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Zenos Gewissen

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Zenos Gewissen

Manesse,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Der Versager als Lebenskünstler: Italo Svevos Roman zur Psychoanalyse.

Literatur­klassiker

  • Psychologischer Roman
  • Moderne

Worum es geht

Gewissen und Bewusstsein

Der bei seinem Erscheinen zunächst völlig erfolglose Roman Zenos Gewissen kommt amüsant plaudernd daher, fast plappernd. Das alternde Ich, das sich hier im Auftrag seines Psychoanalytikers Gehör verschafft, erzählt unsystematisch aus seinem Leben, anekdotisch, ironisch. Irritierend ist, dass man keinen Leidensdrück spürt – und doch bezeichnet Zeno Cosini sich selbst fortwährend als Kranken, der Heilung sucht, als Unfähigen, Schuldbeladenen, dessen einzige Hoffnung darin besteht, sich durch immer neue gute Vorsätze zu bessern. Er fühlt sich also krank, ist dabei aber merkwürdig zufrieden, er scheitert immer wieder und führt doch ein erstaunlich gelingendes Leben, er rechnet mit der Psychoanalyse ab und bedient sich beim Schreiben doch ihrer Methode. Italo Svevo hat mit Zenos Gewissen einen Roman geschrieben, der auf vielen Ebenen wirkt. Unter der Textoberfläche dringt er in die Tiefenschichten des menschlichen Bewusstseins vor. Unaufdringlich hat er mit der Psychoanalyse die Moderne in die italienische Literatur geholt – was zum Glück letztlich doch nicht unbemerkt geblieben ist.

Take-aways

  • Zenos Gewissen ist die erste Verarbeitung von Sigmund Freuds Theorien in der italienischen Literatur.
  • Inhalt: Der 57-jährige Zeno Cosini schreibt auf Anraten seines Psychoanalytikers über sein Leben – über seine Zigarettensucht, über die Geschichte seiner Heirat, über seine Ehe und über seine Versuche, ein erfolgreicher Unternehmer zu werden. Er strebt zeit seines Lebens zum Besseren, Gesünderen.
  • Die Struktur des Romans folgt dem assoziierenden Sprechen in der Psychoanalyse.
  • Die Hauptfigur Zeno Cosini ist der Prototyp des willensschwachen Zauderers.
  • Der Roman ist die Parodie eines Entwicklungsromans: Es existiert weder ein Fortschritt noch ein großer Zusammenhang.
  • Zenos „Krankheit“ spiegelt die Krankheit der Vorkriegsepoche wider.
  • Bei seinem Erscheinen 1923 fand Zenos Gewissen keinerlei positive Resonanz. Das änderte sich schließlich durch die Vermittlung von Svevos Englischlehrer: James Joyce.
  • Der literarische Durchbruch gelang Italo Svevo erst mit über 60 Jahren. Im bürgerlichen Leben war er Unternehmer.
  • Italo Svevo ist ein Pseudonym, es bedeutet so viel wie „italienischer Schwabe“.
  • Zitat: „Und dann kann man Herz und Schmerz, kurz, das Leben doch nicht wie eine Krankheit betrachten, nur weil es wehtut.“

Zusammenfassung

Der Herausgeber

Der Psychoanalytiker Doktor S. veröffentlicht die Autobiografie Zeno Cosinis – einerseits aus Rache, weil dieser die Behandlung bei ihm abgebrochen hat, andererseits um ihn zu bewegen, die Analyse wieder aufzunehmen. Der 57-jährige Zeno hat sein Leben auf Anraten des Arztes niederzuschreiben begonnen. Er soll Erinnerungen und Träume ans Tageslicht befördern. Sein Psychoanalytiker hat Zeno Cosini geraten, mit seiner Geschichte des Rauchens zu beginnen, denn dabei könne er viel über sich erfahren.

Viele letzte Zigaretten

Schon als Kind raucht Zeno heimlich. Ein Junge seines Alters schenkt ihm und seinem Bruder Zigaretten; Zenos Bruder allerdings mehr als Zeno, weshalb er zu stehlen beginnt: Er nimmt Geld aus der Westentasche seines Vaters, um Zigaretten kaufen zu können, doch nachdem dieser ihn fast erwischt hat, geht er dazu über, die Zigarrenstummel seines Vaters aufzurauchen. Schon damals raucht er widerwillig, oft wird ihm schlecht davon. Seine Sucht ist ihm unerklärlich, weil er weiß, dass er das Rauchen hasst. Aber der Zwang geht so weit, dass er selbst bei heftigem Halsweh gegen das absolute Rauchverbot seines Arztes verstößt – in dieser Situation, mit 20 Jahren, nimmt er sich zum ersten Mal vor, nur noch eine letzte Zigarette zu rauchen. Von da an pflastern viele letzte Zigaretten seinen Weg. Die Entsagungsvorhaben sind manchmal mit wichtigen Ereignissen verknüpft, etwa als er vom Jura- zum Chemiestudium wechselt oder auch als er wieder zur Chemie zurückwechselt.

„Ich bin der Arzt, von dem in dieser Erzählung mitunter in wenig schmeichelhaften Worten die Rede ist. Wer etwas von Psychoanalyse versteht, weiß, wo die Abneigung einzuordnen ist, die der Patient mir entgegenbringt.“ (Doktor S., S. 5)

Als Student muss Zeno einmal sein Zimmer neu tapezieren lassen, weil die Wände vollgeschrieben sind mit Daten allerletzter Zigaretten. Er überlegt sich heute, ob er die Zigarette zum Sündenbock für alles gemacht hat, was ihm nicht gelungen ist: Wenn er tatsächlich mit dem Rauchen aufgehört hätte, wäre er dann zu dem starken, gesunden Mann geworden, der er immer sein wollte? Er sucht auch Ärzte auf, um sich von der Krankheit des Rauchens heilen zu lassen – einem Nervenarzt gesteht er gleich eine weitere „Krankheit“, nämlich die, dass er einfach alle Frauen begehre. Der Arzt kann ihn weder von der einen noch von der anderen Krankheit heilen, findet beide aber auch weit weniger dramatisch als der Patient. Dieser weiß indes auch um die Vorteile seiner immer wiederkehrenden Besserungsbeschlüsse: Die letzte Zigarette schmeckt jeweils besonders intensiv, und die Gedanken ums Rauchen vertreiben die Langeweile, denn Zeno hat nichts zu tun: Sein Vater ist ein reicher Unternehmer, die Geschäfte werden aber schon lange von dem tüchtigen Olivi geführt. Zenos Vater hat in seinem Testament verfügt, dass sein Sohn an Olivis Weisungen gebunden bleibt.

Zenos Vater

Eine besondere letzte Zigarette ist die, als Zenos Vater stirbt – das wichtigste Ereignis seines Lebens, wie Zeno meint. Als sein Vater tot ist, weiß er nicht mehr, für wen er sich noch bessern soll. Erst jetzt begreift er, dass er immer für seinen Vater tatkräftig und erfolgreich werden wollte. Dabei hält er den Ruf, den sein Vater als Geschäftsmann genießt, für nicht ganz gerechtfertigt, eben weil es Olivi ist, der das Unternehmen seit langer Zeit führt. Der Vater ist in allem ganz anders als Zeno: Insbesondere Zenos dringender Wunsch, sich zu bessern, ist dem Vater, der immer im Einklang mit sich selbst lebt, völlig fremd. Der Vater findet seinen Sohn beunruhigend, weil er ihn so wenig versteht. Seine Bildung, seine Ironie und die Tatsache, dass er an weniges glaubt und über vieles lacht, sind ihm suspekt.

„Ob ich die Zigarette vielleicht deshalb so sehr geliebt habe, damit ich die Schuld für meine Unfähigkeit auf sie abwälzen konnte? Wer weiß, ob ich, wenn ich mit dem Rauchen aufgehört hätte, zu jenem Ideal eines starken Mannes geworden wäre, das ich von mir erwartete?“ (S. 20)

Kurz bevor er stirbt, möchte Zenos Vater seinem Sohn etwas Wichtiges sagen, eine Lebenserkenntnis, auf die er nur gerade nicht kommt – ein erstes Anzeichen für das Hirnödem, an dem er kurz darauf stirbt. Am Sterbebett ist Zeno verzweifelt, und es kommen noch Schuldgefühle hinzu, weil der hinzugezogene Arzt das Leben des Sterbenden so lange wie möglich erhalten will, auch um den Preis von Wahnsinn und großen Schmerzen. Zeno widersetzt sich dem zu wenig, wie er findet, dabei ist sein Wunsch groß, dem Vater Schlimmes wie die Zwangsjacke zu ersparen. Dessen letzte Geste sieht aus wie eine Ohrfeige für den Sohn: Zeno versucht, den Vater in die Ruheposition zu drücken, die der Arzt befohlen hat, der Vater wehrt sich. Er ruft: „Ich sterbe!“, richtet sich mühsam auf, hebt die Hand und lässt sie auf die Wange seines Sohnes fallen. Dann sinkt er zurück und ist tot. Zeno ringt sich mühsam zu der Ansicht durch, dass diese Ohrfeige unbeabsichtigt war.

Zeno beschließt zu heiraten

Vielleicht aus Langeweile und erneut in dem Wunsch nach Gesundung und Ordnung beschließt Zeno mit 30, zu heiraten, ohne dass eine Ehefrau in Sicht wäre. Seinen zukünftigen Schwiegervater Giovanni Malfenti, einen erfolgreichen, zupackenden Unternehmer und in allem das Gegenteil von ihm selbst, lernt er an der Börse kennen. Er bewundert ihn und will von ihm lernen, um vielleicht doch irgendwann in sein eigenes Unternehmen einzusteigen. Malfenti hat vier Töchter, die alle schön sein sollen und deren Namen alle mit A beginnen. Bei seinem ersten Besuch im Hause Malfenti sieht er zuerst die älteste Tochter Augusta und ist enttäuscht: Sie schielt stark, hat nicht eben volles Haar und ist nicht allzu schlank, als Braut scheidet sie sofort für ihn aus. Anna ist erst acht Jahre alt. Ada und Alberta sind beide schön; während Alberta erst 17 ist, ist Ada schon eine Frau. Seine Wahl fällt auf sie. Er möchte sich in sie verlieben, weil er sie heiraten will, und so verliebt er sich tatsächlich heftig in sie. Bald kommt er täglich zu den Malfentis und unterhält die Mädchen mit seinen amüsanten, mehr erfundenen als erlebten Geschichten – die ernste Ada äußert allerdings mehrmals Befremden. Irgendwann nimmt ihn Frau Malfenti beiseite und sagt, er stelle Augusta bloß. Zeno ist perplex. Die Mutter äußert sich nicht weiter, legt ihm aber nahe, eine Weile lang nicht und dann weniger häufig vorbeizukommen.

„Ich erzählte ihm von meinem Elend mit den Frauen. Eine genügte mir nicht und viele auch nicht. Ich begehrte sie alle!“ (über Doktor S., S. 25)

Zeno betritt das Haus der Malfentis fünf Tage lang nicht und leidet während dieser Zeit enorm. Schließlich trifft er Ada auf der Straße. Allerdings stößt bald auch ein gewisser Guido Speier wie zufällig hinzu, der für den Abend bei den Malfentis eingeladen ist. Dort wird er eine spiritistische Séance leiten. Ada, von dem gut aussehenden jungen Mann offensichtlich angetan, lädt auch Zeno ein. Der Abend wird desaströs für Zeno, weil Guido ihm in entscheidenden Dingen überlegen ist: zum einen im Geigenspielen, zum anderen in Adas Gunst. Doch Zeno braucht Klarheit: In der Dunkelheit, beim Tischerücken, macht er ein für Ada bestimmtes Liebesgeständnis, das versehentlich an Augustas Adresse geht. Als er schließlich wirklich Ada seine Liebe gesteht, äußert sie nur Verwunderung und Befremden. Schon will er das Haus für immer verlassen, da fällt sein Blick auf Alberta, die Ada ähnelt – und er macht spontan ihr einen Heiratsantrag, wobei er so ehrlich ist, ihr von Adas Ablehnung zu erzählen. Alberta lehnt auch ab, weil sie Schriftstellerin werden und nicht heiraten will. Zeno kündigt ihr an, jetzt gleich Augusta den gleichen Antrag zu machen, was er auch tut. Augusta liebt Zeno schon lange und willigt ein, wissend, dass er ihre Liebe nicht erwidert. In der folgenden fröhlichen Tischrunde fertigt Guido eine Karikatur von Zeno an, auf die dieser mit heftigen Schmerzen in Hüfte und Unterarm reagiert – Schmerzen, die ihn fortan begleiten werden. Mit Guido macht er in dieser Nacht noch einen langen Spaziergang, während dem er mit Mordgedanken spielt. Die anschließende Verlobungszeit ist anstrengend, weil er an der Verbindung zweifelt; zuletzt erwägt er am Hochzeitsmorgen gar die Flucht.

Ehe und Außereheliches

Zu seiner großen Überraschung beginnt Zeno noch während der Flitterwochen, Augusta ebenfalls sehr zu lieben. Ihre Ehe ist von Anfang an innig und harmonisch; außerdem erscheint Augusta Zeno wie die Gesundheit in Person, und eine Weile meint er, dies färbe auf ihn ab. Jedoch überkommt ihn, seit er verheiratet ist, regelmäßig die Angst vor dem Tod und dem Altern. Augusta, die ganz in der Gegenwart lebt, tröstet ihn dann. Beruhigt stellt er außerdem fest, dass seine Gefühle für Ada erloschen sind. Nach wie vor begehrt er allerdings alle Frauen und betrügt Augusta ständig in Gedanken. Aus einer dieser Fantasien wird eines Tages Realität: Zeno lernt Carla Gerco kennen, ein schönes, durch den Tod ihres Vaters in Not geratenes Mädchen. Obwohl er von Anfang an große Gewissensbisse Augusta gegenüber hat, wird Carla seine Geliebte, und je öfter er seine Frau betrügt, umso zärtlicher werden seine Gefühle für diese. Immer wieder nimmt er sich vor, Carla zu verlassen. Schließlich aber ist sie es, die sich von ihm abwendet: Sie kann es nicht verwinden, dass er sie vor einem Bekannten verleugnet. Als sie darauf besteht, einmal seine Frau zu sehen, zeigt Zeno ihr Ada statt Augusta. Schließlich heiratet Carla ihren Gesangslehrer. Obwohl eigentlich auch Zeno die Trennung wollte, leidet er entsetzlich, als Carla sich ihm entzieht. Auch hier hätte er die ewige Spirale aus guten Vorsätzen und letzten Malen vorgezogen. Unterdessen hat Augusta eine Tochter bekommen. Ein Sohn wird folgen.

Im Geschäft des Schwagers

Guido, mittlerweile Zenos Schwager, will Zeno in seinem neu gegründeten Handelshaus dabeihaben. Zeno fühlt sich geschmeichelt, zumal er immer noch hofft, irgendwann als Unternehmer Erfolg zu haben. Er wird der unbezahlte Buchhalter der Firma und arbeitet sich mit Gewissenhaftigkeit in seine Aufgabe ein. Guido indes ist kein guter und auch kein besonders ernsthafter Unternehmer – oft sitzen die beiden im Büro, ohne wirklich zu arbeiten, und je mehr Verluste die Firma macht, desto öfter verabschiedet Guido sich auf Jagdausflüge. Auch mit seiner Ehe steht es nicht zum Besten; Ada fühlt sich vernachlässigt und ist eifersüchtig. Mit gutem Grund: Guido küsst Dienstmädchen und stellt eine herausfordernd schöne Sekretärin ein, um sie zu seiner Geliebten zu machen. Als Ada mit Zwillingen schwanger ist, erkrankt sie an der Basedow’schen Krankheit, die ihr die Schönheit raubt und lange Sanatoriumsaufenthalte notwendig macht.

„Doch glaube ich, dass dieses Vertrauen, das mir das Leben so behaglich machte, womöglich bis heute vorgehalten hätte, wäre mein Vater nicht gestorben. Da er tot war, gab es kein Morgen mehr, an dem der gute Vorsatz sich hätte festmachen lassen.“ (S. 55)

Als Zeno die hohen Verluste des ersten Jahres bilanziert, beschließt er, sich aus der Firma zurückzuziehen. Augusta bestärkt ihn darin vehement. Doch dann schafft er es doch nicht, einfach fernzubleiben. Nach Guidos Willen soll Ada für einen Teil der Verluste aufkommen, was diese zunächst empört ablehnt. Guido setzt sie mit einem vorgetäuschten Selbstmordversuch unter Druck. Schließlich gibt ihm Ada das Geld und bittet Zeno, Guido beizustehen. Zu spät bemerkt Zeno, dass Guido an der Börse spekuliert und auch nicht damit aufhört, als er immer mehr verliert. Zeno versucht ihn zur Räson zu bringen, aber da sind die Verluste schon enorm. Guido verhält sich in der Krise feige, was Zeno wütend macht. Vor allem weicht Guido Ada aus und geht jagen, statt sich ihr zu stellen. Zeno möchte Guido und Ada mit einem Akt der Großzügigkeit retten und dafür einen Teil seines Vermögens opfern. Dieses Opfer will Ada nicht annehmen. Zeno nimmt sich vor, sie zu überzeugen, da erreicht ihn die Nachricht von Guidos Tod. Guido hat gegenüber Ada behauptet, eine Menge Schlaftabletten geschluckt zu haben – sie glaubt ihm zunächst weder das noch seine Versicherung, sie sei die einzige Liebe seines Lebens gewesen. Als sie irgendwann doch nach einem Arzt schickt, verzögert sich alles wegen eines Unwetters, und Guido stirbt. Zeno allein weiß, dass Guido es auch diesmal nicht darauf angelegt hatte, zu sterben, weil er ihn einmal gefragt hat, welche Wirkstoffkombination zuverlässiger töte – Guido hat die weniger wirksame eingenommen.

„Unsere Beziehung war eine lächelnde und ist es geblieben, weil ich immer über sie lächelte, von der ich glaubte, sie sei unwissend, und sie ihrerseits über mich, dem sie viel Wissen und viele Fehler zuschrieb, die sie – so schmeichelte sie sich – ausmerzen würde.“ (über Augusta, S. 280)

Um Adas Vermögen zu retten, spekuliert Zeno seinerseits ein paar Tage lang fieberhaft an der Börse. Und tatsächlich gelingt es ihm, einen Großteil der Verluste wettzumachen. In seiner Anspannung geht er dann allerdings zum falschen Begräbnis und verpasst so Guidos Beerdigung, was Ada ihm nicht verzeiht: Sie wirft Zeno vor, er habe Guido immer gehasst. Kurz darauf reist sie mit ihren Kindern nach Buenos Aires ab, zu Guidos Familie.

Psychoanalyse

Seine Aufzeichnungen hat Zeno vor einem Jahr beendet. Jetzt ist Mai 1915. Seit der Krieg ausgebrochen ist, langweilt er sich, weshalb er wieder zu schreiben anfängt. Die Psychoanalyse, wie sie Doktor S. praktiziert, hält er für Scharlatanerie. Nachdem er ein halbes Jahr lang regelmäßig Sitzungen besucht hat, geht es ihm schlechter als zuvor. Der Doktor triumphierte, als er meinte herausgefunden zu haben, Zenos Krankheit sei der Ödipuskomplex: Aus Rivalität mit seinem Vater habe er auch angefangen zu rauchen und dann aus Schuldgefühlen den Zigaretten eine giftige Wirkung zugeschrieben, obwohl sie in Wahrheit harmlos seien. Zeno hat am Ende sogar Träume für den Doktor erfunden und diesen nur noch mehr verachtet, weil er Zeno alles geglaubt hat. Jetzt ist er froh, wieder seinen guten Vorsätzen frönen zu können, es gibt wieder letzte Zigaretten für ihn. Dann holt der Krieg Zeno ein: Auf dem Rückweg von einem Spaziergang wird er von deutschen Soldaten daran gehindert, in sein Sommerhaus zu gehen. Er kehrt nach Triest zurück und ist auf Wochen von seiner Familie getrennt. Dort ist er zunächst zur Untätigkeit verdammt. Dann beginnt Zeno, Waren jeder Art zu kaufen und sie mit großem Gewinn zum geeigneten Zeitpunkt wieder zu verkaufen; er handelt mit allem, was im Krieg knapp wird. Diese erfolgreiche Tätigkeit, meint er, hat ihn wirklich geheilt, nicht die Psychoanalyse. Im Übrigen glaubt er nicht mehr, überhaupt krank gewesen zu sein, es sei denn, das Leben selbst wäre eine Krankheit.

Zum Text

Aufbau und Stil

In sechs Kapiteln umkreist der Erzähler Zeno Cosini auf fast 800 Seiten zentrale Themen und Ereignisse seines Lebens. Vorgeschaltet sind dem Ganzen eine philosophisch gehaltene Vorrede Zenos und das Vorwort des fiktiven Herausgebers Doktor S. Eine übergeordnete oder gar allwissende Erzählinstanz existiert nicht. Zeno schreibt in einem leichten Plauderton, der manchmal etwas geschwätzig wirkt, manchmal pathetisch und oft ironisch, auch selbstironisch. Eine Spannung entsteht aus dem zeitlichen Abstand zwischen dem erlebenden und dem erzählenden Ich – Letzteres hat einen Wissensvorsprung, den es mit dezenten Vorausdeutungen ins Spiel bringt. Svevos Sprache ist manchmal ein bisschen umständlich und weist Eigenwilligkeiten im Satzrhythmus und im Gebrauch mancher grammatischen Phänomene auf, die mit seiner Herkunft aus Triest zusammenhängen – das „toskanische“ Hochitalienisch sprach er kaum, er schrieb es nur. Die Neuübersetzung ist näher an diesen Sperrigkeiten als die früheren, geglätteten Übertragungen.

Interpretationsansätze

  • Zeno Cosini ist ein Antiheld: Er ist willens- und entscheidungsschwach, ein Meister des Zögerns und Aufschiebens. Er ist unfähig, etwas abzulehnen, und spielt die Rollen, die an ihn herangetragen werden: Er gibt den Ehemann, den Liebhaber, den Geschäftsmann, ohne sich tatsächlich damit zu identifizieren.
  • Er selbst bezeichnet seine Mängel als „Krankheit“, die sich auch in – psychosomatischen – Schmerzen äußert. Dennoch ist er nicht unglücklich, und sein Leben gelingt auf Umwegen: Obwohl er die Frau heiratet, die er nicht wollte, führt er eine glückliche Ehe; er wird zum Hoffnungsträger der Schwiegerfamilie, während Guido, der ihm anfangs in allem überlegen schien, der tatsächlich Verlorene ist. Eigentlich ist Zeno ein Lebenskünstler.
  • Zenos „Krankheit“ ist die Krankheit eines Zeitalters: Die k. u. k. Monarchie geht unter und der Erste Weltkrieg zieht herauf. Dagegen steht Zenos Vater, der nie an sich zweifelte, noch für das alte Europa vor 1900.
  • Der italienische Originaltitel ist zweideutig: „Coscienza“ bedeutet neben „Gewissen“ auch „Bewusstsein“. Im Titel klingt also bereits beides an: die „Beichte“ der klassischen Autobiografie und die Psychoanalyse.
  • Svevo macht die Methodik des psychoanalytischen Sprechens zum Strukturprinzip seines Romans: Zeno erzählt nicht systematisch chronologisch, sondern kreist um zentrale Punkte seines Lebens. Dabei ergeben sich interessante Assoziationen und Verbindungen. Zenos bewusste und unbewusste innere Welten bilden eine Parallelwirklichkeit zum Alltagsgeschehen, etwa sein allgegenwärtiges erotisches Begehren. Italo Svevo ist damit der Autor, der die Psychoanalyse, ironisch gebrochen allerdings, in die italienische Literatur eingeführt hat.
  • Das Leben erscheint als in einzelne Momente zersplittert, den großen biografischen Zusammenhang gibt es nicht. Zenos Gewissen ist darum auch die Parodie eines Entwicklungsromans: Es werden zwar noch biografische Stationen aufgerufen, aber ein Fortschritt oder eine Reifung der Hauptfigur existiert nicht.
  • Zeno ist ein unzuverlässiger Erzähler: Er selbst warnt seinen Leser Doktor S. davor, alles für bare Münze zu nehmen.

Historischer Hintergrund

Triest zwischen den Sprachen und Nationen

Triest war ab dem 14. Jahrhundert Teil der österreichischen Habsburgermonarchie und ihre wichtigste Hafenstadt, weshalb der Handel dort florierte. Ein buntes Völkergemisch prägte die Stadt; Ende des 19. Jahrhunderts lebten dort 62 % Italiener, 14 % Slowenen, 10 % Deutschösterreicher – der Rest waren Engländer, Armenier, Türken und Griechen. Fast alle Triester waren mehrsprachig, Hauptverständigungssprache war Italienisch, zumeist im Triester Dialekt. Ihre wirtschaftliche und kulturelle Blüte hatte die Stadt um 1900. In dieser Zeit entstanden Prachtbauten berühmter Architekten. James Joyce lebte zwischen 1904 und 1920 dort, Rainer Maria Rilke schuf 1912 im nahe gelegenen Schloss von Duino seine Duineser Elegien. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam das wirtschaftliche und kulturelle Leben Triests zum Erliegen.

Als Italien 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärte, entstand vor den Toren Triests die Front, und die Stadt wurde wegen der mehrheitlich proitalienischen Haltung ihrer Bewohner von den Behörden scharf überwacht. 1918 nahmen italienische Truppen die Stadt in Besitz. Im Vertrag von Saint Germain wurde Triest 1919 offiziell ein Teil von Italien. Durch seine Lage am äußersten Rand Italiens, direkt an der slowenischen Grenze, verlor Triest nun an wirtschaftlicher Bedeutung und war nur noch eine von vielen italienischen Hafenstädten an der Adria. Im erstarkenden Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg wurden die nichtitalienischen Minderheiten, vor allem die Slowenen, zunehmend unterdrückt – ihre Sprache wurde verboten, ihre Namen wurden italianisiert. Es kam mehrfach zu Zusammenstößen zwischen Italienern und Slowenen. Nach Mussolinis faschistischer Machtübernahme 1922 wurde die Italianisierung der Slowenen mit Gewalt vollendet.

Entstehung

Italo Svevo war im bürgerlichen Leben Leiter des Unternehmens seines Schwiegervaters und während des Kriegs zum Müßiggang verurteilt, weil die österreichische Regierung einen Produktionsstopp erlassen hatte. Svevos Englischlehrer, kein geringerer als James Joyce, ermutigte ihn, das Schreiben wieder aufzunehmen, und ab 1915, als Italien in den Krieg gegen Österreich-Ungarn eintrat, hatte er auch Zeit dafür. Zunächst machte er sich an einen Text über den universalen Frieden (von dem nichts erhalten ist), außerdem begann er eine Übersetzung von Sigmund Freuds Traumdeutung – auf Freuds Schriften war er schon 1908 gestoßen, und er stand der Psychoanalyse zugleich fasziniert und kritisch gegenüber: Sie beeindruckte ihn als philosophische Theorie, aber er glaubte nicht, dass Menschen damit geheilt werden könnten. Sein homosexueller, neurotischer und drogensüchtiger junger Schwager war mehrere Jahre lang bei Freud in Behandlung gewesen und dann von ihm als „unheilbar“ entlassen worden – psychisch am Ende.

Die „Befreiung“ durch Italien im März 1919 beflügelte Svevo noch mehr: „Vier Monate nach dem Eintreffen unserer Truppen machte ich mich daran, meinen Roman zu schreiben. Als wäre das mit 58 Jahren etwas ganz Natürliches“, schrieb Svevo in einem Brief an seinen Lektor. Und in seinem Text Autobiographisches Profil heißt es: „Es war eine Zeit starker, überwältigender Inspiration. Es gab keine Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen. Dieser Roman musste geschrieben werden.“

Wirkungsgeschichte

Zenos Gewissen erschien 1923. Nur wenige und vor allem Triester Zeitungen rezensierten den Roman, und zwar negativ: Die Sprache wurde als unliterarisch und fehlerdurchsetzt kritisiert. Das traf Svevo sehr; er wollte die weitgehende Nichtbeachtung nicht auf sich beruhen lassen und schickte ein Exemplar an James Joyce, der mittlerweile in Paris lebte und 1922 durch die Veröffentlichung des Ulysses mit einem Schlag berühmt geworden war. Joyce schätzte den Roman sofort und empfahl ihn zwei bedeutenden französischen Kritikern, Valéry Larbaud und Benjamin Crémieux, die ihn in ausführlichen Artikeln vorstellten und in Svevo gleich den wichtigsten italienischen Romanautor der Gegenwart sahen. Darüber wiederum ließen sich die italienischen Meinungsführer nur ungern belehren – auch dass ausgerechnet aus dem ehemaligen Österreich-Ungarn ein Erneuerer kommen sollte, wollten sie nicht akzeptieren. So entzündete sich ein heftiger französisch-italienischer Literaturstreit, der „Fall Svevo“ war in aller Munde und brachte dem verkannten Schriftsteller schließlich den ersehnten Ruhm. Einer seiner ersten italienischen Anhänger war der spätere Nobelpreisträger Eugenio Montale, der Svevo in seinen letzten Jahren zu einem wichtigen Freund wurde. Nach seinem Tod verblasste Svevos Ruhm allerdings schnell – schuld daran war das zunehmend nationalistisch-faschistische Klima mit dem gezielten Antisemitismus unter Mussolini. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg befasste man sich ausführlicher mit Italo Svevo und erkannte langsam seine Bedeutung. Heute gilt er als Klassiker der europäischen Moderne, ja als derjenige, der die Moderne in den italienischen Roman eingeführt hat.

Über den Autor

Italo Svevo, mit bürgerlichem Namen Ettore Schmitz, wird am 19. Dezember 1861 in Triest geboren. Seine Eltern sind jüdische Großbürger mit deutschen Wurzeln; zu Hause spricht man Triester Dialekt. Sein Vater, selbst erfolgreicher Unternehmer, schickt seine Söhne auf ein deutsches Handelsinternat, wo Ettore die deutschen Klassiker liest. Ettore spürt wenig Neigung zum Handel und würde gern Schriftsteller werden, er wagt es aber nicht, sich seinem Vater zu widersetzen. Er studiert zwei Jahre an der Triester Handelsschule und wird 1880, nach dem Bankrott seines Vaters, Bankangestellter. Neben dieser ungeliebten Arbeit liest er viel und verfasst unter einem Pseudonym Theater- und Buchkritiken, dann auch Erzählungen. Ende der 80er Jahre schreibt Schmitz seinen ersten Roman, findet aber keinen Verlag. Drei Jahre später veröffentlicht er auf eigene Kosten Una vita (Ein Leben) unter dem Pseudonym Italo Svevo („italienischer Schwabe“); allerdings ohne großes Echo. Seinem zweiten Roman Senilità (Ein Mann wird älter) geht es 1898 genauso. Dann schwört er der Literatur für lange Zeit ab. 1896 heiratet er Livia Veneziani, ein Jahr später wird seine Tochter geboren; 1898 steigt er in die Veneziani-Werke des Schwiegervaters ein, ein Unternehmen, das einen Unterwasseranstrich für Schiffe herstellt. Als er Englischunterricht für die Firma nimmt, lernt er 1905 James Joyce als seinen Englischlehrer an der Berlitz-School kennen. Joyce schätzt Svevos Romane und ermutigt ihn, wieder zu schreiben. 1923 erscheint La coscienza di Zeno (Zenos Gewissen), und in Italien wäre auch dieser Roman unbeachtet geblieben, hätte nicht Joyce seinen mittlerweile großen Einfluss geltend gemacht. Auf dem Umweg über französische Kritiker kommt Italo Svevo zu seinem späten Durchbruch. Er schreibt noch mehrere Erzählungen und hat mit einem vierten Roman begonnen, als er am 13. September 1928 an den Folgen eines Autounfalls stirbt.

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