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Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen

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Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen

Verlag der Weltreligionen,

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10 take-aways
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What's inside?

Glaube und Logik lassen sich vereinen: eine erstaunliche Toleranzschrift aus dem zwölften Jahrhundert.

Literatur­klassiker

  • Religion
  • Mittelalter

Worum es geht

Der überragende Denker des zwölften Jahrhunderts

Dass es mit Peter Abaelard nicht gut enden würde, war vorhersehbar. Zur privaten Katastrophe – der Entmannung durch den Onkel einer Schülerin, die er geschwängert hatte – kam die Ächtung durch die katholische Kirche. Abaelard wagte es, in seinem Werk die Widersprüchlichkeiten der Bibel und der Lehrmeinungen der Kirchenväter fein säuberlich einander gegenüberzustellen. Zudem gelang es ihm immer wieder, seine Gegner mit brillanter Rhetorik an die Wand zu spielen. Welche Blamage für die Kirche – und welch guter Vorwand, ihn mundtot zu machen. In seinem Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen entwarf Abaelard eine der ersten religiösen Toleranzschriften der Literatur- und Kirchengeschichte. Darin offenbart sich in aller Deutlichkeit sein Programm: Religion muss mit Verstand, mit vernünftigen Gründen gerechtfertigt werden; blinder Glaube ist nicht sinnvoll. Abaelards Versuch, die Freiheit des menschlichen Verstandes vor der Bevormundung durch die Kirche zu retten, ist nach wie vor äußerst lesenswert.

Take-aways

  • Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen ist eine Toleranzschrift aus dem frühen zwölften Jahrhundert.
  • Inhalt: Ein Philosoph, ein Jude und ein Christ diskutieren darüber, welche Religion sich mit der gottgegebenen Vernunft am besten vereinbaren lässt. Dabei kommt heraus, dass das Judentum vor allem von der Tradition lebt und auf das Diesseits ausgerichtet ist. Der Philosoph und der Christ dagegen konzentrieren sich auf die Tugend sowie auf die jenseitige Glückseligkeit und kommen zum Schluss, dass das Christentum die Grundlagen der Philosophie einschließt.
  • Das Gespräch ist die Vision eines Ich-Erzählers, der unvoreingenommen zuhört – und mit ihm der Leser.
  • Die fragende Instanz im Gespräch ist allein der Philosoph. Damit macht Abaelard die Vernunft zum Maß der Dinge.
  • Abaelards Motto lautet „Verstehen, um zu glauben“. Damit wendet er sich explizit gegen den religiösen Gehorsam.
  • Abaelard stimmt nicht in den Antisemitismus seiner Zeit ein und widerspricht der These, dass die Juden für den Tod Jesu verantwortlich seien.
  • Ein Richtspruch über die Religionen bleibt aus. Es wird vermutet, dass der Verfasser mit dieser Zurückhaltung für Toleranz werben wollte.
  • Ab dem 13. Jahrhundert geriet der von seinen Schülern gefeierte Philosoph und Theologe in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert erlebte er eine Renaissance.
  • Abaelards Schriften wurden vom Papst verbrannt. Er selbst wurde wegen einer skandalösen Liebesbeziehung entmannt.
  • Zitat: „Denn von keinem Menschen darf gesagt werden, er sei gut, außer von dem, der mit guter Moral ausgestattet ist.“

Zusammenfassung

Die Suche nach der Wahrheit

In einer nächtlichen Vision begegnen dem Erzähler drei Männer: ein Philosoph, ein Jude und ein Christ. Sie wollen ihn zum Richter in einem Streit machen, in dem es um die Frage geht, welche Religion am meisten mit der von Gott gegebenen menschlichen Vernunft in Einklang steht. Die beiden Religionsvertreter verbindet, dass sie an einen einzigen Gott glauben. Über die Art und Weise, wie sie ihm dienen, und über die religiösen Gesetze streiten sie jedoch.

„Ich habe es erfahren, dass die Juden töricht, die Christen verrückt sind (...)“ (Philosoph, S. 13)

Während Christ und Jude auf ihre festgeschriebenen religiösen Richtlinien vertrauen, hält sich der Philosoph an das Naturgesetz. Seine Aufgabe ist es nicht, sich an Meinungen zu orientieren, sondern der Vernunft zu folgen. Nach seinen bisherigen Forschungen, sagt er, sind die Juden töricht und die Christen verrückt. Trotzdem will er nun in beiden Glaubensrichtungen nach der Wahrheit suchen. Der Moral und der Metaphysik soll dabei besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden.

Vernunft als Maßstab der Wahrheitssuche

Zunächst wird geklärt, ob die Gesprächspartner aus Vernunft zu ihrem Glauben fanden oder ob sie sich lediglich der Haltung anderer anschlossen. Letzteres nämlich ist gemäß dem Philosophen gering zu schätzen; die Liebe zur eigenen Herkunft oder die Erziehung verhindern seiner Meinung nach vorurteilslose Nachforschungen und Offenheit. Schlimmer noch, das Hinterfragen der eigenen Wurzeln gilt unter Gläubigen oft als verpönt: Die unreflektierte Haltung führt nicht selten zu Blind- und Starrheit – erst recht, wenn der Betroffene seinen Glauben inhaltlich gar nicht versteht.

Kritik am eigenen Glauben

Der Jude nimmt als Erster Stellung. Er gibt zunächst zu bedenken, dass man im Kindesalter – in Ermangelung eigener Erfahrungswerte – ganz von selbst dem Vorbild der Erwachsenen folgt. Später dann ist es grundsätzlich problematisch, eine von Gott gegebene Lehre anzuzweifeln, denn das wäre Lästerung. Ein folgsamer Gläubiger sollte deshalb für seinen Gehorsam eher gelobt als getadelt werden, findet der Jude. Auch steht einzelnen Kritikern stets die Masse der Überzeugten gegenüber, die letztlich über jeden richtet. Wie also soll man sich verhalten? Allein die Intention, die hinter einer kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben steckt, sollte bewertet werden: Ist sie zielgerichtet im Sinne Gottes, so kann sie sogar noch ehrwürdiger sein als das, was fraglos hingenommen wird. Der Jude sieht jedoch keinen Grund, das Testament mit den Gesetzen zu missachten, die Gott den Menschen aus reiner Sorge um sie gab. Er will diese Schrift umso mehr befolgen, als er sie durch vernünftige Vertreter der Religion bereits bestätigt sieht.

Leben und Leiden der Juden

Der Jude gibt ferner zu bedenken, dass seine Brüder, die ohne irdischen Herrscher und in aller Welt verstreut leben, ihren Gott als einzigen Fürsten haben. Für ihn nahmen sie viel Leid auf sich – obwohl die Vertreter anderer Religionen ihnen weismachen wollten, dass dieser Gott für ihr Leid verantwortlich sei und daher nur schlecht sein könne. Doch dem ist nicht so, sagt der Jude. Die Christen erlauben sich die Judenverfolgung nur vor dem Hintergrund der Behauptung, die Juden hätten ihren Herrn umgebracht. Die Verfolgungen nehmen sie als gerechte Vergeltung für diesen Mord in Anspruch. Auch hohe Steuern und Plünderungen sowie die Verweigerung von Grundbesitz sind Teil dieser Schmach. Der Einzige, der die Juden trotz gewaltsamer Unterdrückung am Leben erhält, ist ihr Gott, der sie anleitet und schützt. Was sie zum Dank dafür tun, ist viel: Sie lassen sich am empfindlichsten Körperteil beschneiden, schlachten ihr Vieh selbst und verzichten auf köstliche Speisen und von Fremden hergestellte Weine, nur um rein zu leben. Alles Entsagungen, die ihnen nicht leichtfallen.

Zweifel an den Maßregelungen des jüdischen Gottes

Der Philosoph wirft ein, dass dieser Eifer zwar löblich ist, aber nicht impliziert, dass all diese Handlungen der Juden richtig sind. Eher scheinen sie ihm von Vernunft weit entfernt zu sein. Schließlich haben schon früher gottgefällige und gerechte Männer wie Noah und Abraham ohne vorgegebene Gesetze und Rituale wie die Beschneidung edel gehandelt. Gott gefiel ihre Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Die Beschneidung ist insofern ein Ritual, das jeder vernünftigen Grundlage entbehrt. Schließlich haben die Juden auch vor der Einführung dieses Rituals gut mit ihrem Gott leben können. Doch nun bleibt Kindern, die vor dem achten Lebenstag – also ohne Beschneidung – sterben, gemäß jüdischer Lehre gar das Himmelreich verwehrt.

„Dies ist nämlich erstaunlich, dass es, obwohl in der Abfolge der Lebensalter und im Fortgang der Zeiten die menschliche Einsicht in allen übrigen Angelegenheiten wächst, im Glauben, in dem die höchste Gefahr des Irrtums droht, keinen Fortschritt gibt.“ (Philosoph, S. 19)

Der Jude sollte diesen Gesetzen nicht einfach glauben, meint der Philosoph, weil er durch sie statt nach ewiger Glückseligkeit nur nach irdischem Wohlergehen strebt. Außerdem sind sie nur den Juden vorgegeben, keinem anderen Volk, und daher für niemanden sonst verbindlich. Bei den Sittengesetzen jedoch handelt es sich um solche, die nicht speziell dem Judentum eigen, sondern allgemeingültig sind, weil sie der reinen Vernunft unterliegen.

Ein auserwähltes Volk

Den Sinn der Rituale sieht der Jude u. a. darin, dass Gott das jüdische Volk in seiner Lebensweise von den Heiden unterscheiden wollte: Ein Gemeinwesen lässt sich am besten mit verbindenden Traditionen errichten. Speziell beim Thema Beschneidung verhält es sich gemäß dem Juden nicht so oberflächlich, wie vom Philosophen angeführt: Gottes Ziel war es, mit diesem Schritt ein ewiges, auch körperliches Band zu seinen Gläubigern zu haben. Weil eine Beschneidung nie mehr rückgängig gemacht werden kann, ist das Volk auf immer garantiert mit Gott und seiner Fürsorge verbunden. Darüber hinaus ist das Ritual ein Symbol für die Abschneidung vom heidnischen Leben. Wie bei einem Weinberg, dessen Sprösslinge beschnitten werden müssen, damit statt wilder Reben gute Trauben gedeihen, geht es auch hier um einen reinen Neubeginn und sorgsame Pflege.

„Von allen werden wir einer solchen Verachtung und eines solchen Hasses für wert erachtet, dass jeder, der uns irgendein Unrecht antut, dies für die größte Gerechtigkeit hält und das höchste Opfer, das Gott je dargebracht wurde.“ (Jude, S. 29)

Der Jude widerspricht noch weiteren Thesen des Philosophen: Sein Volk ist von Gott nur insofern heiliggesprochen, als es seine Gesetze befolgt. Es gibt für diesen Gehorsam also eine ewige Belohnung, nicht nur eine kurzfristige, irdische. Die auf diese Weise entstehende Menschenliebe ist viel größer als die, die im Rahmen natürlicher Sittengesetze erreicht wird – zumal die Juden auch Fremde respektvoll behandeln müssen.

Ablehnung der jüdischen Gesetze

Der Philosoph weist die meisten Ausführungen des Juden zurück: Sie sind für ihn hochmütig, widersprüchlich und teils sogar nachweislich erlogen: Die Nächstenliebe gegenüber Fremden etwa wird nur denen zuteil, die im Haus eines Juden geboren sind oder dort dienen. Und manch ein Mensch war vor der Schaffung der jüdischen Gesetze im Denken und Handeln freier und dennoch gut. Allein die Tatsache, eine Beschneidung zur Bedingung der Seligkeit zu machen und darauf auch noch ein Loblied zu singen, kann nicht ernsthaft ein Argument für die Unfehlbarkeit des Judentums sein.

„Wenn Heiligkeit euch oder beliebigen anderen Menschen ein seliges und unsterbliches Leben der Seelen erwirbt, so steht es in der Tat fest, dass dieses kraft des Gesetzes auch uns geschuldet wird, wenn uns dessen Beachtung heiligt.“ (Jude, S. 59 )

Alles in allem will sich der Philosoph diesen, für ihn viel zu irdischen, unzureichenden und einengenden Vorgaben nicht unterordnen und wendet sich dem Christen zu – in der Erwartung, dass dessen Gesetze vernünftiger und vollendeter sind, da sie später entstanden sind.

Die Grundlehre des Christentums

Der Christ beginnt seine Ausführungen mit der Untersuchung der Evangelien, damit diese mit anderen Lehren verglichen werden können. Das Neue Testament ist für ihn weit reichender und gerechter als das Alte. Die Christen bezeichnen die Ethik als Gottesweisheit und die Tugenden als gute Sitten, was belegt, dass sie sich mehr auf die zu erreichenden Ziele und weniger auf den Weg dorthin konzentrieren. Derjenige, der Gott sucht und auf diesem Weg ins Zweifeln gerät, gilt bei den Christen nicht als verloren. Im Gegenteil: Wer Fehler macht, ungenügend oder ratlos ist, dem wird vergeben und geholfen. Das höchste Gut ist das Erreichen der vollendeten Sittlichkeit, die wiederum zum höchsten Glück und zum Seelenfrieden führt.

„Bei dieser Abwägung unserer Befragung stelle ich fest, dass gewiss dies erreicht worden ist: Du kannst erkennen – auch wenn du es so auffassen magst, als ob das Gesetz dir von Gott gegeben worden sei –, dass ich allein auf Grund der Autorität deines Gesetzes nicht verpflichtet bin, mich unter dessen Bürde zu begeben (...)“ (Philosoph zum Juden, S. 87)

Das christliche Gesetz ist gut, weil es Sünden und Laster ausschließen will – und zwar im Interesse aller, nicht nur des Einzelnen. Armut, Krankheit oder Leid gelten als Übel, nicht etwa als notwendige Gottesopfer. Die davon Betroffenen wie auch geistig Zurückgebliebene können trotz ihrer Unzulänglichkeiten oder mangelnden Tugenden ins Himmelreich aufgenommen werden. Bei allem Bewusstsein für das Gemeinwohl ist dennoch zu beachten, dass jeder Mensch in Tugend oder Sünde individuell zu betrachten ist. Gott gab jedem Geschöpf eigene Stärken und Schwächen mit: Die Menschen sind nicht alle gleich.

Die individuelle Ausgestaltung der Tugenden

Dementsprechend unterschiedlich ist die Motivation, mit der die Christen ihre Gesetze verfolgen. Wer die Vorgaben nur um ihrer selbst willen erfüllt, ist geringer zu bewerten als derjenige, der dabei mit Leidenschaft und Liebe zu Werke geht. Denn der freie Wille bestimmt das Handeln; er ist die Kraft, sich für oder gegen eine Tat zu entscheiden. Die Tugend der Klugheit setzt ein rationales Urteilsvermögen voraus. Infolgedessen wird bei der Beurteilung, ob eine Handlung gut oder schlecht ist, auch die Absicht dahinter einbezogen. Das gilt auch für alle anderen Tugenden. Zu ihnen gehören in erster Linie Gerechtigkeit, Tapferkeit und das Maßhalten. All diese Tugenden legen den Grundstock für das nächste Leben im Himmel oder in der Hölle.

Der Weg zum höchsten Gut oder höchsten Übel

Während der Philosoph das höchste Gut bei Gott und das höchste Übel in der fortdauernden Qual und Strafe vermutet, gibt der Christ zu bedenken, dass auch eine Bestrafung ein Gut sein kann: nämlich dann, wenn ein Geschöpf es eben nicht anders verdient hat. Die beiden werden sich nicht darin einig, was das größere Übel ist: die Schuld eines Menschen oder seine daraus resultierende Strafe. Für den Christen ist der Hass gegen Gott das größte Übel – wie umgekehrt die Liebe zu ihm das höchste Gut ist. Denn genau danach entscheidet Gott zwischen Missfallen oder Gefallen.

„Denn zur Darlegung des Glaubens kommt es nicht darauf an, was er in Wahrheit tatsächlich bedeutet, sondern was in die Meinung eingehen kann, und die meisten Fragen entstehen bezüglich der Worte der Autorität selbst, sodass man eher über sie als durch sie urteilen muss.“ (Christ, S. 111)

Der Christ ermahnt seinen Gesprächspartner, dass die irdische Philosophie die göttliche Liebe nicht fassen und beurteilen kann. Allein die persönliche Teilhabe und Erfahrung damit erlaubt eine echte Anschauung. Dabei ist von Bedeutung, dass Gott allgegenwärtig, ohne festen Ort ist, weshalb seine Macht und Gnade in den Seelen der Menschen wirken können und auch im nächsten Leben präsent sind.

Der Gott der Christen wirkt für alle Menschen

Den Einwand des Philosophen, Gottes Sitz sei – nach den Worten der Christen – das Himmelreich, und der Fall in die Unterwelt werde im Alten wie im Neuen Testament ebenfalls konkret örtlich beschrieben, wehrt der Christ als eine jüdische und gegenständliche Sicht ab. Diese Ausführungen über ein Oben und Unten basieren für ihn lediglich auf allegorischen Bildern, die für das höchste Gut und das tiefste Übel stehen und daher als mystisch und nicht als konkret verstanden werden müssen.

„Das Gesetz ist tatsächlich gut, weil es eine Verhinderung der Sünde ist, der Tod aber schlecht, weil er der Sold der Sünde ist. Aber wie Ungerechte auch Güter schlecht nutzen, so mögen auch Gerechte Übel gut nutzen.“ (Christ, S. 121)

Der Philosoph ist im Großen und Ganzen von Vernunft und Beweisführung der christlichen Argumentation überzeugt, bezweifelt jedoch, dass diese Argumente auch die Menschen erreichen, die sie nicht verstehen. Der Christ führt abschließend aus, dass selbst Frevler und sogar der Teufel ihre Daseinsberechtigung haben, da sie mit Gott zusammenwirken – und sei es nur durch Hass und Zorn. Denn nichts, was Gott zulässt, passiert ohne Grund. Alles geschieht nur mit seiner Erlaubnis, im Guten wie im Schlechten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Peter Abaelard legt sein im Original lateinisches Gespräch als Vision an, die der Ich-Erzähler (ein Alter Ego des Autors) hat. Dieser schildert seine Begegnung mit jeweils einem idealtypischen Vertreter des Judentums, des Christentums und der Philosophie. Er stellt die einzelnen Akteure vor und nutzt seine Erzählerrolle zur Reflexion. Im Verlauf der Dialoge tritt diese Rolle aber immer weiter in den Hintergrund: Der Erzähler wendet sich nicht mehr an den Leser, sondern nimmt meistens als stummer Zuhörer am Gespräch teil. Damit übernimmt er stellvertretend die Position des Lesers, der hörend, aber nicht urteilend den Positionen der Kombattanten lauschen soll. Nach einer kurzen Einleitung gliedert sich das Werk in zwei große Teile, die als Zwiegespräche („collationes“) aufgebaut sind. In beiden Gesprächen tritt der Philosoph auf; nacheinander befragt er die beiden Religionsvertreter. Die drei Gesprächsteilnehmer wählen zwar anfangs den Ich-Erzähler als Richter über ihren Disput, ein Urteilsspruch bleibt aber aus. Die Diskussion folgt der antiken Form der Erörterung, bei der eine Sache mehrfach aus unterschiedlichen Blickwinkeln durchleuchtet wird, und klingt für heutige Leser entsprechend umständlich.

Interpretationsansätze

  • Vor dem Hintergrund des Mittelalters ist Abaelards Ansatz radikal: Der Mensch soll sich aus Vernunftgründen für den Glauben entscheiden – und nicht aufgrund von Traditionen. Während der Kirchenlehrer Anselm von Canterbury predigte, man müsse „glauben, um zu verstehen“, hielt es Abaelard eher mit dem umgekehrten Motto: „verstehen, um zu glauben“.
  • In der Forschung ging man lange davon aus, dass ein dritter Teil, ein Gespräch zwischen Jude und Christ, fehlt und das Werk Fragment geblieben ist. Die neuere Forschung widerspricht dieser Ansicht und betont, dass der Philosoph als Instanz der Vernunft beide Religionen prüfe – und daher ein Wortwechsel zwischen Jude und Christ entbehrlich sei.
  • Für einige Verwirrung sorgt bis heute die Tatsache, dass der Philosoph ein Araber ist – was der Leser erst spät erfährt. Trotzdem übernimmt der Philosoph nicht die Rolle eines Koranvertreters, sondern diejenige des Vernünftigen, der sich nur mit dem Naturgesetz begnügt und keine Buchreligion benötigt. Vermutlich hatte dies auch praktische Gründe: Abaelard kannte den genauen Wortlaut des Korans nicht und wollte deshalb keine Halbwahrheiten verbreiten.
  • Die Rolle des Richters, die der Ich-Erzähler einnehmen soll, erscheint für viele Leser fragwürdig: Da es am Ende des Gesprächs zu gar keinem Richtspruch kommt, bleibt letztlich auch eine Lösung des Disputs aus. Einige Interpreten schließen daraus auf eine Unvollständigkeit des Werks. Andere erkennen gerade in der Rolle des Richters als Zuhörer, der kein Urteil fällt, die Intention des Autors, mehrere Meinungen nebeneinander bestehen zu lassen. Statt einer scholastischen Disputation mit vorhersehbarem Ausgang handle es sich eben um einen echten Dialog verschiedener Weltanschauungen.
  • Die im Mittelalter verbreitete Meinung, die Juden seien schuld am Tod Christi, teilt Abaelard nicht. Stattdessen erklärt er, dass die Kreuzigung göttlicher Wille gewesen sei und somit die Juden keinerlei Schuld treffe.

Historischer Hintergrund

Kirchliche und weltliche Macht im Mittelalter

Als Heinrich III. 1046 nach Rom kam, um sich vom Papst zum Kaiser krönen zu lassen, stand er vor einem ernsthaften Problem: Welcher der drei rivalisierenden Päpste hatte überhaupt die Macht und Legitimität, ihn zu krönen? Heinrich war klar, dass das Kirchenrecht gründlich reformiert werden musste. Die angestrengte Kirchenreform richtete sich vor allem gegen die Simonie, also den Kauf von Kirchenämtern, die Aufrechterhaltung des Zölibats und die Ächtung der Priesterehe. Das Reformpaket brachte die römische Kirche, die ihren Machtanspruch immer deutlicher artikulierte, auf Konfrontationskurs mit den weltlichen Herrschern. Besonders die Bestrebungen von Papst Gregor VII., der selbst in Kirchenkreisen als „heiliger Satan“ bekannt war, waren provokativ. Gregor VII. wollte mit seiner Schrift Dictatus Papae die absolute Einzigartigkeit und Sonderstellung des Papstes und der Kirche festschreiben. Er behielt dem Papst sogar das Recht vor, Untertanen von der Treue gegenüber einem weltlichen Herrscher freizusprechen.

Dass sich die Macht der Kirche ausweitete, musste Heinrich IV. im Jahr 1076 erkennen, als ihn der Papst exkommunizierte und als König der Deutschen absetzte. Der Stein des Anstoßes war die Einsetzung mehrerer Bischöfe in Mailand und im Kirchenstaat durch Heinrich. Diese so genannte Laieninvestitur wollte der Papst fortan nicht mehr dulden. Heinrich IV. machte sich im Dezember 1076 auf den Weg nach Canossa, um seine Wiederaufnahme in die Kirche zu erbitten. Zwar gelang es ihm, sein Amt zurückzuerlangen, letztlich stärkte der Canossagang aber die Macht des Papstes. Der jahrzehntelang schwelende Investiturstreit konnte erst 1122 zwischen Papst Calixtus II. und Heinrich V. im Rahmen des Wormser Konkordats beigelegt werden.

Entstehung

Lange Zeit hat man in der Forschung angenommen, das Gespräch sei als Spätwerk im letzten Lebensjahr Abaelards entstanden, als dieser in Cluny in Klosterhaft saß. So konnte man sich auch den fehlenden Schluss erklären: Der Tod habe den Verfasser an der Vollendung seines Manuskripts gehindert. Seit Mitte der 1980er Jahren gilt es aber als gesichert, dass das Werk schon 1125/26 entstand, auf dem Höhepunkt der Schaffenszeit Abaelards. Für diese zeitliche Einordnung spricht die Erwähnung des Konzils von Soissons, auf dem Abaelard im Rahmen eines Autodafés seine eigenen Schriften verbrennen musste. Um 1125 besaß Abaelard bereits das Kloster Paraklet in der Champagne. Hier lehrte er und verfasste bzw. bearbeitete viele seiner wichtigsten Schriften. Das Gespräch hatte ursprünglich keinen Titel – inzwischen hat es zwei: Der bekanntere (Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen) wurde ihm von seinem ersten Herausgeber verliehen, der die so genannte Wiener Handschrift des Werks 1831 bearbeitete. Der zweite Titel (Collationes) geht vermutlich auf Abaelard selbst zurück.

Wirkungsgeschichte

Nur sechs Handschriften des Gesprächs sind erhalten. Bemisst man die Verbreitung eines Werks anhand der überlieferten Handschriften, muss Abaelards Gespräch relativ rasch nach dem Ableben des Verfassers in Vergessenheit geraten sein. Kein Wunder: Das war immer im Sinn der Kirche. Noch 1140, zwei Jahre vor seinem Tod, verließ Abaelard ein Konzil unter Protest, stieß den Papst und seine Ankläger vor den Kopf und strebte ein Appellationsverfahren in Rom an. Er wurde vom Papst gebannt und mit Schweigegebot und Klosterhaft bestraft. Obwohl er sich kurz vor seinem Tod formell mit seinen Gegnern aussöhnen konnte, blieben seine Schriften verboten und wurden vom Papst verbrannt. Die Verfolger konnten jedoch nicht aller Werke habhaft werden. So äußerte Abaelards Ankläger Bernhard von Clairvaux den Wunsch: „Hoffentlich bleiben seine verderblichen Folianten in Kisten verborgen und werden nicht öffentlich gelesen.“ Einige Texte konnten aber tatsächlich über verschlungene Pfade gerettet werden. Autoren wie der englische Theologe Johannes von Salisbury, der bedeutende mittelalterliche Geschichtsschreiber Otto von Freising und nicht zuletzt der Kirchenlehrer Thomas von Aquin trugen Abaelards Lehren weiter. Oftmals waren es aber nur seine Erkenntnisse (z. B. die Anwendung der Logik auf Glaubensfragen bei Thomas von Aquin), nicht aber sein Name, die sich in der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte durchsetzten. Erst im 19. Jahrhundert erlebte Abaelard eine Renaissance. Heute gilt er neben Anselm von Canterbury als zweiter großer Philosoph des zwölften Jahrhunderts.

Das bewegte Leben Abaelards inspirierte viele Künstler zur literarischen Bearbeitung. Bereits 100 Jahre nach seinem Tod wurde die Liebesbeziehung zwischen ihm und Heloise im Roman de la Rose (1230) des Guillaume de Lorris beschrieben. Eine der berühmtesten Bearbeitungen ist der erfolgreiche Briefroman Julie oder Die neue Héloïse von Jean-Jacques Rousseau aus dem Jahr 1761.

Über den Autor

Peter Abaelard, 1079 in Le Pallet bei Nantes in eine ritterliche Adelsfamilie geboren, schlägt als junger Mann sein Erbe aus und widmet sich ganz dem Studium der Wissenschaften. Seinen einflussreichen Lehrer Wilhelm von Champeaux fordert er immer wieder heraus. Als Abaelard seine eigene Schule für Logik gründet, lässt Wilhelm seine Beziehungen spielen, um den ungeliebten Schüler aus Paris zu verdrängen. 1113 studiert Abaelard Theologie bei Anselm von Laon, mit dem sich das gleiche Spiel wiederholt: Erneut kommt es zum Bruch mit dem Lehrer, Abaelards Ruhm beginnt aber gleichzeitig zu wachsen. Doch der kometenhafte Aufstieg des jungen Gelehrten endet jäh, als er eine Liebesbeziehung mit einer seiner Schülerinnen beginnt. Heloise, so heißt das Mädchen, wird schwanger. Als ihr Onkel und Beschützer Fulbert davon erfährt, greift er zu einem drastischen Mittel, um das Verbrechen zu sühnen: In einer Nacht-und Nebel-Aktion lässt er Abaelard überfallen und kastrieren. Gedemütigt tritt dieser als Mönch in das Kloster Saint-Denis ein. Heloise bringt einen Sohn zur Welt und schließt sich den Nonnen des Klosters Argenteuil an. Abaelards theologische Hauptschrift, die Theologia Summi Boni, erregt den Groll der Kirche: 1121 muss er die Schrift beim Konzil von Soissons eigenhändig verbrennen. Er eröffnet mit seinen Anhängern eine neue Schule und baut die dem Heiligen Geist geweihte Einsiedelei Paraklet. Später schenkt er sie den Nonnen von Argenteuil, deren Priorin seine ehemalige Geliebte Heloise ist. Als Abt von Saint-Gildas verkracht sich Abaelard mit den dort lebenden Mönchen und entkommt knapp einem Mordkomplott. 1133 verlässt er die Abtei, zwei Jahre später nimmt er seine einstige Lehrtätigkeit in Paris wieder auf. Gegen Abaelards Lehren formiert sich Widerstand, vor allem in Gestalt des Zisterziensermönchs Bernhard von Clairvaux. Auf der Synode zu Sens wird Abaelard 1141 der Häresie angeklagt und zu ewigem Schweigen und Klosterhaft verurteilt. Mithilfe seines Fürsprechers Petrus Venerabilis gelingt ihm ein Jahr später die Aussöhnung mit Bernhard. Am 21. April 1142 stirbt Abaelard in Chalon-sur-Saône. Heloise lässt sich nach ihrem Tod im Jahr 1164 neben ihm bestatten.__

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