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Jedermann

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Jedermann

Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes

Insel Verlag,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Moralisches Stück mit stets aktuellem Anspruch: Hofmannsthals Spiel vom Sterben des reichen Mannes hält jedem Mann und jeder Frau den Spiegel vor.

Literatur­klassiker

  • Drama
  • Fin de siècle

Worum es geht

Ein Volksstück mit Moral

Der Jedermann ist bei den Salzburger Festspielen eine echte Institution: Alle Jahre wieder eröffnet das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ vor der barocken Kulisse des Salzburger Doms das Theater- und Musikfestival. Besucher reißen sich um die Karten und die berühmtesten deutschsprachigen Schauspieler um die Rollen – und das, obwohl das Stück von der Kritik immer wieder als volkstümlich und rührselig, verlogen und naiv verspottet wurde. In der Tat, subtile Aussagen sucht man darin vergeblich, dafür hat es pfundweise Moral: Der reiche Jedermann führt ein frevelhaftes Leben und soll vor Gottes Gericht geführt werden. In seiner Todesstunde verlassen ihn Geliebte, Freunde und Verwandte und er erkennt, dass alle materiellen Güter vergänglich sind. In letzter Minute findet er zum Glauben, bereut seine Sünden und wird durch die Gnade Gottes gerettet. Man sieht der Handlung an, dass aus dem Mittelalter überlieferte Formen des religiösen Mysterienspiels als Vorlage dienten. Hofmannsthal wollte diese wieder zum Leben erwecken, weil er in der Geschichte von Jedermann eine allgemeingültige, zeitlose Wahrheit vermutete. Tatsächlich ist es den Theaterregisseuren in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, das Stück zu entstauben und seine Botschaft einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Take-aways

  • Hugo von Hofmannsthals Drama Jedermann, das Jahr für Jahr die Salzburger Festspiele eröffnet, ist eines der populärsten Theaterstücke des 20. Jahrhunderts.
  • Ziel dieses so genannten Mysterienspiels ist es, den Zuschauern mithilfe allegorischer Figuren eine moralische Lehre zu erteilen.
  • Gott im Himmel ist erzürnt über die Schlechtigkeit der Menschen und bittet den Tod, ihm unverzüglich den reichen Frevler Jedermann zu bringen.
  • Dieser ahnt nichts von seinem nahen Ende und frönt weiter seinem sündhaften Leben.
  • Er prahlt mit seinem Reichtum, ist geizig den Armen gegenüber, verweigert einem Schuldner Barmherzigkeit und gibt sich der Wollust und Prasserei hin.
  • Als der Tod ihn holen kommt, machen sich Freunde, Verwandte und Knechte aus dem Staub.
  • Sogar Mammon, die Personifizierung des Geldes, weigert sich, mit ihm zu gehen. Schließlich seien ihm alle materiellen Güter nur für das Diesseits geliehen worden.
  • Erst seine Werke und deren Schwester, der Glaube, können Jedermann zur Umkehr bewegen. Er bereut seine Sünden und bekennt sich zum Christentum.
  • Der Teufel taucht auf und erkennt erbost, dass ihm der perfekte Sünder vor der Nase weggeschnappt wurde. Jedermann stirbt und seine Seele fährt in den Himmel auf.
  • Hofmannsthal setzte mit dem mittelalterlichen Mysterienspiel Jedermann bewusst ein Gegengewicht zu dekadenten künstlerischen Strömungen in seiner Heimatstadt Wien.
  • Er wollte zu den sinnlichen und moralischen Ursprüngen des Theaters zurückkehren und dem deutschen Volk seine verschütteten Kulturschätze wieder zugänglich machen.
  • Das 1911 in Berlin uraufgeführte Stück war ein großer Publikumserfolg. Kritiker warfen ihm jedoch immer wieder Naivität und Verlogenheit vor.

Zusammenfassung

Im Himmel und auf Erden

Der Spielansager tritt vor das Publikum und kündigt ein Stück an, das den Menschen eine Lehre sein soll. Kurz darauf erscheint Gott auf seinem Thron im Himmel und beklagt die Verdorbenheit der Menschen: Wie die Tiere lebten sie einzig für irdische Vergnügen, als hätten sie vergessen, dass Christus für sie am Kreuz sein Blut vergossen hat. Er ruft den Tod herbei und bittet ihn, Jedermann zu ihm zu bringen. Auf Erden tritt Jedermann gerade aus seinem stattlichen Haus. Feist und zufrieden preist er seine Reichtümer und beauftragt seinen Koch, für den kommenden Tag ein rauschendes Festmahl für eine Gruppe von Gästen vorzubereiten. Dann befiehlt er seinem Knecht, ihm ein prall gefülltes Geldsäckchen zu bringen. Jedermann möchte sich gemeinsam mit seinem Gesellen ein Grundstück vor den Stadttoren ansehen, das er in einen Lustgarten verwandeln will. Gerade als sie sich auf den Weg machen wollen, tritt Jedermanns armer Nachbar auf sie zu und bittet um eine Gabe. Der reiche Gutsherr versucht, ihn mit einer kleinen Münze abzuspeisen. Doch damit ist dem armen Mann nicht geholfen. Er bittet seinen Nachbarn stattdessen, den Geldbeutel mit ihm zu teilen. Jedermann ist entrüstet. Wo käme er da hin? Hunderttausend Bettler hätte er auf dem Hals, wenn er sich dieses Mal weichklopfen ließe. Wenn er jedem bedürftigen Christen im Land nur einen Schilling gäbe, wäre er sein sauer verdientes Vermögen von heute auf morgen los! Mit einer großmütigen Geste bietet Jedermann seinem Nachbarn noch einmal die kümmerliche Münze an. Dieser nimmt sie und geht.

Erste Mahnung

Kurz darauf kommen ihm ein von zwei Bütteln festgehaltener Schuldknecht mit seiner in Lumpen gekleideten Frau und den Kindern entgegen. Der Schuldknecht kann Jedermann seine Schulden nicht zurückzahlen und soll deshalb in den Schuldturm geworfen werden. Jedermann und sein Geselle verspotten ihn. Doch der Schuldknecht entgegnet, dass so mancher sein Schuldbuch nicht in Ordnung habe – womit er auf Jedermanns Schuld vor Gott anspielt. Der Gescholtene aber wäscht seine Hände in Unschuld. Ob es etwa sein Problem sei, dass der Mann nicht mit Geld umgehen könne? Auch als Jedermann von der Frau vor dem Gericht Gottes gewarnt wird, lässt ihn das kalt. Stattdessen singt er ein Loblied auf den Mammon und behauptet, dass Wohlstand und Glaube nichts miteinander zu tun hätten. Allerdings rührt ihn am Ende die Not der Frau und er trägt seinem Gesellen auf, für sie und ihre Kinder eine Unterkunft zu suchen. Er wolle für ihr Auskommen sorgen.

„Fürwahr mag länger das nit ertragen, / Daß alle Kreatur gegen mich / Ihr Herz verhärtet böslich, / Daß sie ohn einige Furcht vor mir / Schmählicher hinleben als das Getier.“ (Gott, S. 13)

Für die Fahrt zu dem Gartengrundstück ist es nun zu spät. Jedermann schickt darum seinen Gesellen, den Kauf für ihn zu erledigen. Der geplante Lustgarten schwebt ihm als kleines Paradies vor, das ihm als Zuflucht vor den Mühen des Alltags dienen soll: Das Lusthaus soll einen offenen, von Säulen eingerahmten Altar erhalten, ein Badehaus soll nasses Vergnügen spenden und süßer, verführerischer Blumengeruch den Garten erfüllen.

Zweite Mahnung

Jedermann wird erneut aus seinen weltlichen Träumen und Geschäften gerissen. Diesmal ist es seine Mutter, die sich wegen der mangelnden Gottesfurcht ihres Sohnes Sorgen macht. Doch dieser ist der Ansicht, dass die Kirche es ohnehin nur auf sein Geld abgesehen habe. Die Rede der Mutter von der Allgegenwärtigkeit des Todes wischt er beiseite: Mit seinen 40 Jahren fühle er sich jung und frisch, für Buße und Einkehr bleibe ihm später noch Zeit genug. Seine Mutter lässt jedoch nicht locker. Vor allem die Frauengeschichten ihres Sohnes kann sie nicht akzeptieren. Sie erinnert ihn an das heilige Sakrament der Ehe und ringt ihm ein eher halbherziges Versprechen ab, dass er sich darüber Gedanken machen wolle. Die Mutter ist erleichtert und verabschiedet sich, überzeugt, dass sie bald sterben wird. Denn ihr ist, als höre sie ein Geräusch „gar schön wie Flöten und Schalmein“, das sie an ihren nahenden Tod erinnert. Einen Moment lang vernimmt auch Jedermann diese beunruhigenden Töne.

Der Tod kommt zum Gastmahl

Doch dann taucht seine Buhlschaft (Geliebte) mit einem Zug von Spielleuten auf. Sie ist zu ihm gekommen, weil er nicht zur verabredeten Zeit an ihrem Treffpunkt erschienen ist. Jedermann ist erleichtert, mit den Spielleuten eine einfache Erklärung für die Musik gefunden zu haben. Er vergewissert sich mehrmals der Liebe seiner Buhlschaft, kann aber seine melancholische Stimmung und die böse Vorahnung, die er kurz zuvor gehabt hat, nicht verbergen. Seine Geliebte versucht, ihn auf andere Gedanken zu bringen: Der Tod sei wie eine böse Schlange, die nicht geweckt werden sollte. Jedermann stimmt ihr zu und gelobt, von nun an nur noch an zwei ganz besondere Schlangen zu denken: ihre Arme, von denen er umschlungen werden möchte. Sie küsst ihn und setzt ihm einen Blumenkranz auf.

„Mein Geld muß für mich werken und laufen, / Mit Tod und Teufel hart sich raufen, / Weit reisen und auf Zins ausliegen, / Damit ich soll, was mir zusteht, kriegen.“ (Jedermann, S. 20)

Um einen reich gedeckten Tisch tänzeln wohlgelaunt 20 Männer und Frauen. Jedermann heißt die Gesellschaft willkommen. Doch im Grunde macht sie ihm Angst: Es kommt ihm vor, als säßen die Menschen im Totenhemd vor ihm. Missmutig behauptet er, dass er sie alle nach Belieben kaufen und wieder verkaufen könnte, und seine Geliebte fragt er unvermittelt, ob sie ihm auch in den Tod folgen würde. Die so Angesprochenen sind bestürzt und beraten, wie sie Jedermanns Melancholie beikommen können. Sein Vetter schlägt vor, ihm mit Wein das Hirn „aufzudunsen“, andere wollen es mit magischen Steinen versuchen. Schließlich stimmen sie alle in ein närrisches Liedchen ein. Jedermann hat inzwischen einen Becher Glühwein getrunken. Seine Laune hat sich etwas gebessert. Er heißt die Gäste freundlich willkommen und bittet seinen Vetter, etwas für ihn zu singen. Dieser beginnt einen Gesang über den „kalten Schnee“, der vor lauter Liebesglut zerrinnen müsse – als ein dumpfes Glockenläuten ertönt. Jedermann horcht auf. Seine Gäste aber hören nichts und albern weiter. Anschließend rufen Stimmen von überall her: „Jedermann! Jedermann! Jedermann!“ Der Geselle erscheint, und auch er hört weder Glocken noch Stimmen. Verwirrt nimmt Jedermann sich vor, am nächsten Morgen einen Arzt aufzusuchen. Doch da tritt schon der Tod auf die Bühne. Er sei gekommen, Jedermann vor Gottes Gericht zu führen.

Von allen Menschen verlassen

Die meisten Gäste flüchten. Jedermann bittet den Tod verzweifelt darum, zunächst sein Schuldbuch in Ordnung bringen zu dürfen. Dieser kennt kein Erbarmen und verweigert ihm den Aufschub; schließlich gibt er dem Flehen aber doch nach und lässt dem Todeskandidaten eine Stunde Zeit, um einen Gefährten für seine Reise zu finden. Als Erstes wendet sich Jedermann an seinen besten Freund, den Gesellen. Dieser verspricht ihm erst, ihm überallhin zu folgen und alles für ihn zu tun. Als ihm aber dämmert, dass sein Freund ihn mit in den Tod nehmen will, weicht er zurück. Nie mehr auf die Erde zurückkehren, bis zum Jüngsten Tag? Das sei doch etwas zu viel verlangt. Er flieht und lässt Jedermann mit der Erkenntnis zurück, dass im entscheidenden Moment auf die besten Freunde kein Verlass ist.

„So könnte ich euch alle kaufen / Und wiederum verkaufen auch, / Daß es mir nit so nahe ging, / Als eines Fingernagels Bruch.“ (Jedermann, S. 43)

Als Nächstes sind seine Vettern an der Reihe. Diese beschwören wortreich das unverwüstliche Band der Blutsverwandtschaft. Doch als sie von Jedermanns Absicht erfahren, wenden sie sich mitleidlos ab. Im Gehen ruft ihm der eine Vetter noch zu, er könne ja dessen ebenso reisefreudige wie garstige Frau mit in den Tod nehmen – die sei er ohnehin leid. Der andere Vetter tadelt Jedermann für seinen Versuch, die liebe Verwandtschaft mit in den Tod zu reißen. Wozu habe er denn eine ganze Schar von Leibeigenen? Jedermann zweifelt, dass seine jahrelang von ihm geschundenen Knechte vor Gott Fürsprache für ihn einlegen würden. Mangels Alternativen befiehlt er ihnen dann doch, die Truhe mit seinen Reichtümern herbeizuholen und sich auf eine lange Reise vorzubereiten.

Das letzte Stündlein hat geschlagen

Jedermanns Zeit ist fast um, im Hintergrund erscheint der Tod wieder. Als die Knechte ihn erkennen, lassen sie die Geldtruhe stehen und fliehen. Jedermann wirft sich verzweifelt auf sie und gelobt, nicht ohne sein Hab und Gut zu gehen, das Letzte, was ihm auf Erden geblieben sei. Die Truhe springt auf und Mammon erhebt sich über ihm. Zunächst erkennt Jedermann ihn nicht. Als er erfährt, wen er vor sich hat, besteht er darauf, ihn mitzunehmen. Doch Mammon hat nur Hohn und Spott für ihn übrig: Jedermann sei der Illusion erlegen, über sein Geld jederzeit verfügen zu können. In Wahrheit aber habe er, Mammon, Jedermann beherrscht und ihn an der Nase herumgeführt. Der Reichtum auf Erden sei ihm nur geliehen worden und ins Grab werde er so nackt wie ein Neugeborenes gehen. Mit diesen Worten taucht Mammon wieder ab und die Truhe schnappt zu.

„Ich bin der Tod, ich scheu keinen Mann, / Tret jeglichen an und verschone keinen.“ (Tod, S. 55)

Jedermann bleibt schweigend zurück. Da erscheinen Jedermanns Werke in Gestalt einer kranken Frau, schwach und gebrechlich aufs Krankenlager ausgestreckt, und rufen leise seinen Namen. Jedermann fürchtet erst, seine Mutter vor sich zu haben. Dann glaubt er, es handele sich nur um ein altes, krankes Weib, und wendet sich ungeduldig ab. Doch seine Werke geben sich als seine Wohltaten zu erkennen. Sie bitten ihn, sie mit auf die Reise zu nehmen. Der Todgeweihte bleibt misstrauisch, denn er traut seinen eigenen guten Werken nicht zu, ihn vor Gott angemessen vertreten zu können. Schließlich aber schaut er genauer hin und erkennt hinter dem bleichen, verhärmten Gesicht der Kranken eine unbekannte Schönheit. Die Werke gewinnen langsam an Kraft und richten sich auf ihren Krücken auf. Sie erklären Jedermann, dass sie ihm immer nahe gewesen seien. Er aber sei vom Glanz irdischer Güter und Leidenschaften so geblendet gewesen, dass er sie kaum beachtet habe. Jedermann fleht die Werke an, ihm zu helfen. Doch sie sind zu schwach, um sich aus eigener Kraft fortzubewegen. Sie raten ihm, sich an ihre Schwester Glaube zu wenden.

Umkehr in letzter Minute

Glaube lässt sich nicht lange bitten und kommt Jedermann bereits entgegen. Auch sie tadelt ihn: Sein ganzes Leben lang habe er sie missachtet, und nun, im Moment absoluter Schwäche und Verlassenheit, besinne er sich plötzlich auf sie? Verzweifelt leiert Jedermann die wenigen Glaubenssätze herunter, an die er sich aus seiner Kindheit erinnern kann. Doch für Glaube ist das zu oberflächlich. Sie muss Jedermann den Glauben an Jesus Christus, an Gottes Barmherzigkeit und die Vergebung der Sünden in den Mund legen, damit er seine Zweifel überwindet und seine Vorstellung von Gott als zornigem Rächer aufgibt. Am Ende ist Glaube von Jedermanns Willen zur Umkehr überzeugt. Sie schickt ihn zu dem abseits wartenden Mönch, damit er seine Sünden bekenne und sich von seiner Schuld reinwasche.

„Ob wir Genossen waren, ob nit, / Hinfort tu ich mit dir keinen Schritt.“ (Geselle, S. 64)

Während Jedermann niederkniet und ein Dankgebet zum Himmel sendet, geht seine Mutter auf ihrem Weg zur Frühmesse vorüber. Sie hört den Klang der Orgel, erkennt darin den Gesang der Engel vor Gottes Thron und weiß nun, dass Jedermann auf den rechten Weg zurückgefunden hat. Beruhigt und in der Gewissheit, am Tag des Jüngsten Gerichts ihren Sohn wiederzusehen, macht sie sich nun auch zum Sterben bereit. Die Werke sind inzwischen durch Jedermanns Umkehr zu neuem Leben erwacht. Sie werfen ihre Krücken fort und versprechen, dass sie nun, da alle Last von ihnen genommen sei, mit ihm kommen können. Frohen Mutes folgt Jedermann dem Mönch, während Glaube und Werke betend auf ihn warten.

„Es hieß: So lang einer im Glück ist, / Der hat Freunde die Menge, / Doch wenn ihm das Glück den Rücken kehrt, / Dann verläuft sich das Gedränge.“ (Jedermann, S. 66)

Da springt der Teufel herbei. Er ist gekommen, um Jedermann abzuholen. War dieser nicht stets sein treuester Vasall? Doch Glaube und Werke stellen sich ihm in den Weg. Der Teufel versucht mit Gewalt sich durchzusetzen und gibt erst auf, als er die Engel am Himmel erblickt. In einer hasserfüllten Rede schreit er seine Meinung über diese Ungerechtigkeit heraus: Den größten Sünder weit und breit wolle man ihm verwehren? Ja, antwortet Glaube, denn Jesus habe mit seinem Opfertod für die Sünden der Menschen bezahlt. Der Teufel kann es noch immer nicht fassen. Ist es möglich, dass jemand zu Lebzeiten alle Gesetze Gottes missachtet und durch den bloßen Akt der Reue vor seinem Tod alles ungeschehen macht? Vor Gott, so Glaubes Antwort, gelten nun einmal andere Gesetze als auf Erden. Jetzt erst gibt sich der Teufel geschlagen und tritt zeternd ab.

Tod und Auferstehung

Jedermann erscheint nach Empfang des Sterbesakraments in einem weißen Hemd und mit einem Pilgerstab in der Hand. Gemeinsam mit Glaube und Werken schreitet er auf sein Grab zu. Die Werke helfen ihm in das Grab und steigen dann selbst hinein. Glaube steht nah bei ihnen und spricht dem Sterbenden Mut zu. Bevor Jedermann im Grab versinkt, bittet er Gott noch einmal um die Rettung seiner Seele und die Auferstehung am Jüngsten Tag. Am Ende stimmen die Engel ihren Gesang an – ein Zeichen, dass Jedermanns Seele in den Himmel aufgefahren ist.

Zum Text

Aufbau und Stil

Mit Jedermann hat Hugo von Hofmannsthal die Dramenform des mittelalterlichen Mysterienspiels wiederbelebt: Ein Mysterienspiel ist ein straffer, kurzer Einakter religiösen Inhalts, der den Zuschauern eine moralische Lehre vermitteln soll. Das wichtigste Stilmittel dieser Form ist die Allegorie: Abstrakte Begriffe wie Tod, Glaube und die guten Taten werden personifiziert und so zum Leben erweckt. Inszenierung und Sprache sollen vor allem leicht verständlich sein. Es gibt weder komplizierte Handlungsstränge noch detaillierte Charakterstudien, wie sie im modernen Drama üblich sind. In Hofmannsthals Stück wird die Hierarchie zwischen dem Diesseits und dem Jenseits augenfällig durch eine mehrstöckige Bühne dargestellt. Die Bedeutung vieler Szenen erschließt sich nicht so sehr durch Worte als vielmehr durch die Schauspielkunst der Darsteller sowie durch dramaturgische Effekte wie Glockengeläut und Beleuchtung. Hofmannsthal hat das Stück fast durchgängig im Knittelvers verfasst, ein Versmaß mit vier Hebungen und Paarreim. Der gleichförmige Rhythmus erinnert an Abzählreime und verstärkt so den märchenhaften, naiven Charakter des Stücks. Zusammen mit der stilisierten, ans mittelalterliche Deutsch erinnernden Sprache schafft der Autor eine altertümliche Atmosphäre: Jedermann scheint in einer lange zurückliegenden Vergangenheit zu spielen; die Allegorien transportieren das Geschehen aber auch in die Gegenwart.

Interpretationsansätze

  • Jedermann ist eine große Allegorie auf das Leben, den Tod und die Auferstehung im christlichen Weltbild. Anstelle von individuellen Charakteren treten personifizierte Eigenschaften wie Sünden und Tugenden auf.
  • Die Titelfigur hält buchstäblich jedem Mann und jeder Frau den Spiegel vor, indem sie die sieben Todsünden des Menschen in sich vereint: Hochmut, Geiz, Missgunst, Zorn, Wollust, Gefräßigkeit und Trägheit des Herzens.
  • Hinter Jedermanns Verhältnis zu den irdischen Gütern steckt eine Kritik des Autors am modernen Kapitalismus: Je mehr Wohlstand der Mensch anhäuft, desto weniger kann er seine Beziehung zum Geld kontrollieren; er wird von Mammon versklavt. Aber nicht der Reichtum an sich ist eine Sünde, sondern der Mangel an sozialem Bewusstsein: In der zunehmend komplexen Industriegesellschaft wird es für die Besitzenden immer einfacher, jegliche Verantwortung für die Armut anderer zu leugnen.
  • Das Stück zeigt: Alles Irdische ist vergänglich. Nicht nur materielle Güter, auch menschliche Liebe und Freundschaft gelten nur bis zur Schwelle des Todes. Letztendlich ist einzig auf Gottes Barmherzigkeit Verlass.
  • Jedermanns wenige gute Taten sind allein zu schwach, um ihn zu retten. Erst als er sich im letzten Moment auf seinen Glauben besinnt, entkommt er der Verdammnis. Diese anscheinend unverdiente Rettung des Sünders wurde dem Stück oft vorgeworfen.
  • Hugo von Hofmannsthal erweitert die aus dem Mittelalter stammende Vorlage um zeitgenössische Aspekte. Der „Lustgarten“ beispielsweise ist eine Metapher für die sich selbst genügende Welt der Kunst („L’art pour l’art“), wie sie der Ästhetizismus kultivierte. Der Dichter war in seiner Jugend stark von dieser Kunstrichtung beeinflusst, sagte sich aber nach der Jahrhundertwende von ihr los.
  • Mit dem einfachen, volkstümlichen Stil und der simplen Aussage schuf Hofmannsthal ganz bewusst einen Gegenentwurf zu den Werken der intellektuellen Avantgarde seiner Zeit. Wie er in dem Vorwort zur gedruckten Ausgabe betonte, wollte er dem deutschen Volk sein eigenes Kulturgut wieder zugänglich machen.

Historischer Hintergrund

Die Wiener Moderne

Das Mysterienspiel Jedermann ist Hugo von Hofmannsthals Versuch, in einer zunehmend verwirrenden und bedrohlichen Welt eine klare Sprache und einfache Antworten zu finden. Der Dichter war sich der inneren und äußeren Zersetzungsprozesse der k. u. k. (kaiserlichen und königlichen) Monarchie vor dem Ersten Weltkrieg schmerzlich bewusst: Die Tschechen strebten nach der Unabhängigkeit, in Ungarn jagte eine Revolte die nächste und der Staatsapparat versank in Korruption. Währenddessen beherrschte die diffuse Endzeitstimmung des Fin de Siècle das künstlerische Leben in Wien, nach dem Motto: Morgen wird die Welt untergehen, lasst uns heute noch einmal in die Vollen gehen. Der Naturalismus mit seinem Anspruch auf Objektivität wurde seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts von der so genannten Wiener Moderne hinterfragt. Eine Gruppe von Dichtern, die als „Jung-Wien“ bekannt wurde und zu deren Mitgliedern unter anderem Arthur Schnitzler und Peter Altenberg zählten, experimentierte mit impressionistischen, symbolischen und neuromantischen Formen. Im Namen des Ästhetizismus forderte sie die völlige Zweckfreiheit der Kunst. Hofmannsthal wandte sich nach der Jahrhundertwende bewusst von dieser Strömung ab. Kunst sollte ihm zufolge wieder ein soziales Element haben und ein Gegengewicht zur moralischen Dekadenz und zum schrankenlosen Materialismus seiner Zeit bieten. Zudem nährte das seit seiner Kindheit drohende Gespenst des Panslawismus (Bewegung, die den Zusammenschluss der slawischen Völker anstrebte) seinen Ehrgeiz, mit seinem Schaffen die deutsche Sprache und Kultur zu bewahren.

Entstehung

Ein Freund machte Hugo von Hofmannsthal 1903 auf den Stoff des englischen Moralitätsspiels The Somonynge of Everyman aus dem 16. Jahrhundert aufmerksam. Der Dichter war begeistert. Nur ein Jahr zuvor hatte er sich in seinem berühmten Chandos-Brief mit der begrenzten Ausdrucksfähigkeit der Sprache und den Möglichkeiten, diese Grenzen zu überwinden, befasst. Hofmannsthal sah nun eine Lösung für dieses Dilemma. Gemeinsam mit dem Regisseur Max Reinhardt setzte er sich für eine Erneuerung des Theaters ein. Das Sinnliche der Kunst sollte gegenüber dem Abstrakt-Rationalen wieder in den Vordergrund treten. Eine erste Prosafassung des Jedermann beendete der Dichter 1906. Diese zeigt noch deutlich einige autobiografische Züge: Auch Hofmannsthal war in gewisser Weise vom „Mammon“ abhängig, und zwar vom Geld seines Vaters. Der bittere Dialog des Jedermann mit seinem Gesellen gilt vielen als Aufarbeitung der zerbrochenen Freundschaft Hofmannsthals mit dem Lyriker Stefan George. 1910 wandte sich Hofmannsthal dem Jedermann-Stoff auf Drängen Reinhardts wieder zu. Für die in Versform gehaltene Neufassung dienten neben dem englischen Original unter anderem Ein Comedi von dem reichen sterbenden Menschen, der Hecastus genannt von Hans Sachs, Georg Simmels Philosophie des Geldes sowie der mittelalterliche Minnesang als Vorlage.

Wirkungsgeschichte

Hugo von Hofmannsthal zweifelte zunächst an Max Reinhardts Überzeugung, dass der Jedermann für ein Massenpublikum geeignet sei. Doch sein Freund behielt Recht: Die Uraufführung am 1. Dezember 1911 vor 5000 Zuschauern im Berliner Zirkus Schumann war ein großer Publikumserfolg – „von den Schwestern und Söhnen des Kaisers bis zu den Friseurgehilfen im Hotel Adlon“, wie der Dichter begeistert an seinen Vater schrieb. Kritik kam vonseiten der Kirche. Sie bemängelte die drastische Schilderung von Jedermanns Lotterleben und dessen allzu billig erworbene Rettung in letzter Minute. Das Berliner Feuilleton beanstandete indes die unzeitgemäße Naivität des Stücks. Für mittelalterliche Mysterienspiele existierte der Kritik zufolge längst kein Publikum mehr.

Doch die Wirkungsgeschichte des Stücks sollte sie Lügen strafen. Zur Eröffnung der ersten Salzburger Festspiele am 22. August 1920 inszenierte Max Reinhardt den Jedermann vor dem barocken Dom. Nach Ansicht Hofmannsthals fand das Stück dort seinen „selbstverständlichen Platz“: Das Glockengeläut, der Friedhof, die meterhohen marmornen Heiligenfiguren und die Abenddämmerung erwiesen sich als äußerst passend. Hofmannsthal und Reinhardt hatten das Mysterienspiel dorthin zurückgeführt, wo es im Mittelalter seinen Anfang genommen hatte: vor der Kirche und dem einfachen Volk. Die Salzburger Festspiele entwickelten sich jedoch schon wenige Jahre nach ihrer Gründung zum Treffpunkt der internationalen Geld- und Machtelite. Diese Tatsache trug sicher nicht wenig zum wiederholten Vorwurf der Verlogenheit an den Jedermann bei. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 wurde die Reinhardt’sche Inszenierung mit dem Argument, sie sei völlig „verjudet“, aus dem Spielplan gestrichen. Seit 1946 hat sich der Jedermann jedoch wieder als unangefochtener Höhepunkt der Festspiele etabliert, wenngleich Stimmen wie die des Theaterkritikers Hans Weigel nie ganz verstummten: „Das Spiel vom Jedermann ist, bitte schön, vom Text her, sehr sehr scheußlich, es ist Kunstgewerbe minderer Güte, es ist geschwätzig und unecht und unwahrhaftig und verhält sich zu echter Dichtung wie das Café Dogenhof in der Wiener Praterstraße zu einem venezianischen Palazzo.“

Über den Autor

Hugo von Hofmannsthal wird am 1. Februar 1874 als einziges Kind einer Wiener Bankiersfamilie geboren. Der hochbegabte Gymnasiast veröffentlicht mit 16 Jahren seine ersten Gedichte, die wegen seines Alters unter dem Pseudonym Loris erscheinen. Er lernt die großen Namen des literarischen Wien kennen und macht sich in diesen Kreisen als Wunderkind einen Namen. Auf Druck seines Vaters studiert er zunächst Jura, unterbricht sein Studium aber nach zwei Jahren, um freiwillig seinen einjährigen Militärdienst zu leisten. Nach seiner Rückkehr an die Universität wechselt er zum Romanistikstudium, das er 1898 mit einer Dissertation abschließt. Sein Zweifel am Ausdrucksvermögen der Sprache stürzt den Dichter in eine tiefe innere Krise. Die Freundschaft zu dem damals berühmten Lyriker Stefan George zerbricht an unterschiedlichen Auffassungen über den Sinn und Zweck der Kunst, vielleicht auch an Avancen, die George Hofmannsthal macht. Nach zahlreichen Reisen entscheidet er sich gegen die bürgerliche Laufbahn als Professor der Philologie und beschließt, freier Schriftsteller zu werden. 1901 heiratet er die Bankierstochter Gertrud Schlesinger und zieht sich in ein Barockschlösschen in Rodaun bei Wien zurück. In den folgenden fünf Jahren werden seine drei Kinder geboren. Inspiriert von den Freundschaften mit dem Komponisten Richard Strauss und dem Regisseur Max Reinhardt wendet sich Hofmannsthal verstärkt der Oper und dem Theater zu. Er schreibt unter anderem die Libretti für die Strauss-Opern Elektra (1908) und Der Rosenkavalier (1911) und beteiligt sich ab 1917 an der Gründung der Salzburger Festspiele. Während des Ersten Weltkriegs arbeitet er für das Kriegsfürsorgeamt, verfasst patriotische Propaganda und reist als Kulturbotschafter der Donaumonarchie ins Ausland. Die Niederlage Österreich-Ungarns ist für den konservativen Monarchisten ein schwerer Schlag. Er schreibt weitere Dramen, darunter sein Spätwerk Der Turm (1928). Am 13. Juli 1929 nimmt sich sein Sohn Franz das Leben. Zwei Tage später stirbt Hugo von Hofmannsthal 55-jährig auf dem Weg zu dessen Beerdigung an einem Schlaganfall.

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