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Selbstbetrachtungen

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Selbstbetrachtungen

Kröner,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Das Tagebuch des Philosophenkaisers Marc Aurel – eine zeitlose Sammlung stoischer Lebensweisheit.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Römische Antike

Worum es geht

Das Tagebuch des Philosophenkaisers

Im zweiten Jahrhundert nach Christus wird Platons Wunsch – wenn auch in Rom und nicht in Griechenland – Wirklichkeit: Ein Philosoph besteigt den Kaiserthron. Marcus Aurelius bleibt allerdings wenig Zeit fürs Philosophieren, schon bald muss er sein Reich an allen Fronten gegen einfallende Barbaren verteidigen. Während seiner letzten zehn Lebensjahre, in Feldlagern am Rand der römischen Zivilisation, entstehen die Selbstbetrachtungen. Das philosophische Tagebuch, das nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, stellt ein außerordentlich intimes und ehrliches Zeugnis eines königlichen Denkers dar. Die meditativen Gedanken und Aphorismen zeugen von einem edlen Menschenbild und großer Lebensweisheit. Marc Aurel legt angesichts der Kriegswirren und des sich abzeichnenden Niedergangs des Reiches ein unermüdliches Streben nach Selbstbesinnung und die sprichwörtlich gewordene stoische Gelassenheit an den Tag. Die Selbstbetrachtungen sind eine unvergängliche Sammlung von Leitsätzen, bestimmt von menschlichen Werten und der Suche nach Übereinstimmung mit der Natur. Der junge Nietzsche hat Marc Aurels Buch als Stärkungsmittel empfohlen – und bis heute taugt es als erbauende Lektüre: eine zeitlose Wegleitung zum inneren Frieden durch die Abkehr vom Streben nach Luxus und Ansehen. Ein Großteil der heutigen Lebenshilfeliteratur ist nur ein schwacher Abklatsch dieses Klassikers.

Take-aways

  • Die Selbstbetrachtungen sind persönliche Aufzeichnungen aus den letzten zehn Lebensjahren des römischen Kaisers und Philosophen Marc Aurel.
  • Marc Aurel gilt neben Seneca und Epiktet als wichtigster Vertreter der späten Stoa, einer philosophischen Strömung der Antike.
  • Das Weltbild des Marc Aurel ist geprägt von Menschenliebe, Vernunft, Besonnenheit und Beharrlichkeit.
  • Die Selbstbetrachtungen enthalten Dutzende von persönlichen Leitsätzen, moralischen Aphorismen und nachdenklichen Betrachtungen des Kaisers.
  • Nach der Lehre der Stoa ist der Kosmos beseelt und in stetem Wandel. Der Mensch ist seinem Schicksal ausgeliefert.
  • Die Lebensaufgabe des Menschen ist es, mit Vernunft das Wesen der Natur und sich selbst als deren Teil zu erkennen.
  • Er soll sich immer bemühen, ein gutes Leben zu führen, trotz aller widrigen Umstän-de.
  • Zorn, Lust und Ruhmsucht sind hinderliche und verachtenswerte Eitelkeiten auf dem Weg zum wahren Leben.
  • Selbst den Tod hält sich Marc Aurel stets freudig vor Augen, um sich an die Müßigkeit der weltlichen Bestrebungen zu erinnern.
  • Der Kaiser schrieb die Selbstbetrachtungen an wechselnden Orten im Norden des Römischen Reiches, während er Krieg gegen germanische Stämme führte.
  • Auf einem Feldzug gegen einfallende Barbaren starb der Kaiser bei Wien an der Pest.
  • Die Selbstbetrachtungen werden noch heute als Lebensratgeber gelesen.

Zusammenfassung

Eine Lobrede an die geistigen Väter

Marc Aurel stattet seinen Lehrern und Vorfahren Dank ab. Von ihnen hat er viele gute Eigenschaften gelernt: vom edlen Großvater Verus die Gelassenheit, vom früh verstorbenen Vater die Bescheidenheit. Die Mutter war gottesfürchtig, gütig und großzügig und lebte stets einfach. Viele Grundsätze verdankt Marc Aurel auch seinem Erzieher, der sich stets um Neutralität bemühte und niemals wettete. Besonderer Dank gilt dem Adoptivvater Antoninus Pius. Er zeichnete sich durch Milde und unerschütterli-ches Beharren auf wohlüberlegten Standpunkten aus. Antoninus liebte die Arbeit, war ausdauernd und wusste sich seine Freunde zu erhalten. Er schätzte aber auch Kunst und Philosophie. Er machte der Knabenliebe ein Ende und war unbestechlich. Außerdem ging er fürsorglich mit seinem Körper um. Schließlich lobt Marc Aurel die Götter für die vortreffliche Auswahl seiner Ahnen, Verwandten und Lebensgefährten sowie für die Gesundheit und das Glück, das sie ihm geschenkt haben.

Der Mensch innerhalb des Kosmos

Der Kosmos, die Natur, ist ein Lebewesen, das sich ständig wandelt – ein wilder Strom mit einer Seele. Da der Kosmos perfekt und unfehlbar ist, muss der Mensch sich in ihn einfügen. Wenn dir etwas geschieht, dann ist es gut so. Erfreue dich an den kleinen Kostbarkeiten der Natur. Der Kosmos, der sich stetig verändert, ist außerhalb von uns, die Dinge berühren die Seele nicht. Das menschliche Leben aber besteht aus bloßen Meinungen – viele Beunruhigungen kommen nur aus uns selber. Gut und böse ist nur das, was in unserer Macht steht. Deshalb gibt es keinen Grund, mit Gott zu hadern oder einen Menschen zu hassen. Krankheit und Tod sowie schlechte Menschen gehören zur Natur und sind zu akzeptieren. Widrige Umstände sind ebenfalls kein Unglück – es ist ein Glück, sie tapfer zu ertragen. Vertraue in die Einheit und die Ordnung des Weltlenkers, denn wenn die Welt ein Wirrwarr ist, hast du darin nichts verloren: Alles, was jedem Einzelnen widerfährt, ist dem Weltganzen förderlich. Und was dem Ganzen förderlich ist, das ist auch für dich nützlich. Wir sind Teil der ständigen Umwandlung der Natur, ohne die nichts geschehen kann. Deshalb gibt es auch keinen Grund für die Angst vor Veränderung oder dem Tod. Die Schöpfung ist im Einklang mit sich selbst. Alles hat seinen Grund. Deshalb muss man sein Schicksal lieben.

Das Ziel eines vernünftigen Lebens

Alles Irdische ist vergänglich, aber ein Element des Lebens ist von Dauer und daher wichtig: die Vernunft. Ihr sollst du deine ganze Aufmerksamkeit widmen, indem du stets vernünftig handelst. Der Schlüssel zur Erkenntnis liegt im Wesen der Natur selbst. Diese ist stärker und größer als der Mensch, also ist unsere einzige Möglichkeit die Anpassung an das Schicksal. Erfülle zielgerichtet deine Aufgabe als Bürger und Mann, ohne Murren und Selbstsucht. Leiste etwas wirklich Gutes – du hast schließlich nur ein Leben. Wenn du nach dem Gesetz der Natur lebst, kann dir nichts geschehen. Und niemand kann dich daran hindern, nach diesem Gesetz zu leben. In deinem Innern sprudelt die Quelle des Guten, deshalb musst du darauf achten. Schätze den Wert der Dinge. Wer sich von der Vernunft führen lässt, den müssen die oberflächlichen Beschäftigungen der Masse nicht mehr kümmern. Das einzige Lebensziel besteht darin, sein Leben ehrlich und gerecht zu Ende zu führen, in freiwilligem Einklang mit dem Los, das einem beschert wurde. Zum guten Leben braucht es darum innere Einkehr: Es ist falsch, dauernd in der Tätigkeit der anderen oder im Genuss sein Glück zu sehen. Nur im eigenen Tun liegt das Glück des Vernünftigen. Irre also nicht umher und hilf dir selbst, wenn dir dein Seelenheil lieb ist. Bemühe dich, züchtig und geläutert zu sein. Bewahre dir die Fähigkeit, Meinungen zu bilden, aber hüte dich vor unbesonnenen Urteilen. Konzentriere dich auf diese Grundsätze, sie sind für dich wie die Instrumente für einen Arzt. Unternimm nichts aufs Geratewohl, und flüchte dich nicht in kindische Erholungen. Ziehe dich in dich selbst zurück, nicht aufs Land oder in die Berge: Nur in dir selbst findest du die vollendete Harmonie und Ruhe, die du suchst.

Selbstverantwortung und Menschenliebe

Jeder ist selbst für sein Glück verantwortlich. Im Zentrum eines glücklichen Lebens steht die Menschenliebe. Man muss die Menschen lieben, mit denen man vom Schicksal verkettet wurde. Von den Mitmenschen soll man sich auf seinem Weg nicht beirren lassen. Das Schlechte, das andere tun, soll dich nicht davon abhalten, selbst Gutes zu vollbringen. Deinen Feinden sollst du nicht zürnen. Versuche, die Menschen gütlich zu überreden. Wenn jemand dir Leid zufügt, dann verzeihe ihm und sei milde. Versetze dich in seine Haut und frage dich, was er wohl für gut und böse gehalten hat. Vergelte nicht Gleiches mit Gleichem. Miss dich nicht mit anderen – übertreffe sie einzig an Bescheidenheit. Was andere über dich sagen, ist nicht relevant, ebenso wenig wie jeder Nachruhm. Erstens ist die Meinung der anderen so vergänglich wie sie selbst. Zweitens hat sie keinen Einfluss: Ein Edelstein wird auch nicht schöner, wenn er gelobt wird. Sei darum wie eine Klippe, die es nicht kümmert, wenn sich an ihr die Wogen brechen.

„Aufrecht muss man sein, nicht aufgerichtet!“ (S. 25)

Einfach, schamhaft, aufrecht und gleichgültig soll dein Wesen sein. Mach nicht viele Worte. Widme dich von ganzem Herzen jenen Dingen, die du als die besten ansiehst. Die Gesamtheit, das Gemeinwohl ist dabei wichtiger als deine persönlichen Triebe und Lüste: Was dem Staat nicht schadet, schadet auch den Bürgern nicht. Die Schlechtigkeit der Menschen soll uns nicht ärgern oder verwundern, denn sie ist schon immer da gewesen. Genauso wenig soll uns die Zukunft beunruhigen. Weiche den Dornen auf dem Weg aus und wirf saure Gurken weg. Es bringt nichts, sich auch noch zu fragen, warum es solche Dinge in der Welt gibt. Alles Leid, das nicht auszuhalten ist, führt schnell zum Ende. Wenn ein Unglück aber länger dauert, so ist es erträglich. Das Gleiche gilt für den Schmerz und den Tod. Jeder Verlust ist nichts anderes als Verwandlung.

„Bedenke, dass alles, was geschieht, gerechterweise geschieht.“ (S. 36)

Besonders vehement zu verurteilen ist die Ruhmsucht und die Lust, weil sie der Seele schaden. Flüchtig und müßig sind die Bestrebungen, zu Ruhm zu gelangen, denn alles ist vergänglich: Viele, die in den Himmel gehoben wurden, sind längst vergessen. Selbst die berühmtesten und mächtigsten Männer der Geschichte sind tot und vermodert. Wertvoll ist nur der Geist. Wenn du wissen willst, welche Dinge wichtig und klug sind, dann denk an die vergeblichen Bestrebungen der Menschen aus der eben vergangenen Epoche.

Die Macht der guten Gedanken

Meide böse Gedanken, sodass du die Frage „Was denkst du jetzt?“ jederzeit direkt beantworten kannst. Befreie dich von unnötigen Dingen, die dich quälen. Sie existieren nämlich nur in deiner Einbildung. Wenn du nicht denkst, dass du geschädigt worden bist, dann bist du auch nicht geschädigt worden. Habe den Mut, nur Weniges zu tun, und verzettle dich nicht. Mach nichts Unnützes und nichts Überflüssiges. Sei genügsam und liebe das wenige Fachwissen, das du gelernt hast. Achte auf deine Seele und sei guten Mutes. Denn die Seele bestimmt nicht umsonst über den Körper. Ein beseeltes Leben ist höher als ein unbeseeltes. Ehre deshalb die stärkste aller Kräfte im Kosmos und in dir und lebe mit den Göttern zusammen. Bete nicht darum, dass die Götter etwas für dich tun. Bete vielmehr darum, dass du deine unnützen Wünsche und Ängste überwinden kannst.

„Allem stimme ich zu, was mit dir, o Kosmos, übereinstimmt.“ (S. 39)

Ersinne Eigenschaften, denen du nachstrebst, wie „gut“, „sittsam“ oder „hochsinnig“. Wenn du diesen Tugenden Ehre machst, wirst du ein neuer Mensch sein und ein neues Leben anfangen. Kümmere dich nicht darum, was dem Pöbel wichtig ist. Die Geschäftigkeit des Lebens, wie das Theater und Kriege, ist schädlich und stört die Erkenntnis. Wenn die Menschen dich nicht ertragen, mögen sie dich töten. Das ist besser, als nach der Mode zu gehen. Lebe in der Gegenwart, aber denke an deinen Tod. Dein Schicksal hängt schon über dir, also tue alles, als ob es deine letzte Aufgabe wäre. Beeile dich, das Leben zu begreifen, und verbringe jeden Tag als deinen letzten. Das zukünftige und vergangene Leben kann niemandem geraubt werden, also kommt es gar nicht darauf an, wie viel Lebenszeit dir noch zur Verfügung steht; es zählt nur der Moment. Wie die Geburt ist der Tod ein natürlicher Vorgang, dessen sich niemand zu schämen braucht. Dein Leben ist ein winziger Bruchteil des Weltenschicksals. Lebe so, wie du gelebt haben möchtest, wenn du schon tot wärst. Der lumpige Rest, der dir zu leben bleibt, ist nur noch Zugabe. Tue niemandem etwas Arges. Freue dich am Tod, weil die Natur ihn will.

Guten Mutes und besonnen seiner Bestimmung folgen

Die Bürde des Kaisers verträgt sich schlecht mit dem Drang zur Philosophie. Aber nichts kann einen Menschen hindern, gerecht, besonnen und tapfer zu leben. Die wichtigste Bestimmung ist das Menschsein; der Beruf spielt dabei keine Rolle. Außerdem sind die Sorgen der Philosophen noch ungleich größer als jene der Feldherren. Also übe man sich in ständiger Selbstbeherrschung – dazu braucht man keine Bücher.

„Wenn du beim Morgengrauen verdrießlich aufwachst, dann denk daran: ‚Ich stehe auf zur Arbeit eines Menschen.‘“ (S. 50)

Sei niemals mürrisch oder schlecht gelaunt. Denke am Morgen: „Ich stehe auf zur Arbeit eines Menschen.“ Du bist nicht zum behaglichen Genießen da, sondern zum Handeln. Leiste mit voller Kraft, was in deiner Macht steht, unabhängig davon, mit wie vielen Talenten du gesegnet bist. Lauterkeit, Güte und Würde sind keine Frage der Begabung, sondern für jeden erreichbar. Mach aber kein Aufheben um deine guten Taten, schiele nicht auf den Dank der Menschen oder auf Vorteile. Wenn Niederlagen oder Unglück dich treffen, sollst du nicht verzagen, sondern Lust empfinden. Sich gegen die Natur zu wehren, wäre eine Sünde. Betrachte das Leben wie einen fairen Ringkampf und pariere die Schläge mit Humor. Denke bei schweren Aufgaben nicht gleich, das Ziel sei unerreichbar. Glaube, dass auch du es schaffen kannst, wenn etwas überhaupt für den Menschen möglich ist. Frage dich reiflich, ob dein Denken für eine Aufgabe ausreicht oder nicht. Wenn nicht, dann tritt von der Aufgabe zurück. Sonst aber sollst du dich nicht schämen, dir helfen zu lassen. Und hilf auch den anderen, denn Helfen ist eine natürliche Handlung.

„Die beste Art, sich zu rächen, ist die, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten.“ (S. 67)

Das Wichtigste im Leben ist die Selbstbeherrschung. Verliere nie die Ruhe. Lächerlich, kindisch und nutzlos ist alles Jammern, Toben und Heucheln. Übe die Einfachheit und die Schlichtheit auch im Stil, sowohl beim Reden als auch beim Schreiben. Bei allem Verzicht auf Lust soll der Mensch aber nichts bereuen. Denn Reue ist der Vorwurf gegen sich selbst, etwas Nützliches versäumt zu haben. Die Lust ist aber weder gut noch nützlich. Frage dich stets nach der Substanz der Dinge und betrachte deren Platz im Kosmos skeptisch: Kehre die Dinge nach innen und nach außen und frage dich, woraus sie bestehen und wie sie sein werden, wenn sie alt und vergangen sind.

Endlich Mensch werden

Zum Seelenfrieden kannst du unabhängig von den Mitmenschen gelangen, doch du be-findest dich mit ihnen in einer Schicksalsgemeinschaft des Geistes. Diese Gemeinschaft ist überlebenswichtig: Ein Mensch, der von einem einzigen Menschen abtrünnig wird, fällt von der Gemeinschaft ab. Und wer sich von ihr lossagt, der ist wie ein abgehackter Fuß. Die Menschen sind um einander willen da. Gib dich also mit ihnen ab, lerne sie zu ertragen – oder belehre sie. Was die Moral betrifft, sollst du aber zuerst vor der eigenen Türe wischen. Der Schlechtigkeit deiner Mitmenschen kannst du nicht entkommen – deiner eigenen aber sehr wohl. Also gilt es, nicht über das Gute zu diskutieren, sondern es selbst zu leben. Ein guter Mann scheidet aus dem Leben, ohne dass er von Falschheit, Heuchelei und Dünkel berührt wurde. Vermeide alle Sünden, denn das ist in deinem eigenen Interesse. Letztlich schadet jeder Sünder sich selbst, er verfehlt sein wahres Ziel und geht in die Irre. Gottlos und frevlerisch ist es, zu lügen, Unrecht zu tun und andere zu täuschen. Sei stets bescheiden, bilde dir nichts ein – aber aufgepasst: Der schlimmste Dünkel ist derjenige der Dünkellosigkeit. Dein Beruf soll sein, gut zu sein: Fang endlich an, Mensch zu sein, solange du lebst.

„Asien, Europa – zwei Fleckchen im All! Das gesamte Meer ein Tropfen im All. Der Athos eine Erdscholle im All. Die gesamte Gegenwart ein Punkt in der Ewigkeit.“ (S. 77)

Heuchelei zahlt sich nicht aus: Wer gut und offen ist, dem sieht man es unverkennbar an. Und wenn die Güte echt ist, dann ist sie unbesiegbar. So wie ein gesundes Auge alle Farben wahrnimmt, muss die Seele für alle Ereignisse gerüstet sein. Es gibt kein Leben nach Wunsch. Die Menschen sind auf viele wertlose Dinge erpicht. Richte dein Leben nur auf Frömmigkeit und Gerechtigkeit aus. Frage dich, was du begehrst. Was willst du tun? Wozu willst du deine Stimme gebrauchen? Das Leben geht abrupt zu Ende wie ein Theaterstück. Es ist unnütz, nach zwei nicht gespielten Akten zu fragen. Vorbei ist vorbei. Scheide in Güte aus der Welt, denn auch der, der dich abberuft, ist gütig.

Zum Text

Aufbau und Stil

Marc Aurels Selbstbetrachtungen des bestehen aus zwölf Büchern, die sich jedoch inhaltlich nicht klar unterscheiden und keine erkennbare Gliederung aufweisen. Nur das erste Buch stellt eine Art Prolog dar, in dem der Autor seinen geistigen und leiblichen Ahnen dankt; es wurde möglicherweise erst später hinzugefügt. Die restlichen Bücher bestehen aus einer Vielzahl von kurzen Textabschnitten, oft auch nur einzelnen Sätzen und Gedanken, die der Autor während mehrerer Jahre in sein Tagebuch notiert hat. Der Schreibende richtet die Sätze an sich selbst, meistens in der Du-Form, oft auch als rhetorische Fragen. Die Länge der Abschnitte reicht vom kurzen Aphorismus bis zu wenige Seiten langen philosophischen Essays. Oft werden Philosophen oder Lehrer des Autors zitiert. Marc Aurel verwendet gerne Stilmittel wie Metaphern und Ironie, vereinzelt macht er auch Wortspiele. Im Tonfall sind die meditativen Sätze jedoch so nüchtern und einfach wie deren Botschaft. Der Lateiner Marc Aurel schrieb die Bücher im Original auf Griechisch, der damaligen Sprache der Philosophie und der Gelehrten. In der deutschen Übersetzung von Wilhelm Capelle sind die Selbstbetrachtungen noch heute gut verständlich, eingängig und oft erfrischend – trotz mancher Wiederholungen.

Interpretationsansätze

  • Die Selbstbetrachtungen sind das grüblerische Tagebuch eines Philosophen und Kaisers wider Willen, der dazu verdammt ist, als Oberkommandierender des römischen Heeres an den Grenzen des Reiches gegen Bedrohungen zu kämpfen.
  • Marc Aurel hält in einer Zeit der anbrechenden Dekadenz Roms ein philosophisches Plädoyer für die Vernunft und für die soziale Verantwortung.
  • Inmitten einer kriegerischen Welt ohne Geborgenheit und in der Einsamkeit des Herrschenden sucht Marc Aurel nach dem inneren Frieden, der ihm Sinn und Trost bietet.
  • Neben dem freigelassenen Sklaven Epiktet gilt Marc Aurel als Hauptvertreter der späten Stoa, einer philosophischen Richtung, in deren Mittelpunkt die Lebensbewältigung und moralische Fragen stehen.
  • Dass der Kaiser ein Gegner des aufkommenden Christentums war, kommt in den Selbstbetrachtungen kaum zur Sprache. Obwohl er als Stoiker der neuen Religion skeptisch gegenüberstand, war der Philosoph Werten verpflichtet, die auch im Christentum eine Rolle spielen, etwa Menschenliebe, Gottesfurcht und Genügsamkeit.
  • Die Intimität des Tagebuches verleiht den Selbstbetrachtungen eine außergewöhnliche Authentizität. Marc Aurels Philosophie besticht durch ihre Einfachheit und Ehrlichkeit; sie ist optimistisch ohne Selbstbetrug und pessimistisch ohne Enttäuschung.
  • Die Populärphilosophie von Marc Aurel taugt noch heute als Lebenshilfe. Ei-nige seiner Grundsätze findet man etwa in der Esoterik oder im modernen mentalen Sporttraining (z. B. die Konzentration auf die eigenen Stärken). Zudem bestehen viele Parallelen zur protestantischen Arbeitsethik: Verzicht auf Luxus und Ruhm, Arbeit als Lebenssinn oder das Ertragen des eigenen Schicksals ohne zu jammern.
  • Den aktuellen Zeitgeist von Massenkonsum und Genussverehrung würde Marc Aurel wohl als „kindisch“ und absolut unphilosophisch betrachten. Die asketischen Werte der Selbstbetrachtungen bilden hier einen spannenden Kontrapunkt.

Historischer Hintergrund

Die Stoa

Die Stoa war eine philosophische Richtung, die in der späten Antike großen Einfluss ausübte. Die von Zenon von Kition um 300 v. Chr. gegründete Schule durchlief drei Epochen: die frühe, die mittlere und die späte Stoa. Benannt wurde sie nach dem Ort, an dem Zenon lehrte, nämlich der Stoa poikile (griechisch: „bemalte Vorhalle“) im antiken Athen. Die stoische Philosophie beinhaltet die drei Disziplinen Logik, Physik und Ethik. In der Logik unterscheiden die Stoiker zwischen den realen Dingen und ihren Namen. Die Bedeutung der Dinge ist nicht körperlich, sondern ein Produkt geistiger Tätigkeit. In der stoischen Physik wird ein Zyklus gelehrt, dessen Urelement das Feuer ist. Aus dem Feuer entwickeln sich die anderen Elemente Luft, Wasser und Erde. Das Urfeuer wird von den Stoikern aber auch als Seele gesehen und als Kraft, die alles vernünftig bewegt: Gemäß einer festgelegten Ordnung, dem Schicksal, kommt alles Leben aus dem Urfeuer und kehrt wieder dorthin zurück. In der stoischen Ethik sind die persönliche Erkenntnis und die Tugend für das Glück entscheidend. Diese Ethik ist eine soziale, da der Mensch als ein zur Gemeinschaft bestimmtes Wesen gesehen wird. Zu Zeiten des Kaisers Marc Aurel, also im zweiten Jahrhundert n. Chr., war die Stoa zu einer Art Populärphilosophie geworden. Ihre wichtigsten Vertreter waren neben Marc Aurel selbst die Philosophen Seneca und Epiktet. Die Stoa setzte sich bewusst von der Konkurrenzphilosophie des Epikureismus ab (benannt nach dem Philosophen Epikur), indem sie das Tugendprinzip und die Leidenschaftslosigkeit pries und das Lustprinzip verdammte.

Entstehung

Im Jahr 161 n. Chr. bestieg mit Marc Aurel ein Philosoph den römischen Kaiserthron. Doch das riesige Reich hatte seinen Zenit bereits überschritten. In der Gesellschaft Roms war die Dekadenz spürbar, das sittliche und geistige Leben verkam. Gleichzeitig brannte es – nach einer längeren Zeit des Friedens – an allen Ecken des Weltreiches: In Britannien und Germanien griffen im Jahr 162 die Kaledonier und Chatten an, während in Syrien gleichzeitig ein Aufstand im Gang war. In den Jahren darauf folgten Kriege an der Donaugrenze, in Oberitalien sowie in Griechenland. 171 flammten Kämpfe in Rätien und Noricum auf: Dort fielen die Markomannen und Quaden ins Römische Reich ein. Der Kaiser kümmerte sich persönlich um die Wiederherstellung des Friedens an den Grenzen. Marc Aurel verbrachte viele Jahre auf Feldzügen gegen die Barbaren (so bezeichneten die Römer alle Völker außerhalb des griechisch-römischen Kulturkreises); ihm blieb wenig Zeit für die Philosophie. Trotzdem entstanden in diesen kriegerischen Jahren seine Selbstbetrachtungen. Die Bücher sind persönliche Aufzeichnungen des Kaisers, eine Art Tagebuch, in dem der Philosophenkaiser und Feldherr Leitsätze und Gedanken aufschrieb, während er den Kampf gegen den drohenden Untergang des Reiches führte. Meist unter ungünstigen Umständen im Feldlager abgefasst, sind die Selbstbetrachtungen Marc Aurels ganz persönliches Journal, in dem er sich über Jahre hinweg und inmitten der kriegerischen Verpflichtungen der Philosophie widmete.

Wirkungsgeschichte

Marc Aurel hat die Selbstbetrachtungen wohl nicht mit dem Gedanken an eine Veröffentlichung geschrieben. Der griechische Titel Tōn eis heauton biblia kann auch mit „Aufzeichnungen an sich selbst“ übersetzt werden. Wer die Texte nach dem Tod Marc Aurels im Jahr 180 n. Chr. redigiert und herausgegeben hat, ist unbekannt. Die Einteilung der Aufzeichnungen in zwölf Bücher stammt aber mit Sicherheit nicht vom Autor, sondern vom Herausgeber. Die erste bekannte Erwähnung der Bücher findet sich bei dem Rhetor (Lehrer der Redekunst) Themistios um 350 n. Chr. Dann verschwindet die Spur der Schrift für mehr als 500 Jahre. Im Mittelalter tauchen punktuell Erwähnungen verschiedener Handschriften des Werkes auf. Die heutige Fassung basiert im Wesentlichen auf zwei verschiedenen Abschriften aus dem 14. und 16. Jahrhundert. Das Buch wurde zuerst ins Lateinische übersetzt und kommentiert. Schon im 16. Jahrhundert erschien eine erste englische Übersetzung, und seit dem 17. Jahrhundert sind die Selbstbetrachtungen in fast alle modernen Sprachen übertragen worden. Unter dem Einfluss der Aufklärung verbreitete sich das Buch schnell über Europa und war sehr beliebt. Marc Aurels Persönlichkeit und die Selbstbetrachtungen im Besonderen hatten dadurch einen großen Einfluss auf die Kulturgeschichte Europas. Tief beeindruckt von Marc Aurel war z. B. der deutsche König Friedrich der Große, dem die heroische Pflichterfüllung des stoischen Kaisers ein Vorbild war in den dunkelsten Tagen seines Lebens.

In modernen Ausgaben wird das Buch auch als Lektüre zur Lebenshilfe angepriesen, z. T. unter abweichenden Titeln (z. B. Der Weg zu sich selbst). Der russische Schriftsteller Anton Tschechow hat die Selbstbetrachtungen sehr geschätzt und kommentiert (erschienen unter dem Titel Wie soll man leben?). Der junge Friedrich Nietzsche empfahl das Buch einem Freund als Stärkungsmittel: „Man wird so ruhig dabei.“ Über Jahrhunderte hinweg wurden die Selbstbetrachtungen immer wieder gern gelesen und sie sind bis heute ein beliebter Ratgeber auf der Suche nach der inneren Ruhe.

Über den Autor

Marc Aurel, von 161 bis 180 n. Chr. römischer Kaiser, ist vor allem als Philosoph bekannt. Er wird am 26. April 121 in Rom als Sohn des reichen Senators M. Annius Verus geboren. Schon als Zwölfjähriger entsagt Marc Aurel dem Luxus, schläft auf dem Boden und strebt nach einem Leben im Einklang mit der Natur; er will Philosoph werden. Mit seinem aufgeweckten und zugleich ernsten Wesen erlangt er die Gunst von Kaiser Hadrian, der ihn fördert. Auf Hadrians Wunsch adoptiert dessen Nachfolger Antoninus Pius den Jungen und macht ihn damit zum möglichen Thronerben. Marc Aurel widmet sich als Kronprinz vorerst enthusiastisch der Rhetorik, wendet sich dann aber der ernsteren philosophischen Disziplin der Stoiker zu. Im Mai 145 heiratet er seine Verlobte Faustina, die ihm 13 Kinder gebiert. Am 7. Mai 161 besteigt Marc Aurel mit 40 Jahren den Kaiserthron, den er vorerst mit seinem Adoptivbruder Lucius Verus teilt. Er versucht die friedliche Herrschaft seines Adoptivvaters fortzusetzen und ist bestrebt, die Stellung der Sklaven, Frauen und Kinder in der römischen Gesellschaft zu verbessern. Mehr und mehr ist er aber mit Verteidigungsfeldzügen an den Grenzen des Römischen Reiches beschäftigt. In seinen letzten zehn Lebensjahren, in denen er recht erfolgreich als Feldherr gegen den Einfall der Barbaren kämpft, entstehen die Selbstbetrach-tungen. Marc Aurel gehört zu den Hauptvertretern der späten Stoa. Neben den Selbstbetrachtungen sind Teile eines regen Briefwechsels mit seinem Lehrer Marcus Cornelius Fronto erhalten. Am 17. März 180 stirbt Marc Aurel während eines Feldzuges gegen die Markomannen an der Pest, wahrscheinlich in der Militärstadt Vindobona, dem heutigen Wien. Ihm zu Ehren lässt der Senat in Rom eine Säule errichten, die noch heute auf der Piazza Colonna steht. Die bekannteste Darstellung Marc Aurels ist ein bronzenes Reiterstandbild auf dem Platz des Kapitols in Rom, das auch die italienischen 50-Cent-Münzen schmückt.

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    E. A. vor 4 Jahren
    Eines der Bücher die man im Leben unbedingt studieren sollte.