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Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie

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Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie

A. Francke Verlag,

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12 take-aways
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What's inside?

Kann der Kapitalismus überleben? Schumpeter kam in seinem Spätwerk zu einer negativen Antwort auf diese Frage und prognostizierte den Übergang in den Sozialismus.


Literatur­klassiker

  • Ökonomie
  • Moderne

Worum es geht

Eine Sozialismustheorie jenseits von Marx

Joseph Alois Schumpeter überraschte die Leser in seinem Spätwerk mit einer gewagten These. Der Ökonom, der in seinen früheren Arbeiten den Unternehmer und den Kapitalismus über alles gelobt hatte, kam plötzlich zu einem völlig entgegengesetzten Schluss: 80 Jahre nach Karl Marx stimmte er mit diesem darin überein, dass der Kapitalismus absterben und der Sozialismus aus ihm hervorgehen werde. Grund dafür sei aber keine sozialistische Revolution. In Schumpeters Theorie soll der Sozialismus sein Erstarken sozusagen einem „schlappen Kapitalismus“ verdanken, der an seinen eigenen Leistungen zugrunde gehen werde. Innovationen, die Wachstumsimpulse der Wirtschaft, würden im Kapitalismus immer weiter von der unternehmerischen Initiative weg verlagert. Der Kapitalismus würde zusehends in bürokratische Strukturen gedrängt, was schließlich seinen Untergang bedeute. Schumpeter diskreditiert auch die Demokratie als Veranstaltung des Wählerstimmenfangs zum Zweck des Machterhalts der Berufspolitiker. Obwohl das Buch aus heutiger Sicht streckenweise veraltet erscheint, gehört es zu den bekanntesten Werken der Ökonomie, nicht zuletzt wegen der berühmten Formulierung der „schöpferischen Zerstörung“.

Take-aways

  • Schumpeters Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie ist ein Schlüsselwerk der politischen Ökonomie und eine provokante Entwicklungstheorie des modernen Kapitalismus.
  • Zu den größten Errungenschaften von Karl Marx zählt Schumpeter die Analyse von wirtschaftlichen Entwicklungen in ihrem historischen Zeitablauf.
  • Schumpeters These: Der Kapitalismus wird durch eine Art Sozialismus abgelöst werden, aber nicht durch eine sozialistische Revolution, wie dies Marx behauptet hat.
  • Der Kapitalismus hat breiten Bevölkerungsschichten Wohlstand gebracht; die Verelendung der Arbeiter kann also nicht das Motiv für den Übergang in den Sozialismus sein.
  • Vielmehr wird der Kapitalismus an seinen eigenen Erfolgen und Leistungen zugrunde gehen.
  • Die permanente Selbsterfindung des Kapitalismus, die „schöpferische Zerstörung“, ist seine Kraftquelle.
  • Innovationen werden aber im reifen Kapitalismus nicht mehr von Unternehmern, sondern von Spezialistengruppen wie Managern und Experten übernommen und verwaltet.
  • Dadurch wird der Unternehmer selbst überflüssig. Die Innovationskraft wiederum erstarrt und versandet in Bürokratie, weil die unternehmerischen Impulse fehlen.
  • Der Kapitalismus zerstört die schützenden Sozial- und Herrschaftssysteme, sodass sein Zerfall unabwendbar ist und er einem lebensfähigen Sozialismus Platz machen wird.
  • Demokratie ist nichts weiter als ein politischer Wettbewerb um Wählerstimmen. Innerhalb des Sozialismus kann er in geordneteren Bahnen ablaufen als im Kapitalismus.
  • Schumpeters Buch fiel zunächst bei der Leserschaft durch und wurde paradoxerweise erst nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wiederentdeckt.
  • Aus heutiger Sicht – nach dem Zerfall der Sowjetunion – wirken Schumpeters Argumente zum Teil veraltet.

Zusammenfassung

Karl Marx: eine Kritik

Marx war ein Prophet. Der marxistische Sozialismus vereinte in sich alle Merkmale einer richtigen Religion: Er fungierte sinnstiftend und entwickelte einen Heilsplan. Und das, obwohl er die Motive der Arbeiter, denen er das Klassenbewusstsein schenkte, verfälschte: Der Arbeiter will nämlich mitnichten Arbeiter bleiben, sondern eigentlich ein kleiner Bourgeois werden. Als Soziologe hat Marx Bahnbrechendes geleistet. Als einer der Ersten setzte er wirtschaftliche Zusammenhänge in ihren geschichtlichen Zeitablauf, analysierte soziale Gruppen und Klassen – und wurde dabei immer wieder missverstanden. Die herrschenden Produktionsformen sind laut Marx bestimmend für die sozialen Strukturen der Menschen, und ebendiese Produktionsformen tragen in sich bereits den Keim ihrer Veränderung. Marx gebraucht das Beispiel der Handmühle, die im Industriezeitalter von der Dampfmühle abgelöst wurde. Die Erfindung der Handmühle hat diese einerseits unersetzlich für den Menschen gemacht und andererseits ihre eigene Abschaffung befördert: durch ihren Nachfolger, die Dampfmühle.

„Selbst wenn Marxens Tatsachen und Beweisführung noch irriger wären, als sie sind, könnte nichtsdestoweniger sein Ergebnis insofern richtig sein, als es einfach versichert, dass die kapitalistische Entwicklung die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft zerstören wird. Ich glaube, so ist es.“ (S. 76)

Marx lieferte uns eine Geschichte der Ökonomie oder besser noch eine ökonomisierte Geschichte, die sich auf die Betrachtung der Akkumulation und der durch sie ausgelösten Klassenkämpfe konzentrierte. Diese Erscheinungen sind aber keineswegs zwangsläufig. Die Umstände, die Marx heranzog, waren einfach zu idealtypisch. Das liegt vor allem daran, dass er sich – wenn auch verdeckt – an den Theorien von David Ricardo orientierte, insbesondere an dessen Arbeitswertlehre. Und genau wie Ricardos Annahmen sind auch die von Marx nicht unbedingt immer als realistisch einzuschätzen. Es geht nicht darum, zu bestimmen, ob die Arbeitswertlehre (kurz und knapp: der Wert eines Gutes bestimmt sich nach der dafür aufgewendeten Arbeit) nun richtig oder falsch ist, sondern ob sie zur Beschreibung der wirtschaftlichen Realität taugt. Und das tut sie nicht. Ricardo und Marx gingen nämlich von der „vollkommenen Konkurrenz“ aus – eine grundlegend unrealistische Annahme. Und selbst wenn es die vollkommene Konkurrenz gäbe, würde die Wertlehre nicht funktionieren. Dennoch ist Marx insofern zuzustimmen, als der Kapitalismus dereinst an seiner eigenen Entwicklung zugrunde gehen wird.

Kann der Kapitalismus weiterleben?

Nein, er kann es nicht. Die Begründung dieser kühnen These liegt aber nicht einfach darin, dass sein Zusammenbruch wünschenswert ist, genauso wenig wie der Fortbestand des Sozialismus wünschenswert ist. Es geht hier nicht um Werturteile, sondern schlicht darum, was wahrscheinlich ist und was nicht. Die Annahme der Marxisten, der Kapitalismus werde infolge von Umstürzen und Revolutionen überwunden, ist nicht wahrscheinlich. Vielmehr wird er sozusagen an der eigenen Fortschrittlichkeit ersticken; sein großer Erfolg ist sein Verhängnis, indem er seine eigenen Eckpfeiler zerstört und das Leben im Kapitalismus unmöglich macht.

Die Leistungen des Kapitalismus

Doch zunächst ein Blick auf die Leistungen des Kapitalismus. Nimmt man den Maßstab der Gesamterzeugung, der wirtschaftlichen Leistung, so sind die Ergebnisse alles andere als besorgniserregend. Abgesehen von tiefen Krisen wie derjenigen nach 1929, die aber vollkommen natürlich sind, lag die jährliche Wachstumsrate der verbrauchsbestimmten Produktion in der amerikanischen Wirtschaft zwischen 1870 und 1930 im Durchschnitt bei ca. 2 % – kein schlechtes Ergebnis. Würde sich dieses Wachstum noch weitere 100 Jahre fortsetzen, könnte wohl niemand mehr von Armut im engeren Sinne sprechen. Im Gegenteil: Das kapitalistische System hat schon heute allen (auch den Arbeitern) Annehmlichkeiten und sogar Luxusgüter gebracht, von denen die Monarchen vergangener Jahrhunderte nur träumen konnten. Lawinen von Konsumgütern rollen auf die Bevölkerung zu, ausgelöst durch Wellen der Innovation: Mechanische, elektrische, chemische Fabriken folgten aufeinander, Eisenbahnen, Fahrzeuge und eine Vielzahl von elektrischen Geräten erleichtern die Fortbewegung und die Kommunikation.

Monopolistische Konkurrenz

Die ökonomischen Klassiker – neben Ricardo auch Wicksell und Marshall – sind immer wieder auf die Fiktion einer vollkommenen Konkurrenz zurückgekommen, wenn sie ihre Thesen darlegten. Vollkommene Konkurrenz war für sie die Regel im Wirtschaftsleben. Das stimmt aber nicht, sie bildet eher die Ausnahme. Die Regel sind Monopole und Oligopole, Unternehmenszusammenschlüsse und Konzerne. Und tatsächlich können Monopolisten mehr für das Wirtschaftswachstum tun als Kleinstanbieter. Sie haben das Geld für die nötigen Innovationen und bessere Möglichkeiten, um die fähigsten Leute einzustellen. Vollkommene Konkurrenz gibt es allenfalls in der Landwirtschaft, aber schon in der verarbeitenden Industrie verwischen die Grenzen zu monopolistischen Strukturen. Jeder Anbieter, mag er auch noch so klein sein, wird seine Produkte und Dienstleistungen so differenzieren (durch Werbung, Service, persönliche Ansprache), dass sie mit anderen nicht vollständig vergleichbar sind. Daher handelt es sich auch bei diesen Märkten nicht um eine vollständige, sondern um eine monopolistische Konkurrenz. In Letzterer erachten die Käufer die von verschiedenen Herstellern produzierte Ware nicht als vollkommen gleichwertig, weil sich die Produkte hinsichtlich Qualität, Preis und Markenprestige voneinander unterscheiden. Jeder Anbieter muss versuchen, mit einer erfolgreichen Strategie möglichst viele Käufer von seinem Produkt zu überzeugen. Das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, das von vielen Klassikern immer wieder beschworen wurde, ist keines: In einem Oligopol z. B. (wenige Anbieter und viele Nachfrager) wird ein stabiles Gleichgewicht so gut wie nie erreicht.

Schöpferische Zerstörung

Was zeichnet den Kapitalismus besonders aus? Es ist sein Hang zur fortwährenden „schöpferischen Zerstörung“. Ständig lösen Innovationen, neue Erfindungen und Techniken alte Formen ab. Die gesamte Industrie des Kapitalismus muss sich immer neu erfinden, sich selbst vernichten und wie ein Phönix aus der Asche auferstehen. Darum sehen sich die Produzenten von Waren auch einer ganz besonderen Konkurrenz gegenüber: nicht der Konkurrenz der Marktteilnehmer, sondern der Konkurrenz der Innovationen, die alte Produkte binnen kürzester Zeit obsolet machen. Der Hersteller eines bestimmten Produkts kann der einzige seiner Art sein, dennoch ist er dem Verbesserungsdruck ständig ausgesetzt.

Fünf Gründe für den Niedergang des Kapitalismus

Welche Elemente sind für den wahrscheinlichen Niedergang des Kapitalismus konkret verantwortlich? Die These, dass der Kapitalismus an seiner Abhängigkeit vom selbst geschaffenen Fortschrittsdruck zugrunde gehen wird, lässt sich in folgenden fünf Bereichen konkretisieren:

  1. Der Unternehmer macht sich selbst überflüssig. Der Unternehmer ist die Energiequelle eines jeden Unternehmens. Er ist derjenige, der neue Rohstoffe entdeckt, Erfindungen in Produkte umleitet und die Maschine Kapitalismus in Fahrt hält. Der Unternehmer ist für die wirtschaftlichen Aufschwünge wie für die Abschwünge gleichermaßen verantwortlich. Er ist der Pionier, der abseits von eingetretenen Pfaden nach neuen Profiten sucht und dabei faszinierende neue Möglichkeiten entdeckt. Er setzt die Dinge in Bewegung, ohne ihn gäbe es nur Stagnation. Alle diese Eigenschaften und die soziale Funktion des Unternehmers werden jedoch im modernen Kapitalismus immer weiter zurückgedrängt. Sie werden „verbürokratisiert“. Die Innovation erfolgt nunmehr in extra dafür eingerichteten Expertenrunden. Risiken und Widerstände lassen sich mit statistischen Verfahren vorausberechnen. Visionen werden nicht mehr benötigt in einer Umwelt, die sich an den kontinuierlichen Strom von Veränderungen und Neuerungen gewöhnt hat. An die Stelle des Unternehmers treten Gehaltsempfänger. Fazit: Die Unternehmerfunktion ist ein Relikt von gestern, sie macht sich selbst überflüssig. Mit dem Untergang des alten Unternehmertyps verschwindet auch ein Teil der bürgerlichen Klasse.
  2. Die schützenden Feudalschichten werden zerstört. Damit der Kapitalismus und mit ihm das Bürgertum an die Macht kommen konnte, musste er etliche Hemmnisse bekämpfen. Der Aufstieg der Kapitalisten wurde vom 16. Jahrhundert an durch eine feudale Oberschicht begünstigt, die nach und nach ausstarb. Diese Schicht, die politisch aktiv war, braucht der Kapitalist aber, um politischen Einfluss zu erringen. Ohne sie wirkt er wie ein lebensuntüchtiger Geldsack.
  3. Der institutionelle Rahmen wird zerstört. Nicht nur die feudale Herrschaftsklasse, sondern auch seine eigenen Institutionen zerstört der Kapitalismus. Typisch bürgerliche und kapitalistische Freiheiten werden anonymisiert und entmenschlicht. Die individuelle Vertragsfreiheit beispielsweise wird zurückgedrängt zugunsten von anonymen Normverträgen zwischen Großkonzernen. Die Großkonzerne selbst gehören keinem Unternehmer mehr, der sich persönlich einsetzt. Sie entwickeln eine Form von Eigenleben, das aber auf all die Eigenschaften verzichten muss, die ein lebendiger, einsatzbereiter Unternehmer in sich vereint.
  4. Feindschaften entstehen. Aus 2. und 3. folgt, dass der Kapitalismus immer mehr zum Feindbild der Arbeiter degeneriert. Weil er immer wieder für Enttäuschungen sorgen wird (und das trotz des wachsenden Wohlstandes!) und die sozialen Sicherungssysteme nach und nach untergräbt, werden sich neben seinen Gegnern auch seine einstigen Jünger schließlich gegen ihn richten. Es braucht eine gewisse Frustrationstoleranz, eine „gefühlsmäßige Anhänglichkeit“ an ein System, damit man über dessen Fehler hinwegsehen kann. Die Anhänger des Kapitalismus haben so etwas jedoch nie entwickelt und werden sich deshalb gegen das System auflehnen, wenn ein entsprechender Leidensdruck aufgebaut ist.
  5. Intellektuelle Rädelsführer treten auf. Die Anführer dieser antikapitalistischen Bewegung werden die Intellektuellen sein. Ihre Zahl wird ansteigen, weil es zu den Errungenschaften des Kapitalismus gehört, dass Bildung für breite Bevölkerungsschichten verfügbar wird. Die Intellektuellen, einige von ihnen auch Frustrierte, die es nicht weit gebracht haben, werden für ihre Unzufriedenheit das kapitalistische System verantwortlich machen, dagegen rebellieren und es zersetzen. Die kapitalistische Maschine gerät ins Stocken.

Kann der Sozialismus funktionieren?

Bleibt die Frage: Was kommt nach dem Kapitalismus? Die Antwort: ein funktionstüchtiger Sozialismus. Darunter ist ein System zu verstehen, bei dem die Kontrolle über alle Produktionsmittel und über die wirtschaftliche Produktion selbst aus der privaten Hand an eine staatliche Zentralbehörde abgegeben wird. Einer der größten Vorteile dieser Form des Sozialismus: Die Unregelmäßigkeiten im Wirtschaftskreislauf lassen sich ausmerzen. Es gibt keine Konjunkturkrisen mehr und infolgedessen entsteht eine solide Planungsbasis für die Wirtschaft. Überdies lässt sich auch der Arbeitsmarkt stabilisieren. Wie kommt es aber zu dem Übergang zum Sozialismus? Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Die eine: Ist der Kapitalismus reif für den Umschwung, ist er selbst schon so entartet, dass die Bevölkerung den Sozialismus geradezu herbeisehnt. Der Kapitalismus ist in diesem Fall erstarrt, er stagniert und Innovationen verlaufen in quälender Langsamkeit nach einem bürokratischen Regelschema ab. Der Übergang zum Sozialismus erfolgt dann friedlich und in Eintracht. Die zweite Möglichkeit: Ist der Kapitalismus noch nicht am Ende und wollen die Sozialisten trotzdem schon den Systemwechsel, wird dieser nur mithilfe von Gewaltanwendung möglich sein. Die Sowjetunion ist ein Beispiel für ein Land, das den Umschwung gewagt hat, obwohl der Kapitalismus noch nicht reif genug für den Systemwechsel war.

Sozialismus und Demokratie

Zum Abschluss noch eine andere brennende Frage: Wie vertragen sich Sozialismus und Demokratie? Die Antwort: Ausgezeichnet! Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man sich einmal vor Augen hält, was die moderne Demokratie eigentlich bedeutet: ein institutionell abgefederter Machtkampf von Politikern um Wählerstimmen. Ein politischer Wettbewerb. Eine Konkurrenz um Führerschaft. Es wäre eine Illusion, zu glauben, Politiker seien gewissenhaft und fühlten sich dem Volkswillen verpflichtet. Sie erfüllen zwar einige der Wünsche ihrer Wähler, aber eben nur so viele, wie nötig sind, um wiedergewählt zu werden. Demokratie ist nichts weiter als eine Methode, mit deren Hilfe politische Entscheidungen gefunden und durchgesetzt werden. Diese Methode lässt sich im Sozialismus mindestens genauso gut anwenden. Mehr noch: Durch verlässliche Strukturen werden Politiker aus dem täglichen Machtkampf herausgelöst und können endlich eine langfristige Politik konzipieren. Aber natürlich läuft auch das sozialistische System Gefahr, von machthungrigen Politikern missbraucht zu werden.

Zum Text

Aufbau und Stil

Schumpeters Buch besitzt einen einfachen Aufbau: Das erste Kapitel widmet der Autor einer ausführlichen Kritik der marxistischen Ökonomieauffassung. Das zweite dient der Analyse des Kapitalismus und der Gründe für seine absehbare Zerstörung. An seine Stelle tritt der Sozialismus, mit dem sich Schumpeter im dritten Kapitel auseinandersetzt. Im vierten widmet er sich der Fragestellung, ob Sozialismus und Demokratie miteinander vereinbar sind. Schumpeters Methode kann so charakterisiert werden: Er stellt Thesen auf und bringt mehrere Beispiele und Argumente für ihre Gültigkeit, die er fein säuberlich nummeriert darlegt. Stilistisch gelang Schumpeter, was seine Fachkollegen eher selten beherrschen: sich klar und deutlich auszudrücken. Seine Sprache ist einfach und präzise, seine Formulierungen sind folgerichtig. Auch er verstrickt sich zwar hin und wieder in Widersprüche. Man kann aber deutlich erkennen: Dieser Wirtschaftswissenschaftler wollte nicht mit Floskeln blenden, sondern verstanden werden. Dennoch wurde er häufig missverstanden – was auch die zahlreichen Vor- und Nachworte der späteren Auflagen belegen, zu denen er sich genötigt sah.

Interpretationsansätze

  • Einer der wichtigsten Begriffe Schumpeters ist die „schöpferische Zerstörung“. Hiermit beschreibt der Ökonom das fortwährende Ringen von wirtschaftlichen Innovationen mit ihren Vorgängern. Schumpeter erkennt im Kampf zwischen Altgedientem und Innovation die wahren Konkurrenzverhältnisse der Wirtschaft: Neue Unternehmen graben den alten das Wasser ab, Nachfolgeprodukte schmälern die Gewinnmargen der Vorgänger. Die „schöpferische Zerstörung“ kam im Gewand des „Business Reengineering“ (Hammer/Champy) und der „Disruptive Technology“ (Christensen) in der Managementliteratur des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu neuer Blüte.
  • Ebenso bekannt wurde der Schumpeter’sche Unternehmertyp, der Innovationen kreiert, wirtschaftliches Neuland betritt, die Dinge in Gang hält und dabei die Widerstände der Umwelt überwindet. Schumpeter sieht diesen Typ aber mit dem fortschreitenden Kapitalismus im Verschwinden begriffen, zurückgedrängt durch eine Kaste von angestellten Managern und Experten.
  • Als Schumpeter’sche Hypothese hat eine weitere Theorie des österreichischen Ökonomen große Verbreitung in den Wirtschaftswissenschaften gefunden. Schumpeter sieht einen Zusammenhang zwischen Unternehmenskonzentration und -größe einerseits und Innovationen und Wirtschaftswachstum andererseits. Im Klartext: Je größer ein Unternehmen ist, desto besser kann es mit Innovationen das wirtschaftliche Wachstum vorantreiben. Monopole, Konzerne und Trusts sind daher für die Wirtschaft eher heilsam als schädlich.
  • Oft wird Schumpeters kritische Sicht des Kapitalismus in seinem Spätwerk auf seine Wahrnehmung der Weltwirtschaftskrise 1929 zurückgeführt. Doch bereits in früheren Publikationen weist er darauf hin, dass der Kapitalismus nur eine Zwischenform darstelle, die sich in „irgendetwas anderes“ verwandeln werde. In Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie ist dieses „irgendetwas“ gefunden: der Sozialismus.
  • Genau wie John Maynard Keynes und im Gegensatz zu vielen klassischen Ökonomen ist Schumpeter der Ansicht, ein wirtschaftliches Gleichgewicht könne sehr wohl zustande kommen, ohne dass gleichzeitig Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt herrsche.

Historischer Hintergrund

Die Systemkonkurrenz zwischen Sozialismus und Kapitalismus

Die Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und Sozialismus erreichte in der Periode zwischen 1930 und 1960 einen Höhepunkt. Zunächst existierte nur die Planwirtschaft sowjetischen Typs, später kamen andere Formen des „real existierenden Sozialismus“ hinzu, beispielsweise in China. Ab 1928 realisierte die Sowjetunion unter Josef Stalin ihren ersten Fünfjahresplan. Dabei setzte Stalin auf brutale Härte, führte die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft zu Kolchosen durch und verstaatlichte die Industriebetriebe. Diese Umwandlung vom Agrar- zum Industriestaat hatte beeindruckende Folgen: Nach westlichen Schätzungen verdreifachte sich die industrielle Güterproduktion im Jahrzehnt vor dem Zweiten Weltkrieg; die Sowjets sprachen offiziell sogar von einer Vervierfachung. Betrachtete man nur diesen wirtschaftlichen Aspekt, konnte man (vermutlich wie Schumpeter) tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass der Sozialismus dem Kapitalismus überlegen sei.

Beginnend etwa mit dem Jahr 1915 bis ca. 1960 spricht man vom „Fordistischen Kapitalismus“. Der Kapitalismus verschaffte vor allem nach dem Krieg einem großen Teil der Bevölkerung den Zugang zu Konsumgütern (Kühlschränke, Waschmaschinen, Autos). Technische Innovationen wie das Fließband – in Henry Fords Automobilfabriken lief das erste Fließband der Welt – ermöglichten die massenhafte Produktion von standardisierten Artikeln. Vor dem Krieg jedoch erlebte der Kapitalismus, ganz im Gegensatz zum Sozialismus, seine tiefste Krise: die große Depression. Ein Aufschwung, der 1925 seinen Anfang genommen hatte, wurde durch den Börsenkrach am Schwarzen Freitag des Jahres 1929 abrupt beendet. Die Folge: Bankenkrise, Zusammenbruch des Weltfinanzsystems, Produktionsrückgang und hohe Arbeitslosigkeit. Schumpeter zeigte sich von dieser Krise nicht sonderlich überrascht, war sie doch in seinem zuvor veröffentlichten Wirtschaftskreislaufmodell explizit vorgesehen. In Deutschland übernahmen wenig später die Nationalsozialisten die Macht und versuchten, mit staatlichen Lenkungsmaßnahmen (Autobahnbau und Rüstungsindustrie) die hohe Arbeitslosigkeit einzudämmen. In den USA ergriff Präsident Franklin D. Roosevelt Lenkungsmaßnahmen für die lahmende Wirtschaft, die unter dem Schlagwort „New Deal“ zusammengefasst wurden.

Entstehung

Die Vorarbeiten für Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie gehen auf das Jahr 1927 zurück. Damals hielt Schumpeter in London einen Vortrag, in dem er zum ersten Mal seine neue, pessimistische Sicht des Kapitalismus verkündete. Nach seiner Übersiedlung in die USA, während der Professorentätigkeit in Harvard, fühlte er sich von seinen Kollegen isoliert. Ein Grund hierfür lag sicherlich in seiner Ablehnung der Politik Roosevelts, aber auch in der Frustration darüber, dass John Maynard Keynes ihm in seinem Vorhaben, eine bahnbrechende Theorie zu veröffentlichen, zuvorgekommen war. Das hatte zur Folge, dass Schumpeters Werke, sofern sie denn überhaupt erschienen, nicht als besonders aktuell angesehen wurden. Im Juni 1939 fasste er den Entschluss, ein kleines Buch mit sechs Essays zu schreiben, die er selbst als „Entspannung“ nach seinem Großprojekt, der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, betrachtete. So einfach, wie sich Schumpeter dieses Büchlein vorstellte, war es dann aber doch nicht. Über zweieinhalb Jahre vertiefte er sich in die Arbeit an dem Buch, das 1942 als Capitalism, Socialism and Democracy auf Englisch erscheinen sollte. Dass dieses bekannteste seiner Werke ein Abgesang auf den Kapitalismus wurde, wird oft darauf zurückgeführt, dass Schumpeter es in einer düsteren Phase seines Lebens verfasste: Während des Zweiten Weltkriegs litt er an Depressionen.

Wirkungsgeschichte

Während John Maynard Keynes mit seiner Allgemeinen Theorie (1936) und seiner Analyse des Konjunkturzyklus wahre Triumphe feierte, interessierte sich zunächst kaum jemand für Schumpeters Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Er hatte das Buch in englischer Sprache verfasst. Die deutsche Fassung erschien kriegsbedingt erst mit erheblicher Verzögerung im Jahr 1946. Übersetzungen ins Japanische, Spanische und Italienische erfolgten in den 50er Jahren, sie wurden von Schumpeter kurz vor seinem Tod 1950 noch vorbereitet, ebenso wie die zweite und dritte amerikanische Auflage. Schumpeters Theorie wurde schon nach der Erstveröffentlichung stark kritisiert. Der Autor reagierte auf die ungnädigen Rezensionen sehr sensibel. In den Vorworten der weiteren Auflagen und in späteren Veröffentlichungen versuchte er seine Gedankengänge zu präzisieren und Missverständnisse auszuräumen. Erst in den 80er Jahren, als Keynes’ Theorien aus der Mode kamen und – Ironie der Geschichte – auch der real existierende Sozialismus am Boden lag, entwickelte sich ein reges Interesse an Schumpeters Buch: Kommentare erschienen, Kongresse wurden abgehalten, Neuauflagen herausgebracht. Bis 1993 erschienen insgesamt 20 Übersetzungen und sieben deutsche Auflagen. Wegen seines Slogans der „schöpferischen Zerstörung“ wird Schumpeter vielfach als glühender Verteidiger des Kapitalismus gesehen und nicht als eigentlicher Zweifler an diesem System.

Über den Autor

Das Wall Street Journal bezeichnete Joseph Alois Schumpeter anlässlich seines 100. Geburtstags als „größten Ökonom des 20. Jahrhunderts“. In jedem Fall war er ein höchst origineller Denker, der sich nicht einseitig interpretieren lässt, denn seine Arbeit ist sehr vielschichtig und überdies hat er mehrmals die ideologische Ausrichtung gewechselt. Schumpeter wird am 8. Februar 1883 im mährischen Triesch geboren. Da sein Vater früh stirbt, wächst er in Graz und später in Wien im Haushalt seines Stiefvaters auf. Nach dem Abitur studiert er an der Universität Wien Rechts- und Staatswissenschaften. Nach Promotion und Habilitation wird er Privatdozent für politische Ökonomie in Wien. 1911 veröffentlicht Schumpeter seine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Ein Jahr später wird er nach Graz berufen. Nach dem Ersten Weltkrieg ist er Finanzminister in der von Staatskanzler Karl Renner gebildeten österreichischen Koalitionsregierung. Diese Tätigkeit bleibt jedoch ein kurzes Intermezzo: Wegen verschiedener Differenzen scheidet er schon nach sieben Monaten wieder aus dem Kabinett aus. Sein Weg in die Privatwirtschaft führt ihn zum Präsidium der Wiener Biedermann-Bank. Im Zuge der großen Inflation gerät das Geldinstitut aber in arge Bedrängnis und muss Konkurs anmelden. Leider hat Schumpeter den ihm zur Verfügung gestellten Kreditrahmen für Spekulationen genutzt. Er braucht über zehn Jahre, um die Schulden restlos abzubezahlen. Glücklicherweise bekommt seine akademische Karriere neuen Auftrieb: Von 1925 bis 1932 lehrt er in Bonn, 1932 erhält er ein Angebot der renommierten Harvard University. Angesichts der sich abzeichnenden NS-Herrschaft bricht Schumpeter alle Brücken zu seinem Heimatland ab. In den USA entstehen seine drei großen Werke Business Cycles (1939), Capitalism, Socialism and Democracy (1942) und History of Economic Analysis; Letzteres erscheint erst postum 1954. Schumpeter stirbt am 8. Januar 1950 an einem Gehirnschlag.

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