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Wachtmeister Studer

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Wachtmeister Studer

Diogenes Verlag,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Mord oder Selbstmord? In Glausers erstem Studer-Roman versucht der Berner Wachtmeister, den Tod eines Handlungsreisenden zu ergründen.

Literatur­klassiker

  • Kriminalroman
  • Moderne

Worum es geht

Mord oder Selbstmord?

In Gerzenstein, einem ganz normalen Schweizer Dorf, ist etwas Unerhörtes passiert: Im nahe gelegenen Wäldchen wurde der Handlungsreisende Wendelin Witschi aufgefunden - erschossen. Bei seinen Ermittlungen stellt Wachtmeister Studer fest, dass fast alle Dorfbewohner etwas über den Mord (oder war es doch Selbstmord?) wissen, aber aus Angst, Eigennutz oder falscher Loyalität hüllt sich jeder Einzelne in Schweigen. Am Ende kann der Fahnder den Fall zwar aufklären, doch verzichtet er darauf, mit seinen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit zu treten. Wie fast immer bei Glauser, hat sich ein Mächtiger und Reicher schuldig gemacht. Wachtmeister Studer aus dem Jahr 1936 ist ein atmosphärisch dichter, sehr spannender Kriminalroman mit zahlreichen überraschenden Wendungen - und mit einem Ermittler, der eher durch Menschenkenntnis als durch kriminalistischen Scharfsinn zum Ziel kommt. Mit seinem knorzigen Wachtmeister erschuf Friedrich Glauser eine Figur, die zum Prototyp des bärbeißig-bodenständigen Schweizer Ermittlers wurde.

Take-aways

  • Gemeinsam mit Matto regiert begründet Wachtmeister Studer Friedrich Glausers Stellung als Vater des deutschsprachigen Kriminalromans.
  • Schauplatz ist das Dorf Gerzenstein, in dessen Nähe der Handlungsreisende Wendelin Witschi erschossen aufgefunden wird.
  • Lange Zeit bleibt unklar, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelt.
  • Die meisten Dorfbewohner wissen etwas über die Hintergründe von Witschis Tod, behalten ihre Kenntnisse aber aus Eigennutz oder Angst für sich.
  • Hauptverdächtiger ist der vorbestrafte Erwin Schlumpf, der aus Liebe zur Tochter des Ermordeten ein falsches Geständnis ablegt.
  • Die Familie Witschi wurde durch die Wirtschaftskrise der 30er Jahre in den Ruin getrieben. Mittels Versicherungsbetrug will man wieder zu Geld kommen.
  • Der Plan der Witschis wird vom Gemeindepräsidenten Aeschbacher durchkreuzt, der vom Opfer erpresst worden ist.
  • Der Roman überzeugt durch seine dichten Beschreibungen der dörflichen Atmosphäre und die psychologische Feinzeichnung der Hauptfiguren.
  • Glausers Sprache lehnt sich eng ans Schweizerdeutsche an, oft sind einzelne Wörter, manchmal sogar ganze Sätze im Dialekt wiedergegeben.
  • Die Sozialkritik in Glausers Werk kommt nicht von ungefähr: In der ersten Hälfte der 30er Jahre wurde die Schweiz von einer Wirtschaftskrise erschüttert, die mit hoher Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger einherging.
  • Friedrich Glauser, der mit 42 Jahren starb, führte ein von Drogensucht und Klinikaufenthalten geprägtes Leben als Außenseiter.
  • Wachtmeister Studer wurde mehrmals zum Filmhelden und gilt als literarischer Urvater der eigenbrötlerischen, aber einfühlsamen Schweizer Kommissarfigur.

Zusammenfassung

Erwin Schlumpf will nicht mehr

Vor einer Stunde hat Wachtmeister Studer den mutmaßlichen Mörder Erwin Schlumpf im Gefängnis von Thun abgeliefert. Ein ungutes Gefühl veranlasst ihn, den Insassen nochmals in seiner Zelle zu besuchen. Tatsächlich: Schlumpf hat sich aufgehängt. Studer kommt gerade noch rechtzeitig, den Verdächtigen durch Wiederbelebungsversuche zu retten. Der vorbestrafte, aus armen Verhältnissen stammende Schlumpf soll in einem Wald in der Nähe des Berner Dorfes Gerzenstein einen Handlungsreisenden namens Wendelin Witschi durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet haben. Witschi hatte 300 Franken bei sich, und Schlumpf machte sich verdächtig, weil er kurz nach der Tat im Gasthof "Bären" eine Hunderternote gewechselt hat. Er bestreitet die Tat entschieden, und Studer spürt instinktiv, dass Schlumpf unschuldig sein muss. Der Mordverdächtige war verliebt in Sonja Witschi, die Tochter des Ermordeten, und hatte trotz seiner Vorstrafe die Erlaubnis des Vaters, seine Geliebte zu heiraten. Gearbeitet hat Schlumpf bis zu seiner Verhaftung in der Baumschule eines gewissen Ellenberger, der ausschließlich Vorbestrafte beschäftigt. Als sich Studer Aufnahmen des Ermordeten ansieht, fällt ihm auf, dass dieser auf dem Bauch unter einer Tanne liegt, aber keine Nadeln am Rücken hat - obwohl ihn der Verdächtige doch hätte umdrehen müssen, um ihm die Brieftasche zu rauben. Am selben Abend lernt Studer in einem Café beim Billardspiel mit dem Notar Münch weitere Personen kennen, die mit dem Fall Witschi zu tun haben: den zahnlosen Ellenberger, Besitzer der Baumschule; ausserdem dessen Obergärtner Cotterau, der den Toten im Wald gefunden hat. Studer erfährt, dass der Ermordete ein rettungsloser Säufer war und Ellenberger Geld schuldete.

"Chabis"

Anderntags geht Studer ins gerichtsmedizinische Institut, um sich die Leiche anzuschauen. Vom Gerichtsmediziner - einem lebhaften Italiener - erfährt er, dass Witschi 2,1 Promille Alkohol im Blut hatte, als er starb. Selbstmord hält der Mediziner für ausgeschlossen: In diesem Falle hätte es Pulverspuren an der Einschusswunde gegeben, weil man sich selbst nur aus nächster Nähe erschießen kann. Studer stellt jedoch fest, dass der Tote merkwürdig lange Arme hat. Bei der Fahrt von Bern nach Gerzenstein lernt Studer im Zug die junge Sonja Witschi kennen, Tochter des Ermordeten und Geliebte des Verdächtigen. Die Mutter Witschi arbeitet am Gerzensteiner Bahnhofskiosk. Kaum im Dorf angekommen, erfährt Studer aus dem Radio, dass der Obergärtner Cotterau verschwunden ist. Der Wachtmeister mietet sich im "Bären" ein Zimmer und sucht den Ortspolizisten auf, einen Landjägerkorporal namens Murmann. Auf die Frage, ob er Schlumpf für schuldig halte, antwortet dieser mit einem einzigen Wort: "Chabis" (= Kohl, Unsinn). Kurz darauf beobachtet der Wachtmeister in der Gaststube des "Bären" Armin Witschi, den Sohn des Ermordeten. Die Kellnerin ist offensichtlich in ihn verliebt und steckt ihm unter dem Tisch Geld zu. Bei einem Spaziergang durch den Wald hört Studer ein Stöhnen. Es kommt vom vermissten Obergärtner Cotterau, der von einigen Burschen zusammengeschlagen worden ist. Wer an dem Überfall beteiligt war, will er jedoch nicht sagen.

„Und doch! Und doch! Etwas stimmte nicht an der ganzen Sache. Vorerst war es nur ein Eindruck, ein gewisses unangenehmes Gefühl. Und der Fahnderwachtmeister fröstelte.“ (S. 12)

Studer sucht das Ehepaar Hofmann auf, bei dem Schlumpf gewohnt hat. Frau Hofmann, die den Wachtmeister in der Küche empfängt, weiß über den Verdächtigen nur Gutes zu berichten: Er sei anständig gewesen und habe immer pünktlich bezahlt. Als die Wirtin die Küche kurz verlässt, findet Studer unter einem Packpapier eine Browningpistole - dieselbe Marke der Waffe, mit welcher der Mord verübt wurde. Er steckt sie ein. Nach dem Mord hätten außer Schlumpf noch weitere Personen die Küche betreten, erfährt er von Frau Hofmann: der Lehrer Schwomm und der Coiffeurgehilfe Gerber. Studers nächste Station ist das Haus der Familie Witschi, das er gemeinsam mit Sonja aufsucht. Es trägt den Namen "Alpenruh" und ist von ländlich-bäuerlichem Kitsch. Dem Wachtmeister fallen zahlreiche Hefte einer Zeitschrift auf, deren Abonnenten bei Tod oder Invalidität eine Versicherung ausbezahlt erhalten. Als das Mädchen für kurze Zeit den Raum verlässt, schüttelt Studer gedankenverloren eine Vase und entdeckt 15 Patronenhülsen vom Kaliber der Mordwaffe. Unter Tränen erzählt Sonja dann, wie die Eltern 1929 beim großen Börsensturz alles verloren hätten. Die Mutter sei verbittert geworden, der Vater habe sich mit wenig Erfolg als Handlungsreisender versucht. Stockend fügt sie hinzu, der Onkel Aeschbacher, seines Zeichens Gemeindepräsident, sei ab und zu eingesprungen. Später bestätigt auch der Dorfpolizist Murmann, dass die Familie Witschi in finanzielle Not geraten sei. Seiner Meinung nach hat Vater Witschi Selbstmord begangen, wobei die Tat wie ein Mord aussehen sollte, um die Versicherungsprämie abzukassieren. Erwin Schlumpf habe sich dazu überreden lassen, die Waffe am Tatort an sich zu nehmen und verschwinden zu lassen - als Belohnung habe er 300 Franken erhalten und es sei ihm versprochen worden, Sonja heiraten zu dürfen. Murmann sagt, er habe den Stapel Packpapier in der Küche der Familie Hofmann bei der ersten Durchsuchung durchforstet, aber keine Waffe gefunden - Schlumpf kann es also unmöglich gewesen sein, der sie dort versteckt hat, denn er war zu diesem Zeitpunkt ja schon verhaftet.

Ein falsches Geständnis

Studer spürt, dass eine Erkältung im Anzug ist, weshalb er abends im "Bären" noch einen Grog trinkt und von einem Nebenraum aus alle beobachtet, die etwas mit dem Fall zu tun haben. Am folgenden Tag sitzt Studer mit Ellenberger im Garten des Restaurants. Während Ellenberger zuvor stets den knorrigen Dörfler gegeben hat, macht er nun auf Weltmann und redet Französisch, was dem Fahnder aufgesetzt vorkommt. Der dicke Gemeindepräsident Aeschbacher setzt sich heftig schnaufend hinzu, verschiedene Paare beginnen zu tanzen. Aeschbacher, dessen Auto gestohlen wurde, erhält einen Anruf vom Untersuchungsrichter: Das Fahrzeug sei gefunden und der Dieb in Thun verhaftet worden. Der Richter will auch mit dem Wachtmeister sprechen. Zu dessen Überraschung teilt er ihm mit, dass Erwin Schlumpf den Mord gestanden habe. Die Anwesenden sind ebenso erstaunt. Unter vier Augen behauptet ein Bursche namens Schreier Studer gegenüber, Witschi habe Selbstmord begangen, und er führt den Wachtmeister zu einem Schuppen neben dem Haus des Getöteten. An der ausgehängten Türe finden sich 15 Einschusslöcher, wobei die einen Verbrennungsspuren aufweisen, die anderen nicht. Schreier vermutet, Witschi habe mit Hilfe eines in den Pistolenlauf gesteckten Zigarettenpapiers geübt: Schießen, ohne Pulverspuren zurückzulassen.

„Und während Studer durch die langen Gänge des Schlosses schritt, konnte er den Blick nicht loswerden und den Blick nicht deuten, mit dem ihm Schlumpf nachgeblickt hatte. Erstaunen lag darin, jawohl, aber hockte nicht auch eine trostlose Verzweiflung auf dem Grunde?“ (S. 22)

Die beiden verlassen den Garten und stoßen auf Frau Witschi, die Studer in die Küche bittet. Als ihr dieser sagt, der Tod ihres Mannes sei im Grunde ein Glück, da sie nun Versicherungsgelder erhalte, reagiert die Frau mit einem Wortschwall. Doch statt zuzuhören, versinkt der Wachtmeister tief in Gedanken: Er sieht die Witschis am Tisch sitzen, Frau und Sohn reden auf den Vater ein, er solle die Familie mit einem vorgetäuschten Unfall aus dem Elend retten. Schließlich sei er allein daran schuld. Studer stellt Vermutungen an: War es Selbstmord? Oder hat sich Erwin Schlumpf aus Liebe zu Sonja tatsächlich zur Tat hinreißen lassen? Oder war es der Coiffeurgehilfe? Oder vielleicht Armin Witschi? Am Ende gar Frau Witschi selber?

„Er, der Ellenberger, sei zu viel in der Welt herumgekommen, die braven Leute brächten ihn zum Kotzen, aber die schwarzen Schafe, wie man so schön sage, die sorgten für Abwechslung.“ (S. 44)

Als Wachtmeister Studer in den "Bären" zurückkehrt, wird er vom Lehrer Schwomm angesprochen. Dieser sei am Abend der Tat im Wald spazieren gegangen, in Begleitung einer Person, deren Identität er geheim halten will. Studer merkt an der geschwollenen Sprache des Lehrers, dass er etwas zu verbergen hat. Schwomm behauptet, zuerst ein Motorrad und dann zwei Schüsse gehört zu haben; wenig später sei ein Schatten an ihm vorbeigerannt, das sei vermutlich Schlumpf gewesen. Studer sagt dem Lehrer auf den Kopf zu, dass er nur sein Gewissen erleichtern wolle und drei Viertel der Wahrheit verberge.

Warum kaufte Ellenberger eine Browning?

Kurz darauf erfährt der Wachtmeister, dass der Baumschulenbesitzer Ellenberger vor Witschis Tod eine Browning gekauft hat - der Inhaber des Waffengeschäfts kann sich an einen zahnlosen älteren Mann erinnern. In Sonjas Begleitung fährt Studer nach Thun, um Erwin Schlumpf zu besuchen. Dieser wiederholt zwar sein Geständnis, doch weist ihm der Wachtmeister so viele Widersprüche nach, dass er es schließlich widerruft. Das Zusammentreffen des Gefangenen mit seiner Geliebten Sonja ist ergreifend und tränenreich. Nun ist das Mädchen bereit, eine Aussage zu machen. Ihr Vater sei bei Ellenberger verschuldet gewesen. Die Mutter habe ständig geklagt, der Bruder Armin musste sogar sein Studium abbrechen. Nur Aeschbacher half ab und zu aus. Eines Abends habe sie, Sonja, sich auf Aeschbachers Schoß gesetzt. Plötzlich seien der Vater und Armin ins Zimmer gestürmt und hätten den Gemeindepräsidenten eines sexuellen Übergriffs beschuldigt. Am Abend der Tat sei sie mit Erwin Schlumpf spazieren gegangen. Nach ihrer Rückkehr habe Armin erzählt, der Vater hätte sich im Wald erschossen, obwohl eigentlich geplant gewesen sei, dass er sich durch einen Schuss ins Bein zum Invaliden machen sollte. Sie sei entsetzt gewesen, erzählt das Mädchen. Aber Armin habe auf sie eingeredet und gesagt, sie solle ihren Verlobten dazu bewegen, sich verdächtig zu machen. So werde die Versicherung zahlen, und man werde schon sehen, wie man Schlumpf wieder entlasten könne. So weit geht für Studer alles auf. Aber warum hat Ellenberger eine Waffe gekauft? Hat vielleicht doch jemand beim Selbstmord nachgeholfen?

„Aber sobald es sich um wichtigere Dinge handelte, war ein Wort wie beispielsweise: ‚Chabis’ ebenso viel wert wie die kräftigen Ausführungen eines Experten.“ (S. 61)

Nun möchte Studer mit dem ebenfalls in Thun einsitzenden Häftling sprechen, der Aeschbachers Auto gestohlen hat. Der Name des dilettantischen Diebs ist Augsburger. Seltsam ist, dass im Auto des Gemeindepräsidenten eine Browning gefunden wurde - beim Verbrechen müssen also zwei Waffen derselben Marke eine Rolle gespielt haben. Nach längerem Leugnen gibt Augsburger zu, dass ihn Armin Witschi beauftragt hat, das Auto des Gemeindepräsidenten zu stehlen und sich danach erwischen zu lassen. Im Gefängnis sollte er Erwin Schlumpf zu einem Geständnis bewegen - die ganze Familie Witschi würde sonst ins Verderben getrieben. Offensichtlich hat Schlumpf in seiner Verliebtheit den Anweisungen gehorcht.

„Lieber zehn Mordfälle in der Stadt als einer auf dem Land. Auf dem Land, in einem Dorf, da hängen die Leute wie die Kletten aneinander, jeder hat etwas zu verbergen ...“ (S. 112)

Auf dem Rückweg von Thun fahren Sonja und der Wachtmeister in ein abgelegenes Dorf, wo die Eltern von Armins Freundin leben. Wie vermutet, hält sich der junge Witschi dort versteckt. Während er in Gesellschaft anderer junger Burschen stets arrogant auftritt, ist er jetzt höflich und gibt bereitwillig Auskunft. Laut Plan hätte sich Vater Witschi ins Bein schießen sollen, Armin hätte danach die Waffe beiseite geschafft. Dann hätte Wendelin Witschi behauptet, er sei überfallen worden, und der Verdacht wäre auf einen der vorbestraften Männer in Ellenbergers Baumschule gefallen. Ellenberger und Aeschbacher seien in den Plan eingeweiht gewesen, der Direktor der Baumschule habe die Waffe beschafft. Aber am betreffenden Abend hat Armin Witschi nicht einen, sondern zwei Schüsse gehört und den Vater tot aufgefunden. Die Pistole habe später der Coiffeurgehilfe Gerber bei Frau Hofmann versteckt.

Eine Doppelhochzeit - und doch kein Happy End

Wachtmeister Studers Erkältung wird zwar immer schlimmer, aber der Fahnder möchte den Fall um jeden Preis abschließen. Er findet heraus, dass der tödliche Schuss aus der Pistole abgegeben wurde, die in Aeschbachers Auto gewesen ist. Und Obergärtner Cotterau macht nun die entscheidende Aussage: Er hat gesehen, wie Aeschbacher dem zum geplanten Versicherungsbetrug schreitenden Wendelin Witschi nachschlich und später die Waffe in seinem Auto versteckte. Studer geht an die Beerdigung des Ermordeten; es ist ein trüber, regnerischer Tag. Nach dem Trauerakt spricht er den Gemeindepräsidenten an. Aeschbacher lädt den Fahnder zu sich nach Hause ein, wo er sich seiner erschrockenen Frau gegenüber sanft und fürsorglich benimmt. Dem Wachtmeister bietet er einen Drink gegen dessen fiebrigen Katarrh an.

„Studer schüttelte unmerklich den Kopf. Ihm schien es, als sei auch das heutige Gesicht des alten Ellenberger noch nicht das echte. Oder hatte der Mann gar kein wirkliches Gesicht?“ (S. 118)

Schließlich konfrontiert Studer sein Gegenüber mit der Wahrheit: Wendelin Witschi hat den Gemeindepräsidenten nicht nur mit Sonja auf dem Schoß erwischt, sondern auch gewusst, dass er Mündelgelder verspekuliert hat. Aeschbacher war zwar über Witschis Plan informiert, aber er ahnte, dass Witschi zu feige sei, ihn in die Tat umzusetzen. Deshalb folgte er ihm in Begleitung des jungen Augsburger und erschoss ihn mit einer Pistole derselben Marke, mit der sich Witschi eigentlich ins Bein schießen wollte. Später hat er den Zeugen Cotterau verprügeln lassen, damit er schweigen würde. Der Gemeindepräsident lässt sich von Studer verhaften, obwohl er alles abstreiten könnte und vor Gericht wahrscheinlich sogar damit durchkäme. Der Schuldige besteht darauf, in seinem eigenen Wagen zu fahren. Unterwegs, während sie eine Seestraße entlangfahren, fragt Studer den Gemeindepräsidenten nach dessen Frau, und damit stochert er in einer offenen Wunde herum. Plötzlich stößt Aeschbacher den Fahnder aus dem fahrenden Auto. Anschließend begeht der Gemeinderatspräsident Selbstmord, indem er in den See rast. Als Studer wieder aufwacht, liegt er im Krankenhaus. Er erfährt, dass die übrigen Beteiligten Glück gehabt haben: Der Untersuchungsrichter verzichtet darauf, den versuchten Versicherungsbetrug der Witschis vor Gericht zu bringen. Die Versicherung hat zwar nichts bezahlt, dafür steht eine Doppelhochzeit an: Sonja heiratet Erwin Schlumpf, während Armin Witschi die Kellnerin des Gasthofs "Bären" zur Frau nimmt. Der Frau des Gemeindepräsidenten verspricht Studer, sein Wissen für sich zu behalten. Offiziell bleibt der Mord an Wendelin Witschi ungesühnt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Wachtmeister Studer besteht zum einen aus einer fortlaufenden Handlung, die im Berner Dorf Gerzenstein spielt und während der das Verbrechen am Hausierer Witschi aufgeklärt wird; zum anderen aus Schilderungen vergangener Ereignisse, die Wachtmeister Studer von den verschiedenen Personen erzählt werden. Dabei erweisen sich sicher und logisch erscheinende Annahmen über den Tathergang im Nachhinein immer wieder als falsch. Jede Entdeckung und jedes neue Indiz tragen zwar zur Aufklärung des Falles bei, rücken ihn jedoch auch immer wieder in ein anderes Licht. Trotz zahlreicher überraschender Wendungen gelingt es Glauser, die Handlungsfäden zu einem nicht nur spannenden, sondern auch rundum überzeugenden Krimiplot zu bündeln, der erst im letzten Moment definitiv aufgelöst wird. Geographischer Dreh- und Angelpunkt des Romans ist das Restaurant "Bären". Das Buch besticht durch die einfühlsame Psychologisierung der Figuren und die dichte Schilderung der dörflichen Umgebung. Das vermeintliche, anhand vieler prägnanter Details geschilderte Landidyll verschleiert eine Atmosphäre, die von Verdächtigungen, Verleumdungen und vom Kampf ums wirtschaftliche Überleben geprägt ist. Glauser ist ein Meister des ungekünstelten Dialogs. Er versteht es wie wenige Autoren, hinter scheinbaren Kleinigkeiten psychologische Abgründe erfassbar zu machen. Er schreibt in einer einfachen, erdigen Sprache, deren Satzbau und Wortschatz sich stark ans Schweizerdeutsche anlehnen. Oft sind einzelne Wörter, manchmal sogar ganze Sätze im Dialekt wiedergegeben.

Interpretationsansätze

  • Glausers Roman ist von einem stark sozialkritischen Ansatz geprägt: Die Familie Witschi gerät durch den Verlust ihres bescheidenen Vermögens und durch die Verzweiflung über die Aussichtslosigkeit ihrer Lage auf die schiefe Bahn. Die Witschis werden unschuldig schuldig.
  • Im Dorf Gerzenstein herrscht eine nur vordergründige Idylle, denn fast jeder im Ort ist in unterschiedlichem Ausmaß am Verbrechen beteiligt oder ahnt zumindest dessen Hintergründe. Aus eigennützigen Motiven hintertreiben die Bewohner die Aufklärung der Tat.
  • Während die Armen gegen ihre Not ankämpfen, versuchen die Reichen ihren Wohlstand zu sichern. Materielles Eigeninteresse erscheint als wichtigste Triebfeder menschlichen Handelns. Damit wird das Dorf zum Abbild einer grundsätzlich korrupten Gesellschaft.
  • Wachtmeister Studer ist eine eigenbrötlerische Figur, deren Vielschichtigkeit u. a. darin besteht, dass sie immer wieder von Selbstzweifeln und Willenslähmungen heimgesucht wird.
  • Der Täter, Gemeindepräsident Aeschbacher, repräsentiert den Typ des Politikers, der zur Erhaltung seiner Macht jeden Skrupel vergisst. Dennoch hat auch er Momente der Zärtlichkeit und der Sensibilität.
  • Am Ende verzichtet Studer darauf, sein Wissen über den Täter zu offenbaren, weil sich durch die Verurteilung eines Einzelnen die fragwürdigen gesellschaftlichen Zustände doch nicht aus der Welt schaffen lassen.
  • Das Verbrechen und die Verstrickungen der Figuren werden nicht durch kriminalistischen Scharfsinn, sondern in erster Linie durch psychologisches Einfühlungsvermögen erhellt. Menschenkenntnis ist wichtiger als Intelligenz.

Historischer Hintergrund

Die Schweiz der 30er Jahre

Nach dem New Yorker Börsenkrach vom Oktober 1929 wurde auch die Schweiz von einer tief greifenden wirtschaftlichen Depression erfasst. Betroffen von der Krise war vor allem die Exportindustrie, etwa die Textil-, Uhren-, und Maschinenfabriken. Zwischen 1929 und 1936 stieg die Zahl der Arbeitslosen von rund 8000 auf über 93 000. Vor den Suppenküchen standen die hungernden Menschen Schlange. Zahlreiche Banken mussten schließen, der Tourismusindustrie fehlten die ausländischen Gäste, die Landwirtschaft litt unter dem rasanten Preisverfall. Es kam zu einer Deflation: Die Bevölkerung schob Kaufentscheide auf, weil sie weiterhin sinkende Preise erwartete, was die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale riss. 1936 wurde der Franken zur Ankurbelung der Exportwirtschaft auf einen Schlag um 30 % abgewertet. Politisch war die Bevölkerung tief gespalten. Auf der Linken hofften die Kommunisten und viele Sozialdemokraten auf eine Verstaatlichung der Wirtschaft, auf der Rechten erlebten faschistische und sonst wie autoritäre Bewegungen einen Aufschwung. Die sich schrittweise durchsetzende Einsicht, dass vom deutschen Nationalsozialismus eine existentielle Bedrohung für die Schweiz ausging, schweißte die verfeindeten Lager in der zweiten Hälfte der 30er Jahre unter dem Stichwort "geistige Landesverteidigung" wieder zusammen. Auf ihrem Parteitag vom Januar 1935 rückten etwa die Sozialdemokraten von der Ideologie des Klassenkampfes ab, um stattdessen die militärische Landesverteidigung zu befürworten. Neben der Abwertung des Frankens ließen massive Investitionen in die Rüstung die Wirtschaftskrise allmählich abflauen. Arbeitslose wurden nun in Grenzschutzkompanien zusammengezogen, um die neu errichteten Bunker zu bewachen.

Entstehung

Der Roman Wachtmeister Studer, der ursprünglich den Titel Schlumpf Erwin Mord trug, erschien im Jahr 1936, fast zeitgleich mit Glausers zweitem Studer-Roman Matto regiert. Das Werk wurde zunächst als Fortsetzungskrimi in der Zürcher Illustrierten und danach in zahlreichen Zeitungen gedruckt. Bei der Erschaffung des knorrigen, melancholischen Kommissars hat sich der literarisch umfassend gebildete Friedrich Glauser von Georges Simenons Maigret inspirieren lassen. In einem Brief aus dem Jahr 1937 legt Glauser die literarischen Prinzipien dar, die neben Wachtmeister Studer auch seinen anderen Kriminalromanen zugrunde liegen: Entscheidend für ihn ist nicht das Logisch-Rationale, sondern das Atmosphärisch-Psychologische. Da der Roman wie auch die anderen literarischen Arbeiten des von seinem Vater entmündigten Autors von Lektoren, Verlegern und Redaktoren nach Gutdünken gekürzt und verändert wurde, dauerte es bis 1995, ehe im Limmat Verlag eine nach wissenschaftlichen Kriterien kommentierte Originalfassung erschien. Ein augenfälliges Beispiel für die Eingriffe Dritter in Glausers Werk ist die Änderung des Titels des ersten Studer-Romans.

Wirkungsgeschichte

Gemeinsam mit Matto regiert begründet Wachtmeister Studer Glausers Ruhm als Vater des deutschsprachigen Kriminalromans. Auf der vom Bochumer Krimi-Archiv erstellten Liste der besten Kriminalromane aller Zeiten finden sich beide Werke auf den vorderen Rängen. Ausdruck von Glausers überragender Stellung in der Geschichte des Genres ist außerdem die Tatsache, dass mit dem "Glauser" einer der renommiertesten deutschsprachigen Krimipreise den Namen des Schweizer Autors trägt. Dem bekannten Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher zufolge verhalf Glauser seiner Studer-Figur "zu unverkennbarer helvetischer Selbstständigkeit, indem er das Hintergründige in die Biederkeit steckte". Für den polnischen Literaturwissenschaftler und Glauser-Übersetzer Jan Goslicki steht fest: "Weltliteratur ist das." Die Popularität der Studer-Figur führte bereits im Jahr 1939 zur ersten Verfilmung von Wachtmeister Studer unter der Regie von Leopold Lindtberg. Heinrich Gretler verkörperte den brummigen Kriminaler auch in der Verfilmung von Matto regiert aus dem Jahr 1947 auf unnachahmliche Weise - in ihm nahm ein Schweizer Gestalt an, in dem sich das ganze Volk wiedererkannte. 1980 erfolgte eine weitere Verfilmung mit Hans Heinz Moser in der Hauptrolle.

Die von Friedrich Glauser geschaffene Figur des behäbigen, eigenbrötlerischen, auf seine Intuition vertrauenden Kommissars hat auch in der neueren Schweizer Krimiliteratur ihren Niederschlag gefunden, etwa in der Gestalt von Friedrich Dürrenmatts Ermittler Bärlach (Der Richter und sein Henker, Der Verdacht). Charakterzüge, die an Wachtmeister Studer erinnern, trägt ebenfalls Hansjörg Schneiders Kommissar Hunkeler (Tod einer Ärztin, Hunkeler macht Sachen). Dieser Basler Romancier erhielt denn auch im Jahr 2005 den "Glauser". Gemeinsam ist den drei Fahndern die typisch schweizerisch anmutende bäuerliche Bodenständigkeit, das Gefühl für den Umgang mit Außenseitern, die Fähigkeit zuzuhören und nicht zuletzt das Alter: Sie sind alle nicht mehr weit von der Pensionierung entfernt.

Über den Autor

Das Leben von Friedrich Glauser ist ein einziger Schleuderkurs zwischen Heilanstalt, Spital und Gefängnis, zwischen Selbstmordversuchen, Drogensucht und Kleinkriminalität. Die einzige Konstante seiner Biographie ist das Schreiben. Geboren wird Glauser am 4. Februar 1896 in Wien. Im Alter von nur vier Jahren verliert er seine Mutter. Als sein Vater an die Handelshochschule nach Mannheim geht, wird Friedrich in ein Landerziehungsheim am Bodensee eingeschult. Dort begeht er 1913 den ersten Selbstmordversuch. Nachdem er sich 1916 in Zürich als Chemiestudent eingeschrieben hat, lernt er die wichtigsten Vertreter der dadaistischen Bewegung kennen. Zwei Jahre später lässt sein Vater ihn entmündigen, weil er es satt hat, ständig Glausers Schulden bezahlen zu müssen. In der Folge wird der morphiumsüchtige Glauser immer wieder wegen Rezeptfälschung und anderer kleiner Delikte verhaftet und in verschiedene Heilanstalten eingewiesen, bis er 1921 der französischen Fremdenlegion beitritt. Nach der Entlassung wegen eines Herzfehlers arbeitet Glauser u. a. als Tellerwäscher in Paris, als Kumpel in einer belgischen Kohlegrube und als Gärtner in Basel. Der Versuch, sich in Paris als freier Schriftsteller und Journalist zu etablieren, scheitert nicht zuletzt an seiner Drogensucht, die immer wieder zu Selbstmordversuchen und kürzeren Internierungen führt. Für seinen 1930 vollendeten ersten Roman Gourrama, in dem Glauser seine Erfahrungen in der Fremdenlegion verarbeitet, findet er keinen Verleger. Erfolg hat er ab Mitte der 30er Jahre hingegen mit seinen Krimis: 1936 wird Wachtmeister Studer veröffentlicht, das erste Werk, in dem der berühmte Kommissar auftaucht. Dem entmündigten Glauser bleibt es in der Schweiz verwehrt, seine ehemalige Psychiatriepflegerin Berthe Bendel zu heiraten, weshalb die beiden 1938 nach Genua übersiedeln. Glauser arbeitet gleichzeitig an drei Romanen, die Hochzeit wird auf den 7. Dezember festgesetzt. Doch am Vorabend der Trauung erleidet der Schriftsteller während des Abendessens einen Zusammenbruch. Er liegt mehrere Stunden im Koma und stirbt 42-jährig am 8. Dezember 1938. Sein Werk umfasst neben dem Legionsroman und den sechs Kriminalromanen mehr als 100 Erzählungen, Essays, Aufsätze und biographische Aufzeichnungen.

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