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Vom Geist der Gesetze

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Vom Geist der Gesetze

Reclam,

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What's inside?

Ein Klassiker der politischen Ideengeschichte und Wegweiser zum modernen Verfassungsstaat.


Literatur­klassiker

  • Politik
  • Moderne

Worum es geht

Auf dem Weg zum modernen Verfassungsstaat

Es gibt kein Patentrezept für die erfolgreiche Verwaltung eines Staates, zu unterschiedlich sind die Zutaten in jedem einzelnen Fall. Diese Erkenntnis war bei Veröffentlichung von Montesquieus Abhandlung Vom Geist der Gesetze 1748 neu. Dass Regierungsform und Gesetze exakt auf die natürlichen Lebensbedingungen, auf Sitten, Gewohnheiten und religiöse Traditionen eines Landes zugeschnitten sein müssen, war Ergebnis seiner Studien zu Staatssystemen in unterschiedlichen Weltregionen. Statt abstrakt über Zweck und Aufbau eines idealen Staates zu sinnieren, setzte sich der französische Aristokrat mit den konkreten Verhältnissen auseinander; seine auf Reisen durch viele europäische Länder gemachten Beobachtungen flossen in das Werk ein. Mit dieser Vorgehensweise war er seiner Zeit weit voraus: Erst viel später wurden soziologische Methoden Standard. Seine Heimat, das von einem absoluten Monarchen regierte Frankreich, sah er auf dem besten Weg in die Despotie. Zum Schutz vor Willkürherrschaft jeder Art ersann der liberale Aufklärer seine berühmte Lehre von der Gewaltenteilung. Sein Buch wurde ein Bestseller, seine Ideen verbreiteten sich in Europa, überquerten den Atlantik und beeinflussten die Verfassung der USA und die vieler anderer demokratischer Staaten.

Take-aways

  • Die 1748 erschienene Abhandlung Vom Geist der Gesetze zählt zu den einflussreichsten Werken der Staatsphilosophie.
  • Inhalt: Um erfolgreich zu regieren, muss ein Gesetzgeber die regionalen Besonderheiten, das Klima, die Bodenbeschaffenheit, die Sitten und die religiösen Traditionen in einem Land beachten. Eine strikte Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative bietet den besten Schutz vor dem Abgleiten einer Regierung in Despotie.
  • Mit seinem Werk übt Montesquieu indirekt Kritik am französischen Absolutismus und der Willkürherrschaft des Monarchen.
  • Im Unterschied zum radikalen Demokraten Jean-Jacques Rousseau vertritt er als Aristokrat eine liberale Position und befürwortet eine konstitutionelle Monarchie.
  • In seinem eher optimistischen Menschenbild ist das Individuum politisch und strebt nach Gemeinschaft.
  • Montesquieu will soziale und politische Phänomene mit empirisch-wissenschaftlichen Methoden analysieren und greift damit der Soziologie vor.
  • Vom Geist der Gesetze ist eher unsystematisch aufgebaut, der Stil nüchtern und reich an Sentenzen.
  • Obwohl die römische Kurie das Werk auf den Index verbotener Bücher setzte, wurde es schon bald zu einem europäischen Bestseller.
  • Später beeinflusste es stark die amerikanische Verfassung von 1787, deren „checks and balances“ erstmalig konsequent das Konzept der Gewaltenteilung umsetzten.
  • Zitat: „Das Prinzip der Demokratie entartet nicht allein, wenn der Geist der Gleichheit abhandenkommt, sondern auch, wenn sich der Geist übertriebener Gleichheit breit macht.“

Zusammenfassung

Vom Naturzustand zur Gesellschaft

Es gibt in der Welt natürliche, unwandelbare, von Gott gegebene Gesetze, nach denen sich Materie und Pflanzen, Tiere und Menschen verhalten. Als einziges vernunftbegabtes Wesen hat sich der Mensch selbst positive Gesetze moralischer und rechtlicher Art gegeben, denen die Naturgesetze vorausgehen. So gibt es eine natürliche Gerechtigkeit, auf der das positive, gesetzte Recht beruht. Im Naturzustand sind die Menschen aus Furcht voreinander und aus einem Gefühl der Schwäche friedlich. Sobald sie aber in Gesellschaftsformen leben, endet das Schwächegefühl und es herrscht Kriegszustand, sowohl zwischen den Individuen einer Nation als auch zwischen den Nationen selbst. Aus diesem Grund führen die Menschen Gesetze ein: das Völkerrecht, das Staatsrecht und das bürgerliche Recht.

„Ich würde mich für den glücklichsten Sterblichen halten, wenn ich Menschen von ihren Vorurteilen zu befreien vermöchte. Dabei verstehe ich unter Vorurteilen nicht das, auf Grund dessen man bestimmte Dinge nicht weiß, vielmehr das, auf Grund dessen man sich selbst nicht kennt.“ (S. 92)

Es existieren drei Regierungsformen: Republik, Monarchie und Despotie. Die Republik ist in zwei Ausformungen möglich: als Demokratie und als Aristokratie – je nachdem, ob das gesamte Volk oder nur ein Teil davon die souveräne Macht innehat. In der demokratischen Republik ist das Volk Monarch und Untertan zugleich. In der Aristokratie ist es von Vorteil, wenn die adligen Familien einen großen Teil des Volkes ausmachen und möglichst viele an der Macht beteiligt sind. Je näher sie der Demokratie kommt, desto besser funktioniert die Aristokratie. In der Monarchie geht die staatliche und zivile Gewalt von einem Einzelnen aus. Damit sie nicht zur Willkürherrschaft entartet, sind überwachende Instanzen und vermittelnde privilegierte Schichten wie etwa Adel oder Klerus nötig, die der Macht des Herrschers Grenzen setzen.

Die Prinzipien der verschiedenen Regierungsformen

Das wesentliche Prinzip, auf dem die ideale Demokratie fußt, ist die Tugend seiner Bürger. Anders als der Monarch müssen sie die Gesetze, die sie sich geben, selbst befolgen. Dafür bedarf es Tugenden wie Vaterlandsliebe, Selbstüberwindung und Opferbereitschaft. All dies ist in einer Monarchie erfahrungsgemäß sogar hinderlich. Deren Untertanen mögen aus Ehrgefühl, Standesbewusstsein und Eigenliebe zu guten Taten angeleitet werden, niemals aber aus Liebe zum Staat. In Monarchien erachten die Bürger von Kindheit an andere Werte als wichtig: Höflichkeit, Schicklichkeit und Manieren. Sie befolgen Gesetze nicht aus innerem Antrieb, sondern aus Gehorsamspflicht gegenüber dem Herrscher. Die republikanischen Tugenden erfordern die Überwindung eigener Interessen zugunsten des Allgemeinwohls, sie sind jedem Bürger eine Herzensangelegenheit und werden den Kindern allein durch das väterliche Vorbild vermittelt. In despotischen Staaten, die auf dem Prinzip des Terrors beruhen, sind die Strafen naturgemäß härter als in Monarchien und Republiken, die bei der Verbrechensbekämpfung mehr auf Prävention setzen. Allgemein gilt: Je größer die Freiheit in einem Staat, desto milder die Strafen.

„In ihrer weitesten Bedeutung sind Gesetze die notwendigen Bezüge, wie sie sich aus der Natur der Dinge ergeben.“ (S. 97)

In der Demokratie gilt Vaterlandsliebe als die republikanische Tugend schlechthin, sie geht einher mit Liebe zur Genügsamkeit und zur Gleichheit der Vermögen. Beides sollte nach dem Vorbild antiker Republiken gesetzlich festgelegt sein. Wo die Menschen stets Ungleichheit und Luxus vor Augen haben, wollen alle aufsteigen und reich werden – zum Schaden des Gemeinwohls. Ein möglichst breiter Mittelstand, in dem jeder durch Arbeit sein Auskommen findet und zugleich zur Bewahrung seines Vermögens auf Arbeit angewiesen ist, bildet das Fundament jeder Demokratie. In der Aristokratie muss der regierende Adel sich selbst bescheiden und einen einfachen Lebensstil pflegen, was ein hohes Maß an Selbstzucht erfordert. Allein in der Monarchie und erst recht in der Despotie ist Luxus notwendig, denn wenn die Reichen das, was sie einem Teil der Bürger genommen haben, nicht ausgeben, steigt die Armut.

Gefahren der Entartung

Ebenso gefährlich wie Ungleichheit ist für die Republik eine übersteigerte Gleichheit. Im Naturzustand sind alle Menschen gleich, doch die Gleichheit geht in der Gesellschaft verloren und wird erst durch Gesetze wiederhergestellt. Übertriebene Gleichheit bedeutet, dass alle befehlen können und sich keiner etwas befehlen lässt, sodass die staatlichen Institutionen ihre Macht und Wirksamkeit verlieren. Das Volk ist nicht in der Lage zu regieren, sehr wohl aber, fähige Stellvertreter zu bestimmen. Wenn das Volk nun die Macht, die es Ministern und Beamten übertragen hat, selbst ausüben will und die obersten Vertreter nicht mehr respektiert, greifen Faulenzerei, Luxussucht und Korruption um sich. Der Monarchie dagegen droht Gefahr, wenn die privilegierten Gruppen in ihren Vorrechten beschnitten werden und damit die Macht des Monarchen wächst. Wie die Demokratie zum Despotismus aller verfällt, so entartet die Monarchie zum Despotismus eines Einzigen.

„Ehre wird in den Monarchien von den Leidenschaften gestachelt und stachelt sie ihrerseits: Politische Tugend jedoch bedeutet die Überwindung des eigenen Ich und ist immerdar eine mühevolle Aufgabe.“ (S. 138)

Der Geist eines Staates ist wesentlich an seine Größe gebunden. Während Republiken nur auf kleinen Territorien funktionieren, da das Staatswohl den Bürgern andernfalls aus dem Blick gerät, muss eine Monarchie mittlere Größe haben, um die Macht an einem einzigen Hof zu konzentrieren. Großflächigere Staaten können zudem bei Angriffen nicht schnell genug verteidigt werden. Wer sein Staatsgebiet erweitert, büßt dafür an Macht ein.

Der ideale freie Staat

Kein Begriff ist so umstritten wie derjenige der Freiheit. Politische Freiheit, wie sie in der Demokratie herrscht, bedeutet nicht, dass jeder machen kann, was er will – wenngleich er sagen kann, was er denkt. Unabhängig von der Regierungsform gibt es politische Freiheit nur in maßvollen Staaten, in denen die Macht nicht missbraucht wird. Dazu bedarf es verfassungsrechtlicher Vorkehrungen. Allein die Aufteilung der legislativen, exekutiven und richterlichen Gewalt auf verschiedene Körperschaften bietet Schutz vor Despotie. Derlei Mechanismen sind in Grundzügen bei den Germanen zu finden und nach deren Vorbild sind sie in der Verfassung Englands verankert.

„Es wird aber immer eine schöne Sache bleiben, die Menschen, die man regiert, glücklicher zu machen.“ (S. 139)

In einem freien Staat wird jeder Mensch durch sich selbst regiert, weshalb die legislative Macht das Volk als Ganzes innehaben sollte. Doch das ist wegen der Größe eines Staates und der Komplexität der Aufgabe nicht realisierbar. Deshalb wählen alle Bürger – mit Ausnahme der allerärmsten – Repräsentanten. Der aufgrund von Geburt, Reichtum oder Auszeichnung hervorragende Adel bildet eine eigene Körperschaft, deren Stimme stärker gewichtet wird – sonst hätten seine Mitglieder kaum Interesse am Erhalt des Staates. Sie erhält ein Vetorecht, mit dem Beschlüsse der Volkskammer annulliert werden können. Die exekutive Gewalt liegt bei einem Monarchen, da ein Einzelner im Notfall schneller handeln kann als mehrere. Er besitzt keine gesetzgeberische Macht, hat aber ebenfalls ein Widerspruchsrecht. Alle Körperschaften müssen strikt voneinander getrennt sein und sich gegenseitig in Schach halten, damit sie keine despotische Machtfülle gewinnen.

„Liebe der Gleichheit und Genügsamkeit wird bis zum Äußersten erregt durch Gleichheit und Genügsamkeit selber, wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der die eine wie die andere von den Gesetzen eingeführt wurden.“ (S. 143)

Eine freie Verfassung mit Gewaltenteilung allein ist noch kein Garant für bürgerliche Freiheit. Diese erfordert zum einen, dass die Bürger ihrem eigenen Willen folgen – oder dies zumindest glauben. Zum anderen müssen die Bürger in Sicherheit sein – oder sich zumindest darin wiegen. Selbst unter einer despotischen Regierung ist ein Mann, der nach sicheren Richtlinien wegen eines Verbrechens verurteilt wird, freier als der Bürger einer Demokratie, in der Rechtsunsicherheit herrscht. Allgemein ist zu beobachten: Je größer die Freiheit in einem Staat, desto größer auch die Steuerlast. Freiheit ist die Entschädigung für hohen Steuerdruck, Unterdrückung der Preis für geringe Abgaben in despotisch regierten Staaten.

Wie das Klima prägt

Je nach dem Klima, das in einer Region herrscht, entwickeln die Menschen unterschiedliche Charaktere. Kalte Luft, die die Nervenenden zusammenzieht und den Kreislauf anregt, befördert Kraft und Energie, Mut und Selbstvertrauen. Wärme dagegen lässt den ganzen Körper erschlaffen und führt zu Schwäche und Mutlosigkeit, einem höherem Genuss- und Schmerzempfinden. Insgesamt sind die Menschen in den wärmeren südlichen Ländern sensibler als die gesunden, grobschlächtigeren Bewohner nördlicher Breitengrade, aber auch verschlagener, lasterhafter und weniger offen. Sie widmen sich ausgiebig der Liebe, während die nordischen Völker ihr Vergnügen in Jagd, Krieg und Wein suchen. Die Südländer unterliegen in hohem Maß ihren Leidenschaften, haben eine lockere Moral und lieben das Nichtstun. Sie bleiben passiv und leben lieber in Unterdrückung als in Selbstständigkeit. Darum sind die Völker des Orients dringender als die europäischen Nordvölker auf eine gute Gesetzgebung angewiesen, die der natürlichen Trägheit entgegensteuert.

„Das Prinzip der Demokratie entartet nicht allein, wenn der Geist der Gleichheit abhandenkommt, sondern auch, wenn sich der Geist übertriebener Gleichheit breit macht.“ (S. 184)

Welchen enormen Einfluss das Klima auf Lebensweisen und Gesetze hat, zeigen viele Beispiele. Der indische Buddhismus etwa, der Passivität und Ruhe als Ziel propagiert, ist tatsächlich ein Produkt des heißen Klimas. Auch das Alkoholverbot in Arabien ist auf klimatische Ursachen zurückzuführen – in kalten Ländern, wo das Klima zu großer Trinkfreudigkeit anregt, wäre ein solches undenkbar. In sehr heißen Ländern, in denen die Menschen nur aus Furcht vor Strafe zu harter Arbeit zu bringen sind, hat selbst die Sklaverei ihre Berechtigung. Ansonsten ist sie als vollkommen widernatürlich zu betrachten. In politischer Hinsicht sind die Völker in den heißen Zonen fast ausnahmslos despotisch regiert, während in den kalten Zonen Freiheit vorherrscht.

Das Verhältnis von Sitten, Gesetzen und Religion

Klima, Bodenbeschaffenheit, Sitten und Traditionen prägen das, was man den Gemeingeist einer Nation nennt. Der Gesetzgeber muss dieser natürlichen Veranlagung unbedingt Rechnung tragen, denn was die Menschen aus natürlichem Antrieb tun, machen sie besser als unter Druck. Man wird niemals einer fröhlichen Nation per Gesetz einen pedantischen Geist aufzwingen können. Sitten und Lebensstil haben ihren Ursprung im Nationalcharakter eines Volkes, die Gesetze dagegen sind durch Institutionen geschaffen. Beides muss miteinander im Einklang sein. Will ein Herrscher den Lebensstil seiner Untertanen ändern, geht das nicht auf gesetzlichem Weg – das wäre tyrannisch –, sondern nur durch das Vorleben eines anderen Lebensstils.

„Der natürliche Ort der Tugend liegt im Umkreis der Freiheit. Im Umkreis der übertriebenen Freiheit liegt er aber ebenso wenig wie im Umkreis der Knechtschaft.“ (S. 187)

Die Verfassung eines Staates und seine Gesetze haben großen Einfluss auf die Sitten und den Lebensstil eines Volkes. Ein Volk, das in Freiheit lebt, wird diese Freiheit von Herzen lieben und alles zu ihrer Verteidigung tun – sogar freiwillig hohe Steuern zahlen. Handel und Unternehmergeist erblühen in Staaten, in denen das Eigentum gesichert ist. Wo man die Menschen nach ihren wirklichen Leistungen, nicht nach gesellschaftlichem Stand beurteilt, herrscht weniger Luxus und Müßiggang. Höfliche Glätte gibt es dort im Unterschied zu absolut regierten Ländern nicht, eher eine Art innere Höflichkeit. Wo Gleichheit vor dem Gesetz herrscht, muss kein Bürger den anderen fürchten, und jeder ist stolz und fühlt sich als König. Das macht die Angehörigen einer freien Nation zu Verbündeten, zu Mitbürgern.

„In einer kleinen Republik ist das Staatswohl spürbarer, besser erkennbar und jedem Bürger näher.“ (S. 197)

Für den Staat kann jede Religion – ganz unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – von großem Nutzen sein. Bei allem Missbrauch, der im Namen der christlichen Religion betrieben wurde, ist sie politisch doch sehr nützlich. Sie befiehlt den Menschen Nächstenliebe und Sanftmut – damit unterstützt sie im Gegensatz zur mohammedanischen Religion eine maßvolle Regierung und bietet Schutz vor Despotie. Wenn es darum geht, aus Menschen gute Staatsbürger zu machen, wirken die christlichen Prinzipien sogar stärker als die bürgerlichen Tugenden der Republiken, die Ehrgesetze der Monarchie oder die Angst der Despotie. Untereinander müssen die in einem Staat verbreiteten Religionen Toleranz üben, denn sobald eine von ihnen unterdrückt wird, wird sie ihrerseits unterdrücken, sobald sie die Gelegenheit dazu hat.

Lob des gesunden Mittelmaßes

Die Menschen haben ihre natürliche Unabhängigkeit aufgegeben und sich entschlossen, in einem Staat unter Gesetzen zu leben, um ihre Freiheit und ihr Eigentum zu sichern. Der Schutz des Eigentums ist von allergrößter Bedeutung. Das Gemeinwohl steht zwar über den Einzelinteressen, doch niemals darf im Namen des Staates an den Eigentumsrechten des Einzelnen gerüttelt werden. Wenn etwa eine Stadt auf privatem Grund eine neue Straße bauen will, muss sie den Eigentümer entschädigen – das bürgerliche Recht des Privatmanns hat in diesem Fall unbedingt Vorrang vor dem politischen Recht der Allgemeinheit. Im bürgerlichen wie im politischen Recht sind Extreme zu vermeiden: Die Gesetze müssen den Geist der Mäßigung atmen. Selbst ein Übermaß an Vernunft ist keineswegs erstrebenswert, denn die Menschen kommen im Allgemeinen – in Bezug auf Territorium, Einkommen, klimatische Verhältnisse, politische Regierungen – mit den mittleren Zuständen am besten zurecht.

Zum Text

Aufbau und Stil

Vom Geist der Gesetze umfasst 31 „Bücher“ genannte Großkapitel, die ihrerseits recht locker in kürzere, mitunter nur wenige Sätze umfassende Kapitel unterteilt sind. Das Werk stellt keine systematische wissenschaftliche Abhandlung dar, die Gliederung erscheint auf den ersten Blick etwas konfus, und durch die vielen Exkurse verliert man leicht die Übersicht. Je weiter es fortschreitet, desto mehr zerfällt das Werk, das anfangs mit allgemeinphilosophischem Anspruch auftritt, in eine Vielzahl von Reflexionen und Sentenzen und driftet ins Anekdotische ab. Seine politische Theorie untermauert der Autor immer wieder durch Beispiele aus der antiken Geschichte, aber auch durch Beobachtungen aus anderen Ländern wie China, Japan, Indien und vor allem den europäischen Staaten. Der Tonfall, in dem Montesquieu seine Abhandlung schreibt, ist frei von jeder ideologischen Doktrin und stattdessen sehr pragmatisch.

Interpretationsansätze

  • Nach dem Vorbild Isaak Newtons will Montesquieu zeigen, dass man auch politische und soziale Fragen mit empirisch-wissenschaftlichen Methoden analysieren kann, und greift damit der Soziologie vor. Seine Grundannahme: Ebenso wie naturwissenschaftliche Phänomene haben die politischen und sozialen Phänomene Beziehungen und Strukturen, die sich in Gesetzen erfassen lassen.
  • Montesquieu sieht Europas absolute Monarchien von der Gefahr des Despotismus bedroht. Er verachtet die korrupte Herrschaft von Richelieu und Ludwig XIV. Seine Organisationslehre soll vor Despotismus wirksam schützen.
  • Trotz seiner Wertschätzung von Freiheit und Gleichheit wirbt der Aristokrat Montesquieu nicht vorrangig für die Demokratie. Er empfiehlt nach dem Vorbild des englischen Oberhauses eine eigene Adelskammer mit erblicher Mitgliedschaft und Vetorecht. Sein politisches Ideal ist die konstitutionelle, liberale, aufgeklärte Monarchie mit starkem Adel und selbstbewusstem Bürgertum.
  • Als großer Verehrer Englands, nicht nur in politischer Hinsicht, zeichnet Montesquieu ein geschöntes Bild der englischen Verfassung – vielleicht auch, um seine Kritik am ungezügelten bourbonischen Staatsabsolutismus in Frankreich zuzuspitzen. So war in England die Gewaltenteilung damals eine Forderung der Opposition, aber keine Regierungspraxis.
  • Montesquieu ist im Unterschied zu Jean-Jacques Rousseau kein Vertreter der egalitären Demokratie und kein Befürworter der absoluten Gleichheit. Er strebt lediglich maßvolle Vermögensunterschiede und eine gleichmäßige Verteilung des Bodenbesitzes an.
  • Montesquieu hat ein eher optimistisches Menschenbild, was ihn von Thomas Hobbes unterscheidet. Letzterer sah im Menschen selbst die größte Bedrohung für den Menschen („homo homini lupus“). Montesquieu hingegen sieht den Menschen als politisches Wesen, das nach Gemeinschaft strebt. Als Einzelner mag er ein Verbrecher sein, in der Menge aber liebt er die Moral. Einmal an der Macht, neigen die Bürger nach Montesquieu jedoch dazu, diese zu missbrauchen, und müssen darum gezügelt werden.
  • Der Autor hat zwar einen normativen, aufklärerischen Anspruch, sieht aber im Kontrast zu radikaleren Denkern der Aufklärung wie Rousseau Staat und Gesellschaft nicht als Allheilmittel auf dem Weg ins Zeitalter der Vernunft: Montesquieu akzeptiert die menschliche Unzulänglichkeit.

Historischer Hintergrund

Von der absolutistischen Staatstheorie zur Gewaltenteilungslehre

In Frankreich hatten die Hugenottenkriege Ende des 16. Jahrhunderts und der anschließende Dreißigjährige Krieg die Gesellschaft destabilisiert. Ab dem frühen 17. Jahrhundert entwickelte sich das Land zu einem zentralistischen Beamtenstaat mit einem unumschränkt herrschenden König an der Spitze. Ordnung und Sicherheit sollten so wiedererlangt werden, denn nur eine Stärkung der fürstlichen Kompetenzen, so die Grundannahme, konnte eine Einigung des Landes und eine Aussöhnung der Bürgerkriegsparteien zustande bringen. Die bourbonischen Könige seit Heinrich IV. folgten der Lehre Jean Bodins von der Unteilbarkeit der souveränen Macht, wonach der König keinen Beschränkungen unterliegt, abgesehen von denjenigen, die sein Gewissen ihm auferlegt. Auch Thomas Hobbes postulierte in seinem 1651 erschienenen Leviathan im Namen von Sicherheit und Frieden die Übertragung der absoluten Macht auf einen einzigen Herrscher. Im Naturzustand herrschen laut Hobbes Anarchie und ein Kampf aller gegen alle – um dem ein Ende zu machen, müssten sich die Menschen in einem Staat unwiderruflich einem Souverän unterwerfen, der alle staatlichen Kompetenzen in seiner Person vereint.

Widerspruch gegen die Theorie von Hobbes erhob als Erster John Locke in seinen Zwei Abhandlungen über die Regierung aus dem Jahr 1690. Darin legte er bereits vor Montesquieu den Grundstein für das Prinzip der Gewaltenteilung. Wie schon Hobbes unterschied Locke zwischen Natur- und Gesellschaftszustand. Eigentum umfasste für ihn sowohl alles Materielle als auch das Leben und die Freiheit des Individuums. Dieses Eigentum setzte er anstelle der Sicherheit als oberstes politisches Ziel. Der Staat sei zum Schutz des Eigentums gegründet worden, so Locke. Damit der Staat sich nicht gegen die Bürger selbst richte, müsse die Souveränität zwischen verschiedenen Instanzen aufgeteilt werden. Wegen der natürlichen Machtgier der Menschen und um eine unnötige Machtkonzentration zu vermeiden, schlug Locke eine Gliederung der Regierungsgewalt in drei Zweige vor: Legislative, Exekutive und Föderative. Allein die Legislative sollte verpflichtende Gesetze erlassen können. Eine unabhängige Judikative sah Locke nicht vor, dafür trennte er die Exekutive in innen- und außenpolitischen Bereich.

Entstehung

1734 erschien Montesquieus Geschichtswerk Betrachtungen über die Ursachen von Größe und Niedergang der Römer. Darin machte er Bürgertugenden für die Größe und kriegerische Expansion des Römischen Reiches, Luxus hingegen für dessen Verfall verantwortlich – und kritisierte damit unterschwellig den französischen Absolutismus. Angeregt durch seine Beschäftigung mit der antiken Geschichte begann er anschließend sogleich mit seinem neuen Buch. Er wollte die tieferen Ursachen und natürlichen Gesetzmäßigkeiten erforschen, nach denen Auf- und Abstieg von Staaten funktionieren. Insgesamt zwei Jahrzehnte lang arbeitete er an Vom Geist der Gesetze und sortierte das umfangreiche Material, das er auf seinen Reisen durch Europa gesammelt hatte. Da seine Sehkraft allmählich schwächer wurde, konnte er die einzelnen Kapitel nicht mehr ordnen und publizierte das Werk, ohne sie miteinander verknüpft zu haben. Vom Geist der Gesetze erschien 1748 in Genf – wie schon die Persischen Briefe anonym, doch blieb die Identität des Autors nicht lange geheim.

Wirkungsgeschichte

Vom Geist der Gesetze ist eines der einflussreichsten Werke der Staatsphilosophie. Bereits im Publikationsjahr wurde das Werk 22 Mal aufgelegt und bald in viele europäische Sprachen übersetzt. Mit dem Ruhm kam auch die Kritik: Jesuiten und Jansenisten griffen das Werk als atheistisch an, was den Autor bewog, eine Verteidigungsschrift zu verfassen. Andere warfen ihm Oberflächlichkeit und mechanistisches Denken vor, besonders seine Gedanken zu klimatischen Zusammenhängen wurden oft verlacht. Die römische Kurie setzte das Buch 1751 auf den Index verbotener Bücher, was seinem Erfolg indes keinen Abbruch tat. Voltaire kommentierte: „Alles, was nicht Mönch, Finanzmann oder Regierungsangestellter war, war entzückt.“ Der Philosoph Wilhelm Dilthey bezeichnete es als „das größte Werk des 18. Jahrhunderts“.

Im Kampf um die Unabhängigkeit von Großbritannien beriefen sich die nordamerikanischen Kolonisten auf Montesquieu. In der 1787 erlassenen Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika verwirklichte man das Prinzip von „checks and balances“, also sich gegenseitig kontrollierenden Verfassungsorganen. Knapp ein Jahrhundert nach Erscheinen von Vom Geist der Gesetze begab sich Alexis de Tocqueville um 1840 in seinem Werk über die Demokratie in Amerika auf die Spur Montesquieus. Auch in der ersten französischen Verfassung nach der Revolution von 1789 war dessen Einfluss noch deutlich spürbar, doch schon bald setzten sich die radikaleren Vorstellungen Jean-Jacques Rousseaus vom unteilbaren Volkswillen gegenüber den gemäßigten Kräften durch.

Über den Autor

Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu wird am 18. Januar 1689 getauft, sein Geburtsdatum ist vermutlich einige Tage vorher. Er ist der älteste Sohn einer französischen Adelsfamilie und lebt auf Schloss La Brède bei Bordeaux. Mit sieben Jahren verliert er seine Mutter, ab 1700 wird er in einem Klosterinternat erzogen. Der Großvater hat das Amt des Gerichtspräsidenten im Parlament von Bordeaux gekauft, später hat ein Onkel den Posten inne, den der junge Montesquieu einmal übernehmen soll. Folglich studiert er Jura und wird 1714 Gerichtsrat, zwei Jahre später Gerichtspräsident. Große Freude scheint ihm dieses Amt nicht zu machen, denn 1726 verkauft er es wieder und lebt fortan abwechselnd auf dem Familiensitz La Brède und in Paris. Noch als Gerichtspräsident verfasst er nebenbei philosophische und staatstheoretische Schriften und den Briefroman Lettres persanes (Persische Briefe, 1721). 1728 wird Montesquieu in die Académie française aufgenommen. Im selben Jahr beginnt er eine lange Europareise, obwohl er inzwischen verheiratet ist und drei Kinder hat. Die Familie bleibt in Frankreich zurück, Montesquieu reist drei Jahre lang durch verschiedene europäische Staaten und tritt 1730 in London den Freimaurern bei. Ab 1731 lebt er wieder überwiegend in La Brède und verfasst staatstheoretische Schriften, in denen er indirekt Kritik am Absolutismus übt. Sein Hauptwerk De l’esprit des lois (Vom Geist der Gesetze) erscheint 1748. Darin führt Montesquieu das Prinzip der Gewaltenteilung ein, also der Trennung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Regierung, das heute die Grundlage aller demokratischen Staaten ist. Das Werk stößt auf so viel Widerstand, dass er sich genötigt sieht, es in einer weiteren Schrift zu verteidigen; trotzdem wird es 1751 verboten. Montesquieu stirbt am 10. Februar 1755 in Paris.

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