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Die toten Seelen

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Die toten Seelen

Artemis & Winkler,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Keine Gespenstergeschichte: Gogols Antiheld Tschitschikow reist durch Russland, um verstorbene Leibeigene zu kaufen – mit denen sich vortreffliche Geschäfte machen lassen.

Literatur­klassiker

  • Satire
  • Realismus

Worum es geht

Eine russische Satire

„Die Seele ist unsterblich; eine tote Seele gibt es nicht. Der Verfasser zieht wohl gegen die Unsterblichkeit der Seele ins Feld.“ So lautete das Urteil des Zensors über Nikolai Gogols Manuskript Die toten Seelen. Der Autor bekam auch prompt eine Absage der Zensurbehörde. Dennoch konnte er schließlich zumindest den ersten Teilband seines Werkes drucken lassen. Der zweite ist Fragment geblieben. Der Titel des Romans ist zweideutig. Eine Gespenstergeschichte, wie man vielleicht vermuten könnte, ist es nicht, eher eine Satire auf die zeitgenössische russische Gesellschaft. Tschitschikow, der Antiheld des Romans, reist durch das zaristische Russland, um Großgrundbesitzern ihre „toten Seelen“, die Namen kürzlich verstorbener Leibeigener, abzukaufen. Diese gedenkt er später teuer zu verpfänden. Dass so etwas in Russland überhaupt möglich war, ist der Dreh- und Angelpunkt von Gogols beißender Satire. In realistischer Erzählweise, aber mit stets ironischem Unterton führt er dem Leser zwei der bestimmenden Bevölkerungsgruppen seiner Zeit vor: die Großgrundbesitzer und das Beamtentum. Gogols Roman wurde von manchen seiner Zeitgenossen frenetisch gefeiert, von anderen erbittert bekämpft. Heute räumt man Gogol ohne Weiteres einen Platz an der Seite der großen russischen Dichter Dostojewski, Tolstoi und Turgenjew ein – eine Position, von der der depressive Dichter wohl nicht zu träumen gewagt hätte.

Take-aways

  • Gogols Roman Die toten Seelen, eines der Hauptwerke der russischen Literatur, ist eine böse Satire auf Geschäftemacher, Beamte und die Leibeigenschaft.
  • Pawel Tschitschikow besucht die Gouvernementstadt N. und erkundigt sich nach den Großgrundbesitzern mit den meisten „Seelen“, also leibeigenen Bauern.
  • Diesen Gutsbesitzern schlägt er ein ungewöhnliches Geschäft vor: Er will ihnen ihre „toten Seelen“ abkaufen, d. h. diejenigen Bauern, die kürzlich gestorben sind.
  • Keiner der Gutsbesitzer versteht den Sinn dieses Vorhabens. Die einen schenken ihm die „wertlosen“ toten Seelen einfach, die anderen wittern ein Geschäft und feilschen um den Preis.
  • Gerüchte über Tschitschikow verbreiten sich: Manche halten ihn für einen Millionär, andere für einen Halsabschneider, der die Tochter des Gouverneurs entführen will.
  • Der Hintergrund von Tschitschikows Plan: Die Steuerlisten der Gutsbesitzer werden nur alle zehn Jahre aktualisiert und führen daher viele verstorbene Leibeigene.
  • Wer die Rechte an diesen (offiziell noch lebendigen) Bauern besitzt, kann sie verpfänden und dafür eine ordentliche Stange Geld erhalten.
  • Als Tschitschikows Plan bekannt wird, wird er verhaftet, aber bereits nach kurzer Zeit wieder freigelassen.
  • Der (unvollendete) Roman endet damit, dass Tschitschikow aus der Gouvernementstadt flieht und sich vornimmt, ein besseres Leben zu führen.
  • Ursprünglich plante Gogol drei Bände, konnte aber nur zwei davon realisieren und davon wiederum nur den ersten durchsehen und für den Druck freigeben.
  • Der zweite Band wurde aus Manuskripten rekonstruiert, weil Gogol das fertige Exemplar verbrannt hat.
  • Die Erstveröffentlichung des Buches sorgte für großes Aufsehen. Schriftsteller und Lite-raturkritiker bejubelten Gogol, für Konservative jedoch war er ein „Staatsfeind“.

Zusammenfassung

Ein seltsamer Reisender

Kollegienrat Pawel Tschitschikow, ein weder dicker noch dünner, weder alter noch junger Herr, steigt in der Stadt N. in einem Gasthof ab. Gleich am nächsten Tag stattet er den bedeutenden Leuten des Ortes Höflichkeitsbesuche ab. Er besucht den Gouverneur, den Vizegouverneur, den Staatsanwalt, den Polizeimeister und weitere wichtige Herren bis hin zum Stadtarchitekten. Tschitschikow versteht es, jedem Einzelnen zu schmeicheln; so sagt er z. B. zum Gouverneur, dass man auf seinen Straßen wie auf Samt fahre. Alle sind höchst angetan von dem freundlichen Herrn. Über sich selbst äußert er sich sehr bescheiden und gibt nur an, er habe im „Dienst um der Wahrheit willen“ schwer leiden müssen. Tschitschikow wird von den Stadthonoratioren zu Abendgesellschaften, zum Tee oder zum Kartenspiel eingeladen. Anlässlich einer Abendgesellschaft beim Gouverneur, für die sich Tschitschikow sorgfältig zwei Stunden lang vorbereitet hat, lernt er den Gutsbesitzer Manilow kennen, der ihn auf sein Anwesen einlädt. Jeden Abend ist Tschitschikow bei einer anderen Gesellschaft zu Gast, lernt weitere Gutsbesitzer kennen und versteht es, zu jedem Thema geistreiche Bemerkungen zu machen, wobei er stets den richtigen Ton trifft.

Ein ungewöhnliches Geschäft

Einige Tage später fährt Tschitschikow in seiner Kutsche aufs Land, um den Gutsbesitzer Manilow aufzusuchen und ihm ein Geschäft vorzuschlagen. Die Lage des Gutes, einsam in einer Windschneise, behagt Tschitschikow nicht. Auch die offensichtliche Misswirtschaft gibt ihm zu denken: Die Haushälterin stiehlt, die Vorratskammer ist leer, die Dienstboten lungern betrunken herum. Die Gesellschaft Manilows, der gedankenvoll philosophiert, langweilt Tschitschikow schnell. Er isst mit Manilow und dessen Familie zu Mittag, wobei die beiden Herren die Beamten der Stadt in den höchsten Tönen loben und sich gegenseitig Komplimente machen. Nach dem Essen bittet Tschitschikow um eine private Unterredung und fragt Manilow, wie viele leibeigene Bauern bei ihm in letzter Zeit gestorben seien. Er bietet dem Gutsbesitzer an, diese „toten Seelen“ zu kaufen, sie aber als lebendige auszugeben. Manilow ist zunächst fassungslos, doch die Tatsache, dass der Handel nicht gegen die Gesetze verstößt, überzeugt ihn schließlich. Geld will er allerdings nicht dafür nehmen. Tschitschikows überschwängliche Freude ist ihm genug. Nachdem alles besprochen ist, bricht Tschitschikow sofort auf. Manilow selbst erklärt dem Kutscher den Weg zu Tschitschikows nächstem Ziel.

Übernachtung bei einer Witwe

Der Kutscher hat den Aufenthalt bei Manilow genutzt, um sich heillos zu betrinken. Als es heftig zu regnen beginnt, fällt ihm auf, dass er nicht auf den Weg geachtet hat und daher nicht weiß, wie viele Kreuzungen er schon passiert hat. Kurz entschlossen biegt er rechts ab, die Kutsche holpert im Dunkeln über ein Feld – und kippt um! Wütend richtet sich Tschitschikow im Schlamm auf, als er aus der Ferne Hundegebell vernimmt. Kurze Zeit später erreichen sie ein Gut, wo sie um Nachtquartier bitten. Die Herrin des Hauses, die Witwe Korobotschka, eine ältere Dame mit Schultertuch und Nachtmütze, bittet Tschitschikow herein, aber erst nachdem er sich als Edelmann ausgegeben hat. Sie lässt ihm auf dem Sofa ein Federbett bereiten, das fast bis zur Decke reicht. Als er mithilfe eines Stuhls hinaufgeklettert ist, sackt er beinahe bis zum Boden durch. Am nächsten Morgen frühstückt er mit der Gutsherrin und erfährt, dass ihr kleines Dorf immerhin 80 Seelen zählt. Im Glauben, Tschitschikow sei ein Aufkäufer, bietet sie ihm Hanf und Honig an. Als er aber um die Überlassung der toten Seelen des Dorfes bittet, fürchtet die Alte Betrug. Das Ansinnen erscheint ihr äußerst rätselhaft, doch stimmt sie schließlich zu, als Tschitschikow verspricht, ihr später einmal Waren für den Staat abzukaufen. Zufrieden zeigt sie Tschitschikow, wie er mit seiner Kutsche die Poststraße wieder erreichen kann.

Streit um die Toten

In einem Wirtshaus bestellt Tschitschikow ein Spanferkel und fragt die Wirtin nach den umliegenden Gütern aus. Plötzlich fährt eine Kutsche vor und ein Mann betritt die Gaststube. Es ist Nosdrew, ein Aufschneider und Falschspieler, den Tschitschikow schon bei einer Abendgesellschaft in der Stadt kennen gelernt hat. Er brüstet sich damit, auf einem Jahrmarkt all seinen Besitz verspielt zu haben, und lädt Tschitschikow gleichwohl auf sein Gut ein. Dort angekommen, speisen sie halb verbranntes und halb rohes Essen, und Nosdrew gießt seinem Besucher fortwährend Fusel ein, während er sich selbst zurückhält. Tschitschikow bemerkt dies jedoch und ist alarmiert. Schließlich macht er auch Nosdrew den Vorschlag, ihm seine toten Seelen abzukaufen. Nosdrew wird misstrauisch und verlangt eine Erklärung dafür, was er denn mit diesen anstellen wolle. Tschitschikow behauptet daraufhin, er wolle heiraten, und die Eltern der Braut verlangten, dass er mindestens 300 Seelen besäße, von denen ihm noch knapp 100 fehlten. Nosdrew aber glaubt ihm nicht und will ihm die toten Seelen nur geben, wenn er noch ein Pferd dazukauft. Als Tschitschikow ablehnt, bietet er ihm eine Drehorgel an. Sie geraten in einen heftigen Streit, der damit endet, dass Nosdrew seine Bediensteten mit Stöcken auf Tschitschikow hetzt. Zum Glück erscheint in diesem Moment der Polizeichef, der Nosdrew wegen einer Beleidigungsklage verhaften will. Tschitschikow verlässt das Gut so schnell er kann.

Der Geizhals

Tschitschikow gelangt in das Dorf des wohlhabenden Gutsbesitzers Sobakewitsch. Die Preisverhandlungen um die dortigen toten Seelen gestalten sich zäh, denn Sobakewitsch wittert ein Geschäft, doch schließlich gelingt es Tschitschikow, den Preis von 100 auf zweieinhalb Rubel pro Verstorbenem herunterzuhandeln. Beim anschließenden Essen erzählt Sobakewitsch Tschitschikow von Pljuschkin, der so geizig sei, dass ihm viele Bauern an Entkräftung stürben. Tschitschikow zögert nicht lange und sucht diesen sofort auf. Der Geizhals entpuppt sich als verwahrloster, eigenbrötlerischer Greis in einem mit Trödel vollgestopften Haus. Nicht nur tote Seelen verkauft er ihm gern, sondern zu Tschitschikows Freude auch noch entlaufene. Nach dem Kauf so vieler Seelen, die er angeblich auf seinem Land im Süden ansiedeln will, kursiert in der Stadt das Gerücht, Tschitschikow sei ein Millionär. Bei den Damen ist er plötzlich außerordentlich beliebt. Auf einem Ball lernt er die Tochter des Gouverneurs kennen, ein reizendes 16-jähriges Mädchen. Er hat nur noch Augen für sie, was bei den übrigen Damen großes Missfallen erregt. Plötzlich taucht Nosdrew auf und posaunt laut heraus, dass Tschitschikow tote Seelen gekauft habe. Dieser seltsamen Behauptung wird von der Gesellschaft zwar nicht direkt Glauben geschenkt – aber ein kleiner Zweifel an Tschitschikows Rechtschaffenheit bleibt. Verärgert verlässt dieser frühzeitig den Ball.

Gerüchte

Die Menschen erzählen sich gegenseitig von Tschitschikows Besuchen auf den verschiedenen Gütern. Manche meinen, der Kauf der toten Seelen sei bloß ein Ablenkungsmanöver. In Wahrheit wolle er die Tochter des Gouverneurs entführen, und Nosdrew sei sein Komplize. Kaum ist das Gerücht in die Welt gesetzt, ist schon die ganze Stadt in Aufruhr und erfindet weitere Geschichten: Man munkelt, Tschitschikow habe seine Frau in der Provinz verlassen und könne daher nicht offiziell um die Hand der Gouverneurstochter anhalten. Der Gesundheitsinspektor glaubt, mit den toten Seelen seien die Kranken gemeint, die massenhaft in seinem Lazarett gestorben sind, und befürchtet, Tschitschikow sei ein Kontrolleur des Zaren. Auch der Gerichtspräsident und eine Reihe weiterer Beamter erschrecken. Hinzu kommen Berichte, ein Räuber und ein Geldfälscher seien in der Gegend. Die Beamten versuchen daher zu ergründen, wer Tschitschikow eigentlich ist, aber weder die Befragung der diversen Seelenverkäufer noch der Dienstboten ergibt etwas.

„‚Ich beabsichtige tote Bauern zu erwerben, die aber in der Revisionsliste noch als lebende Bauern geführt werden’, sagte Tschitschikow. Manilow riss vor Staunen den Mund weit auf, sodass ihm die Pfeife entglitt und auf den Fußboden fiel.“ (S. 41)

Als Tschitschikow das Haus des Gouverneurs aufsuchen will, wird er nicht vorgelassen. Auch die anderen Beamten benehmen sich verlegen und distanziert. Im Gasthaus besucht ihn Nosdrew und erklärt, die Polizei habe ihn darüber ausgefragt, ob Tschitschikow Banknoten fälsche. Über das Gerücht, er wolle die Gouverneurstochter entführen, ist Tschitschikow entsetzt. Nach einigen Verzögerungen reist er am nächsten Tag ab, ohne dass seine neuen Bekannten mehr als Mutmaßungen über seine Herkunft oder seine wahren Absichten anstellen könnten.

Tschitschikows Vorgeschichte

Damit der Leser in Bezug auf Tschitschikow und seine Pläne nicht ebenfalls im Dunkeln tappt, ist es an der Zeit, dessen Vorgeschichte näher zu beleuchten – eine Gaunergeschichte. Als Sohn verarmter Eltern wuchs er bei einer Tante in der Stadt auf. Er beherzigte den Rat seines Vaters, sich bei den Lehrern einzuschmeicheln, sich von Mitschülern stets etwas ausgeben zu lassen und das eigene Geld zu sparen. Nach der Schule erhielt er einen armseligen Posten am Oberfinanzamt. Doch bald gelang es ihm, sich bei seinem Vorgesetzten beliebt zu machen, und er bekam eine Stelle als Abteilungsleiter. Mit Geschick und Hinterhältigkeit machte er sich den Kampf gegen die Korruption zunutze: Statt selbst Geld anzunehmen, ließ er seine Schreiber bestechen – und knöpfte ihnen das Geld wieder ab. Er nahm außerdem an einer Kommission teil, die ein neues Dienstgebäude errichten sollte. Doch eigenartig: Während der Bau nicht über das Fundament hinauskam, verwandelten sich die Häuser der Kommissionsmitglieder in wahre Paläste. Tschitschikow gönnte sich einigen Luxus, teure Kleiderstoffe, holländische Hemden und französische Seife. Später kam er beim Zoll unter. Bald erhielt er auch hier einen hohen Posten und arbeitete mit einer Schmugglerbande zusammen. Eines Tages jedoch wurde er von einem Kollegen angezeigt. Er kam vor Gericht und verlor fast alles. Zwar hatte Tschitschikow noch ein wenig von seinem Besitz beiseiteschaffen können, doch trieb ihn neuer Ehrgeiz an, reich zu werden.

„Wenn man auch zugeben muss, dass Russland noch in mancher Beziehung hinter dem Ausland zurück ist, so haben wir doch Europa, was das feine Benehmen anbetrifft, längst überflügelt, kurz, es ist ganz unmöglich, alle Schattierungen und Feinheiten unserer Umgangsformen aufzuzählen.“ (S. 59)

Als Winkeladvokat bekam er eines Tages den Auftrag vom Vormundschaftsgericht, auf einem Landsitz leibeigene Bauern zu verpfänden. Er gab zu bedenken, dass einige der Bauern auf den offiziellen Steuerlisten bereits tot sein könnten, weil die Listen nur in sehr großen Abständen aktualisiert würden. Doch man sagte ihm, das spiele keine Rolle: Das Gericht würde bezahlen, solange die Bauern auf der Liste stünden, egal ob tot oder lebendig. So wurde bei ihm die Idee geboren, durchs Land zu reisen und tote Seelen zu erwerben – um diese später zu verpfänden und damit gutes Geld zu bekommen.

Tschitschikows Wandlung

Zurück in der Gegenwart: Tschitschikow, etwas gealtert, besucht den als verrückt geltenden Oberst Koschkarjow. Tschitschikow hofft, ihm leicht einige tote Seelen abkaufen zu können, muss aber feststellen, dass der Oberst den „ordnungsgemäßen Instanzenweg“ einhalten will. Ärgerlich reist Tschitschikow weiter zum Gut von Kostanschoglo, den er auf seiner Reise kennen gelernt hat. Dort ist alles aufs Beste bestellt: Jedes Feld und jeder Wald erfüllt mehrere Aufgaben, die Ehefrau trocknet Kräuter für die Medizin und der Gutsherr unterhält sogar eigene Fabriken, um unabhängig von den Händlern zu sein. Tschitschikow ist von diesem Lebensstil begeistert und erkundigt sich, wie auch er schnell reich werden könne. Kostanschoglo rät ihm, es mit der Landwirtschaft zu versuchen und ein benachbartes Grundstück zu kaufen.

„Übrigens können Sie ja doch die Gräber und Knochen ruhig behalten. Der Kauf soll ja nur auf dem Papier stehen. Nun also, geben Sie mir wenigstens Antwort.“ (Tschitschikow, S. 65 f.)

Tschitschikow zeigt sich von den Reden Kostanschoglos angetan. Er leiht sich von ihm Geld und kauft das heruntergekommene Nachbargrundstück. Um für einen Bekannten einen Streit um ein Stück Land zu schlichten, sucht Tschitschikow den neu zugezogenen Gutsbesitzer Lenizyn auf. Er gewinnt die Zuneigung des Hausherrn (als ihm nämlich dessen Säugling den Frack verunreinigt und er ganz gelassen bleibt) und kauft weitere tote Seelen. Wenig später trifft ihn jedoch ein harter Schlag: Er wird wegen Testamentsfälschung verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Aber schon nach einer Stunde im Kerker erscheint der fromme Murasow, den er auf dem Markt kennen gelernt hat. Tschitschikow fleht ihn theatralisch an, ihn zu retten, und zerreißt dabei seinen eleganten Frack. Er beklagt seine harte Kindheit und schwört, künftig nur noch Gutes tun zu wollen, obgleich das eigentlich nicht seiner Art entspreche. Murasow ist gerührt und verspricht, sich beim Fürsten für ihn zu verwenden. Schließlich wird Tschitschikow tatsächlich freigelassen, allerdings mit der Auflage, unverzüglich die Stadt zu verlassen. Tschitschikow lässt sich einen neuen Frack schneidern und verschwindet ohne die üblichen Abschiedsbesuche aus der Stadt. Er beginnt darüber nachzudenken, wie er ein besseres Leben führen kann ...

Zum Text

Aufbau und Stil

Gogol hatte ein bedeutendes Vorbild für seinen Roman: Die göttliche Komödie, das berühmte Versepos des italienischen Dichters Dante Alighieri. Dante hatte sein Werk in drei Teile gegliedert: Hölle, Läuterungsberg und Paradies. Ähnlich wollte auch Gogol verfahren und seinen Helden Tschitschikow in einem ersten Teil durch eine Hölle wandern lassen (das feudale, zaristische Russland), ihn dann auf die Pfade der Reue schicken und ihn schließlich zur Vergebung führen. Der zweite Band ist jedoch nur in Bruchstücken erhalten und aus dem dritten wurde gar nichts mehr. Die beiden vorhandenen Bände bezeichnete Gogol selbst als „Poem“, worunter er eine Kleinform des Romans verstand. Der erste Teil fließt noch in einem angenehmen Erzählrhythmus dahin – allerdings werden die Lebensgeschichte des Helden und die Beweggründe seines Handelns erst am Schluss des Bandes preisgegeben, sodass der Leser lange rätselt, was es denn mit dem Plan auf sich hat, „tote Seelen“ zu kaufen. Der zweite Band enthält mehrere Brüche: Verlorene Textteile lassen die Lektüre ins Stocken geraten. Plötzlich tauchen Personen auf, die nie richtig eingeführt wurden, und abrupte Szenenwechsel lassen vermuten, dass gewisse Seiten verloren gegangen sind. Die Personenzeichnung im zweiten Band ist bei Weitem nicht so detailliert wie im ersten, sondern eigenartig hölzern und platt. Ansonsten verfügt Gogol über eine feine, ironisierende Ausdrucksweise, die auch den Wechsel zwischen Straßenjargon und hoher Literatursprache bravourös meistert. Groteske Szenen, ironische Bemerkungen und ein Erzähler, der zuweilen den direkten Kontakt zum Leser sucht, machen die Lektüre sehr unterhaltsam.

Interpretationsansätze

  • Die toten Seelen ist eine Satire auf die zerfallende russische Feudalgesellschaft mit ihrer Willkürherrschaft und ihren korrupten Beamten. Das Grundmotiv des Romans ist keineswegs weit hergeholt: Im damaligen Russland konnten Gutsbesitzer ihre Leibeigenen (man sprach tatsächlich von „Seelen“) beliebig verkaufen oder verpfänden.
  • Tschitschikow erscheint als Antiheld, der mit dem Zerfall der vormals gesicherten Sozialstruktur schmutzige Geschäfte machen will. Eine detaillierte Charakterisierung der Hauptperson erfolgt erst am Ende des ersten Bandes. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Leser in seiner Beurteilung Tschitschikows in einem Schwebezustand: Ihm ergeht es nicht besser als den Romanfiguren, die sich den Kopf über den Seelenkäufer zerbrechen.
  • Die Absicht hinter Tschitschikows seltsam anmutenden Geschäften erfährt der Leser erst am Ende des ersten Bandes. Gogol versteht es, mit einigen geschickt eingestreuten Andeutungen über den wahren Charakter des Geschäfts Spannung aufzubauen.
  • Dass die Charakterisierung der Hauptfigur nach hinten verschoben ist, hat noch einen weiteren Effekt: Je blasser die Figur des Tschitschikow gezeichnet wird, desto farbenfroher und origineller erscheinen die jeweils in den Vordergrund rückenden fünf Großgrundbesitzer, die er bei seiner „Einkaufstour“ besucht. Jeder von ihnen ist eine unverwechselbare „Type“.
  • In der Art und Weise, wie die Gutsbesitzer von ihren verstorbenen Leibeigenen sprechen, wird schnell deutlich, dass sie selbst die wahren „toten Seelen“ sind: gefühllose Menschen, die ihre Leibeigenen entweder als wertlos oder als bloße Verdienstquelle betrachten und um deren Seelen sie noch nach deren Tod schachern.

Historischer Hintergrund

Russland unter Zar Nikolaus I.

Gogol wollte im ersten Band seiner Toten Seelen das verkommene, sozial verelendete zaristische Russland darstellen. Einige besonders drastische Schilderungen hat er jedoch auf Anraten seines Freundes Alexander Puschkin und auf Druck der Zensur aus dem Manuskript entfernt. Das Buch entstand während der repressiven Regentschaft des Zaren Nikolaus I. (1825–1855). In der Zeit des Machtvakuums, als Nikolaus seinem Bruder, dem Zar Alexander, nachfolgte, der ohne Kinder und ohne ein plausibles Testament verstorben war, unternahmen die Dekabristen, eine revolutionäre Gruppe junger Offiziere, einen Staatsstreich gegen das zaristische Regime. Nach dem Vorbild Europas wollten sie konstitutionelle Reformen durchsetzen und den Absolutismus abschaffen. Doch der Dekabristenaufstand scheiterte: Nikolaus I. schlug ihn nieder und ließ die Anführer hinrichten. Auch die von Gogol und anderen kritisierte Leibeigenschaft wurde unter Zar Nikolaus nicht abgeschafft, im Gegenteil: Nikolaus verwandelte Russland in ein antiliberales „Land der Ordnung“, richtete eine Geheimpolizei ein und machte die Zensur zur tragenden Säule seiner Amtsführung. Unbequeme Schriftsteller wurden verhaftet, Studiengänge mit „gefährlichen Inhalten“ wie Geschichte und Philosophie gleich ganz abgeschafft. Das Land war gespalten in „Slawophile“ und „Westler“: Die einen traten für eine patriarchalische Gesellschaftsordnung und kirchliche Orthodoxie ein, die anderen hielten die Ideale der Französischen Revolution hoch und versuchten eine Annäherung an das aufgeklärte Europa. Nikolaus I. erhielt den Beinamen „Gendarm Europas“. Den Aufstand der Ungarn gegen die Habsburger 1849 sah er nicht gern und unterstützte Österreich bei der gewaltsamen Unterdrückung der Revolutionäre. Nikolaus starb während des Krimkriegs, der wenig später mit einer Niederlage Russlands endete.

Entstehung

Vor seinem Roman Die toten Seelen hatte Gogol bereits mehrere Erzählungen geschrieben. Doch den Stoff für einen Roman konnte er einfach nicht finden. Sein großes Vorbild Alexander Puschkin rügte ihn dafür. Er überließ Gogol sogar als Anregung für einen Roman die Grundidee der Toten Seelen. Am 17. Oktober 1835 erwähnt Gogol zum ersten Mal, dass er mit seinem Roman begonnen habe: „Das Sujet hat sich ausgeweitet zu einem langen Roman. Er wird, glaube ich, sehr komisch. Ich will in diesem Roman wenigstens von einer Seite her das ganze Russland zeigen.“ Das Sujet war gar nicht weit hergeholt: In der St. Petersburger Gesellschaft amüsierte man sich zur damaligen Zeit über einen Betrugsversuch, bei dem der Übeltäter versucht hatte, Leibeigene zu verpfänden, die bereits gestorben waren. Voller Begeisterung über den Stoff schrieb Gogol die ersten Kapitel in schneller Folge. Als er Puschkin daraus vorlas, lachte dieser zunächst, aber irgendwann blieb ihm das Lachen im Halse stecken, so entsetzt war er über die abgrundtief böse Schilderung Russlands. Gogol schmerzte die Reaktion seines Freundes sehr, sodass er etliche Stellen im Roman abmilderte. Während seiner vielen Reisen schrieb er am Manuskript immer weiter, und langsam reifte in ihm der Entschluss, daraus ein viel ernsteres Werk zu machen als ursprünglich beabsichtigt. 1841 legte Gogol den ersten Teil des Romans der Zensurbehörde vor. Diese stieß sich vor allem am Titel und argwöhnte, dass einige Leser sich das verachtenswerte Handeln des Helden zum Vorbild nehmen könnten. Der erste Band erschien nach einigen Eingriffen der Zensur im Mai 1842. Die Arbeit am zweiten Teil ging Gogol nicht mehr so leicht von der Hand, weil er an schweren Depressionen litt. Das führte so weit, dass er seine Entwürfe 1845 verbrannte. Das gleiche Schicksal erwartete den fast vollendeten zweiten Teil im Jahr 1852. Den geplanten dritten Teil nahm er gar nicht mehr in Angriff. Der zweite Band, so wie er heute vorliegt, wurde aus frühen Manuskripten zusammengestückelt und drei Jahre nach Gogols Tod veröffentlicht.

Wirkungsgeschichte

Noch vor dem eigentlichen Erscheinungstermin im Jahr 1842 wurde das Manuskript des ersten Bandes der Toten Seelen bereits unter der Hand weitergegeben. Als das Buch dann offiziell erschien, war es eine literarische Sensation. Es fand reißenden Absatz und polarisierte die Leserschaft: Einige waren begeistert von der glänzenden Satire, andere forderten für den Autor gar die Verbannung nach Sibirien für seinen schändlichen Verrat am russischen Volk. Gogol floh vor dem Trubel ins Ausland, ließ sich aber von Freunden genauestens darüber informieren, wie Leser und Kritiker auf den Band reagierten. Der russische Dichter Alexander Herzen wusste zu berichten, dass der Roman „ganz Russland erschütterte“, und der Schriftsteller Sergej Aksakow pries ihn gar als „russische Ilias“ (nach dem gleichnamigen Epos des Homer). Der führende russische Literaturkritiker W. G. Belinski zählte Gogol fortan zur „Natürlichen Schule“ der russischen Literatur, zum engen Kreis so illustrer Autoren wie Dostojewski, Tolstoi und Turgenjew. Nachwirkungen des Romans lassen sich selbst in der russischen bzw. sowjetischen Moderne finden, beispielsweise in Michail R. Bulgakows Roman Tschitschikows Abenteuer aus dem Jahr 1922. Der weißrussisch-französische Maler Marc Chagall schuf Mitte des 20. Jahrhunderts über 100 Radierungen mit Motiven aus dem Buch. Leonid Trauberg verfilmte Die toten Seelen 1960, und Rodion Schtschedrin machte daraus eine Oper, die 1977 uraufgeführt wurde.

Über den Autor

Nikolai Gogol wird am 1. April 1809 in Welikije Sorotschinzy im russischen Gouvernement Poltawa geboren. Ab 1821 besucht er das Gymnasium in Neschin. 1828 beendet er die Schule und geht nach St. Petersburg, wo er sich zunächst erfolglos um eine Stelle bewirbt. Unter einem Pseudonym veröffentlicht er die Idylle Hans Küchelgarten (1829). Die schlechten Kritiken kann er nicht ertragen, sodass er alle verfügbaren Exemplare wieder einsammelt und verbrennt – eine Praxis, die er später noch häufiger anwenden wird. Nach einer Reise nach Hamburg und Lübeck erhält er eine Stelle im Innenministerium. 1830 wird Gogol zum Kollegienregistrator ernannt. Ein Jahr danach lernt er den Dichter Alexander Puschkin kennen. Gogol wird Geschichtslehrer an einem Mädchenpensionat und gibt nebenbei Privatstunden. 1834 erhält er einen Posten als Adjunktprofessor für allgemeine Geschichte, wird aber bereits zwei Jahre später wieder entlassen. 1836 wird Gogols Komödie Der Revisor erfolgreich in St. Petersburg uraufgeführt. Vor dem danach einsetzenden Rummel flieht er nach Deutschland, in die Schweiz und nach Frankreich. In Paris arbeitet er am Manuskript zu Die toten Seelen, seinem einzigen Roman. Gogol ist ein unruhiger Geist: Den folgenden Winter verbringt er in Rom und reist im Frühjahr und Sommer durch mehrere deutsche Städte, um schließlich bei einem Freund in Karlsruhe zu bleiben. 1842 veröffentlicht der die Novelle Der Mantel, über die Dostojewski angeblich gesagt haben soll: „Wir alle kommen von Gogols Mantel her.“ Gogol arbeitet beständig weiter an Die toten Seelen, bis er im Winter 1845 in Nizza an „Nervenzerrüttung“ erkrankt und depressiv wird. 1852 verbrennt er das Manuskript des zweiten Teils von Die toten Seelen. Der Tod einer Bekannten erschüttert ihn zusätzlich, sodass er, Nahrung und medizinische Hilfe ablehnend, am 4. März 1852 stirbt. Der zweite Band von Die toten Seelen erscheint 1855 posthum.

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