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Phänomenologie des Geistes

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Phänomenologie des Geistes

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Das vielleicht schwierigste philosophische Buch der Welt: Hegel unternimmt es darin, die verschiedenen Erscheinungsweisen des Geistes zu analysieren.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Deutscher Idealismus

Worum es geht

Die dialektische Entwicklung des menschlichen Geistes

Hegels Phänomenologie des Geistes ist kompliziert. Es ist vielleicht sogar das komplizierteste, unverständlichste Buch der ganzen Philosophiegeschichte. Hegel unternimmt auf etwa 600 Seiten den Versuch, die Erscheinungsweisen des menschlichen Geistes zu untersuchen: von Wahrnehmung über Verstand, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Vernunft, Geist und Religion bis zum "absoluten Wissen", der Philosophie. Hegel vollendete die Schrift in Jena gerade zu jener Zeit, als Napoleon sich anschickte, den Preußen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt eine vernichtende Niederlage beizubringen. Kein Wunder, dass Hegel in Napoleon den "Weltgeist zu Pferde" vorbeireiten sah. Hegels Werk ist nicht nur - neben Fichtes und Schellings - eine weitere Ausformung des deutschen Idealismus, sondern außerdem eines der bekanntesten und meistkommentierten Werke der Philosophie überhaupt. Vor allem dank des Prinzips der Dialektik: Aus einer Folge von Negationen entwickelt sich der Geist, aber auch die Wirklichkeit zu immer höheren Formen. Dies lässt sich in den kleinsten Erscheinungen der Natur ebenso beobachten wie in der Geschichte der Menschheit. Hegels Ruhm mehrte sich mit seinen Kritikern und Interpreten. Zu den bekanntesten gehört Karl Marx, der einige Elemente von Hegels Systems "vom Kopf auf die Füße" stellen wollte.

Take-aways

  • Hegels Phänomenologie des Geistes gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Werken der Philosophie des deutschen Idealismus.
  • Es geht darin um die verschiedenen Erscheinungsformen des menschlichen Geistes: Wahrnehmung, Verstand, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Vernunft, Wissen usw.
  • Am Anfang steht die sinnliche Gewissheit, die in der plumpen Gegenständlichkeit der Sinnenwelt verhaftet bleibt.
  • Die Wahrnehmung funktioniert im fortwährenden Widerstreit von Allgemeinem und Besonderem.
  • Das Selbstbewusstsein verdoppelt sich in einen "Herrn" und einen "Knecht", die gegeneinander kämpfen, aber auch aufeinander angewiesen sind.
  • Nach der Vernunft, dem Geist und der Religion erreicht der Prozess seinen Gipfel in dem "absoluten Wissen", der Philosophie.
  • All diese Erscheinungsformen des Geistes gibt es nicht nur beim einzelnen Menschen, sondern auch in der Menschheit insgesamt.
  • Hegels Methode ist die Dialektik, der Dreischritt von These und Antithese zur Synthese.
  • Doch es ist mehr als nur eine Denkmethode: Die Realität selbst gehorcht dieser Dialektik.
  • Hegels Werk zog eine lange Reihe von Interpretationen und Schulen - die so genannten Links- und Rechtshegelianer - nach sich.
  • Eine besondere Nachwirkung entwickelten Teile von Hegels System in der Interpretation von Karl Marx, der für seine eigene Philosophie Hegel "vom Kopf auf die Füße" stellte.
  • Philosophen des 20. Jahrhunderts wie Husserl, Heidegger und Sartre wurden von Hegels Phänomenologie stark beeinflusst. Heute halten manche seine Dialektik und die Idee des Weltgeistes aber für einen Irrweg.

Zusammenfassung

Die sinnliche Gewissheit

Wenn wir untersuchen wollen, wie das menschliche Bewusstsein Wissen und Erkenntnisse erlangt, müssen wir mit dem unmittelbaren Wissen beginnen. Es ist ein rein sinnliches Wissen. Was wir mit den Sinnen aufnehmen, erscheint uns grenzenlos: Wir treten in den Wald und sehen, hören, riechen, schmecken eine unbändige Vielfalt. Deshalb schenkt uns dieses Wissen die reichste Erkenntnis, denn egal wie sehr wir uns bemühen, finden wir doch keinen Anfang und kein Ende in der Fülle, die sich uns darbietet, wenn wir auf unsere Sinne vertrauen. Das unmittelbare Wissen ist wahrhaft, denn um es zu begreifen, benötigen wir kein Vorwissen. Es ist einfach da, ohne Einschränkungen und ohne Vorverständnis. Die Erkenntnis, dass etwas ist, ist der Anfang der Erkenntnis.

„Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein, als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist.“ (S. 69)

Wenn ein Gegenstand sinnlich erfahren wird, ist dieser Gegenstand selbst nicht das Einzige, das zur Erkenntnis benötigt wird. Hierfür braucht es auch ein Subjekt (z. B. eine Person), welches den Gegenstand betrachtet. Man kann auch sagen, dass sich der Gegenstand gewissermaßen verdoppelt:

  1. Er existiert "an sich", d. h. völlig unabhängig von einem Subjekt, das ihn betrachtet.
  2. Er existiert "für einen anderen", d. h. in der Beziehung zum wahrnehmenden Subjekt; hierin entfaltet er eine andere Qualität.
„Mit dem Selbstbewußtsein sind wir also nun in das einheimische Reich der Wahrheit eingetreten.“ (S. 120)

Raum und Zeit sind zwei weitere Bestandteile der sinnlichen Gewissheit. Das Sein ist an ein Hier und Jetzt gebunden. Schreibt man z. B. den Satz "Es ist Nacht" in der Nacht auf, stellt man schon am nächsten Morgen fest: Diese Wahrheit ist keine Wahrheit mehr. Der Morgen ist die Negation der Nacht. Der Satz "Es ist Nacht" wurde aber durch unser Aufschreiben "aufgehoben", d. h. er wurde aufbewahrt. Der Morgen ist so im doppelten Wortsinn die Aufhebung der Nacht.

Die Wahrnehmung

Der Gegenstand, die Zeit und der Raum sind etwas Allgemeines und besitzen damit eine höhere Wahrheit und Gültigkeit als alle Besonderheiten. Die menschliche Sprache operiert mit solchen allgemeinen Sätzen und Begriffen. Wenn wir von individuellen Gegenständen sprechen (z. B. einem Baum, einem Tier, einem Tisch usw.), bezieht sich unsere Sprache immer auf das Allgemeine. Reden wir also von einem ganz bestimmten Stuhl vor einem ganz bestimmten Tisch, so kommen wir dennoch nicht umhin, mit den Begriffen "Tisch" und "Stuhl" das Allgemeine zu meinen. Unsere Sprache ist also allgemeiner, als uns lieb ist. Das hat zur Folge, dass wir niemals wirklich genau sagen können, was wir meinen, dass wir unfähig sind, unsere konkreten sinnlichen Eindrücke auszusprechen. Allgemeinheit und Besonderheit liegen daher in einem ständigen Kampf miteinander.

„Das Verhältnis beider Selbstbewußtsein ist also so bestimmt, daß sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren. - Sie müssen in diesen Kampf gehen, denn sie müssen die Gewißheit ihrer selbst, für sich zu sein, zur Wahrheit an dem andern, und an ihnen selbst erheben.“ (S. 130)

Unser Denken gibt sich nicht mit der oben beschriebenen sinnlichen Gewissheit zufrieden. In einem weiteren Schritt kommt die Wahrnehmung zum Zug. Wortwörtlich "nehmen wir etwas als wahr" auf, d. h. wir stellen eine Beziehung her zwischen dem konkreten, sinnlich aufgenommenen Objekt und seiner allgemeinen Bedeutung. Eine Holzplatte mit vier Beinen wird in unserer Wahrnehmung zum Tisch. Die Wahrnehmung fügt der Holzplatte mit Beinen aber noch etwas hinzu: Eigenschaften. Jeder Gegenstand vereint in sich einen Widerspruch: Er ist "Sein", etwas Singuläres, das sich von anderen Gegenständen unterscheidet (der Tisch ist kein Stuhl). In unserer Wahrnehmung jedoch bekommt er Eigenschaften zugewiesen, die allgemein sind (der Tisch besteht aus dem Holz, aus dem auch der Stuhl besteht). Wir unterscheiden Dinge also durch das Bündel von Eigenschaften, die sie mit anderen Gegenständen verbinden (positiv) oder von ihnen trennen (negativ).

„Im Denken bin Ich frei, weil ich nicht in einem Andern bin, sondern schlechthin bei mir selbst bleibe, und der Gegenstand, der mir das Wesen ist, in ungetrennter Einheit mein Fürmichsein ist; und meine Bewegung in Begriffen ist eine Bewegung in mir selbst.“ (S. 137)

Aus all dem folgt: Ein Gegenstand ist zunächst "an sich". Er wird jedoch durch das betrachtende Subjekt zum "für andere" und mit allgemeinen Eigenschaften ausgestattet. Diese Eigenschaften sind eigentlich Negationen des "An-sich-Seins". Doch aus der Negation entspringt eine neue Wahrheit: Der Gegenstand ist "für sich". Erst jetzt kann er gedacht werden und wird im nächsten Erkenntnisschritt ein Begriff mit Eigenschaften. Dieses Wechselspiel von "Sein" und dessen Negation (die Dialektik) ist gewissermaßen strukturell bedingt: Die Verneinung gehört zum Erfassen des wahren Wesens der Dinge dazu.

Kraft und Verstand

Auch mit der Wahrnehmung begnügen wir uns nicht. Eine weitere, dritte Erkenntnisform schaltet sich ein: der Verstand. Während die sinnliche Gewissheit einen Gegenstand in seiner Ganzheit erfasst und die Wahrnehmung ihn in Eigenschaften aufgliedert, ist es die Aufgabe des Verstandes, hieraus einen Begriff zu machen. Das bedeutet, der Verstand bringt Ordnung in die Vielheit der Eigenschaften und "denkt den Begriff". Der Verstand muss das Ding hinter den Eigenschaften erkennen, um sich einen Begriff davon machen zu können.

„Damit daß das Selbstbewußtsein Vernunft ist, schlägt sein bisher negatives Verhältnis zu dem Anderssein in ein positives um.“ (S. 157)

Als Kategorie, also als Muster der Erkenntnis, wirkt die Kraft. Sie ist es, die das Innere der Gegenstände ausmacht. Kraft ist eigentlich stets doppelt vorhanden: als Kraft und Gegenkraft, die sich wechselseitig beeinflussen und miteinander um die Wette schwingen. Erfassen und durchschauen kann die Kraft und ihre Gesetze nur der Verstand.

Das verdoppelte Selbstbewusstsein

Wenn unser Verstand hinter die sinnliche Welt blickt und die Kraft dahinter entdeckt (wenn er z. B. die Schwerkraft erkennt, die den Apfel vom Baum fallen lässt, oder die elektrische Dysbalance in den Wolken, die zu einem Gewitter führt), hat er etwas Entscheidendes gewonnen: Unser Verstand weiß um sein Wissen. Er wird zum Selbstbewusstsein, zum Wissen um sich selbst. Dies ist die vierte Ebene des Geistes. Das Selbstbewusstsein wird angetrieben von der Begierde. Wir empfinden beispielsweise die Begierde nach Nahrungsaufnahme, wenn wir hungrig sind, oder die Begierde, Neues zu entdecken, weil wir neugierig sind. Es kommt dann im Menschen zu einer Verdopplung des Selbstbewusstseins. Das eine Selbstbewusstsein ist sich selbst genug, es will nur reines Selbstbewusstsein sein und sich nicht von den Dingen der Welt ablenken lassen. Das andere Selbstbewusstsein strebt sozusagen hinaus in die Welt und will von anderem Selbstbewusstsein anerkannt sein.

„Die Vernunft ist die Gewißheit des Bewußtseins, alle Realität zu sein: so spricht der Idealismus ihren Begriff aus.“ (S. 158)

Die beiden können auch als Herr und Knecht bezeichnet werden. Nur im Kampf miteinander können sich die beiden als wahrhaftig erkennen - in Abgrenzung zum jeweils anderen. Sollte der Kampf im Tod des einen enden, hat der andere nicht obsiegt. Im Gegenteil: Der Tod des einen ist auch der Verlust des "Abgrenzungspartners" des anderen. Dieser Verlust wiegt schwer für die Selbstbestimmung des Überlebenden, weil er sich nicht mehr durch die Konfrontation mit dem anderen fortentwickeln kann. Der Herr benötigt den Knecht, um mit den Dingen in Kontakt zu treten. Der Knecht ist das "arbeitende Bewusstsein", das zunächst unselbstständig ist und dem Herrn nur als "Zulieferer" dient, aber durch die Arbeit selbstständig wird, sich selbst kennenlernt und zu sich selbst findet.

Das unglückliche Bewusstsein

Das große Problem des Selbstbewusstseins ist es, seine Einheit zu finden. Denn die beiden Teile des Selbstbewusstseins sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert: Der Herr ist reines denkendes Bewusstsein. Deswegen ist er uneingeschränkt frei. Das knechtische Selbstbewusstsein hingegen ist auf die Welt ausgerichtet - und erlebt hier eine Täuschung und Enttäuschung nach der anderen. Es irrt in der Welt umher, die sich ständig verändert und kann keine wirkliche, bleibende Wahrheit finden. Es ertrinkt in Negationen und erlebt einen Widerspruch zwischen der Vergänglichkeit der einzelnen Erscheinungen und der Unvergänglichkeit des Begriffs, den es sich daraus macht, einen Widerspruch zwischen Besonderheit und Allgemeinheit. Das Bewusstsein wird angesichts dieser Zersplitterung zum gespaltenen, unglücklichen Bewusstsein. Erst durch das Wirken der Vernunft kann diese unbefriedigende Situation auf eine höhere Stufe geführt werden: indem nämlich die Vernunft erkennt, dass die Zerrissenheit zur Einheit dazugehört und dass die Welt nicht durch die einzelnen Erscheinungen, sondern durch das Denken bestimmt wird.

Die Vernunft

Die Vernunft als fünfte Ebene reißt gewissermaßen das Ruder herum. Sie erklärt das Bewusstsein zum Ursprung aller Realität. Das Sein wird folglich durch das Bewusstsein bestimmt. Damit die Vernunft sich aber ihrer selbst vollends bewusst werden kann, muss sie auf "Expeditionsreise" in die Welt gehen. Sie nimmt alles wahr und sucht nach dem Allgemeinen in den Erscheinungen, nach den Begriffen und Gesetzen (z. B. der Gravitation) in der anorganischen und nach Zwecken und Zielen in der organischen Natur. Im Selbstbewusstsein und der menschlichen Psychologie entdeckt die Vernunft einen Mechanismus der Negation: Der menschliche Geist kann sich an äußere Umstände anpassen (dann negiert er sich selbst) oder gegen die Umstände aufbegehren (dann negiert er die vorgefundene Wirklichkeit). Das menschliche Individuum, so findet die Vernunft weiter heraus, ist gleichermaßen "an sich", weil es als menschliches Wesen in der Welt existiert, aber es ist auch "für sich", weil es autonom handeln kann - letztlich ist es also "an und für sich". Äußere Handlungen und innere Beweggründe können sich entsprechen, sie müssen es aber nicht. Geist und Bewusstsein sind gleichermaßen zu Hohem und Niedrigem fähig, so wie das menschliche Geschlechtsorgan zum höchsten Akt der Zeugung wie zum niederen Akt des Urinierens fähig ist.

„Das Tiefe, das der Geist von innen heraus, aber nur bis in sein vorstellendes Bewußtsein treibt und es in diesem stehen läßt - und die Unwissenheit dieses Bewußtseins, was das ist, was es sagt, ist dieselbe Verknüpfung des Hohen und Niedrigen, welche an dem Lebendigen die Natur in der Verknüpfung des Organs seiner höchsten Vollendung, des Organs der Zeugung, - und des Organs des Pissens naiv ausdrückt.“ (S. 232 f.)

Das gespaltene, unglückliche Selbstbewusstsein erlebt eine Art Erlösung in der Begegnung mit dem Selbstbewusstsein anderer Individuen. Die Krönung erreicht dieser Prozess im Zusammenleben eines Volkes und in der Sittlichkeit. Hier arbeitet jedes Individuum gleichermaßen für sich selbst und für das Volk bzw. die anderen Individuen. Die Zerrissenheit zwischen Allgemeinem und Individuellem löst sich auf.

Der Geist

Weil der Einzelne im Volk aufgeht, seine Individualität mit der Allgemeinheit vermischt und nur hierdurch zu wahrer Individualität gelangt, erkennen wir im Volk das Wirken des Geistes. Der Geist ist der Ausgangspunkt aller Tätigkeiten des Volkes.

„In einem freien Volke ist darum in Wahrheit die Vernunft verwirklicht; sie ist gegenwärtiger lebendiger Geist, worin das Individuum seine Bestimmung, das heißt, sein allgemeines und einzelnes Wesen, nicht nur ausgesprochen und als Dingheit vorhanden findet, sondern selbst dieses Wesen ist, und seine Bestimmung auch erreicht hat.“ (S. 236)

Zwei Gesetze beginnen sich zu widersprechen: das göttliche Gesetz, das sich in der Familie ausdrückt, und das menschliche Gesetz, das sich im Werden und Wirken des Staates manifestiert. Aus diesem Gegensatz bricht nun der alte Kampf zwischen Individualität und Allgemeinheit wieder aus, der aber notwendig ist, damit sich eine neue dialektische Bewegung in die Höhe schrauben kann. So entsteht der Rechtszustand. Der Geist fühlt sich jedoch in diesem Zustand von sich selbst entfremdet und versucht, diesen sich auftuenden Konflikt durch Bildung zu mildern. Aber vergeblich: Er muss erkennen, dass auch Bildung nicht der Weisheit letzter Schluss ist, denn sie ist ambivalent - ebenso wie beispielsweise der Staat oder der Reichtum, die beide gut oder schlecht, edelmütig oder niederträchtig sein können.

Religion und absolutes Wissen

Nun erscheinen der Glaube und die "reine Einsicht" auf dem Kampfplatz. Obwohl sie dem gleichen Bewusstsein entstammen, wirft die Einsicht, mit anderen Worten: die Aufklärung, dem Glauben vor, Aberglaube zu sein. Nach einem hitzigen Gefecht sinkt der Glaube besiegt in die Knie, und die Aufklärung beginnt mit sich selbst uneins zu werden: Das Selbstbewusstsein streift die Zügel des Glaubens ab und will die unbedingte Freiheit durchsetzen - was jedoch daran scheitert, dass sich Freiheit und Gleichheit nur mit Gewalt durchsetzen lassen und sich in die Terrorherrschaft Einzelner verwandeln, wie die Französische Revolution gezeigt hat. Verzichtet das Selbstbewusstsein aber trotz seiner vollkommenen Freiheit auf Gewalt, kann Moral entstehen. Es kann sich ein Gewissen bilden. Doch auch das Gewissen entzweit sich wieder in einem neuen dialektischen Prozess. Versöhnen sich die beiden widerstrebenden Teile des Gewissens, kann hieraus der Geist entstehen - in Gestalt der Religion. Dies geschieht wieder in verschiedenen Stufen: Auf die natürlichen Religionen (z. B. die Verehrung der Lichtwesen des Orients oder Tierreligionen) folgen die Kunstreligionen (z. B. in der Inszenierung von Kulten, Mysterienspielen und Tragödien) und schließlich die offenbare Religion, in der die Menschwerdung Gottes geschieht. Erkennt der Geist zu guter Letzt sich selbst, "weiß" er sich, ist das absolute Wissen erreicht: die Philosophie.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Aufbau von Hegels Phänomenologie folgt den verschiedenen Erscheinungsformen des Geistes - als Sinnlichkeit, Wahrnehmung, Verstand, Vernunft, Geist usw. - in insgesamt acht Kapiteln. Die umfangreiche Vorrede wurde erst nach der Fertigstellung des Werkes verfasst und bietet einen Überblick über Hegels Gesamtphilosophie. Stilistisch wie inhaltlich ist Hegels Schrift schwere Kost. Kein Wunder, dass man bei den Auslegungen, die man über Hegels Werk liest, den Eindruck bekommt, dass jeder Interpret von einem anderen Buch spricht. Hegels Sprache ist geschraubt, an vielen Stellen dunkel, an anderen verstellen allzu expressive Vergleiche die Sicht auf den Kern seiner Abhandlung. Mitunter verwendet er seine Begriffe uneinheitlich, und das umherflirrende "an-sich-sein", "für-sich-sein" und "für-andere-sein" stellt den Leser auf eine harte Geduldsprobe. Lange Schachtelsätze und nicht eindeutige Bezüge (oft beginnen Sätze und Abschnitte mit einem "Dieses" oder "Dieser", wobei nicht ganz klar ist, worauf es sich bezieht) sowie Begriffe, die Hegel plötzlich aus dem Hut zaubert, erschweren die Lektüre zusätzlich. Dieses vielleicht schwierigste Buch der gesamten Philosophiegeschichte erfordert bei jedem einzelnen Satz hellwache Aufmerksamkeit und unbedingtes Durchhaltevermögen - sonst wird man an Hegel mit Sicherheit scheitern.

Interpretationsansätze

  • Das Wort "Phänomenologie" leitet sich aus den griechischen Wörtern "phainomenon" (= Erscheinung) und "logos" (= Wort, Lehre) ab. Es handelt sich bei Hegels Phänomenologie also um den Versuch, die Erscheinungsweisen des Geistes systematisch zu beschreiben.
  • Wichtigstes Element von Hegels Philosophie ist die Dialektik. Sie wird meist mit den Schlagwörtern "These - Antithese - Synthese" beschrieben. Allerdings wäre es falsch, unter Synthese einen Kompromiss zu verstehen. Es handelt sich bei der Dialektik eher um eine doppelte Verneinung: Ein Zustand (These) wird verneint (Antithese). In einem weiteren Schritt wird auch die Verneinung verneint und der Ursprung wird wiederhergestellt, allerdings mit einer neuen Qualität versehen (Synthese). Die doppelte Negation bewirkt also eine Höherentwicklung.
  • Die Dialektik ist für Hegel nicht nur eine Denkmethode, sondern geradezu das Prinzip, dem auch die Realität gehorcht, z. B. die historische Entwicklung der Menschheit. Dies wird von Hegel-Kritikern allerdings oft bestritten. Immerhin ist das Prinzip der Dialektik so elegant, dass es auch heute noch häufig verwendet wird.
  • Hegels Philosophie ist teleologisch (vom griechischen "telos" = Ziel), sie ist eine Lehre von der zielgerichteten Entwicklung des Geistes. Dies widerspricht der Auffassung der Naturwissenschaften, die von einer kausalen Entwicklung (aus A folgt B) ausgehen. Hegel war zeitlebens nicht an den Naturwissenschaften interessiert. Einmal auf den Widerspruch zwischen empirischer Wirklichkeit und seiner Theorie angesprochen, antwortete er trocken: "Umso schlimmer für die Wirklichkeit!"
  • Zu den bekanntesten Stellen in Hegels Phänomenologie gehört der Abschnitt über das in Herr und Knecht gespaltene Selbstbewusstsein. Hegel weist den beiden Teilen die Eigenschaften zweier antiker Philosophieschulen zu, derjenigen der Stoiker (Herr) und der Skeptiker (Knecht). Diese Schlüsselstelle zeigt, dass Hegel die Entwicklung des Geistes nicht nur individualpsychologisch, sondern immer auch menschheitsgeschichtlich betrachtet.

Historischer Hintergrund

Der deutsche Idealismus

Deutschland ist das Vaterland des Idealismus, einer Lehre, die sich ausschließlich auf den Geist als Quelle der Wirklichkeit stützte und die zwischen 1780 und 1830 die bestimmende Philosophierichtung wurde. Dadurch dass der Idealismus den Geist als Primat der Welt anerkennt, wendet er sich gegen Philosophien wie beispielsweise den Materialismus, der die Materie als bestimmenden Faktor betrachtet, oder gegen den Empirismus, der die Welt aus den sinnlich wahrnehmbaren Tatsachen erklärt. Ein wichtiger Vorläufer des Idealismus war Immanuel Kant, der zu der Einsicht kam, dass unser Erkenntnisprozess eher subjektiv als objektiv verläuft, dass unsere Erkenntnis von den - eingeschränkten - Möglichkeiten unseres Erkenntnisapparates abhängt. Dieser "kritische Idealismus" wurde von drei großen deutschen Philosophen immer weiter verfeinert und verändert: Johann Gottlieb Fichte prägte den "subjektiven Idealismus" und trieb Kants Aussagen auf die Spitze: Die gesamte Wirklichkeit wird zur Schöpfung des Ich. Friedrich Schelling mit seinem "objektiven Idealismus" vermutete eine vom Menschen vollkommen unabhängige geistige Kraft, die er Gott nannte. Hegel schließlich setzte der Idealismusbewegung die Krone auf: In seinem "absoluten Idealismus" sind Geist und Materie schlicht identisch und - gemäß seiner dialektischen Entwicklungslehre - gleichzeitig nicht identisch. Heute gibt es Stimmen, die meinen, der Idealismus sei eine einzige große Verirrung gewesen.

Entstehung

Bereits nach seiner ersten Veröffentlichung über die Philosophien Fichtes und Schellings plante Hegel eine Schrift über Logik und Metaphysik. Die von ihm mehrmals angekündigte Realisierung dieses Werkes hat vermutlich nicht vor 1805 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Hegel bereits in Jena, wo er sich habilitieren wollte. Ihm schwebte vor, ein umfangreiches Werk mit dem Titel System der Wissenschaft zu veröffentlichen. Im Februar 1806 landeten die Bögen eines ersten Teils, der den Titel Phänomenologie des Geistes trug, bei Hegels Verleger in Bamberg, zugleich mit einer Bitte des Verfassers um eine Vorauszahlung. Vollendet wurde das Werk in der Nacht zum 14. Oktober 1806, einem politisch brisanten Tag, an dem Napoleon in unmittelbarer Nähe der Stadt Jena zum Vernichtungsschlag gegen Preußen ausholte. Hegels Phänomenologie geriet immer umfangreicher, und in einem Brief an Schelling, datiert vom 1. Mai 1807, gab er offen zu: "Das Hineinarbeiten in das Detail hat, wie ich fühle, dem Ueberblick des Ganzen geschadet; dieses aber selbst ist, seiner Natur nach, ein so verschränktes Herüber- und Hinübergehen, daß es selbst, wenn es besser herausgehoben wäre, mich noch viele Zeit kosten würde, bis es klarer und fertiger dastünde." Im Januar 1807 sandte Hegel als letzten Teil die Vorrede an seinen Verleger. Das Buch erschien Anfang April. Schon kurz nach der Veröffentlichung drückte Hegel den Wunsch aus, "das Schiff hier und da noch vom Ballaste säubern und flotter machen" zu wollen.

Wirkungsgeschichte

Hegel entwickelte sich zu einem Giganten der Philosophie. Kein Philosoph nach ihm nahm eine ähnlich beherrschende Stellung ein. Das lag auch an den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, die sich nach Hegels Tod im Jahr 1831 ereigneten: Industrialisierung, Aufstand gegen die Monarchie, Revolutionen und der Aufstieg der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen schmälerten den Einfluss der nachhegelianischen Philosophie. So einflussreich Hegel war, so heftig wurde er auch von manchen angefeindet, z. B. von Arthur Schopenhauer: "Hegel, von oben herunter zum großen Philosophen gestempelt, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, wodurch ein so völliger Chorus der Bewunderung entstand, wie man ihn nie zuvor vernommen hatte."

Hegels Schüler, die so genannten Hegelianer, spalteten sich in zwei größere Gruppierungen. Die Rechts- oder Althegelianer rekrutierten sich aus dem bürgerlichen und konservativen Lager und unterschieden sich von den Links- oder Junghegelianern am deutlichsten in ihrer Interpretation der Religionsphilosophie. Sie sahen in Hegel den Vollender der christlichen Philosophie und wollten seine Lehre für die Theologie fruchtbar machen. Die Links- oder Junghegelianer sahen in Hegels System dagegen ein pantheistisches oder gar atheistisches Weltbild. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Gruppe gehören Ludwig Feuerbach und Karl Marx. Feuerbach verwandelte Theologie (Lehre von Gott) in Anthropologie (Lehre vom Menschen), indem er Gott als menschliche Projektion und als menschliches Idealbild beschrieb. Marx griff sich einige Elemente des Hegel-Universums heraus, befreite sie von ihrem vergeistigten Muff und stellte sie "vom Kopf auf die Füße": Nicht der Geist, sondern die materiellen Bedingungen bestimmen demnach in erster Linie unser Leben. Die Hegel'sche Dialektik stand auch Pate für den marxistischen Geschichtsdeterminismus mit seiner Abfolge von Klassenkämpfen. Eine umfassende Kritik erfuhr Hegels Lehre von den Existenzphilosophen, namentlich von Sören Kierkegaard. Philosophen des 20. Jahrhunderts wie Edmund Husserl, Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre wurden von Hegel stark beeinflusst.

Über den Autor

Georg Wilhelm Friedrich Hegel wird am 27. August 1770 in Stuttgart geboren. Der pietistische, strenggläubige Vater sieht für seinen Sohn eine theologische Ausbildung vor. Nach der Lateinschule wechselt der junge Hegel ans Stuttgarter Gymnasium. Er ist ein ausgezeichneter Schüler. 1788 tritt er ins Tübinger Stift ein. Fünf Jahre studiert er hier Theologie und Philosophie, schließt Freundschaft mit Friedrich Hölderlin und Friedrich Schelling und genießt das Studentenleben. Am Ende des Studiums steht seine Entscheidung: Er will kein Priester werden. Während Kollege und Freund Schelling schnell reüssiert und mit 23 Jahren schon eine Professorenstelle erhält, plagt sich Hegel ab 1793 als Privatlehrer in Bern und anschließend in Frankfurt/Main. 1801 kommt er nach Jena, wo Schelling und später auch Goethe seiner Karriere auf die Sprünge helfen. 1805 erhält er seine erste unbesoldete Professur in Jena, die sich nur aus Hörergeldern speist. In Jena erblicken sowohl die Phänomenologie des Geistes als auch sein unehelicher Sohn das Licht der Welt. Nach dem Einmarsch der Franzosen flieht Hegel aus Jena. Sein Weg führt über Bamberg nach Nürnberg, wo er die Leitung des Ägidiengymnasiums übernimmt. Hier erscheint sein Werk Die Wissenschaft der Logik (1812-1816). 1811 heiratet er Marie von Tucher, mit der er drei Söhne hat. Eine weitere Durchgangsstation zum großen Durchbruch stellt Heidelberg dar: 1816 nimmt er an der dortigen Universität die Professur für Philosophie an und veröffentlicht die Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817). Schließlich folgt er Fichte auf den Lehrstuhl an der Humboldt-Universität zu Berlin. Hier avanciert er zum "preußischen Staatsphilosophen" und hält Vorlesungen in überfüllten Hörsälen. Sein Ruf breitet sich in ganz Europa aus. Hegel stirbt am 14. November 1831 in Berlin an der damals dort grassierenden Cholera.

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