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Fräulein Julie

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Fräulein Julie

Insel Verlag,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Liebe zwischen einer Gräfin und einem Diener – kann das gutgehen?

Literatur­klassiker

  • Drama
  • Moderne

Worum es geht

Liebe jenseits der Standesgrenzen

Eine junge Gräfin und ihr Diener kommen einander in der schwedischen Mittsommernacht näher, sie flirten hemmungslos, schlafen miteinander, entzweien sich dann und beschimpfen sich. Trotz aller erotischen Anziehung können sie die traditionellen sozialen Schranken und Konventionen nicht überwinden. Nach dieser Schande bleibt Fräulein Julie nichts übrig, als sich umzubringen. „Na und?“, möchte man fragen. Was geht uns dieses Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Drama um die verlorene Ehre einer jungen adligen Frau heute noch an? Offensichtlich viel: Immerhin ist Fräulein Julie das meistgespielte Stück Strindbergs – und das trotz seiner dezidiert frauenfeindlichen Haltung. Vielleicht ist es vor allem die Experimentierfreude, die die Anziehungskraft dieser Tragödie ausmacht. Nicht auf die Handlung, sondern auf die zerrissenen, widersprüchlichen, teils hysterischen Charaktere richtet sich der Blick des Zuschauers. Strindbergs naturalistischer Anspruch, das Leben ungeschönt auf die Bühne zu bringen, seine formale Radikalität und sein psychologischer Realismus bewirken, dass Fräulein Julie bis heute als Meisterwerk gilt.

Take-aways

  • August Strindbergs Beziehungsdrama Fräulein Julie ist heute das meistaufgeführte Stück des Autors.
  • Inhalt: Während einer Mittsommernachtsfeier sitzen die junge Gräfin Julie und der Diener Jean in der Küche. Alle Standesgrenzen missachtend, flirten sie und vertrauen einander ihre Träume an. Sie schlafen miteinander, entzweien sich, kommen sich wieder näher und geraten heftig aneinander. Am Ende bringt sich die gedemütigte Julie auf Jeans Befehl um.
  • Strindbergs naturalistischer Anspruch war, die Wirklichkeit des Lebens ungeschönt und glaubwürdig auf die Bühne zu bringen.
  • Fräulein Julie verkörpert die im Untergang begriffene Feudalordnung, der Diener Jean die aufsteigende Arbeiterklasse.
  • Trotz aller erotischen Anziehung können die beiden die traditionellen Rangunterschiede und die sozialen Prägungen nicht überwinden.
  • Strindbergs eigenes Elternhaus wie auch seine erste Ehe waren ebenfalls von großen Klassenunterschieden geprägt.
  • Strindberg wandte sich gegen die feministische Bewegung seiner Zeit.
  • Aufgrund der Zensurbestimmungen in Schweden und Dänemark wurde das Stück erst 1892 in Berlin öffentlich uraufgeführt.
  • Fräulein Julie wurde mehrfach verfilmt, unter anderem 2014 von Liv Ullmann.
  • Zitat: „Vielleicht gibt’s im Grund keinen so großen Unterschied zwischen Mensch und Mensch, wie man glaubt.“

Zusammenfassung

Fräulein Julies mangelnder Stolz

Es ist Mittsommerabend. Der Diener Jean sitzt bei seiner Verlobten, der Köchin Kristin, in der Küche des Grafen und lässt es sich bei Kalbsnieren und Rotwein gut gehen. Die Tochter des Hauses, Julie, so erzählt Jean, ist wieder einmal komplett durchgedreht. Nachdem er den Grafen zum Bahnhof gefahren hat, ist er bei der Scheune stehen geblieben und hat beobachtet, wie Fräulein Julie bei der Mittsommernachtsfeier zwischen all dem Volk mit dem Waldhüter getanzt hat. Danach hat sie ihn, Jean, zu einem wilden Walzer aufgefordert. Kristin führt das merkwürdige Verhalten der Herrin auf deren geplatzte Verlobung zurück. Der Verlobte war zwar nicht reich, aber ein guter Mann. Und ein selbstbewusster dazu, meint Jean. Er will gesehen haben, wie Julie den Verlobten wie einen dressierten Hund über die Reitgerte hat springen lassen – bis dieser selbst die Gerte ergriff und ihr damit ins Gesicht schlug. Julies Verhalten erinnert Jean an das ihrer Mutter, der verstorbenen Gräfin. Die hatte auch wenig Stolz und trieb sich am liebsten mit den Dienstboten herum. Sie legte aber gleichzeitig viel Wert darauf, ihre Herkunft und ihren Reichtum nach außen vorzuzeigen. Auch Julie sei unvorsichtig. Sie benehme sich nicht herrschaftlich genug und begebe sich auf das Niveau des gemeinen Volkes, das dann irgendwann wirklich gemein werde. Aber schön sei sie schon, ein wahres Prachtweib.

Die Herrin und der Knecht

Als Julie die Küche betritt, gibt Kristin ihr durch ein Zeichen zu verstehen, dass sie nicht allein sind. Was denn die Frauen zu verbergen hätten, will Jean wissen. Ob sie eine Zaubersuppe kochten? Er flirtet mit Julie, und die bittet ihn um noch einen Tanz. Jean, der kurz zuvor Kristin einen Tanz versprochen hat, lehnt höflich ab. Doch Kristin weist ihn zurecht: Es gehöre sich nicht, eine Aufforderung des Fräuleins zum Tanz abzulehnen. Jean wendet ein, es sei nicht gut, wenn das Fräulein zweimal nacheinander mit dem gleichen Mann tanze, zumal mit einem Untergebenen. Was sollen die Leute denken? Julie aber will tanzen, und zwar mit jemandem, der führen kann. Schließlich sei sie die Herrin hier und erweise den Leuten mit ihrer Teilnahme am Tanz eine Ehre. Jean fügt sich gehorsam dem Befehl, aber Fräulein Julie will an diesem Abend von Befehlen und Hierarchien nichts wissen.

„Heut Abend ist Fräulein Julie wieder verrückt, komplett verrückt!“ (Jean, S. 11)

Jean kommt zurück und schüttelt nur den Kopf. Wie Julie sich wieder benimmt! Die Leute lachen schon über sie. Kristin entschuldigt die Herrin damit, sie habe ihre Tage, da sei sie immer merkwürdig. Dass er mit Julie getanzt hat, nicht mit ihr, nimmt die vernünftige Kristin ihrem Verlobten nicht übel. Aber Julie platzt schon wieder mit neuen Ideen in die Küche herein. Jean soll seine Livree gegen seine Jacke tauschen – immerhin ist Feiertag. Er folgt ihrem Wunsch. Gut sehe er darin aus, lobt ihn Julie, und dass er sich auch noch so gewählt ausdrücke und so gut Französisch spreche, mache ihn zum wahren Gentleman. Französisch habe er als Kellner in einem Luzerner Hotel gelernt, erzählt Jean, und den sprachlichen Ausdruck aus der Literatur. Er stamme zwar aus einfachen Verhältnissen, sei aber in der Welt herumgekommen und habe viel durch die Beobachtung der feinen Leute gelernt.

Unüberwindliche soziale Schranken

Während Kristin eingeschlafen ist, trinkt Jean auf den ausdrücklichen Befehl seiner Herrin ein Bier mit ihr. Er küsst ihr sogar den Schuh, als sie ihn halb im Scherz darum bittet. Aber dann mahnt er das Fräulein: Es gehe nicht, dass eine Dame mit einem Mann, zumal einem Dienstboten, allein trinke. Die Leute reden ohnehin schon genug! Was die Leute denn reden, will Julie wissen. Dass sie eine Liebesbeziehung mit ihrem Dienstboten habe? Sie steige freiwillig herab! Doch davon will Jean nichts wissen. Die Leute werden behaupten, sie sei gefallen. Das erinnert Julie an einen wiederkehrenden Traum, in dem sie auf einer hohen Säule sitzt und hinuntermöchte, aber sich einfach nicht fallen lassen kann. Und Jean erzählt seinerseits von einem Traum: Er liegt in einem dunklen Wald unter einem Baum und will hinauf ins Licht und zu dem Vogelnest, in dem goldene Eier liegen. Er braucht nur den ersten Zweig zu erreichen, dann wird er leicht zum Gipfel gelangen. Aber so sehr er sich an dem dicken glatten Baumstamm auch abmüht, er erreicht den ersten Zweig nicht.

„Heut Abend sind wir alle auf dem gleichen Fest und legen jeden Rang ab.“ (Julie, S. 18)

Als das Fräulein Jean ein Staubkorn aus dem Auge entfernen möchte und ihm dabei sehr nahe kommt, warnt er sie: Er sei auch nur ein Mann, und sie spiele mit dem Feuer. Doch Julie scherzt weiter und macht ihm Komplimente für sein gutes Aussehen. Da umarmt er sie und will sie küssen – und erhält dafür eine Ohrfeige. Auf die Frage, ob er schon einmal geliebt habe, gesteht Jean dem Fräulein, dass er sie früher aus der Ferne angebetet habe – er, der arme Häuslerjunge, und sie, die reiche, schöne, unerreichbare Grafentochter. Einmal habe er es geschafft, die hohen Parkmauern zu überwinden und in einen Pavillon im Garten vorzudringen. Als sich Leute näherten, kroch er durch den Abort hinaus ins Freie und versteckte sich unter einem Unkrauthaufen. Von dort aus sah er sie zwischen den Rosen. Und er fragte sich: Wenn sogar Verbrecher in den Himmel kommen können, warum darf ein armer Junge wie er dann nicht im Schlosspark mit der Tochter eines Grafen spielen?

Liebesträume und Ernüchterung

Jean bittet das Fräulein eindringlich, schlafen zu gehen. Da nähern sich Leute, singend, trinkend und feiernd. Julie befürchtet nichts. Sie mag die Leute und die Leute mögen sie. Jean sieht das anders: Die Leute nutzen sie nur aus und verachten sie. Ob sie nicht die Spottlieder höre, die sie auf sie beide sängen? Die beiden verstecken sich in Jeans Zimmer.

„Sie waren mir ein Zeichen dafür – wie hoffnungslos es war, aus dem Kreis herauszukommen, in dem ich geboren war.“ (Jean zu Julie, S. 36)

Als das Volk wieder abgezogen ist und die Küche im Chaos hinterlassen hat, sieht Julie ein: Nach dem, was passiert ist, kann sie hier nicht bleiben. Aber wohin soll sie gehen? In die Schweiz, an den Comer See, wo es immer Sommer ist, schlägt Jean vor. Sie könnten ein Hotel eröffnen. Sie wäre die Herrin des Hauses, eine wahre Königin. Aber Julie zögert. Sie möchte von ihm umarmt werden und hören, dass er sie liebt. Und warum siezt er sie noch, jetzt, da zwischen ihnen alle Schranken gefallen sind? Er liebe sie ja, erwidert Jean, aber in diesem Haus, dem Haus ihres Vaters, könne er den Abstand zwischen ihnen nicht vergessen. Die Handschuhe des Grafen, seine Stiefel, die Glocke – all das erinnere ihn an seine niedrige Stellung. Wenn sie erst einmal das Haus und das Land verlassen hätten und in einer Republik lebten, dann werde er die sozialen Vorurteile, mit denen er aufgewachsen sei, überwinden. Jean ist nicht dazu geboren, zu buckeln, meint er. Zwar mag er heute noch Diener sein, doch schon bald könne er es zum reichen Hotelbesitzer bringen und sich sogar den Grafentitel kaufen. Das Fräulein fordert ihn abermals auf, ihr zu sagen, dass er sie liebt. Ob er denn gar keine Gefühle habe? Natürlich, er sei sehr gefühlvoll, erwidert Jean. Aber erst einmal gelte es, Gefühle aus dem Spiel zu lassen und einen kühlen Kopf zu bewahren. Das Fräulein lässt jedoch nicht nach: Vorhin, bevor sie in seinem Zimmer verschwunden seien, habe er ihr doch sogar den Schuh geküsst, und nun sei er so hart und distanziert.

Jeans wahres Gesicht

Und dann sind da noch praktische Fragen, die Julie beschäftigen: Wovon zum Beispiel will Jean die Eisenbahnkarte bezahlen? Für seine Kenntnisse und Erfahrungen und sein Sprachtalent bekommt er nichts. Julie selbst hat kein Geld und kennt auch niemanden, den sie darum bitten möchte. Dann müssen sie eben dableiben, meint Jean. Aber das will Julie nicht: Nach dieser Schande kann sie ihrem Vater nicht mehr in die Augen schauen. Sie spürt, dass Jean sie nun, nachdem sie sich ihm hingegeben hat, verachtet. Wie konnte das nur geschehen? Hat sie sich aus Schwäche zu ihm, dem Starken, hinziehen lassen? Oder war es die Macht des Aufsteigenden, die sie zwang, sich fallen zu lassen? Oder ist es doch aus Liebe geschehen? Ja, es müsse wohl Liebe sein, meint Jean, er habe das schon oft erlebt. Plötzlich duzt er sie, fordert sie zum Trinken auf: ein Glas von dem guten Wein aus dem Keller des Grafen, der ja jetzt wohl sein Schwiegervater sei. Wie er spricht, wie er sich benimmt – Julie erkennt ihn kaum wieder. Was ist bloß in sie gefahren, mit einem Dieb zu schlafen? Sie ist einer Täuschung erlegen, als sie glaubte, er sei etwas Besonderes. Ein Diener bleibe eben immer ein Diener, sagt sie. Und eine Hure eine Hure, entgegnet Jean.

„Vielleicht gibt’s im Grund keinen so großen Unterschied zwischen Mensch und Mensch, wie man glaubt.“ (Jean, S. 37)

Die Geschichte vorhin, wie er sie sehnsüchtig in ihrem Rosengarten beobachtet habe, sei ausgedacht. Er wisse ja, mit solchem Gerede kriege man die Frauen rum. Julie ist empört und angewidert. Das also war es: Sie sollte nur die erste Stufe auf seinem Weg nach oben sein. Sie sollte sein Hotel schmücken und Kunden anziehen, mehr nicht. Die beiden fangen an, sich zu beschimpfen. Julie nennt Jean einen Lakaien und befiehlt ihm, aufzustehen, wenn er mit ihr rede. Doch er denkt nicht daran, einem „Lakaienflittchen“ zu gehorchen. Sie solle bloß abhauen. So wie sie sich benommen habe, benehme sich keine Frau aus seiner Klasse. Keine Magd renne so den Männern hinterher, wie sie es tue. Er hätte es nie gewagt, sich ihr zu nähern, wenn sie ihn nicht dazu aufgefordert hätte. Aber letztlich habe sie sich ihm zu schnell hingegeben, als dass er sich daran erfreuen könnte.

Erneute Annäherung

Das Fräulein muss Jean Recht geben: Sie sei ein gefallenes Mädchen und habe es verdient, geschlagen zu werden. Da wird er auf einmal milder und gesteht: Einerseits freue es ihn, erfahren zu haben, dass nicht alles Gold sei, was glänze. Andererseits schmerze ihn die Erkenntnis, dass alles, wonach er gestrebt, wonach er sich sein Leben lang gesehnt habe, nichts wert sei. Das sei, als sehe man zu, wie eine Blume durch heftigen Regen kaputtgehe. Den Einwand Julies, immerhin sei sie Gräfin und stehe über ihm, lässt er nicht gelten. Ein Mann könne eine Frau zur Gräfin machen, umgekehrt funktioniere das nicht. Und er könne im Unterschied zu ihr Grafen zeugen. Aber plötzlich wird er wieder weich: Sie sei so schön, so eine gebildete, feinsinnige Frau. Nur durch sein Äußeres habe er sie angezogen. Um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie ihn begehre, rede sie sich nun ein, dass sie ihn liebe. Er aber möchte nicht nur animalische Triebe in ihr wecken, sondern wirkliche Liebe.

„Was war das für eine schreckliche Macht, die mich zu Ihnen zog? Die den Schwachen zum Starken zieht? Den Fallenden zum Aufsteigenden? Oder war’s Liebe? Soll das Liebe sein? Wissen Sie, was Liebe ist?“ (Julie zu Jean, S. 48)

Durch seine erneute Annäherung und Umarmung fühlt sich Julie wieder zu ihm hingezogen. Sie will mit ihm fliehen, doch zuvor gesteht sie ihm, ihre Mutter stamme aus sehr einfachen Verhältnissen, habe den Vater nur widerwillig geheiratet und ungewollt ein Kind bekommen. Sie selbst, Julie, sei wie ein Junge erzogen worden, habe Jungensachen tragen, jagen und in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Die Männer auf dem Gut erledigten dagegen Frauenarbeiten. Von ihrer Mutter habe sie gelernt, alle Männer zu hassen, aber in schwachen Momenten gebe sie leider ihrer Begierde nach. Sie könnte Jean, ohne mit der Wimper zu zucken, erschießen lassen – oder lieber will sie doch mit ihm an den Comer See reisen, wo ewig Sommer ist, und dann sterben. Jean winkt ab. Ans Sterben mag er noch nicht denken. Und erst recht nicht an die Heirat mit einer Frau aus solch zweifelhafter Familie. Als sie meint, er habe sie entehrt und sei ihr etwas schuldig, wirft er ihr eine Münze hin.

Schuld und Reue

Julie ist verzweifelt. Was soll sie tun? Kristin wisse bestimmt Bescheid über ihren Fehltritt, sagt sie, und die Leute auch. Nein, meint Jean, so etwas würde Kristin nie vermuten. Aber als Julie ihn auf die Folgen anspricht, die die gemeinsame Nacht haben könnte, ist er selbst erschrocken. Julie müsse fort, allein. Aber Julie ist müde und vollkommen hilflos. Barsch befiehlt er ihr, nach oben zu gehen und ihre Sachen zu packen. Kaum ist Julie gegangen, betritt Kristin die Küche und fordert Jean auf, mit ihr in die Kirche zu gehen. Als sie begreift, was geschehen ist, empört sie sich: In so einem Haus, in dem man keine Achtung mehr vor der Herrschaften haben könne, möchte sie nicht mehr arbeiten.

„Nein, Knecht bleibt Knecht – “ (Julie, S. 49)

Jean gibt dem Drängen Julies, mit ihr zu kommen, schließlich nach. Ihrem Wunsch, ihren kleinen Vogel im Käfig mitzunehmen, widersetzt er sich jedoch. Julie besteht darauf: Bevor sie den Vogel dalässt, soll Jean ihn lieber töten. Doch nachdem Jean dem Tier eiskalt den Kopf abgehackt hat, ist Julie außer sich. Soll er sie doch gleich auch noch töten! Sie möchte Jean hingerichtet sehen, und mit ihm am besten gleich alle Männer. Als Kristin hereinkommt, bitte Julie sie, ihr zu helfen. Sie könnten zu dritt in die Schweiz gehen. Doch Kristin hat nur Verachtung für sie übrig und ist stolz darauf, niemals unter ihrem Stand geliebt zu haben. Auch Julie erinnert sich nun wieder an ihre Herkunft. Hat Jean gedacht, sie, die Tochter eines Grafen, würde einen Knecht heiraten und ihm Kinder gebären? Und wer ist schuld an dem Desaster? Ihre Eltern, die ihr beibrachten, ihr Geschlecht zu verachten und sie zu einem Zwitterwesen, halb Mann, halb Frau erzogen? Sie erkennt: Ihre Schuld muss sie selbst tragen, die kann niemand, auch nicht Gott, ihr abnehmen. Jean soll ihr befehlen, sich umzubringen. Allein schaffe sie es nicht. Von oben läutet die Glocke, der Graf ist zurück. Jean ist wieder ganz der unterwürfige Lakai. Er drückt Julie sein Rasiermesser in die Hand und sagt ihr, sie solle in die Scheune gehen. Entschlossen geht sie hinaus.

Zum Text

Aufbau und Stil

Strindbergs „naturalistisches Trauerspiel“ Fräulein Julie, das sich auf einen Handlungsort, drei Figuren und die kurze Zeitspanne einer Nacht konzentriert, besteht aus einem einzigen Akt. Zwei Menschen flirten, erinnern und streiten sich, wie sie es in Wirklichkeit – so zumindest der realistische Anspruch des Autors – auch tun würden, ungeschönt und glaubwürdig. Auf eine Handlung im herkömmlichen Sinn verzichtet Strindberg bewusst. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers, so erklärt er im Vorwort zu Fräulein Julie, soll sich mehr auf die Charaktere als auf eine formal strukturierte Handlung richten. Die einzige klare Zäsur bildet ein Ballett der feiernden Bauersleute etwa in der Mitte des Stücks, wodurch das Ende der Liebelei und der Beginn der Ernüchterung in der Beziehung zwischen Jean und Julie markiert werden. In das realistische Konzept passen auch Strindbergs präzise Regieanweisungen zum Handlungsort, zu den Bewegungen der Schauspieler und zum Tonfall, in dem sie sprechen. Die Sprache variiert je nach Stimmungslage und reicht von einer poetischen, bildreichen Ausdruckweise bis zu vulgären Beschimpfungen.

Interpretationsansätze

  • Im Vorwort betont Strindberg, das Stück habe keine moralische Tendenz. Es zeige nur auf wissenschaftliche Weise die größere Überlebenschance des Stärkeren.
  • Die beiden Hauptfiguren repräsentieren zwei verschiedene Welten, die am Ende des 19. Jahrhundert aufeinanderprallten: die dem Untergang geweihte feudale Gesellschaft und die aufsteigenden Klassen der Arbeiter und des Bürgertums, das den Adel imitierte, Französisch sprach, Romane las und das Theater besuchte. Strindberg selbst bezeichnete Julie als „ein Opfer der Verirrungen der Zeit, der Umstände und ihrer eigenen schwächlichen Konstitution“. Selbst wenn der Vater auf eine Strafe verzichte, müsse sie Selbstmord begehen: „Fräulein Julie kann nicht leben ohne Ehre“, während der Knecht Jean frei sei von diesem ererbten, tödlichen Ehrgefühl.
  • Julie und Jean sind in sich widersprüchliche Charaktere, die sich nicht auf einen einzigen Wesenszug reduzieren lassen. Sie argumentieren keineswegs stringent, sondern ändern ihre Einstellungen unentwegt, sind hin- und hergerissen, zugleich auffordernd und abweisend, traurig und hysterisch. Wie Strindberg schreibt, sind sie „zusammengesetzt aus vergangenen und gegenwärtigen Kulturphasen, aus Bücherseiten und Zeitungsblättern, aus Stücken anderer Menschen, aus Kleiderfetzen und Lumpen, und ihre Ideen entnehmen sie wechselweise voneinander“.
  • Diese soziale Zerrissenheit erlebte Strindberg am eigenen Leib: Sein Vater betrieb eine mittelständische Schiffsagentur, die Mutter entstammte als ehemaliges Dienstmädchen der Arbeiterklasse. Obgleich in bürgerlichem Milieu aufgewachsen, bezeichnete der Dichter sich in stilisierender Weise als „Sohn einer Magd“ und behauptete, er sei in ärmlichen Verhältnissen großgeworden. Seine erste Ehe mit der Adligen Siri van Essen war ebenfalls durch einen großen Klassenunterschied geprägt.
  • Die Köchin Kristin – der Name deutet es bereits an – erscheint in ihrem Kirchenkleid und mit dem Gesangbuch unterm Arm als Stellvertreterin der Kirche, von der Julie Absolution für ihre Schuld erbittet. Doch die Magd verweigert sich der gefallenen Julie mit der Begründung, die Gnade Gottes stehe nicht jedem zu und Reichen schon gar nicht – eine deutliche Kritik Strindbergs an der gesellschaftlichen Macht der Kirche.

Historischer Hintergrund

Umsturz der sozialen Verhältnisse und Geschlechterrollen

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich Schweden allmählich von einem Agrarland zur Industriegesellschaft, was Landflucht und Verarmung zur Folge hatte. Viele Menschen – nicht nur aus den unteren Schichten, sondern auch Bauern und Kleinbürger – suchten Halt in den neu entstandenen Volksbewegungen: Arbeiterbewegung, Freikirchen oder Abstinenzler-Vereine. Diese Massenbewegungen, die in den 1870er-Jahren ihre Blütezeit erlebten, teilten Grundwerte wie Puritanismus und demokratische Mitbestimmung und kämpften für eine gerechtere Gesellschaft. Durch die gemeinsame ideologische Basis waren die Auseinandersetzungen zwischen Arbeiterklasse, Bürgertum und Bauern weniger durch Konfrontation und mehr durch Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft geprägt als in anderen Teilen Europas.

Ebenso wie die Arbeiterbewegung löste auch die Frauenbewegung, die das traditionelle Geschlechterverhältnis infrage stellte, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts europaweit große Verunsicherung aus. Nach herkömmlichem Verständnis waren die öffentliche und die wirtschaftliche Sphäre den Männern vorbehalten. Frauen gehörten ins Haus, in die Küche und in die Kinderstube. Die Forderung nach politischer Mitbestimmung und Gleichstellung in der Ehe, nach Arbeit und Bildung erschütterte das männliche Selbstverständnis in seinen Grundfesten. In Schweden konnte die Frauenbewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erste Erfolge verbuchen. In den frühen 1870er-Jahren wurde Frauen der Zugang zum Universitätsstudium und auch zum niederen Staatsdienst gewährt. Bis zu einem allgemeinen Frauenwahlrecht sollte allerdings noch ein halbes Jahrhundert vergehen. Auch in der Literatur wurde das neue weibliche Selbstverständnis thematisiert. Mit seinem 1879 erschienenen Theaterstück Nora oder Ein Puppenheim, in dem sich die weibliche Hauptfigur aus den Zwängen von Ehe und Familie befreit, erregte der Norweger Henrik Ibsen weit über die Grenzen Skandinaviens hinaus konservative Gemüter.

Entstehung

Strindberg erkannte in der feministischen Bewegung seiner Zeit einen Ausdruck weiblicher Herrschsucht. Seiner Meinung nach war der Feminismus nur darauf aus, den Mann erotisch zu unterwerfen, zu verweiblichen und damit weiter zu schwächen. Bereits in seinem Theaterstück Der Vater hatte sich der Schriftsteller, der Ibsens Nora abwertend als feministisch bezeichnete, 1887 mit dem Geschlechterkampf auseinandergesetzt. In einem 1888 in der dänischen Zeitschrift Ny Jord erschienenen Artikel, in dem er sich unter anderem auf Arthur Schopenhauer und Charles Darwin bezog, behauptete er, Frauen seien gegenüber Männern körperlich minderwertig. Die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter beruhe – genau wie die Sklavenbefreiung in Amerika – auf der falschen Annahme, die Menschen seien gleich.

Zu Fräulein Julie inspirierte Strindberg eine Zeitungsnotiz über eine Adlige, die ein Liebesverhältnis mit ihrem Diener unterhielt. Er verfasste das Drama im Sommer 1888 auf dem kleinen Schloss Skovlyst in der Nähe von Kopenhagen, wo er zeitweise mit seiner Familie in sehr ärmlichen Verhältnissen lebte. Ursprünglich sollte Fräulein Julie im Skandinavisk Forsøgsteater, das Strindberg und seine Frau, die Schauspielerin Siri von Essen, im März 1888 in Kopenhagen gegründet hatten, mit Siri in der Hauptrolle die Premiere erleben. Nachdem jedoch die dänische Zensurbehörde ein Aufführungsverbot erteilt hatte, wurde Fräulein Julie im Rahmen einer privaten Veranstaltung der Kopenhagener Studentenvereinigung am 14. März 1889 uraufgeführt. Die erste öffentliche Aufführung fand 1892 in der Berliner Freien Bühne statt. In Strindbergs Heimat gelangte das Stück erst 1905 in einer Privataufführung in Uppsala und ein Jahr später in Lund auch öffentlich auf die Bühne. An seinem eigenen 1907 gegründeten Stockholmer Intima Teater wurde das Stück während des dreijährigen Bestehens über 100 Mal aufgeführt.

Wirkungsgeschichte

Mit dem Stück gelang Strindberg der internationale Durchbruch als Dramatiker. Nach der deutschen Erstaufführung 1892 in Berlin wurde er von der dortigen Künstlerboheme gefeiert, die sich von seiner radikalen Sicht und Experimentierfreude angeregt fühlte. Erstmals verfilmt wurde das Stück im Jahr 1912 unter der Regie von Anna Hofmann-Uddgren. Es folgten viele weitere Verfilmungen, darunter die von Liv Ullmann aus dem Jahr 2014 mit Jessica Chastain und Colin Farrell in den Hauptrollen. Die Schwedin Birgit Cullberg inszenierte 1950 ein Ballett nach dem Stück, von dem es auch mehrere Musical- und Opernfassungen gibt, darunter Julie von Philippe Boesmans aus dem Jahr 2005. Heute zählt Fräulein Julie zu den meistaufgeführten der rund 60 Theaterstücke Strindbergs.

Über den Autor

August Strindberg wird am 22. Januar 1849 als viertes von acht Geschwistern in Stockholm geboren. Sein Vater ist mittelständischer Kaufmann, die Mutter hat vor der Heirat als Hausangestellte gearbeitet. Durch den Tod der Mutter 1862 verschlechtert sich das ohnehin angespannte Verhältnis des Jungen zum Vater. Nach einem heftigen Streit 1876 werden die beiden sich nie wieder begegnen. Nach dem Abitur beginnt Strindberg in Uppsala mit dem Studium der Medizin, nebenbei jobbt er als Lehrer und versucht sich als Schauspieler. Eine Zeit lang arbeitet er bei der Tageszeitung Dagens Nyheter und schreibt das historische Stück Meister Olof (Mäster Olof, 1872). In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit der Schauspielerin Siri von Essen, die er 1877 heiratet und mit der er drei Kinder bekommt. Zwei Jahre darauf erlebt er mit dem satirischen Roman Das rote Zimmer (Röda rummet, 1879) seinen literarischen Durchbruch. Mit seinen obrigkeitsfeindlichen Werken eckt er an. Nach dem Erscheinen der Satire Das neue Reich (Det nya riket, 1882) muss er Schweden verlassen und lebt mit seiner Familie zeitweise im französischen und schweizerischen Exil. Die Novellensammlung Heiraten (Giftas, 1884) bringt ihm in seiner Heimat ein Verfahren wegen Gotteslästerung ein. Zwar wird er freigesprochen, doch in der Folge leidet Strindberg unter psychischen Störungen. Nach seiner Scheidung 1891 geht er nach Berlin, wo er die Journalistin Frieda Uhl heiratet. Doch schon bald trennt sich das Paar, das eine gemeinsame Tochter hat. Strindberg zieht nach Paris, wo er schwere paranoide und depressive Zustände erleidet. Nach dieser Krisenzeit kehrt Strindberg in guter Verfassung nach Schweden zurück und schreibt zwischen 1898 und 1907 über 25 Werke, darunter Der Totentanz (Dödsdansen, 1901). Er heiratet die Schauspielerin Harriet Bosse, doch auch seine dritte Ehe ist nicht von langer Dauer. 1907 gründet er in Stockholm das Intima Teater, für das er viele sozialkritische Stücke verfasst. Strindberg stirbt am 14. Mai 1912 in Stockholm an Magenkrebs. Zehntausende Menschen folgen auf den Straßen seinem Sarg.

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