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Grundsätze der Volkswirtschaftslehre

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Grundsätze der Volkswirtschaftslehre

Principles of Economics

Wirtschaft und Finanzen,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Alfred Marshalls Hauptwerk ist eine allumfassende Schrift der Volkswirtschaftslehre seiner Zeit. Marshall gilt als erster Neoklassiker unter den Ökonomen.

Literatur­klassiker

  • Ökonomie
  • Moderne

Worum es geht

Der Vater der Neoklassik

"Egal was du forschst, egal was du erarbeitest - bei Marshall steht es schon drin", lautet die Einschätzung vieler Volkswirtschaftler. Obwohl er relativ wenig publiziert hat, blieb Marshalls Hauptwerk Principles of Economics mehrere Jahrzehnte auf Platz eins der Liste der Ökonomieklassiker. Ausgehend von dem Wunsch, die dringenden sozioökonomischen Fragen seiner Zeit zu lösen, entwickelte Marshall eine volkswirtschaftliche Theorie (der Begriff "Volkswirtschaftslehre" bzw. "Economics" geht sogar auf ihn zurück), die so umfangreich war, dass er sie selbst nicht abschließen konnte: Der geplante zweite Band seines Werkes erschien nie. Der erste wurde dafür umso positiver aufgenommen. Marshall systematisierte das Schaffen seiner Vorgänger, mathematisierte das Modell von Angebot und Nachfrage, führte das Konzept der Nachfrageelastizität ein und berücksichtigte die zeitliche Dimension beim Zustandekommen eines Marktgleichgewichts. Darüber hinaus verhalf er der Betriebswirtschaftslehre zu neuen Erkenntnissen, befasste sich mit der Theorie des Unternehmens und erörterte die Arbeitsbedingungen der Lohnarbeiter. Bis ihn sein Schüler John Maynard Keynes mit seiner "keynesianischen Revolution" ablöste, waren Marshalls Principles das einflussreichste Buch der englischen Volkswirtschaftslehre.

Take-aways

  • Alfred Marshalls Principles of Economics waren das einflussreichste und meistgelesene Ökonomiebuch um die Wende des 19./20. Jahrhunderts.
  • Marshall gilt als erster Vertreter der Neoklassik in der Volkswirtschaftslehre.
  • In seinem Hauptwerk systematisiert er das Ökonomiewissen seiner Zeit und überführt es in eine Darstellung mit formalen mathematischen Methoden.
  • Sein erklärtes Ziel: die Bekämpfung der Armut und die Erlösung des Menschen von der harten, körperlichen Arbeit.
  • Die Volkswirtschaftslehre (Economics) hat laut Marshall großen Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit, die vor allem von den beiden Kräften Arbeit und Religion vorangetrieben wird.
  • Die Motivation des Menschen ist das Streben nach Belohnung.
  • Daher lassen sich die wirtschaftlichen Bestrebungen des Menschen mithilfe von Geldströmen quantifizieren und untersuchen.
  • Die Nützlichkeit eines Gutes bestimmt seinen Preis; der Grenznutzen eines Gutes nimmt aber mit jeder weiteren Einheit ab.
  • Die Nachfrage ist als Kurve mit negativer Steigung darstellbar.
  • Die Nachfrageelastizität gibt an, wie stark sich die Nachfrage relativ zum Ausmaß einer Preiserhöhung oder -senkung verändert.
  • Das Gleichgewicht, das sich auf dem Markt zwischen Angebot und Nachfrage einstellt, ist abhängig von den Faktoren Zeit und Raum.
  • Langfristig wird das Marktgleichgewicht eher von der Angebotsseite, kurzfristig eher von der Nachfrageseite beeinflusst.

Zusammenfassung

Eine Wissenschaft vom Menschen

Die Volkswirtschaftslehre (Economics) ist die Wissenschaft, die sich mit dem Wohlstand ganzer Nationen beschäftigt. Gleichzeitig ist sie ein Instrument, mit dem versucht werden kann, die Armut vieler Menschen zu mildern. Arbeit ist neben der Religion eine der beiden großen Kräfte, die die Menschheit geformt haben. Der technische Fortschritt hat bereits dazu geführt, den Menschen harte, körperliche Arbeiten zu erleichtern. Genauso wie es der Menschheit gelungen ist, die Sklavenarbeit abzuschaffen, wird es ihr dereinst auch gelingen, die Armut zu besiegen. Der modernen Wirtschaft wird oft vorgeworfen, sie habe einen harten Konkurrenzkampf heraufbeschworen. Die Menschen haben aber in der Moderne, verglichen mit früheren Zeiten, eine größere ökonomische Freiheit und fühlen stärker die Verpflichtung, ihr Leben selbst zu gestalten, Eigeninitiative zu entwickeln und für sich selbst zu sorgen.

Wirtschaftsgeschichte

Die Geschichte der Wirtschaft zeigt, dass vor allem die Engländer von jeher dem freien Handel zugetan waren und sich mit Entschlossenheit und Selbstständigkeit dem Liberalismus verschrieben haben. Auch die Geschichte der Wirtschaftswissenschaft verdeutlicht dies: War es doch Adam Smith, der das Konzept des Merkantilismus anzweifelte und viele ökonomische Gedankengänge, u. a. der französischen Physiokraten, zu einem kohärenten Werk bündelte. Alle die nach ihm kamen, haben sein Werk fortgesetzt. Andere Nationen haben völlig andere Schwerpunkte gesetzt. In Deutschland beispielsweise ist die Skepsis gegenüber dem freien Handel und dem Liberalismus viel größer als in Großbritannien. Dort traut man dem Staat mehr zu als in England. Trotzdem haben die deutschen Wissenschaftler mit ihren vergleichenden Methoden der Volkswirtschaftslehre wichtige Impulse gegeben, allen voran die historische Schule.

Wirtschaftliche Motive

Auch wenn der Mensch sich nicht ausschließlich von monetären Zielen leiten lässt, können die menschlichen Motive doch mithilfe des Geldes ausgezeichnet quantifiziert werden. Dadurch kann man sie in die exakte Form der Mathematik und der Wissenschaft überführen. Es handelt sich folglich um für die Wissenschaft sichtbar gemachte Motive.

Die Nachfrage

Frühere Wirtschaftstheoretiker haben sich mehr um das Angebot als um die Nachfrage gekümmert. Das war ein Fehler. Die Nachfrage nach einem Gut bestimmt seinen Preis. Der Preis ist also ein Maß für die Nützlichkeit eines Gutes. Diese variiert im Zeitablauf: Für die meisten Menschen ist eine Bedürfnisbefriedigung mehr wert, wenn sie sie sofort haben können, als wenn sie aufgeschoben, also erst in der Zukunft zugänglich wird. Untersucht man jedoch die Nachfrage zu einem bestimmten Zeitpunkt und sieht sich verschiedene Mengen- und Preisverhältnisse an, wird schnell klar, dass der Grenznutzen, also der Nutzen oder Genuss einer weiteren Einheit eines Gutes, beständig abnimmt: Dies wird als das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens bezeichnet. Beispiel: Ein Käufer, der sechs Pfund Tee für 40 Geldeinheiten (GE) pro Pfund erwirbt, würde vielleicht auch acht Pfund kaufen, aber dann nur zum Preis von 28 GE pro Pfund. Das heißt: Jede weitere Einheit eines Gutes ist dem Käufer weniger wert.

„Political Economy, or Economics, is a study of man's actions in the ordinary business of life; it inquires how he gets his income and how he uses it.“ (S. 1)

Wenn man nun eine Tabelle mit verschiedenen Preisen und Nachfragemengen erstellt und diese dann in Form eines Funktionsgrafen abbildet (mit der Menge des Gutes auf der x-Achse und dem Preis auf der y-Achse), erhält man eine Kurve mit negativer Steigung, die also von links oben nach rechts unten verläuft. Diese Kurve stellt die Nachfrage eines Menschen in mathematisch-grafischer Form dar und lässt sich auch für die Nachfrage von vielen Menschen aufstellen (aggregierte Nachfrage oder Marktnachfrage). Während die angebotene Menge zunimmt, nimmt der dafür gebotene Preis ab: Hierbei kommt das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen zum Tragen.

Nachfrageelastizität und Konsumentenrente

Die Nachfrage nach verschiedenen Gütern variiert natürlich, je nach Gut und je nach Nachfrager. Wie stark sich die Nachfrage nach einem Gut in Relation zur Erhöhung oder Senkung des Preises verändert, gibt die Nachfrageelastizität an. Ist die Nachfrage elastisch, führt eine kleine Preissenkung zu einer stark erhöhten Nachfrage (und umgekehrt bei einer Preiserhöhung). Ist die Elastizität eher starr, führt selbst eine große Preisveränderung zu kaum spürbaren Nachfrageveränderungen. Die Nachfrage nach Luxusgütern ist beispielsweise sehr elastisch: Weil sie nicht lebensnotwendig sind, hängt die Nachfrage sehr stark von sinkenden Preisen ab. Jede weitere Preissenkung bei einem Luxusgut führt zu einer entsprechend höheren Nachfrage. Anders bei Gütern des täglichen Bedarfs: Zucker beispielsweise ist inzwischen für jeden so erschwinglich, dass die Nachfrage danach sehr starr ist. Ob ein Päckchen Zucker eine oder zwei GE kostet, wird den Verbrauch kaum verändern. Anders wiederum verhält es sich z. B. mit Rindfleisch, das durchaus stärker nachgefragt wird, wenn sein Preis sinkt. Die Elastizität eines Gutes hängt einerseits vom Verdienst des Käufers und andererseits von den möglichen Ersatzgütern (z. B. Rind- vs. Hammelfleisch) ab.

„The chief events in history are due to the action of individuals.“ (S. 10)

Wenn jemand eine bestimmte Geldsumme für ein Gut ausgibt, kann der Nutzen, den er aus dem Kauf erzielt, den Wert des Preises übersteigen. Dieser Mehrwert wird als Konsumentenrente bezeichnet. Ist beispielsweise ein Käufer dazu bereit, für eine Tonne Kohle acht GE auszugeben, bekommt sie aber schon für sieben GE, so hat er eine Konsumentenrente von einer GE erzielt.

Die Angebotsseite

Wenn ein Farmer mehr Grund und Boden besitzt, als er bebauen kann, kann er es sich leisten, jedes Mal neuen Boden zu kultivieren, wenn er seinen Ertrag erhöhen möchte. Diese "extensive" Kultivierung des Landes kann sich jedoch ein Farmer nicht leisten, der nur eine begrenzte Bodenfläche zur Verfügung hat. Er versucht, aus jedem Hektar Land so viel Ertrag herauszuholen wie möglich. Diese "intensive" Kultivierung geht mit dem Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag einher: Für jede weitere Bebauung, jeden weiteren Schritt der Kultivierung erhält er immer weniger Ertrag. Diesem Naturgesetz stellt der Mensch ein anderes Gesetz entgegen, das er mit seinem Erfindungsreichtum (z. B. mit technischen Entwicklungen, Industrialisierung), seinem Ehrgeiz und seiner Geschicklichkeit bei der Organisation seiner Arbeitskraft (z. B. durch Massenproduktion) mit Leben erfüllt: das Gesetz steigender Erträge. Die Produktion von Gütern mittels Maschinen in Manufakturen und Fabriken führt zu einer immer weiter verfeinerten Arbeitsteilung, zu Wissen und Geschick, wodurch die Produktion (z. B. auch durch "externe Effekte" wie Branchenwissen und Standortvorteile) immer ertragreicher wird. Eine wichtige Rolle spielen dabei so genannte Skalenerträge, die auf den effizienten und rationellen Einsatz der Produktionsfaktoren zurückgehen.

Das Marktgleichgewicht

Der Ort, an dem Güter und Bedürfnisse, Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen, ist der Markt. Das Gleichgewicht auf dem Markt ist abhängig von den Faktoren Zeit und Raum. Beispielsweise spielt die räumliche Trennung zwischen Markt und Produktionsstandort bei der Preisbildung eine große Rolle: Güter, deren Transport viel Geld kostet und deren Preis entsprechend hoch sein wird, besitzen einen eher kleinen Markt. Andere, weltweit angebotene Güter haben einen besonders großen Markt.

„Even the simplest civilization is impossible unless man's efforts are more than sufficient to supply him with the necessaries of life; a surplus over them is required to support that mental effort in which progress takes its rise. “ (S. 11)

Der Zeitfaktor lässt sich folgendermaßen unterscheiden:

  • Auf einem kurzfristigen Markt (z. B. dem Korn- oder Fischmarkt) werden die Produktionskosten der Ware selten ins Kalkül gezogen. Das kurzfristige (instabile) Marktgleichgewicht ergibt sich dadurch, dass Verkäufer möglichst ihre gesamte Ware losschlagen wollen. Das Angebot ist in diesem Fall unelastisch: Es kann nicht mehr geliefert werden, als am Markttag vorhanden ist.
  • Beim normalen (stabilen) Marktgleichgewicht stellen die Produktionskosten den Maßstab für den zustande kommenden Preis dar. In der kurzen Frist muss man die Produktionsmenge als gegeben annehmen: Ausbringungsmenge, Anzahl der Mitarbeiter und Menge des Rohmaterials variieren nur in kleinen Schritten, um einen Preis zu erzeugen, bei dem Grenzkosten und Grenzertrag übereinstimmen, sodass ein maximaler Profit erreicht werden kann. In der langen Frist hingegen sind die Produktionsmenge und auch die Produktionsfaktoren nicht starr: Sie passen sich an die Bedürfnisse der Nachfrager an. Daher kommt es, dass langfristig eher die Angebotsseite, kurzfristig eher die Nachfrageseite das Marktgleichgewicht maßgeblich beeinflusst.

Arbeitstheorie

Auf allen Märkten kann man beobachten, dass zwei augenscheinlich gleiche Güter zu unterschiedlichen Preisen verkauft werden. Das kann z. B. daran liegen, dass einer der Verkäufer die Transportkosten auf den Käufer überwälzt, der andere nicht. Wie sieht es nun mit dem Mark für Arbeit aus? Der Preis, der für Arbeit bezahlt wird, kann gewaltig schwanken. Dieser Faktormarkt (Arbeit als Produktionsfaktor) verfügt nämlich über bestimmte Besonderheiten, die für Güter und Waren nicht gelten.

„The study of economics was stimulated by the discovery of the mines and the traderoutes of the New World. “ (S. 51)

Es gibt drei Lohnklassen: Zeitlohn, der für eine bestimmte Arbeitszeit gezahlt wird, Stücklohn, der sich nach den angefertigten Stückzahlen eines Gutes richtet, und Leistungslohn, der sich an der Schwierigkeit einer Aufgabe bemisst. Außerdem ist zwischen Nominal- und Reallohn zu unterscheiden: Der Nominallohn orientiert sich an dem gezahlten Geldbetrag, während der Reallohn diesen ins Verhältnis zu den Preisen der Güter (Nahrung, Kleidung etc.) setzt, die sich der Arbeiter mit seinem Lohn kaufen kann. Grundsätzlich befindet sich der Arbeiter in einer schlechteren Verhandlungsposition als derjenige, der ihn einstellt. Das führt z. B. zu der paradoxen Situation, dass die Arbeit, die am schmutzigsten und widrigsten ist, am schlechtesten bezahlt wird. Das liegt an den fünf Besonderheiten des Arbeitsmarktes:

  1. Der Arbeiter verkauft seine Arbeitskraft, jedoch nicht sich selbst. Wer in den Arbeiter und seine Arbeitskraft investiert (z. B. die Eltern durch Ausbildung oder der Arbeitgeber durch Fortbildung), erhält von dieser Investition immer nur einen Teil zurück. Der Rest geht in der Persönlichkeit des Arbeiters auf - die natürlich nicht zum Verkauf bzw. zur Nutzung bereitsteht. Das führt dazu, dass die höheren Schichten in die Ausbildung ihrer Kinder investieren, die unteren nicht. Letztere erhalten dann nur niedere Arbeiten und werden auch bei ihren Kindern nicht anders verfahren, als sie es von ihren Eltern gelernt haben.
  2. Der Arbeiter muss seine Arbeitskraft persönlich vertreten, d. h. er muss sie zu verschiedenen Arbeitsbedingungen verkaufen. Einem Verkäufer von Steinen kann es egal sein, ob seine Steine zum Bauen einer Kathedrale oder zum Ausmauern einer Abwasseranlage verwendet werden. Für einen Arbeiter spielen die Arbeitsbedingungen dagegen eine große Rolle. Der Arbeiter muss außerdem genau dort anwesend sein, wo seine Arbeitskraft verlangt wird; dies schließt eine große Mobilität ein.
  3. Arbeitskraft ist kurzlebig: Wenn ein Arbeiter entlassen wird, bringt ihm die Zeit der Nichtbeschäftigung keinerlei Gewinn, abgesehen von dem Erholungsgewinn seiner nicht eingesetzten Arbeitskraft.
  4. Arbeiter können es sich nicht leisten, ihre Arbeitskraft dem Markt vorzuenthalten: einerseits weil sie wegen des geringen Lohns über keinen Reservefonds verfügen, von dem sie leben können, und andererseits weil - in manchen Berufssparten mehr als in anderen - ihre Lücken sofort von anderen Kräften gefüllt würden.
  5. Der Zeitraum, in dem eine Angebotsänderung am Arbeitsmarkt durchgeführt werden kann, ist ausgesprochen groß: Zwischen der Entscheidung für einen Lehrberuf oder für einen Handelszweig und dem vollen Lohn hierfür vergehen viele Jahre. Speziell ausgebildete Arbeitskraft kann nicht innerhalb kürzester Zeit bereitgestellt werden.

Zum Text

Aufbau und Stil

Marshalls Principles of Economics sind ein richtiger Wälzer, in dem der Autor in insgesamt sieben "Büchern" und auf über 750 Seiten seine volkswirtschaftliche Konzeption vor dem Leser ausbreitet. Dabei bedient er sich, mehr als die meisten Autoren vor ihm, mathematischer Modelle. So verwendet er beispielsweise sehr häufig die berühmt gewordene Gleichgewichtsdarstellung von Angebot und Nachfrage mittels zweier (oder mehrerer) Kurven im Koordinatensystem. Trotz aller Mathematisierung betrachtete Marshall diese aber nur als ein Hilfsmittel und erkannte, dass Formeln und Berechnungen die meisten seiner Leser abschreckten. Dabei richtete er sich ja nicht nur an Wissenschaftler, sondern auch an Geschäftsleute. Darum verbannte er einen Großteil der mathematischen Formeln in zahlreiche Fußnoten und einen Anhang. Dass die Lektüre dennoch kein Spaziergang ist, liegt an den oft gedehnten, weitschweifigen und umständlichen Erklärungen Marshalls. Auch wenn die Argumentation durch Randglossen unterstützt wird, braucht es viel Aufmerksamkeit, um bei Marshalls Ausführungen nicht den roten Faden zu verlieren.

Interpretationsansätze

  • Eine der größten Neuerungen, die Alfred Marshall in die volkswirtschaftliche Diskussion einbringt, ist die Berücksichtigung der Zeitlichkeit von Entscheidungen und insbesondere des Einflusses, den die "Wartezeit" auf das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage ausübt.
  • Allerdings missbraucht er diesen Aspekt der Zeitlichkeit auch gelegentlich, um Hypothesen aufzustellen, die sich erst langfristig als richtig herausstellen könnten. Er nahm z. B. an, dass sich langfristig alle Faktoren des Marktes auf ein Gleichgewicht einpendeln würden. Sein Schüler John Maynard Keynes erteilte dieser Freiheit im Umgang mit Thesen eine Absage mit seinem berühmten süffisanten Kommentar "Langfristig sind wir alle tot."
  • Marshall kritisiert an mehreren Stellen, dass seine Vorgänger sich viel zu sehr isoliert mit Angebot oder Nachfrage beschäftigt hätten - wobei doch beide Bereiche so eng zusammengehörten wie "die beiden Hälften einer Schere". Marshalls Mission ist die Kreuzung der beiden großen Theorien: der produktionsorientierten Linie der ökonomischen Klassiker (Smith, Ricardo) mit der Linie der nachfrageorientierten Grenznutzenschule (Jevons, Menger, Walras).
  • Zwei methodische Besonderheiten lassen sich bei Marshall finden: erstens die Partialanalyse, d. h. er betrachtet immer nur einen isolierten Ausschnitt der Wirtschaft bzw. einen einzelnen Markt; zweitens führt er die Ceteris-paribus-Regel in die volkswirtschaftliche Theorie ein, die annimmt, dass sich nur eine einzige Variable im Modell ändert, während alle anderen Begleitumstände konstant bleiben.
  • War zuvor immer von "Nationalökonomie" oder "politischer Ökonomie" die Rede, führte Marshall den - noch heute gültigen - Begriff "Economics" für die Volkswirtschaftslehre in die Wissenschaft ein.

Historischer Hintergrund

Die Neoklassiker und die Industrialisierung

Alfred Marshall wird als Mitbegründer der so genannten neoklassischen Nationalökonomie bezeichnet. Neoklassisch, weil sie sich auf die Arbeiten der Klassiker bezog und diese weiterentwickelte. Zu den Klassikern gehören beispielsweise Adam Smith, der mit seinem Buch Der Wohlstand der Nationen die Grundlagen für eine wissenschaftliche Nationalökonomie legte, und David Ricardo, der sich mit der Verteilungstheorie einen Namen machte. Die wichtigsten Vertreter der etwa seit 1870 publizierenden Neoklassiker waren neben Marshall Carl Menger, Léon Walras und William Stanley Jevons. Gemeinsam war den Klassikern und Neoklassikern, dass sie von einem harmonischen Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage ausgingen, das sich auf dem Markt einpendelte.

Marshall sah die Bekämpfung der Armut als seine Mission an. Er sah deutlich, dass die sozioökonomischen Bedingungen der arbeitenden Klasse nicht zum Besten standen: Die Industrialisierung hatte England zum "workshop of the world" gemacht. Die Textilindustrie, der immer weiter fortschreitende Eisenbahnbau und die Schwerindustrie beflügelten die britische Wirtschaft. Der Fortschritt führte zu einer beispiellosen Bevölkerungsexplosion. Doch die Existenz von zu vielen Menschen, so erkannte der britische Nationalökonom Thomas Robert Malthus, führte zu Armut, schlechten Lebensbedingungen und sozialen Missständen. Die Hochindustrialisierung brachte eine immer stärkere Konzentration des Kapitals mit sich; Konzerne, Kapitalgesellschaften und Trusts breiteten sich aus. Tycoons beherrschten die Unternehmen, wie beispielsweise John D. Rockefeller, der in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts 90 % der Erdölraffinerien in den USA kontrollierte. In Marshalls Werk finden sich deshalb auch mehrere Kapitel, die sich mit der Monopoltheorie und den Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigen.

Entstehung

Alfred Marshall begann bereits 1879 mit dem Entwurf seiner Principles of Economics. Verschiedene Gründe hielten ihn jedoch davon ab, sein Hauptwerk zügig fertigzustellen. In Oxford musste er sich in eine spezielle Thematik einarbeiten: die Verwaltung der indischen Kolonien. Denn die Ausbildung der Beamtenanwärter für den auswärtigen Dienst oblag Marshall. Nach Cambridge gewechselt, musste er sich dann vor allem darum kümmern, seinem Fach die Geltung zu verschaffen, die es in seinen Augen verdiente. Öffentliche Auftritte und die Publikation mehrerer kleinerer Schriften verzögerten die Arbeit an den Principles. Bei der Erstellung des Manuskripts musste Marshall noch mit einem anderen Feind kämpfen: seinem Perfektionismus. Schnell wurde ihm klar, dass er sein Ziel nur in zwei Bänden erreichen konnte, da ihm der Stoff über den Kopf hinauswuchs. Insbesondere die Außenwirtschaft, das Kreditwesen und die Besteuerung lagerte er in den zweiten Band aus - der jedoch nie erscheinen sollte.

Marshall konzipierte sein Buch mithilfe von mathematischen Berechnungen und Modellen, die er dann aber mit Rücksicht auf die von ihm angepeilte breite Leserschaft nicht in den Vordergrund rückte. Einer Totalanalyse der Wirtschaft erteilte er eine Absage und konzentrierte sich - im Gegensatz zu einigen seiner Vorgänger - auf Detailfragen. Praktisch wie er war, besuchte er Fabriken, Arbeiter, Unternehmer und Geschäftsleute, um seine Theorien mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit abzustimmen. Ganz nebenbei gab er mit den organisationsspezifischen Kapiteln seines Buches der noch jungen Disziplin der Betriebswirtschaftslehre neue Impulse.

Wirkungsgeschichte

Im Juli 1890 erschienen die Principles of Economics bei Macmillan in London und New York. Das Werk erlangte einen gewissen Ruhm auch in buchwirtschaftlicher Hinsicht, war es doch das erste, das mit einer Buchpreisbindung auf den Markt kam. Die Aufnahme sowohl beim Publikum als auch bei der Tagespresse war überaus freundlich und begierig. Kaum ein Buch über Ökonomie ist so positiv besprochen worden wie Marshalls; praktisch jede britische Zeitung rezensierte die Principles. Ökonomen weltweit waren sich einig, dass ein bedeutendes Werk der Volkswirtschaftslehre erschienen war. Tatsächlich sollten Marshalls Principles für Jahrzehnte das Standardwerk der Ökonomie bleiben. Ausgerechnet Marshalls Schüler John Maynard Keynes, der überdies etliche Kritikpunkte am Magnus Opus seines Lehrers hatte, sollte Marshall später ablösen. Dennoch bezeichnete er ihn respektvoll als "den größten Ökonomen der nächsten hundert Jahre". Marshall hatte seine eigene Methode, mit Kritik umzugehen - und die gab es im Zeitablauf immer öfter. Er reagierte selten direkt auf Vorwürfe, sondern machte sich klammheimlich ans Redigieren seines Werkes, sodass die späteren Ausgaben die meisten Kritikpunkte aufnahmen und beantworteten. Bis 1920 erschienen acht Auflagen der Principles.

Bis heute haben sich Marshalls Konzepte gehalten, wurden abgewandelt, umgedeutet, neu erfunden - sodass man oft gar nicht mehr so recht erkennen kann, was von Marshall und was von anderen Ökonomen stammt. Nach wie vor gehört er zu den am meisten zitierten Ökonomen, seine Theorien werden heute noch an den Universitäten gelehrt.

Über den Autor

Alfred Marshall wird am 26. Juli 1842 in Clapham (London) geboren. Sein Vater ist Kassierer bei der Bank von England. Weil ihm eine geistliche Laufbahn für seinen Sohn vorschwebt, paukt er mit ihm Hebräisch, Griechisch und Latein, obwohl sich der kleine Alfred eher für Mathematik interessiert. Sein Onkel finanziert ihm das Studium, und so kann Marshall 1861 an der Universität von Cambridge Philosophie studieren. Drei Jahre später schließt er mit einem exzellenten Examen ab und erhält ein Forschungsstipendium, mit dessen Hilfe er seine Studien fortsetzen kann. Marshall interessiert sich zunehmend für die Ökonomie und die sozialen Fragen seiner Zeit. Bei gezielten Exkursionen in die Armenviertel wird er sich über seine "Mission" klar: soziale Missstände abzubauen und die Armut zu bekämpfen. 1868 erhält er eine Berufung auf den Lehrstuhl für Morallehre am St. John's College. Logik, Ethik und politische Ökonomie gehören fortan zu Marshalls Vorlesungsthemen - auch in einem gesonderten Studiengang für Frauen. Eine der ersten Studentinnen, die bei ihm das Examen ablegen, ist Mary Paley. Marshall heiratet sie. Damit verbaut er sich ein weiteres Wirken in Cambridge, denn eine solche Heirat gilt als unschicklich. Marshall zieht nach Bristol, wo er 1877 eine Professur übernimmt. 1882 entsteht der Rohentwurf der Principles of Economics. An diesem Buch arbeitet er mehrere Jahre, beendet es zu Zeiten seiner zweiten Professur in Cambridge, die er ab 1885 bekleidet. Marshall setzt sich dafür ein, dass seine Disziplin, die Volkswirtschaftslehre (Economics), wie er sie nun nennt, einen eigenen Studiengang erhält. Gegen manchen Widerstand setzt er diese Forderung 1903 durch und begründet die lange Zeit bedeutende Cambridge School of Economics. 1908 erfolgt seine Emeritierung, aber Marshall zieht sich deswegen trotzdem nicht aus der Welt der Wissenschaft zurück. Es erscheinen die Abhandlungen Industry and Trade (1919) und Money, Credit and Commerce (1923). Marshall stirbt am 18. Juli 1924 in Cambridge.

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