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Phädon

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Phädon

oder über die Unsterblichkeit der Seele

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10 take-aways
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What's inside?

Antike Philosophie im neuen, aufklärerischen Gewand.

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Antike Philosophie im aufklärerischen Gewand

Der Mensch strebt nach Vollkommenheit und verlässt die Welt immer besser, als er sie betreten hat – ein ausgesprochen positives Menschenbild, das den antiken Denker Sokrates und den jüdischen Aufklärer Mendelssohn über die Jahrhunderte hinweg verband. Mendelssohn stützt sich auf Platons Phaidon, um das Thema Unsterblichkeit der Seele vor dem Hintergrund neuerer philosophischer Ansätze zu diskutieren. Dazu wählt er zwei argumentative Linien: Während der metaphysische Weg einige Schwächen aufweist, die schon sein Zeitgenosse Kant aufdeckte, hat das moralphilosophische Argument, dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod das Zusammenleben der Menschen vereinfacht, bis heute seinen Reiz. Mendelssohn erweist sich als genauer Beobachter der menschlichen Psyche, wobei er Schwächen wohlwollend ausdeutet und seinen Sokrates mit einer solchen Begeisterung von der Vervollkommnung des Menschen erzählen lässt, dass er den Leser mitreißt – ob der nun an die Unsterblichkeit der Seele glaubt oder nicht. Daraus erklärt sich der Erfolg des Werks unter Zeitgenossen, und dieser Enthusiasmus ist es auch, der Mendelssohns Phädon noch immer lesenswert macht.

Take-aways

  • Mendelssohns Phädon gehört zu den meistgelesenen philosophischen Werken der Aufklärung.
  • Inhalt: Sokrates diskutiert am Tag vor seiner Hinrichtung mit seinen Freunden über die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele. Man bittet ihn, Beweise für ein Weiterleben der Seele anzuführen und zu erklären, wie dieses aussieht. Dies tut Sokrates. Dann trinkt er, in der Überzeugung seiner Unsterblichkeit, den Giftbecher leer und stirbt.
  • Mendelssohns Ausgangspunkt ist die Frage: Wenn Sokrates heute leben würde, was würde er zum Thema Unsterblichkeit der Seele sagen?
  • Anlass zum Verfassen des Werks war eine Diskussion Mendelssohns mit dem Mathematiker Thomas Abbt über die Bestimmung des Menschen.
  • Mendelssohn übernahm für sein Werk Teile aus Platons Dialog Phaidon, ersetzte aber auch ganze Abschnitte durch seine eigenen Ausführungen.
  • Zudem griff er auf Vordenker wie Wolff, Descartes und Leibniz zurück.
  • Der Phädon brachte Mendelssohn den Beinamen „deutscher Sokrates“ ein.
  • Mendelssohns Kollegen Kant und Herder kritisierten verschiedene Punkte des Werks.
  • Mendelssohn diente Lessing als Vorbild für die Figur des Nathan in Nathan der Weise.
  • Zitat: „Oh nein, meine Freunde! Nicht umsonst hat uns die Vorsehung ein Verlangen nach ewiger Glückseligkeit eingegeben: Es kann und wird befriedigt werden.“

Zusammenfassung

Einleitung

Nach Sokrates’ Tod will Echekrates von Phädon, der in den letzten Tagen beim Philosophen war, wissen, wie der Tag vor der Hinrichtung verlaufen ist und worüber sich Sokrates zuletzt mit seinen Freunden unterhalten hat. Wie Phädon berichtet, wurde Sokrates nicht sofort nach dem Todesurteil hingerichtet. Denn zu dieser Zeit fanden Feierlichkeiten statt und in der Stadt sollte kein Blut vergossen werden. Sokrates’ Freunde waren traurig, ihn bald verlieren zu müssen, aber auch froh, noch etwas Zeit mit ihm verbringen zu können.

Sich auf den Tod freuen

Das Gespräch zwischen Sokrates und seinen Freunden kam auf das Thema Selbstmord. Sokrates zufolge ist dieser von den religiösen Gesetzen zu Recht verboten. Der Mensch sei Gottes Eigentum, das dieser mit besten Absichten geschaffen und mit Vernunft und anderen Gaben ausgestattet habe. Der Mensch habe die Pflicht, sein Leben nach Kräften zu erhalten. Dennoch müsse jeder Weise einem Sterbenden gern folgen wollen. Cebes wollte wissen, wie Sokrates zu dieser Überzeugung kam. Sokrates erläuterte: Im Tod wird die Seele vom Leib getrennt. Der Weisheitsliebende gibt allerdings sein ganzes Leben lang nicht viel auf das Körperliche. Wollust, üppige Speisen, prächtige Kleider und Überfluss interessieren ihn nicht. Die Sinne helfen nur selten bei der Suche nach Wissen und Wahrheit, sondern trügen uns oft. Konzepte wie das der Vollkommenheit erkennen wir nicht durch äußere Anschauung, sondern indem wir sie aus uns selbst ableiten. Solange die Seele an den Körper gebunden ist, kann sie nie ganz zur Wahrheit vordringen. Krankheit, Sorge um den Unterhalt, Liebe oder Wünsche halten sie immer wieder auf. Erst der Tod befreit uns davon und die Seele kann endlich frei zur Weisheit streben. Im Leben bereitet sich der Weise darauf vor und freut sich auf diese Freiheit. Da der Weise also sein ganzes Leben gewissermaßen sterben lernt, wäre es lächerlich, wenn er dem Tod dann voller Furcht begegnen würde. Wer Angst vor dem Tod hat, ist kein Weisheitsliebender, sondern hängt am Körper und an Äußerlichkeiten.

Der Begriff der Veränderung

Cebes gefielen die von Sokrates präsentierten Vorstellungen, doch fehlte ihm der Beweis, dass nach dem Tod tatsächlich noch etwas kommt, dass die Seele ohne den Körper fortbestehen kann. Diesen Beweis wollte Sokrates erbringen. Der Tod sei eine natürliche Veränderung, sagte er. Eine Veränderung bedeutet, dass eine Eigenschaft eines Gegenstands durch eine andere, entgegengesetzte abgelöst wird. Eine verwelkte Rosenblüte ist nicht mehr schön, sondern hässlich; aus Tag wird Nacht. Cebes warf ein, dass dieser Wechsel nicht plötzlich geschieht, sondern nach und nach. Tatsächlich, erklärte Sokrates, muss es immer einen Übergang, ein Mittelmaß zwischen den entgegengesetzten Zuständen geben. Die Kräfte der Natur sind ununterbrochen am Werk und bringen unaufhörlich, wenn auch manchmal unbemerkt, Veränderungen hervor. Die Zeit läuft in einem fort, und zwischen jeden zwei Augenblicken gibt es einen weiteren, der den Übergang bildet.

Langsames Vergehen statt plötzlicher Vernichtung

Im Körper, fuhr Sokrates fort, gehen ständig Veränderungen vor, die entweder in Richtung seiner Gesundheit oder aber seiner Krankheit und seines Vergehens wirken. Da es, wie gezeigt, nie eine klare Trennung zwischen Sein und Nichtsein geben kann, sondern immer ein Übergang bestehen muss, kann die Natur nicht wirklich vernichten. Die Teile des Körpers vergehen nach und nach, zerfallen und werden etwas anderes: Staub oder Nahrung für Pflanzen. Man kann daher keinen Zeitpunkt festlegen, an dem Leben zu Tod wird, genauso wenig wie man eindeutig den Morgen oder den Abend festlegen kann. Der Körper vergeht vom Tag seiner Geburt an und ist nie vollständig fort.

Das Vergehen der Seele

Wenn die Seele stirbt, kann dies theoretisch entweder plötzlich oder allmählich geschehen. Plötzliches Vergehen ist praktisch aber unmöglich, denn in der Natur wird nie etwas vernichtet. Gott könnte zwar plötzlich etwas vernichten, kann es aber aufgrund seiner Güte nicht wollen. Genauso wie man unmöglich einen Zeitpunkt des Todes festlegen kann, kann man nie eindeutig sagen, wann sich die Seele vom Körper trennt. Sie muss sich also allmählich von ihm trennen. Sie wird gemeinsam mit dem Körper schwächer, und wenn er fort ist, hat sie keine Maschine mehr zu beseelen. Dennoch besitzt die Seele weiterhin ihre Gedanken und Gefühle, denn wie gezeigt, kann sie nicht plötzlich vernichtet werden. Sie hat auch weiter Begriffe, obwohl das für uns unmöglich scheint, da Begriffe nach unserer Erfahrung nur von sinnlichen Eindrücken stammen können. Allerdings können wir über das Leben nach dem Tod nichts wissen: Wie ein Kind im Mutterleib können wir uns einfach nicht vorstellen, dass es ein Jenseits gibt. Auch nach dem Tod des Körpers strebt die Seele nach Glückseligkeit, denn was einen Willen hat, muss unweigerlich dieses Ziel verfolgen. Doch was führt dorthin? Liebe, Essen, Wollust gibt es für die Seele nicht, daher bleiben nur Weisheit und Tugend und die Freude an Schönheit und Vollkommenheit als Wege zu Glückseligkeit. Darauf arbeitet der Weise schon im Leben hin, denn das erlaubt ihm einen kleinen Blick auf Gott, den Inbegriff von Schönheit und Vollkommenheit. Wer all das erkennt, schloss Sokrates, kann dem Tod nur freudig entgegensehen, und wer tugendhaft gelebt hat, hat nichts zu befürchten.

Zwei Einwände

Cebes und Simmias hatten Fragen und Einwände zu Sokrates’ Argumenten. Simmias glaubt fest an die Unsterblichkeit der Seele. Dennoch wollte er überzeugende Vernunftgründe hören, die auch den letzten Zweifel beseitigen sollten. Sokrates’ Argument, dass die Seele, wenn sich der Körper auflöst, nicht vernichtet werden kann, weil die Natur nie etwas vollständig vernichtet, scheint nicht zwingend. Schließlich müsste man dann auch sagen, dass die Symmetrie eines Hauses, als ähnliche Eigenschaft wie das Denken des Körpers, nach dessen Zerstörung fortbesteht, was aber offenbar nicht der Fall ist. Dasselbe gilt für die Harmonie oder die Gesundheit: Sie kommen zusammengesetzten Dingen zu – fallen diese auseinander, hören auch die Eigenschaften auf zu existieren. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Gott die Seele einzeln erschaffen und locker mit dem Körper verbunden hat, doch darüber haben wir keine Gewissheit. Vielmehr scheint die Seele existenziell mit dem Körper verbunden zu sein; ihre Gesundheit steht in direktem Zusammenhang zu der des Körpers, sodass es scheint, dass beide dasselbe sind. Auch Cebes hatte einen Einwand: Er wollte wissen, auf welche Weise genau die Seele weiterlebt. Wenn etwa das Leben nach dem Tod wie ein Dämmerschlaf wäre, ohne neue Eindrücke und Ideen, ohne Erinnerung, dann wäre dieser Zustand doch nicht erstrebenswert und nichts, worauf man sich freuen sollte. Sokrates musste nun erklären, warum man darauf hoffen sollte, dass nach dem Tod auch ohne Bewusstsein ein besseres oder auch nur erstrebenswertes Leben wartet.

Die Seele als einfache Substanz

Sokrates antwortete: Vielleicht ist die Seele kein einzelnes, geschaffenes Wesen, sondern nur ein Vermögen des zusammengesetzten Körpers, das mit dessen Demontage aufhört zu existieren. Zusammengesetztes kann nur Wirkungen haben, die in den Wirkungen seiner Teile begründet sind, zum Beispiel in Form von Bewegung. Allerdings kann ein Ganzes Eigenschaften haben, die die Teile nicht besitzen, weil diese Eigenschaften nur im Zusammenschluss mehrerer Teile entstehen, zum Beispiel die Symmetrie. Das Vermögen, zu empfinden und zu denken, muss eines von beiden sein: Entweder beruht es auf den Wirkungen der Teile oder es ergibt sich aus deren Anordnung. Harmonie und Symmetrie sind Eigenschaften, die nur in der Betrachtung eines denkenden, ordnenden Wesens zustande kommen. Diese Art von Eigenschaft setzt also ein solches verbindendes Wesen voraus. Da eine Sache nie aus ihren eigenen Wirkungen entstehen kann, ist es unmöglich, dass die Seele eine Eigenschaft im obigen Sinn ist.

„Mich dünkt, wer reisen will, habe Ursach, sich nach der Beschaffenheit des Landes, dahin er zu kommen gedenkt, wohl zu erkundigen, um sich einen richtigen Begriff davon zu machen.“ (Sokrates, S. 98)

Bleibt die Möglichkeit, dass die Seele, wie Bewegung oder Ausdehnung, eine Tätigkeit des Körpers ist. Diese Tätigkeiten ergeben sich aus den Wirkungen der Bestandteile des Körpers und können der Wirkung des Ganzen, Zusammengesetzten entweder unähnlich oder ähnlich sein. Im ersten Fall ist wieder ein verbindendes Wesen nötig, das die unähnlichen Tätigkeiten zusammenführt – diese Lösung muss aufgrund des eben ausgeführten Arguments aber verworfen werden. Als zweite Option könnte es verschiedene Teile geben, die Vorstellungskraft besitzen und die zusammen die Seele ergeben. Kann man sich aber vorstellen, dass alle Begriffe und Ideen, die wir haben, in unserem Körper verteilt sind? Nein, denn sie sind alle miteinander verbunden. Deshalb müssen wir eine einfache, unausgedehnte (denn das Ausgedehnte ist teilbar und nicht einfach) Substanz annehmen – die Seele. Dass die Seele keine Eigenschaft des Körpers sein kann, zeigt sich auch auf andere Weise: Unsere Gefühle und Gedanken sind mehr als körperliche Äußerungen: Freundschaft oder Gottesfurcht können nicht rein körperliche Vorgänge sein.

Der Endzweck der Schöpfung

Alle Dinge erhalten ihre Schönheit, Ordnung und Harmonie erst durch das Eingreifen denkender Wesen. Alles Leblose, alle Dinge sind Werkzeuge für das Lebendige. Das Leblose befindet sich in ständigem Fluss und verändert sich unablässig, es dauert nur in Beziehung zum Lebendigen fort. Es gibt zwei Klassen von Lebendigem: die sinnlich empfindenden Tiere und die denkenden Menschen. Die Tiere haben Gefühle und Triebe, die sie zu ihrer Erhaltung, Bequemlichkeit und Fortpflanzung motivieren. Sie haben eine Seele, und das Leblose dient ihnen. Allerdings streben sie nicht nach Vollkommenheit oder danach, über sich hinauszuwachsen. Sie lernen nicht aus eigenem Antrieb. Deswegen sind sie nicht der Endzweck von Gottes Schöpfung und dienen anderen, die eine höhere Bestimmung haben: den vernunftbegabten Wesen, die von sich aus nach Vollkommenheit streben und in der Gemeinschaft mit anderen das Ziel der Glückseligkeit verfolgen. Der Mensch kommt der Vollkommenheit am nächsten, wenn er sich einen Begriff von Gott macht, ihn als Urheber aller Dinge erkennt und versteht, dass es Gott gefällt, wenn er tugendhaft lebt. Nur so erreicht der Mensch Glückseligkeit. Das Streben nach Vollkommenheit, das die denkenden Wesen ausmacht, ist der Endzweck der Schöpfung. Die Welt ist nur geschaffen worden, um diesem Zweck zu dienen. Wie, fragte Sokrates, soll da der Tod das Ende dieses Strebens sein?

Folgen des fehlenden Glaubens

Ein Mensch, der denkt, der Tod sei das Ende, ist bemitleidenswert. Jeder Moment seines Lebens wird von der Furcht vor dem Tod überschattet und er hat im Elend keinen Trost, keine Hoffnung auf spätere Glückseligkeit. Sein eigenes Leben ist sein höchstes Gut, das er um keinen Preis in Gefahr bringen will – verständlicherweise. Natürlich kann es auch Helden geben, die ohne den Glauben an ein ewiges Leben ihr eigenes opfern. Doch sie tun es aufgrund von Gefühlen und nicht, weil der Verstand es ihnen rät. Nur wer an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, gibt sein Leben gern für einen höheren Zweck. Gibt es diesen Glauben nicht, kommt es zu einem Konflikt: Das Vaterland hat das Recht, von seinen Bürgern zu verlangen, dass sie zu seinem Schutz ihr Leben gefährden. Doch demjenigen, für den sein Leben das höchste Gut ist, müssen wir auch zugestehen, dass er es um jeden Preis schützt, sogar um den Preis der Vernichtung des Vaterlands. Nur der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele kann diesen moralischen Konflikt lösen.

„Das wissen vielleicht die wenigsten, meine Freunde! dass, wer sich der Liebe zur Weisheit wahrhaftig ergeben, seine ganze Lebenszeit dazu anwendet, mit dem Tode vertrauter zu werden, sterben zu lernen.“ (Sokrates, S. 102)

Wenn es die Unsterblichkeit nicht gäbe, könnte auch Gottes Vorsehung geleugnet werden. Denn wenn dieses eine Leben alles ist, werden die Widersprüche zwischen Gottes Güte und dem Leid und der Ungerechtigkeit unüberbrückbar. Nur mit der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod wird das diesseitige Leid erträglich. Wenn man das ewige Leben der Seele ganz überblicken könnte, wären die Leiden nur kurzzeitige Episoden, die im Gesamtbild zu vernachlässigen sind. Das ganze System der Moral, der Rechte und Pflichten wäre hinfällig ohne die Unsterblichkeit der Seele. Zudem widerspräche es allen Eigenschaften Gottes, wenn der Tod das Ende wäre. Wie das Leben nach dem Tod aussieht, können sich die Poeten ausmalen, sagte Sokrates. Für ihn stand jedoch fest, dass ihn Glückseligkeit erwartet und dass dazu Mäßigung, Liebe und die Erkenntnis Gottes gehören.

Abschied von Sokrates

Sokrates verabschiedete sich von seinen Freunden und wies sie an, den Gifttrank bringen zu lassen. Die Freunde waren untröstlich, weil Sokrates für sie wie ein Vater war. Er erklärte gelassen, dass er nicht länger warten wolle. Nachdem er den Becher ausgetrunken hatte, legte er sich hin, um auf die tödliche Wirkung zu warten. Seine Freunde weinten offen, doch er bat sie, das zu unterlassen. Kurz darauf starb er.

Zum Text

Aufbau und Stil

Mendelssohns Phädon besteht, wie das antike Vorbild, Platons Phaidon, aus drei Gesprächen zwischen Sokrates und seinen Anhängern, denen der Autor eine Vorrede und eine kurze Abhandlung zu Sokrates’ Leben und Charakter vorausschickt. In Anlehnung an das antike Original baut Mendelssohn seine Argumentation im ersten Gespräch schrittweise auf und lässt Cebes und Simmias Einwände vorbringen, die im zweiten und dritten Gespräch entkräftet werden. Das Ganze ist in eine Rahmenhandlung eingebunden: Phädon erzählt Echekrates von Sokrates’ letztem Tag. Zwischendurch kommentieren die beiden das Dargestellte. Der Stil ist gut lesbar, die Argumente nachvollziehbar. Das Verhältnis zum Original beschrieb Mendelssohn in seiner Vorrede wie folgt: „Meine Absicht war nicht, die Gründe anzuzeigen, die der griechische Weltweise zu seiner Zeit gehabt, die Unsterblichkeit der Seele zu glauben; sondern was ein Mann, wie Sokrates, der seinen Glauben gern auf Vernunft gründet, in unsern Tagen, nach den Bemühungen so vieler großer Köpfe, für Gründe finden würde, seine Seele für unsterblich zu halten. Auf solche Weise ist folgendes Mittelding zwischen einer Übersetzung und eigenen Ausarbeitung entstanden.“

Interpretationsansätze

  • Mendelssohns Phädon enthält zwei Beweislinien für die Unsterblichkeit der Seele: Der metaphysische Beweis beruht auf der Untersuchung der Seele als einfacher, unteilbarer Substanz in Gegenüberstellung zu körperlichen, zusammengesetzten Gegenständen. Der moralphilosophische Ansatz soll die Unsterblichkeit der Seele beweisen, indem gezeigt wird, dass dies eine unverzichtbare Grundannahme für das Gelingen des menschlichen Zusammenlebens ist. Dass das Thema Unsterblichkeit der Seele dennoch nie rein nüchtern betrachtet werden kann, zeigt das Ende des dritten Gesprächs: Sokrates’ Zuhörer sind von seinen Argumenten überzeugt, dennoch betrauern sie offen seinen Tod.
  • Sokrates scheint oft unentschlossen, ob er einen Substanzdualismus oder -monismus vertritt, das heißt, ob Körper und Seele zwei vollkommen unabhängig existierende Wesenheiten sind oder ob das eine nicht doch Teil des anderen ist.
  • Beinahe beiläufig greift Mendelssohn zeitgenössische Debatten auf, so etwa die um den Gesellschaftsvertrag oder das Theodizeeproblem.
  • Viele der Annahmen, auf die Mendelssohns Sokrates seine Argumente gründet, stehen auf tönernen Füßen: etwa die, dass der Mensch der Endzweck der Schöpfung ist, oder die Ansicht, dass Gott um das Wohl des Menschen besorgt ist – hier räumt er selbst ein, dass diese These von manchen, er meint wohl Spinoza, geleugnet wird.
  • Mendelssohn war Rationalist: Er war überzeugt, der Verstand allein führe zur Wahrheit. Alles körperlich Wahrnehmbare führe dagegen nicht zu sicheren Erkenntnissen.
  • Das Werk und die vorangehende Auseinandersetzung mit Thomas Abbt war ein erster Schritt auf dem Weg zur Spinozismus-Debatte, in die mehrere Philosophen der Aufklärung, darunter Lessing und Jacobi, direkt oder indirekt verwickelt waren und in der es, vereinfacht gesagt, um die Frage ging, ob die Lehre Spinozas atheistisch sei.
  • Zwischen dem Aufklärer Mendelssohn und Sokrates finden sich zahlreiche Parallelen: Sie beide sahen die Aufgabe der Philosophie in einer tatsächlichen Verbesserung des Lebens und forderten die Menschen zum selbstständigen Denken auf.

Historischer Hintergrund

Die deutsche Aufklärung

Die Bestimmung des Menschen im Verhältnis zu Religion, Politik und Umwelt war ein Hauptanliegen der Philosophie des 18. Jahrhunderts. Zahlreiche Umbrüche, gesellschaftliche wie wissenschaftliche, führten dazu, dass traditionelle Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Daseins zunehmend skeptisch betrachtet wurden. Aus Frankreich und England strömten die Ideen der Aufklärung nach Deutschland, wo sie von Denkern wie Immanuel Kant, Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. Nach dem Ende der Scholastik begannen sich die Philosophen wieder auf die alltäglichen Probleme der Menschen und damit auch auf ihre Sprache zu besinnen. Statt nur traditionelles Wissen und geistige Autoritäten zu befragen und ihre Erkenntnisse zu wiederholen, forderten die Aufklärer dazu auf, selbst zu denken.

Kant formulierte vier Fragen, die das Themenspektrum der Aufklärer umrissen: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“ Wichtige Anliegen der Bewegung waren der Kampf gegen Vorurteile, eine tolerante Haltung in Religionsfragen, eine Orientierung am Naturrecht und die Krönung der Vernunft als universeller Urteilsinstanz. Daraus resultierten Forderungen nach Meinungsfreiheit, Menschenrechten, Handlungsfreiheit und ein optimistisches Menschen- und Zukunftsbild.

Entstehung

Mendelssohn entwickelte den Plan zu einer Übertragung von Platons Phaidon schon rund 15 Jahre vor der Veröffentlichung, erhielt aber erst durch die Korrespondenz mit dem Mathematiker Thomas Abbt den letzten Anstoß zur Umsetzung. Mit Bezugnahme auf Johann Joachim Spaldings Werk Betrachtung über die Bestimmung des Menschen warf Abbt Mendelssohn gegenüber die Frage auf, wie der Mensch erkennen könne, was seine Bestimmung sei. Mendelssohn antwortete, der Mensch verbessere sich von allein immer weiter, er könne gar nicht anders und folge damit schon seiner Bestimmung. Der Phädon sollte der weiteren Diskussion mit Abbt als Grundlage dienen, doch der Freund starb noch vor der Fertigstellung.

Das Werk ist eine Neufassung von Platons Dialog Phaidon. Vom ersten Gespräch des antiken Originals hat Mendelssohn viel übernommen, im zweiten hat er aktuellere Erkenntnisse berücksichtig, im dritten die Diskussion vollends an den zeitgenössischen Forschungsstand angepasst. Das Ergebnis ist eine Mischung aus einer Übersetzung und einer eigenständigen Schrift. Neben Platon verarbeitete Mendelssohn die Gedanken einer Vielzahl weiterer Vordenker – er selbst nennt Plotin, René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Wolff, Alexander Gottlieb Baumgarten und Hermann Samuel Reimarus als wichtige Einflüsse.

Wirkungsgeschichte

Mendelssohns Werk wurde von verschiedenen Seiten kritisiert. Berühmt wurden die Einwände seiner Zeitgenossen Immanuel Kant und Johann Gottfried Herder. Kants Kritik setzte an einer Schlussfolgerung Mendelssohns an, die die Unsterblichkeit der Seele belegen sollte: Von „In der Natur gibt es keine plötzliche Vernichtung“ gelangte Mendelssohn zu „In der Natur gibt es gar keine Vernichtung“. Kant sagte, man könne durchaus ein langsames Abbauen des Bewusstseins annehmen, bis dieses so nahe bei null sei, dass man es mit dem Tod gleichsetzen könne. Obwohl er das metaphysische Argument angriff, erkannte Kant den Wert der Annahme einer unsterblichen Seele in moralischen Fragen an. Herders Kritik setzte dagegen bei Mendelssohns These von der Vervollkommnung der Seele als Zweck des menschlichen Daseins an. Statt einer stufenweisen, stetigen Verbesserung nahm er eine zirkuläre, kontextabhängige und damit relative Vervollkommnung an. Er ging davon aus, dass sich die Seele nach dem Tod des Körpers einen neuen Körper schaffe, da sie zum Zweck der Selbstvervollkommnung sinnliche Eindrücke brauche.

Dieser Kritik ungeachtet war der Phädon ein beachtlicher Publikumserfolg: Das Buch wurde wegen der großen Nachfrage mehrfach neu aufgelegt und in zehn Sprachen übersetzt. Als eine der meistgelesenen philosophischen Schriften der Aufklärung brachte es Mendelssohn den Beinamen „deutscher Sokrates“ ein.

Mendelssohns Phädon ist darüber hinaus Teil einer Debatte, die keineswegs so abgeschlossen ist, wie es auf den ersten Blick scheint: Der Zusammenhang zwischen Leib und Seele, oder heute besser Körper und Geist, wird etwa beim Thema Willensfreiheit oder in der Diskussion um das phänomenale Bewusstsein noch immer diskutiert, und einige von Mendelssohns Argumenten verursachen Philosophen bis heute Kopfzerbrechen.

Über den Autor

Moses Mendelssohn wird am 6. September 1729 in Dessau in bescheidenen Verhältnissen geboren. Seine jüdischen Eltern ermöglichen ihm eine gute Ausbildung. 1743 folgt er seinem Mentor Rabbi Fränkel nach Berlin, wo er die neu gegründete Talmudschule besucht. Mendelssohn, dessen Muttersprache Jiddisch ist, lernt Deutsch, Latein, Französisch und Englisch, liest Wolff, Locke und Leibniz und wird ein Anhänger der Aufklärung. Ab 1750 arbeitet er als Hauslehrer und Buchhalter für einen Seidenhändler. Mendelssohn steigt zum Geschäftsführer und Betriebsleiter auf. Sein Bekannter Gotthold Ephraim Lessing ermöglicht ihm die anonyme Publikation erster Schriften und macht ihn mit Friedrich Nicolai bekannt. Gemeinsam geben die drei die Briefe, die neueste Literatur betreffend heraus. 1763 kann er sich bei einem Wettbewerb der Königlichen Akademie mit einem philosophischen Aufsatz gegen Immanuel Kant behaupten. Wegen seines Phädon (1767), einer Neufassung eines platonischen Dialogs, wird er von Zeitgenossen „deutscher Sokrates“ genannt. Der Schweizer Pfarrer Johann Caspar Lavater bricht 1770 einen Streit vom Zaun, indem er Mendelssohn auffordert, entweder Beweise gegen das Christentum anzuführen oder selbst Christ zu werden. Die folgende öffentliche Debatte verlangt Mendelssohn viel ab: Er erleidet infolge des Drucks einen Zusammenbruch. In den folgenden Jahren beschäftigt er sich unter anderem mit religiösen Übersetzungen, wobei er sich für Toleranz starkmacht und seinem Bekannten Lessing sogar zum Vorbild für die Figur des Nathan in Nathan der Weise dient. Als Lessing nach seinem Tod von Friedrich Heinrich Jacobi als Spinozist verunglimpft wird, ergreift Mendelssohn leidenschaftlich Partei für seinen Freund. Die Debatte geht als Pantheismusstreit in die Philosophiegeschichte ein. Mendelssohn engagiert sich in der Gesellschaft der Freunde der Aufklärung und verfasst Schriften zu zentralen aufklärerischen Themen. Er stirbt am 4. Januar 1786 in Berlin.

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