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Jakob von Gunten

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Jakob von Gunten

Suhrkamp,

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12 take-aways
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What's inside?

Robert Walsers kuriosester Roman: Merkwürdige Menschen tun merkwürdige Dinge in einer merkwürdigen Schule.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Jakob und wie er die Welt sah

Der Schweizer Robert Walser galt unter Schriftstellerkollegen - wenn auch nicht beim breiten Publikum - immer schon als einer der wichtigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Und Jakob von Gunten wird heute als sein bedeutendstes Werk gesehen. Der Titelheld, ein junger Mann von vornehmer Abstammung, begibt sich zur Ausbildung aus freien Stücken in eine Dienerschule, das Institut Benjamenta. Dessen oberste Prinzipien lauten Geduld und Gehorsam. Als Diener steht der Mensch auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie, er ist wie ein Schatten: stumm, beinahe unsichtbar und trotzdem allgegenwärtig, immer dienstbereit und ohne eigenen Willen. Jakob nimmt diese Position ganz bewusst ein, aus dieser Perspektive will er die Welt erfahren und von ihr lernen. Walsers Jakob von Gunten steht stellvertretend für die große Masse aller abhängig arbeitenden, werktätigen Menschen. Von unten beobachtet er "die da oben" und sieht überall die Mechanismen der Gesellschaft, die das Lebendige im Menschen töten. Am Ende zeichnet sich als einzige Veränderungsmöglichkeit der radikale Ausbruch ab. Walsers Bücher fanden zwar nie ein großes Publikum, gleichwohl ist er einer der "geheimen Klassiker" des 20. Jahrhunderts.

Take-aways

  • Jakob von Gunten ist Robert Walsers letzter Roman und gilt als sein bedeutendstes Werk.
  • In Form eines Tagebuchs ohne Daten werden Berichte, Personenbeschreibungen, Reflexionen, Erlebnisse und Traumbilder locker aneinandergereiht.
  • Jakob, ein junger Mann vornehmer Herkunft, tritt in eine Dienerschule ein, um das Leben auf einer der unteren Stufen der sozialen Leiter kennenzulernen.
  • Er hat den Vorsatz, ein unbedeutender Mensch zu werden, aber sein angeborener Trotz macht ihm hin und wieder einen Strich durch die Rechnung.
  • Die Schule wird von dem mürrischen Herrn Benjamenta und dessen altjüngferlich wirkender Schwester Lisa geleitet.
  • Das Unterrichtsprogramm besteht vor allem darin, Geduld und Gehorsam zu üben, still und unauffällig zu sein. Die traditionelle Wissensbildung wird vernachlässigt.
  • Unter den Mitschülern bewundert Jakob vor allem Kraus, die perfekte Verkörperung aller Dienertugenden.
  • Im Lauf der Zeit ändert sich Jakobs Verhältnis zu den Benjamentas, weil sie ihm gegenüber immer vertraulicher werden, bis hin zu Liebesbekenntnissen.
  • Der Roman endet mit dem Tod des Fräuleins Benjamenta, der Schließung des Instituts und Jakobs und Herrn Benjamentas Aufbruch zu einer neuen Existenz.
  • Jakob von Gunten kann als gleichnishafte Analyse der geistigen und gesellschaftlichen Bedingungen der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg gelesen werden.
  • Vieles an dem Buch ist autobiografisch geprägt: Auch Robert Walser besuchte eine Dienerschule.
  • Der Autor verbrachte die letzten 27 Jahre seines Lebens in psychiatrischen Anstalten.

Zusammenfassung

Eintritt ins Institut Benjamenta

Jakob von Gunten tritt als junger Mensch in das Erziehungsinstitut Benjamenta ein. Hier werden Knaben zu Dienern ausgebildet. Geleitet wird die Schule von dem Inhaber und Vorsteher, dem riesenhaften und mürrischen Herrn Benjamenta, und seiner Schwester, dem etwas altjüngferlichen Fräulein Lisa Benjamenta. Das Institut liegt in einem gewöhnlichen Hinterhaus in der Großstadt. Jakob ist freiwillig hierher gekommen. Er muss den zunächst desinteressiert wirkenden Vorsteher regelrecht überreden, ihn aufzunehmen. Erst als Jakob die unverzügliche Barzahlung des Schulgeldes anbietet, akzeptiert Herr Benjamenta die Bewerbung mit den Worten: "So gib es her. Rasch!", um kurz danach hinzuzufügen: "Schlingel wie du erhalten keine Quittungen."

„Man lernt hier sehr wenig, es fehlt an Lehrkräften, und wir Knaben vom Institut Benjamenta werden es zu nichts bringen, das heißt, wir werden alle etwas sehr Kleines und Untergeordnetes im späteren Leben sein.“ (S. 7)

Jakob stammt aus gutem, adligem Haus. Doch er möchte weder ein Abkömmling sein, noch hat er den Ehrgeiz, ein Emporkömmling zu sein, sondern er hegt den Wunsch, ganz unten anzufangen, von der Pike auf zu lernen und nur zu dienen. Er will sich bewusst von hochmütigen Traditionen abwenden und sich einer Erziehung durch das Leben unterwerfen, gemäß den obersten Prinzipien des Instituts Benjamenta: Geduld und Gehorsam. Bei der Einweisung in die Räumlichkeiten des Instituts hat Jakob dann aber doch einen rebellischen Moment, als er sich strikt weigert, gemeinsam mit anderen Zöglingen in einem Schlafsaal zu übernachten. Geradezu flehentlich bittet er das Fräulein, ihm eine eigene Kammer zuzuweisen, und verspricht, in allen anderen Belangen gehorsam zu sein. Fräulein Benjamenta gewährt ihm diese Bitte. Sein Verschlag entspricht zwar nicht seinen Erwartungen, denn er verfügt nur über ein Oberlicht und nicht über ein Fenster, doch Jakob akzeptiert nach kurzem Wimmern.

Der Alltag im Institut

Die wenigen Schüler, es sind ungefähr ein halbes Dutzend junge Männer, wohnen im Institut und werden dort verpflegt. Sie tragen alle eine Uniform. Jakob ist dies sehr angenehm, weil er vorher nie recht gewusst hat, was er anziehen sollte, und die Uniform besser findet, als in zerrissenen und schmutzigen Kleidern herumzulaufen. Er ist der Ansicht, dass sie die Schüler zugleich erniedrigt und erhebt und dass sie der perfekte Ausdruck seines Strebens ist, im späteren Leben nicht mehr zu sein als eine "reizende, kugelrunde Null".

„Der Unterricht, den wir genießen, besteht hauptsächlich darin, uns Geduld und Gehorsam einzuprägen, zwei Eigenschaften, die wenig oder gar keinen Erfolg versprechen.“ (S. 7)

Der Unterricht beginnt morgens um acht Uhr. Dann erwarten die Schüler, die sich ungefähr zehn Minuten vorher im Schulraum versammelt haben, in angespannter Haltung die Ankunft ihrer Vorgesetzten, des Fräuleins Benjamenta. Dies entspricht den Institutsvorschriften der vorauseilenden Respektsbezeugung. Fräulein Benjamenta erteilt mit einem kleinen, weißen Stöckchen in der Hand den Benimmunterricht. Zu Beginn des Unterrichts klopft sie damit dreimal auf die Tischkante. Neben dem Fräulein erteilen einige müßige, desinteressierte, geradezu schläfrige Lehrer Unterricht, u. a. in Naturgeschichte, Französisch, Religion, in der Geschichte Roms, im Rechnen, Turnen und Tanzen. Aber auf Erwerb von echtem Wissen wird wenig Wert gelegt, weder vonseiten des Instituts noch vonseiten der Schüler. In den Unterrichtsstunden sitzen die Zöglinge starr und unbeweglich da, die Hände bleiben unter dem Tisch.

„Wenn kein Gebot, kein Soll herrschte in der Welt, ich würde sterben, verhungern, verkrüppeln vor Langerweile. Mich soll man nur antreiben, zwingen, bevormunden.“ (S. 28)

Ab drei Uhr nachmittags sind die Eleven sich selbst überlassen. Niemand kümmert sich mehr um sie. Sie können nach draußen in die Stadt gehen, wenn es ihnen beliebt, aber die meisten haben kaum Taschengeld, sodass sie nicht viel unternehmen können. Wenn Jakob Geld hat, besorgt er sich Zigaretten, für ihn der Inbegriff eines eigentlich verpönten Genusses. Eines Tages versetzt er sogar seine Uhr, um sich Tabak dafür zu kaufen.

„Entweder sind die Lehrer unseres Institutes gar nicht vorhanden, oder sie schlafen noch immer, oder sie scheinen ihren Beruf vergessen zu haben.“ (S. 58)

Abends gegen neun Uhr versammeln sich die Schüler im Halbkreis vor der Tür, die zur Privatwohnung, den "inneren Gemächern" der Benjamentas führt. Fräulein Benjamenta erscheint dann, in weiße Gewänder gehüllt, auf der Schwelle, die Knaben singen ein kurzes Gutenachtlied, Fräulein Benjamenta wünscht ihnen ihrerseits eine gute Nacht und ermahnt sie, sich still zu verhalten. Von nun an darf nur noch gehuscht und geflüstert werden. Die inneren Gemächer hat kaum ein Schüler je betreten. Jakob stellt sie sich wie ein verwinkeltes Schloss vor mit Rittersaal, Korridoren, Wendeltreppen und einer uralten Bibliothek. Er stellt sich erlesene Tafelfreuden mit silbernen Leuchtern und parfümierter Eleganz vor.

Jakobs Kameraden

Ausführlich schildert Jakob in seinem Tagebuchbericht seine Mitschüler. Allen voran den affenartig beflissenen Kraus, der zwar in allem der größte Gegensatz zu ihm selbst ist, dem er sich jedoch am stärksten verbunden fühlt. Kraus wird einmal den perfekten Diener abgeben. Jakob wünscht ihm einen echten Grafen zum Herrn, der seine Dienste wirklich zu schätzen weiß. Jakob vergleicht Kraus mit dem jugendlichen Joseph aus dem Alten Testament, dem standhaften Jüngling, der keiner der Lockungen im Hause Potiphars erlag und später der erste Diener des Pharaos wurde.

„Einer der Grundsätze unserer Schule lautet: ‚Wenig, aber gründlich.’“ (S. 63)

Kraus ist vollkommen verschwiegen. Über die inneren Räume, die er als Einziger zum Reinigen des Goldfischaquariums betreten darf, schweigt er eisern. Kraus hat auch etwas von einem perfekten Ritter. Er drängt sich nie vor, ist jedoch immer sprungbereit. Jakob hält Kraus’ fehlende Schwatzhaftigkeit für wahre Bildung, denn wer alles herausschwatze, was er gerade denke, sei im Grunde ein Betrüger. Mit größter Mühe lernt Kraus in seiner freien Zeit stundenlang die französischen Vokabeln, die Jakob ohne Weiteres zufliegen. Kraus’ Vater war Elbschiffer, der Sohn hat schon als Junge schwer arbeiten müssen. Morgens wird Jakob von Kraus geweckt und, weil er gerne noch etwas länger liegen bliebe, von dem Pflichtbewussten regelrecht aus dem Bett gezerrt und immer wieder als Trotzkopf beschimpft.

„Wir dürfen nicht ausschweifen, nicht phantasieren, es ist uns verboten, weit zu blicken, und das stimmt uns zufrieden und macht uns für jede rasche Arbeit brauchbar.“ (S. 64)

Neben Kraus gibt es noch den Bauernsohn Hans aus dem tiefen Mecklenburg, ein schlanker, kraftstrotzender Bursche ohne Tiefsinn. Den hochaufgeschossenen Peter, der aus Böhmen stammt und neben seiner deutschen Muttersprache mühelos Tschechisch, Polnisch und Ungarisch spricht, hält Jakob für den Dümmsten und Unbeholfensten. Doch mit seinem überaus eleganten Spazierstock kann Peter in der Großstadt auch mühelos den Mann von Welt markieren, und Jakob kann sich vorstellen, dass gerade ein solcher Mensch einmal großen Erfolg haben wird. Der schmächtige Schacht träumt davon, Musiker zu werden. Er ist melancholisch, fantasievoll, klagt gerne, schmollt wie ein Mädchen und verstößt gegen die Vorschriften. Gelegentlich rauchen Jakob und er gemeinsam in Jakobs Zimmer Zigaretten.

„Versuche es, fertig zu kriegen, viel, viel Geld zu erwerben. Am Geld ist noch nichts verpfuscht, sonst an allem. Alles, alles ist verdorben, halbiert, der Zier und Pracht beraubt.“ (Johann zu Jakob, S. 67)

Dann gibt es noch den unansehnlichen, unsympathischen und schrägen Schlingel Fuchs sowie Schilinski. Dieser ist polnischer Herkunft, spricht ein zwar gebrochenes, aber reizendes Deutsch und ist nicht wenig eitel. Am liebsten striegelt er seine Haare und betrachtet sich anschließend im Spiegel. Seine Schuhe sind immer blank poliert. Weil er hübsch und schüchtern zugleich ist, wirkt er wie ein junger Landedelmann, ein verfeinerter, aber bodenständiger Typ, dem die Herzen der Frauen zufliegen werden, was sein Lebensglück ausmachen wird. Jakob schätzt jeden so wie er ist und mag sie im Grunde alle.

Jakobs Bruder

Die einzige Person außerhalb des Instituts, zu der Jakob Kontakt hat, ist sein älterer Bruder Johann, ein arrivierter Künstler. Als Kinder hatten sie einmal eine lebensgefährliche Rauferei und sie stehen sich nicht besonders nahe. Jakob weiß, dass Johann in dieser Stadt lebt, und hat sich eigentlich vorgenommen, ihn nicht zu besuchen, sondern ihn höchstens, bei einem eher unwahrscheinlichen Zusammentreffen, höflich-freundlich zu grüßen.

„Nichts tun und dennoch Haltung beobachten, das fordert Energie, der Schaffende hat es leicht dagegen. Wir Zöglinge sind Meister in dieser Art Anstand.“ (S. 71)

Im dichtesten Menschengewimmel begegnen sich die Brüder dann tatsächlich, begrüßen sich sehr herzlich, und Johann lädt seinen kleinen Bruder sogleich zu einem Gespräch in ein Restaurant ein. Johann kennt die große Welt und durchschaut, wie sehr die Reichen gelangweilt, unzufrieden und unglücklich sind. Weil alles nur noch mit dem Maßstab des Geldes gemessen werde, seien selbst sie nicht mehr zu einem würdevollen Leben in Anstand und Form fähig. Johann beklagt den Werteverfall in allen Künsten, wo niemand mehr das Wahre, wirklich Qualitätvolle zu schätzen wisse. Die Künste seien nur noch dekorativ und unterhaltend.

„Vielleicht sind wir heutigen Menschen alle so etwas wie Sklaven, beherrscht von einem ärgerlichen, peitscheschwingenden, unfeinen Weltgedanken.“ (S. 78)

Einmal besucht Jakob seinen Bruder in dessen Wohnung, wo er Johanns perfekten Geschmack bewundert, und später lernt er durch ihn eine Anzahl Menschen aus den großstädtischen, großbürgerlichen Kreisen kennen, in denen sich der Bruder bewegt. Alle diese reichen, gebildeten, kultivierten und erfolgreichen Menschen benehmen sich in Jakobs Augen zwar kavaliersmäßig höflich, sie zeigen aber kein wirkliches Interesse an anderen. Sie sind einander alle sehr ähnlich, ihr eigentliches Interesse gilt immer dem nächstliegenden Neuen. Jakob erkennt in diesen Gesellschaftsmenschen, denen jedes echte Gefühl abhanden gekommen ist, eine Müdigkeit, die in Leerlauf mündet. Dies bestärkt ihn in seinem Wunsch nach Unscheinbarkeit, Unterordnung und Ehrgeizlosigkeit. Er hofft, so vielleicht doch noch Menschlichkeit zu erfahren.

Jakob und die Benjamentas

Als der wichtigste Kontakt während seiner Zeit im Institut entpuppt sich Jakobs Verhältnis zu den Benjamentas. Der hünenhafte Vorsteher erscheint ihm zunächst einschüchternd, die beiden haben nach dem Einstellungsgespräch vorerst kaum Kontakt miteinander. Auch Fräulein Benjamenta wirkt äußerst streng und unnahbar. Die nächsten Gespräche mit Herrn Benjamenta ergeben sich erst, als dieser Jakob auffordert, einen Lebenslauf zu verfassen. Dazu muss er seinen Schüler mehrmals mahnen. Denn zu den Aufgaben des Instituts gehört es auch, den Zöglingen Stellungen zu verschaffen, dafür wird der Lebenslauf benötigt. Jakobs Papier wird aber alles andere als eine Selbstanpreisung, und nachdem es endlich fertig ist, nimmt Herr Benjamenta es einigermaßen amüsiert zur Kenntnis.

„Kraus kennt wenig, aber er ist nie, nie gedankenlos, er unterwirft sich immer gewissen selbstgestellten Geboten, und das nenne ich Bildung.“ (S. 80)

Einige Zeit später, als Jakob sich nach einer Stelle erkundigt, fordert der Vorsteher ihn durchaus freundschaftlich zur Kritik am Institut auf, worauf Jakob jedoch klugerweise nicht eingeht, weil dies allen Regeln der Unterordnung widerspräche, die am Institut gelehrt werden. Einer von Herrn Benjamenta ausgesprochenen Sympathiebekundung folgen bald Vertraulichkeiten auch von Seiten seiner Schwester. Nicht genug damit, dass sie Jakob eines Abends in der Küche fragt, ob er sich im Institut wohlfühle und wie er sich mit seinen Kameraden verstehe - eines Nachts nimmt sie ihn sogar mit in die inneren Gemächer. Zu Jakobs Enttäuschung bestehen diese jedoch nur aus zwei Zimmern und gleichen jeder x-beliebigen mittleren preußischen Beamtenbehausung.

„Es herrscht unter diesen Kreisen der fortschrittlichen Bildung eine kaum zu übersehende und misszuverstehende Müdigkeit.“ (S. 116)

Nach und nach treten einige der Mitschüler aus und gehen "in Stellung"; Jakob bemerkt, dass nach ihm kein neuer Eleve mehr in das Institut eingetreten ist. Herr Benjamenta spricht sehr freundlich zu ihm und fragt ihn geradeheraus, ob er nicht sein "kleiner Vertrauter" werden wolle; er lässt ihm etwas Bedenkzeit. Einmal hat Jakob den Eindruck, Herr Benjamenta sei nachts über ihn hergefallen und habe ihn erwürgen wollen, aber das hat er sich vielleicht nur eingebildet. Lisa Benjamenta deutet an, sehr krank, ja sterbenskrank zu sein. Jeden Tag spricht sie nun mit Jakob, entweder in der Küche oder in der verwaisten Schulstube, und offenbart ihm ihre Gedanken und Ansichten über das Leben. Zum Schluss gesteht sie, ein Leben ohne Liebe geführt zu haben, entweder weil sich niemand gefunden habe, der sich ihres Herzens würdig erwiesen habe, oder weil die damenhaft zögernden Signale, die sie ausgesandt habe, missverstanden worden seien.

Das Ende des Instituts

Bald darauf stirbt das Fräulein. Ihre Leiche wird im Schulzimmer gefunden und anschließend eine Nacht im Wohnzimmer aufgebahrt. Herr Benjamenta, Jakob und der von allen anderen Schülern allein noch verbliebene Kraus halten die Totenwache, so wie die Verstorbene es sich gewünscht hat. Danach verlässt auch Kraus das Institut. Herr Benjamenta erklärt daraufhin Jakobs Erziehung für beendet, den Zögling für vollkommen frei und das Institut für geschlossen. Deutlich sagt er dem Jungen, wie viel Zuneigung er zu ihm gewonnen habe und dass es nun sein Wunsch sei, gemeinsam mit ihm in die Welt hinauszugehen und etwas Bedeutendes zu unternehmen. Das könne alles Mögliche sein: eine Revolution in Indien anzuzetteln, durch die Wüste zu ziehen, auf einer Eisscholle im Nordmeer zu leben; es könne auch irgendetwas Feines und Sittsames sein. Nur nicht mehr trockenes Lehren, sondern Leben. Per Handschlag willigt Jakob ein.

Zum Text

Aufbau und Stil

Als "Tagebuch ohne Daten" könnte man die Form bezeichnen, in der Robert Walser die Erlebnisse seines Romanhelden und Ich-Erzählers Jakob von Gunten wiedergibt. Die Aufzeichnungen beginnen mit Jakobs Eintritt in das Institut Benjamenta, dessen letzter Schüler er sein wird. Sie enden mit der Auflösung des Instituts durch den Inhaber und Vorsteher, Herrn Benjamenta. Das schmale Buch reiht in überwiegend kurzen Abschnitten Erlebnisse, Berichte, Reflexionen, Traumerzählungen, Personenbeschreibungen u. Ä. aneinander. Eine Entwicklung in Form eines Niedergangs ist insoweit zu erkennen, als Jakob sich zu Anfang dem strengen Drill der Dienerschule ausgesetzt sieht, der im Verlauf der Handlung immer laxer wird, bis sich das Institut vollends auflöst. Etwa ab der Mitte der Geschichte wandelt sich auch Jakobs Verhältnis zu den Benjamentas.

Interpretationsansätze

  • Die Figur des Jakob von Gunten ist vollkommen widersprüchlich, ein wandelndes Paradoxon: Von vornehmer Abstammung, ist er trotzdem von dem Willen beseelt, sich unterzuordnen, was ihm gleichwohl wegen seines Trotzes nicht gelingt, weswegen er wiederum geliebt wird. Er selbst stilisiert sich trotz seines adligen Namens als einfacher, bedürfnisloser Mensch auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter. Sein Name kann auch gelesen werden als: Jakob von ganz unten.
  • Das Institut Benjamenta ist ein Spiegel des Lebens aller Menschen, die in untergeordneter sozialer Stellung leben und arbeiten. Das Leben (hier: das Institut) erzieht sie zu Geduld und Gehorsam. Das Institut kann daher auch als Spiegel der Gesellschaft speziell des wilhelminischen Deutschland interpretiert werden. Das Institut entspricht vollkommen den zeitgenössischen Großorganisationsformen wie Fabriken oder Behörden mit ihren Vorstehern und Vorgesetzten.
  • Robert Walser analysiert deutlich die Zweiteilung der Gesellschaft in Oberschicht und Unterschicht: Die Adligen, Reichen, Neureichen und Arrivierten beschränken sich auf gleichgültigen Müßiggang, die Unterschicht verharrt im Untertanengeist.
  • Jakobs Schulkameraden sind typisierte Vertreter der Unterschicht: der Übereifrige, der Hans im Glück, der dümmliche Emporkömmling, der Frauenheld.
  • Das Buch kann auch als negativer Bildungsroman gelesen werden: Die Lehrer liegen schlafend herum, das in der Schule vermittelte Wissen ist belanglos, das Ziel der Hauptfigur ist es, eine "runde Null" zu werden.

Historischer Hintergrund

Endzeitstimmung im Kaiserreich

Im Jahr 1890 wurde Otto von Bismarck, der Lotse des preußisch-deutschen Staatsschiffs, vom jungen Kaiser Wilhelm II. von Bord geschickt. Bismarck hatte den Deutschen durch den Krieg gegen Frankreich 1870/71 den einheitlichen Nationalstaat beschert und, dank milliardenhoher Reparationszahlungen, die Gründerzeit. Davon profitierte in erster Linie, wer schon Geld hatte oder damit umzugehen wusste. Der Staat blieb monarchisch verfasst, die Gesellschaft streng hierarchisch gegliedert und überkommenen Ordnungsmustern verhaftet. Die Obrigkeit dominierte in Gestalt von Guts- und Fabrikherren, Landräten, Pfarrern und Offizieren das politische und gesellschaftliche Geschehen. Gleichzeitig brachte die fortschreitende Industrialisierung das Heer der Werktätigen hervor, das trotz aller sozialrevolutionären Träume im Untertanengeist verharrte.

Gerade unter dem prunkverliebten Wilhelm II. militarisierte und uniformierte sich die Öffentlichkeit immer mehr. Fesche Leutnants und befrackte Würdenträger waren allgegenwärtig. Das gesellschaftliche Leben war in tausend albernen Konventionen gefangen. Das geistig-kulturelle Leben stagnierte: Die Gründerzeit brachte zwar schöne Wohnungen hervor, die heute noch begehrt sind, aber wegweisende Neuerungen gab es in der Architektur so wenig wie in anderen Künsten. Neobarock, Salonmalerei und erbauliche Romane waren tonangebend, allenfalls einige naturalistische Dramen provozierten Skandale auf den Theaterbühnen.

Um die Jahrhundertwende regte sich allerdings in den avantgardistischen, intellektuellen Kreisen massives Unbehagen an der oberflächlichen Dekorations- und Unterhaltungskunst wie auch an der gesellschaftlichen Verfassung insgesamt. Doch die große Erneuerung blieb aus. Eine Endzeitstimmung begann um sich zu greifen, die sich 1914 mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges auf furchtbare Weise entlud.

Entstehung

Nach einem unsteten, von vielen künstlerischen Enttäuschungen und zahlreichen Gelegenheitsanstellungen gekennzeichneten Wanderleben zwischen der Schweiz und Deutschland besuchte Robert Walser im Jahr 1905 einen vierwöchigen Kurs in einer Berliner Dienerschule und trat im Herbst eine Anstellung in einem Fürstenschloss in Schlesien an. Zweifellos bildet diese Erfahrung den Hintergrund für Jakob von Gunten. Anfang 1906 kehrte Walser nach Berlin zurück, wo er bis 1913 wohnte. In diesen Berliner Jahren hatte er engen Kontakt zu den intellektuell tonangebenden Zirkeln der Hauptstadt. In Walsers Bekanntenkreis fanden sich die bedeutenden Verleger Samuel Fischer und Bruno Cassirer ebenso wie der Industrielle Walther Rathenau, der später deutscher Außenminister werden sollte. Christian Morgenstern war Walsers Lektor bei Cassirer. Der Autor arbeitete vorübergehend als Sekretär der Berliner Secession, einer Künstlergruppe, die sich vom Mainstream des Kunstbetriebs abgespalten hatte. Walser kannte also die gesellschaftlich-kulturelle Führungsschicht seiner Zeit genauso wie das Dasein als armer Schlucker. In den Berliner Jahren schrieb er seine Romane Geschwister Tanner (1907), einen zweiten Roman, der verschollen ist, Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909).

Wirkungsgeschichte

Die Veröffentlichung seiner beiden ersten größeren Erzählwerke hatte Walser sehr viel Anerkennung vor allem seitens seiner Schriftstellerkollegen verschafft, auch wenn der Publikumserfolg nur mäßig war. Walter Benjamin, Kurt Tucholsky, Frank Wedekind, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Kafka lasen Walser und lobten ihn einmütig. Jakob von Gunten jedoch stieß weitgehend auf Unverständnis und Ablehnung. Nur Kafka äußerte sich uneingeschränkt anerkennend, und sein Vertrauter Max Brod bezeugte später, der Roman sei eines von Kafkas Lieblingsbüchern gewesen. Die allgemeine Ablehnung jedenfalls löste bei Walser eine Schaffenskrise aus, von der er sich nie mehr richtig erholte. Die Wiederentdeckung des fast vergessenen Autors in den 1970er Jahren hatte auch damit zu tun, dass man ihn nun vermehrt als Sozialkritiker schätzen lernte. Einem breiteren Publikum immer noch kein Begriff, wird Walser heute von Autoren wie Martin Walser, Peter Handke, Peter Bichsel, Elfriede Jelinek, W. G. Sebald und Max Goldt hoch geschätzt.

Seit 1996 gibt es in Zürich eine Robert-Walser-Gesellschaft, dort befindet sich auch das Robert-Walser-Archiv. In Walsers Heimatstadt Biel existiert eine Stiftung, die alle zwei Jahre den Robert-Walser-Preis für zeitgenössische Literatur verleiht.

Über den Autor

Robert Walser wird am 15. April 1878 in Biel im Kanton Bern geboren. Hier absolviert er nach der Schulzeit eine Banklehre. In den Jahren 1896-1905 lebt er überwiegend in Zürich, arbeitet dort als Angestellter in Banken und Versicherungen, als Buchhändler und technischer Gehilfe eines Ingenieurs, aber auch - nach einer entsprechenden Ausbildung in Berlin - in Oberschlesien als Diener. Erste Gedichte verschaffen ihm Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines Debüts, Fritz Kochers Aufsätze (1904), folgt Walser 1906 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner arbeitet und ihn in die Künstlerszene einführt. Walser verfasst in rascher Folge die Romane Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909). Trotz der Anerkennung durch Künstlerkollegen kehrt er Berlin wieder den Rücken. Überzeugt davon, literarisch gescheitert zu sein, reist er 1913 in seine Heimatstadt Biel zurück. Im Hotel "Blaues Kreuz" mietet er eine Mansarde, wo er unter ärmlichsten Bedingungen lebt und schreibt. Hier entstehen eine Sammlung von Kurzprosatexten und die Erzählung Der Spaziergang (1917). Trotz der Präsenz in literarischen Zeitschriften kommt es nur noch zu einer Buchveröffentlichung: Die Rose (1925). Den so genannten Räuber-Roman von 1925 hinterlässt er nur als Entwurf, in mikroskopisch kleiner Schrift (Mikrogramm). Die Entzifferung soll mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Wegen psychischer Labilität lässt sich Walser 1929 in die psychiatrische Klinik Waldau bei Bern einweisen. Bis 1933 schreibt er weiter, danach muss er aufgeben und wird gegen seinen Willen in die Heilanstalt Herisau im Kanton Appenzell überstellt. Dort vegetiert er weitere 23 Jahre dahin, unerkannt und unbeachtet. Auf einem einsamen Spaziergang im Schnee verstirbt er am 25. Dezember 1956.

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