Join getAbstract to access the summary!

Die Ästhetik des Widerstands

Join getAbstract to access the summary!

Die Ästhetik des Widerstands

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Peter Weiss’ monumentale Romantrilogie über die Geschichte des Kampfes gegen den Faschismus und die Schlüsselrolle der Kultur für den Widerstand.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Wie viel Kultur braucht der Widerstand?

Vordergründig setzt Peter Weiss mit seinem akribisch recherchierten Monumentalwerk den antifaschistischen Widerstandskämpfern aus dem kommunistischen Umfeld, die im Westen meist unbeachtet blieben, ein Denkmal. Wie der Titel des Buches aber schon sagt, geht es vor allem um die Schlüsselrolle der Kultur für einen erfolgreichen Widerstand gegen Barbarei und Unterdrückung. Weiss unterstellt den relativ wenigen Menschen, die sich dem NS-Terror zu widersetzen wagten, dass sie die Kraft dafür aus einer entsprechend entwickelten Kultur schöpften. Auf dieser Basis kritisiert er auch den Kommunismus und dessen von oben verordnete Kunstform, den sozialistischen Realismus. Letztendlich gaben die historischen Entwicklungen Peter Weiss Recht. Der „real existierende Sozialismus“ zerbrach wenige Jahre nach Erscheinen des letzten Bandes der Romantrilogie – nicht zuletzt an seiner doktrinären und kulturellen Starre. Wirkte Weiss’ Werk nach dem Fall der Mauer und dem Ende der Sowjetherrschaft zeitweise anachronistisch, so gewinnt Die Ästhetik des Widerstands angesichts der Globalisierungsdiskussion wieder an Aktualität – schließlich gibt es nicht wenige Menschen, die auch hier Widerstand für angebracht halten.

Take-aways

  • Die Ästhetik des Widerstands ist einer der Mammutromane des 20. Jahrhunderts.
  • Er handelt vom Widerstand gegen den Faschismus und der Rolle, die die Kultur dabei spielt.
  • Der Roman basiert auf akribischen Recherchen. Die meisten Hauptfiguren sind historische Persönlichkeiten.
  • Erzählt wird die Geschichte von drei Freunden, die versuchen, sich gemeinsam eine tragfähige kulturelle Basis zu erarbeiten.
  • Die drei werden in ihren Bildungsbemühungen von Max Hodann gefördert, der anfangs ein anerkannter Amtsarzt in Berlin ist.
  • Der Erzähler reist nach Spanien, um am Kampf gegen die Faschisten teilzunehmen, und wird Hodann als Helfer bei der Betreuung von Kriegsverletzten zugeteilt.
  • Nach der Niederlage in Spanien reist der Erzähler über Paris nach Schweden, wo er als Fabrikarbeiter im Exil lebt.
  • Zeitweise recherchiert er für Bertolt Brecht Hintergrundmaterial und unternimmt erste eigene Schreibversuche.
  • Seine Freunde Coppi und Heilmann bleiben in Berlin, wo sie im Untergrund für den antifaschistischen Widerstand arbeiten, bis sie verhaftet und hingerichtet werden.
  • Peter Weiss lässt seine Romanfiguren in zahlreichen Gesprächen und Reflexionen immer wieder die Schlüsselrolle der Kultur für den Widerstand erörtern.
  • Für ihn muss jedes politische System, das die freie Entfaltung der Kultur unterdrückt, am Ende scheitern.
  • Weiss bezeichnete den Roman einmal als seine „Wunschbiografie“.

Zusammenfassung

Das uralte Ringen

Kurz vor seiner Abreise nach Spanien, wo er den gegen den Faschismus kämpfenden Internationalen Brigaden beitreten will, trifft sich der Erzähler am 22. September 1937 mit zwei Freunden – Coppi und Heilmann – im Berliner Pergamonmuseum. In dem berühmten antiken Altarfries sehen die drei antifaschistischen Kampfgenossen den Beleg für das uralte Ringen der Menschen um Macht und Unterdrückung. Der Fries stellt die Niederwerfung der Giganten und Titanen durch die Götter des Olymps dar. In den siegreichen Göttern, die die aufrührerischen Riesen gnadenlos niedermetzeln, erkennen die Freunde die Mächtigen der Erde, die sich göttergleich über die unterdrückten Massen ihrer Mitmenschen erheben und diese mit brutaler Gewalt ausbeuten.

Der Hintergrund der Freunde

Der Erzähler und sein Schulfreund Coppi sind um die 20 und haben beide in den letzten vier Jahren die Härte des Arbeitslebens und Zeiten der Arbeitslosigkeit kennen gelernt. Die Eltern des Erzählers sind wegen Arbeitsmangel in ihre alte Heimat, die Tschechoslowakei, zurückgekehrt. Coppi hat wegen der Verbreitung kommunistischer Schriften ein Jahr im Gefängnis verbracht. Obwohl er mittlerweile gelernter Dreher ist, findet er keine Anstellung. Der Erzähler und Coppi sind in Familien aufgewachsen, die der Arbeiterbewegung eng verbunden sind. Der Vater des Erzählers, der am 8. November 1917 (dem Tag der russischen Oktoberrevolution) geboren wurde, war seit jungen Jahren Sozialdemokrat. Obwohl er gegen den Ersten Weltkrieg war, musste er als Soldat daran teilnehmen und wurde schwer verwundet. Der Dritte im Bunde, Heilmann, ist erst 15 Jahre alt und besucht noch das Gymnasium. Er kommt aus bürgerlichen Verhältnissen. Heilmanns Vater war Dozent an der Technischen Hochschule in Dresden, jetzt hat er in Berlin eine leitende Stellung im städtischen Bauamt inne. Heilmanns Eltern haben keine Ahnung vom Engagement ihres Sohnes im antifaschistischen Widerstand. Gemeinsam besuchen die drei Gefährten Kurse am städtischen Abendgymnasium, weil sie Bildung und Kultur für wichtige Instrumente in ihrem Kampf für die Rechte der Arbeiter halten. Bei ihren Bemühungen, sich kulturell weiterzuentwickeln, werden sie von Max Hodann unterstützt, der früher Berliner Stadtarzt und Leiter eines Bezirksgesundheitsamtes sowie des Instituts für Sexualwissenschaft war.

Die Aufspaltung der Arbeiterbewegung

Der Erzähler unterhält sich mit seinem Vater über die Aufsplitterung der Arbeiterbewegung in Kommunisten und Sozialdemokraten und darüber, wie sich Letztere gegen Ende des Ersten Weltkriegs mit dem bürgerlichen Lager verbündeten, weil sie die von den Kommunisten propagierte Diktatur des Proletariats vehement ablehnten. So kam es, dass die Sozialdemokraten in Deutschland Anteil an der Regierungsmacht hatten. Es waren dann auch Sozialdemokraten, die den Schießbefehl gaben, als es darum ging, die Aufstände der Arbeiter- und Soldatenräte niederzuschlagen. Diese Spaltung der Arbeiterbewegung, die fast zur Todfeindschaft führte, trug wesentlich dazu bei, dass sich der Faschismus in Deutschland durchsetzen konnte.

Die Rolle der Kultur

Schon von früher Jugend an hat der Vater des Erzählers versucht, seinem Sohn Bildung zu vermitteln. Er brachte abends nach der Arbeit des Öfteren ein Buch mit, das gemeinsam besprochen wurde. Für den Vater sind Kunst und Literatur Produktionsmittel und gehören deshalb allen. Kultur ist kein Privileg der Eliten. Auch Coppis Eltern führen Gespräche über Kultur. Coppis Mutter verteidigt den Wert des „sozialistischen Realismus“ als Richtlinie für das Kulturschaffen: Die Arbeiter bräuchten eine realistische Kunst als Motivator. Auch Coppi selbst, der schon in der Kommunistischen Jugend engagiert war, plädiert dafür, dass die Kunst sich als Bestandteil eines gesamten sozialen Planes dem Primat der kommunistischen Politik unterzuordnen habe. Heilmann dagegen, der schon früh idealistische Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft entwickelt hat, wendet sich gegen den offiziell verordneten sozialistischen Realismus der Kommunisten: Dieser beschränke sich nur auf Äußerlichkeiten und führe nicht zu tiefer gehenden Einsichten, er fördere das Verdrängen von Missständen, statt zu einer Weiterentwicklung des Sozialismus beizutragen.

„Rings um uns hoben sich die Leiber aus dem Stein, zusammengedrängt zu Gruppen, ineinander verschlungen oder zu Fragmenten zersprengt, mit einem Torso, einem aufgestützten Arm, einer geborstnen Hüfte, einem verschorften Brocken ihre Gestalt andeutend, immer in den Gebärden des Kampfs (...)“ (S. 9)

Für den Erzähler ist eine progressive Kultur von entscheidender Bedeutung für den Widerstand. Der Künstler hat, weil er sich auch von seinem Unbewussten und seinen Träumen leiten lässt, intuitiv mehr Weitsicht als der Politiker. Weil die Kunst umfassend aus der erinnerten Erfahrung des Menschen gespeist wird, kann sie eine visionäre Kraft entwickeln, die der Politik wichtige Fortschrittsimpulse zu vermitteln vermag. Wer deshalb die Kunst einengt und ihre von der Intuition geleitete Wahrheitsfindung unterbindet, beraubt die Gesellschaft wichtiger Fortschrittsimpulse. Der Erzähler macht die Unterdrückung der Kultur auch für die Fehlentwicklungen in Sowjetrussland verantwortlich.

Im Spanischen Bürgerkrieg

Bei seiner Ankunft in Spanien erlebt der Erzähler die Zerrissenheit des kommunistischen Lagers. Weil die Anarchisten die Befehle der kommunistischen Regierung verweigern, werden sie massenweise verhaftet. Widerspruch gilt als Hochverrat. Gleichzeitig residiert der örtliche Kommandant Marty selbstherrlich im beschlagnahmten Kloster und übt eine despotische Herrschaft über die internationalen Freiwilligen aus.

„Wenn Vorsorge getroffen wird, die Kunst zu steuern, so bestätigt dies nur den Eigensinn, der ihr innewohnt. Je stärker ihre Bindung, desto größer die Furcht vor der Gefahr ihrer Sprengkraft.“ (S. 85)

Entgegen seiner Erwartung wird der Erzähler nicht an die Front geschickt, sondern Max Hodann auf dessen besonderen Wunsch als Helfer zugeteilt. Dieser ist inzwischen ärztlicher Leiter eines Hospitals in der Nähe von Albacete. Hodann gibt dem Erzähler den Auftrag, die genesenden Kämpfer intellektuell zu stimulieren, indem er Studiengruppen bildet und eine Wandzeitung anfertigt. Diaz, dem politischen Beauftragten von Marty, missfällt, dass in den Studiengruppen die Bedenken der Kämpfer offen angesprochen werden. Hodann, der an schwerem Asthma leidet, wird deshalb als Chefarzt einer Sanitätsanlage an die Küste nach Denia versetzt – offiziell, weil die Seeluft ihm gegen sein Asthma helfen würde. Der Erzähler begleitet ihn.

„Ebenso wenig wie wir die Vorstellung akzeptierten von einer exklusiven Kunst, die für spezifisch Gebildete geschaffen war, konnten wir uns damit begnügen, dass es eine auf die arbeitende Klasse besonders zugeschnittne künstlerische Sprache geben müsse, eine Sprache, die leicht verständlich, solide und tatkräftig zu sein hatte.“ (S. 94)

In Denia verfolgen die Anwesenden im März 1938 mehr oder weniger ernüchtert die Radioberichte über die Moskauer Schauprozesse gegen frühere Kampfgefährten Lenins. Bucharin, der noch vor wenigen Jahren bei einer Rede vor dem Schriftstellerkongress die Freiheit der revolutionären Kunst betont hat, bezeichnet sich jetzt öffentlich als Konterrevolutionär und akzeptiert das über ihn verhängte Todesurteil, vermutlich um seine Familie zu retten. Keiner der Männer in Denia wagt es, offen Kritik an den Vorgängen in Moskau zu üben. Allein Marcauer, eine Kommunistin, die mutig an der Front neben den Männern gekämpft hat und verwundet wurde, lehnt die stalinistischen Säuberungsaktionen und die Tatsache, dass die Kommunisten in Spanien die Urteile verteidigen, nur um den Ruf der Sowjetunion zu schützen, unverblümt ab. Sie sieht das Ganze lediglich als eine Ausgeburt maskuliner Machtkämpfe und als eine Folge der männlichen Vorherrschaft in der Partei. Als sie trotz einer Verwarnung weiterhin Kritik an den sowjetischen Missständen übt, wird sie schließlich verhaftet und zur Hinrichtung abgeführt.

Im Exil

Nach dem Sieg der Faschisten und der Auflösung der Internationalen Brigaden in Spanien gelangt der Erzähler über Paris nach Schweden, wo er mithilfe von Gewerkschaftlern, die seinen Vater kennen, eine Anstellung als Fabrikarbeiter findet. Als Emigrant ist ihm jegliche politische Betätigung verboten. Trotzdem steht er der Kommunistischen Partei für kleine Botendienste zur Verfügung. Auch Hodann ist mittlerweile in Schweden angelangt, kann dort aber nicht arbeiten. Denn auf Betreiben der schwedischen Ärzteschaft erhalten die Emigranten keine Berufserlaubnis, nicht einmal wenn es erfahrene und international anerkannte Ärzte sind. Entsprechend fristet Hodann eine eher erbärmliche Existenz. Wegen des Stalinismus in der Sowjetunion beginnt er sich zunehmend von der Kommunistischen Partei zu distanzieren.

„Die Kunst besaß also, neben ihrem bestimmten Klassencharakter, eine Eigenschaft, mit der sie den sozialen, ökonomischen und politischen Prozessen, die unser Leben bestimmten, überlegen war (...)“ (S. 97)

Der Erzähler setzt seinen Entschluss, als Schriftsteller für den Sozialismus einzutreten, in die Tat um. Über Hodann und andere Emigranten lernt er Bertolt Brecht kennen und es gelingt es ihm, eine Zeit lang für diesen als „Informationsbeschaffer“ unentgeltlich zu arbeiten. Brecht lässt ihn Hintergrundmaterial über den schwedischen Freiheitskämpfer Engelbrekt zusammenstellen, der im 15. Jahrhundert gegen die dänischen und deutschen Herrscher kämpfte. Als sich aber herausstellt, dass Engelbrekt dem Adel und nicht dem Volk entstammte und einen möglichen allgemeinen Volksaufstand gegen die Machthaber sogar verhinderte, weil er keinen Bürgerkrieg wollte, gibt Brecht das Projekt auf. Er ist nicht bereit, aus politischen Motiven mehr in eine historische Situation hineinzulesen, als es die sorgfältig zusammengestellten Fakten erlauben würden.

Die stumme Mutter

Als in der Fabrik, am Arbeitsplatz des Erzählers, bekannt wird, dass er für die Gewerkschaftszeitung Artikel schreibt, wird er entlassen und verliert damit sein festes Einkommen. Mittlerweile sind seine Eltern aus der Tschechoslowakei geflohen und in Schweden angekommen. Auf ihrer Flucht wurden sie immer wieder von deutschen Soldaten aufgegriffen, weil man sie für fliehende Juden hielt. Wenn der Vater aber dann seinen Orden aus dem Ersten Weltkrieg vorzeigte, war man freundlich zu ihnen und gab ihnen Quartier und Verpflegung. Wie sich später herausstellt, geriet die Mutter des Erzählers aber einmal in eine Gruppe von Juden, die gefangen genommen und erschossen wurden. Die Mutter blieb unverletzt und konnte später unter dem Berg von Leichen hervorkriechen. Seither ist sie geistesabwesend und meist stumm. Nur gelegentlich erzählt sie von ihren schrecklichen Halluzinationen, in denen sie die Toten um sich herum sieht. Allmählich verliert sie allen Lebenswillen und stirbt schließlich trotz der liebevollen Pflege von Mann und Sohn.

Der deutsche Widerstand

Um die Lage in Deutschland zu erkunden, wird Lotte Bischoff, eine deutsche Kommunistin, von Schweden aus auf einem kleinen Frachter versteckt und nach Deutschland eingeschleust. In Berlin trifft sie auf Coppi und Heilmann, die dort beide im Untergrund für den Widerstand arbeiten. Heilmann ist offiziell als Gefreiter für die Dechiffrierabteilung des deutschen Oberkommandos tätig. Er macht die dort erlangten Informationen dem Widerstand um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack zugänglich. Coppi ist als Funker für den Widerstand tätig. Nachdem das Oberkommando einen Funkspruch aufgefangen und dechiffriert hat, in dem auch die Adressen mehrerer Widerstandskämpfer enthalten sind, wird fast die gesamte Gruppe – die „Rote Kapelle“ – verhaftet. Die Widerstandskämpfer werden gefoltert und zu einem großen Teil zum Tode verurteilt. Zusammen mit Schulze-Boysen, Harnack und anderen Widerstandskämpfern, darunter auch etliche Frauen, werden Heilmann und Coppi am 22. Dezember 1942 hingerichtet. Heilmann ist noch immer minderjährig. Coppis schwangerer Frau Hilde wird gestattet, das Kind auszutragen und zu stillen, bevor auch sie ein Jahr später hingerichtet wird. Lotte Bischoff dagegen kann sich bis zum Kriegsende verstecken.

Kriegsende

Nach Kriegsende reflektiert der Erzähler über die Lage der Dinge: Die Arbeiterbewegung ist erwartungsgemäß endgültig in zwei Lager zerfallen. Unterstützt von der Sowjetunion übernehmen die Kommunisten in Ostdeutschland die Macht, die Sozialdemokraten dagegen werden in Westdeutschland von den Westmächten gefördert. Nach den Entbehrungen während des Krieges geht es den Arbeitern erst einmal um Lohn, Essen, Freizeit und Verbrauchsgüter, nicht um Ideologien. Es ist zu erwarten, dass das westdeutsche politische System aufgrund eines Zustroms von Geldern aus dem Westen leicht den scheinbaren Beweis antreten wird, dass das westliche politische System das bessere sei. Der Erzähler wird von Hodann ermutigt, sich seine eigenen Urteile zu bilden und sich vor allem erst einmal selbst zu verwirklichen. Hodann gerät seinerseits zwischen alle Fronten. Seine sozialistische Verwurzelung ist zu stark, als dass er der Sozialdemokratischen Partei beitreten könnte. Allerdings ist seine Enttäuschung über die Lage in der Sowjetunion zu groß, als dass er sich noch bei den Kommunisten einfügen könnte. Er bleibt in Schweden und versucht die Familie als Handelsvertreter zu ernähren, da er weiterhin mit dem Verbot belegt ist, als Arzt tätig zu sein. Am 17. Dezember 1946 stirbt der asthmatische Hodann an einem Erstickungsanfall. Die rettende Spritze hat er zwar schon aufgezogen, sie dann aber ungenutzt zur Seite gelegt. Der Erzähler beschließt, über die Mitglieder des Widerstands zu schreiben, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands ist eine Romantrilogie. Die drei Bände haben, obwohl sie mit mehreren Jahren Abstand voneinander erschienen sind, keine eigenständigen Titel, sondern sind schlicht durchnummeriert. Jeder der drei Bände ist wiederum in zwei Teile untergliedert. Die Klammer des Gesamtwerkes bildet die Bezugnahme auf den Pergamonfries. Zum einen wird die Entwicklung des Erzählers vom bildungshungrigen Arbeitersohn bis hin zum Schriftsteller geschildert. Zum anderen werden die Entwicklungen innerhalb des antifaschistischen Widerstands von 1937 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dargestellt. Diese Handlungsstränge ziehen sich aber nur lose durch das gesamte Werk. Sie werden immer wieder unterbrochen von essayartigen Textpassagen und ausführlichen Beschreibungen von Kunstwerken, Traumsequenzen oder historischen Rückblenden. Auch sprachlich ist das Werk sehr variantenreich, opulente Beschreibungen mit teilweise halbseitenlangen Sätzen finden sich ebenso wie nüchterne, fast lehrbuchartig anmutende Ausführungen. Mit diesem bunten Gemisch von Stilen und Inhalten bricht Weiss bewusst mit manch überlieferter Konvention des Romanschreibens. Die Faktenfülle und die vielen unterschiedlichen Themen wirken teilweise erdrückend; wer das Werk lesen will, braucht viel Ausdauer und ständige Aufmerksamkeit.

Interpretationsansätze

  • Weiss’ Monumentalwerk ist ein Denkmal für den antifaschistischen Widerstand während der NS-Zeit. Darüber hinaus bietet der Roman umfangreiche Informationen zur Geschichte der Arbeiterbewegung.
  • Durch die Verknüpfung einer Fülle von genau recherchierten historischen Fakten und Persönlichkeiten mit fiktiven Elementen entsteht die Illusion einer Dokumentation: Der Erzähler, der z. T. die Züge von Peter Weiss trägt, begegnet zahlreichen bekannten (Brecht) und weniger bekannten (Hodann, Coppi, Heilmann) linken Widerständlern.
  • Mit vielen historischen Rückblenden, die bis in die Antike zurückreichen, versucht der überzeugte Sozialist Weiss zu belegen, dass Ausbeutung und Unterdrückung seit Anfang der Geschichte systematisch betrieben wurden.
  • Das Buch bietet beeindruckende Beschreibungen von Kunstwerken mit interessanten Hintergrundinformationen über Künstler und Werkentstehung, vom Pergamonaltar bis zu den Arbeiten des Grafikers John Heartfield.
  • Weiss, dessen Mentor in Schweden der Psychiater und Sexualforscher Max Hodann war, bietet auch tiefe Einblicke in die psychologischen Zusammenhänge, die den Ereignissen zugrunde liegen.
  • Unverblümt bringt Weiss seine Kritik am diktatorischen Wesen und an der kulturellen Enge des damaligen „real existierenden Sozialismus“ zum Ausdruck und geißelt dabei vor allem die Auswüchse des Stalinismus.
  • Durch das gesamte Werk zieht sich ein Plädoyer für eine progressive Kunst. Sie soll das Positive der bisherigen Kulturentwicklung assimilieren und gleichzeitig mit ihrer visionären Macht die revolutionären Kräfte vorantreiben.

Historischer Hintergrund

Die kulturelle Schwäche des Widerstands

Als Peter Weiss die Arbeit an der Ästhetik des Widerstands aufnahm, hatte er sich bereits eindeutig zum Sozialismus als dem Weg zur Schaffung einer gerechten, menschenwürdigen Gesellschaft bekannt. Gleichzeitig musste er mit ansehen, wie der „real existierende Sozialismus“ immer weiter in eine kulturelle Krise geriet. Wenige Jahre zuvor war im Westen auch die Studentenrevolte, deren Vertreter die bisherige Kunst als bürgerlich diskreditierten und gänzlich ablehnten, in Deutschland und Frankreich gescheitert. Die Sowjetunion und vor allem die DDR verloren in den nachfolgenden Jahren durch ihren furchtsamen und gleichzeitig gewaltsamen Umgang mit Dissidenten weltweit zunehmend an Ansehen. 1974 wurde der Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn aus der Sowjetunion ausgebürgert, 1976 folgte als vorläufiger Höhepunkt die Kampagne der DDR gegen ihre Dissidenten und die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Peter Weiss ergriff damals öffentlich Partei für Biermann. Für die Kultur im Kommunismus galten weiterhin fast unverändert die 1932 unter Josef Stalin eingeführten Richtlinien, in denen der „sozialistische Realismus“ zur verbindlichen Vorgabe für jegliche literarisch-künstlerische Betätigung erklärt worden war.

Entstehung

Seit Jahrzehnten trug sich Peter Weiss mit dem Gedanken, ein modernes Gegenstück zu Dantes Göttlicher Komödie zu verfassen. Eine Dichtung in gebundener Sprache nahm er aber nie in Angriff. Stattdessen schuf er mit einem Prosawerk eine Parallele zu Dantes opulentem Versepos. Dante hatte viele Persönlichkeiten seiner Zeit namentlich in sein Werk einbezogen. Zumindest als Parallele zum ersten Teil der Göttlichen Komödie, dem Abstieg in die Hölle, schien sich die Geschichte des brutal vernichteten antifaschistischen Widerstands anzubieten. Weiss gab seinem Werk tatsächlich zunächst den Titel Der Widerstand. Im Nachhinein bekannte er, dass er für den Roman vorab keine Struktur entworfen habe, sondern sich für dessen Verlauf von seinen umfassenden Recherchen habe leiten lassen. Dadurch entwickelte sich der Inhalt in eine Richtung, in der das Thema Kunst und Kultur zunehmend an Bedeutung gewann. Entsprechend änderte Weiss den Titel nachträglich in Die Ästhetik des Widerstands. In das Werk flossen Erfahrungen ein, die Weiss als Maler und Filmregisseur gesammelt hatte. Überhaupt weist die Trilogie autobiografische Züge auf: Zum Broterwerb musste Weiss zeitweise in Schweden in der von seinem Vater geleiteten Textilfabrik arbeiten. Dabei bedauerte er, dass er die Situation seiner Arbeitskollegen nie wirklich miterleben konnte, weil er eben nicht nur Fabrikarbeiter, sondern immer auch der Sohn des Chefs war. Daher gab er dem Ich-Erzähler seines Romans einen Hintergrund aus dem Arbeitermilieu, mit einem Vater, der sich als Sozialdemokrat in der Gewerkschaftsbewegung engagiert. Weiss selbst hat nicht in Spanien gekämpft, Max Hodann aber, der im schwedischen Exil sein Mentor wurde, hat als Arzt bei den Internationalen Brigaden gedient. Weiss bezeichnete das Werk einmal als eine Art persönliche „Wunschbiografie“. Er betonte auch, dass die Figuren in seinem Roman letztendlich fiktiv seien, auch wenn sie auf historischen Vorbildern gleicher Namen beruhen, deren Leben er akribisch recherchiert hatte.

Wirkungsgeschichte

Wie von Peter Weiss vorhergesagt, wurde das Werk in der Bundesrepublik von der bürgerlichen Literaturkritik anfangs als inhaltlich, formal und stilistisch unzulänglich verurteilt und in der DDR zunächst verboten. Der Autor selbst brachte die unterschiedliche Wahrnehmung in den beiden Teilen Deutschlands so auf den Punkt: „Im einen Deutschland wird das Buch herausgegeben und öffentlich verdammt, im anderen Deutschland wird es verboten und heimlich gelobt.“ In westdeutschen linken Kreisen entwickelte sich das Mammutwerk jedenfalls zu einer Art Kultbuch. Es wurden viele Literaturzirkel gegründet, in denen das Buch gemeinsam gelesen und besprochen wurde. Nach dem Erscheinen des dritten Bandes fand es schließlich auch in der literarischen Fachwelt Anerkennung. Posthum wurde Weiss dafür sogar der prestigeträchtige Georg-Büchner-Preis verliehen. Nach dem Fall der Mauer erlebte Die Ästhetik des Widerstands noch einmal eine Renaissance. Mittlerweile gilt das Werk als Weiss’ Opus magnum. Selbst international wird es als eines der Jahrhundertwerke der deutschen Literatur eingestuft. An zahlreichen Universitäten ist es Bestandteil des Lehrplans. Obwohl es als literarischer Klassiker gilt, hatte das Buch aber nie die von Peter Weiss erhoffte Breitenwirkung – was wohl auch an dem monumentalen Umfang und der schweren Lesbarkeit liegt. Nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa wirkt das Buch mittlerweile fast anachronistisch. Es spricht aber auch Themen an, die angesichts der heutigen Globalisierungsdebatte sowie der Diskussion um den zunehmenden Niveauverlust der Programminhalte von Massenmedien durchaus wieder aktuell sind.

Über den Autor

Peter Weiss wird am 8. November 1916 in Nowawes bei Berlin geboren. Sein Vater ist ein aus Ungarn stammender, vom Juden- zum Christentum konvertierter Textilfabrikant, seine Mutter eine deutschschweizerische Schauspielerin. Von 1916 bis 1929 lebt die Familie in Bremen. Danach kehrt sie nach Berlin zurück, von wo sie 1934 aber emigrieren muss. Die nächsten Stationen sind zuerst London, dann, ab 1936, die Tschechoslowakei. An der Prager Kunstakademie studiert Peter Weiss auf Anraten Hermann Hesses, den er zweimal für längere Zeit besucht, Malerei. 1939 flieht die Familie nach Schweden. Von 1940 bis zu seinem Lebensende lebt Peter Weiss in Stockholm. Zuerst versucht er sich dort als Maler, aber der kommerzielle Erfolg bleibt aus. Erste Schreibversuche in schwedischer Sprache stoßen nur auf wenig Resonanz. Zeitweilig arbeitet Weiss in der von seinem Vater geleiteten Fabrik, später auch als Dozent an der Volkshochschule. In den 50er Jahren betätigt er sich zudem als Regisseur von Auftrags- und Experimentalfilmen. Seinen ersten größeren Erfolg hat er mit dem 1960 erscheinenden deutschen Prosatext Der Schatten des Körpers des Kutschers. 1961 folgt Abschied von den Eltern und 1962 der Roman Fluchtpunkt. Sein 1964 erscheinendes Theaterstück Die Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade wird zu einem großen internationalen Erfolg. 1965 wird Weiss’ auf dem ersten Auschwitzprozess basierendes Drama Die Ermittlung gleichzeitig in Ost- und Westberlin und auf 13 weiteren Bühnen in der BRD und der DDR uraufgeführt. Gegen Ende der 60er Jahre tritt Weiss entschieden gegen den Vietnamkrieg ein und verfasst das Stück Vietnam-Diskurs, in dem er den Krieg der USA scharf verurteilt. 1970 erscheint sein Stück Trotzki im Exil. Seit Beginn der 70er Jahre schreibt Weiss an seiner monumentalen Romantrilogie Die Ästhetik des Widerstands. Ein Jahr vor Erscheinen des dritten Bandes veröffentlicht er auch seine Notizbücher 1971–1980, in denen er parallel zum Romanschreiben seine persönlichen Eindrücke, den Rechercheprozess und Hintergrundinformationen verzeichnet. Peter Weiss stirbt am 10. Mai 1982 in Stockholm. Posthum wird ihm der Georg-Büchner-Preis des Jahres 1982 zuerkannt, die wichtigste deutsche Literaturauszeichnung.

Hat Ihnen die Zusammenfassung gefallen?

Buch oder Hörbuch kaufen

Diese Zusammenfassung eines Literaturklassikers wurde von getAbstract mit Ihnen geteilt.

Wir finden, bewerten und fassen relevantes Wissen zusammen und helfen Menschen so, beruflich und privat bessere Entscheidungen zu treffen.

Für Sie

Entdecken Sie Ihr nächstes Lieblingsbuch mit getAbstract.

Zu den Preisen

Für Ihr Unternehmen

Bleiben Sie auf dem Laufenden über aktuelle Trends.

Erfahren Sie mehr

Studenten

Wir möchten #nextgenleaders unterstützen.

Preise ansehen

Sind Sie bereits Kunde? Melden Sie sich hier an.

Kommentar abgeben

Mehr zum Thema

Verwandte Kanäle