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Aphorismen zur Lebensweisheit

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Aphorismen zur Lebensweisheit

Kröner,

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10 take-aways
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What's inside?

Später Ruhm für Schopenhauer: Seine Lebensweisheiten – pessimistisch zwar, aber unverdrossen – wurden zum ersten und einzigen Bestseller zu Lebzeiten des Philosophen.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Ein Schatzkästchen der Lebensweisheit

Schopenhauer bezeichnete sich selbst einmal als „Kaspar Hauser der Philosophie“, sprich: als verkanntes Genie, das zu Lebzeiten von seinen wissenschaftlichen Kollegen und der gebildeten Öffentlichkeit gemieden wurde. Bekannt war er höchstens als Pessimist, Frauenhasser und Philosoph der schlechten Laune. Dann jedoch fasste er sich ein Herz und schob am Ende seiner Schaffensperiode mit den Parerga und Paralipomena bewusst einfach formulierte Nachträge und Anmerkungen zu seiner Philosophie nach. Damit erlangte er schlagartig Berühmtheit. Plötzlich wurde Schopenhauer international gelesen, diskutiert und zu einem der bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts erklärt. Diese Welle der Anerkennung verdankte sich vor allem den Aphorismen zur Lebensweisheit, einer Schrift innerhalb der Parerga und Paralipomena. Seine negative Weltsicht gibt Schopenhauer zwar auch hier nicht auf, aber immerhin findet er Mittel und Wege, sie in Ratschläge für ein angenehmes Leben umzuwandeln, die bis heute lesenswert und praktikabel sind.

Take-aways

  • Die Aphorismen zur Lebensweisheit sind nicht das Hauptwerk, aber die zu Lebzeiten erfolgreichste Schrift Schopenhauers.
  • Inhalt: Schopenhauer untersucht die verschiedenen Einflüsse auf das Lebensglück. Dieses besteht seiner Meinung nach in erster Linie darin, Unglück zu vermeiden. Er empfiehlt, nach eigenem Gutdünken zu handeln und sich von der Meinung anderer zu lösen. Neid und übertriebener Ehrgeiz stünden einem nur im Weg.
  • Schopenhauer übernimmt von der griechischen Philosophie den Begriff der Eudämonologie, der „Lehre vom glücklichen Leben“.
  • Er lässt zwar seine pessimistische Lebensauffassung nicht hinter sich, fordert aber dazu auf, das Beste aus der schlechten Welt zu machen.
  • Der Weg zum Glück führt für ihn über einen aristokratischen Individualismus: Die anderen sind Dummköpfe, also kümmere dich nicht darum, was sie sagen.
  • Fast sein ganzes Leben lang sammelte Schopenhauer Lebensweisheiten, u. a. in den Werken der antiken Klassiker und der französischen und spanischen Moralisten.
  • Sein Stil in den Aphorismen ist prägnant, lebendig und betont einfach.
  • Das Buch erschien als Teil von Schopenhauers Alterswerk Parerga und Paralipomena (Nebenwerke und Nachträge), in dem er seine Philosophie rückblickend ausdeutete.
  • Schopenhauer wurde mit diesem Werk schlagartig berühmt und auch international bekannt. Besonders Schriftsteller und Künstler lasen ihn gierig.
  • Zitat: „Ja, die Eudämonologie hat mit der Belehrung anzuheben, dass ihr Name selbst ein Euphemismus ist und dass unter ‚glücklich leben‘ nur zu verstehen ist ‚weniger unglücklich’, also erträglich leben.“

Zusammenfassung

Von dem, was einer ist

Die Engländer haben eine treffende Redewendung, wenn sie vom Genießen reden: Sie sagen „to enjoy one’s self“. „He enjoyed himself in Paris“ bedeutet aber wörtlich übersetzt, dass der betreffende Mensch nicht die Stadt, sondern sich selbst in Paris genossen hat. Und tatsächlich genießen wir bei allem, was wir tun, in erster Linie uns selbst, unseren Körper und unsere Persönlichkeit. Ist Letztere verdorben und schlecht, so verwandelt sich jeder Genuss in Ekel. Verstand, Sinn, Leib und Charakter sind die Grundvoraussetzungen für das Glück, und alles Hab und Gut ist nur nebensächlich. Der Mensch kann sich selbst nicht entfliehen, darum wirkt sein eigenes Ich am beständigsten auf ihn. Missgeschicke, die von außen über ihn hereinbrechen, schockieren ihn deshalb weniger als diejenigen, die er selbst verschuldet.

„Der allgemeinste Überblick zeigt uns, als die beiden Feinde des menschlichen Glückes, den Schmerz und die Langeweile.“ (S. 26)

Neun Zehntel des Glücks macht die Gesundheit aus. Wenn jemand krank ist, ist ihm alles vergällt. Gesundheit ist unersetzbar und sollte nicht für Reichtum und Ruhm aufs Spiel gesetzt werden. Um die Gesundheit zu erhalten, ist es wichtig, maßzuhalten und sich zu bewegen: Der menschliche Organismus selbst ist ständig in Bewegung, deshalb sollte man ihm auch immer wieder Auslauf und frische Luft gewähren.

Schmerz und Langeweile

Manche Menschen sind von Geburt an mit einem mürrischen, andere mit einem heiteren Gemüt gesegnet. Pessimisten haben den Vorteil, vor allzu großen Enttäuschungen gefeit zu sein, weil sie ja fortwährend mit dem Ärgsten rechnen. Dafür haben sie einen unleugbaren Hang zum Selbstmord. Das menschliche Glück kennt zwei Feinde: Schmerz und Langeweile. Diese sind einander entgegengesetzte Extreme. Zumeist spüren diejenigen den Schmerz am bittersten, die von Langeweile befreit sind. Das sind vor allem die Armen, seien sie nun materiell oder geistig arm. Die Reichen und Wohlhabenden können dem Schmerz entfliehen, fallen aber dafür der Langeweile zum Opfer. Sie sind fortwährend auf der Suche nach Zerstreuung, Gesellschaften, Luxus. Vor der inneren Leere, die die Langeweile in ihnen bewirkt, können sie nur durch den Reichtum des Geistes bewahrt werden. Dieser jedoch macht sie durch die gesteigerte Sensibilität wieder anfällig für den Schmerz. Drei Kräfte beherrschen den Menschen: Reproduktionskräfte (wie Essen, Trinken, Schlafen), Irritabilitätskräfte (jede sportliche Betätigung) und Sensibilitätskräfte (wie Denken, Erfinden, Philosophieren). Der Mensch muss all seine Kräfte gebrauchen, sonst verkümmern sie.

Von dem, was einer hat

Menschliche Bedürfnisse sind vielgestaltig. An erster Stelle steht die Vermeidung von Schmerz, an zweiter die Befriedigung des Geschlechtstriebs. Erst an dritter Stelle folgen materielle Bedürfnisse wie Luxus, Prunk und Glanz. Sie sind im Grunde unnötig und nicht von existenzieller Bedeutung. Entsprechend schwer sind sie zu erlangen. Besitz wirkt nicht aus sich heraus, sondern immer nur im Zusammenspiel mit den menschlichen Bedürfnissen. Er ist also relativ und seine Notwendigkeit für den Seelenfrieden steigt mit den Ansprüchen, die jemand stellt. Reichtum ist wie Salzwasser: Je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man. Der Arme ist darum genügsam und empfindet selten Neid auf den Reichen. Der Reiche hingegen, der hohe Ansprüche entwickelt hat, leidet unsäglich, wenn ihm ein Teil seines Vermögens abhanden kommt oder, noch ärger, wenn ihm eine in Aussicht gestellte Vermehrung des Besitzes versagt bleibt. Geld zieht die Menschen mehr an als alles andere. Kein Wunder, schließlich kann es jede beliebige Form annehmen. Geld ist universelle Bedürfnisbefriedigung, während jedes andere Gut nur die Antwort auf ein bestimmtes Begehren ist. Vermögen sollte genutzt werden, um eine Schutzmauer für die unwägbare Zukunft aufzubauen. Verschwender tun dies nicht. Doch jeden Menschen wird irgendwann sein Talent, seine Handwerkskunst oder seine Kraft verlassen – dann sollte er vorgesorgt haben. Das gilt ganz besonders für Künstler.

Von dem, was einer vorstellt

Die menschliche Natur hat eine Schwäche: Sie ist vom Lob und Tadel anderer Menschen abhängig. Das immer wiederkehrende Grübeln darüber, was die anderen sagen werden, ist wie ein Fluch, der auf uns allen lastet und gegen den wir nichts tun können. Von Lob, selbst wenn es unberechtigt oder gar eine blanke Lüge ist, lässt man sich leicht beeindrucken, und von Tadel offenbar noch mehr. Könnte man die Sucht nach Ruhm ablegen, wäre das eine überaus heilsame Operation für den gepeinigten Geist. Aber selbst die Weisen legen das Begehren nach Ruhm als Letztes ab. Persönlicher Stolz wird oft getadelt – meist von den Leuten, die nichts haben, worauf sie stolz sein könnten. Diese greifen dann nicht selten zum Nationalstolz, der die lächerlichste Form von Stolz überhaupt ist. Jede Nation spottet über die andere, und Recht haben sie alle genau gleich.

„So sehr nun auch durchgängig der Stolz getadelt und verschrien wird; so vermute ich doch, dass dies hauptsächlich von solchen ausgegangen ist, die nichts haben, darauf sie stolz sein könnten.“ (S. 77 f.)

Rang, Ehre und Ruhm sind die drei Elemente, die für die Achtung, die ein Mensch bei anderen genießt, entscheidend sind. Rang wird vor allem durch Orden ausgedrückt. Meistens haben sie kaum einen Wert, denn sie werden oft gleich dutzendweise ausgehändigt. Für den Staat sind sie aber immens wichtig: Billiges Blech am Revers statt klingender Münze im Portemonnaie spart der Regierung eine Menge Geld.

Formensprache der Ehre

„Ehre“ ist ein schillernder und schwieriger Begriff. Sie bezeichnet den Wert, der jemandem zugeordnet wird, und gleichzeitig dessen Angst vor dieser Einschätzung. Vom Ruhm unterscheidet sich die Ehre dadurch, dass man sie nur verlieren kann, während jener zuerst erworben werden muss. Das ist der eigentliche Grund, warum Menschen peinlich darum bemüht sind, jede Beschmutzung ihres Ansehens durch üble Nachrede, Schmähschriften oder Rufmord zu vermeiden. Ehre gibt es in drei Ausprägungen. Die bürgerliche Ehre bedeutet, als geachtetes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu gelten, mit dem gerne umgegangen wird. Die Amtsehre umfasst das Vertrauen, das die Mitmenschen in die Fähigkeiten und die Gerechtigkeit einer Amtsperson legen. Je höher und bedeutender das Amt ist, desto wichtiger ist diese Form der Ehre. Die Geschlechtsehre ist gespalten in eine Frauen- und eine Männerehre.

Frauen- und Männerehre

Frauen befinden sich in großer Abhängigkeit von den Männern: Alles, was sie zur Lebensführung benötigen, erhalten sie vom Mann. Sie ihrerseits können ihm nur in einer Sache ein Geschenk machen: in der sexuellen Hingabe. Natur und Gesellschaft haben es so eingerichtet, dass der Mann dieses eine nur verlangen kann, wenn er im Gegenzug den Unterhalt der Frau und ihrer Kinder übernimmt. Unter den Frauen herrscht ein Gemeinschaftsgeist, der einer Art Pakt für die weibliche Ehre entspricht: Wenn eine Frau ihre Ehre freiwillig aufs Spiel setzt und sich einem Mann einfach hingibt, wird sie vom gesamten Frauengeschlecht als Verräterin gemieden. Warum ist das so? Ganz einfach: Durch ihre Leichtfertigkeit gefährdet sie die Wohlfahrt und Sicherheit der gesamten Frauenwelt. Die Männer könnten ihren Verpflichtungen plötzlich nicht mehr nachkommen, wenn sie merken, dass sich Frauen auch ohne Gegenleistung erobern lassen.

„Daher wird man z. B. unter funfzig Engländern kaum mehr als einen finden, welcher mit einstimmt, wenn man von der stupiden und degradierenden Bigotterie seiner Nation mit gebührender Verachtung spricht: der aber pflegt ein Mann von Kopf zu sein.“ (S. 79)

Die Geschlechtsehre der Männer ist spiegelbildlich zu derjenigen der Frauen: Da die Männer die Wohlfahrt ihrer Frauen übernehmen, haben sie einen Anspruch auf deren Treue. Wird die Frau untreu, muss der Mann sie verstoßen. Ansonsten verhängen die anderen Männer ihren Bann über ihn. Allerdings wird die Durchsetzung der männlichen Geschlechtsehre nicht ganz so streng verfolgt wie diejenige der weiblichen.

„Orden sind Wechselbriefe, gezogen auf die öffentliche Meinung: ihr Wert beruht auf dem Kredit des Ausstellers.“ (S. 80)

Im Mittelalter gab es eine weitere Form der Ehre, die ritterliche. Mit ihr verbunden war die Anrufung von Gottesurteilen, wenn es zu einer Ehrverletzung kam. Ein Gottesurteil bedeutete meist Zweikampf – und damit triumphierte die tierische, physische Seite des Menschen über seine geistige und kulturelle Größe. Die Aufrechterhaltung der ritterlichen Ehre setzte sich später in der Gepflogenheit des Duells fort. Das Erzwingen von Achtung unter Androhung körperlicher Gewalt war aber offensichtlich vor allem bei denjenigen verbreitet, die ihr Gehirn eher selten gebrauchten.

Ruhm ist ein Stück Unsterblichkeit

Ehre ist vergänglich, Ruhm ist ewig: Auf diese kurze Formel könnte man es bringen. Ehre steht jedem zu, Ruhm nur den Außergewöhnlichen. Ehre hat man und sie ist fest mit der Person verknüpft. Ruhm wird durch Taten oder Werke erworben und eilt der Person gewissermaßen voraus. Allerdings stehen dem Ruhm zwei Gegenspieler gegenüber: die Mittelmäßigkeit und der Neid der anderen. Erstere sorgt dafür, dass die meisten Leute die herausragenden Werke eines besonderen Menschen gar nicht verstehen. Wenn sie aber doch sehen, dass da jemand etwas Außergewöhnliches leistet, rotten sie sich zusammen und verleiden ihm den Ruhm. So etwas kommt bei der Ehre eher selten vor. Wahrer Ruhm hält dafür ewig und kann im Nachhinein nicht mehr aufgehoben werden. Wissenschaftlicher Ruhm ist umso größer, je allgemeiner das ihm zugrunde liegende Forschungsgebiet ist: Wenn jemand bahnbrechende Forschungen auf einem Gebiet erzielt, das nur Experten bekannt ist, und diese aus Neid und Missgunst gegen den Entdecker intrigieren, wird sich der Ruhm nur sehr zögerlich einstellen. Große, wichtige Entdeckungen auf einem Gebiet, das der ganzen Menschheit geläufig ist, ziehen einen entsprechend universalen Ruhm nach sich.

Nützliche Regeln der Lebensführung

Das Leben ist nicht dazu da, um genossen zu werden, es will nur überstanden sein. Wer klug ist, sucht nicht Glück und Genuss – das sind sowieso nur Chimären –, sondern die Vermeidung von Unglück und Schmerz. Wer große Pläne macht und sein Leben auf ein breites Fundament stellt, begibt sich in höchste Gefahr: Je umfassender sein Lebensfundament, desto größer ist die Gefahr, dass das Leben es mit irgendeiner Misslichkeit zum Einsturz bringt. Dieses Prinzip verhält sich damit also genau umgekehrt zu der Methode, die ein weiser Architekt anwenden müsste. Zukunft und Gegenwart wollen zu gleichen Teilen geschätzt und genossen werden. Wer nur in der Gegenwart lebt, verspielt die Zukunft. Wer nur an morgen denkt, lässt angenehme Momente des Jetzt sinnlos verstreichen.

„(...) die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert, und subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung.“ (S. 81)

Beschränkung fördert das Glück: Je eingeschränkter der Horizont eines Menschen ist, desto weniger Angriffsfläche bietet er dem Unglück. Neid hingegen zerfrisst das Glück, daher sollte es als böser Dämon bekämpft werden. Das gelingt, indem man sich eher mit den Glücklosen als mit den Glücklichen vergleicht. Auch sollte man nicht nach dem Besitz anderer trachten, sondern sich an dem erfreuen, was man hat. Über verschüttete Milch soll man nicht jammern: Ist bereits ein Unglück eingetreten, verschlimmert man seinen Schmerz nur noch, wenn man sich ausmalt, dass man es hätte verhindern können. Im Zusammenleben mit anderen gilt der Spruch: „Leben und leben lassen.“ Man kann seine Mitmenschen nicht ändern, darum sollte man stets Nachsicht mit ihren Schwächen und Eigenarten haben. Große Geister sind selten und fristen ihr Leben meist in einsamer Abgeschiedenheit. Die gemeinen Menschen finden hingegen schnell Anklang bei anderen, weil ihre Interessen durchschnittlich sind.

Der Einfluss des Lebensalters auf das Glück

Das Alter hat großen Einfluss auf das Leben des Menschen. Wenn man jung ist, blickt man immer in die Zukunft, im Alter hingegen fast nur noch in die Vergangenheit. Während der Kindheit und Jugend erforscht der Mensch seine Umwelt rein erkennend, ohne damit einen Willen zu verbinden. Das ganze Dasein erscheint als Poesie, als nicht enden wollender Reiz für die Neugier. Kein Wunder, dass man später die Einzelerscheinungen, die man in der Kindheit kennen gelernt hat, als Repräsentanten von Gattungen oder Kategorien behandelt (z. B. bleibt ein bestimmter Hund stets als Vertreter aller Hunde in Erinnerung). Als Kind erwartet man alles vom Leben und vertraut dem schönen Schein, der sinnlichen Vorstellung. Erst später, wenn man das wahre Sein des Lebens und den blind waltenden Willen erlebt, tritt man in das Zeitalter der Desillusionierung und stellt fest, dass viele der einst faszinierenden Dinge keinen Halt mehr geben. Der junge Mensch nimmt jedes neue Erlebnis begierig an, in der Hoffnung, es sei sein Glück. Der gereifte Mensch dagegen, der weiß, dass es in der Welt mehr Leid als Glück gibt, weicht allem aus, von dem er annimmt, dass es ihm Schmerz bereiten könnte. Der junge Mensch hofft, sein Heil in der Suche nach dem Glück zu finden; der ältere gehorcht den oben formulierten Regeln der Lebensführung und sucht sein Heil in der Vermeidung von Unglück.

Zum Text

Aufbau und Stil

„Weil die Angelegenheiten des Lebens, die uns betreffen, ganz abgerissen, fragmentarisch, ohne Beziehung aufeinander (...) auftreten und durcheinanderlaufen; so müssen wir unser Denken und Sorgen um sie (...) ebenso fragmentarisch einrichten.“ Mit diesen Worten begründet Schopenhauer, warum sein Spätwerk vor allem aus Aphorismen besteht. Allerdings ist ein Schopenhauer’scher Aphorismus nicht gemäß der lexikalischen Bedeutung ein kurzer, pointierter, geistreicher Satz, sondern eher ein Prinzip der Gedankenführung. Die Aphorismen zur Lebensweisheit sind in sechs Kapitel gegliedert. Nach einem Überblick im ersten Kapitel widmet sich der Philosoph nacheinander den Themen Persönlichkeit und Gesundheit („Was einer ist“), Hab und Gut („Was einer hat“) sowie Ehre, Rang und Ruhm („Was einer vorstellt“). Im fünften Kapitel, den „Paränesen und Maximen“, zitiert er Sentenzen griechischer, römischer oder französischer Moralisten, die er mit moralphilosophischen Argumenten und Beispielen anreichert. Das sechste Kapitel ist dem „Unterschiede der Lebensalter“ gewidmet. Schopenhauer schreibt plastisch, lebendig, betont einfach und für einen Pessimisten geradezu vergnügt. Die Aphorismen gehören zu den brillantesten Formulierungen in seinem Werk.

Interpretationsansätze

  • Die Aphorismen zur Lebensweisheit sind, wie die gesamten Parerga und Paralipomena, nachträgliche Ergänzungen zu Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung. Sie sind bewusst einfach und verständlich geschrieben, um auch dem philosophischen Laien zugänglich zu sein.
  • Schopenhauer bleibt seiner pessimistischen Grundhaltung treu: „Das Leben ist ein Geschäft, das seine Kosten nicht deckt“, heißt es schon in Die Welt als Wille und Vorstellung. Es sei ein Zustand, der fortwährend zwischen Schmerz und Langeweile hin- und herpendle. Diesen Gedanken führt Schopenhauer in den Aphorismen nochmals aus.
  • Die Aphorismen sind eine Art „Bibliotherapie“: Sie saugen die Weisheiten der indischen Philosophie, der Klassiker der antiken Literatur und der Morallehren französischer und spanischer Autoren auf, um daraus einen „Trost der Philosophie“ (wie es der spätantike Philosoph Boethius formulierte) zu destillieren, der sich im Alltag bewährt.
  • Schopenhauer definiert Glück als die Abwesenheit von Schmerz, also als etwas Negatives im Sinn von nichtseiend. Einen gesunden Körper nehmen wir als gegeben hin, uns fällt nicht weiter auf, wenn alles funktioniert. Der Schmerz hingegen hat in diesem Sinn einen positiven, wortwörtlich bemerkenswerten Charakter.
  • Schopenhauer übernimmt von der griechischen Philosophie den Begriff der Eudämonologie. Das Wort bedeutet „Lehre vom glücklichen Leben“. Die Haltung, die einen dazu befähigen soll, ist eine Art aristokratischer Individualismus: Die anderen sind zwar Dummköpfe, aber es hat keinen Sinn, sich darüber zu ärgern. Besser vertraut man seinem eigenen Urteil und tut, was einen selbst glücklich macht.
  • Seit wenigen Jahrzehnten wird die Glücksforschung auch empirisch betrieben, als naturwissenschaftliches Forschungsgebiet. Es ist interessant zu sehen, dass sie oft zu denselben Ergebnissen kommt wie Schopenhauers unwissenschaftliche Behauptungen.

Historischer Hintergrund

Die verpatzte Märzrevolution von 1848

In der Zeit des so genannten Vormärz, d. h. zwischen 1815 und 1848, gärte es in Deutschland und in Europa überhaupt. Es war eine Zeit der Revolutionen und nationalen Erhebungen. Die Julirevolution von 1830 in Frankreich zog entsprechende revolutionäre Aktivitäten im Deutschen Bund nach sich, die jedoch brutal niedergeschlagen wurden. Nach einer Zeit der Resignation regten sich die bürgerlichen Kräfte erst in der Märzrevolution von 1848 wieder. Das bürgerliche Lager kämpfte um eine konstitutionelle Staatsform, die Einheit Deutschlands, die Volksbewaffnung und die Rücknahme der Pressezensur sowie anderer Repressalien. Über allem stand die Forderung nach einer deutschen Nationalversammlung.

Von Südwestdeutschland aus breiteten sich die revolutionären Unruhen über ganz Deutschland und Österreich aus. In Wien musste Staatskanzler Fürst Metternich am 13. März 1848 sein Amt niederlegen. Er war als Vertreter des alten restaurativen Systems zum Feindbild geworden. In Berlin konzentrierte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. seine Truppen gegen die Aufständischen, setzte sie aber nur zögerlich ein. Schließlich stellte er sich sogar scheinbar selbst an die Spitze der liberalen Bewegung und verkündete, dass Preußen in Deutschland aufgehen werde. Doch schon 1849 nahm er viele seiner Zugeständnisse wieder zurück. Die Reichsverfassung, die von der Nationalversammlung vom 18. Mai 1848 an in der Frankfurter Paulskirche ausgearbeitet wurde, konnte gegen den Widerstand des preußischen Königs nicht durchgesetzt werden. So versandete die „Reichsgründung von unten“. Das Deutsche Reich wurde erst 1871 gegründet – dann allerdings „von oben“.

Entstehung

Schopenhauer beschäftigte sich sein halbes Leben lang mit der praktischen Philosophie. Bereits in seiner Berliner Zeit um 1822 sammelte er Maximen, Sprüche, Lebensweisheiten und Zitate, die er in kleinen Abhandlungen ausdeutete und kommentierte, allerdings ohne diese zu veröffentlichen. Gefunden wurden sie erst bei der Durchsicht von Schopenhauers Nachlass. Das umfangreiche fünfte Buch der Aphorismen zur Lebensweisheit geht auf ein Manuskript von 1827/28 zurück. Besonders stark scheint der Einfluss des Jesuiten Baltasar Gracián gewesen zu sein. Seit 1825 hatte Schopenhauer Spanisch gelernt, und der spanische Geistliche gehörte zu seinen Lieblingsautoren. In dessen Werk Handorakel und Kunst der Weltklugheit stieß Schopenhauer auf den Pessimismus, der ihm selbst eigen war, und auf eine praktische Philosophie und Lebensklugheit, die seiner eigenen entsprach. Schopenhauer übersetzte das Werk im Jahr 1832 und nutzte es intensiv als Anregung für seine Aphorismensammlung. Auch Schriften von Epikur, Epiktet, Marc Aurel und etliche Werke der französischen Moralliteratur fanden darin ihren Niederschlag.

Wirkungsgeschichte

Schopenhauer veröffentlichte die Aphorismen schließlich als Kernstück des ersten Bandes der Parerga und Paralipomena (Nebenwerke und Nachträge), einer Sammlung von insgesamt 32 kleineren Schriften. Drei Verleger lehnten das Manuskript ab, da Schopenhauers andere Werke mehr oder weniger unverkäuflich gewesen waren. Schließlich nahm sich eine kleine Druckerei in Berlin des Buches an. Schopenhauer verzichtete auf ein Honorar und gab sich mit nur zehn Autorenexemplaren zufrieden. Er betrachtete die Parerga und Paralipomena als sein „letztes Kind“. Was nach der mühsam erkämpften Veröffentlichung passierte, kommt einem Erdrutsch gleich: Dem unzugänglichen Titel zum Trotz wurden die Parerga und Paralipomena ein Großerfolg – auch international, nachdem John Oxenford, Kolumnist der Westminster and Foreign Quarterly Review, das Buch 1852 besprach und voll des Lobes war. Ein Jahr später schob er eine Bestandsaufnahme der Philosophie in Deutschland nach, pries Schopenhauer als geistvoll, genial und unterhaltsam und charakterisierte ihn als Überwinder des miefigen Spätidealismus. Die Rezensionen Oxenfords wurden 1853 in der Vossischen Zeitung auf Deutsch abgedruckt und entfachten eine Welle der Begeisterung für den spät entdeckten Philosophen. Ähnliche Rezensionen erhielt Schopenhauer in Frankreich (u. a. in der einflussreichen Revue des deux mondes) und Italien. Schnell entwickelte er sich zum meistgelesenen deutschen Philosophen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und inspirierte Künstler, Denker und Schriftsteller wie Friedrich Nietzsche, Richard Wagner, Leo Tolstoi, Albert Einstein und Thomas Mann. Einmal auf ihn aufmerksam geworden, widmete sich das intellektuelle Publikum nun auch den früheren Texten, sodass in seinem Todesjahr 1860 mehrere Werke neu aufgelegt werden mussten. Schopenhauer konnte sich nur noch kurze Zeit im Ruhm sonnen und kommentierte ihn trocken: Nachdem er ein ganzes Leben „in Unbedeutendheit und Geringschätzung“ verbracht habe, kämen sie jetzt mit Pauken und Trompeten „und meinen, es sei was“.

Über den Autor

Arthur Schopenhauer wird am 22. Februar 1788 in Danzig geboren. Als er fünf Jahre alt ist, zieht die Familie nach Hamburg um. Sein Vater gehört zu den königlichen Kaufleuten der Handelsstadt Danzig. Wie er soll auch der Sohn Kaufmann werden. Nach dem Unfalltod des Vaters 1805 wird das Familiengeschäft aufgelöst. Schopenhauer macht zu dieser Zeit noch eine Kaufmannslehre, geht aber dann seinen geistigen Interessen nach und studiert ab 1809 Philosophie in Göttingen, wo er sich u. a. mit antiken Denkern und mit Kant beschäftigt. 1811 geht er nach Berlin und wird Schüler von Friedrich Schleiermacher und Johann Gottlieb Fichte, von denen er sich jedoch bald abwendet. Zwei Jahre später stellt Schopenhauer seine Dissertation Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde fertig. Er zieht nach Weimar und schließlich nach Dresden und beschäftigt sich mit Goethes Farbenlehre, die er in einem Essay würdigt (Über das Sehen und die Farben, 1816). Neben dem Studium Kants und Platons setzt sich Schopenhauer auch mit indischer Philosophie auseinander. In Dresden erscheint 1819 der erste Teil seines Hauptwerks Die Welt als Wille und Vorstellung. Nach einer Italienreise beginnt er an der Berliner Universität zu lehren. Seine Feindschaft mit Hegel verleitet ihn dazu, jede seiner Vorlesungen zeitgleich mit denen seines Rivalen abzuhalten – was dazu führt, dass Hegels Vorlesungen voll, Schopenhauers jedoch weitgehend leer sind. Hegel fällt in Berlin einer Choleraepidemie zum Opfer, der Schopenhauer knapp entkommt, indem er nach Frankfurt am Main reist. Er widmet sich der Verfassung weiterer Schriften und dem tieferen Studium der buddhistischen und hinduistischen Philosophie sowie der Mystik. 1844 erscheint der zweite Teil von Die Welt als Wille und Vorstellung. Arthur Schopenhauer stirbt am 21. September 1860 in Frankfurt am Main.

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    A. vor 10 Jahren
    Schopenhauer beschreibt in diesem Werk oft das Konzept der "via negativa", ohne diesen Begriff zu gebrauchen: Unglück vermeiden statt dem Glück hinterher zu jagen. So habe ihm seine Philosophie zwar nur wenig eingebracht, ihm dafür aber umso mehr erspart.