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Das Fräulein von Scuderi

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Das Fräulein von Scuderi

Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten

dtv,

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10 take-aways
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What's inside?

Ungewohnt Realistisches vom „Gespenster-Hoffmann“: die erste Detektivgeschichte der deutschen Literatur.

Literatur­klassiker

  • Kriminalroman
  • Romantik

Worum es geht

Der irre Trinker wird politisch

Das Fräulein von Scuderi ist kein typischer Hoffmann. Es geht hier nicht um Gespenster, Zauberei oder Hexenwerk. Es ist nicht der irrwitzige, vergnügliche und vor abstrusen Ideen strotzende Sprachzirkus, für den der Autor berühmt ist. Mit dieser psychologischen Kriminalgeschichte brachte Hoffmann einen völlig neuen Ton in die deutsche Literatur – und der ließ sich nicht mehr wegdiskutieren oder lächerlich machen wie der als weinseliger Irrer gebrandmarkte „Gespenster-Hoffmann“. Das Werk fasziniert auch noch nach fast 200 Jahren. Der Grund dafür ist nicht in erster Linie der spannende, vertrackte Krimiplot. Für den Text sprechen vor allem die inhaltliche Mehrdimensionalität und die Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten: Es geht um die zwiespältige Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, um ein ganzheitliches Verständnis von Leben, Kunst und auch Verbrechen, um das Gegen- und Miteinander von Gefühl und Vernunft, um die Kritik an einer streng rationalen Justiz und um ein implizites Plädoyer für die Monarchie und zugleich für Gerechtigkeit in der Beurteilung menschlicher Schicksale, ungeachtet des Standes. Zudem ist der Text ein spannendes Dokument über den Übergang von der schwelgerischen Romantik zur politischen.

Take-aways

  • Das Fräulein von Scuderi gilt als die erste Kriminalgeschichte der deutschen Literatur.
  • Inhalt: Die alternde Dichterin Magdaleine von Scuderi wird in eine unheilvolle Mordserie im Paris des Jahres 1680 verstrickt. Ein Unschuldiger soll für die Raubmorde büßen, doch mithilfe des Fräuleins von Scuderi kommt heraus, dass der Goldschmied Cardillac der Täter war. Dank ihrer Fürsprache wird der Unschuldige vom König begnadigt.
  • Die Erstveröffentlichung in einem Almanach 1819 war ein riesiger Publikumserfolg.
  • 1821 folgte die Einbindung der Erzählung in Hoffmanns vierbändigen Erzählzyklus Die Serapions-Brüder.
  • Die Novelle verknüpft historische Fakten mit einer fiktionalen Kriminalhandlung.
  • Im Text treffen zwei grundverschiedene Kunstauffassungen aufeinander: die romantisch-genialische und die höfisch-klassizistische.
  • Hoffmann kritisiert das preußische Rechtssystem – hier in Gestalt des alten Paris.
  • Die Erzählung ebnete Hoffmanns literarischen Werken den Weg zum europaweiten Erfolg.
  • Das Fräulein von Scuderi ist in einem relativ nüchternen Stil verfasst und kommt ohne die sonst bei Hoffmann übliche Fantastik aus.
  • Zitat: „Da stand der König auf, schritt auf die Scuderi zu und sprach mit leuchtenden Blicken: Ich wünsche Euch Glück, mein Fräulein! – Euer Schützling, Olivier Brußon, ist frei!“

Zusammenfassung

Unruhige Zeiten

Paris im Herbst 1680: In der Straße St. Honoré hämmert mitten in der Nacht ein Mann gegen die Tür der Dichterin Magdaleine von Scuderi und will unbedingt sofort mit dem Fräulein sprechen, es gehe um Leben und Tod. Die Kammerfrau Martiniere gewährt dem Mann Einlass, bereut es aber sofort, denn aus der Nähe wirkt er wie ein Räuber. In Panik schreit sie um Hilfe. Der nächtliche Besucher steckt ihr ein Kästchen für ihre Herrin zu und flieht.

„Die Ermordeten, wie sie beinahe jeden Morgen auf der Straße oder in den Häusern lagen, hatten alle dieselbe tödtliche Wunde. Einen Dolchstich ins Herz (…)“ (S. 19)

In Paris hat eine Serie von Giftmorden die Bevölkerung über Jahre in Angst und Schrecken versetzt. Zur Aufklärung der Todesfälle richtet der König eine eigene Gerichtskammer ein, die Chambre ardente. Unter dem unbarmherzigen Vorsitzenden dieser Kammer, la Regnie, herrschen bald inquisitorische Verhältnisse. Niemand ist vor Verfolgung sicher, nicht einmal hochgestellte Persönlichkeiten. Als die für die Giftmorde Verantwortlichen entlarvt und hingerichtet sind, wartet schon die nächste Mordserie auf die Chambre ardente: Eine Bande lauert nachts reichen Kavalieren auf, die sich mit wertvollem Schmuck auf den Weg zu ihren Geliebten machen. Immer wieder werden morgens Edelmänner aufgefunden – ausgeraubt und erstochen. Gerichtspräsident la Regnie und sein bester Ermittler Desgrais sind ratlos. Als Desgrais eines Nachts einen Mörder auf frischer Tat ertappt, verfolgt er ihn bis in die Straße Nicaise. Hier verschwindet der Mörder spurlos – durch eine Mauer, wie Desgrais berichtet. Schon bald glaubt ganz Paris, der Teufel selbst treibe sein Unwesen in der Stadt.

Ein Vers mit Folgen

Die verängstigten Kavaliere verfassen ein Gedicht, in dem sie König Ludwig XIV. ihre prekäre Lage schildern und ihn um Hilfe bitten. Ludwig bittet seine Mätresse um Rat, die Marquise von Maintenon. Die hält die Kavaliere für nicht schutzwürdig, die Verbrecher aber sollten verfolgt werden. Nun fragt der König das Fräulein von Scuderi um ihre Meinung. Deren Antwort ist ein Vers: „Un amant qui craint les voleurs, n’est point digne d’amour“ – „Ein Liebender, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig“. Der König ist beeindruckt von dem schlichten, aber schlagenden Argument und verwirft jede weitere Unterstützung für die adligen Schürzenjäger.

„Un amant qui craint les voleurs, / n’est point digne d’amour.“ (Vers der Scuderi, S. 25)

Das Fräulein von Scuderi öffnet nun – im festen Glauben, dass der nächtliche Eindringling kein Räuber gewesen sein kann – jenes Päckchen, das die Martiniere für sie entgegengenommen hat. Sie findet darin prunkvolle, edelsteinbesetzte Armbänder, eine Halskette und einen Zettel. Schockiert stellt sie fest, dass ihr Vers, den sie dem König halb im Scherz zur Antwort gegeben hat, jetzt von den Räubern und Mördern als Rechtfertigung missbraucht wird: Die Verbrecher widmen ihr den erbeuteten Schmuck und danken für die geistreiche Unterstützung.

„Euch, edles, würdiges Fräulein! hat das Verhängniß diesen Schmuck bestimmt. Ja nun weiß ich es erst, daß ich während der Arbeit an Euch dachte, ja für Euch arbeitete.“ (Cardillac zur Scuderi, S. 36)

Die Scuderi macht sich aufgewühlt und gekränkt auf den Weg zur Maintenon. Die erkennt in den Schmuckstücken sofort das Werk des begabtesten Goldschmieds der Zeit, René Cardillac. Der ist ein verschrobener Kauz, der mit Begeisterung Aufträge entgegennimmt und sich mit Hingabe an die Arbeit macht, der sich aber querstellt, sobald es an die Auslieferung seiner Werke geht: Er verzögert die Übergabe, erfindet Ausreden, windet sich. Hat er dann ein fertiggestelltes Schmuckstück abgeliefert, verhält er sich wie ein Wahnsinniger und verwünscht seine Auftraggeber. Erst der nächste Auftrag bringt ihn wieder zur Vernunft. Für den König und für die Maintenon arbeitet er generell nicht.

„Es ist das Entsetzliche geschehen, spricht Desgrais, René Cardillac wurde heute Morgen durch einen Dolchstich ermordet gefunden. Sein Geselle, Olivier Brußon ist der Mörder. Eben wurde er fortgeführt ins Gefängniß.“ (S. 43)

Die Maintenon lässt Cardillac zu sich kommen. Ihr Verdacht bestätigt sich: Der Schmuck, den die Scuderi erhalten hat, stammt tatsächlich von ihm. Cardillac erklärt, der Schmuck sei ihm gestohlen worden. Er habe ihn ursprünglich für sich selbst angefertigt, erkenne aber nun, dass er unbewusst für das Fräulein von Scuderi gearbeitet habe. Ihr will er die Juwelen verehren. Doch die Scuderi meint, sie sei zu alt für solches Geschmeide. Schließlich nötigt die Maintenon ihr Cardillacs Geschenk auf. Der ist vor Freude völlig von Sinnen. Obwohl Cardillac einen tadellosen Ruf genießt, ahnt das Fräulein von Scuderi, dass er ein dunkles Geheimnis hat.

Geheimnisse und ein neuer Mord

Einige Monate später ist das Fräulein von Scuderi mit der Martiniere in der Kutsche unterwegs, als sich auf dem Pont Neuf ein völlig entgeisterter junger Mann durch die Menge zu ihr durchkämpft und einen Zettel ins Innere der Kutsche wirft. Die Martiniere erkennt in ihm den nächtlichen Besucher von neulich wieder. Auf dem Zettel bittet der junge Mann inständig, die Scuderi möge den Schmuck schnellstmöglich unter einem Vorwand zu Cardillac zurückbringen – ihr Leben ebenso wie das seine hingen davon ab. Dem Fräulein kommt der junge Überbringer bekannt vor.

„Mit der festen Ueberzeugung von Oliviers Unschuld faßte die Scuderi den Entschluß, den unschuldigen Jüngling zu retten, koste es, was es wolle.“ (S. 47)

Als sich die Scuderi schließlich auf den Weg zu Cardillac macht, gerät sie in einen Menschenauflauf vor dessen Haus in der Straße Nicaise. Sie beobachtet, wie die Polizei einen jungen Mann in Ketten abführt, während eine junge, wunderschöne Frau sich jammernd und klagend an die Beine von Desgrais klammert. Es stellt sich heraus, dass das Mädchen Madelon ist, die Tochter von René Cardillac. Cardillac wurde erdolcht, und sein Geselle und künftiger Schwiegersohn, Olivier Brußon, wurde als Mörder verhaftet. Madelon beteuert die Unschuld ihres geliebten Olivier. Die Scuderi nimmt sich des verzweifelten Mädchens an.

„Zittern sollen die Bösewichter vor der Chambre ardente, die keine Strafe kennt als Blut und Feuer.“ (la Regnie, S. 48)

Nachdem sie ihre anfängliche Schockstarre überwunden hat, beginnt Madelon schließlich zu erzählen: Olivier sei spät in der Nacht mit dem schwer verletzten Cardillac nach Hause gekommen. Er habe den Mordanschlag auf ihren Vater beobachtet. Der Täter ist unerkannt entkommen, und Olivier hat den Vater – im Glauben, ihn retten zu können – nach Hause getragen. Madelon schildert der Scuderi nun das harmonische Miteinander im Haus Cardillac. Niemals wäre Olivier zu einem Mord fähig. Die Scuderi glaubt den Beteuerungen des verzweifelten Mädchens. Sie beschließt, dem Paar zu helfen, und sucht la Regnie, den Präsidenten des Gerichtshofs, auf. Der ist unbeeindruckt von der Anteilnahme der Scuderi. Er stützt sich auf Widersprüche in Brußons Angaben, auf Indizien und Zeugenaussagen. All das spricht eindeutig gegen den Verhafteten. Mehr noch: Es macht Brußon zum Hauptverdächtigen in der gesamten Mord- und Raubserie, die Paris in Atem hält.

Die Geschichte des Hauptverdächtigen

Das Fräulein von Scuderi will den Angeklagten persönlich sprechen. La Regnie erteilt ihr die Erlaubnis. Doch zu einer Befragung kommt es nicht: Als Brußon den Raum betritt, wird das Fräulein Scuderi vor Schreck ohnmächtig. Sie hat im Angeklagten den Überbringer des Zettels auf dem Pont Neuf erkannt. Jetzt kann selbst die wohlmeinende alte Dame nicht anders, als von Brußons Schuld auszugehen. Madelon ist verzweifelt, hat sie doch nun auch die letzte Fürsprecherin verloren. Kurz darauf erscheint Desgrais und überbringt der Scuderi eine Botschaft: Brußon bestreite, Cardillac ermordet zu haben, wolle jedoch ihr – und nur ihr – sein ganzes Geheimnis anvertrauen. Die Scuderi, noch immer unter Schock, willigt ein. Man bringt Brußon um Mitternacht in ihr Haus. Er fällt verzweifelt vor ihr auf die Knie und offenbart ihr seine wahre Identität: Er ist der Sohn von Anne Guiot, der Ziehtochter des Fräuleins von Scuderi. Jetzt wird der alten Dame klar, warum ihr Olivier bekannt vorgekommen ist: Ehe Anne mit ihrem Mann und dem kleinen Olivier vor 23 Jahren nach Genf zog, hatte die Scuderi den Jungen wie ihren eigenen Enkel geliebt und verwöhnt.

„Es war ihr, als könne vor diesem schrecklichen Manne keine Treue, keine Tugend bestehen, als spräche er in den tiefsten, geheimsten Gedanken Mord und Blutschuld.“ (über die Scuderi und la Regnie, S. 52)

Brußon erzählt der Scuderi nun seine Geschichte. In Genf, wo sich Annes Gatte, der Uhrmacher Claude Brußon, ein besseres Geschäft als in Paris erhofft hatte, verarmte die Familie noch mehr. Der Vater starb in Armut, nachdem er seinem Sohn eine Stelle als Goldschmiedelehrling verschafft hatte. Wenig später starb auch die Mutter, aus Gram. Olivier, ein sehr geschickter Goldschmied, erregte schließlich die Aufmerksamkeit eines Kunden, der ihm den besten aller Lehrmeister empfahl: René Cardillac in Paris. Olivier ging in die Hauptstadt und überzeugte den schroffen Cardillac von seinen Fähigkeiten. Als er nach einigen Wochen Cardillacs Tochter Madelon zum ersten Mal sah, verliebte er sich sofort in sie. Sie erwiderte seine Zuneigung, doch der Meister warf den Lehrling aus dem Haus. Eines Nachts wurde Brußon dann Zeuge, wie Cardillac sich aus einer Geheimtür seines Hauses schlich und einen Mann auf offener Straße mit dem Dolch ermordete. Cardillac erkannte Olivier und floh. Kurz darauf bot er Olivier die Rückkehr in seine Werkstatt und die Hand seiner Tochter an. Madelon hatte Cardillac ihre leidenschaftliche Liebe zu Olivier gestanden. Cardillac verlangte von diesem im Gegenzug, nicht zur Polizei zu gehen. Olivier willigte ein.

Cardillacs dunkles Geheimnis

Nach einiger Zeit weihte Cardillac Olivier in seine Lebensgeschichte und sein Tatmotiv ein. Der Unglücksstern sei bereits vor seiner Geburt aufgegangen. Cardillacs schwangere Mutter hatte sich in einen zudringlichen Kavalier verliebt – und zwar wegen dessen Halsschmuck. Als er sie in die Arme schloss und sie die Kette begeistert anfasste, starb der Kavalier wie vom Schlag getroffen. Cardillacs Mutter musste von Helfern aus der Umklammerung des Toten befreit werden. Cardillac sah, so teilte er Olivier mit, in dieser Begebenheit den Grund seiner Obsession für Edelsteine und Gold. Als Goldschmied brachte er es schnell zur Meisterschaft. Doch schon früh musste er erkennen, dass ihn die Trennung von seinen Werken in eine drückende Unruhe versetzte. Zunächst bekämpfte er diesen Zustand damit, dass er die Schmuckstücke durch Diebstahl wieder in seinen Besitz brachte. Als er schließlich sein jetziges Haus erwarb, mit seinem geheimen Gang durch jene Mauer auf die Straße Nicaise, ging er dazu über, nicht nur den Schmuck zu rauben, sondern auch dessen Käufer zu ermorden. Er allein, keine Bande, war also der mörderische Albtraum der Pariser Kavaliere.

„Er fleht, er beschwört uns, ihm eine Unterredung mit Euch zu verschaffen. Euch nur, Euch allein will er Alles gestehen. Laßt Euch herab, mein Fräulein, Brußons Bekenntniß zu hören.“ (Desgrais zur Scuderi, S. 56)

Als Cardillac eines Tages von dem Vers der Scuderi erfuhr, fühlte er sich von seinem Fluch befreit. Weil er die Scuderi vergötterte, wollte er ihr seinen kostbarsten Schmuck zukommen lassen. Er beauftragte Olivier mit der Übergabe. Dieser schöpfte, als er den Namen der geliebten alten Dame hörte, neue Hoffnung, seiner Lage entfliehen zu können: Er vertraute fest darauf, dass die Scuderi, wenn er ihr alles beichtete, einen Ausweg finden würde. Doch der Versuch des nächtlichen Gesprächs mit ihr scheiterte. Schon bald entdeckte Olivier bei seinem Meister wieder die Zeichen jener Unruhe. Er war überzeugt, dass die Scuderi in Lebensgefahr schwebte, und übergab ihr seine Warnung auf dem Pont Neuf. Schließlich schildert Olivier der erschütterten Scuderi noch den Hergang der Mordnacht, in der Cardillac starb: Erneut hatte der mörderische Goldschmied ein Opfer ausgewählt, doch der Angegriffene war vorbereitet und stieß Cardillac seinerseits den Dolch ins Herz.

„Habt Ihr denn Anne Guiot ganz vergessen – ihr Sohn Olivier – der Knabe, den Ihr oft auf Euern Knien schaukeltet, ist es, der vor Euch steht.“ (Brußon zur Scuderi, S. 59)

Nachdem Olivier, der die Geschichte – um Madelons willen – niemandem sonst preisgibt, wieder abgeführt worden ist, erhält das Fräulein von Scuderi Besuch vom Grafen Miossens. Der gibt sich ihr gegenüber als der Angegriffene zu erkennen, der Cardillac in Notwehr getötet hat. Aus Furcht vor la Regnie und dessen Strafgericht hat er sein Geheimnis bisher niemandem anvertraut. Gemeinsam mit dem Anwalt d’Andilly und dem Grafen Miossens entwickelt die Scuderi einen Plan, wie Oliviers Leben, Cardillacs Ruf und damit Madelons Seelenheil gerettet werden können.

Der Plan gelingt

Der Plan sieht vor, dass Miossens sich als Augenzeuge von Brußons Unschuld ausgibt und ihn dadurch vor der Folter rettet. Der Scuderi bleibt es überlassen, den König unterdessen von dem Geheimnis in Kenntnis zu setzen und ihn zu einem Gnadenurteil zu bewegen. Die Scuderi setzt, ganz in Schwarz gekleidet und mit Cardillacs Juwelen geschmückt, auf ihre Redegabe und gewinnt tatsächlich die Aufmerksamkeit des Königs. Als sie zudem die schöne Madelon ins Spiel bringt, mit einer Bittschrift von d’Andilly in Händen, ist der Herrscher vollends bezaubert. Er fühlt sich offenbar an eine frühere Geliebte erinnert, scheint aber zunächst unschlüssig, wie er die Angelegenheit behandeln soll.

„Nie hat es eine solche Bande gegeben. Cardillac allein war es, der mit verruchter Thätigkeit in der ganzen Stadt seine Schlachtopfer suchte und fand.“ (S. 69)

Einen ganzen Monat lang sorgt sich nun die Scuderi um das junge Paar. Sie erfährt, dass der König eigene Nachforschungen anstellt, und fürchtet die Unnachgiebigkeit von la Regnie. Schließlich wird das Fräulein zum König gebeten. Der teilt ihr mit, er habe Oliviers Freilassung angeordnet. Die Tugend des Paares und die Redegewandtheit der Scuderi hätten ihn zu diesem Schritt bewogen. Ludwig verfügt, dass Madelon und Olivier mit reichlich Brautgeld versehen Paris verlassen sollen, um den Gerüchten zu entgehen. Nach überschwänglichem Dank und einer eilends organisierten Hochzeit macht sich das junge Paar auf den Weg nach Genf in ein neues, glückliches Leben. Die in Cardillacs Versteck gefundenen Schmuckstücke werden anonym, unter dem Siegel der kirchlichen Beichte, den Opfern, so sie noch leben, zurückerstattet. Den Rest erhält die Kirche.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Fräulein von Scuderi ist eine historische Novelle der Spätromantik – und die erste Erzählung in deutscher Sprache, die alle klassischen Elemente einer Detektivgeschichte enthält: unaufgeklärte Verbrechen, ein unschuldiger Verdächtiger, ein unverdächtiger Schuldiger, falsche Fährten und schließlich die Aufklärung durch eine Außenseiterfigur. Ein auktorialer Erzähler berichtet und kommentiert das Geschehen und schiebt allgemeine Schilderungen von Phänomenen der Zeitgeschichte ein, wo diese für das Verständnis der Handlung benötigt werden. Der nüchterne Ton weicht deutlich vom überschwänglichen, ausschweifenden Sprachgestus der Romantik ab. Die Einbettung der eigentlichen Erzählung in düstere, historisch verbürgte Begleitumstände erzeugt einerseits den Eindruck von Authentizität, andererseits eine bedrohliche Grundstimmung. Erzählungen innerhalb der Erzählung füllen nach und nach die Lücken und klären die Geheimnisse. Das Erzähltempo wird in mehreren Szenen durch den Einsatz des Präsens erhöht. Der Text erzeugt durch intensiven Gebrauch von Licht-Schatten- sowie Tag-Nacht-Metaphorik ein Neben- und Ineinander verschiedener Welten.

Interpretationsansätze

  • In Das Fräulein von Scuderi werden zwei Kunstauffassungen miteinander kontrastiert: Cardillac ist der romantische Künstlertyp in seiner dunklen Variante, der – getrieben vom inneren Dämon – Kunst um der Kunst willen betreibt, doch dabei über das Ziel hinausschießt. Die Scuderi ist als klassizistische Hofdichterin sein gemäßigter Gegenpol.
  • Das Gefühl siegt über den Verstand, das romantische Leitbild der Fantasie über das aufklärerische Leitbild der Rationalität. Denn nicht die ausschließlich vom Verstand Geleiteten, Desgrais und la Regnie, lösen den Fall, sondern die emotional und künstlerisch begabte Scuderi.
  • Die Novelle zitiert auch den Topos von Genie und Wahnsinn: Cardillac, der Kunst und Leben trennen muss, weil im bürgerlichen Alltag kein Platz für seine Besessenheit ist, spaltet sich auch innerlich. Der Künstler, der den dämonischen Anteil seiner Persönlichkeit unterdrücken muss, wird letztlich zum Verbrecher.
  • Hoffmann übt indirekt Kritik am preußischen Rechtssystem: Mit seiner Darstellung des inquisitorischen Gerichts im Frankreich des 17. Jahrhunderts bezieht er sich auf das preußische, streng rationale Rechtswesen des frühen 19. Jahrhunderts, in dem die Gnade eines weisen Monarchen keinen Platz mehr hat.
  • Der Text ist ein Plädoyer für die Prüfung der Schuldfähigkeit von Verbrechern. Cardillac wird als Produkt von Umständen dargestellt, die vor seiner Geburt stattgefunden haben. Die Psychologie des frühen 19. Jahrhunderts glaubte an solche pränatale Prägungen. In ihrem Sinn ist Cardillac nur bedingt für seine Taten verantwortlich.
  • Hoffmann demonstriert die Macht der Sprache. Die Scuderi ermittelt, indem sie zuhört. Mit den rationalen Ermittlern sprechen Zeuge und Beklagter nicht, da für jene keine umfassenden, sprachlich erfassbaren Zusammenhänge, sondern nur messbare, zersplitterte Teilerkenntnisse zählen. Das gute Ende leitet die Scuderi ebenfalls durch Sprache ein: durch den fesselnden und ganzheitlichen Vortrag vor dem König.

Historischer Hintergrund

Enttäuschte Hoffnungen – das Zeitalter der Restauration

Die anfängliche Begeisterung deutscher Intellektueller für die Französische Revolution fand spätestens mit der Besetzung Deutschlands durch napoleonische Truppen ab 1806 ein Ende. Jetzt war klar, was von den hehren Zielen der Revolution übrig geblieben war – zunächst das blutige Chaos der jakobinischen Schreckensherrschaft, schließlich ein Kaiserreich. Johann Wolfgang von Goethe war einer der letzten prominenten Verehrer Napoleons; die meisten jungen Künstler, Philosophen und Studenten entwickelten in Opposition zur französischen Fremdherrschaft einen neuen deutschen Nationalstolz. Unzählige Freiwillige kämpften 1813 in der Völkerschlacht von Leipzig gegen Napoleons Armee. Der Sieg entfachte die Hoffnung auf ein kulturell geeintes, liberales und reformbereites Deutschland ohne Rückfall in absolutistische Kleinstaaterei, ohne Sturz in revolutionäre Anarchie.

Mit hohen Erwartungen und großer Spannung schaute man daher 1814/15 auf den Wiener Kongress. Doch was hier unter der Leitung des österreichischen Staatskanzlers Fürst Metternich vereinbart wurde, enttäuschte sowohl die liberal wie auch die monarchistisch gesinnten Beobachter. Der Kongress versetzte Europa zurück in vorrevolutionäre Zeiten – und stabilisierte diesen Zustand gar noch durch die Heilige Allianz zwischen Russland, Preußen und Österreich. Im Oktober 1817 entlud sich der Unmut der deutschen Freiheitsfreunde beim Wartburgfest. Die Festredner forderten Einheit und Freiheit für Deutschland sowie ein Ende der bestehenden – und gerade erst neu bestätigten – Systeme. Die Reaktion darauf ließ nicht lange auf sich warten: Es begann ein massives Zurückdrängen liberaler und nationaler Bestrebungen und eine juristische Hatz auf deren Vertreter, die 1819 in die Karlsbader Beschlüsse mündete. Deren Kern waren eine allgemeine Zensur und das Verbot aller liberalen Organisationen.

Entstehung

Das Fräulein von Scuderi entstand zwischen Frühjahr und Herbst 1818. Seit 1816 hatte Hoffmann eine Stelle als Richter in Berlin und war daher nicht mehr einzig auf seine künstlerischen Einnahmequellen angewiesen. In die Ausgestaltung der Pariser Ermittlungsbehörden in der Novelle flossen die Insiderkenntnisse des Juristen zu den aktuellen Verhältnissen in Preußen ein. Während er an der Novelle arbeitete, war Hoffmann bereits von einer schweren Rückenmarkserkrankung beeinträchtigt. Diese zwang ihn auch zum Verzicht auf Alkohol – ein Umstand, den Literaturhistoriker für das weitgehende Fehlen der sonst bei ihm üblichen fantastischen Elemente verantwortlich machen; Hoffmann selbst betonte mehrfach die Funktion des Weines für die Schöpfung imaginärer Welten.

Als Grundlage für die Darstellung von Paris im Jahr 1680 diente Hoffmann Voltaires Werk Siècle de Louis XIV von 1751. Die Details zu der historisch verbürgten Giftmordserie inklusive der Namen der Verantwortlichen bei der Chambre ardente entnahm Hoffmann den Causes célèbres et intéressantes (1734 bis 1743) von Gayot de Pitaval. Jener Vers der Scuderi, um den sich das komplette Geschehen der Erzählung dreht, ist ebenfalls nicht erfunden, sondern überliefert: Johann Christoph Wagenseil zitierte die historische Dichterin Madeleine de Scudéry in seiner Nürnberger Chronik von 1697.

Wirkungsgeschichte

Das Fräulein von Scuderi erschien erstmals im Oktober 1819 in dem Almanach Taschenbuch für das Jahr 1820 und wurde von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen. Hoffmann nahm die Novelle im folgenden Jahr in seinen vierbändigen Erzählzyklus Die Serapions-Brüder auf, wo er die künstlerischen Aspekte des Textes in der Rahmenhandlung erörterte. Der Erfolg der Erstveröffentlichung war so durchschlagend, dass Hoffmann sich vor Anfragen für neue Erzählungen kaum retten konnte. Die Verleger des Almanachs ließen Hoffmann in der Begeisterung über den Erfolg der Novelle 50 Flaschen edlen Rheinwein zukommen. Das Fräulein von Scuderi ebnete den Weg für Hoffmanns außerordentlichen, europaweiten Erfolg. Es war die erste seiner Erzählungen, die in verschiedene europäische Sprachen übersetzt wurde. 1822 erschien die russische Übersetzung, 1829 die französische im Rahmen der ersten Werkausgabe. 1848 verfasste Otto Ludwig ein Drama gleichen Namens. Paul Hindemith stellte 1926 in seiner Oper Cardillac den Künstler und Mörder ins Zentrum. Fünf Verfilmungen, ein Ballett, eine Rockoper, mehrere Hörspiele, eine Graphic Novel und viele Regalmeter Sekundärliteratur zeugen von der wichtigen Rolle der Novelle in der Debatte um die Definition und das Verständnis der Künstlerrolle. Das Fräulein von Scuderi ist auch heute noch eine feste Größe in vielen gymnasialen Lehrplänen.

Über den Autor

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann wird am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren. Die Eltern trennen sich bereits zwei Jahre später; der Junge lebt mit seiner Mutter fortan im Haus der Großmutter. Sein Onkel und Vormund sieht für den künstlerisch begabten Jungen eine Laufbahn als Rechtsanwalt vor. Hoffmann studiert also Jura, wagt nebenbei aber erste literarische Versuche, zeichnet und komponiert. 1798 verlobt er sich mit seiner Kusine, aber offensichtlich ohne große Zuneigung: Nachdem er zwei Jahre später eine Anstellung am Gericht in Posen erhalten hat, das damals wie der gesamte westliche Teil Polens zu Preußen gehört, lebt er bald mit einer Polin zusammen. 1802 heiratet er seine Lebensgefährtin. Kurz darauf wird ihm sein Zeichentalent zum Verhängnis: Er fertigt Karikaturen örtlicher Würdenträger an und fällt dadurch in Ungnade. Hoffmann, der kurz vor seiner Ernennung zum Regierungsrat steht, wird strafversetzt. Als Komponist und Zeichner relativ erfolglos, verfällt er mehr und mehr dem Alkohol. 1804 wird er als Regierungsrat nach Warschau geschickt; zwei Jahre später ziehen Napoleons Truppen in die Stadt ein und schaffen den preußischen Beamtenapparat ab. Hoffmann ist stellungslos und hält sich mit Mühe als Künstler über Wasser. Schließlich erhält er 1808 eine Anstellung am Theater in Bamberg. Endlich hat er auch als Komponist, Musikkritiker und Schriftsteller Erfolg. Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Romane Die Elixiere des Teufels (1815/16) und Lebens-Ansichten des Katers Murr (1819 bis 1821) sowie die Erzählsammlungen Nachtstücke (1816/17) und Die Serapions-Brüder (1819 bis 1821). 1816 tritt er wieder in den Staatsdienst ein, 1819 wird er Mitglied einer Kommission, die staatsfeindliche Umtriebe untersucht. Da Hoffmann die staatliche Unterdrückung liberaler Strömungen als ungerecht empfindet, gibt er das Amt bald auf, kann es aber nicht lassen, seine Erfahrungen aus dieser Zeit in der Erzählung Meister Floh satirisch zu verarbeiten. Prompt wird ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Aber noch vor dessen Abschluss stirbt der von Alkohol und Krankheit gezeichnete Hoffmann am 25. Juni 1822 in Berlin.

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