Join getAbstract to access the summary!

Heidis Lehr- und Wanderjahre

Join getAbstract to access the summary!

Heidis Lehr- und Wanderjahre

Diogenes Verlag,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Ein Kinderbuchklassiker aus der idyllischen Schweiz: „Heidi“ ist eines der meistgelesenen Bücher der Welt.

Literatur­klassiker

  • Kinderbuch
  • Biedermeier

Worum es geht

Der Kinderbuchklassiker aus der Schweiz

Die kleine Heidi trägt ihr Herz auf der Zunge, sie ist vollkommen natürlich und spontan. Dafür wird sie von allen geliebt, vor allem vom einsiedlerischen Großvater auf seiner Alm. Nur eine Person hasst das Mädchen: Fräulein Rottenmeier, die strenge Hausdame im fernen Frankfurt. Dort lernt das Waisenkind aus der Schweiz, dass "gute" bürgerliche Erziehung darin besteht, die wahren Gefühle zu verleugnen - prompt wird Heidi krank. Zum Glück kann sie bald zum Großvater und in ihre Schweizer Idylle zurückkehren, wo sie sich ohne pädagogische Zwänge frei und ungebunden in der Natur entfalten kann. Diese anrührenden Szenen erzeugten das Bild von der heilen Schweizer Bergwelt, das als Klischee bis heute weltweit nachwirkt. Der überragende Erfolg von Heidis Lehr- und Wanderjahre - meistens einfach Heidi genannt - verdankt sich sicherlich auch der für das kindliche Auffassungsvermögen besonders einfühlsamen Erzählweise der Autorin.

Take-aways

  • Heidis Lehr- und Wanderjahre, meistens abgekürzt als Heidi, ist eines der berühmtesten Kinderbücher der Welt.
  • Seine Popularität verdankt es der mit großer Einfühlungsgabe für das kindliche Gemüt versehenen Erzählweise der Autorin.
  • Heidi kommt als fünfjähriges Waisenkind in die Obhut des Alm-Öhi, ihres eigenbrötlerischen Großvaters, auf eine einsame Almhütte.
  • Der Alm-Öhi lässt den natürlichen und spontanen Regungen des Kindes ihren Lauf. Heidi blüht in der freien Natur auf der Alm regelrecht auf.
  • Nach anderthalb Jahren muss Heidi die Alm verlassen und wird als Gesellschafterin der gelähmten Klara Sesemann nach Frankfurt geschickt.
  • In der wohlhabenden Familie Sesemann lernt Heidi die bürgerliche Lebensweise und deren Konventionen kennen.
  • Die Unterdrückung spontaner Regungen und den Verzicht auf die freie Natur empfindet sie als geradezu körperlich schmerzhaft.
  • Heidi wird heimwehkrank, was ein verständnisvoller Arzt sogleich erkennt, woraufhin das Kind in die Schweiz zurückgebracht wird.
  • Ihre Rückkehr auf die Alm bringt nicht nur ihre Welt in Ordnung, sondern ermöglicht es auch dem Alm-Öhi, seine Außenseiterstellung im Dorf zu beenden.
  • Die Erzählung ist eine von romantischen Vorstellungen und christlicher Frömmigkeit geprägte, rückwärtsgewandte Utopie.
  • Die Bilder vom vollkommenen Einklang des Menschen mit der Natur haben das weltweit wirksame Image der bäuerlich-idyllischen Schweiz geprägt.
  • Johanna Spyris Buch ist gespickt mit Metaphern des Gehens und Reisens. Heidis Werdegang erscheint als archetypischer Lebensweg.

Zusammenfassung

Zum Alm-Öhi hinauf

"Das Heidi", wie sie genannt wird, ist ein fünfjähriges Kind aus einem Schweizer "Dörfli"; es hat vor Jahren seine Eltern verloren: den Vater, einen Zimmermann, durch einen Unfall, die Mutter wegen des Kummers über dessen Tod. Die sterbende Mutter vertraute die Vormundschaft über das damals einjährige Kind ihrer Schwester Dete an. Dete, selbst noch recht jung, hat das Mädchen vier Jahre lang großgezogen. Nun möchte sie das Angebot wahrnehmen, bei wohlhabenden Leuten in Frankfurt "in Stellung zu gehen", d. h. dort eine Dienstmädchenstelle anzutreten. Ihre künftigen Arbeitgeber hat sie als Zimmermädchen in einem Schweizer Kurort kennen gelernt. Die Stelle in Frankfurt ist ihr gerade zum wiederholten Mal angeboten worden. Nun will Dete sie auch endlich annehmen.

„Mit keinem Menschen will er etwas zu tun haben, jahraus, jahrein setzt er keinen Fuß in eine Kirche, und wenn er mit seinem dicken Stock im Jahr einmal herunterkommt, so weicht ihm alles aus und muss sich vor ihm fürchten.“ (eine Dörflerin über den Alm-Öhi, S. 11 f.)

Dete findet, jetzt könne sich der Großvater, genannt der Alm-Öhi, als der nächste Verwandte Heidis um das Kind kümmern, und sie bringt das Mädchen mit dessen wenigen Habseligkeiten zu ihm. Heidis Großvater ist im Dörfli gefürchtet. Er lebt nämlich sommers wie winters einsiedlerhaft auf einer Almhütte, eine gute Gehstunde vom Dörfli entfernt. Als übermütiger junger Mann hat er den ererbten Bauernhof verlassen und sein Geld im Ausland verzecht und verspielt. Nach langen Jahren heimgekehrt, hat er sich nie mehr ins Dörfli eingefügt und ist, auch wegen seines schlechten Rufs, von der Gemeinschaft ausgeschlossen worden. So begnügt er sich mit einer verbitterten Bergeinsamkeit, gilt als Menschenhasser und erscheint nicht einmal sonntags in der Kirche.

„Blitzschnell war auch das Alltagsröcklein weg, und nun stand das Kind im leichten Unterröckchen, die bloßen Arme aus den kurzen Hemdärmelchen vergnüglich in die Luft hinausstreckend.“ (S. 19)

Auf dem Weg zur Alm trägt Heidi trotz der Sommerhitze drei Kleidchen übereinander, dazu ein großes rotes Tuch um die Schultern, einen Strohhut und neue, schwere Stiefel. Dem Kind ist heiß, und so nörgelt es auf dem Weg durchs Dörfli ein wenig herum. Die neugierigen Dorfbewohnerinnen halten Dete immer wieder an: Von dem Vorhaben, das Kind beim Alm-Öhi zu lassen, sind sie einhellig entsetzt. Ein Kind bei diesem Menschenfeind, so schätzen sie, das kann nicht gut gehen.

„Heidi streichelte zärtlich die eine und dann die andere von den Geißen und sprang um sie herum, um sie von der anderen Seite auch zu streicheln, und war ganz Glück und Freude über die Tierchen.“ (S. 33)

Während diese Erörterungen noch im Gange sind, hat sich Heidi bereits dem Geißenpeter angeschlossen. Der ist ein elfjähriger Bub, der jeden Tag im Sommer die Ziegen des Dorfes auf die Berge hinauftreibt, wo er sie den ganzen Tag über hütet. Der Geißenpeter wohnt mit seiner Mutter und der blinden Großmutter, einer armen Spinnerin, etwas außerhalb des Dorfes, am Beginn des Aufstiegs zur Alm, in einer ziemlich baufälligen Hütte. Weil die Kinder über Stock und Stein steigen und weil die Geißen unterwegs grasen, dauert ihr Weg eine Weile. Schließlich folgt die vor Hitze und Anstrengung keuchende Heidi dem Vorbild des in kurzen Hosen steckenden, barfüßigen Peter und streift ihre Kleider und Schuhe ab, bis sie nur noch ein leichtes Unterkleidchen anhat. Dete hat unterdessen den üblichen Fußweg zur Almhütte genommen und die Kinder überholt. Sie ist entsetzt, als Heidi nun in ihrem "Naturzustand" vor ihr auftaucht. Sie schickt den Geißenpeter los, Heidis Sachen zu holen.

Auf der Alm

Als Heidi vor der Almhütte anlangt, begrüßt sie den etwas mürrischen Großvater ganz unbefangen und schaut ihm lange und unverwandt in die Augen. Er erfährt sehr bald aus dem Mund von Dete, was nun auf ihn zukommt. Sie redet schnell und knapp: Sie habe ihr Pflicht getan, nach der sie auch niemand gefragt habe, nachdem Heidis Eltern gestorben waren und sich jemand um das Kind kümmern musste. Nun sei er in der Pflicht. Der Alm-Öhi willigt ein.

„Der Wind hatte in der Nacht das letzte Wölkchen weggeblasen; dunkelblau schaute der Himmel von allen Seiten hernieder, und mitten drauf stand die leuchtende Sonne und schimmerte auf die grüne Alp, und alle die blauen und gelben Blümchen darauf machten ihre Kelche auf und schauten ihr fröhlich entgegen.“ ( S. 38)

Fürchtet er zunächst, das Kind könne seiner bisherigen Ersatzmutter Dete nachweinen, so wird er gleich von der unbändigen Neugier Heidis überrascht. Sie inspiziert jeden Winkel im Innern der Ein-Raum-Hütte, lässt sich einen kuscheligen Schlafplatz auf dem Heuboden einrichten und genießt die herzhafte Brotzeit mit Käse und frischer Milch. Mit Schemel und Stuhl hat sie sich schnell einen ihrer Körpergröße angemessenen Esstisch zurechtgerückt. Der Großvater sieht solchen umstandslosen Pragmatismus gern. Er wird Heidi bald einen Kinderhochsitz zimmern. Heidi ist von der frischen Milch begeistert, sie ist entzückt über die beiden Ziegen, die der Großvater im Stall hält, und schläft außerordentlich gut auf dem Heuboden in dieser ersten Nacht, wie der Großvater zufrieden feststellt.

Sommer und Winter

Jeden Tag im Sommer kommt der Geißenpeter auf die Alm und holt auch die weiße "Schwänli" und die braune "Bärli", die Ziegen des Großvaters, zum Weiden auf die Bergwiesen. Vom ersten Tag an begleitet ihn Heidi. Sie teilen die (im Vergleich Peters trockener Schnitte) üppige Brotzeit, die der Großvater Heidi mitgibt. Dafür melkt Peter für Heidi frische Ziegenmilch. Sie lernt die Blumen und Pflanzen der Bergwiesen kennen. Zusammen jagen sie entlaufene Ziegen, die sich manchmal vorwitzig zu weit über einen Abgrund vorgewagt haben. Sie beobachten die Bergvögel, die in der Luft kreisen, und Heidi lernt von Peter die Namen der umliegenden Berggipfel. Höchstes Erstaunen und Entzücken weckt bei Heidi der leuchtend rote Sonnenuntergang, der Blick auf die hohen Berge. Die Gipfel und Schneefelder scheinen sich dabei in Rosengärten zu verwandeln. Das ist nun Tag für Tag Heidis Welt, die sie tief verinnerlicht.

„Dem Heidi war es so schön zumute wie in seinem Leben noch nie. Es trank das goldene Sonnenlicht, die frischen Lüfte, den zarten Blumenduft in sich ein und begehrte gar nichts mehr, als so dazubleiben immerzu.“ (S. 41)

Sobald im Winter der erste Schnee gefallen ist, kommt Peter nicht mehr. Er muss im Dorf bleiben und schreiben und lesen lernen, was ihm nicht sonderlich gefällt. Bei einem Besuch in der mittlerweile tief verschneiten Almhütte, lädt er Heidi zu einem Gegenbesuch bei seiner Großmutter in der Geißenpeterhütte ein. Heidi ist nun überzeugt, dass die Großmutter unten auf sie wartet, und lässt nicht locker, bis der Großvater in eine Schlittenfahrt talabwärts einwilligt. Während der Alm-Öhi seinen Besorgungen nachgeht, besucht Heidi die allgemein nur "Großmutter" genannte ältere Geißenpeterin. Die Zeit vergeht mit kindlich-großmütterlichen Plaudereien; Heidi versteht vage, dass die Großmutter nichts mehr sehen kann, und bricht deswegen in Tränen aus. Auch dass es in der baufälligen Hütte zieht und klappert, bekommt Heidi mit. Gerne hätte die Großmutter, dass ihr jemand etwas aus einem alten Gedicht- und Liederbuch vorliest, aber Heidi war noch nicht in der Schule. Über den Winter finden noch mehrere solcher Besuche statt. Schon beim zweiten hat Heidi in ihrer unverblümten, freundlichen Art den Großvater dazu gebracht, sich der Geißenpeterhütte anzunehmen. Einen ganzen Nachmittag lang renoviert er sie wenigstens von außen.

Besuch auf der Almhütte

Als der Winter vorbei ist, erscheint der Pfarrer auf der Hütte und ermahnt den Großvater, Heidi in die Schule zu geben. Der Alm-Öhi weigert sich mit dem Argument, das Kind "wachse und gedeihe mit den Geißen und Vögeln, von denen es nichts Böses lernen könne". Die praktische Schwierigkeit besteht darin, dass der Alm-Öhi im Dorf wohnen müsste, um Heidi überhaupt den Schulweg zu ermöglichen. Der Pfarrer droht vage mit Zwang, lässt sich aber beschwichtigen und aufs kommende Jahr vertrösten. Die nächste Besucherin auf der Almhütte ist Dete, die einen konkreten Plan mitbringt: Sie möchte dem Großvater Heidi wieder wegnehmen und sie zu einer Familie nach Frankfurt bringen. Es handelt sich um sehr reiche Verwandte der Familie, bei der sie in Dienst ist. Dort gibt es einen verwitweten Vater mit einer 14-jährigen Tochter, Klara, die halbseitig gelähmt ist. Für diese sucht man eine Gesellschafterin und Spielkameradin und stellt sich dabei ein frisches, gesundes, unverdorbenes Mädel vor. Für Heidi eröffnet sich damit in Detes Sicht die Möglichkeit, etwas zu lernen, nicht nur durch die Teilnahme am Hausunterricht des gnädigen Fräuleins, sondern auch in der großbürgerlichen Welt. Dete spricht von ihrer Verantwortung für das Kind, das aber unwillig reagiert. Der Alm-Öhi ist zornig, gibt aber mit dem Ausruf "Nimm’s und verdirb’s" schließlich sein Einverständnis. Dete marschiert mit dem Kind an der Hand zügig ab, vorbei am Geißenpeterhaus. Mit der Aussicht, der Großmutter aus Frankfurt schöne weiche Brötchen mitbringen zu dürfen, weil sie das harte schwarze Brot nicht mehr kauen kann, lotst Dete Heidi geschickt auch an dieser Klippe vorbei in die Eisenbahn. Dass der Tag der Rückkehr nicht gleich morgen sein wird, hat sie Heidi verschwiegen.

Im Hause Sesemann in Frankfurt

Die an den Rollstuhl gefesselte Klara und Heidi freunden sich schnell an. Für den häufig auf langen Reisen abwesenden Herrn Sesemann führt Fräulein Rottenmeier als Hausdame das Regiment über einige Bedienstete. Sie hält "Adelheid" für den einzig angemessenen Namen für Heidi. In den ersten Tagen muss sich Heidi sehr viel über die Gepflogenheiten bei Tisch, das Ordnunghalten und die korrekten Anreden für die Dienstboten anhören. Beim gemeinsamen Essen verwahrt Heidi gleich das erste Brötchen in ihrer Tasche, um es später der Großmutter mitzubringen. Der Diener Sebastian amüsiert sich königlich über solche Regelbrüche. Immer wieder seufzt Fräulein Rottenmeier, dem Kinde "fehlten alle Urbegriffe". Da Heidi sich aber mit Klara gut versteht, bleibt sie im Wesentlichen unantastbar. Im Unterricht, zu dem täglich ein Hauslehrer erscheint, erweist sich Heidi allerdings als etwas begriffsstutzig. Die Buchstaben wollen ihr nicht in den Kopf - der Geißenpeter brauchte sie schließlich auch nicht.

„,Ist es die Möglichkeit!’, stöhnte sie halblaut. ‚Nun duzt sie mir den Bedienten! Dem Wesen fehlen alle Urbegriffe!’“ (Fräulein Rottenmeier, S. 96)

Heidi sehnt sich mehr als alles andere nach einem Blick über den Almboden, wie er sich ihr jeden Tag vor der Tür auf der Hütte auftat. Vom Fenster des Hauses Sesemann aus kann sie dergleichen nicht erkennen. So macht sie eines Tages kurzerhand einen Ausflug auf den Turm des Frankfurter Doms, weil sie sich von dort aus einen besseren Überblick erhofft. Der Türmer lässt sie hinauf, kann ihr aber nichts Besseres bieten als die Sicht auf die Dächer der Frankfurter Altstadt. Dafür ist Heidi ganz begeistert von dem frischen Wurf junger Katzen beim Türmer und wünscht sie sich nach Hause. Die Tiere werden bald gebracht. Klara und Heidi sind entzückt, Fräulein Rottenmeier ist entsetzt. Diener Sebastian freut sich wieder mal heimlich über den Aufruhr und versteckt die Kätzchen den Mädchen zuliebe auf dem Dachboden. Schließlich reist Klaras Großmutter für längere Zeit von ihrem Holsteiner Gut an. Die gütige Dame durchschaut schnell die Vorgänge im Haus. Sie weist Fräulein Rottenmeier behutsam in die Schranken und versteht es, bei Heidi endlich das Interesse für Buchstaben zu wecken; seither gelingt ihr das Lesen leicht. Schließlich bekommt sie von Frau Sesemann sogar ein illustriertes Buch geschenkt. Darin findet sie auf Anhieb ein Bild von einer grünen Weide mit einem Hirten. Die dazugehörige Geschichte, nämlich die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn, wird ihre Lieblingsgeschichte. Frau Sesemann gelingt es, in Heidi Gottvertrauen zu wecken und ein Verständnis dafür, was von ihr erwartet wird und was sie nicht tun darf. So fügt sie sich nun leichter in den bürgerlichen Alltag ein. Heidi wird dennoch zusehends freudlos, verliert den Appetit und magert ab.

Der Spuk

Das Hauspersonal ist in höchster Aufregung, weil man seit ein paar Tagen regelmäßig morgens die Haustüre sperrangelweit offen findet. Man vermutet einen Spuk und bittet Herrn Sesemann dringend um Heimkehr. Wegen der unbestimmten Gefahr für seine geliebte Tochter kommt Herr Sesemann der Bitte nach. Gemeinsam mit einem befreundeten Arzt führt er eine Nachtwache durch, und dabei stellt sich heraus, dass Heidi nachtwandelt: Schlafend geht sie zur Haustür, öffnet sie und späht hinaus. Der Doktor erkennt sofort die Ursache für das Unglück des Kindes: Es ist ihr derartig intensiv geträumter Wunsch, in die Heimat zurückzukehren. Voller Verständnis und Sorge arrangiert Herr Sesemann bereits am frühen Morgen alles für Heidis Heimreise. Kleider, Bücher, eine Stange Geld und frische Brötchen für die Großmutter werden eingepackt, zuletzt auch der alte, verdrückte Strohhut, der von Fräulein Rottenmeier in die hinterste Ecke verbannt worden ist. Sebastian begleitet Heidi auf der Bahnfahrt in die Schweiz.

Heidis Heimkehr

Am Abend des nächsten Tages, nach der langen Heimreise, läuft Heidi geschwind durchs Dörfli, als Erstes zu der Großmutter, um ihr die weißen Brötchen zu bringen. Dann geht sie zur Alm hinauf, und an diesem Abend können der Großvater und Heidi ihr Glück kaum fassen. Tags darauf, es ist Samstag, holt der Großvater den schweren Koffer aus dem Dorf ab. Währenddessen liest Heidi der Großmutter endlich aus deren Liederbuch ein Gedicht vor: Es handelt vom freudigen inneren Blick auf den himmlischen Garten. Am selben Abend wird auch der Großvater mit einem Vorlesen beglückt. Heidi trägt ihm ihre Lieblingsgeschichte aus dem Buch vor, das ihr die Großmutter Sesemann geschenkt hat: die Geschichte vom verlorenen Sohn, der reumütig aus der Welt heimkehrt und vom Vater freudig mit einem großen Fest willkommen geheißen wird, obwohl er im Unfrieden von diesem geschieden ist. Darin erkennt der Großvater sein eigenes Schicksal. Am folgenden Sonntag geht er erstmals seit sehr langer Zeit wieder in die Kirche, gemeinsam mit Heidi natürlich. Das sorgt im Dörfli für großes Aufsehen. Nach einem Händedruck mit dem Pfarrer ist klar, dass der Alm-Öhi in diesem Winter ins Dorf übersiedeln wird.

Zum Text

Aufbau und Stil

Ohne an irgendeiner Stelle in einen übertrieben kindlichen Ton zu verfallen, ist Johanna Spyris Buch auf unnachahmliche Weise in einer für Kinder leicht nachvollziehbaren Art erzählt. Ein schweizerischer Zungenschlag wird nur deutlich an dem für hochdeutsche Ohren ungewohnten "das Heidi". Im Schweizer Dialekt findet sich diese Ausdrucksweise durchaus auch noch heute; das etwas "altmodische" Schwyzerdütsch bewahrt viele Eigenheiten älterer Sprachformen des Deutschen. Die Ausdrucksweise "das Heidi" ist auch in den modernen Buchausgaben beibehalten, sie ist sozusagen ein sprachliches Markenzeichen des Buches.

Interpretationsansätze

  • Die kleine Heidi ist ein Mensch im Naturzustand, wie die Romantiker ihn sich vorstellten: Sie ist gefühlvoll, spontan, vertrauensvoll. Ihre Natürlichkeit, ihre Gutartigkeit, ihr Mitleiden, ihr unbewusstes Gottvertrauen, alles kommt von Herzen. Ihre Art verwandelt die meisten Menschen, die mit ihr in Berührung kommen, und gibt ihnen Hoffnung. Sie selbst muss durch eine Periode des Leidens hindurch, um vollkommen zu werden.
  • Durch den Aufenthalt auf der Alm wird ihr Zustand des völligen Einklangs mit sich selbst nochmals gesteigert zum völligen Einklang mit der Natur. Dies bedeutet in Spyris romantischer Sichtweise auch, dass sie im Einklang mit der göttlichen Ordnung lebt.
  • Die Freiheit und Natürlichkeit dieser Existenz auf der Alm wird kontrastiert mit der bürgerlichen Lebensweise in Frankfurt. Diese ist für Heidis Bewusstsein ein Käfig, wenn auch ein goldener; ein Gefängnis für ihre Seele.
  • Der einsiedlerhafte Status des Großvaters ist in Spyris Weltsicht nicht "in Ordnung". Er wird durch das naiv-beherzte Handeln Heidis am Schluss aus seiner Einsamkeit erlöst und wieder in die Gemeinschaft eingegliedert.
  • Dass Heidi immer weiter abmagert und zu schlafwandeln beginnt, ist eine unmittelbare psychosomatische Reaktion auf ihr Leben in Frankfurt. Diese Darstellung entspricht den Erkenntnissen der erst später veröffentlichten Freud’schen Lehre.
  • Heidis Lehr- und Wanderjahre ist gespickt mit Reisebeschreibungen: von Heidis Aufstieg zur Alm über ihre Reise nach Frankfurt und wieder zurück bis zum sonntäglichen Kirchgang am Ende. Diese Wege sind Metaphern für Heidis Entwicklung: Das Kind muss ausziehen und sich Herausforderungen stellen, um zur Reife zu gelangen und sein Erlösungswerk vollenden zu können.

Historischer Hintergrund

Die Schweiz im 19. Jahrhundert

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Schweiz tiefgreifend und wurde in Teilen zu einem der damals fortschrittlichsten Länder Europas. Das Ende der Grundherrschaften und der Zunftordnungen, der Eisenbahnbau und der zunehmende Fremdenverkehr erschütterten jahrhundertealte Sicherheiten und Gewohnheiten gerade in der bäuerlichen Welt und der Schicht des handwerklichen Mittelstandes. Schweizer Unternehmer beteiligten sich in vielen Branchen (Maschinenbau, Textilgewerbe, Feinmechanik) erfolgreich an der Industrialisierung und bauten Fabriken, vor allem im verkehrsgünstigen Umfeld der größeren Städte. Dieser wirtschaftliche Fortschritt lag in den Händen des Bürgertums, das konfessionell überwiegend protestantisch und weltanschaulich liberal war. In der republikanischen Schweiz war dieses Bürgertum auch gesellschaftlich tonangebend und politisch die wirklich führende Schicht - im Gegensatz zu den immer noch monarchischen Nachbarländern. Der Fortschritt hatte aber auch seine Kehrseite: Landflucht, Entvölkerung vor allem der Gebirgsregionen und massenweise Verarmung des Industrieproletariats. Zum Alltag der lohnabhängigen Schichten im 19. Jahrhundert gehörten Frauen- und Kinderarbeit, nicht nur in den Fabriken, sondern auch in den vielen Heimarbeiterfamilien etwa im Textilgewerbe. Auf der gesellschaftlichen Ebene führte diese Entwicklung zu einer starken Erschütterung der Werteordnung. Vielen Schweizern, vor allem in den ländlichen Gebieten, fiel es schwer, die raschen Umwälzungen zu verarbeiten. Fortschrittskritik, Kritik an der bürgerlichen Werteordnung mit ihren oft als heuchlerisch empfundenen Konventionen und im Gegenzug die Rückbesinnung auf die "gute alte Zeit" finden sich vielfach in der Literatur, etwa bei Jeremias Gotthelf um 1830, und klingen auch 50 Jahre später noch deutlich bei Johanna Spyri an. Vor allem die in Religion und Frömmigkeit tief verwurzelten Menschen beklagten den Verlust der alten Werte und verklärten die vorrevolutionäre Ständeordnung und die naturnahe bäuerliche Lebenswelt als einen Zustand, in dem "die Welt noch in Ordnung war".

Entstehung

Für Johanna Spyri war die Aufnahme ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ein Versuch, der deprimierenden Einförmigkeit ihres Daseins als Ehefrau zu entrinnen. Bei der Veröffentlichung ihrer ersten Erzählung, Ein Blatt auf Vronys Grab, war Spyri bereits 44 Jahre alt. Die Niederschrift und Veröffentlichung von Heidi erfolgte mit Mitte 50. Der Entschluss zum Schreiben kam wohl nach einer Ferienreise nach Helgoland, die ihr neue Eindrücke und neue Bekanntschaften vermittelte. Die ersten Heidi-Ausgaben erschienen noch anonym. Das Buch wurde jedoch rasch ein großer Erfolg, sodass der Gothaer Verleger Emil Perthes, der damals eines der angesehensten Verlagshäuser in Deutschland besaß, auf die Autorin aufmerksam wurde. Es gelang ihm, Johanna Spyri als Autorin zu gewinnen. Die Zusammenarbeit funktionierte offenbar gut. Fast alle Erzählungen Spyris sind Waisenkindergeschichten. Unter Perthes’ Einfluss erhielten diese zuvor etwas düsteren Geschichten Spyris einen glücklicheren, versöhnlicheren Schluss. Perthes jedenfalls erkannte in Spyri das Potenzial einer kommenden Starautorin und band sie vertraglich fest an sich.

Wirkungsgeschichte

Johanna Spyris schriftstellerisches Werk wurde von Anfang an bei Publikum und Kritik wohlwollend aufgenommen und verkaufte sich gut. Noch die erste, 1880 bei Perthes erschienene Ausgabe von Heidis Lehr- und Wanderjahre warb auf dem Titelblatt zwar nicht mit dem Namen der Autorin, aber immerhin mit dem Zusatz: "Von der Verfasserin von Ein Blatt auf Vronys Grab". Johanna Spyri war also von Anfang an eine Erfolgsautorin. Heidi wurde dann gar zum Weltbestseller. Eine französische und eine amerikanische Übersetzung erschienen schon 1882 und 1884, das Buch verbreitete sich schließlich weltweit in rund 50 Sprachen mit einer Weltauflage von über 25 Millionen Exemplaren bis heute. Der Erfolg seiner Starautorin wurde für den Verleger Perthes tragischerweise zum Verhängnis. Investoren handelten ihm geschickt seine Anteile ab und drängten ihn aus seinem eigenen Verlag.

Nach dem Ablauf der Urheberrechte 1931 nahm die Vermarktung der Heidi-Figur ungeahnte Formen und Größenordnungen an. Es erschienen Heidi-Derivate in Buchform (Heidi als Großmutter, Heidi als Detektiv) und es wurden unzählige Verfilmungen fürs Kino, später auch fürs Fernsehen produziert. Der Gipfel war eine 52-teilige japanische Zeichentrickserie. 2005 wurde auch ein Heidi-Musical in der Schweiz uraufgeführt. Schließlich wurde die Gegend um Bad Ragaz, den Kurort, in dem Spyris Dete als Zimmermädchen gearbeitet hatte, als "Heidiland" vermarktet. Nicht nur das ortsansässige Fremdenverkehrsgewerbe profitiert von diesem Rummel: vom "Heidi-Schnitzel" über zu besichtigende "Heidi-Höfe" bis hin zu "Heidi-Zahnputzbechern". Auch die Schweizer Milchwirtschaft oder die Swissair warben mit dem Heidi-Image; selbst nichtschweizerische Firmen bedienen sich dessen weltweit, wenn es darum geht, ein naturnahes Heile-Welt-Bild auf einen Begriff zu bringen. In der Tat ist "Heidi" ein weltweit bekannter Markenbegriff wie Oktoberfest, Coca-Cola, Adidas, Micky Maus, McDonald’s ...

Über die Autorin

Johanna Spyri wird am 12. Juni 1827 in Hirzel im Kanton Zürich als viertes von sechs Kindern geboren. Ihr Vater Johann Jacob Heusser ist Arzt, ihre Mutter Meta Heusser-Schweizer entstammt einer pietistisch geprägten Pfarrersfamilie; sie betätigt sich schriftstellerisch und ist eine zu ihrer Zeit viel gelesene Autorin frommer protestantischer Schriften. Johanna wächst sowohl in Hirzel wie im nahe gelegenen Zürich auf, dort bei einer Tante. Ab 1844 besucht sie zwei Jahre lang eine Töchterschule im französischsprachigen Yverdon. 1852 heiratet sie den Zürcher Rechtsanwalt und Redakteur Johann Bernhard Spyri. Ihr einziges Kind, der Sohn Bernhard Diethelm, kommt 1855 zur Welt. 1868 wird Spyris Ehemann Stadtschreiber der Stadt Zürich, bekleidet also praktisch das Bürgermeisteramt. Die Spyris gehören somit zur gesellschaftlich und kulturell tonangebenden Schicht in Zürich. Die damals fortschrittlich-liberale Schweiz und besonders die Stadt Zürich sind ein Anziehungspunkt für Revolutionäre vor allem aus Deutschland und Italien, die vor den reaktionären Regimes in ihren Heimatländern fliehen und hier ein Asyl finden. Zu den prominentesten deutschen Asylanten zählen der Dresdner Architekt Gottfried Semper und der Komponist Richard Wagner. Wagner ist im Zürich jener Zeit eine Kultfigur wie heute ein Popstar; auch Johanna Spyris Mann zählt zu seinen Verehrern und Bewunderern. Trotz ihrer Teilnahme am geistigen Leben der Stadt sind die Spyris aber keineswegs sehr fortschrittlich gesinnt. Auch das Heidi-Buch verklärt geradezu die naturnahe, bäuerliche und fromme Schweiz der "guten alten Zeit". Johanna Spyris erste Erzählung, Ein Blatt auf Vronys Grab, erscheint 1871. Insgesamt schreibt Johanna Spyri an die 50 Erzählungen. Am erfolgreichsten und bis heute viel gelesen ist Heidis Lehr- und Wanderjahre sowie die Fortsetzung Heidi kann brauchen, was es gelernt hat. Im Mai 1884 verliert Johanna Spyri zunächst ihren 29-jährigen Sohn, ein halbes Jahr später ihren Gatten. Sie stirbt am 7. Juli 1901.

Hat Ihnen die Zusammenfassung gefallen?

Buch oder Hörbuch kaufen

Diese Zusammenfassung eines Literaturklassikers wurde von getAbstract mit Ihnen geteilt.

Wir finden, bewerten und fassen relevantes Wissen zusammen und helfen Menschen so, beruflich und privat bessere Entscheidungen zu treffen.

Für Sie

Entdecken Sie Ihr nächstes Lieblingsbuch mit getAbstract.

Zu den Preisen

Für Ihr Unternehmen

Bleiben Sie auf dem Laufenden über aktuelle Trends.

Erfahren Sie mehr

Studenten

Wir möchten #nextgenleaders unterstützen.

Preise ansehen

Sind Sie bereits Kunde? Melden Sie sich hier an.

Kommentar abgeben

Mehr zum Thema

Von der gleichen Autorin

Verwandte Kanäle