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Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung

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Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung

Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences

Meiner,

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What's inside?

Diese Schrift steht am Anfang des neuzeitlichen Denkens: Nicht der Glauben, sondern der Zweifel führt zur Erkenntnis.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Frühe Neuzeit

Worum es geht

Der Beginn der neuzeitlichen Philosophie

René Descartes hat maßgeblich dazu beigetragen, das Welt- und Menschenbild der Neuzeit zu schaffen. Er führte das Denken weg von der Untersuchung des Wesens der Dinge hin zu der Art und Weise, wie das Denken selbst funktioniert. Ausgehend von der Mathematik entwickelte er seine Methode zur Analyse des Wissens, das der Mensch von der Welt hat. Zu seiner Zeit war in der Philosophie immer noch die aus dem Mittelalter stammende Scholastik vorherrschend, die eher Glaubensdoktrinen verkündete als objektiv nachvollziehbare, wissenschaftliche Erkenntnisse. Immerhin musste genau zu jener Zeit Galileo Galilei sich vor der römischen Inquisition verantworten und wurde zu lebenslangem Hausarrest verurteilt. Descartes war also gewarnt und ließ darum seine Schrift Von der Methode anonym erscheinen. Denn was er schrieb, noch dazu in der Ich-Form und auf Französisch statt auf Latein, war trotz einiger "Gottesbeweise" im Text ketzerisch genug: Descartes ließ den einzelnen Menschen zur absoluten Instanz der Wahrheit werden und forderte ihn auf, den Zweifel zum methodischen Prinzip zu erheben. Damit setzte er die kritische Vernunft an die Stelle eines seit Jahrhunderten überlieferten religiös gefärbten Scheinwissens. Mit der Schrift Von der Methode löste er einen Paradigmenwechsel in der europäischen Philosophie der Neuzeit aus: Von nun an standen die Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen Bewusstseins und nach dem denkenden Subjekt im Vordergrund.

Take-aways

  • Descartes’ Abhandlung Von der Methode steht am Anfang der neuzeitlichen Philosophie. Erstmals setzt hier ein Denker auf den radikalen Zweifel als Erkenntnisprinzip.
  • Descartes kritisiert, dass die Wissenschaft kaum mehr ist als die Propagierung von widerstreitenden Meinungen, die über keine Sicherheit der Erkenntnis verfügen.
  • Die Mathematik ist für ihn das Modell aller Wissenschaften, da ihre Beweise evident und unanfechtbar sind. Von der Mathematik leitet er auch seine Methode ab.
  • Die Methode beruht auf vier Schritten: 1) nichts zu akzeptieren, was nicht klar und deutlich als wahr erkannt wird, 2) Probleme in Teilprobleme zu zerlegen, 3) beim Denken vom Einfachen zum Komplizierten fortzuschreiten und 4) auf Vollständigkeit zu achten.
  • Descartes beginnt mit dem radikalen Zweifel an allem. Nur eine einzige Gewissheit bleibt dabei bestehen: Ich zweifle (oder denke).
  • Daraus folgt der berühmte Satz: Ich denke, also bin ich (bekannt auch auf Französisch: "je pense donc je suis", und auf Lateinisch: "cogito ergo sum").
  • Die Sicherheit der Erkenntnis beruht also allein auf der Selbstgewissheit des Denkenden, der sich als denkendes Ich begreift.
  • Dieses denkende Ich unterscheidet sich grundlegend vom körperlichen: Der Körper ist die materielle, das Denken die immaterielle Seite der menschlichen Existenz.
  • Der Mensch ist sich seiner Unvollkommenheit bewusst. Das setzt aber das Wissen um die Existenz des Vollkommenen voraus, und dieses Vollkommene kann nur Gott sein.
  • Die Existenz Gottes ist der Garant für die Wahrheit menschlicher Erkenntnisse.
  • Descartes trennt Körper und Geist radikal: hier das reine Denken ohne Körperlichkeit, dort Körperlichkeit ohne Denken. Wie beide dennoch zusammenhängen, ist eine Frage, die bis heute Philosophen und Hirnforscher beschäftigt.
  • Von der Methode war die erste philosophische Abhandlung in Frankreich, die nicht in Latein, sondern auf Französisch geschrieben wurde, was zu ihrer großen Wirkung beitrug.

Zusammenfassung

Die Mathematik als Modell

Alle Menschen besitzen die Gabe, wahr und falsch voneinander zu unterscheiden: den gesunden Menschenverstand. Das ist schon einmal eine gute Grundvoraussetzung. Damit diese Fähigkeit aber zum Gewinn von Erkenntnis fruchtbringend angewendet werden kann, bedarf es außerdem einer Methode, die verhindert, dass Wahrheit und Unwahrheit, Richtigkeit und Falschheit zum Gegenstand von bloßen Meinungen verkommen. Tatsächlich hat die Wissenschaft bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts nur mittelmäßige Ergebnisse hervorgebracht, und der Philosophie haftet der Makel an, immer nur zu Überzeugungen zu führen, die von anderen bestritten werden.

„Der gesunde Verstand ist die bestverteilte Sache der Welt; denn jedermann glaubt, so wohl damit versehen zu sein, dass selbst einer, der in allen anderen Dingen nur sehr schwer zu befriedigen ist, für gewöhnlich nicht mehr davon wünscht, als er besitzt.“ (S. 3)

Unter allen Wissenschaften bietet die Mathematik das einzige Modell einer Methodik, die zu einer sicheren wissenschaftlichen Erkenntnis der Wahrheit führt. Es ist ein Modell, dessen Beweiskraft von solcher Evidenz und Genauigkeit ist, dass der Mensch, egal in welchen alltäglichen Lebensumständen er sich befindet, allein die Gesetzmäßigkeit der Mathematik benötigt, um die Wahrheit zu finden.

Die rationalen Prinzipien der Welt

Wer sich auf Reisen begibt oder an einen entlegenen Ort zur Meditation geht, kann in der Einsamkeit eine klare Erkenntnis dessen erlangen, was im Leben wichtig ist. So erging es auch René Descartes: Als junger Offizier nahm er auf Seiten der kaiserlichen Liga am Dreißigjährigen Krieg in Deutschland teil, und sein Denken erhielt in dieser Zeit eine gewisse Inspiration durch die Abgeschiedenheit von seiner Heimat. Es wurde bereichert durch die Erfahrungen des Krieges, aber mehr noch durch die Entdeckung - in Form von drei Träumen -, dass die Welt auf rationalen Prinzipien aufgebaut ist. Descartes erlebte damals eine geistige und emotionale Erschütterung und unterzog alle seine bislang als richtig erachteten Meinungen einer strengen Prüfung: Basieren diese Meinungen auf Glauben oder sind sie vereinbar mit den Grundsätzen der Vernunft? Um dies zu überprüfen, entwickelte er vier grundlegende Regeln.

Die vier Regeln der Methode

Diese Regeln stammen eigentlich aus der Geometrie und vermitteln den methodischen Vorbildcharakter der Mathematik:

  1. Alle Überzeugungen, die nicht klar und deutlich als wahr angesehen werden können, müssen angezweifelt werden.
  2. Alle Probleme müssen in einfachere Teilprobleme zergliedert werden.
  3. Von einfachen Gedanken muss man sich schrittweise zu komplexeren Gedanken vorarbeiten.
  4. Man muss auf Vollständigkeit und Übersicht bedacht sein, um nichts zu vergessen.
„Es ist also nicht meine Absicht, hier die Methode zu lehren, die jeder befolgen muss, um seinen Verstand richtig zu leiten, sondern nur aufzuzeigen, wie ich versucht habe, den meinen zu leiten.“ (S. 7)

Mit dieser Methode können alle Erkenntnisprobleme der Menschheit gelöst werden, darunter auch die zentrale Frage nach moralischer Handlungsweise: Welche sittlichen Regeln müssen angewendet werden, bis auf alle moralischen Probleme eine Antwort gefunden ist? Als Übergangslösung lässt sich annehmen, dass ein moralisches Minimum existiert, eine Art provisorische Moral, die das Handeln leitet. Während man sich an diese provisorische Moral hält, kann man mit der oben beschriebenen Methode die tatsächlich gültigen Moralprinzipien herausfinden.

Die einzige Gewissheit

Wie sieht nun diese provisorische Moral aus? Die erste Maxime ist der Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Vaterlandes und gegenüber der christlichen Religion. Dazu gehört auch die Verpflichtung des Einzelnen, sich nicht von Meinungen leiten zu lassen, die von Maßlosigkeit und Übertreibungen geprägt sind. Die zweite Maxime ist die Verpflichtung, immer entschlossen zu handeln. Die dritte fordert dazu auf, so vorzugehen, dass durch die Verwirklichung der persönlichen Wünsche nicht die Ordnung der Welt gefährdet wird.

„Und ich hatte immer großes Verlangen, Wahres von Falschem unterscheiden zu lernen, um in meinen Handlungen klar zu sehen und in diesem Leben sicher zu gehen.“ (S. 17)

Auf diese Weise kann der Mensch eine Art Ausgleichsvertrag mit der Welt und den Kräften des Schicksals schließen. Danach kann man sich getrost am entlegensten Punkt der Erde, in der Wüste z. B., niederlassen, um eine Existenz zu erproben, in der man sich eines auf Meinen und Glauben gestützten Urteils enthält und nur dem Verstand folgt. Die Einsamkeit ist ideal, um den alles infrage stellenden Zweifel, von dem in der ersten Regel der Methode die Rede ist, radikal anzuwenden. Wer dabei so weit geht, die Erkenntnisse der Vernunft und auch die sinnlichen Wahrnehmungen infrage zu stellen, dem präsentiert sich die Welt als ein Traumgebilde: Alles, was wir erleben, könnte nur ein Traum sein, ein Hirngespinst. Doch auch einen Traum "denkt" man ja. Selbst wenn man alles, was man denkt, bezweifelt und alles als Traum oder Wahn ansieht, so steht doch eines fest: Man denkt. Folglich existiert man und kann behaupten: "Ich denke, also bin ich."

„Indem ich mir bei jeder Sache besonders überlegte, was sie bedenklich machen und uns Anlass zur Täuschung geben könnte, schaffte ich mittlerweile alle meine Irrtümer aus meinem Geiste mit der Wurzel fort, die sich ehemals hatten einschleichen können.“ (S. 47)

Der Mensch ist zu gar nichts anderem geschaffen als zum Denken. Er kann nämlich sogar die Existenz des eigenen Körpers bezweifeln (auch dieser könnte eine Einbildung sein) - fest steht aber, dass er auch in diesem Augenblick ein zweifelndes, d. h. denkendes Wesen ist. Im Unterschied zum Körper bleibt das Denken, die geistige Substanz unbezweifelbar, denn für sie bürgt die Gewissheit des "Ich denke". Diese Gewissheit ist es auch, mit deren Hilfe die Seele des Menschen identifiziert werden kann. Denn im Gegensatz zur materiellen Existenz des Körpers und seiner Abhängigkeit von der Außenwelt besitzt die Seele ihre Wahrheit gerade in dieser Unbezweifelbarkeit. Sie ist wahrhaftiger als der Körper. Selbst wenn der Körper nicht existierte, würde die Seele weiter fortfahren, das zu sein, was sie ist.

Der vollkommene Gott existiert

Gemäß der ersten Regel dürfen nur die Dinge als wahr gelten, die ganz klar und deutlich erkannt werden können. Die Schwierigkeit besteht nun allerdings darin zu entscheiden, welche Dinge wir klar und deutlich erkennen. Denn es sind ja viele Arten von Sinnestäuschungen bekannt. Das berechtigte Zweifeln des Menschen lässt den Schluss zu, dass das denkende Ich von sich selbst ein Bewusstsein hat, zu dem auch gehört, dass es seine eigenen Mängel kennt.

„Und indem ich erkannte, dass diese Wahrheit: ‚ich denke, also bin ich’ so fest und sicher ist, dass die ausgefallensten Unterstellungen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermöchten, so entschied ich, dass ich sie ohne Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suchte, ansetzen könne.“ (S. 53)

Aus dieser Unvollkommenheit wiederum muss notwendigerweise auf das Vorhandensein der Vollkommenheit geschlossen werden. Das Ich kann seine eigene Unvollkommenheit nur erkennen, weil es zur Vorstellung des Vollkommenen fähig ist. Das Vollkommene ist nichts anderes als Gott. Gott repräsentiert Allwissenheit und Allmacht und auch die Vorstellung des Immerwährenden - alles Qualitäten, die das unvollkommene Ich nicht besitzt. Damit ist der Beweis erbracht, dass Gott existiert! Denn wo soll die Vorstellung der Vollkommenheit herrühren, wenn nicht von Gott?

„Als ich mir nun weiter überlegte, dass ich zweifelte, dass also mein Wesen nicht ganz vollkommen wäre, - denn ich sah klar, dass Erkennen eine größere Vollkommenheit ist als Zweifeln - wurde ich auf die Untersuchung geführt, woher mir der Gedanke an ein vollkommeneres Wesen als ich gekommen sei, und erkannte deutlich, dass er von einem Wesen herrühren müsse, das in Wirklichkeit vollkommener ist.“ (S. 55)

Diesem aus dem Denken heraus entstandenen ersten Gottesbeweis folgt ein zweiter: Nur unter der Voraussetzung, dass Gott existiert, kann das denkende Ich überhaupt die Wahrheit erkennen. Anders als vollkommen und gut ist Gott nämlich nicht zu denken - also muss Gott tatsächlich vollkommen und gut sein. Aber ein guter Gott wird uns die Welt sicher nicht als Hirngespinst darstellen. Gott beweist uns auf diese Weise die Existenz des Wahren. Unwahrheit ist nämlich mit der Vollkommenheit Gottes nicht vereinbar, und wenn es im menschlichen Leben Täuschungen und Unwahrheiten gibt, so rühren diese eben von der Unvollkommenheit des Menschen her, nicht aber von Gott.

Überlegenheit der Verstandesleistung

Die Schwierigkeit, die viele Menschen haben, Gott zu erkennen, liegt in ihrer Neigung, in der sinnlichen Vorstellung der Dinge zu verharren. Diese Menschen bleiben in ihrem Denken blockiert, weil sie sich nicht von dem Zwang lösen können, sich von allem ein Bild zu machen. So wird die Körperlichkeit zum Vehikel jeder Vorstellung. Was nicht bildlich vorstellbar wird, können diese Menschen auch nicht begreifen. Sogar manche Philosophen haben der sinnlichen Wahrnehmung der Dinge Priorität eingeräumt und behauptet, dass eine Verstandesleistung ohne die sinnliche Vorstellung gar nicht möglich sei. Aber sowohl Gott als auch die Seele sperren sich der sinnlichen Vorstellung. Wer Gott und die Seele mit seiner Einbildungskraft begreifen will, ähnelt denen, die mit ihren Augen Töne hören und Gerüche wahrnehmen wollen. So fällt es zwar nicht schwer, sich den Körper einer Ziege vorzustellen, aus dem der Kopf eines Löwen herausragt - daraus darf man aber noch lange nicht schließen, dass eine solche Chimäre wirklich existiert. Doch die durch unsere Sinne gesteuerte bildliche Vorstellungskraft bringt uns nie Gewissheit, wenn nicht unser Verstand dazu beiträgt.

Körper und Seele

Die Unterteilung des Menschen in Körper und Seele bildet die Voraussetzung für die Einsicht in das Funktionieren des Körpers. Dieser ist ein Automat, dessen Motor das Herz ist. Das Herz ist eine Pumpe, und der Blutkreislauf ist ein Pumpen- und Röhrensystem, das sich nicht, wie manche meinen, an der Kreisbewegung der Himmelskörper ausrichtet, sondern eher mit dem Ticken einer Uhr vergleichbar ist. Das Herz wird durch das Hirn gesteuert und muss sich mit einer untergeordneten Stellung im Körper zufriedengeben. Der Beitrag des Herzens zur Erwärmung des Körpers ist sehr gering. Die gleichmäßig verteilte Körpertemperatur ist einerseits dem Fließen des Blutes und andererseits dessen permanenter Erneuerung zu verdanken, wofür andere Organe als das Herz verantwortlich sind, die Lungen etwa. Das Zusammenwirken aller Organe, der Muskeln und des Hirns erweckt den Menschen im gleichen Maße zum Leben, wie das Funktionieren einer Maschine durch die Bewegung ihrer Einzelteile gewährleistet wird. Das allein erhebt den Menschen aber noch nicht über das Tier. Dafür sorgt erst das Bewusstsein, das der Mensch von seiner Existenz hat: die Seele.

Tiere und Menschen

Im Unterschied zum Menschen haben Tiere keine Seele. Sie sind wie Maschinen. Tiere empfinden deshalb auch keinen Schmerz, sie besitzen keinen Geist und können nicht denken. Sie nehmen an der geistigen Welt nicht teil, auch dann nicht, wenn sie dressiert worden sind, mit bestimmten, scheinbar menschlichen Fähigkeiten den Menschen zu Willen zu sein. Ein Papagei etwa, der nie gelernt hat zu reden oder die eingeübten Wörter wieder verlernt hat, vermisst diese Fähigkeit nicht, ein taubstummer Mensch hingegen schon. Selbst wenn er von Geburt an weder hören noch sprechen kann, ist es ihm möglich, sich seines Defizits bewusst zu werden, denn im Unterschied zum Tier besitzt der Mensch - selbst ein mit nur geringen geistigen Gaben ausgestatteter - dazu die Voraussetzungen. Auch aus der Tatsache, dass Tiere in manchen ihrer natürlichen Fähigkeiten oftmals geschickter sind als Menschen, ist nicht abzuleiten, dass sie Verstand haben. Vielmehr ist dies gerade der Beweis, dass sie keinen haben und lediglich die Natur in ihnen handelt. Tiere ähneln darin Uhrwerken, die ja mit ihrer nahezu perfekten Mechanik viel genauer die Stunden zählen und die Zeit messen, als der Mensch es je tun könnte.

Hoffnung auf Fortsetzung der Debatte

Warum wurde dieses Werk Von der Methode überhaupt geschrieben? Es ist in den Jahren zuvor vorgekommen, dass gewisse Forschungsergebnisse von den Vertretern der kirchlichen Lehrmeinung verboten wurden. Darum entschloss sich Descartes, seine eigenen Schriften vor der Veröffentlichung noch einmal genau danach zu untersuchen, ob ihnen nicht auch der Vorwurf gemacht werden könnte, gegen Positionen der Kirche zu verstoßen oder nicht sorgfältig genug ausgearbeitet zu sein. Dass Descartes sich doch für die Publikation des Werks entschieden hat, liegt an seiner Hoffnung, für die Fortsetzung der Forschung und der Diskussion eine breitere Grundlage zu finden. Ausdrücklich wird deshalb zur Kritik an dem Werk aufgefordert und eine sorgfältige Prüfung aller Argumente versprochen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Schrift Von der Methode ist in der Ich-Form geschrieben und enthält viele autobiografische Elemente, die dem Text eine außergewöhnliche Authentizität und Überzeugungskraft verleihen. Insbesondere schildert Descartes ausführlich Lebenssituationen und -stationen, in denen er wichtige Beobachtungen gemacht hat, etwa seine Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg. Obwohl der Autor immer wieder durchscheinen lässt, dass er sich durchaus der revolutionären Aspekte seiner Überlegungen bewusst ist, verzichtet er auf jegliche Gebärde des Triumphs oder der Genugtuung. Auffallend sind die - im Vergleich mit anderen philosophischen Abhandlungen jener Zeit - relative Kürze des Werks und der Umstand, dass die Schrift auf Französisch, also in der Sprache des Volkes, und nicht auf Latein geschrieben wurde. Allerdings ist der lateinische Gelehrtenstil immer noch in den langen, verschachtelten Sätzen spürbar, sodass die literarische Qualität der Schrift zu wünschen übrig lässt. Die Abhandlung besteht aus sechs Teilen, in denen mehrere Hinweise zu finden sind, dass es sich bei dem Werk nur um einen Vorbericht handelt, der in die drei wissenschaftlichen Essays über Dioptrik, Meteorologie und Geometrie einführt. Wie es in den 20er und 30er Jahren des 17. Jahrhunderts durchaus üblich war, versucht auch Descartes in den beiden Schlussteilen der Abhandlung, der möglichen Kritik der Kirche zuvorzukommen. Er versichert, mit seiner Schrift keine theologischen Lehrmeinungen infrage stellen zu wollen.

Interpretationsansätze

  • Descartes liefert eine Erkenntnistheorie, die nur das als richtig und gut anerkennt, was das eigene, individuelle Denken als richtig und gut bestätigt. Dem Glauben an Autoritäten wird eine Absage erteilt. Der Prozess der Erkenntnis beginnt für den Menschen mit dem Zweifel, der kritischen Infragestellung bisheriger Erkenntnis.
  • Die Gottesbeweise gehen zwar von der Existenz eines vollkommenen, für die Schöpfung verantwortlichen Gottes aus, sie erkennen aber der Kirche als Institution kaum Bedeutung zu. Aus heutiger Sicht wirken diese Beweise gekünstelt. Sie passen nicht zur Radikalität des Zweifels, die Descartes sonst kompromisslos durchzieht.
  • Descartes vertritt einen mechanischen Rationalismus. Der Tierkörper ist für ihn ein seelenloser Automat, der mechanisch organisiert ist. Implizit wiederholt Descartes damit die biblische Aufforderung an den Menschen - der ja eine Seele hat -, sich die Natur untertan zu machen. Der Mensch gewinnt so eine Sonderstellung gegenüber den Tieren, die ihm erst die Evolutionstheorie wieder streitig machen wird.
  • Die Schrift Von der Methode erhöht den Stellenwert der Analyse (vom griechischen Wort für Auflösen) als wissenschaftliche Methode beträchtlich. Sie bereitet damit den Boden, auf dem sich ab Ende des 17. Jahrhunderts die Naturwissenschaft entwickeln wird.
  • Descartes trennt Körper und Geist radikal: hier das reine Denken ohne Körperlichkeit, dort Körperlichkeit ohne Denken. Wie beide dennoch zusammenhängen, ist eine Frage, die bis heute Philosophen und Hirnforscher beschäftigt: Wenn z. B. jemand den Entschluss fasst, die Hand zu bewegen, dann bewegt sie sich. Denken und Körper müssen also irgendwie zusammenhängen.
  • Die strenge Unterscheidung zwischen Denken und Körper wird als "kartesischer Dualismus" bezeichnet. Die körperliche Welt (Steine, Pflanzen, Tiere, unser eigener Körper) ist nicht von Seele durchdrungen. Für Esoteriker ist der Rationalist Descartes darum ein rotes Tuch.

Historischer Hintergrund

Europa im 17. Jahrhundert

Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts war für Europa eine an Erschütterungen reiche Zeit. Über die Hälfte der Bevölkerung des Kontinents war von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges als Folge der religiösen Spaltung betroffen. Das führte zu einem ausgeprägten Bewusstsein der Vergänglichkeit aller Dinge und setzte der optimistischen Weltsicht der Renaissance ein jähes Ende. Auch das geistige Europa wurde erheblich durcheinandergewirbelt: Nikolaus Kopernikus hatte rund 100 Jahre zuvor das geozentrische durch das heliozentrische Weltbild ersetzt, welches zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Johannes Kepler und Galileo Galilei bestätigt wurde. Die katholische Kirche reagierte mit Intoleranz, Inquisition und Ketzerverbrennungen. Die Philosophie dieser Zeit ist von der Mathematik nicht zu trennen. Letztere lieferte eine sehr erfolgreiche Methode, viele Einzelheiten aus ganz wenigen Grundsätzen abzuleiten. Diese Methode wurde nun überall angewendet, auch in der Philosophie. Einige große Philosophen dieser Periode, wie Gottfried Wilhelm Leibniz oder Blaise Pascal, waren mathematische Genies. Descartes selbst ist z. B. auch ein Wegbereiter der Infinitesimalrechnung und der Erfinder der Koordinatengeometrie. Das mathematische Denken hatte also im 17. Jahrhundert (und noch bis in die heutige Zeit hinein) Vorbildcharakter. Das Ziel war es, die Philosophie zu einer Art Universalmathematik zu machen, aus der alles abgeleitet werden konnte.

Entstehung

Aus einem Eintrag in seinem Tagebuch geht hervor, dass Descartes erste Gedanken zu seiner Methode bereits am 10. November 1619 notiert hat. Seit seiner Jugend war er um Regeln bemüht, die ihn zu Erkenntnissen führen sollten. Er wollte sich nicht mehr mit den Grundsätzen der traditionellen Logik begnügen. Der Autor strebte vielmehr solche Regeln an, die ihn dazu brachten, Neues zu finden. Ein erster Versuch scheiterte: 1628 brach Descartes die Arbeit an den Regulae ad directionem ingenii (Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft) ab. Neun Jahre später erschien dann endlich die Schrift Von der Methode. Allerdings verzichtete er darauf, seine Studien in der Mathematik und der Naturphilosophie in die Veröffentlichung zu integrieren. Zu sehr hatte ihn die Anklage gegen Galilei eingeschüchtert. Freunde rieten ihm jedoch, die Schrift trotzdem zu publizieren, was dann 1637 auch geschah - allerdings anonym und mit einer umfangreichen Erörterung der Gründe, die den Autor zur Publikation bewogen hatten. Einige Monate vor der Veröffentlichung gelang es Descartes, Galileis Schrift Dialogo sopra i due massimi sistemi, die das heliozentrische Bild des Kopernikus bestätigte, auszuleihen. Descartes versuchte, unvorsichtige Formulierungen, wie sie die Kirche zur Anklage Galileis bewogen hatten, zu vermeiden. Vergeblich: Auch Von der Methode wurde später auf den Index gesetzt.

Wirkungsgeschichte

Obwohl sich Descartes schon 1628 in den Niederlanden niedergelassen hatte, um in einem toleranteren Klima zu leben, wurde Von der Methode unmittelbar nach dem Erscheinen angefeindet. Utrechter Theologen behaupteten, dass Descartes’ Gottesverständnis mit der offiziellen Theologie nicht im Einklang stehe. Nur aufgrund der Intervention des französischen Gesandten in Den Haag wurde Descartes nicht vertrieben. Der Diplomat erreichte schließlich auch, dass das Buch nicht verbrannt wurde. Dennoch war Descartes sehr betroffen. Er sah sich als aufrichtigen Katholiken und hatte seine jesuitische Ausbildung in der Jugend nie geleugnet. Deshalb, und um seinen guten Willen zu zeigen, widmete er später sein Werk Meditationen über die Erste Philosophie der theologischen Fakultät der Pariser Universität. Ohne Erfolg freilich: 1663 wurden alle Schriften Descartes’ auf den Index der Kirche gesetzt. Heute wird Descartes das Verdienst zugeschrieben, die Philosophie von der Theologie emanzipiert zu haben.

Descartes ist es zu verdanken, dass das 17. Jahrhundert als das Jahrhundert der Methode in die Philosophiegeschichte eingegangen ist. Schon bald schlossen sich der von ihm angestoßenen Strömung, dem Cartesianismus, Philosophen aus allen Ländern Europas an. Als Descartes das denkende Ich in den Mittelpunkt der Philosophie stellte, begann das wissenschaftliche Methodenbewusstsein und die neuzeitliche Vernunft- und Subjektphilosophie. Immanuel Kant bezog sich in seiner Vernunftphilosophie explizit auf ihn. G. W. F. Hegel und Karl Marx beobachteten bei Descartes den Versuch, die Menschen aus Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien.

Auf wenig Gegenliebe stieß in der abendländischen Philosophie Descartes’ Trennung von Körper und Seele. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert hat diese Auffassung einem populären Materialismus Vorschub geleistet, der allein der Welt der Körper Realität zuerkennt. Den von Descartes aufgerissenen Graben zwischen Mensch und Tier schüttete später die Evolutionslehre wieder zu. Nach Auffassung vieler Franzosen hat Von der Methode den französischen Nationalcharakter im Sinne des auf Logik und Ordnung bedachten "esprit cartésien" geformt. Der gleichzeitig in England vorherrschende Empirismus hat sich dafür umso mehr mit der Erfahrung auseinandergesetzt. Noch heute ist dieser Unterschied zu beobachten: in Frankreich der auf Ordnung und Klarheit bedachte Rationalismus, in England der aufs Praktische setzende Empirismus.

Über den Autor

René Descartes wird am 31. März 1596 als Spross eines vornehmen Adelsgeschlechts in La Haye geboren. Nach dem Besuch des renommierten jesuitischen Collège Royal in La Flèche tritt Descartes 1617 als 21-Jähriger in die Armee der kaiserlichen Liga unter General Tilly ein. Sein Interesse gilt aber vor allem der Mathematik. Als er als junger Offiziersanwärter die Flugbahn eines Artilleriegeschosses beobachtet, entdeckt er die analytische Geometrie und fasst den Entschluss, eine einheitliche Naturwissenschaft auf mathematischer Basis zu errichten. 1621 gibt Descartes den Militärdienst auf und reist durch Europa, immer auf der Suche nach dem Austausch mit anderen Wissenschaftlern. 1630 emigriert er in die Niederlande, wo er sich eine größere Toleranz gegenüber seinen Forschungen erhofft. Dort beschäftigt er sich auch mit medizinischen und metaphysischen Fragen. Allerdings kann er sich, eingeschüchtert durch die Anklage gegen Galileo Galilei, nicht dazu durchringen, sein kosmologisches Werk Le Monde (Die Welt) zu publizieren. 1637 veröffentlicht er anonym die Schrift Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences (Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung). 1641 folgt die Publikation der Meditationes de prima philosophia (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie), 1644 dann die Principia philosophiae (Prinzipien der Philosophie). Nachdem Descartes mehrere Jahre mit der schwedischen Königin Christine in Korrespondenz gestanden hat, folgt er 1649 einer Einladung der Monarchin nach Stockholm. Dort stirbt er am 11. Februar 1650 an einer Lungenentzündung.

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