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Marketing Die Crowd macht gleich

Viele Kunden entwerfen Autos, Schuhe oder T-Shirts nach eigenen Vorstellungen im Internet. Bei manchen Anbietern können sie ihre Kreationen vor dem Kauf auch in sozialen Netzwerken präsentieren. Meist ist das keine gute Idee.
aus Harvard Business manager 9/2013
Illustration: Patrick Mariathasan für Harvard Business Manager

Ob samtviolette Lackierung mit Perleffekt, Sitzbezüge aus mondsilbernem Alcantara oder die Vier-Wege-Lendenwirbelstütze für die Vordersitze: Der Online-Autokonfigurator von Audi lässt keine Wünsche offen. Die Angebote der Konkurrenz stehen dem allerdings keineswegs nach, denn Autokäufer lieben den maßgeschneiderten fahrbaren Untersatz: Nach Gesprächen, die wir mit Managern deutscher Premiumhersteller geführt haben, stellen heute mehr als 70 Prozent der Kunden vor dem Kauf ihr Fahrzeug mit einem Konfigurator zusammen.

Für Autohersteller sind die Selbstbauplattformen im Internet ein mächtiges Marketinginstrument. Doch die individualisierte Massenfertigung, auch "Mass Customization" genannt, ist inzwischen ein globales Phänomen, das alle Branchen durchzieht. Unseren Schätzungen zufolge, die auf Angaben aus der Industrie beruhen, sind weltweit mehr als 400 000 solcher Konfiguratoren im Einsatz. Schuhhersteller wie Nike und Adidas, Bekleidungsfirmen wie Threadless und selbst Spielwarenunternehmen wie Lego werben auf diese Weise um Kundschaft. Die Unternehmen treibt nicht nur der Servicegedanke, sondern auch die Hoffnung auf kräftige Mehreinnahmen. Die Konsumenten, so hat die Forschung gezeigt, geben für selbst kreierte Produkte mehr aus als für vorgegebene Designs.

Neuerdings ist es bei einigen Unternehmen sogar möglich, die individuelle Produktgestaltung mit sozialen Plattformen wie Facebook oder Twitter zu verknüpfen. Verbraucher können dann - noch während sie am Konfigurator basteln - die gewählten Spezifikationen weiterleiten und sich von Freunden und Bekannten beraten lassen. Bisher kaum untersucht hat die Wissenschaft allerdings die Frage, wie sich die Meinung des sozialen Umfelds auf die Gestaltung solcher Produkte auswirkt - und ob das externe Feedback wirklich den Nutzen für Kunden und Unternehmen erhöht.

Um Antworten zu finden, haben wir eine Studie mit einem europäischen Automobilhersteller durchgeführt. Wir wollten herausfinden, wie die Facebook-Gemeinde das Verhalten von Kunden bei der Fahrzeugkonfiguration beeinflusst. Den Konsumenten standen auf der Internetseite des Automobilunternehmens 14 Kategorien zur Auswahl, darunter beispielsweise Lampen, Innenausstattung und Sitze. In jeder Rubrik gab es durchschnittlich acht unterschiedliche Optionen. Ihre Wunschzusammenstellung veröffentlichten die Verbraucher auf Facebook, wo Mitglieder des Netzwerks ihre Meinung dazu äußern konnten. Danach hatten die Kunden die Möglichkeit, ihr Fahrzeugdesign noch einmal zu überarbeiten, bevor sie ihre Bestellung an den Händler abschickten.

Langweilige Designs

Wir erhielten Daten von 149 Kunden, die Rückmeldungen von Freunden auf Facebook bekommen hatten. Zum Vergleich schauten wir uns die Ergebnisse von 684 Kunden an, die ihre Bestellung ohne vorheriges Feedback abgegeben hatten. Es stellte sich heraus: Bei nahezu allen Käufern, die unter dem Einfluss der Community standen, war das bestellte Fahrzeug im Vergleich zum ursprünglich konfigurierten Automobil deutlich "langweiliger". Besondere Farben oder markante Ausstattungen beispielsweise, die anfänglich noch im Design enthalten waren, fielen bei der Endversion weg - stattdessen entschieden sich die Kunden dann doch für die marktüblichen Varianten.

Dies ist überraschend, herrscht doch landläufig die Überzeugung vor, dass das Internet die Vielfalt von Meinungen, Produkten und Dienstleistungen fördert. Tatsächlich aber übt die Community einen starken sozialen Druck aus. Dieser führt dazu, dass Kunden ihre Entwürfe dem Durchschnittsgeschmack anpassen. Soziales Feedback schränkt somit die Kreativität ein.

Doch welche Faktoren sind dabei ausschlaggebend? Und wie zufrieden sind die Kunden schließlich mit den angepassten Designs? Um unsere Ergebnisse besser zu verstehen, machten wir zwei weitere Experimente. Wir setzten dabei einen Konfigurator ein, mit dem Konsumenten ihren eigenen Schmuck entwerfen konnten. Außerdem entwickelten wir eine internetbasierte Community-Plattform, die wir mit dem Programm verknüpften.

Zunächst baten wir 1092 Frauen, Ohrringe zu kreieren. Zu ihren Entwürfen erhielten sie Feedback über die Community-Plattform. Allerdings kamen die Rückmeldungen nicht von anderen Verbrauchern, sondern waren vollständig computergeneriert. Auf diese Weise konnten wir die Art der Meinungsäußerung kontrollieren. Positive Kommentare versahen wir beispielsweise mit Smileys, und das Feedback kam von einer fingierten Person mit ähnlichem Vornamen, um zusätzlich Sympathie zu erzeugen. Zudem variierten wir den Grad unserer angeblichen Kompetenz: Wir gaben uns entweder als Schmuckdesigner oder Angestellte eines Einzelhandelsgeschäfts aus. Nachdem die Teilnehmerinnen unsere Einschätzung erhalten hatten, konnten sie ihre Ohrringe noch einmal überarbeiten, bevor sie ihre finale Version einreichten.

Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, bei der es keine Rückmeldungen gab, veränderte sich das Aussehen der Ohrringe zwischen dem ersten und dem letzten Entwurf deutlich mehr. Außerdem brauchten die Frauen weitaus länger, um ihr Design zum Abschluss zu bringen - mit dem sie zu allem Überfluss auch noch wesentlich unzufriedener waren. Einfluss hatte zudem die Art des Feedbacks: Gaben wir uns als Designer aus - und damit als besonders kompetent -, war die Abweichung vom Ursprungsdesign größer. Den gleichen Effekt erzielten wir, wenn wir unpersönlich und rüde kommunizierten.

Die Ergebnisse lassen einige interessante Schlussfolgerungen zu. So wirkt sich die persönliche Beziehung zwischen dem Kunden und seiner Community offenbar erheblich auf die Produktgestaltung aus. Vordergründig mag man erwarten, dass Personen, mit denen wir in einer engen freundschaftlichen Beziehung stehen, uns am stärksten beeinflussen. Tatsächlich zeigt unsere Untersuchung die besondere Macht von Ratgebern, die einem fremd sind und sich zudem noch sehr rüde äußern. Allerdings müssen weiterführende Studien zeigen, inwieweit dieses Muster sich über Produkte und Ausstattungen hinweg als stabil erweist. Die Vermutung liegt nahe, dass Konsumenten beispielsweise bei der Wahl einer Farbe für ein Fahrzeug ihrem eigenen Geschmack folgen, während sie bei komplexen technischen Ausstattungen eher dem Urteil anderer vertrauen.

Die Kunden scheinen sich des Einflusses, den das soziale Umfeld ausübt, bewusst zu sein. Sie erleben die sukzessive - sich möglicherweise über mehrere Diskussionsrunden erstreckende - Abweichung von ihren ursprünglichen Vorlieben mit einer gewissen Spannung. Diese schlägt sich in einer sinkenden Zufriedenheit mit dem konfigurierten Produkt nieder. Aus der Diskrepanz zwischen der eigenen Vorstellung und dem Feedback der Community entsteht ein Konflikt - "hier, was ich fühle, weiß und möchte, dort, was mir mein Umfeld sagt".

Die Folge: Die Wertschätzung der eigenen Produkte sinkt - wie deutlich, das zeigte unser zweites Ohrringexperiment. Dafür ließen wir die Schmuckstücke produzieren, die 46 Teilnehmerinnen entworfen hatten, und schenkten sie ihnen. Drei Wochen später riefen wir sie an, um ihnen ein Kaufangebot zu unterbreiten. Diejenigen, die während des Designprozesses kein Feedback erhalten hatten, trugen ihre Ohrringe nicht nur dreimal häufiger, sie waren ihnen auch erheblich mehr wert. Im Schnitt verlangten sie 40 Schweizer Franken für den Schmuck. In der durch Feedback beeinflussten Gruppe waren es gerade einmal 14 Schweizer Franken.

Fazit

Was bedeuten diese Ergebnisse für Unternehmen? Klar ist: Feedbackfunktionen können in sozialen Netzwerken dazu beitragen, die Bekanntheit einer Marke zu erhöhen und auf Produkte aufmerksam zu machen. Doch Hersteller sollten vorsichtig sein, wenn sie Online-Konfiguratoren mit Facebook und Co. verknüpfen. Zumeist erzielen Unternehmen bei Mass-Customization-Programmen ihre Gewinnmargen über die außergewöhnlichen und dementsprechend teuren Ausstattungskomponenten - doch diese wählen die Kunden durch den Einfluss ihres sozialen Umfelds seltener aus. Damit sinkt der Wert der bestellten Produkte.

Was in den Studien außerdem deutlich wurde: Soziale Netzwerke scheinen keine Medien zu sein, die der Welt in dieser Hinsicht kreativere Produkte bescheren. Sie können im Gegenteil dazu beitragen, Einheitsdesigns zu befördern, die sich am Massengeschmack orientieren. © 2013 Harvard Business Manager

Dieser Artikel erschien erstmals in der September-Ausgabe 2013 des Harvard Business manager.

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