilt.
  • Am Tag der Hinrichtung will ein Priester ihm die Beichte abnehmen: Es ist Narziß. Er nimmt Goldmund mit zurück ins Kloster und richtet ihm dort eine Werkstatt ein.
  • Nachdem Goldmund eine Lesekanzel angefertigt hat, tritt er seine letzte Wanderschaft an, kehrt jedoch als gebrochener Mann ins Kloster zurück und stirbt.
  • Goldmund steht als allegorische Figur für das Leben und die Sinnlichkeit – Narziß ist der Denker, der die Welt mit seinem Intellekt durchdringen möchte.
  • Psychoanalytisches Gedankengut verbindet sich in diesem Roman mit der chinesischen Philosophie des Gegensatzpaars Yin und Yang.
  • Hesse traf mit Narziß und Goldmund den Nerv der Zeit: Der Roman war ein Bestseller und zählt noch heute zu den meistgelesenen Büchern weltweit.

Zusammenfassung

Goldmund und Narziß

An einem Frühlingstag trifft der junge Goldmund im Kloster Mariabronn ein, begleitet von seinem Vater, einem Beamten des Kaisers, der am folgenden Tag schon wieder abreist. Goldmunds freundliche Art öffnet ihm bald die Herzen der anderen Novizen, doch nur zu zwei Menschen fühlt er sich wirklich hingezogen: zum Abt Daniel, einem gütigen und weisen Mann, und zu Narziß, der erst vor kurzem ins Kloster eingetreten ist und aufgrund seiner Klugheit bereits als Dozent unterrichtet. Narziß merkt bald, welche Qualitäten Goldmund besitzt, und wünscht sich nichts sehnlicher, als ihn zum Freund zu haben, weil er in ihm seine Ergänzung und auch seinen Gegenpol sieht. Doch er hält sich zurück, denn er weiß um die Konsequenz für sein weiteres Leben, wenn er seinem Gefühl nachgeben würde. Die Liebe ist für Narziß ohnehin nur in der höchsten, reinsten Form erlaubt.

„Wie Narziß ein Denker und Zergliederer, so schien Goldmund ein Träumer und eine kindliche Seele zu sein.“ (S. 20)

Als Goldmund eines Nachts einen heimlichen Ausflug ins benachbarte Dorf unternimmt und dort zum Abschied von einem Mädchen geküsst wird, ist er so überwältigt, dass er tags darauf im Kloster zusammenbricht. Narziß nimmt sich seiner an und versucht herauszufinden, was mit Goldmund passiert ist. Er ahnt, dass seinem jungen Freund ein Stück kindlicher Vergangenheit verloren gegangen ist, erfährt aber vorderhand bloß, dass Goldmund vom Vater zu einem Leben im Kloster verpflichtet wurde und er seine Mutter nur als blasse Erinnerung kennt. Narziß wünscht seinem Freund, dass er sich selbst finden und verwirklichen möge.

Die Mutter

Eines Tages erläutert Narziß seinem Freund das Wesen der Menschen: Narziß und seinesgleichen lebten nicht in der Fülle des Lebens, sondern in einem Land der Dürre. Goldmund dagegen sei der Natur verbunden und beziehe seine Kraft aus der Liebe. Dies sei ihm aber nicht bewusst, denn er habe seine Kindheit vergessen. Nur wenn er sie wiederfinde, könne er auch zu sich selbst finden. Goldmund ist von diesen Worten tief betroffen. Kurze Zeit später entdeckt der Abt den Jungen ohnmächtig im Kreuzgang des Klosters. Er schilt Narziß, so stark in die Seele eines Menschen eingegriffen zu haben. Narziß erklärt ihm daraufhin, dass Goldmund krank an der Seele sei und dass vermutlich die Mutter der Grund für diese Krankheit darstelle. Goldmund habe seine Mutter offenbar früh verloren und schäme sich für sie. Tatsächlich erinnert sich nun der Abt an die Worte des Vaters, als er den Knaben abgegeben hat: Sein Sohn müsse die Taten der Mutter sühnen und sein Leben Gott darbieten.

„Unser Ziel ist nicht, ineinander überzugehen, sondern einander zu erkennen und einer im andern das sehen und ehren zu lernen, was er ist: des andern Gegenstück und Ergänzung.“ (Narziß zu Goldmund, S. 44 f.)

Als Goldmund erwacht, erinnert er sich plötzlich an das Bild seiner Mutter. Das erste Mal seit sehr langer Zeit kann er wieder von ihr sprechen: Wenige Jahre nach der Heirat mit Goldmunds Vater erlag die Mutter dem Laster und erwarb sich den Ruf einer Männerverführerin. Eines Tages verschwand sie einfach, und Goldmund musste fortan ihre Untaten sühnen – so der Wille seines frömmlerischen Vaters. Auf einmal sieht Goldmund klar: Im Traum hat er zu sich und seinem innersten Selbst, zu seiner Kindheit und seiner Mutter gefunden.

Hinaus in die Welt

Narziß weiß, dass sich ihre Wege trennen werden, dass Goldmund Dinge erleben wird, die er, Narziß, nicht kennt und nie kennenlernen wird. Goldmund wird allmählich bewusst, dass er die väterlichen Gebote mit seinen eigenen Wünschen verwechselt hat. Das traumhafte Bild der Mutter indes verheißt ihm Trost und Glück. Zwar ahnt er dahinter auch Gefahr und Tod, und dennoch lockt es ihn. Alles Geistige scheint ihm auf einmal väterlich und gering. Ein lebenslanges Dasein im Kloster, an das er selbst einst so heftig geglaubt hat, kann er sich nicht mehr länger vorstellen. Als der schöne, blond gelockte Jüngling eines Tages losgeschickt wird, um Johanniskräuter zu sammeln, schläft er unter einem Baum ein und wird von dem Mädchen Lise verführt. Jetzt hält ihn nichts mehr. Noch am selben Tag nimmt er von Narziß Abschied und verlässt Hals über Kopf das Kloster. Das Verlangen nach Lise führt ihn in den Wald, wo er sich mit ihr trifft. Nach einer gemeinsamen Liebesnacht gesteht sie ihm aber, dass ihr Mann auf sie wartet, und so zieht Goldmund allein in die weite Welt, ohne ein Ziel vor Augen.

Frau um Frau

Goldmund durchstreift Wälder und Felder, entdeckt die Welt und die Frauen. Überall werfen sie ihm schmeichlerische Blicke zu, die er schnell zu deuten weiß. Er freut sich am Leben, der Liebe und der Natur. Als er eines Tages zu einer Burg kommt, nimmt ihn ein Ritter in seinen Dienst. Goldmund verliebt sich bald in die beiden Töchter des Ritters und umwirbt vor allem die ältere, Lydia, die sich ihm anfangs noch entzieht. Später sucht sie ihn in seiner Kammer auf, ohne sich ihm jedoch ganz hinzugeben. Die jüngere Tochter, Julie, kommt dem Verhältnis auf die Spur. Sie will entweder als Dritte im Bunde dazugehören oder aber die beiden beim Vater verraten. Lydia ist entsetzt über die Unverfrorenheit ihrer Schwester und beichtet noch am nächsten Morgen alles ihrem Vater, der Goldmund sofort davonjagt. Bis an sein Lebensende wird sich Goldmund an Lydia erinnern: eine der wenigen Frauen, die er nicht erobert hat. Überall auf seiner weiteren Wanderung wird er von Frauen begehrt, doch keine bittet ihn zu bleiben oder sie mitzunehmen. Die Liebe, so scheint ihm, ist vergänglich. Goldmund sucht eine Heimat, doch wie und wo er sie finden kann, weiß er nicht. Die Befriedigung schneller und oberflächlicher Lust bestimmt nun sein Leben.

„Für ihn waren Kunst und Künstlerschaft wertlos, wenn sie nicht brannten wie Sonne und Gewalt hatten wie Stürme, wenn sie nur Behagen brachten, nur Angenehmes, nur kleines Glück. Er suchte anderes.“ (über Goldmund, S. 163)

Eines Tages trifft er auf den Landstreicher Viktor, der ihm an Schläue und Dreistigkeit überlegen ist. Viktor führt Goldmund vor Augen, dass auch ihm womöglich das Schicksal des Fahrenden und Heimatlosen bestimmt ist. In einer kalten Winternacht versucht Viktor, Goldmund zu erwürgen und auszurauben. Der weiß sich im letzten Moment mithilfe seines Jagdmessers zu wehren. Dass er nun einen Menschen getötet hat, stürzt Goldmund in tiefe Verwirrung. Verzweifelt und in Todesangst irrt er durch die Wälder, bis er von einer Bauersfrau gefunden und wieder aufgepäppelt wird. Goldmund wandert weiter, doch der Mord lastet schwer auf ihm, weshalb er in einem Kloster Rast macht und eine Beichte ablegt. Dort sieht er eine Skulptur der Mutter Gottes, die ihn tief berührt. Er erfährt, dass sie von einem Bildhauer namens Niklaus stammt, der in der Bischofsstadt wohnt. Jetzt will Goldmund nur noch eines: Künstler werden.

Lehrjahre

Meister Niklaus empfängt den jungen Wanderer und ist beeindruckt von den Zeichnungen, die Goldmund im Lauf der Zeit angefertigt hat. Er erlaubt ihm, ab und an vorbeizukommen, um in seinem Atelier zu arbeiten. Als Lehrling will er ihn aber nicht annehmen, zu unstet erscheint ihm Goldmunds Charakter. So sehr sich der Meister an der Kunstfertigkeit seines Schülers freut, so heftig schilt er ihn für seine Unzuverlässigkeit. Goldmund wiederum hat wenig Verständnis für das Leben des Meisters, der nur um des Geldes willen Kunst zu machen scheint. Er ist der Ansicht, dass Kunst aus sich heraus entstehen müsse und nie künstlich oder kommerziell sein dürfe. Er selbst werkt stets nur aus Lust am eigenen Können. Als er endlich mit einer Johannesfigur fertig ist, in der er seinen Freund Narziß verewigt hat, stellt ihm der Meister dafür einen Gesellenbrief aus und hat Großes mit ihm vor. Goldmund jedoch zieht es schon wieder in die Ferne, und er fragt sich, ob er der Kunst tatsächlich seine Freiheit opfern soll. Die Selbstzufriedenheit der Sesshaften stößt ihn ab, er will das volle Glück genießen, die pralle Lebenslust wieder spüren. Als der Meister ihm seine Werkstatt und sogar die Hand seiner Tochter Lisbeth geben möchte, lehnt Goldmund das Angebot ab. Erbost weist ihm Meister Niklaus die Tür.

Die Pest

Auf der Wanderschaft schließt sich ihm Robert an, ein fahrender Student. Als sie eines Tages von Bauern davongejagt werden und in einem abgelegenen Hof von der Pest gezeichnete Leichen finden, offenbart sich Goldmund die Erbarmungslosigkeit der Naturgesetze: Was ist der Mensch angesichts dieser grausamen Epidemie, die ganze Landstriche heimsucht? Goldmund und Robert treffen die Bauerntochter Lene, die mit ihnen geht. Zu dritt richten sie sich über den Sommer in einer Waldhütte ein. Eines Tages will ein Fremder Lene vergewaltigen, doch Goldmund kommt rechtzeitig hinzu und erschlägt den Mann. Offenbar hat der Fremde Lene angesteckt, denn schon am nächsten Tag zeigen sich erste Flecken, und wenige Tage später erliegt das Mädchen der Pest. Robert macht sich davon, und Goldmund zieht allein weiter durch die Ödnis. Er ist fasziniert von der riesigen Lebenslust an der Schwelle zum Tod, den die Pest ins Land gebracht hat. Goldmund begegnet der schönen Jüdin Rebekka, die wütend und verzweifelt um ihren Vater trauert, und erfährt schockiert vom Schicksal ihrer Rasse. Die Juden wurden für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht, ihre Stadtviertel gingen in Feuer auf und sie selbst wurden verbrannt. Rebekka lässt sich nicht trösten, sie wirft Goldmund sogar vor, ihre Lage nur ausnutzen zu wollen. So sieht er überall Unbeständigkeit, Vergänglichkeit und Tod. Schließlich drängt es ihn nach all seinen Erlebnissen, erneut etwas zu schaffen. Vor allem das Bildnis einer Urmutter, in das im Lauf der Jahre all die Gesichter verschiedenster Frauen eingegangen sind, möchte er unbedingt anfertigen.

Vorm Galgen gerettet

Mit einem neuen Ziel vor Augen wandert er zurück zur Bischofsstadt – nur um dort zu erfahren, dass Meister Niklaus längst tot ist. Dessen Tochter Lisbeth weist ihm die Tür. Er kommt bei ehemaligen Wirtsleuten unter, nun ohne Ziel und Lebensfreude. Erst der Anblick der stolzen Agnes, der Geliebten des Statthalters, gibt ihm seine Lebenskraft zurück. Schon bald gelingt es ihm, die Schöne auf sich aufmerksam zu machen, und ein erstes nächtliches Stelldichein wird vereinbart. In dieser Liebesnacht scheinen beide das höchste Glück zu finden, weshalb Agnes Goldmund für die nächste Nacht gleich wieder einbestellt. Da wird er jedoch vom Grafen ertappt. Goldmund gibt vor, nur ein Kleiderdieb zu sein. Er wird dennoch in den Kerker gesperrt und soll bereits am folgenden Tag hingerichtet werden. Zufällig kommt ein Priester hinzu, der dem Verurteilten zumindest die Beichte abnehmen möchte. In der Nacht vor seiner geplanten Hinrichtung nimmt Goldmund von all den schönen Dingen in seinem Leben Abschied – und es wird ihm bewusst, dass er noch nicht sterben möchte. Er entschließt sich, bis zum Schluss zu kämpfen, nötigenfalls den Priester zu ermorden und verkleidet die Festung zu verlassen. Doch als am nächsten Morgen der Priester die Zelle betritt, sieht Goldmund, dass es Narziß ist.

Rückkehr und letztes Werk

Erschüttert gesteht Goldmund seinem Freund alles und Narziß kann vom Grafen die Freilassung erwirken: mit der Auflage, den Vagabunden mitzunehmen. Gemeinsam reisen die beiden zurück zum Kloster Mariabronn, wo Narziß inzwischen Abt ist. Unterwegs machen sie Rast in der Burg. Hier begehrte Goldmund einst Lydia, die Ritterstochter. Jetzt erkennt ihn niemand mehr, und der Lauf seines Lebens wird ihm schmerzlich bewusst: ein beständiges Abschiednehmen, Davonlaufen, Vergessenwerden. Gerne nimmt er Narziß’ Vorschlag an, sich im Kloster Mariabronn niederzulassen und eine Werkstatt einzurichten. Goldmunds erste Arbeit soll eine Lesekanzel sein. Tagelang sperrt er sich in seine Werkstatt ein, zwei Jahre wird es dauern, bis die Kanzel fertig ist. Goldmund hat das Gefühl, alt geworden zu sein, ihm fehlt jede Neugierde und Lust aufs Leben. Zwar würdigt sein Freund Narziß beim Anblick von Goldmunds Werken die Tätigkeit des Künstlers, die gewiss nicht weniger wert sei als das Spiel mit Logik, Grammatik und Religion. Goldmund hingegen beneidet Narziß um seine geistige Beschäftigung, denn damit könne er Verwirrungen besser abwehren. Die Ruhe, der innere Friede aber, entgegnet ihm Narziß, müssten jeden Tag aufs Neue erkämpft werden.

„Und die Erfahrung lehrte ihn, dass jede Frau schön sei und zu beglücken vermöge, dass die Unscheinbare und von den Männern Missachtete einer unerhörten Glut und Hingabe, die Verblühte einer mehr als mütterlichen, trauernd süßen Zärtlichkeit fähig sei, dass jede Frau ihr Geheimnis und ihren Zauber habe, deren Erschließung selig machte.“ (über Goldmund, S. 165)

Als die Lesekanzel beendet ist, erwacht Goldmunds Wanderlust wieder. Er bricht erneut auf, allerdings sucht er dieses Mal eher den Duft der Vergangenheit als die wiedergewonnene Freiheit. Als eine Bauerstochter auf sein Werben nicht eingeht und auch seine ehemalige Geliebte Agnes nichts mehr von ihm wissen will, kehrt er gebrochen und krank ins Kloster Mariabronn zurück. Am Sterbebett gesteht Narziß Goldmund seine unendliche Liebe zu ihm, denn er bringe ihn zur Quelle in der Wüste und nur wegen ihm sei sein Herz nicht verdorrt. Goldmund ist überrascht: Nie hätte er gedacht, dass sich Narziß je einmal zu solch einem Geständnis hinreißen lassen würde. Goldmund hat keine Angst vor dem Sterben, das für ihn letzten Endes nur die Heimreise zur Mutter bedeutet. Sie, die er in all den Frauen suchte und fand, erwartet ihn nun auch ihm Tod. Er stellt Narziß die Frage, wie dieser denn sterben werde, ohne einen solchen Trost. Goldmunds Worte schmerzen Narziß noch lange nach dem Tod seines Freundes.

Zum Text

Aufbau und Stil

In Narziß und Goldmund hat sich Hesse für eine sehr konventionelle Erzählweise entschieden: Der Text nimmt seinen Anfang mit Goldmunds Ankunft im Kloster, erzählt stringent von den Höhen und Tiefen im Leben des Helden, von seiner allmählichen inneren Reifung und schließlich von seinem Sterben, zu dem er sich wieder ins Kloster zurückzieht – womit sich der Kreis schließt. Dem Titel zum Trotz ist der Roman eigentlich die Geschichte Goldmunds; Narziß taucht über weite Strecken gar nicht auf. Dennoch: Die Konstruktion um die beiden Pole Narziß und Goldmund – hier der kritisch-rationale Wissenschaftler, dort der empfindsame Künstler, hier Sesshaftigkeit, Kloster und Intellekt, dort Wanderschaft, zügelloses Leben und künstlerisches Genie – schwingt unterschwellig stets mit und überzeugt literarisch. Sie prägt auch die Struktur des Romans, wie sie Hesse an einer Stelle im Hinblick auf Goldmund sogar explizit formuliert: „die Abhängigkeit von Narziß und ihre Lösung – die Zeit der Freiheit und des Wanderns – und die Rückkehr, die Einkehr, den Beginn der Reife und der Ernte.“ Der schwärmerische Stil, angelehnt an die Romantik, wird verschiedentlich als sentimental-kitschig bemängelt, als Mittel zur märchenhaften Verklärung des Mittelalters.

Interpretationsansätze

  • Zwei Urprinzipien der Menschheit – verkörpert durch den Intellektuellen Narziß und den (Lebens-)Künstler Goldmund – werden in diesem Roman kontrastiert: bewusste und unbewusste Welt, Logos und Eros, Geist und Leben. Die Verbindung dieser Welten macht die Faszination des Romans aus.
  • Die Mutter als Quelle des Lebens, als Spenderin von Liebe, Wärme und Menschlichkeit ist eines der eindrücklichsten Motive im Roman. Als Urmutter ist sie ein Archetyp im Sinne von C. G. Jung. Sie vereint alle Gegensätze in sich, am Ende sogar den von Leben und Tod.
  • Das Buch steht ganz in der Tradition des Entwicklungsromans: Geschildert wird die äußere und innere Lebensentwicklung Goldmunds, angefangen von seinem Eintritt ins Kloster über seine Wanderschaft und sein Künstlertum bis zu seiner Rückkehr und seinen letzten Erkenntnissen zu Leben und Tod.
  • Gleichzeitig kann das Buch dem Genre des Schelmenromans zugeordnet werden: Ähnlich wie Simplicius in Grimmelshausens Der Abenteuerliche Simplicissimus wandert auch Goldmund durch die Welt, bezirzt das schöne Geschlecht, übertölpelt die Männer, zieht durch pestverseuchtes Gebiet und erlebt die Sinnenlust an der Schwelle des Todes.
  • Trotz des mittelalterlichen Milieus handelt es sich um einen modernen Roman, in dem tiefenpsychologische Themen anklingen: Goldmunds traumatische Verdrängung der Mutter, bewusst gemacht durch Narziß in der Funktion des psychoanalytischen Therapeuten, und deren Verarbeitung führen schließlich zur Selbstverwirklichung Goldmunds.
  • Der Einfluss der chinesischen Philosophie von Yin und Yang ist unübersehbar: Da ist zum einen das mütterliche, sinnliche Lebensprinzip, stellvertretend für das Yin-Element. Yin aber kann sich nur im Zusammenspiel mit Yang, dem männlichen Prinzip, verwirklichen, das Narziß verkörpert. Aus der Kombination beider Elemente erst entsteht schöpferische Kraft.
  • Hesse übt Kritik an der Bürgerlichkeit und spielt sie gegen das Leben eines Außenseiters und Künstlers aus: Der Sesshafte begnügt sich mit Oberflächlichkeiten, ist faul und satt, der Künstler dagegen ist lebenshungrig, ruhelos und auch zu so mancher Sünde fähig.

Historischer Hintergrund

Tiefenpsychologie und fernöstliche Philosophie

Die moderne Literatur setzte sich Anfang des 20. Jahrhunderts zum Ziel, Ursachen und Zusammenhänge neu zu begreifen und sichtbar zu machen. Die Psychoanalyse Sigmund Freuds, die damals Einzug in die deutschsprachige Literatur hielt, verschaffte den Künstlern entsprechendes Rüstzeug, mit dem man die Seele untersuchen und zergliedern konnte. Neben Freuds Theorie bot auch die Archetypenlehre von Carl Gustav Jung neue Möglichkeiten der Selbst- und Gesellschaftsanalyse. Jung begründete eine eigene tiefenpsychologische Richtung, die sich als Lehre von der psychischen Entwicklung und vom kollektiven Unbewusstsein versteht und sich so genannter Archetypen bedient, bestimmter Symbole wie z. B. das Kind, der Krieger, der Wanderer, Früchte, Hausbau, Feuer, Fluss, Kreis, Kreuz etc. Die Urmutter – als Anima ein wesentliches Leitbild in der Jung’schen Lehre – steht einerseits für die schützende, liebende und gütige Beschützerin, andererseits auch für Verführung und Zerstörung. Über die Beschäftigung mit den Archetypen, so Jungs Lehre, kann der Einzelne zum Einklang mit sich selbst finden.

Neben der psychoanalytischen Erforschung des Individuums trat in westlichen Gesellschaften etwa zur gleichen Zeit eine Unzufriedenheit mit ihrer Kultur zutage. Insbesondere nach dem katastrophalen Ersten Weltkrieg suchten viele Intellektuelle nach neuen, anderen Wertesystemen und gelangten etwa zur chinesischen Philosophie. Im chinesischen Kulturvolk glaubte man eine überlegene Zivilisation ausmachen zu können. Das deutsche Chinabild wurde nachhaltig von Richard Wilhelms Übersetzungen klassischer chinesischer Literatur wie Tao Te King oder I Ging geprägt. Etliche Romane und Theaterstücke entstanden aus diesem Zeitgeist heraus, z. B. Alfred Döblins Die drei Sprünge des Wang-lun (1915) oder Bertolt Brechts Der gute Mensch von Sezuan (1943).

Entstehung

Hesse begann den Roman Narziß und Goldmund im Frühjahr 1927, das Werk erschien 1929/30 als Vorabdruck in der Neuen Rundschau mit dem Untertitel „Geschichte einer Freundschaft“. 1930 brachte der S. Fischer Verlag den Roman als Buch heraus. Hesse selbst schrieb, es verbinde ihn eine besondere Beziehung zu diesem Werk. Wie in alle seine Erzählwerke hat er auch hier eigene Seelennöte eingearbeitet: vor allem das Problem des Gegensatzes zwischen Bürger- und Künstlertum. Hesse war zudem Patient eines Schülers von C. G. Jung und entsprechend beeinflusst von dessen Archetypenlehre: Das Motiv der Urmutter spielte schon in der Erzählung Demian (1919) eine wichtige Rolle. In Narziß und Goldmund ging Hesse noch einen Schritt weiter: Er verschmolz die Jung’schen Archetypen mit der chinesischen Yin-Yang-Philosophie zu einer Einheit. Ein wichtiger Zeitbezug des Romans ist die geschilderte Diskriminierung der Juden in Deutschland während der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Als Hesse das Buch schrieb, wurde in Deutschland bereits offen eine aggressive Rassentheorie verbreitet, die der Autor nicht nur aus moralischen Gründen ablehnte, sondern auch weil er sich damals mit der Jüdin Ninon Ausländer anfreundete, die er später heiratete.

Wirkungsgeschichte

„Teils ausgelacht, teils angespuckt, teils den sentimentalen Leserkreisen überlassen“, so schrieb Hermann Hesse 1947 über sich selbst, ein Jahr nach der Verleihung des Nobelpreises. Dies gilt auch für den Roman Narziß und Goldmund. War sich die bürgerliche Gesellschaft darüber einig, dass Hesses Steppenwolf (1927) ein dekadentes Machwerk war, so bejubelte sie umso mehr den Roman Narziß und Goldmund, der bald zu den erfolgreichsten Titeln Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte. Thomas Mann lobte das Buch als „Mischung aus deutsch-romantischen und modern-psychologischen, ja psychoanalytischen Elementen“. Bis heute bemängeln Literaturkritiker allerdings immer wieder den sentimental-kitschigen Stil des Romans und die märchenhafte Verklärung des Mittelalters. Dabei ist die vorgebliche Idylle durchaus von gewalttätigen Ereignissen gestört, insbesondere der Pest und der damit einhergehenden moralischen Verwahrlosung der Gesellschaft. Hesse nahm damit womöglich unbewusst die Schrecken des Dritten Reiches vorweg. Als unermüdlicher Verfechter des Friedens war der Autor seiner Zeit voraus. Nach seinem Tod wurde er oft als Moralist und Unterhaltungsliterat belächelt. Marcel Reich-Ranicki etwa spottete über die in Hesses Werk vorherrschende Mischung aus Romantik und Psychologie, aus lieblicher Idyllik und aufbegehrender Zivilisationsverachtung. Dies tat Hesses Beliebtheit insbesondere bei jüngeren Lesern keinen Abbruch, seine internationale Rezeption ist für einen deutschsprachigen Dichter einzigartig: Er ist der meistgelesene und meistübersetzte deutschsprachige Schriftsteller. Narziß und Goldmund gilt als sein erfolgreichster Roman.

Über den Autor

Hermann Hesse wird am 2. Juli 1877 im Schwarzwaldstädtchen Calw als Sohn des Missionars Johannes Hesse und der ebenfalls missionarisch tätigen Marie Gundert geboren. 1881 zieht die Familie nach Basel, wo der Vater die Schweizer Staatsangehörigkeit annimmt. Nach der Rückkehr nach Calw im Jahr 1883 besucht Hesse die Lateinschule in Göppingen. 1891 tritt er in das evangelische Klosterseminar in Maulbronn ein. Ein Jahr später flüchtet er jedoch von dort, um Dichter zu werden. Nach einem Selbstmordversuch besteht er 1893 das Einjährig-Freiwilligen-Examen (mittlere Reife) am Gymnasium in Cannstatt. Im gleichen Jahr beginnt er eine Buchhändlerlehre, die er jedoch nach nur drei Tagen hinwirft. Nach einer Ausbildung zum Mechaniker fühlt er sich wieder bereit für Geistiges und beendet die zweite begonnene Buchhändlerlehre erfolgreich. Nach den Gedichtsammlungen Das deutsche Dichterheim und Romantische Lieder bringt der Roman Peter Camenzind (1904) Hesse den Durchbruch als Autor. In diesem Werk und im zwei Jahre später fertiggestellten Unterm Rad (1906) verarbeitet er seine schlechten Erfahrungen aus der Schulzeit. 1911 unternimmt er die einzige große Reise seines Lebens, die ihn nach Ceylon und Sumatra führt. Die dort empfangenen Eindrücke werden für sein weiteres Werk sehr wichtig. 1916 erleidet er einen Nervenzusammenbruch. Der Grund ist der Tod seines Vaters und die voranschreitende Schizophrenie seiner Frau Maria Bernoulli. Hesse begibt sich in die psychotherapeutische Behandlung eines Schülers von C. G. Jung. Die Beschäftigung mit der Jung’schen Archetypenlehre findet ihren literarischen Niederschlag in der 1919 veröffentlichten Erzählung Demian und im Roman Narziß und Goldmund (1929/30). Hesses Bücher bekommen einen fernöstlich beeinflussten, meditativen Charakter, besonders Siddhartha (1922). 1927, zwischen seiner zweiten und seiner dritten Heirat, erscheint der Roman Der Steppenwolf. Während der NS-Herrschaft werden viele Bücher Hermann Hesses in Deutschland verboten. In dieser Zeit schreibt er sehr lange (1930–1943) an seinem großen Spätwerk Das Glasperlenspiel. 1946 erhält Hesse den Nobelpreis für Literatur, 1955 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Am 9. August 1962 stirbt Hermann Hesse in Montagnola in seiner Wahlheimat, der Schweiz.

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