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Die letzten Tage der Menschheit

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Die letzten Tage der Menschheit

Bühnenfassung des Autors

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Der Irrsinn des Krieges: Nie wurde er drastischer geschildert als in diesem Drama.

Literatur­klassiker

  • Drama
  • Moderne

Worum es geht

Der Irrsinn des Krieges

Der Erste Weltkrieg brachte zehn Millionen Menschen den Tod und verkrüppelte mindestens ebenso viele. In seinem Drama Die letzten Tage der Menschheit entwarf Karl Kraus ein gewaltiges Zeitpanorama, das in vielen grotesken Szenen die ganze Absurdität und Unmenschlichkeit des Kriegsgeschehens zu ermessen versucht. Ohne einen festen Handlungsstrang lässt das Stück Militärs und Zivilisten, historische und erfundene Personen zu Wort kommen. Mit seiner Sprachkunst und seinem ungeheuren Wortwitz entlarvt der Autor ihr unmenschliches Denken, Reden und Handeln. Dabei bedient er sich zahlreicher Originalzitate, deren Aussagen als unwahrscheinlich und unfassbar erscheinen. Jede Aufführung des Mammutstücks bedeutet einen gewaltigen Aufwand, der Autor selbst hat es als unaufführbar bezeichnet. Doch auch für Leser ist der Text nicht immer leicht zu konsumieren, zumal er zum großen Teil im österreichischen Dialekt verfasst ist. Die Offenlegung der Monstrosität des Menschen im und durch den Krieg ist immer noch erschreckend aktuell - wie die vielen weiteren Kriege im 20. Jahrhundert und bis in die jüngste Vergangenheit gezeigt haben. Kraus’ Drama ist darum jedermann immer wieder zur Lektüre zu empfehlen.

Take-aways

  • Die letzten Tage der Menschheit ist ein Antikriegsdrama, das die Absurdität des Krieges in drastischer Weise vorführt.
  • Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus schrieb das monumentale Stück für die Lektüre, nicht für das Theater.
  • Die über 200 Szenen mit mehr als 500 Figuren sind groteske Momentaufnahmen aus dem Alltag des Ersten Weltkrieges.
  • Die anfängliche Siegesgewissheit in Wien weicht im Lauf der Kriegsjahre Durchhalteparolen und der Hoffnung auf die besser organisierten Deutschen.
  • Die deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft wird von Kraus als grotesk ungleiche Partnerschaft bloßgestellt.
  • Offiziere berauschen sich an Festmahlen, während sie ihre Soldaten an der Front verhungern und erfrieren lassen oder zu Tode schinden.
  • Empfindungslose Kriegsberichterstatter wollen ihren Lesern Lust auf den Krieg machen, auch wenn sie bei den Soldaten vergeblich nach heroischen Gefühlen suchen.
  • Kriegsgewinnler bereichern sich am Elend der anderen. Für sie ist der sich abzeichnende Frieden eine existenzbedrohende Katastrophe.
  • In der verblendeten Gesellschaft spricht allein der vermeintlich Irrsinnige Wahrheiten aus und prangert die Verbrechen von Militär und Wissenschaft an.
  • Die tatsächlichen historischen Ereignisse werden im Drama nur beiläufig erwähnt. Umso mehr erfährt der Leser über die Geisteshaltung, die den Krieg ermöglichte.
  • Erstmals aufgeführt wurde eine reduzierte Bühnenfassung des Dramas erst 1964. Das Stück wird selten gespielt, liegt aber in Hörspielfassungen vor.
  • Die von Kraus beschriebenen Mechanismen ließen sich in späteren Kriegen des 20. und 21. Jahrhunderts immer wieder aufs Neue beobachten.

Zusammenfassung

Kriegseuphorie

Der Erste Weltkrieg hat begonnen. An einer belebten Ecke in Wien jubeln Menschenmassen den in den Krieg ziehenden Soldaten zu. Hochrufe auf Habsburg vermischen sich mit Schmähungen gegen den Feind Serbien. Ein Wiener hält eine Nonsens-Rede, in der er von einem "heiligen Verteilungskrieg" spricht. Nach der Parole "Serbien muss sterbien" machen sich die Anwesenden auf jede der zahlreichen feindlichen Nationen einen abfälligen Reim. Jemand wendet ein, dass Auswüchse des Patriotismus dem Fremdenverkehr schaden könnten. Als eine Dame mit einem Anflug von Schnurrbart auftaucht, wird sie von der Menge als getarnter Spion verdächtigt und von einem Polizisten abgeführt. Zwei Reporter suchen nach Stimmungen, um die Situation in einprägsame Begriffe zu fassen, getreu den Leitlinien ihres Chefs, der den Lesern sowohl Appetit auf den Krieg als auch auf die Zeitung machen will. So registrieren sie in der Bevölkerung "schicksalsfrohen Ernst" und "stolze Würde", gepaart mit "südlicher Begeisterungsfähigkeit", die von "deutschem Ernst" gemäßigt wird.

„Das war kein Strohfeuer trunkener Augenblicksbegeisterung, kein lärmender Ausbruch ungesunder Massenhysterie. Mit echter Männlichkeit nimmt Wien die schicksalsschwere Entscheidung auf.“ (Der erste Reporter, S. 22)

Zwei Anhänger der Zeitung Reichspost geben sich realitätsfernem Idealismus hin. Sie erwarten vom Krieg keine Teuerung - während der Kutscher bereits das Doppelte verlangt -, aber eine "Renaissance österreichischen Denkens und Handelns" und erhoffen sich von dem "Stahlbad" eine Erweckung heldenhafter Tugenden. Sie selbst jedoch sind vom Kriegsdienst freigestellt und können den Kampf aus der sicheren Ferne beobachten. Der österreichische Generalstabschef verbringt seine Zeit mit Überlegungen, wie er sich am günstigsten für die historische Erinnerung an eine große Zeit fotografieren lassen kann. Ein Patriot und ein Zeitungsabonnent tauschen sich über die Lage aus. Sie stellen Entmutigung in Frankreich, Verdrossenheit in England, Verzweiflung in Russland und Zerknirschung in Italien fest, während in Österreich allerbeste Laune und Zuversicht herrsche. Auch Entbehrungen, wenn es sie denn jemals gäbe, würden ihre Landsleute mit Vergnügen ertragen.

Unterstützung an der Heimatfront

Die Kirche unterstützt den Krieg nach Kräften. Ein evangelischer Pastor predigt, der Krieg diene der Förderung des Gottesreiches. Feindesliebe habe zwischen Völkern keine Berechtigung. Das Töten durch einen Soldaten verklärt er zum Gottesdienst. Gewissensbisse seien völlig fehl am Platze. Das Bajonett verherrlicht er als Kreuz, das auf dem Gewehr thront. In einer Wallfahrtskirche ist die Attraktion ein Rosenkranz, der aus italienischen Geschossteilen gefertigt wurde. Die Militärgeistlichen segnen nicht nur die Waffen, sondern legen auf dem Schlachtfeld auch schon mal selbst Hand an und feuern aus den Artilleriegeschützen.

„Jesus hat das Gebot ‚Liebet eure Feinde!’ nur für den Verkehr zwischen den einzelnen Menschen gegeben, aber nicht für das Verhältnis der Völker zueinander. Im Streit der Nationen untereinander hat die Feindesliebe ein Ende.“ (Superintendent Brüstlein, S. 42).“

In der Volksschule drischt der Lehrer eifrig Phrasen. Der Fremdenverkehr sei vorerst zweitrangig, da höhere Ideale über das Land "hereingebrochen" seien. Als Wunsch zu Geburtstag oder Weihnachten empfiehlt er seinen Zöglingen das Spiel "Wir spielen Weltkrieg" und den "Russentod". Ein Junge, der austreten will, wird vom Lehrer, damit er kein schlechtes Beispiel gibt, zum Durchhalten verdonnert. Er ruft die Kinder auf, Metall zu sammeln, nach Gold in den Truhen zu suchen und für Kriegsanleihen zu werben. Doch weil das Ideal der Tourismusförderung nicht in Vergessenheit geraten soll, stimmt er zum Ende des Unterrichts das Lied "Pfleget den Fremdenverkehr" an. In ihm kommt nicht zuletzt die Freude zum Ausdruck, betrügen zu können wie noch nie.

Beunruhigender Kriegsverlauf

Der Optimismus des ersten Kriegsjahres erweist sich als ebenso bodenlos wie kurzlebig. Von Jahr zu Jahr werden ältere Männer in den Krieg geschickt, bis schließlich nur noch Greise von Wien aus ins Feld ziehen. Invalide dominieren mehr und mehr das Straßenbild. Von den Herren Kommerzialräten werden sie ignoriert und, selbst wenn ihnen Gliedmaßen fehlen, als Drückeberger beschimpft. Auch immer mehr Flüchtlinge aus Galizien bevölkern die Stadt. Alteingesessene Wucherer schimpfen, ihre Geschäfte würden künftig von den jüdischen Flüchtlingen gemacht. Die immer noch zahlreichen wehrfähigen Zivilisten "haben es sich gerichtet" - auf die eine oder andere Weise haben sie sich vom Kriegsdienst freistellen lassen. Deutschen Soldaten werden die Sehenswürdigkeiten der Stadt gezeigt. Die Reporter freuen sich über dieses Symbol des deutsch-österreichischen Schulterschlusses.

„Die zarten Keime des Fremdenverkehrs, die wir allenthalben gepflanzt (...) haben, sollen vom ehernen Tritt der Bataillone, so unentbehrlich derselbe auch in dieser großen Zeit ist, nicht zertreten werden, sondern im Gegenteil gehegt und gepflegt werden für und für.“ (Lehrer Zehetbauer, S. 43)

Abonnent und Patriot belustigen sich über die Sorgen der Italiener um warme Gebirgskleidung für ihre Soldaten. Bei ihnen würden solche Probleme schon mit den Aufträgen erledigt. Als Beweis dient die Geschichte um Millionen Wolldecken, die in Deutschland für die Soldaten in den Karpaten bestellt worden sind. Bis sich Finanz- und Kriegsministerium über die Zollformalitäten einigen konnten, waren sechs Monate vergangen, die Decken verdorben, viele Soldaten erfroren und der Winter war vorüber. Ein Generalstäbler müht sich um die Sprachregelung für den Verlust einer Festung. Sie sei nichts wert gewesen und nicht durch Gewalt, sondern durch Hunger gefallen. Damit das Defizit in der Nahrungsversorgung nicht auffällt, solle der Stolz auf den Hunger betont werden. Proviant sei nicht geliefert worden, damit er nicht dem Feind in die Hände fallen könne. Dann verabschiedet er sich zum Essen.

Das Wiener Gesellschaftsleben leidet

Auch in den Wiener Restaurants bekommt das Publikum die Kriegsfolgen zu spüren. Das aktuelle Personal ist nicht mehr so kompetent wie das alte, das eingezogen worden ist. Fleischgerichte gibt es auch nicht immer. Gerichte mit feindlichen ausländischen Bezeichnungen werden umbenannt. So gibt es keine Ragouts mehr zu essen, sondern "Mischgerichte", statt Makkaroni werden "Treubruchnudeln" serviert, und für das Entrecote mit Sauce hollandaise steht "Rindslendendoppelstück nach Feldherrnart mit Hindernissen nebst Holländertunke" auf der Speisekarte. Französische Ausdrücke wie "pardon" oder "adieu" sind ebenfalls verpönt.

„Man macht aus Schrapnellkugeln Rosenkränze und dafür aus Kirchenglocken Kanonen. Wir geben Gott, was des Kaisers, und dem Kaiser, was Gottes ist. Man hilft sich gegenseitig, wie man kann.“ (Der Mesner, S. 47).“

Ein Ehepaar aus der besseren Wiener Gesellschaft streitet. Er, der Hofrat, ist es leid, von seiner Frau von einer Kriegsfürsorgeveranstaltung zur nächsten gehetzt zu werden. Ihr geht es jedoch keineswegs um den wohltätigen Aspekt dieser gesellschaftlichen Ereignisse, sondern um die Karriere ihres Mannes. Während er sich beklagt, er rackere sich für sie ab und sei deshalb schon ganz krank, macht sie ihm Vorwürfe, dauernd Chancen für seine Profilierung zu verpassen. Ohne sie wäre gar nichts aus ihm geworden. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung wirft sie ihr Mieder nach ihm. Er entgegnet, ihr Ehrgeiz sei in ihrer Kinderlosigkeit begründet und bringe ihn noch ins Grab. Schluchzend bricht er zusammen. Als sich die Gemüter beruhigt haben, besprechen die Eheleute die weiteren Etappen ihrer Strategie. Am nächsten Tag stehen drei Termine auf dem Programm, darunter die "Konstituierende Sitzung des Exekutivkomitees für den Blumenteufel-Rekonvaleszenten-Würsteltag".

Gräueltaten an Freund und Feind

Die Kriegsberichterstatterin Schalek will nur aus eigenem Erleben schildern und fordert, während einer Gefechtspause selbst einmal schießen zu dürfen. So darf sie einen Schuss aus einer Kanone abgeben. Immer auf der Suche nach Empfindungen will sie bei einer Marinefliegerabteilung an der Adria das Phänomen der persönlichen Tapferkeit ergründen. Sie befragt einen Offizier, der Venedig bombardiert hat. Ein solcher Einsatz läuft wie folgt ab: Der Offizier kreist über dem Ziel, beobachtet nach Abwurf der Bomben die Explosionen und fotografiert sie. Während er unerreichbar hoch über einer feindlichen Stadt fliege, komme er sich allmächtig wie ein König vor, die Menschen unter sich ausgeliefert und wehrlos. So müsse sich auch Nero gefühlt haben. Die Schalek ist zufrieden, dass er ohne Skrupel und Sentimentalität Venedig bombardiert hat. Später erzählt sie Offizieren von ihren jüngsten Fronterlebnissen. Als Belohnung wird sie mit Champagner und Kaviar bewirtet.

„ (...) ihr Wiener habt ja nu eben keene Ahnung, dass ihr im Kriege seid, darum seid ihr auch schon nach einem Jahre untendurch, bei uns hingegen, da kann man sagen, ist die Stimmung ernst, aber zuversichtlich, bei euch hingegen - na, das sollte mal Hindenburch wissen, da will ich ihn nu mal gründlich orientieren -“ (Der Schieber, S. 56).“

Auf dem Schlachtfeld werden Verwundete erbarmungslos erschossen. Wenn Soldaten mit menschlichen Regungen zögern, zwingen ihre Offiziere sie zu den Exekutionen oder sie morden selbst. Auch die eigenen Soldaten werden von Offizieren wegen geringer Vergehen zu Tode geschunden. Das erhöht den Kampfeswillen allerdings nicht. In einigen Fabriken werden Arbeiter von Unternehmern und Militär mit Misshandlungen diszipliniert. Arbeiter werden pro forma eingezogen, um an ihrem Arbeitsplatz statt für ihren bisherigen Lohn für den geringeren Sold dieselbe Arbeit zu verrichten. In einem Militärhospital hält es ein Generalstabsarzt für seine oberste Pflicht, das Menschenmaterial aufzufüllen. Skrupel seien für den Frieden gut, Humanität mit Patriotismus unvereinbar. Auch Schwerkranke könnten an der Front vor ihrem Tod noch ein paar Schüsse abgeben. Mit den Verwundeten in ihren Betten lässt er Salutierübungen durchführen.

Fortschreitender Realitätsverlust

Auf einer Ärzteversammlung in Berlin präsentiert ein Psychiater einen Mann, der aus der Schutzhaft kommt. Um das Ausmaß der Unzurechnungsfähigkeit dieses vermeintlich Irrsinnigen zu umreißen, gibt er dessen Behauptung wieder, die Ernährungslage in Deutschland sei ungünstig. Die versammelten Ärzte sollen nun mit ihren Erkenntnissen über die Gesundheit der Bevölkerung auf den Irrsinnigen einwirken. Aus seinen Reaktionen will der Psychiater ablesen, ob er unzurechnungsfähig oder vielleicht doch verantwortlich für seine Behauptungen und damit kriminell sei. Tatsächlich ist der angeblich Irrsinnige der einzig Vernünftige in der Versammlung. Er spricht aus, was offiziell nicht wahr sein darf. Die Wissenschaftler hingegen beschäftigen sich mit dem Leugnen der Realität und ihrer Umdeutung ins Positive. So habe ein gewisser Nahrungsmangel durchaus positive Auswirkungen auf die Gesundheit. Der Mann hält den Wissenschaftlern vergeblich die Zahlen von Verhungerten, zusätzlichen Tuberkulosekranken und erhöhter Kindersterblichkeit entgegen. Er bezeichnet die deutsche Wissenschaft als eine Prostituierte im Dienste des Generalstabs. Einige Professoren können nur mühsam davon abgehalten werden, über ihn herzufallen. Das Fazit des Psychiaters: Der Mann ist nicht geistesgestört, sondern von den Kriegsgegnern bezahlt und daher kriminell. Als pazifistischen Vaterlandsverräter übergibt er ihn der Polizei.

Endzeitstimmung

Wien wird fast nur noch von elenden Gestalten, Invaliden und Bettlern bevölkert. Eine depressive Stimmung macht sich breit. Der bevorstehende Kriegseintritt der USA wird von einem Offizier so kommentiert, dass mit den US-Divisionen ein einziges österreichisches Regiment fertig werde. Während alte Männer in den Krieg ziehen, genießt eine Offiziersgattin ihre privilegierte Stellung: Statt um Lebensmittel anzustehen, wird sie von ihrem Mann mit Paketen versorgt, alles Übrige bekommt sie im Schwarzhandel. Eine andere ist pro forma in den Pflegedienst eingetreten, damit sie ihr Auto behalten kann. Zwei Kommerzialräte klagen, die Erzählungen der Kriegsgräuel verursachten ihnen Langeweile. Sie müssten die Kriegsgewinnsteuer und das Friedensrisiko ertragen. Kriegsgewinnler bereiten sich auf den bevorstehenden Frieden vor, der für sie geradezu existenzbedrohend ist. Doch sie sind anpassungsfähig. So liegt beispielsweise die Perspektive des Fremdenverkehrs nach dem Krieg in den Besucherströmen zu den Soldatenfriedhöfen.

„Erstens, die Festung war eh nix wert. Das ist das Wichtigste. (...) Zweitens, pass auf: Nicht durch Feindesgewalt, sondern durch Hunger! Verstanden? Dabei das Moment der ungenügenden Verproviantierung nicht zu stark betonen, weißt, Schlamperei, Pallawatsch etc. tunlichst verwischen.“ (Ein Generalstäbler, S. 64)

Ein Nörgler ist als bekennender Pessimist dem Untergang der Welt auf der Spur. Dieser Nacht des Mordens könne nur der Jüngste Tag noch folgen. Er fühlt sich mitschuldig an dem Geschehen, weil die Welt so wurde, wie er sie gesehen hat. Um die Zerstörung der Schöpfung zu rächen, schreibt er ein Drama, in dem er die Schuldigen zu den menschlichen Schatten formt, die sie sind. Entblößt von ihrem Schein, werden ihre Bosheit, Dummheit und Nichtigkeit sichtbar. Der Nörgler beansprucht, das Wesen seiner Zeit für die Zukunft gerettet zu haben. Dies soll ein barmherziger Geist als Erlösung gelten lassen.

„Der Krieg ist auch ein Spender von Wohltaten, ein Erwecker edelster menschlicher Tugenden, ein prometheischer Erringer von Licht und Klarheit.“ (Der erste Verehrer der Reichspost, S. 92)

In einem Gelage deutscher und habsburgischer Offiziere wird nach vier Jahren Krieg Bilanz gezogen. Als wesentliches Defizit ist von österreichischer Seite das Fehlen einer Organisation erkannt worden, die für den nächsten Krieg unbedingt eingeführt werden müsse. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr hat sich die Hoffnung auf Rettung durch die Deutschen gerichtet. Ein preußischer Oberst beklagt die lasche Haltung der Österreicher. Der lauter werdende Geschützdonner zeigt das rasche Nahen der Front an. Davon unbeeindruckt, feiern die Anwesenden sich selbst, berauschen sich an Alkohol und vergangenen Siegen. Doch der Feind bricht durch. Der General gibt dem Orchester den Befehl weiterzuspielen. Schließlich ziehen wie auf einer Kinoleinwand Erscheinungen aus dem zu Ende gehenden Krieg vorüber. So kommt der tote, vom Trommelfeuer der Geschütze zerstörte Wald zu Wort und erzählt seine Geschichte. Massen von Flüchtlingen ziehen vorüber. Ein Offizier brüstet sich seiner Gräueltaten. Schließlich bittet ein ungeborener Sohn als Vertreter der nächsten Generation, sie möchte nicht geboren werden.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die von Karl Kraus erstellte Bühnenfassung, die mit 74 Szenen viel kürzer ist als die 220 Szenen umfassende Buchfassung des Dramas, gliedert sich in fünf Akte. Die Einteilung richtet sich ungefähr nach den Kriegsjahren. Die Szenen enthalten neben Zitaten auch Liedtexte und Gedichte, die oft Parodien auf bekannte Originale sind und manchmal an die Chöre antiker Dramen erinnern, die die Handlung des Stücks kommentieren. Kraus verwendet zudem surreale Elemente, insbesondere wenn er gegen Ende des Dramas "Erscheinungen" zu Worte kommen lässt, die alle auf ein Gemälde mit dem Titel "Die große Zeit" projiziert werden. Mit seinen ausführlichen Regieanweisungen bestimmt Kraus das Setting der einzelnen Szenen und greift mit diesem Stilmittel dem epischen Theater Brechts vor. Viele Figuren tragen ihr Wesen charakterisierende Namen (Major Metzler, General Gloirefaisant), sofern sie nicht nur mit ihrer Funktion (Der Patriot, Der Nörgler) bezeichnet werden. Kraus lässt sie in ihren regionalen Dialekten sprechen, vor allem in österreichischem und berlinerischem Idiom. Wenn es sich nicht um Zitate aus bürokratischen Erlassen handelt, wirken die Textpassagen wie aus dem täglichen Leben gegriffen: Die Figuren reden selten flüssig oder in vollständigen Sätzen, manchmal nur in Wortfetzen. Mit seinem Stil hat Kraus die deutschsprachige Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt.

Interpretationsansätze

  • Karl Kraus hat mit Die letzten Tage der Menschheit ein radikales Antikriegsdrama geschaffen. Mit satirischen Mitteln lässt er eine ganze Armee von grotesk erscheinenden Gestalten Revue passieren: Repräsentanten einer entmenschten Menschheit, die die ganze Irrationalität des Krieges sinnfällig machen.
  • Kraus’ Waffe gegen den Kriegswahnsinn ist die Sprache: Er setzt der inhumanen Logik des Krieges kein Gegenbild entgegen, sondern betreibt Aufklärung durch Zitate, deren Drastik oft schockierend wirkt. Kraus entlarvt das entmenschlichte Denken und Handeln seiner Figuren durch ihre Sprache. Für ihn war die Sprache nicht nur Mittel, sondern Gegenstand der Darstellung. Er hat stets gegen sinnentleerte Phrasen gekämpft, die aus abgenutzten Idealen herrühren. Ihnen gab er eine Mitschuld am Krieg, weil sie zu Geistesöde und Herzenskälte führten.
  • Die Figuren des Dramas sind leblose "Masken des tragischen Karnevals", so Kraus. Ihm verhassten Zeitgenossen wie der Kriegsberichterstatterin Alice Schalek oder dem Berliner Feuilletonisten Alfred Kerr hat er in dem Werk wenig rühmliche Denkmäler gesetzt.
  • Der Monolog des Nörglers am Schreibtisch kann als Manifest des Autors verstanden werden. Der bekennende Pessimist will die Zerstörung der Welt rächen, indem er die Schuldigen zu literarischen Gestalten formt und dabei ihre Bosheit, Dummheit und Nichtigkeit sichtbar macht.
  • Das Stück war von Anfang an als Lesedrama konzipiert, eine Aufführung auf der Bühne lehnte Kraus lange Zeit ab. Er glaubte, dass die Szenen auf dem Theater an dramatischer Wirkung, die sie beim Leser oder Zuhörer hätten, verlieren würden. In der Tat kann selbst die stark gekürzte Bühnenfassung des Autors nur an einem sehr langen Theaterabend aufgeführt werden.

Historischer Hintergrund

Der Erste Weltkrieg

Am 28. Juni 1914 wurde der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo von einem serbischen Anarchisten ermordet. Dieses Ereignis löste in einer mehrwöchigen politisch-militärischen Kettenreaktion schließlich den Ersten Weltkrieg aus, auf den die politische Entwicklung in Europa allerdings schon vorher seit Jahren mit Aufrüstung und der Bildung von zwei Bündnisblöcken zugesteuert war. An der Seite von Österreich-Ungarn kämpften Deutschland und das Osmanische Reich - die so genannten "Mittelmächte" - gegen England, Frankreich, Russland und Italien sowie deren Verbündete, zusammengefasst in der "Entente". Für das deutsche Kaiserreich war das Kriegsziel neben der Beherrschung Belgiens und der Ausweitung der Einflusssphäre in Osteuropa die Schaffung eines Weltreiches, das dem Frankreichs und vor allem Großbritanniens ebenbürtig sein sollte. Die österreichisch-ungarische Monarchie sah den Zusammenhalt ihres Vielvölkerstaates durch die Bestrebungen Russlands bedroht, sich als Schutzmacht der slawischen Völker auf dem Balkan zu etablieren.

Die Reaktionen auf den Kriegsausbruch waren in weiten Teilen der Bevölkerung euphorisch. Doch keiner der beiden Blöcke war auf einen langen Krieg eingestellt. Nach anfänglichen Erfolgen blieben die deutschen Offensiven stecken. An Ost- wie Westfront entwickelten sich jahrelange, militärisch unsinnige und äußerst verlustreiche Stellungskriege. Auf diesen Schlachtfeldern setzten die Gegner Giftgas ein und pflügten mit ihrer Artillerie ganze Landschaften um. Erstmals wurden auch moderne Waffen wie Panzer, U-Boote, Luftschiffe und Flugzeuge eingesetzt. Die kriegführenden Parteien bezahlten mit Menschenleben an der Front einen hohen Preis. Die Wende zu Ungunsten der Mittelmächte brachte 1917 der Kriegseintritt der USA. Ein mit Russland im März 1918 geschlossener Sonderfriede brachte für Deutschland Entlastung an der Ostfront. Doch am 11. November 1918 gab sich das Reich mit einem Waffenstillstand geschlagen.

Aus dem Ersten Weltkrieg ging Europa politisch und territorial völlig neu geordnet hervor. Die deutsche und die österreichische Monarchie wurden durch labile Republiken ersetzt. Deutschland musste Gebietsverluste hinnehmen und litt in der Folgezeit unter den von den Siegermächten auferlegten Reparationszahlungen, die zur Instabilität der Weimarer Republik beitrugen. Im Osten Europas entstand nach der Revolution von 1917 und dem Ende des russischen Zarenreiches mit der kommunistischen Sowjetunion eine völlig neue Staatsform.

Entstehung

Das Drama Die letzten Tage der Menschheit ist vor allem in den Jahren 1915-1917 entstanden. Der Text ist zu einem Drittel aus Zitaten montiert, die Kraus aus Zeitungen, Gerichtsurteilen und Militärberichten übernahm. Im Vorwort schrieb Kraus: "Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate." Kraus machte die Presse mitverantwortlich für den Krieg. Er verachtete sie, weil das einzig nicht Käufliche an ihr sich zwischen den Zeilen befände. Das Drama konnte erst nach Aufhebung der Zensur erscheinen - natürlich in der Fackel, und zwar in drei Sonderheften im Jahr 1919. Diese erste Fassung wird als "Aktausgabe" bezeichnet. Unter dem Eindruck von erst nach dem Krieg zugänglichen Informationen veränderte Kraus das Werk noch stark. Die Buchausgabe erschien 1922. Wohl Ende 1929 erstellte Kraus dann die stark gekürzte Bühnenfassung. Die Figur des Optimisten als Gegenspieler zum Nörgler fiel dem Rotstift zum Opfer. Es fehlen auch das Vorspiel, das mit der Ermordung des Erzherzogs in Sarajewo beginnt, und der Epilog, in dem zum Kriegsende die Menschheit in der Apokalypse versinkt und Gott dieselben Worte spricht, die Wilhelm II. anlässlich der Kriegserklärung zugeschrieben werden: "Ich habe es nicht gewollt".

Wirkungsgeschichte

Zu Kraus’ Lebzeiten kam nur der Epilog auf dem Theater zur Aufführung. Wünsche von Max Reinhardt und Erwin Piscator, das Stück inszenieren zu dürfen, lehnte Kraus ab, weil er einen Verlust der Wirkung seiner Szenen durch eine Aufführung fürchtete. Der Autor las aber oft öffentlich aus seinem Werk vor und erregte die Aufmerksamkeit und Wertschätzung u. a. von Elias Canetti, der damals in Wien lebte. Kraus selbst hielt sein Werk für unaufführbar, und seine Erben hielten sich lange an dieses Urteil. So kam erst 1964 eine gekürzte Version der Bühnenfassung am Wiener Burgtheater erstmals zur Aufführung. Doch erst eine Inszenierung aus dem Jahr 1974 in Basel stieß auf allgemeine Zustimmung der Kritik. Zur Bekanntheit des Stücks trugen Hörfassungen bei. So liegt Die letzten Tage der Menschheit in einer vom Schauspieler Helmut Qualtinger gelesenen Fassung vor. Der Österreichische Rundfunk inszenierte 1974 das vollständige Drama als Hörspiel mit 170 Sprechern.

Über den Autor

Karl Kraus wird am 28. April 1874 im böhmischen Jicín als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Papierfabrikanten und Kaufmanns geboren. 1877 zieht die Familie nach Wien um, wo Kraus ab 1892 zuerst Jura, dann Philosophie und Germanistik studiert, ohne das Studium jedoch abzuschließen. 1897 wird er Korrespondent der Breslauer Zeitung. 1899 verlässt er die jüdische Glaubensgemeinschaft und konvertiert 1911 zum Katholizismus, tritt jedoch 1923 wieder aus der Kirche aus. Sein Privatleben ist geprägt von der langjährigen Beziehung zur böhmischen Baronin Sidonie Nádherny von Borutin, die er 1913 kennen lernt. Zwar erwidert sie seine Liebe nicht, doch bleiben sich die beiden eng verbunden, besuchen sich häufig und unternehmen gemeinsame Urlaubsreisen. Bereits seit 1892 für die Wiener Literaturzeitung journalistisch tätig, gründet er im April 1899 die Zeitschrift Die Fackel. Bis zu seinem Lebensende hat er sie nicht nur als Herausgeber, sondern auch als Autor der meisten Beiträge entscheidend geprägt. Zielrichtung ist von Anfang an die Bekämpfung der sprachlichen Verwahrlosung. Kraus ist von den Möglichkeiten der Sprache geradezu besessen und führt das Unheil der Welt auf den gedankenlosen Gebrauch der Sprache zurück. In seinen Essays zu Literatur, Dichtern und Zeitgeschehen profiliert er sich nicht nur als sarkastischer Satiriker, sondern wendet sich auch gegen prominente Zeitgenossen. Legendär ist seine Fehde mit dem Berliner Feuilletonisten Alfred Kerr. Kraus beschäftigt sich intensiv mit Shakespeare: Er überarbeitet nicht nur die Übersetzungen etlicher Dramen, sondern dichtet auch Shakespeares Sonette nach. 1933 erklären die Nationalsozialisten seine Werke für unerwünscht und schädlich. Von den Bücherverbrennungen werden sie jedoch verschont, was Kraus wenig gefällt. In Die dritte Walpurgisnacht setzt er sich 1933 mit dem Nationalsozialismus auseinander, verzichtet aber auf eine Veröffentlichung, weil er fürchtet, die Nazis könnten sich für dieses Werk mit der Ermordung von Juden rächen. Am 12. Juni 1936 stirbt Karl Kraus in Wien.

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