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Die Memoiren des Barry Lyndon

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Die Memoiren des Barry Lyndon

Manesse,

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10 take-aways
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What's inside?

Aufschneider, Söldner, Mitgiftjäger: Barry Lyndons Aufstieg und Fall entlarvt die Dekadenz der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts.

Literatur­klassiker

  • Schelmenroman
  • Viktorianische Ära

Worum es geht

Ein irischer Heißsporn

Barry Lyndon ist ein Unikat. Der irische Heißsporn eilt von Abenteuer zu Abenteuer, taucht in verschiedenen Ländern unter verschiedenen Namen und Masken auf und erfindet sich immer wieder neu. Dabei trifft er Menschen verschiedenster Nationalitäten und Berufe, die teilweise noch gerissener sind als er und die seine Phrasen und Versteckspiele bald durchschauen. Zu den Besonderheiten von Thackerays Roman gehört, dass der Erzähler nicht nur seine Erfolge, sondern auch seine Niederlagen offen darlegt. Während seine Prahlerei, seine Brutalität und seine Frauenfeindlichkeit abstoßen, verleihen ihm die eingestandenen Schlappen einen sympathischen Zug. Die Memoiren des Barry Lyndon zeichnen ein ebenso schillerndes wie dekadentes Sittengemälde Europas in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Take-aways

  • Die Memoiren des Barry Lyndon sind ein Sittengemälde der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
  • Inhalt: Barry Lyndon blickt als alter Mann auf sein bewegtes Leben zurück. Als Halbwaise aus irischem Landadel erobert er sich durch Gerissenheit und Skrupellosigkeit einen bedeutenden Platz in der europäischen Gesellschaft. Nach seiner Heirat mit einer Gräfin verliert er jedoch alles. Arm und einsam endet er im Gefängnis.
  • Die fiktive Autobiografie trägt Züge eines Schelmenromans.
  • Barry Lyndon ist der Inbegriff eines unzuverlässigen Erzählers: Der Leser kann seinen Aussagen nicht trauen.
  • Thackerays Ziel war es, als Gegenmodell zu den idealisierten Helden vieler Romane den Lebenslauf eines Schurken darzustellen.
  • Der Text ist von realen Vorbildern inspiriert, etwa von der Lebensgeschichte Giacomo Casanovas.
  • Er erschien 1844 als Fortsetzungsroman und 1856 in Buchform.
  • Thackerays Zeitgenossen brachten dem Werk wenig Sympathie entgegen, weil es einen positiven Helden vermissen ließ.
  • Stanley Kubrick verfilmte das Buch 1975.
  • Zitat: „Zweifel hinsichtlich der Zukunft hatte ich nicht; ein Mann mit meinem Äußeren, meinen Talenten und meinem Mut, glaubte ich, würde überall seinen Weg machen.“

Zusammenfassung

Von vermeintlich hoher Herkunft

Die Familie Barry war einst eines der edelsten Geschlechter Irlands. Sie besaß riesige Gebiete, bis der Fehltritt einer Frau sie um Ruhm und Ehre – womöglich sogar um die irische Krone – brachte. Denn im 16. Jahrhundert verloren die Barrys ihren Besitz, als die Tochter des damaligen Familienoberhaupts den feindlichen Engländern einen Schlachtplan verriet, worauf viele Iren, darunter die Vorfahren des Erzählers Redmond Barry, niedergemetzelt wurden. Noch der Vater des Erzählers lernte bei einem Advokaten und hielt Rennpferde; die Mutter zählte die reichsten Männer Irlands zu ihren Verehrern. Nach dem Tod des verschwenderischen Vaters waren Mutter und Sohn de facto bankrott, auch wenn sie sich weiter mondän gaben. Der Sohn durfte auf Castle Brady bei Onkel und Tante wohnen, wo er reiten und jagen lernte und seine vielen Talente kultivierte. Wegen seiner Prahlerei war er höchst unbeliebt und ständig in Prügeleien verwickelt.

„Seit den Tagen Adams gab es auf dieser Welt kaum einen Unfug, dessen Anlass nicht eine Frau gewesen wäre.“ (S. 5)

Inzwischen ist Barry 15-jährig und in seine Cousine verliebt, die acht Jahre ältere Nora Bradey, die jedoch einen Hauptmann bevorzugt. Barry schwört, er werde jeden Mann, der Nora beanspruche, bis aufs Blut bekämpfen. Die Familie ist entsetzt, denn sie hofft auf eine lukrative Ehe, die den verarmten Bradys viel Geld einbringen soll. Es kommt tatsächlich zum Duell, bei dem Barry den Hauptmann tötet. Nun muss er fliehen und sich verstecken. Er verabschiedet sich von der Mutter und geht auf Wanderschaft. Nach Abenteuern in Dublin, die für ihn unvorteilhaft enden, meldet er sich als Söldner zum Krieg in Deutschland.

Zweifelhafter Soldatenruhm

In Gesellschaft von Dieben, Knechten und Kriminellen setzt er auf einem Schiff über. Ein ehemaliger Bekannter vom Hof seines Onkels berichtet ihm, dass das Duell mit Noras Hauptmann nur inszeniert war, weil man ihn aus dem Weg schaffen wollte. Barry ist erleichtert, dass sein Nebenbuhler lebt und er keinen Mord begangen hat. Er kämpft aufseiten der Preußen im Siebenjährigen Krieg in Deutschland. Die Gesellschaft, in die er geraten ist, empfindet er als erniedrigend. Er wird jedoch bald zum Korporal befördert. Er erlebt die Schlacht bei Minden, das Grauen, das Elend und die Brutalität des Krieges. Mit 17 Jahren ist er dem Alkohol und dem Spiel verfallen und führt ein zügelloses Leben. Wegen einer Verwundung landet er im Haus eines Deutschen in Warburg, wo er gesundgepflegt wird. Um länger bleiben zu können, täuscht er einen Fieberwahn vor. Er zieht sich die Uniform eines ebenfalls verletzten Leutnants an, stiehlt dessen Geld und Papiere und behauptet, man habe ihn befördert. So verkleidet will er ins neutrale Holland fliehen.

„Zweifel hinsichtlich der Zukunft hatte ich nicht; ein Mann mit meinem Äußeren, meinen Talenten und meinem Mut, glaubte ich, würde überall seinen Weg machen.“ (S. 100)

Zunächst landet er aber in Kassel, wo er sich als Engländer mit vielen Ländereien ausgibt. Zusammen mit dem preußischen Hauptmann von Potzdorff macht er an einem schäbigen Bauernhof halt. Dort entlarvt ihn der Hauptmann als Deserteur und Hochstapler. Gemeinsam mit anderen gefangenen Deserteuren wird er nach Fulda gebracht, wo er erneut hochtrabende Geschichten seiner Kultiviertheit zum Besten gibt. Barry wird in das Regiment Bülow in Berlin gesteckt. Willkürliche Strafen durch die Offiziere sind an der Tagesordnung. Mit nur 20 Jahren ist Barry der tapferste, hübscheste und lasterhafteste Soldat der Armee, wüst im Gefecht und gierig nach Vergnügungen. Mit seinem schwarzen Haar und seiner dunklen Haut gilt er als „schwarzer Engländer“ oder „englischer Teufel“. Er plündert sogar die Leiche eines österreichischen Obersten, den er getötet hat.

Intrigen in der Potsdamer Garnison

In Berlin wird Barry neben seinem Soldatendasein Vertrauter des Hauptmanns von Potzdorff. Er macht sich unentbehrlich und verdient sich durch die Weitergabe vertraulicher Informationen ein Zubrot. In der Armee wird er jedoch nicht befördert, weil er als verschwenderischer Müßiggänger ohne Prinzipien gilt. Das Leben in der Kaserne hat er bald satt. Er erwirbt sich das Vertrauen wichtiger Familien, in der Hoffnung, sie könnten ihn freikaufen. Doch auch sie erkennen in ihm rasch einen Lügner und Verschwender. Sein Hauptmann gaukelt ihm vor, ihn im Gegenzug für Spionage in den Dienst eines irischen Chevaliers befördern zu wollen. Jener Chevalier erweist sich jedoch als der älteste Bruder von Barrys Vater. Barry gibt sich dem Onkel zu erkennen. Dieser ist sehr gerührt, einen Bluts- und Geistesverwandten zu treffen. Er hat genauso wie sein Neffe in ganz Europa Dienst getan und in jeder europäischen Hauptstadt Schulden gemacht. Das Kartenspiel ist sein einziger Lebensunterhalt.

„Wenn ich bedenke, durch welche geringfügigen Umstände alle wichtigen Begebenheiten meines Lebens bewirkt wurden, mag ich selbst kaum glauben, dass ich etwas anderes war als eine Marionette in den Händen des Fatums, das mir die fantastischsten Streiche gespielt hat.“ (S. 117)

Barry spioniert fortan im Auftrag seines Onkels die Spielkarten von dessen Mitspielern aus. Zugleich leitet er als Doppelagent fingierte Spionageberichte über seinen Onkel an seinen deutschen Dienstherrn weiter. Als Teil eines abgekarteten Spiels berichtet er dem Hauptmann von Potzdorff, dass der Chevalier neuerdings auch Offiziere zum Spiel verführt habe, woraufhin Potzdorff den Onkel des Landes verweist. Am nächsten Morgen wird der vermeintliche Onkel – in Wirklichkeit ist es der als Chevalier verkleidete Barry – in seiner Kutsche gefangen genommen und aus Preußen verbannt. Der Onkel bekommt unterdessen Besuch von Hauptmann von Potzdorff. Der bemerkt den im Bett liegenden Chevalier nicht und schickt sich an, dessen privaten Briefverkehr zu lesen. Der Chevalier schlägt ihn bewusstlos, ruft dann um Hilfe und bezichtigt Potzdorff des Diebstahls. Daraufhin erhält er ein üppiges Schweigegeld, muss aber im Gegenzug Berlin verlassen.

Eine sächsische Tragödie

So finden sich Barry und sein Onkel im sächsischen Dresden wieder, wo sie ein verschwenderisches Leben führen. Sie frönen weiterhin dem Spiel und müssen bisweilen Kleidung und Schmuck versetzen, um weiterspielen zu können. Barry ist entschlossen, durch eine reiche Heirat ein Vermögen zu machen. Er liebäugelt mit der Komtesse Ida. Prinzessin Olivia, deren Ehrendame Ida ist, hat für sie aber den Chevalier de Magny vorgesehen, in den sie, obwohl verheiratet, selbst verliebt ist. Um Ida für sich zu gewinnen, spielt nun Barry auf Rat seines Onkels gegen Magny, bis dieser fast bankrott ist. Barry droht, ihn zu kompromittieren und seine Schulden öffentlich zu machen. Darauf zieht sich der Franzose als Kandidat der Braut zurück. Ida will aber trotzdem nichts von Barry wissen. Magny versetzt zur Begleichung seiner Spielschulden bei einem jüdischen Bankier einen Smaragd, den ihm die Prinzessin geschenkt hat. Der Bankier bedrängt ihn allerdings und verlangt Schweigegeld. Das führt dazu, dass Magny den Bankier erschießt. Als daraufhin die ganze Affäre auffliegt, stehen auch Barry und sein Onkel wochenlang unter Arrest, bevor sie schließlich des Landes verwiesen werden.

„Ja, mein Geschmack neigte immer zum Hohen und Vornehmen, und ich verabscheute die scheußliche Gesellschaft, in die ich geraten war.“ (S. 140)

Wie Barry 20 Jahre später erfährt, hatte der damalige Polizeiminister die Finger im Spiel. Von Prinzessin Olivia gedemütigt, war er darauf aus, Magny eine Falle zu stellen. Er hatte Spitzel bei ihm positioniert, die ihm von Magnys Liebe zur Prinzessin berichteten. Diese Information reichte er an Prinz Viktor weiter, den Gatten der Prinzessin. Prinzessin Olivia wurde von ihm und seinen Schergen gefesselt und geköpft – offiziell hieß es, sie sei an einer Hirnentzündung gestorben. Es bleibt unklar, ob Magny im Gefängnis Selbstmord beging oder ob er erschossen wurde.

Hoffen auf den großen Coup

In Spa begegnet Barry Sir Charles Lyndon und dessen Gattin. Lady Lyndon besitzt ausgedehnte Ländereien in England und Irland. Nachdem sie ihn als Schwindler bezeichnet hat, ist Barry darauf erpicht, sie von seinem Ehrgefühl zu überzeugen. Insgeheim hat er zudem die Hoffnung, sie nach dem Tod des kränkelnden Charles heiraten zu können. Er macht ihr hartnäckig den Hof. Als sie nach Irland zurückgekehrt ist und Barry bereits mit einer Witwe in Brüssel liebäugelt, erfährt er vom Tod ihres Ehemanns. Sofort reist Barry nach Irland. Er besucht Castle Brady, wo er aufgewachsen ist, schenkt den alten Dienern Geld und hält glanzvoll Einzug in Dublin, das ihm nun wie ein armseliges Provinznest mit halbwilder Bevölkerung vorkommt.

„Ich verabscheue jede Prahlerei, kann aber nicht umhin zu bemerken, dass ich mit dem Obersten der Cravates recht innige Bekanntschaft schloss, denn ich rammte ihm mein Bajonett in den Leib und erledigte einen armen kleinen Fähnrich (...).“ (S. 145 f.)

Lady Lyndon wird unterdessen von Lord Poynings der Hof gemacht. Barry fordert diesen zum Duell und verletzt ihn lebensgefährlich. Lady Lyndon ist entsetzt und bezeichnet Barry als Ungeheuer. Mit Poynings söhnt er sich schließlich in Dublin aus. Sie vergleichen ihre Briefwechsel mit Lady Lyndon und stellen fest, dass diese ihnen beiden dieselben Gedichte geschickt hat. Poynings dankt Barry dafür, ihm die Augen geöffnet zu haben, und will Lady Lyndon nun nicht mehr heiraten. Diese weist Barry jedoch noch immer zurück, woraufhin er Diener besticht und ihre Privatkorrespondenz liest. Über eine Wahrsagerin und eine ihrer Freundinnen versucht er, auf sie einzuwirken. Als sie nach England flieht, findet er sich schon einen Tag vor ihr dort ein. Erneut versorgen ihn Pförtner und Zofen in London gegen Geld mit Informationen, während er Gerüchte über ihre vermeintliche Liebe zu ihm derart anheizt, dass Lady Lyndon sich schließlich gezwungen sieht, ihren Widerstand aufzugeben. 1773 heiraten Redmond Barry und Lady Lyndon; er nennt sich fortan Barry Lyndon.

In der feinen englischen Gesellschaft

Glücklich ist ihre Ehe nicht. Weil seine Gattin ständig nörgelt, demütigt Barry sie aus Rache, flirtet mit anderen Frauen und richtet sich das nun gemeinsame Schloss in Devon nach seinem Geschmack ein. Den gesamten Besitz wird allerdings Lady Lyndons Sohn aus erster Ehe, der junge Lord Bullingdon, erben, und nicht Bryan Lyndon, der Sohn, den die Lady nach einem Jahr Ehe mit Barry zur Welt bringt. Barrys einziger Ehrgeiz ist nun, sich den Titel eines Viscounts zu verschaffen. Bald führen er und Lady Lyndon getrennte Leben. Sie wird dick und weinerlich, er ist oft grob zu ihr. Er erlebt kaum noch Abenteuer, sondern pendelt zwischen seinen Besitzungen in Devonshire, London und Irland hin und her. Als der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg ausbricht, erlangt Barry einen Sitz im Parlament und strebt nun die Erhebung zum irischen Peer an. Auch intrigiert er und manipuliert einflussreiche Persönlichkeiten, die seine Erhebung zum Viscount bewirken könnten. Er erwirbt Geld, Schmuck und Kunst, um dem Gebaren eines Peers gerecht zu werden. Privat schmälert seine zänkische Ehefrau jedoch sein Glück. Er wirft mit Gläsern nach ihr und droht ihr mit dem Tod. Einzig sein Sohn Bryan hält die Ehe zusammen.

„Ich sah die tapfersten Männer des Heers unter Stockhieben wie Kinder weinen; ich habe gesehen, wie ein kleiner fünfzehnjähriger Fähnrich einen Fünfzigjährigen aus dem Glied treten ließ, einen Mann, der an hundert Schlachten teilgenommen hatte – er stand da, präsentierte das Gewehr, schluchzte und heulte wie ein kleines Kind, während der junge Flegel ihm mit dem Stock die Arme und Oberschenkel prügelte.“ (S. 213)

Für Lord Bullingdon, den älteren Sohn aus Lady Lyndons erster Ehe, empfindet Barry lediglich Abneigung. Er straft ihn nicht nur, indem er ihn zu seiner Mutter nach Irland schickt, sondern züchtigt ihn auch mit der Peitsche. Barry gelangt in den Ruf, ein grausamer Stiefvater zu sein, der Lord Bullingdon nur deshalb das Kommando einer in Amerika dienenden Kompanie übertragen hat, um ihn loszuwerden. Barrys Leumund ist inzwischen so schlecht, dass man ihm nachsagt, er werde wohl einmal seine Frau umbringen. Angesichts dieser Schmähungen verlegt er seinen Wohnsitz nach Paris, wo er sich durch Glücksspiel und durch die Beziehung zu einer Tänzerin jedoch noch mehr ruiniert. Als sich Frankreich im Unabhängigkeitskrieg auf die Seite der amerikanischen Rebellen stellt, werden alle Engländer der Stadt verwiesen. Nach England zurückgekehrt, strebt Barry erneut die Erhebung in den Adelsstand an, doch der König ist nicht geneigt, ihm, den er für den unverschämtesten aller seiner Untertanen hält, diesen Wunsch zu erfüllen. Als in London ein antikatholischer Aufstand stattfindet, jubelt die Menge Barry zu, einem strammen Protestanten. Bei Neuwahlen verliert er jedoch seinen Sitz im Parlament. Er ist finanziell am Ende und sein Ruf ist ruiniert. Barry zieht sich nach Irland zurück. Als sein Stiefsohn in Amerika stirbt, kann endlich sein leiblicher Sohn den Titel Lord Viscount tragen.

Der Kreis schließt sich

Zurück auf Castle Lyndon kauft er seinem Sohn ein Pferd, das noch zugeritten werden muss. Der Neunjährige unternimmt jedoch heimlich einen Ausritt und hat dabei einen Reitunfall, an dem er kurz darauf stirbt. Lady Lyndon leidet daraufhin an Anfällen und Visionen. Man beschuldigt Barry, sie in den Wahnsinn getrieben zu haben. Rechtmäßiger Erbe des gesamten Besitzes ist nun die verhasste Familie Tiptoff, die auch bald Ansprüche erhebt. Barry hat inzwischen einen so schlechten Ruf, dass er nicht einmal mehr eine Lebensversicherung auf den Namen seiner Frau abschließen kann. Unterdessen versucht er, seine unehelichen Kinder von anderen Frauen als Erben von Lady Lyndon einzusetzen. Diese will sich jedoch von ihm scheiden lassen. Barry setzt erneut einen Spitzel auf sie an, den Sohn seiner Cousine Nora, der sich jedoch heimlich mit der Gegenpartei verbündet und Lady Lyndons Flucht plant. Einen ersten Plan dieser Art kann Barry aufdecken, doch dann tappt er in eine Falle. Unter einem Vorwand wird er von Lady Lyndon und deren Verbündeten nach London gelockt, wo es mehrere Vollstreckungsbefehle gegen ihn gibt. Er muss sich außer Landes begeben, um der Verhaftung zu entgehen. Barry kehrt jedoch anonym nach England zurück und versucht, seinen alten Widersacher Poynings zu erpressen. Bei einer Prügelei mit seinem Stiefsohn, der, wie sich herausstellt, doch nicht im Krieg gefallen ist, wird er verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Umsorgt von seiner alten Mutter, verfällt er dort allmählich dem Alkohol und stirbt nach 18 Jahren Haft.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman beginnt mit der Vorgeschichte der Familie Barry im 17. Jahrhundert und mit Barrys Geburt um 1750 und endet mit Barrys Tod zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Großteil der Geschichte wird von Barry selbst erzählt; nur der letzte Abschnitt über Barrys Gefängnisaufenthalt und seinen Tod ist aus der Sicht eines anonymen Erzählers geschildert. Die ersten drei der insgesamt 19 Kapitel widmen sich vor allem Barrys Kindheit und Jugend in Irland, die folgenden zehn seinen Abenteuern auf dem Kontinent, die letzten sechs seiner Eroberung von Lady Lyndon sowie seiner Rückkehr nach England und Irland. Auch wenn die retrospektive Haltung des Autors von Anfang an deutlich ist, bleiben die genauen Umstände und der Anlass für seinen Lebensrückblick unklar. Zum Zeitpunkt des Erzählens leidet er an zahllosen Krankheiten und ahnt sein baldiges Ende. Wiederholt greift er der Handlung vor oder kommentiert seinen Erzählvorgang. Zwar bekräftigt er mehrfach die Wahrhaftigkeit seiner Memoiren, doch ist er ein Paradebeispiel für einen unzuverlässigen Erzähler: Er will sich immer im besten Licht darstellen und manipuliert die Realität auf die für ihn vorteilhafteste Weise. Dabei scheint er gar nicht zu merken, wie sehr er sich entblößt bzw. falsch einschätzt. In zahlreichen unbedarft offenen Passagen desavouiert er sich selbst, etwa durch die Wiedergabe von Briefen anderer oder von Gerüchten, die über ihn im Umlauf sind.

Interpretationsansätze

  • Der für seine Sozialsatire und seine Gesellschaftspanoramen bekannte Thackeray zeichnet in diesem Roman ein Sitten- und Historienbild des 18. Jahrhunderts. Er spielt verschiedentlich auf reale Personen oder auf Ereignisse wie den Siebenjährigen Krieg oder den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg an. In realistischer Weise beschreibt er die Gräuel des Krieges.
  • Thackerays Werk folgt dem Genre des Schelmenromans, wie es unter anderem Henry Fielding mit Tom Jones geprägt hat: Es ist die fingierte Biografie eines Schelms, erzählt in Form von episodenhaften Abenteuern. Während frühere Schelmenromane von sympathischen Helden und eher harmlosen Streichen geprägt waren, sind Barry Lyndons Übeltaten außergewöhnlich grausam, bösartig und egoistisch. Zudem gibt es keinen allwissenden Erzähler, der eingreift und Barrys Schandtaten mit Verweis auf ihre Verwerflichkeit kommentiert.
  • Thackeray gestaltete seinen Helden absichtlich als Gegenmodell zu den heroischen Jünglingen etwa in den Romanen von Sir Walter Scott. Er hielt es für recht und billig, auch den Lebenslauf eines Schurken darzustellen, um das Wesen des Menschen vollständiger zu beschreiben. Zudem hielt er die Präsentation von geradezu unmöglichen Helden, die nicht nur geistige und körperliche Vorzüge genießen, sondern auch in den Besitz weltlichen Wohlstands geraten, für naiv und schlicht.
  • Ein wiederkehrendes Element ist die Sehnsucht des Erzählers nach der guten alten Zeit. Barry Lyndon steht zwischen den Epochen: Wiederholt bedauert er, dass Gentleman-Aktivitäten wie das Einfordern von Schulden per Degen in der modernen, „moralischen“ Welt geächtet sind. Diese neue Welt sieht er als Verschwörung der Mittelklasse gegen den Typus des Gentleman. Hier gilt auch das Spiel als unehrenhaft, für Barry hingegen ist es ein Mittel zum Aufstieg. Die neuen, respektablen Gewerbe wie Kaufmann, Arzt oder Advokat verachtet er. Das Leben sei viel sittlicher und sachlicher geworden und nicht mehr so munter wie früher.

Historischer Hintergrund

Anfänge und Auswirkungen der industriellen Revolution

Großbritannien definierte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts bewusst in Opposition zum revolutionären Frankreich und verbündete sich mit Preußen, Österreich und Russland gegen Napoleon. Dessen Schicksal war mit der Schlacht bei Waterloo 1815 besiegelt. Der Erbfeind Frankreich war jetzt ausgeschaltet und Großbritannien konnte seinen Siegeszug zur weltweit führenden Handels- und Industrienation antreten.

Nachdem James Hargreaves 1764 die erste industrielle Spinnmaschine („Spinning Jenny“) erfunden und James Watt 1769 die bereits früher erfundene Dampfmaschine entscheidend verbessert hatte, machten sich, vor allem zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Auswirkungen der industriellen Revolution bemerkbar. Die Eisenbahn verkürzte vormals lange Reisen auf wenige Tage oder sogar Stunden und erlaubte einen effizienteren Transport von Rohstoffen. Die Wirtschaft boomte, Infrastruktur wurde ausgebaut und dank landwirtschaftlicher Produktivitätssteigerung wuchs die Bevölkerung. Die Kehrseite des rasanten Wirtschaftswachstums waren extreme soziale Missstände, die Verarmung von Land- und Fabrikarbeitern und die Entstehung eines Proletariats. Die soziale Ungleichheit verschärfte sich umso mehr, als auf Rentabilität und Profitmaximierung ausgerichtete Kapitalgesellschaften zunehmend Kapital akkumulierten.

Die herrschende Weltanschauung war vom Utilitarismus geprägt: Handlungen wurden nach dem Prinzip der Nützlichkeit bewertet. Glück war laut Jeremy Bentham das höchste Gut und Endziel menschlichen Handelns. Ethisch wertvoll waren demnach diejenigen Handlungen, die das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl von Menschen bedeuteten.

Der viktorianische Moralkodex sah für Frauen nur die Rolle der hochmoralischen und geistig reinen Ehefrau vor, die Kinder zu gebären und großzuziehen hatte. Männer dagegen waren nur offiziell zur ehelichen Treue verpflichtet. Inoffiziell nahmen sie eifrig die Dienste einer wachsenden Zahl von Prostituierten in Anspruch.

Entstehung

Die Memoiren des Barry Lyndon beruhen teilweise auf Erfahrungen des Autors und enthalten zahlreiche autobiografische Elemente. Thackeray war vier Jahre alt, als sein Vater starb, sodass er als Halbwaise aufwuchs. Im Alter von 20 Jahren verlor er sein ererbtes Vermögen – unter anderem aufgrund seiner Leidenschaft für das Glücksspiel. Auch wurde seine irische Frau noch zu seinen Lebzeiten geisteskrank.

Daneben stand der irische Abenteurer und Glücksritter Andrew Robinson Stoney Pate für die Figur des Barry Lyndon. Stoney war mit einer Gräfin verheiratet, die er durch Aufschneiderei und Intrigen in seinen Bann gezogen hatte. Thackeray hatte über den Enkel der Gräfin von ihrem unglückseligen Schicksal erfahren. Anleihen machte der Autor außerdem bei den Viten des Diplomaten und Dichters Charles Hanbury Williams, des Dandys George Bryan Brummell und des Abenteurers Giacomo Casanova.

Thackeray veröffentlichte den Roman 1844 unter einem Pseudonym in Fortsetzungen im Fraser’s Magazine, für das er satirische Kurzprosa und Kunstkritiken schrieb. Die Niederschrift war mühsam und zäh und geschah nur unter dem Druck redaktioneller Verpflichtung. Im November 1844 schloss Thackeray auf Malta die letzte Folge ab. Die Buchausgabe erschien erst 1856, vier Jahre nachdem in New Yorker ein Raubdruck erschienen war. Den eher hochtrabenden vollständigen Titel – Die Memoiren des Barry Lyndon, Esq., aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und seine glänzenden Besitzungen in England und Irland sowie die zahlreichen grausamen Verfolgungen, Verschwörungen und Verleumdungen, deren Opfer er wurde – wählte der Herausgeber.

Wirkungsgeschichte

Bei den Lesern des viktorianischen England kam Thackerays Roman nicht gut an. Man vermisste einen positiven Helden und verachtete die Skrupellosigkeit und Verschlagenheit des egoistischen, amoralischen Barry sowie seine Prahlsucht und die bisweilen derbe Sprache.

Die Memoiren des Barry Lyndon wurde 1975 von Stanley Kubrick verfilmt. Der Film wurde mit vier Oscars ausgezeichnet. Allerdings war es Kubricks einziger Film, der seine Kosten nicht einspielte. Kritiker halten ihn dennoch für eines der besten Werke Kubricks.

Über den Autor

William Makepeace Thackeray wird am 18. Juli 1811 in Kalkutta geboren. Sein Vater ist ein hoher Kolonialbeamter im Dienst der Ostindischen Kompanie. Doch schon 1817 stirbt er, und William wird nach England gebracht. In London besucht er die renommierte Charterhouse School. 1829 geht er ans Trinity College in Cambridge, wo er aber nur für ein Jahr studiert. Danach begibt er sich auf Reisen durch Italien, Frankreich und Deutschland. In Weimar lernt er sogar Johann Wolfgang von Goethe kennen und erhält Gelegenheit, ihn zu zeichnen. Nach seiner Rückkehr beginnt er 1831 mit dem Studium der Rechtswissenschaften, bricht es jedoch ab, um sich verstärkt dem Journalismus zu widmen. Sein ererbtes Vermögen geht durch die Gründung zweier erfolgloser Zeitschriften und sein unglückliches Händchen bei Investitionen, Pferdewetten und Kartenspiel verloren. Thackeray reist erneut auf den Kontinent und studiert Kunst in Paris. Hier lernt er Isabella Shawe kennen, die er 1836 heiratet. Das frischgebackene Ehepaar zieht nach London. Isabella ist jedoch psychisch instabil und wird ab 1840 permanent in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Thackeray schreibt ab 1837 regelmäßig für das Fraser’s Magazine und Punch. Neben Reiseberichten erscheinen hier seine größeren Arbeiten Memoiren des Mr. C. J. Yellowplush (The Yellowplush Papers, 1837) und Die Memoiren des Barry Lyndon (The Luck of Barry Lyndon, 1844). Im Punch ist 1847/48 auch Jahrmarkt der Eitelkeit (Vanity Fair) zu lesen, der Roman, der Thackeray berühmt macht. Zum Jahreswechsel 1859/60 übernimmt er die Leitung des Cornwell Magazine. Hier soll sein letzter Roman Denis Duval erscheinen. Thackerays plötzlicher Tod am 24. Dezember 1863 vereitelt diesen Plan jedoch. Begraben wird er auf dem Friedhof von Kensal Green. Eine Ehrenbüste wird in der Abtei von Westminster aufgestellt.

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