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Die Ethik

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Die Ethik

Schriften und Briefe

Kröner,

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What's inside?

Spinozas Hauptwerk lehrt den Pantheismus: Alles ist göttlich bzw. das Universum ist ein Teil Gottes.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Frühe Neuzeit

Worum es geht

Die Philosophie des Pantheismus

Spinozas Werk Die Ethik markiert einen Bruch in der Philosophiegeschichte. Beeinflusst von René Descartes und dessen quasi mathematischer Methode der Wahrheitssuche, geht es Spinoza vor allem um die sittliche Vollkommenheit des Menschen, um das tugendhafte Leben – daher der Titel. Aber auch Fragen nach Gott, der Natur, der menschlichen Vernunft und den Leidenschaften sowie der menschlichen Freiheit werden angeschnitten; Die Ethik ist also auch ein Werk der Metaphysik, Kosmologie und Psychologie. Dabei kommt das Buch fast wie ein mathematisches Lehrwerk daher, mit Definitionen, Axiomen, durchnummerierten Lehrsätzen, Folgesätzen etc. Das Göttliche ist für Spinoza Teil der Moralphilosophie: Gott als die vollkommene und zugleich einzige Substanz, die alles Seiende umschließt. Alle Dinge sind in Gott – damit formulierte Spinoza zum ersten Mal pantheistische Ideen, die der herrschenden dualistischen Lehre (hier die Welt, dort Gott) widersprachen. Das machte Spinoza in den Augen seiner Gegner zu einem gefährlichen Atheisten. Heftige Anfeindungen waren die Folge, doch bekannten sich auch viele Dichter und Denker, etwa Lessing, Herder und Goethe, zum Spinozismus. Wer das Werk heute lesen will, muss sich auf intellektuelle Schwerarbeit gefasst machen.

Take-aways

  • Spinozas Ethik ist ein Hauptwerk des philosophischen Rationalismus.
  • Die Schrift ist, angeregt durch Descartes, wie ein mathematisches Lehrbuch verfasst, mit Axiomen, Behauptungen, Lehrsätzen, Beweisen und Schlussfolgerungen.
  • Spinoza geht von dem Begriff der „unendlichen Substanz“ aus, der gleichbedeutend mit dem Begriff „Gott“ ist.
  • Für Spinoza ist Gott Ursache seiner selbst. Er existiert notwendigerweise.
  • Die verschiedenen Daseinsformen der Wirklichkeit, darunter auch die Menschen selbst, sind nichts anderes als Attribute Gottes.
  • Das Leben der Menschen ist von Affekten geprägt, namentlich von Leid und Freude.
  • Weil sich die Affekte notwendig vollziehen, ist es möglich, sie mathematisch so genau zu analysieren, als wäre der Mensch ein geometrischer Körper.
  • Der Mensch besitzt keine Willens- oder Entscheidungsfreiheit: Menschliche Handlungen folgen den Naturgesetzen.
  • Dennoch kann der Mensch tugendhaft handeln, denn die Vernunft lässt ihn erkennen, dass für ihn nur erstrebenswert sein kann, was auch dem Mitmenschen nutzt.
  • Das Gute beruht auf der Erkenntnis, dass Gott die Ursache der Dingwelt ist bzw. dass alle Dinge in Gott sind (Pantheismus).
  • Spinozas Pantheismus brachte ihm in den ersten 100 Jahren nach Erscheinen der Ethik den Vorwurf des Atheismus ein.
  • In Deutschland zählten Lessing, Herder, Goethe und die Romantiker zu den Anhängern Spinozas.

Zusammenfassung

Die Herleitung der Welt aus Gott

Zunächst müssen einige grundlegende metaphysische Begriffe definiert werden:

Substanz wird das genannt, was autonom ist. Substanz kann also nicht aus etwas anderem entstehen. Weil sie in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu irgendetwas steht, mithin Ursache ihrer selbst ist, ist sie in der Zeit nicht begrenzt, sondern unendlich. Unter Attributen sind die wesentlichen Eigenschaften der Substanz zu verstehen, die der Verstand zu erkennen in der Lage ist. Den Gegenpol zum Begriff der Substanz bildet der Begriff des Modus. Darunter fällt alles, was nicht autonom ist, also nicht aus sich selbst heraus existiert. Damit kann ganz allgemein die Welt der endlichen Dinge bezeichnet werden. Die Dingwelt ist mit der Natur gleichzusetzen. Gott ist ein absolutes Sein, das unendlich ist. Er ist nichts anderes als die Substanz, die sich aus unzählig vielen Eigenschaften zusammensetzt. Jedes dieser Attribute besitzt Ewigkeitscharakter. Aus Gott kann somit alles andere hergeleitet werden. Der Substanzbegriff ist also mit dem Gottesbegriff gleichbedeutend. Als frei sind diejenigen Dinge zu bezeichnen, die nur aus ihrer inneren Notwendigkeit heraus existieren und aus sich selbst heraus handeln; als notwendig ist hingegen das zu verstehen, was von außen dahin gehend beeinflusst wird, auf eine bestimmte Art zu sein und zu wirken. Als endlich sind alle Dinge zu bezeichnen, die sich von anderen Dingen abgrenzen. So wird etwa ein Körper beliebiger Größe endlich genannt, weil wir in der Lage sind, einen größeren Körper zu denken. Analog wird auch ein Gedanke durch einen anderen Gedanken begrenzt. Allerdings ist es nicht möglich, dass ein Körper die Grenze eines Gedankens und ein Gedanke die Grenze eines Körpers darstellt.

Gott erkennen: eine Leistung unseres Verstandes

Gott oder die Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht, die alle ein in Zeit und Raum unbegrenztes Wesen zum Ausdruck bringen, existiert aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Alle endlichen Dinge sind durch andere endliche Dinge begrenzt und bestimmt und kennen diese innere Notwendigkeit ihrer Existenz nicht. Kein endliches Ding kann unmittelbar Gott als seine Ursache haben. Aber alle Formen des Daseins, auch die Menschen, sind von ihrem Wesen her in Gott angelegt. Das heißt, Gott begründet nicht allein das Dasein der Dinge, sondern auch ihr Wesen. Gott wird von niemandem zu Handlungen gezwungen, sondern er handelt nach den Gesetzen seiner Natur. Die Leistung des menschlichen Verstandes besteht darin, dass er Attribute Gottes erkennt. Der Verstand wie auch der Wille sind aber nicht etwa eigenständige Teile einer schöpferischen Natur, sondern gehören einer Natur an, die selbst bereits Schöpfung ist. Darum ist auch der Wille nicht eigenständig, vielmehr unterliegt er der Notwendigkeit. Zur Welt der Dinge gibt es keine Alternative: Sie konnte in keiner anderen Form hervorgebracht werden, als dies durch Gott geschehen ist. Die Macht Gottes liegt in seinem Wesen selbst begründet. Was unserer Erkenntnis nach zu Gottes Macht gehört, ist Teil seiner inneren Notwendigkeit.

Körper und Wesen: die zwei Seiten des Daseins

Wenn man also Gott als in ein in Raum und Zeit unbegrenztes Wesen versteht, das aus sich selbst heraus die Notwendigkeit seines Seins schafft, was bedeutet das dann für Begriffe wie Körper, Wesen, Idee, Dauer, Wirklichkeit und Einzeldinge? Der Körper ist der begrenzte Ausdruck des göttlichen Wesens, sofern er als ein im Raum ausgedehntes Ding angesehen wird. Das Wesen wiederum ist dessen notwendige Bestimmung; fehlt diese Bestimmung, existiert das Ding notwendigerweise nicht mehr. Mit Idee ist der benennende Begriff gemeint, den der Geist ausbildet, weil er erkennen kann. Unter Dauer ist die in der Zeit unbegrenzte Fortsetzung der Existenz zu verstehen. Wirklichkeit ist nichts anderes als Vollkommenheit. Einzeldinge sind Erscheinungsformen, die vom Menschen wahrgenommen und empfunden werden können.

Das Göttliche im Menschen

Die in Raum und Zeit unbegrenzte göttliche Substanz verfügt über zwei Attribute: das unendliche Denken und die unendliche Ausdehnung. Unendliche Ausdehnung bedeutet letztlich auch Körperlosigkeit, was für die Vorstellung Gottes von besonderer Bedeutung ist. Die Formen, in denen sich jedes Attribut ausbildet, haben ihre Ursache in Gott. Das Wesen des Menschen besteht aus Attributen Gottes. Die Substanz hingegen gehört nicht zum Wesen des Menschen. Aus der Sicht des Denkens erscheint dieses Wesen als Idee, aus der Sicht der Ausdehnung erscheint es als Körper. Auch bei einem Wesen wie dem Menschen sind Körper und Seele nicht getrennt, sondern gleichsam Vorder- und Rückseite desselben Wesens.

Die Affekte: Der Mensch handelt und leidet

Das Leben der Menschen ist von Affekten geprägt, von Liebe, Hass, Freude, Traurigkeit. Zu den Affekten gehören Erregungen des Körpers ebenso wie die Ideen dieser Erregungen, die das Handlungspotenzial des Körpers beeinflussen, es vergrößern oder verkleinern. Affekte werden vom menschlichen Geist also wahrgenommen.

„Unter Substanz verstehe ich dasjenige, was in sich ist und durch sich gedacht wird: das heißt dasjenige, dessen Begriff des Begriffs eines anderen Dinges nicht bedarf, um daraus gebildet zu werden.“ (S. 1)

Handlungen sind vom Menschen ursächlich ausgelöste Geschehnisse. Der menschliche Geist versteht sich als handelnd und als erleidend. Er handelt, wenn seine Ideen auf eine einzige Ursache zurückzuführen sind, und leidet, wenn er Ideen hat, deren Wirkungen nicht allein aus einer Ursache abgeleitet werden können.

„Unter Gott verstehe ich das absolute unendliche Sein, das heißt die Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht, deren jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt.“ (S. 1 f.)

Die Affekte vollziehen sich mit einer naturgemäßen, konsequenten Notwendigkeit. Diese macht es möglich, Leidenschaften und Triebe quasi mathematisch und sachlich zu analysieren, als würde der Mensch über messbare geometrische Körper verfügen, über Linien und Flächen.

Liebe ist eine Form der Freude, die von einem äußeren Einfluss ausgelöst wird, Hass ist eine durch äußere Ursachen entfachte Form der Traurigkeit. Im Zustand der Freude nähert sich der Mensch der Vollkommenheit, wenn er traurig ist, entfernt er sich von ihr.

Selbsterhaltung als Tugend

Der Notwendigkeit, mit der sich die Affekte vollziehen, ist der Mensch schutzlos ausgeliefert. Er verfügt über keine Mittel, die Affekte zu beherrschen, ist ihnen gleichsam unterworfen und somit unfrei. Dennoch setzt der Mensch Kräfte frei, um das Idealbild seiner selbst zu erreichen, d. h. tugendhaft zu sein. Tugend ist die Macht, die der Einzelne besitzt, sich durchzusetzen und sich selbst zu verwirklichen. Das schließt allerdings ein, dass er erkennt, was für ihn und die anderen gleichermaßen erstrebenswert ist. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun Gut und Schlecht voneinander unterscheiden: Das Gute ist ein Mittel, dem Ideal der menschlichen Natur näher zu kommen. Vom Guten weiß man, dass es Nutzen bringt, vom Schlechten hingegen ist zu erwarten, dass es uns daran hindert, das Gute zu besitzen. Das Schlechte ist die Entfernung vom Ideal. Tugendhaftigkeit ist die Fähigkeit des Menschen, eine Lebenskraft aus der gleichen inneren Notwendigkeit heraus zu entwickeln, mit der er selbst existiert. Tugend ist also die Natur und das Wesen des Menschen selbst. Wer ein an guten Handlungen reiches Leben führen und glücklich sein will, der will überhaupt erst einmal leben. Aus Tugend zu handeln heißt der Vernunft gemäß zu handeln, um sich in der Suche nach dem eigenen Nutzen selbst zu behaupten.

Kontrolle der Affekte durch den Verstand

Der Mensch hat nicht die Freiheit, über Gut und Böse zu entscheiden. Vielmehr sieht er unter dem Druck fremder Ursachen das als gut an, was seinem Streben nach Selbstbehauptung dienlich ist, und nennt böse, was dem im Weg steht. Wer sich von der Vernunft führen lässt, handelt gut, denn vernünftig zu handeln, setzt eine klare Erkenntnisleistung des Geistes voraus. Die Macht des Geistes ist es letztlich auch, die die Affekte zumindest teilweise zu kontrollieren weiß. Sobald es dem Menschen nämlich gelingt, den Affekt von seiner Ursache zu trennen und ihn mit anderen Gedanken in Verbindung zu bringen, wird er abgemildert, das gilt z. B. für Liebe oder Hass. Die Beherrschung des Affekts vollzieht sich also in dessen gedanklicher Durchdringung. Es gibt somit keine Erregung, die nicht durch die Bildung eines Begriffs erfasst werden kann. Die Voraussetzung, um die Affekte mit dem Verstand fassen zu können, ist eine Lebensweise, die es dem Menschen erlaubt, sich die Gefährdungen durch die Affekte jederzeit zu vergegenwärtigen. Diese Lebensweise gilt es zu finden, denn ihr entspringt eine große seelische Ausgeglichenheit, und sie sorgt dafür, dass Hass und Anfeindungen, die ja der Naturnotwendigkeit entstammen, aus der heraus der Mensch handelt, den Geist nur wenig belasten.

Die Liebe zu Gott: Teilhabe an der Ewigkeit

Der Mensch ist dank seines Verstandes in der Lage, sich geistig und körperlich in eine Beziehung zu Gott zu stellen. Wer sich der Affekte, die ihn bedrängen, ohne Einschränkungen bewusst ist, beginnt Gott zu lieben. Gott selbst ist weder Leid noch Freude unterworfen. Weil Gott niemanden hasst, kann man auch ihn nicht hassen. Doch kann niemand, der Gott liebt, erwarten, dass diese Liebe von Gott erwidert wird. Die Liebe zu Gott ist die einzige Form, in der Gott erkannt werden kann, die einzige Form also, ihn geistig zu besitzen. Dadurch wird ein wesentlicher Unterschied zwischen Gott und der Welt der Dinge deutlich: Zwar kann man Dinge, die man besitzt, lieben, doch die Ursache für Hass und Feindschaft ist gerade die Liebe zu den Dingen, an denen in Wahrheit niemand teilhaben kann. Die Gotteserkenntnis bringt das Leiden nicht zu einem Ende, führt aber zu dessen Verminderung. Darüber hinaus lässt sie eine Liebe zu demjenigen Ding entstehen, das aufgrund seines Ewigkeitswertes von uns wirklich besessen werden kann, also nicht Ausgangspunkt für Streit und Missgunst ist.

Vollkommenheit: mehr handeln, weniger leiden

Stirbt der Körper, so betrifft das den Geist nicht im gleichen Maß. Es bleibt etwas von ihm erhalten, denn er hat Anteil an Ewigkeit und Vollkommenheit. Die Zeit, in der der Geist dem Leiden ausgesetzt ist, entspricht der Lebenszeit des Körpers. Daraus kann gefolgert werden, dass allein die Liebe, die in der Erkenntnis ihren Ursprung hat, ewig ist. Diese Liebe ist in ihrer Unendlichkeit ein Teil der Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. Und so wie Gott sich selbst liebt, liebt er auch die Menschen. Dadurch kommen die geistige Liebe zu Gott und die Liebe Gottes zu den Menschen zur Deckung und erweisen sich als ein und dasselbe.

„Der Wille kann nicht eine freie Ursache genannt werden, sondern nur eine notwendige.“ (S. 33)

Je leistungsfähiger der Körper ist, desto größer ist der Teil des Geistes, der ewig ist. Erkenntnis, Handeln und Leiden stehen in einer Relation: Wer vollkommen ist, handelt mehr und leidet weniger. Ein solcher Mensch braucht den Tod im Allgemeinen nicht zu fürchten. Das Streben nach einem leistungs- und handlungsfähigen Körper gehört zur menschlichen Existenz, denn ein mit reichen Fähigkeiten versehener Körper hat auch eine große Kenntnis von Gott und der Dingwelt, in der er lebt. Die Religion würde selbst dann den bedeutendsten Platz in unserem Leben einnehmen, wenn wir nicht davon ausgehen könnten, dass der menschliche Geist ewig ist.

Glückseligkeit und Tugend

Von dieser Auffassung scheinen jedoch die meisten Menschen weit entfernt zu sein. Vielmehr herrscht die Meinung vor, dass Frömmigkeit die Freiheit einschränkt. Allein die Furcht vor einer Bestrafung nach dem Tod, vor der Hölle, lässt viele nach den Prinzipien der Frömmigkeit leben – falls sie dazu in der Lage sind. Wer seinen Trieben frönt, handelt nicht aus sich selbst heraus, sondern beschränkt sich darauf, äußeren Einflüssen zu gehorchen.

„Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder: Gott ist ein denkendes Ding.“ (S. 51)

Wir sind in der Lage, unsere Ausschweifungen zu bremsen, weil wir an der Tugend Gefallen finden. Es ist aber nicht das Ziel der Tugend, unsere Lust zu bändigen. Denn die Tugend ist die Glückseligkeit selbst, und diese nicht etwa der Lohn der Tugend. Das Glück besteht darin, Gott lieben zu können. Diese Liebe ist gleichzusetzen mit dem Geist, der handelt. Deshalb sind Liebe und Tugend ein und dasselbe. Insofern der Geist sich der göttlichen Liebe, der Glückseligkeit erfreut, vermag er die Lust zu kontrollieren. Da die Hemmung der Affekte durch deren geistige Durchdringung möglich wird, ist das Vermögen der Selbstkontrolle nichts anderes als der Zustand der Glückseligkeit.

Zum Text

Aufbau und Stil

Spinozas Schrift Die Ethik ist, in Anlehnung an Descartes’ Von der Methode, wie eine mathematische Abhandlung geschrieben. Der Originaltitel lautet entsprechend: Ethica ordine geometrico demonstrata, also: die Ethik, nach geometrischer Methode dargelegt. Im 17. Jahrhundert war die Meinung weit verbreitet, dass die Philosophie die Exaktheit und unanfechtbare Gültigkeit mathematischer Ableitungen haben müsse. So folgen denn auch in allen fünf Kapiteln des Buchs Axiome, Beweise und Lehrsätze aufeinander. Zunächst werden metaphysische Grundbegriffe und Fragen der Kosmologie, der Erkenntnistheorie und der Psychologie abgehandelt. Erst ab dem dritten Kapitel geht es um die Ethik im engeren Sinn. Zentral sind in den letzten drei Kapiteln die Ausführungen über die Vernunft und ihren Einfluss auf die Leidenschaften. Durch die mathematische Gedankenführung wird eine Allgemeingültigkeit der Aussagen suggeriert. Dem stehen allerdings eine komplizierte Verschachtelung und eine eigentümliche Gedrängtheit der Gedankenführung gegenüber. Auffallend ist auch die relative Kürze der Schrift. Man sieht ihr an, dass alles Entbehrliche, Einleitungen und Zusammenfassungen etwa, gestrichen wurde. Tatsächlich umfasst das Buch nur 200 Seiten, was erstaunt, denn immerhin hat Spinoza hier eine lebenslange Gedankenarbeit zu Papier gebracht. Obwohl von Descartes’ Mut beeindruckt, seine Schrift Von der Methode auf Französisch zu verfassen, wählte Spinoza für Die Ethik das Latein – wohl auch in dem Bewusstsein, nur so die gewünschte Kürze bewerkstelligen zu können. Spinoza wusste um die Brisanz seines pantheistischen Gottesverständnisses und war auch aus diesem Grund daran interessiert, die Zugänglichkeit des Buches etwas zu erschweren.

Interpretationsansätze

  • Spinozas Pantheismus nimmt Abschied von der christlich geprägten Vorstellung eines Gottes, welcher der Welt als andere Wesenheit gegenübersteht und zu dem der einzelne Mensch eine Beziehung aufbauen kann. Spinoza sieht Gott und die Welt als miteinander identisch an: Alle Dinge sind in Gott.
  • Spinozas Ethik gemäß wählt der Mensch nicht zwischen Gut und Böse, denn das würde Willensfreiheit voraussetzen, die Spinoza dem Menschen abspricht. Der Mensch ist aber gehalten, mittels seiner Vernunft seine Leidenschaften so zu beherrschen, dass sie ihn zur Vollkommenheit führen. Gut ist, was der Vervollkommnung des Einzelnen nutzt, böse ist, was ihn daran hindert.
  • Die Freiheit des Menschen definiert Spinoza als Einsicht und Hingabe an das Notwendige. Nur Gott allein ist wahrhaft frei, der Mensch jedoch, als Modus des Göttlichen, unterliegt der Notwendigkeit. Die größte Freiheit besteht für ihn in der Möglichkeit, Gott zu lieben („amor Dei intellectualis“).
  • Indem Spinoza Gott vor allem zwei herausragende Eigenschaften zuschreibt, nämlich Denken und Ausdehnung, nimmt er die grundlegende Unterscheidung Descartes’ von „res cogitans“ und „res extensa“ wieder auf. Für Spinoza sind dies jedoch nur zwei Seiten ein und derselben Substanz.
  • Die Ethik kann auch als Ausdruck der Persönlichkeit Spinozas und vor dem Hintergrund seiner Lebensumstände interpretiert werden: Sie ist das Werk eines von Judentum und Katholizismus gleichermaßen Ausgegrenzten. Vielleicht lässt sich so erklären, dass Spinoza die Überwindung des menschlichen Egoismus oder die menschliche Opferbereitschaft keine Anliegen waren und er dem Einzelnen die Willensfreiheit absprach, zwischen Gut und Böse zu entscheiden.

Historischer Hintergrund

Europa im 17. Jahrhundert

Das 17. Jahrhundert war in Europa eine Zeit tief greifender politischer, religiöser und wissenschaftlicher Umbrüche. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) zementierte die religiöse Spaltung des Kontinents. Die beiden christlichen Konfessionen wurden in hohem Maß zu Instrumenten der Politik gemacht.

Auch das geistige Europa wurde durcheinandergewirbelt: Nikolaus Kopernikus hatte bereits rund 100 Jahre zuvor das geozentrische Weltbild durch das heliozentrische ersetzt, was zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Johannes Kepler und Galileo Galilei bestätigt wurde. Der großen Unsicherheit begegnete die damalige Philosophie mit dem Versuch, die Erscheinungen der Welt zu objektivieren und allgemein einsichtig zu machen. Dazu gehörte auch, dass die Religion der reinen Glaubenssphäre enthoben und zu einem Gegenstand der Vernunft gemacht wurde. Nicht umsonst gilt Spinoza als einer der Begründer der modernen Bibelkritik.

Ein anderer wichtiger Trend jener Zeit: Die Mathematik wurde zunehmend zu einem Instrument der menschlichen Gesamterkenntnis und war Ausdruck eines Strebens nach gedanklicher Klarheit. Die neben Spinoza drei größten Philosophen des 17. Jahrhunderts, René Descartes, Blaise Pascal und Gottfried Wilhelm Leibniz, waren zugleich bedeutende Mathematiker.

Entstehung

16 Jahre lang, von 1661 bis 1677, arbeitete Spinoza an seiner Ethik, aber bereits zwischen 1662 und 1665 wurde die Schrift in ihren Grundzügen fertiggestellt. Nicht nur in ihrer streng methodischen, an der Mathematik ausgerichteten Gedankenführung erinnert sie an Descartes’ Von der Methode, auch inhaltlich ist Descartes’ Einfluss unverkennbar, etwa in dem dualistischen Denken, das Spinoza in die Theorie über die Substanz und ihre Attribute aufnimmt.

Die spätmittelalterliche jüdisch-scholastische Tradition färbte auf Spinoza ebenso ab wie der Neuplatonismus der Renaissance, mit dem sich Spinoza durch seine Lektüre des Renaissance-Gelehrten Leone Ebreo vertraut gemacht hatte. Bei Ebreo fand Spinoza die Annäherung an den Pantheismus und auch die Überzeugung, Gott geistig lieben zu können. Wenn Spinozas Rationalismus ein religiös gefärbter Mystizismus innewohnt, so ist dies nicht zuletzt auch auf die Vielfalt seiner Lektüren zurückzuführen.

Spinoza lebte, während er seine Schriften verfasste und sich seinen Lebensunterhalt als Glasschleifer verdiente, an verschiedenen Orten in den Niederlanden, unverheiratet und zurückgezogen.

Wirkungsgeschichte

Spinoza hielt Die Ethik aus Furcht vor Anfeindung unter Verschluss, auch als er sie schließlich 1677, im Jahr seines Todes, fertiggestellt hatte. So wurde sie erst posthum im Todesjahr von seinen Freunden in Amsterdam veröffentlicht. Aber erst rund 100 Jahre nach Erscheinen begann eine konstruktive, nachhaltige Auseinandersetzung mit der Schrift. Bis dahin wurde Spinoza, wie bereits zu seinen Lebzeiten, gehasst und verspottet. Die jüdische Gemeinde hatte ihn bereits vor seinem Tod ausgeschlossen, und die katholische Kirche setzte seine Werke auf den Index, die Liste der verbotenen Bücher.

In Deutschland wurde der Philosoph zunächst kaum zur Kenntnis genommen, denn die Aufmerksamkeit der Gelehrten galt der ungefähr im gleichen Zeitraum erschienenen Philosophie Leibniz’. 1785 kam dann die Wende: Friedrich Heinrich Jacobi schrieb an Moses Mendelssohn, Spinozas Ethik sei in der Philosophiegeschichte die einzig konsequente Philosophie; sie leugne die Existenz Gottes, weil sie eine Verstandesphilosophie sei; hinter Spinozas Pantheismus verberge sich Atheismus. Damit trat Jacobi den so genannten Spinozastreit oder Pantheismusstreit los, an dem sich in Deutschland auch Gotthold Ephraim Lessing und in England Samuel Taylor Coleridge beteiligten, die beide in der Verwissenschaftlichung der Religion einen bedeutenden Schritt zu größerer religiöser Toleranz sahen. Dieser Haltung schlossen sich später Johann Gottfried Herder und Johann Wolfgang von Goethe an. Die deutschen Romantiker erkannten in Spinozas Pantheismus den Inbegriff der Religiosität. Im 19. Jahrhundert sahen dann Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche in Spinoza den ersten atheistischen Denker der abendländischen Philosophiegeschichte.

Über den Autor

Baruch oder Benedictus de Spinoza, wie er sich später nennt, wird am 24. November 1632 in Amsterdam als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Seine Familie ist aus Portugal eingewandert, wo die Juden von Intoleranz und Verfolgung betroffen waren. Der Vater will, dass sein Sohn Rabbiner wird. Tatsächlich studiert der begabte Junge innerhalb weniger Jahre mit großer Begeisterung den Talmud und das Alte Testament, die gesamte antike, abendländische und jüdische Philosophiegeschichte sowie die neuere Philosophie Giordano Brunos und René Descartes’. Spinozas allumfassende Bildung und sein kritisches Bewusstsein für die Widersprüche in den heiligen Schriften bringen ihn in Gegensatz zur jüdischen Gemeinde Amsterdams. Er stellt die allgemeine Gültigkeit heiliger Dogmen und die Vorstellung vom jüdischen als dem auserwählten Volk infrage. Noch bevor er überhaupt eine Schrift publiziert hat, wird er 1655 wegen ketzerischer Äußerungen aus der jüdischen Gemeinde verstoßen. Die Folgen sind eine zeitweilige starke Vereinsamung und ein häufiger Wohnungswechsel innerhalb der Niederlande, aber auch eine große geistige Unabhängigkeit, die von zahlreichen Freunden betont wird, mit denen Spinoza in regem brieflichem Kontakt steht. Diesen Kontakten ist es zu verdanken, dass sich Spinozas Ideen genauso rasch verbreiten wie die Kritik an ihm. Die Religionsfreiheit Amsterdams ermöglicht ihm, selbst als Exkommunizierter einigermaßen unbehelligt zu leben und zu arbeiten. Obwohl Spinoza zu Lebzeiten nur den Theologisch-politischen Traktat (Tractatus theologico-politicus, 1670) veröffentlicht, bietet ihm die Universität Heidelberg im Jahr 1673 einen Lehrstuhl an, den der Philosoph aber nicht annimmt. Er zieht es vor, seinen Lebensunterhalt mit dem Schleifen optischer Gläser zu verdienen, womit er der jüdischen Tradition folgt, die verlangt, dass jeder Gelehrte ein Handwerk beherrschen soll. Das Einatmen der staubigen Luft führt zur frühen Erkrankung an Lungentuberkulose, woran er am 21. Februar 1677 im Alter von 44 Jahren stirbt.

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