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Der Gehülfe

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Der Gehülfe

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Ein grosser Roman des kleinen Schweizers: Mit gemütlicher Sarkastik beschreibt der Bürolist Joseph Marti den Untergang des Unternehmers Tobler.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Eine Geschichte von Herr und Knecht

Wie kommt es, dass man beim Namen Walser immer nur an Martin Walser denkt? Das Schicksal wollte es so, dass der Schweizer Robert Walser literarisch stets im Schatten seines deutschen Namensvetters stehen sollte. Bis heute ist das Werk Robert Walsers ein Geheimtipp unter Kennern. Von seinen drei Romanen ragt der mittlere besonders heraus: In Der Gehülfe verarbeitete der Autor, aus der Distanz eines längeren Aufenthaltes in Berlin, seine Vergangenheit als Angestellter bei einem Erfinder am idyllischen Zürichsee. Walsers Held Joseph Marti betritt die Erfinderwerkstatt des Herrn Tobler mit einer seltsamen Mischung aus Neugier und Angst: Fortwährend kämpft er gegen diese widerstrebenden Gefühle an. Er bemerkt wohl, dass die Erfindungen des aufbrausenden und über seine Verhältnisse lebenden Tobler längst Schnee von gestern sind. Doch er nimmt es hin, schweigt, lässt sich einlullen und muss nun zusehen, wie sein Herr und Meister in die Katastrophe schlittert. Der Roman, den Max Liebermann als „kotzlangweilig“ beschrieb, tuckert in der Tat recht beschaulich daher. Walsers Stil ist gemächlich, zart, aber auch humorvoll und bisweilen sarkastisch. Der große Erfolg blieb Walser versagt; erst in den 70er Jahren wurden seine Romane wiederentdeckt.

Take-aways

  • Der Schweizer Schriftsteller Robert Walser gilt als ewiger Geheimtipp der modernen Literatur.
  • Während einer fruchtbaren Schaffensperiode in Berlin verfasste Walser den Roman Der Gehülfe in nur sechs Wochen.
  • Der etwas schüchterne Joseph Marti tritt seine neue Gehilfenstelle beim Erfinder und Ingenieur Tobler im beschaulichen Bärenswil am Zürichsee an.
  • Joseph lebt im Haus der Familie Tobler und nimmt Anteil am Schicksal der ungeliebten Tochter Silvi.
  • Mit der Aufgabe, Geldgeber für die Tobler’schen Erfindungen anzuwerben, ist Joseph überfordert. Die Erfindungen erweisen sich als unbrauchbar.
  • Allmählich stellt sich heraus, dass es mit dem Tobler’schen Unternehmen finanziell nicht zum Besten steht.
  • Joseph kann sich gegen seinen dominanten Dienstherrn nicht durchsetzen: Bei dessen fortwährenden Tobsuchtsanfällen zieht er jedes Mal den Kürzeren.
  • Die Hoffnungen auf eine kräftige Finanzspritze von Toblers Mutter erfüllen sich nicht.
  • Als schließlich der Bankrott unausweichlich erscheint, verlässt Joseph die Tobler’sche Villa und geht einer ungewissen Zukunft entgegen.
  • Der Roman speist sich überwiegend aus autobiografischen Quellen: Walser verarbeitet in Teilen seine eigene Vergangenheit.
  • Der im Text beschriebene Ort Bärenswil entspricht der Gemeinde Wädenswil am Zürichsee, wo Walser 1903/04 als Angestellter eines Erfinders arbeitete.
  • Der Roman war kein Bestseller, wurde aber gut besprochen. Erst in den 60er und 70er Jahren wurde Walsers Werk neu entdeckt.

Zusammenfassung

Verfrühte Ankunft

Joseph Marti erscheint früher als erwartet bei seinem neuen Arbeitgeber, dem Ingenieur Carl Tobler, in Bärenswil am Zürichsee. Tobler reagiert eher ungnädig auf Josephs Entschuldigung, ein Missverständnis beim Büro der Arbeitsvermittlung habe wohl zum verfrühten Erscheinen geführt. Obwohl er unvorbereitet ist, nimmt Tobler seinen neuen Angestellten gleichwohl auf und kredenzt ihm erst einmal eine kräftige Mahlzeit, die Joseph außerordentlich mundet. Ihm fällt auf, dass Tobler nicht gerade geizig ist: Brot, Butter, Marmelade sind in Hülle und Fülle vorhanden, die Magd Pauline wird sogar angewiesen, extra für Joseph Bratkartoffeln zuzubereiten. Die Art und Weise, wie Tobler ihn zum Essen animiert, hat schon etwas Aufdringliches. Danach geht es aus den Wohnräumen im Erdgeschoss in das Büro, das im Souterrain der repräsentativen Villa Abendstern gelegen ist. Hier weist Tobler Joseph in seine zukünftige Arbeit in der Schreibstube ein. Joseph begreift nur die Hälfte, und insgeheim hält er sich fast für einen Betrüger. Er wird das Gefühl nicht los, Tobler über den Tisch zu ziehen, weil er bei ihm wohnen darf, noch dazu in einem romantischen Turmzimmer, und eine köstliche Küche genießt, worauf er die Wochen zuvor in der Stadt hat verzichten müssen. Die Vorstellung bei Toblers Familie verläuft etwas frostig. Frau Tobler hat einen leicht ironischen Blick, der, wie Joseph sich denkt, vermutlich angeboren ist. Ihr berichtet er von seinem bisherigen Werdegang und seiner Arbeitslosigkeit. Seine Ausführungen quittiert Frau Tobler mit übertriebener Anteilnahme. Den Abend verbringt Joseph damit, darüber zu sinnieren, dass er es mit seinen 24 Jahren noch nicht besonders weit gebracht hat.

Erinnerungen

Am nächsten Morgen versucht Joseph die Arbeit Toblers so gut es geht zu begreifen. Es gelingt ihm jedoch nicht. Offensichtlich stützt sein Dienstherr seine ganze Hoffnung auf eine von ihm erfundene „Reklame-Uhr“, in deren Entwicklung er sein komplettes Vermögen gesteckt hat und deren Unterhalt und Herstellung immense Kosten verursachen. Dabei handelt es sich um eine mechanische Uhr, die zu Werbezwecken in Restaurants, Bahnhöfen oder sonst wo aufgestellt werden kann und mit Reklameschriften auf ihren beiden Flügeln versehen wird. Die inserierenden Unternehmen zahlen dafür eine Werbegebühr. Doch leider scheint es, als hätten noch nicht besonders viele Investoren angebissen. Joseph schreibt Entschuldigungsbriefe an Kreditoren seines Meisters und freut sich darüber, dass ihm der eloquente, kaufmännische Stil leicht von der Hand geht. Inhaltlich begreift er jedoch wenig, wenn von „geplatzten Wechseln“ und „der Finanzierung der Patente, die noch auf sich warten ließen“, die Rede ist.

„Eines Morgens um acht Uhr stand ein junger Mann vor der Türe eines alleinstehenden, anscheinend schmucken Hauses. Es regnete. ‚Es wundert mich beinahe’, dachte der Dastehende, ‚dass ich einen Schirm bei mir habe.’“ (S. 7)

Während sein Meister Erledigungen macht, schreibt Joseph einen Brief an seine ehemalige Zimmerwirtin Frau Weiß, der er noch Geld schuldet. Auf dem Weg zur Post begegnet ihm ein Kamerad aus seiner kurzen, aber intensiv erlebten Militärzeit. Dieser Mann weckt Erinnerungen an Josephs Tätigkeit vor dem Militärdienst. Damals arbeitete er in einem Geschäft und wurde von seinem Dienstherrn wegen einer fehlerhaften Berechnung arg getadelt. Kopflos habe er gearbeitet, das muss sich Joseph auch selbst eingestehen. Sogar der Lehrling habe ihn damals in die Tasche stecken können, so unverständig habe er sich aufgeführt.

Ein Gnadengesuch

Allmählich lebt sich Joseph im Haus seines neuen Arbeitgebers ein. An einem Sonntag besucht sein Vorgänger die Familie zum Mittagessen. Sein Name ist Wirsich, ein korrekter und penibler Herr – wenn da nicht seine Alkoholabhängigkeit wäre. Wirsich wurde die Stellung wegen wiederholter Trinkeskapaden gekündigt, die stets in einem unflätigen Verhalten gegenüber seinem Arbeitgeber und der gesamten Familie Tobler gipfelten. Trotz aller Bemühungen scheitert Wirsichs Versuch, erneut Gnade von Tobler zu erhalten und seine alte Stellung wiederzuerlangen. Später gibt Joseph im Auftrag von Tobler ein Inserat auf, in dem der Ingenieur einen „Kapitalisten“ sucht, der ihm die Realisierung seiner Erfindungen ermöglicht. Während der Vorbereitungen zum Schweizer Nationalfeiertag am 1. August wird Joseph von mehreren Seiten mit der Tatsache konfrontiert, dass es im Hause Tobler nicht gerade rosig um die Finanzen steht. Sein Vorgesetzter legt Rechnungen zur Seite, Frau Tobler verschiebt notwendige ärztliche Behandlungen wegen der zu erwartenden Kosten. Joseph selbst plagt das schlechte Gewissen, er fragt sich, ob er denn überhaupt eine adäquate Gegenleistung für seinen Dienstherrn erbringt. Allerdings wird auch er mit geringem Lohn abgespeist, wenn man fünf Mark am Sonntag überhaupt als einen solchen bezeichnen kann.

Ein Interessent

Einen Tag nach dem Feiertag erscheint Herr Johannes Fischer im Hause Tobler. Der Kapitalist hat sich auf das Inserat gemeldet und möchte die Erfindungen begutachten. Da Tobler verreist ist, nimmt Joseph den Gast in Empfang. Er präsentiert ihm die Reklame-Uhr und erläutert auf Nachfrage die mögliche Rentabilität der Erfindung. Fischer zeigt Interesse, auch wenn er die Gewinneinschätzungen von Tobler für maßlos übertrieben hält. Leider muss er das Tobler’sche Anwesen bald wieder verlassen und hat keine Zeit, auf den Hausherrn zu warten. Als Tobler am Abend zurückkehrt, lässt er sogleich ein Donnerwetter los. Er regt sich darüber auf, dass der Gehilfe und seine Frau den Kapitalisten haben ziehen lassen, ohne ein Geschäft in die Wege zu leiten. Nachdem sich Tobler etwas beruhigt hat, kommt man überein, dass er Herrn Fischer am nächsten Tag einen Besuch abstatten soll. Doch als der Interessent absolviert ist, scheint alles aus zu sein: Das Geschäft ist geplatzt und Tobler hat üble Laune.

Überlegungen und Gerüchte

Überlegungen und Gerüchte Eines Sonntags machen die Toblers einen Ausflug, lassen aber Joseph mit der Magd Pauline und der kleinen Tochter Silvi, die offensichtlich von niemand besonders gemocht wird, im Haus zurück. Der Gehilfe wird Zeuge, wie Pauline das Mädchen quält. Joseph stellt daraufhin allerlei Überlegungen an, warum die kleine Silvi derart misshandelt wird. Wenige Tage später erhält Frau Tobler einen Brief von einer ehemaligen Dienstmagd, die mit Josephs Vorgänger Wirsich ein unsittliches Verhältnis hatte und wegen ihrer diebischen Veranlagung entlassen wurde. Sie weist Frau Tobler darauf hin, dass im Dorf das Gerücht umgehe, sie, Frau Tobler, habe selbst ein Verhältnis mit Herrn Wirsich gehabt. Frau Tobler streitet die Gerüchte ab und antwortet der Dienstmagd mit einem entsetzten Brief. Josephs Vorgänger Wirsich wird später bei einem Gartengespräch von Frau Tobler in den höchsten Tönen gelobt, was den Gehilfen zu einer aufgeregten Schmährede gegen seinen Vorgänger veranlasst. In der Nacht wird Silvi erneut von Pauline misshandelt. Joseph mischt sich ein, wird jedoch schroff abgewiesen, worauf er sich vornimmt, in einem Gespräch mit seiner Herrin ein gutes Wort für Silvi einzulegen.

Besuch bei einer Freundin

An seinem nächsten freien Sonntag fährt Joseph mit der Bahn in die Hauptstadt. Nach einem Spaziergang durch das großstädtische Leben, das er als starken Kontrast zu seinem jetzigen Dasein empfindet, besucht er Klara, eine Freundin, die er schon seit vielen Jahren kennt. In letzter Zeit ist der Kontakt der beiden nur noch sehr sporadisch, was sich auch im anfänglich kühlen Ton ausdrückt. Joseph, der die offenen Gespräche mit Klara liebt, erinnert sich an die Vielzahl von Unterhaltungen in den zurückliegenden Jahren ihrer Freundschaft. Das Auseinandergehen am Ende des Tages ist dann jedoch recht kühl, da man nicht weiß, wann man sich wiederbegegnen wird.

Die finanzielle Lage spitzt sich zu

Am folgenden Montag kommt es zu einem Gespräch zwischen dem Gehilfen Joseph und Ingenieur Tobler über das noch ausstehende Gehalt. Tobler bittet Joseph, sich zu gedulden, schließlich müsse er in seinem Haus keinen Hunger leiden. Als Joseph etwas keck erwidert, er leiste auch gute Arbeit, bekommt der Ingenieur einen Wutanfall. Die prekäre finanzielle Lage spitzt sich weiter zu. Herr Martin Grünen besteht auf der Rückzahlung eines Darlehens, das er Tobler zur Produktion der Reklame-Uhr gewährt hat. Tobler schmettert die Forderung mit einem unverschämten Brief ab, den er Joseph diktiert. Während es draußen langsam Herbst wird, geht Tobler immer öfter auf so genannte Geschäftsreisen, die jedoch keinen finanziellen Erfolg nach sich ziehen.

Tobler ist pleite

Während Tobler außer Haus ist, kommen sich seine Frau und der Gehilfe Joseph etwas näher. Joseph fühlt sich zu ihr hingezogen und muss sich dieser Gefühle erwehren. Obwohl die Gläubiger von allen Seiten drängen, feiert Tobler mit einigen Bärenswilern die Einweihung seiner neuen Gartengrotte. In Bärenswil ist man sich mittlerweile einig: Tobler zahlt seine Rechnungen nicht. Der Verwalter, der Joseph einst die Stelle im Hause Tobler vermittelt hat, kommt zu Besuch. Er will seine Vermittlungsgebühr einholen und sich nach dem Gehilfen erkundigen. Joseph gesteht ihm die Zahlungsunfähigkeit seines Herrn. Im Hause Tobler fürchtet man aufgrund der finanziellen Situation immer häufiger die Wutanfälle des Ingenieurs.

Mutters Geld als Ausweg?

An einem Wintersonntag durchzecht Joseph in der Stadt die Nacht und begegnet dem ebenfalls betrunkenen Wirsich. Die beiden Männer kommen ins Gespräch und nächtigen gemeinsam in einem Wirtshaus. Acht Tage später kehrt Joseph erneut in die Stadt zurück, um einen Zwei-Tages-Arrest abzusitzen, denn er hat die herbstliche Wiederholungsübung des Militärs versäumt. Nach seiner Rückkehr hat Tobler den „Krankenstuhl“, eine neue Erfindung, fertiggestellt. Doch die Lage ist inzwischen zu ernst, als dass die neue Kreation noch den Bankrott abwenden könnte. Der Gerichtsbote schleicht bereits täglich um die Tobler’sche Villa herum, um nach Wertvollem Ausschau zu halten. Als auch noch Frau Tobler krank wird und man den Strom in der Villa wegen überfälliger Zahlungen abdreht, sieht sich der Ingenieur gezwungen, seine Mutter um Geld anzubetteln.

„‚Gewissen Menschen’, dachte Joseph, ‚scheint es Vergnügen zu machen, an bedauerliche Dinge zu denken. Wie diese Frau Nachdenklichkeit mimt. Sie seufzt, wie andere lachen, genauso fröhlich. Ist das jetzt meine Herrin?’“ (S. 15)

Joseph fasst eines Abends Mut und spricht mit Frau Tobler über die Misshandlungen an Silvi. Frau Tobler erkennt ihre Verfehlungen, kann aber nicht aus ihrer Haut. Sie gesteht, dass sie die eigene Tochter hasst. Als Tobler heimkehrt, erzählt ihm der Gehilfe von der Unterredung mit seiner Frau. Doch Tobler fehlt scheinbar die Kraft für eine Auseinandersetzung, er schickt ihn nur auf sein Zimmer. Am nächsten Morgen ist der Vorfall kein Thema mehr.

Joseph plant seinen Fortgang

Frau Tobler wird von ihrem Mann zu seiner Mutter geschickt. Diese hat ihnen bislang kein Geld gegeben. Nun soll die Hausherrin durch persönliches Erscheinen bei der Schwiegermutter bewirken, dass das so dringend benötigte Geld seinen Weg zu den Toblers findet. Für Frau Tobler selbst scheint das der einzige Ausweg zu sein. Obwohl Toblers Mutter schließlich einen kleinen Geldbetrag aus ihrem Vermögen zur Verfügung stellt, sieht Joseph seinen Arbeitsplatz bedroht. Er schickt dem Verwalter des Stellenvermittlungsbüros eine Bewerbung für eine neue Anstellung. Toblers Mutter lässt verlauten, dass es bei der Zahlung von 4000 Mark bleibe und nichts mehr zu erwarten sei. Tobler rastet daraufhin erneut aus, da das Geld bereits an Gläubiger ausgezahlt ist und er immer noch viele Schulden hat. Er beauftragt Joseph, sofort einen Termin mit dem Familienanwalt zu machen. Weil der Gehilfe sich seiner Ansicht nach zu dumm anstellt, wird Tobler handgreiflich und reißt Joseph den Telefonhörer aus der Hand. Später am Abend will Joseph den kränkelnden Ingenieur zur Rede stellen und ihm mitteilen, dass er nicht länger für ihn arbeiten kann. Doch Frau Tobler hält den Angestellten von seinem Vorhaben ab.

Der Gehilfe verlässt die Villa Abendstern

Während des Weihnachtsfestes und in der Neujahrswoche findet man sich scheinbar mit dem Ruin des Hauses Tobler ab. Als die Mutter des Ingenieurs jedoch auf Anfrage noch einmal schriftlich mitteilt, sie habe kein Geld mehr, das sie zur Verfügung stellen könne, bricht der Hausherr nach einem erneuten Wutanfall endgültig zusammen. Am Silvestertag trifft Joseph Wirsich, der schon wieder eine Stellung wegen seiner Trunksucht verloren hat. Er nimmt seinen Vorgänger bei sich auf und verbringt in seiner Gesellschaft den Jahreswechsel. Am nächsten Morgen kommt es zum Zerwürfnis mit Tobler, als dieser Joseph gemeinsam mit Wirsich in seinem Haus erblickt. Joseph fasst nun endgültig den Entschluss, die Villa Abendstern zu verlassen. Während der Ingenieur außer Haus ist, packt Joseph seine Sachen und verabschiedet sich von Frau Tobler und den Kindern. Dann verlässt er mit Wirsich das Anwesen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Robert Walsers Der Gehülfe bewegt sich innerhalb gängiger Romankonventionen. Er plätschert so dahin, dass man in ihm auch eine ausgeweitete Episode eines viel größer angelegten Romans erkennen könnte. Die Handlung deckt ungefähr ein halbes Jahr ab und beleuchtet – von einem Stadtbesuch und kleineren Rückblenden abgesehen – die Hauptfigur Joseph Marti fast ausschließlich in seinem beruflichen Umfeld, das in diesem Fall zwangsläufig auch sein privates ist: die kleinbürgerliche Tobler’sche Villa am Zürichsee. Der Verfall des Hauses Tobler wird analytisch vorgeführt: Erst nach und nach enthüllt sich das ganze Ausmaß der Katastrophe. Dabei folgt der Leser Josephs Blick. Raffiniert ist die verdoppelte Erzählperspektive: In die personale, der erlebten Rede nahestehende Erzählweise mischt sich immer wieder ein allwissender Erzähler, der die Ereignisse ironisch-distanziert kommentiert. Daraus entwickelt sich ein ganz spezieller, zarter, manchmal aber auch beißend-sarkastischer Humor. Interessant ist auch die Metaebene, auf der Walser seinen Helden über die Sprache nachdenken lässt: An mehreren Stellen im Roman sinniert der eigenbrötlerische Joseph darüber, wie sehr doch der Klang des einen oder anderen Wortes zu seiner Bedeutung passe oder wie gut sich ein Begriff in das allgemeine Gefühl eines Tages eingliedere, wie z. B. das Wort „hochachtungsvoll“ in einen blauen Sonntag.

Interpretationsansätze

  • Walser wählt für seinen Roman eine in der Literatur zuvor kaum behandelte Versuchsanordnung: die Situation eines niederen Angestellten in der Schweiz der Jahrhundertwende. Die Thematik der Abhängigkeit und der Arbeitslosigkeit markiert die Krise der Industrialisierung – und nimmt gewissermaßen jene des Spätkapitalismus vorweg: Daher rührt u. a. die vermehrte Beschäftigung mit Walsers Roman in den 60er und 70er Jahren.
  • Der Gehilfe Joseph Marti ist eine hochgradig labile Persönlichkeit, die fortwährend in der Beurteilung ihrer eigenen Person und der Umwelt schwankt. Zermürbende Selbstkritik wechselt sich mit einer geradezu fahrlässigen Gleichgültigkeit ab. Das zeigt sich im Umgang mit der Arbeit, aber auch in persönlichen Auseinandersetzungen, z. B. um die Behandlung der kleinen Silvi. Josef schwankt fortwährend zwischen Aufbegehren und Unterwürfigkeit, innerlichem Wollen und äußerlichem Nichtstun.
  • Schüchternheit und Selbstzweifel, vielleicht auch seine soziale Herkunft haben Joseph bislang den Zugang zu bürgerlicher Sicherheit verwehrt. Der Roman beleuchtet, wie sehr er diese Sicherheit sucht und wie er sich über bürgerliche Annehmlichkeiten (ein sauberes Bett, gutes Essen, Stumpenzigarren) freut. Der Roman ist insofern die Beschreibung eines ungebundenen Individuums, das sich von der bürgerlichen Welt Halt verspricht – und ihren Untergang mit ansehen muss.
  • Walsers Roman ist auch ein Roman der Fassadenwelt, die Joseph in der Figur Toblers entgegentritt. Tobler ist ein großzügiger Bankrotteur, dessen Erfindungen eigentlich keine sind: Die Reklame-Uhr ist nicht wirklich neu, der Krankenfahrstuhl ist sogar kleiner und unbequemer als Vorgängermodelle. Josephs Versuche, sich die Erfindungen schönzureden, scheitern: In seinem Innersten ist ihm durchaus bewusst, dass sein Meister es nicht sehr weit damit bringen wird, aber Joseph fehlt der Mut, seine Bedenken laut auszusprechen.

Historischer Hintergrund

Zwischen der Schweiz und Berlin

„Europa sendet hierher seine Menschenexemplare. Die Leute gehen, man weiß nicht wohin, und da kommen sie wieder, und es sind ganz andere Menschen“, so schrieb Robert Walser in seinem Roman Jakob von Gunten (1909) über die Metropole Berlin. Dort war Walser ein Fremder, als er 1905 die Schweiz verließ, um seinem Bruder Karl zu folgen. Dort entstand auch der Roman Der Gehülfe, den Walser ironisch als „einen Auszug aus dem schweizerischen täglichen Leben“ bezeichnete. Die Berliner Zeit gilt als Walsers fruchtbarste Schaffensperiode. Ausgerechnet vor der tosenden Kulisse der nimmermüden Metropole mit ihren schäbigen Mietskasernen, prachtvollen Gründerzeithäusern und der internationalen Kulturszene entstand ein Roman über das provinzielle schweizerische Bärenswil. Ein Widerspruch? Nur oberflächlich betrachtet. Walser brauchte die Kontraste. Er brauchte die Stadt, um das Leben auf dem Land angemessen abzubilden.

Berlin stimulierte Walser, denn ohne diese pulsierende, schlaflose Stadt hätte er sich dem „Hang zur schönen, edlen Faulpelzerei“ hingegeben, wie in seiner heimatlichen Schweiz, so schrieb er 1910 in Berlin und der Künstler. In dieser Schrift offenbarte er auch, dass ihm diese Stadt eine Droge gab, die er in der Schweiz nicht bekommen konnte: „Anderswo, in der stillen Provinz, sieht sich der Künstler leicht von Melancholien umgeben. [...] Berlin ruht nie, und köstlich ist das. Jeder erwachende Morgen bedeutet einen neuen angenehm-unangenehmen Überfall aufs Behagen und das tut ihm gut, dem Bequemlichkeitssinn. [...] Ins stille, feine Wesen fährt das grobe, laute und unfeine. Es verwischt sich da stets etwas, und das ist gut, es ist Berlin, und Berlin ist ausgezeichnet.“ Walser betrachtete Berlin, die Hauptstadt des Kaiserreichs und die Gründerzeitmetropole, als seine Bewährungsprobe, als Sturm, der ihn aufschütteln und entweder an die Spitze befördern oder zerstören würde.

Entstehung

„Das ist ein ganz und gar realistischer Roman. Ich brauchte fast nichts zu erfinden. Das Leben hat das für mich besorgt“, sagte Robert Walser über Der Gehülfe. Tatsächlich verarbeitete er in diesem Roman einen Abschnitt seines eigenen Lebens. Von Juli 1903 bis zum Jahresanfang 1904 arbeitete er als Buchhalter und Sekretär bei dem Maschinentechniker Carl Dubler in Wädenswil bei Zürich. Walser selbst war also der Gehilfe eines Ingenieurs und Erfinders. Die Lage der Villa am Zürichsee, die Namen der Kinder, die Erfindung der Reklame-Uhr, des Patronenautomaten und des Krankenstuhls: All diese Details sind unverändert Walsers Erinnerung entnommen, genau wie die biografischen Einzelheiten (frühere Anstellungen, Militärzeit), die in den Roman eingestreut sind. Aus Wädenswil wurde Bärenswil. Aus Robert Walser wurde Joseph Marti. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Walser den gesamten Roman im Herbst 1907 in nur sechs Wochen schrieb, ohne vorher eine größere Skizze angefertigt zu haben. Äußerer Anlass war ein Romanwettbewerb, den der Berliner Scherl Verlag veranstaltete. Walser reichte sein Manuskript mit einer recht kecken Honorarforderung über 8000 Mark ein und erhielt postwendend eine entrüstete Absage. Verlegt und gedruckt wurde der Roman dann schließlich im Verlag von Bruno Cassirer, der bereits Walsers ersten Roman Geschwister Tanner herausgebracht hatte. Das Lektorat besorgte der Schriftsteller und „Walser-Fan“ Christian Morgenstern.

Wirkungsgeschichte

Der Gehülfe erschien im Mai 1908. Obwohl Walser selbst seinen zweiten Roman später als Misserfolg deutete, verkaufte er sich zunächst recht zufriedenstellend. Bruno Cassirer druckte noch im gleichen Jahr eine zweite Auflage und ein Jahr später die dritte. Allerdings war jede der Auflagen kaum höher als 1000 Exemplare. Der Roman wurde ins Italienische, Französische und Polnische übersetzt. Die Rezensionen aus dem Erscheinungsjahr waren sehr zurückhaltend. Zwar gingen sie mit dem Roman nicht so hart ins Gericht wie der impressionistische Künstler Max Liebermann, der für Walsers Werk das wenig schmeichelhafte Adjektiv „kotzlangweilig“ gebrauchte: Sie betrachteten Der Gehülfe als einen kunstvoll erzählten, aber handlungsarmen und oberflächlichen Roman. Der Schriftsteller Joseph Victor Widmann rezensierte das Werk für die Zeitung Der Bund und bezeichnete ihn als „Schweizerroman“. Er scheute sich auch nicht, Walser mit dem berühmten Schweizer Dichter Gottfried Keller zu vergleichen. Die Kritik lobte fast einhellig die heiter-ironische Art, in der Walser seinen Helden begleitet. Erstaunlicherweise setzten sich die Rezensenten und Kritiker der Erstausgabe kaum mit der kritischen Sicht auf die bürgerliche Welt und das Arbeitsleben, auf den Überlebenskampf des Selbstständigen und das Abhängigkeitsverhältnis des Angestellten auseinander. Walsers Werk war zwar bei einigen Schriftstellerkollegen, u. a. bei Hermann Hesse und Kurt Tucholsky, gut beleumundet – gelesen aber wurde es kaum. Erst ab den 60er Jahren wurde Walser wiederentdeckt. 1976 verfilmte Thomas Koerfer Walsers Roman. Bezeichnenderweise lehnte das Schweizer Fernsehen DRS, das 1977 einen Wettbewerb zur Verfilmung von Schweizer Literatur ins Leben gerufen hatte, Koerfers Film zunächst ab. Das zeigt, wie wenig populär Walsers Werk – zumindest beim Massenpublikum – war und ist.

Über den Autor

Robert Walser wird am 15. April 1878 in Biel im Kanton Bern geboren. Hier absolviert er nach der Schulzeit eine Banklehre. In den Jahren 1896–1905 lebt er überwiegend in Zürich, arbeitet dort als Angestellter in Banken und Versicherungen, als Buchhändler und technischer Gehilfe eines Ingenieurs, aber auch – nach einer entsprechenden Ausbildung in Berlin – in Oberschlesien als Diener. Erste Gedichte verschaffen ihm Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines Debüts, Fritz Kochers Aufsätze (1904), folgt Walser 1906 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner arbeitet und ihn in die Künstlerszene einführt. Walser verfasst in rascher Folge die Romane Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909). Trotz der Anerkennung durch Künstlerkollegen kehrt er Berlin wieder den Rücken. Überzeugt davon, literarisch gescheitert zu sein, reist er 1913 in seine Heimatstadt Biel zurück. Im Hotel „Blaues Kreuz“ mietet er eine Mansarde, wo er unter ärmlichsten Bedingungen lebt und schreibt. Hier entstehen eine Sammlung von Kurzprosatexten und die Erzählung Der Spaziergang (1917). Trotz der Präsenz in literarischen Zeitschriften kommt es nur noch zu einer Buchveröffentlichung: Die Rose (1925). Den so genannten Räuber-Roman von 1925 hinterlässt er nur als Entwurf, in mikroskopisch kleiner Schrift (Mikrogramm). Die Entzifferung soll mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Wegen psychischer Labilität lässt sich Walser 1929 in die psychiatrische Klinik Waldau bei Bern einweisen. Bis 1933 schreibt er weiter, danach muss er aufgeben und wird gegen seinen Willen in die Heilanstalt Herisau im Kanton Appenzell überstellt. Dort vegetiert er weitere 23 Jahre dahin, unerkannt und unbeachtet. Auf einem einsamen Spaziergang im Schnee verstirbt er am 25. Dezember 1956.

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