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Über den Menschen

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Über den Menschen

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Albertus Magnus präsentierte den ersten anthropologischen Entwurf der mittelalterlichen Philosophie.

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Mittelalter

Worum es geht

Das mittelalterliche Menschenbild

Albertus Magnus war der Prototyp des Universalgelehrten im Mittelalter. Kein anderer hatte solch umfassende Kenntnisse in allen damals bekannten Wissensbereichen. Von dieser Basis aus machte er sich schon früh an die Aufgabe, sämtliches Wissen über den Menschen in einer Gesamtschau zusammenzufassen. Das Resultat ist das in lateinischer Sprache geschriebene Werk De homine (Über den Menschen). Für seine Abhandlung zog Albertus Magnus das gesamte Wissen seiner Zeit heran: die Bibel, ihre Auslegung durch die Kirchenväter, die platonische und die aristotelische Philosophie sowie die umfangreichen jüdischen und arabischen Kommentare zu Aristoteles. Auch die von mittelalterlichen Naturforschern und Medizinern erarbeiteten Kenntnisse und Albertus’ eigene Naturuntersuchungen flossen in diese für ihre Zeit einzigartige Abhandlung über den Menschen ein. Einzigartig war sie – und sollte es für über 300 Jahre bleiben –, weil zum ersten Mal der Mensch zum Thema einer eigenen philosophischen Schrift gemacht wurde. Mit seinem Werk lieferte Albertus Magnus also den ersten großen Anthropologieentwurf der mittelalterlichen Philosophie. Den Kern der Abhandlung bildet die Untersuchung der Seele und des Körpers sowie der Verbindung beider, die den Menschen ergibt.

Take-aways

  • Über den Menschen ist die erste Anthropologie (Lehre vom Menschen und seiner Entwicklung) der mittelalterlichen Philosophie.
  • Albertus Magnus war einer der großen Gelehrten des Mittelalters. In seinen Schriften vereint er die antike Philosophie mit dem Christentum.
  • Über den Menschen ist Teil eines viel umfangreicheren Werks mit dem Titel Summa de creaturis (Summe über die Geschöpfe).
  • In der Abhandlung Über den Menschen werden die platonische und die aristotelische Seelenlehre in eleganter Weise zusammengeführt.
  • Albertus Magnus zieht das gesamte Wissen seiner Zeit heran – sowohl aus Theologie und Philosophie als auch aus den Naturwissenschaften.
  • Der Abschnitt über die Verbindung der Seele mit dem Körper stellt den Kern seiner Anthropologie dar.
  • Pflanzen haben nur eine vegetative Seele, Tiere eine sinnenhafte. Der Mensch hat eine Vernunftseele.
  • Die Vernunftseele des Menschen enthält gleichzeitig die Kräfte der vegetativen und der sinnenhaften Seele.
  • Sie ist unsterblich, nur der Körper ist von Natur aus vergänglich.
  • Die Verbindung von Seele und Körper macht den Menschen mit seinen vielfältigen Fähigkeiten und Eigenschaften aus.
  • Mit der Hinzuziehung der Naturphilosophie des Aristoteles und des naturwissenschaftlichen Wissens seiner Zeit ebnete Albertus Magnus der Naturwissenschaft den Weg zu einer eigenständigen Disziplin.
  • Albertus Magnus übte großen Einfluss auf seinen Schüler Thomas von Aquin aus, dessen Lehren bis heute die offizielle Philosophie der katholischen Kirche prägen.

Zusammenfassung

Was ist der Mensch?

Wer das Wesen des Menschen untersuchen will, der muss im Kern drei Fragen beantworten:

  1. Welcher Art ist die Seele des Menschen?
  2. Welcher Art ist der Körper des Menschen?
  3. Welcher Art ist der ganze Mensch, der aus der Verbindung von Seele und Körper besteht, und wie sind Körper und Seele des Menschen miteinander verbunden?

Die Seele des Menschen

Bei der Seele geht es darum zu klären, welcher Art sie ist, aus welchen Teilen sie besteht und welche Eigenschaften und Tätigkeiten ihr zukommen. Es ist richtig, bei der Frage nach dem Menschen zuerst bei der Seele anzusetzen, weil sie das Wirk- und Formprinzip des Körpers ist. Sie geht ihm daher in ihrer Substanz voraus. Die Erkenntnis der Natur der Seele ist der Schlüssel zum Verständnis des Menschen.

„Im Folgenden wollen wir dazu übergehen, den Menschen zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Dabei soll der Mensch zunächst seinem Zustand in sich selbst nach untersucht werden und anschließend sein [natürlicher] Ort, der Paradies heißt.“ (S. 3)

Die Seele ist eine durch sich selbst existierende Substanz, sie hängt in ihrer Existenz also nicht von anderen Faktoren ab. Nach Platon ist die Seele unkörperlich. Gleichzeitig ist sie aber auch in gewissem Sinn die Vollendung eines belebten Körpers. Sie ist das Element, das einen Körper erst zu einem vollständigen Lebewesen mit all seinen Fähigkeiten macht. Die Seele kann deshalb auf zwei Arten betrachtet werden: Zum einen hat sie ein Sein in sich selbst, das unabhängig vom Körper gesehen werden muss, zum anderen definiert sie sich aber auch in Bezug auf den Körper.

Die Vernunftseele

Die Vernunftseele ist die Vollendung des Körpers, obwohl sie nicht zu diesem gehört, sondern ihm von außen zukommt. Anders die vegetativen (d. h. die unbewussten, zur Erhaltung des Organismus dienenden) und die sinnenhaften Aspekte der Seele: Sie sind mit Körperorganen verbunden, von denen aus sie die Vollendung des Körpers bewirken. Die selbstständige Existenz der Seele hängt aber nicht davon ab, ob sie einen Körper zur Verfügung hat, den sie beleben und vollenden kann. Es verhält sich ähnlich wie mit einem Seemann, der zwar ein Schiff vervollkommnet, aber auch ohne dieses seine Existenz hat. Im Zusammenhang mit der Seele ist es daher angemessener, von „Vollendung“ zu sprechen als von „Form“, wie es in der Philosophie bisher üblich gewesen ist. Denn in der Naturphilosophie hat die Form ohne eine Materie, die sie formt, eigentlich keine Existenz. Vollendung zu sein, bedingt hingegen keine existenzielle Abhängigkeit von dem, was vollendet wird. Daher ist die Seele eher als Vollendung denn als Form der Materie bzw. des Körpers zu bezeichnen.

„Achtet man aber auf das, was die Seele ist, dann kann sie auf zweifache Weise betrachtet werden, nämlich gemäß dem Sein, das sie in sich hat - und in dieser Hinsicht definiert man sie nicht in Bezug auf den Körper -, oder gemäß ihrer Bezogenheit auf den Körper - und so wird sie [hier] definiert.“ (S. 59)

Nach Aristoteles ist die Seele Akt des Körpers – im Sinne von Seins-, Wirk- und Formprinzip. Sie ist als Vollendung des Körpers der Akt, der dem Körper sein Sein verleiht. Die Seele wohnt dem Körper dabei als substanzielles Wirkprinzip inne. Sie lenkt und bewegt ihn und bedient sich seiner als Instrument, um ihre eigenen, höheren Zwecke zu erreichen.

„Manche Seele, etwa die Vernunftseele, ist gemäß einem ihrer Teile Vollendung des Körpers dergestalt, dass sie ihm von außen zukommt, das heißt nicht mit einem Körperorgan vermischt ist; manche aber wirkt als Vollendung von innen her und ist mit einem Organ verbunden, etwa die vegetative und die sinnenhafte Seele.“ (S. 63)

Die Aussage, dass die Seele Akt des Körpers ist, trifft auch auf die Vernunftseele zu, die sowohl das vegetative als auch das sinnenhafte Vermögen umfasst. Mit Vermögen ist dabei das Potenzial der Seele gemeint, eine Wirkung auszuüben. Im Falle der Vernunftseele heißt das aber nicht, dass alle ihre Vermögen mit einem körperlichen Organ verbunden sind, wie es der arabische Philosoph Averroes behauptet.

„Dennoch muss nicht, wenn die Vernunftseele Akt des Körpers ist, jedwedes ihrer Vermögen mit einem Organ fest verbunden sein.“ (S. 65)

Die Pflanzen werden durch die vegetative Seele vollendet. Von ihr erhalten sie Sein, Wesensbestimmtheit und auch ihre Tätigkeiten. Bei den Tieren bildet die sinnenhafte Seele diese Vollendung aus. Jede Seele ist etwas Vegetatives, nicht aber unbedingt auch etwas Sinnenhaftes oder gar Vernunfthaftes. Nur beim Menschen kommt die Vollendung durch die Vernunftseele zustande.

„Man muss gemäß der Auffassung aller Heiligen, Philosophen und Naturforscher sagen, dass Vegetatives, Sinnenhaftes und Vernunfthaftes im Menschen eine Substanz, eine Seele und ein Akt sind.“ (S. 105)

Die Seele kann nicht über das Vermögen, das sie durch den Körper ausübt, definiert werden, denn es gibt in dieser Hinsicht zweierlei Vermögen: Zum einen hat die Seele passives, rezeptives Vermögen, nämlich im Hinblick auf die Sinne und den Intellekt. Zum anderen verfügt sie aber auch über aktives Vermögen und aktive Kraft, nämlich hinsichtlich anderer Funktionen wie etwa Ernährung, Fortpflanzung oder Willensakte. In ihrer Substanz kann die Seele jedoch nur durch eine einheitliche Definition erfasst werden. Zudem ist ein Vermögen, sei es aktiv oder passiv, dem Sein an sich nachgeordnet; die Definition der Seele kann aber nicht aus dem Nachgeordneten erfolgen, sondern nur aus dem Sein selbst.

Die Teile der Seele und ihre Eigenschaften

Bei den Teilaspekten der Seele stellen sich zwei Fragen: erstens, ob es genügt, beim Menschen die Bereiche Vegetatives, Sinnenhaftes und Vernunfthaftes zu unterscheiden; zweitens, ob diese drei Bereiche Aspekte einer einzigen Substanz sind oder ob mehrere verschiedene Substanzen zugrunde gelegt werden müssen.

„Denn die Substanz der Vernunftseele ist in ihrer Ganzheit durch die Schöpfung; sie wird einem organisch ausgebildeten Körper eingegossen, und sie erfüllt in manchen seiner Teile die vegetativen und in manchen die sinnenhaften Funktionen.“ (S. 109 f.)

Weil die Seele den Körper vervollkommnet, der Körper aber nur eine einzige Vollkommenheit als Möglichkeit hat, ist auch die ihn vervollkommnende Seele eine einzige. Da der Körper nur eine einzige Substanz ist, müssen auch die drei Akte des menschlichen Körpers (Vegetatives, Sinnenhaftes und Vernunfthaftes) in einem einzigen Wirkprinzip ihren Ursprung haben. Dieses Wirkprinzip ist die Seele. Im Menschen sind Vegetatives, Sinnenhaftes und Vernunfthaftes nicht durch die Substanz getrennt, folglich sind sie die Auswirkungen einer einzigen Substanz: der Seele, die das einigende Prinzip des Körpers ist.

„Die Nahrungsaufnahme zeigt tatsächlich, wie der Einwand beweist, dass die Vergänglichkeit dem Körper durch die Natur seiner Bestandteile zukommt. Aber die Vergänglichkeit hätte sich nicht wirklich ausgewirkt, wenn es nicht die Sünde des Ungehorsams gegen eines der Gebote gegeben hätte, die dem Menschen erteilt worden waren.“ (S. 145 f.)

Aus dieser einen Seele gehen unterschiedliche Kräfte des Körpers hervor, von denen manche mit dem Körper verbunden sind, andere, wie der Intellekt des Menschen, aber nicht. Die ganze Seele des Menschen ist eine einzige und hat als Teile das Vegetative, das Sinnenhafte und das Vernunfthafte. In dieser Hinsicht sind sich alle Philosophen, Heiligen und Naturforscher einig. Die Substanz der Vernunftseele entsteht durch göttliche Schöpfung. Sie wird in einen Körper sozusagen eingegossen und übt durch einige ihrer Teile im Körper vegetative und sinnenhafte Funktionen aus. Wegen der göttlichen Kraft des Intellekts bedarf es im Falle des Menschen eines äußeren Gebers der Seele, also Gottes.

„Auf die Frage, weshalb die Frau denn eher von der Rippe genommen wurde als vom Fuß oder vom Kopf, antworten die Heiligen, dass sie wegen der in der Ehe geltenden Rechtsgleichheit und der Gleichheit des Verdienstes vom mittleren Teil des Menschen genommen wurde.“ (S. 153 f.)

Die eine Seele, als unvergänglich existierende Substanz, ist die Vernunftseele. Aus ihr fließen mehrere Vermögen: jenes, sich des Körpers als Werkzeug zu bedienen, und andere, die unabhängig vom Körper funktionieren. Sterben können daher nur die körperlichen Organe. Mit ihrem Tod erlischt diejenige Wirkfunktion der Seele, die an das Vorhandensein dieser Organe gebunden ist. Das macht aber die Fähigkeit der Seele, diese Funktionen potenziell in einem Körper auszuüben, nicht zunichte. In der Analogie zum Körper sagt Aristoteles, dass der Greis, wenn er das Auge eines Jünglings erhielte, auch wieder wie ein Jüngling sehen könnte. In vergleichbarer Weise bleibt auch das Vermögen der Seele erhalten, selbst wenn der Körper zugrunde geht. Sie kann nur gewisse Tätigkeiten wegen des Fehlens der entsprechenden Organe nicht mehr ausüben: Ohne Füße kann man nicht gehen – da kann die Seele noch so wollen.

Der menschliche Körper aus Sicht der Theologie

Bei der Untersuchung des menschlichen Körpers ist es sinnvoll, bei jenem von Adam, dem ersten geschaffenen Menschen, anzusetzen. Dabei geht es nicht nur um die Frage nach der Zusammensetzung des menschlichen Körpers, sondern auch um eine möglicherweise darin angelegte Unsterblichkeit – wenn der Mensch ohne Sünde geblieben wäre. Nach der Ansicht des Augustinus wurde der Mensch so geschaffen, dass er seiner Natur nach sterblich war, durch den Gnadenerweis des Schöpfers aber unsterblich wurde. Im Zustand der Unschuld war es der Seele möglich, den Körper durch ihren Willen zu erhalten und seine letztendliche Auflösung zu verhindern. Von Natur aus aber ist der menschliche Körper eine Kombination verschiedener Dinge: Gehirn, Herz, Leber etc. Ein so zusammengesetzter Körper, wie ihn auch Adam hatte, ist von Natur aus vergänglich. Das zeigt etwa die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme: Ein Körper, der nicht sterblich ist, ist nicht auf Nahrung angewiesen. Diese Vergänglichkeit von Adams Körper wäre aber nicht real geworden, wenn der Mensch nicht durch Ungehorsam gegen die göttlichen Gebote verstoßen hätte. Ohne diese Sünde hätte Gott den Menschen nicht sterblich, sondern unsterblich werden lassen.

„Nach unserer Ansicht ist die Seele des Menschen nur eine Substanz im Vegetativen, Sinnenhaften und Vernunfthaften. Und deshalb sagen wir, wenn wir über die Seele an sich sprechen, dass sie selbst unmittelbar mit dem Körper wie die Form mit der Materie und wie der Beweger mit dem Bewegbaren verbunden wird.“ (S. 163)

Von Natur aus ist der Mensch also sterblich. Zwar hat die Seele ein unverändertes Leben spendendes Vermögen. Aber der Körper selbst verändert sich in seinem Vermögen, die Leben spendende Wirkung der Seele aufzunehmen. Ohne göttliche Gnade ist der Körper nicht unbegrenzt in der Lage, fortdauernd Leben aus der Seele zu erhalten.

„Zu der letzten Frage muss man sagen, dass aus dem Körper und der Vernunftseele ein Mensch durch die Zusammensetzung entsteht, durch die das Vermögen mit dem Akt zusammengesetzt wird.“ (S. 169)

Gott selbst formte den Körper des Menschen. Er schuf auf wundersame Weise den Körper des ersten Mannes aus dem Erdschlamm und den der ersten Frau aus der Rippe des Mannes. Gottes Wirken ist dabei nicht der Natur entgegengesetzt: Er hat ja selbst die ersten Naturprinzipien eingerichtet, und in diesen ist auch die Möglichkeit für Wunder durch die Kraft Gottes angelegt.

Mit der Tatsache, dass die Frau aus der Rippe des Mannes erschaffen wurde, wird deutlich, dass beide Partner in der Ehe die gleichen Rechte und die gleichen Verdienste haben. Wäre sie aus dem Kopf des Mannes entnommen worden, dann könnte der Eindruck entstehen, sie sollte Herrin sein und wäre vornehmer als der Mann. Und wäre sie aus dem Fuß des Mannes geformt worden, könnte man denken, sie sei als Magd geschaffen und wäre von geringerem Wert als der Mann. So aber wurde die Gleichheit von Mann und Frau verdeutlicht.

Der aufrechte Gang des Menschen ist ein Zeichen dafür, dass dieser zur Aufrechtheit des Geistes erschaffen wurde und dass der Zweck des Menschen in der Betrachtung des Himmlischen liegt. Zudem verhindert der aufrechte Gang eine übermäßige Durchblutung des Gehirns, die schädlich wäre.

Der Mensch allein wurde von allen Lebewesen zuerst als Einzelwesen geschaffen, weil ein einziger Mensch der Ursprung der menschlichen Gattung werden sollte, ähnlich wie Gott in seiner Existenz als Einziger der Ursprung aller Dinge ist.

Die Verbindung der Seele mit dem Körper

Eine grundsätzliche Frage ist, ob die Seele mit dem Körper direkt oder durch irgendein Medium, also ein vermittelndes Element, verbunden ist. Manche haben vorgeschlagen, dass die Vernunftseele durch die Medien des Vegetativen und des Sinnenhaften mit dem Körper in Beziehung steht. Dagegen spricht aber, dass die Seele des Menschen nur eine einzige Substanz ist, die allerdings aus den Teilen des Vegetativen, Sinnenhaften und Vernunfthaften besteht. Deshalb ist die Seele wohl – wie die Form mit der Materie oder wie ein Beweger mit dem Bewegbaren – direkt mit dem Körper verbunden. Der Körper selbst ist aber aus verschiedenen Gliedern zusammengesetzt, die jeweils von den entsprechenden Seelenkräften ihre Wirkung erhalten.

Die Seele ist daher ohne ein Medium mit dem Körper verbunden. Gleichzeitig ist sie aber nicht ohne ein Medium im Körper tätig. Die Vernunftseele umfasst auch die vegetativen und die sinnenhaften Seelenteile, diese sind unterschiedliche Vermögen der Vernunftseele.

Zwar ist die Vernunftseele direkt im Körper, die vegetativen und sinnenhaften Seelenteile sind aber Medien, die es der Vernunftseele ermöglichen, über die unterschiedlichen Organe im Körper tätig zu werden. Ohne eine Verbindung zu Organen können die sinnenhafte und die vegetative Seele nicht tätig werden, denn sie sind in der Ausübung ihres Vermögens an den Körper gebunden. Dennoch behalten sie aber auch ohne Körper ihr potenzielles Vermögen, weil sie Bestandteil der unsterblichen Seele sind.

Durch die Verbindung aus Seele und Körper entsteht der Mensch, in dem die verschiedenen Vermögen der Seele durch die unterschiedlichen Organe des Körpers zur Wirkung kommen.

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Aufbau und Stil

Die Abhandlung Über den Menschen ist im Stil einer Summa verfasst, jener in der Scholastik (der mittelalterlichen Theologie) üblichen Sammlung von Einzelunter-suchungen zu einem eingangs dargelegten Themenkreis. Es wird jeweils eine These angeführt, gefolgt von einer längeren Reihe von Pro- und Kontra-Argumenten. Darauf-hin folgt die Lösung des Autors mit anschließenden Antworten zu den vorhergehenden Argumenten. Ausgehend von den Ausgangsfragen werden so die jeweiligen Aspekte des Themas in Form von These, Argumentation und anschließender Lösung schrittweise abgearbeitet.

Bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen zitiert Albertus Magnus oft anerkannte Autoritäten: die Bibel, Kirchenlehrer wie Augustinus, antike Philosophen wie Platon und Aristoteles sowie berühmte Aristotelesinterpreten wie die arabi-schen Philosophen Avicenna und Averroes. Aber auch Naturforscher und Mediziner wie der berühmte römische Arzt Galen und der Grieche Hippokrates, der Begründer der rational-empirischen Medizin, kommen zu Wort. Der Stil des auf Latein verfassten Werkes ist nüchtern und sachlich. Über den Menschen ist Teil eines umfangreicheren Werks mit dem Titel Summa de creaturis (Summe über die Geschöpfe).

Interpretationsansätze

  • Über den Menschen ist der erste umfassende Anthropologieentwurf der mittelalterlichen Philosophie. Anthropologie ist die Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung. Albertus Magnus versucht den Menschen in seiner Ganzheit als seelisch-körperliches Wesen gleichzeitig von der Philosophie, Theologie und Naturwissenschaft her zu erfassen.
  • Zentrales Anliegen der Abhandlung ist die Seelenlehre. Durch eine dualistische Interpretation bringt Albertus Magnus platonische (die Seele ist unkörperlich) und aristotelische (die Seele ist an den Körper gebunden) Vorstellungen in Einklang.
  • Durch die Heranziehung von naturwissenschaftlichem und medizinischem Wissen sowie eigenen Naturbeobachtungen leistet Albertus Magnus auch einen wichtigen Beitrag zur Naturerforschung und zur Stellung der Naturwissenschaften im Mittelalter.
  • Die prägende Perspektive des gesamten Werkes ist zwar die theologische Bibelauslegung. Aber durch die Verbindung von Theologie und wissenschaftlicher Erkenntnis entsteht eine ganzheitliche Theorie. Glauben und Wissen werden auf dieselbe Stufe gestellt.
  • Für den heutigen Menschen ist es schwierig, sich unter dem Begriff der Seele etwas vorzustellen. Die Wissenschaft, besonders die Psychologie und die Hirnforschung, haben die Seele fast zu einem unnötigen Begriff gemacht. Bis ins Zeitalter der Aufklärung war der Seelenbegriff aber zentral für die Philosophie.

Historischer Hintergrund

Die aristotelische Scholastik

Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts dominierte die Scholastik, die auf der Bibelinterpretation und den Lehren der Kirchenväter aufgebaute Philosophie, das Denken des Abendlandes. Als philosophische Grundlage diente der Scholastik vor allem die auf Platon zurückgehende Ideen- und Seelenlehre und der von Plotin entwickelte Neuplatonismus. Das Ziel der Scholastik war aber nicht die Findung neuer Wahrheiten, sondern die rationale Begründung der offenbarten Glaubensüberlieferungen und der kirchlichen Traditionen. Die heidnische griechische Philosophie wurde lediglich als Dienerin der christlichen Theologie gesehen. Die Scholastik wurde vor allem in den Klosterschulen gelehrt und praktiziert. Mit dem Aufkommen der ersten Universitäten in Bologna, Paris und Oxford und dem Bekanntwerden umfassender Schriften des Aristoteles aus den Bereichen Logik, Metaphysik und Naturphilosophie – sie wurden aus dem Griechischen und Arabischen ins Lateinische übersetzt – drohte sich ein Konflikt zwischen Glauben einerseits und Philosophie und Naturwissenschaft andererseits anzubahnen. Vor allem der islamisch-arabische Philosoph Averroes interpretierte die Seelenlehre des Aristoteles in einer Weise, die mit dem christlichen Gedankengut unvereinbar war. Für ihn lehrte Aristoteles nur eine unsterbliche Weltseele, verneinte aber die Unsterblichkeit der individuellen menschlichen Seele. Diese sei gänzlich an den Körper gebunden und ginge mit ihm bei dessen Tod zugrunde. Solche Thesen führten dazu, dass die Schriften Aristoteles’ an manchen Lehrstätten sogar verboten wurden. Zu diesem Zeitpunkt begann Albertus Magnus mit seinem Werk, durch das die neu entdeckten aristotelischen Lehren mit den bisherigen Lehren der Scholastik in Einklang gebracht werden sollten. Er fand eine Interpretationsweise, wonach die aristotelische Lehre doch nicht die Unsterblichkeit der Seele leugnete, und ebnete damit den Werken des Aristoteles den Weg in den christlichen Westen. In der Folge fand Aristoteles sogar so weite Akzeptanz, dass er zum prägenden Philosophen des Christentums wurde.

Entstehung

Über die konkreten Umstände der Entstehung von Über den Menschen ist sehr wenig bekannt. Die wahrscheinlich 1242 in Paris verfasste Abhandlung stellt den zweiten Teil einer zweiteiligen Summa de creaturis (Summe über die Geschöpfe) dar, die zum Frühwerk Albertus Magnus’ gehört. Während es im ersten Teil um die Materie, den Himmel, die Zeit und die Engel geht, befasst sich Albertus Magnus im zweiten mit dem Menschen, der „Krone der Schöpfung“. Zu dieser Zeit hatte der Autor sich bereits umfassende Kenntnisse im Bereich der Naturwissenschaft erarbeitet. Zudem stieß er an der Pariser Universität auf die vor Kurzem angefertigten lateinischen Übersetzungen der Werke Aristoteles’ und seiner arabischen und jüdischen Kommentatoren. Ganz Wissenschaftler, zog Albertus neben seiner scholastischen Schulung auch die Erkenntnisse aus diesen anderen Wissensgebieten für die Bearbeitung seines Themas heran. Wahrscheinlich ist Über den Menschen den damals üblichen Disputationen (philosophischen Streitgesprächen) entwachsen, die Albertus Magnus im Rahmen des täglichen Unterrichts mit seinen Studenten führte.

Wirkungsgeschichte

Über den Menschen fand schnell eine weite Verbreitung unter den Gelehrten des Mittelalters und hatte eine entscheidende Wirkung auf das Menschenbild jener Zeit. Das Buch ist in vielen mittelalterlichen Bibliothekskatalogen erfasst. Noch heute sind 37 Abschriften – darunter allerdings keine Originalhandschrift des Verfassers – sowie eine Vielzahl von Auszügen und Kompilationen des Werkes erhalten. Vor allem an den Universitäten Paris und Oxford war die Abhandlung sehr bald von großer Bedeutung. Hinzu kam ein späterer wichtiger Einfluss auf die italienischen Humanisten und Renaissance-Gelehrten. Bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden Teile des Werks auch ins Hebräische übersetzt und prägten so zudem den jüdischen Kulturkreis.

Aus Sicht der Theologie ist aber vor allem der Einfluss von Bedeutung, den Albertus’ Schrift Über den Menschen auf das Denken seiner Schüler hatte, allen voran auf den berühmten Thomas von Aquin, dessen Lehren bis in unsere Zeit weitgehend die offizielle Philosophie der katholischen Kirche bestimmen. Neuere Forschungen zeigen, dass wichtige Ideen, die ursprünglich dem Genie des Thomas von Aquin, Albertus’ Lieblingsschüler, zugeschrieben wurden, bereits im Werk des Lehrers angelegt sind.

Indem er den heidnischen Philosophen Aristoteles für das Christentum „salonfähig“ machte, eröffnete Albertus Magnus den westlichen Naturforschern den Zugang zur aristotelischen Naturphilosophie. Zudem verlieh er der Naturwissenschaft durch die Einbeziehung ihrer Forschungsergebnisse bei der ganzheitlichen Wahrheitssuche die ihr in der Tradition bisher fehlende Legitimation. Auf diese Weise war das Werk des Albertus Magnus vor allem auch ein Meilenstein für die Etablierung der Naturwissenschaft als eigenständige Wissensdisziplin und trug damit indirekt zu späteren wissenschaftlichen Errungenschaften des Westens bei.

Über den Autor

Albertus Magnus war der größte Gelehrte seiner Zeit. Wegen des immensen Umfangs seiner Bildung und wegen seiner zahlreichen Schriften, die praktisch das gesamte bisherige Wissen tangierten, erhielt er schon zu Lebzeiten den Beinamen „Magnus“ (der Große) und den Ehrentitel „Doctor universalis“. Albert wird um das Jahr 1200 als ältester Sohn des Grafen von Bollstädt in Lauingen an der Donau geboren. Ab 1222 weilt er zu Studienzwecken in Norditalien. 1223 wird er von Jordan von Sachsen, dem Nachfolger des Ordensgründers Dominikus, für den Eintritt in den Dominikanerorden gewonnen. Sein anschließendes Theologiestudium absolviert er wahrscheinlich in Köln. Danach lehrt er an mehreren Orten im deutschen Raum. Um 1241 wird er als erster deutscher Dominikaner vom damaligen Ordensmeister Johannes von Wildeshausen zum Promotionsstudium an die Universität von Paris geschickt. Nach seiner Promotion 1245 lehrt er für drei Jahre an der Pariser Universität. Danach kehrt er zusammen mit seinem Schüler Thomas von Aquin nach Köln zurück und beginnt im Auftrag der Dominikaner mit dem Aufbau der ersten theologisch-philosophischen Hochschule Deutschlands. Von 1257 bis 1260 lehrt Albertus Magnus in Köln. Anfang 1261 wird er von Papst Alexander IV. zum Bischof von Regensburg ernannt. Ein Jahr später legt er das Amt nieder und übt erneut Lehrtätigkeiten aus, zuerst am Hof des neuen Papstes Urban IV. und danach an verschiedenen Orten in Deutschland. 1270 betätigt er sich als Schlichter in einem Konflikt zwischen dem Erzbischof von Köln und den Kölner Bürgern. Sein letztes Lebensjahrzehnt verbringt Albertus Magnus in der Domstadt. Er stirbt am 15. November 1280 und wird in der Klosterkirche Hl. Kreuz begraben. 1931 wird er von Papst Pius XI. heiliggesprochen. Zehn Jahre später ernennt Papst Pius XII. ihn zum Schutzpatron der Naturwissenschaftler.

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