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Das Totenschiff

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Das Totenschiff

Diogenes Verlag,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Es kann immer alles noch schlimmer werden: Ein Seemann wird in einer menschenverachtenden Welt herumgeschubst – und landet schließlich auf dem Totenschiff.

Literatur­klassiker

  • Abenteuerroman
  • Moderne

Worum es geht

Die ganze Welt ein „Totenschiff“

Der amerikanische Seemann Gale verliert durch Unachtsamkeit seine Papiere – und damit, wie er schnell feststellen muss, auch seine Existenzberechtigung innerhalb der Gesellschaft. Schutzlos ist er einer menschenverachtenden Bürokratie ausgeliefert, die ihn zu einem Dasein am untersten Ende der sozialen Skala verdammt: Gale bleibt nichts anderes übrig, als auf der „Yorikke“ anzuheuern, einem wahren „Totenschiff“, auf dem Verkommenheit, Brutalität und Ausbeutung herrschen. B. Travens Roman greift Elemente der Abenteuer-, Seefahrts- und Arbeiterliteratur auf, verzichtet jedoch auf jedes Heldenpathos. Lakonisch und humorvoll schildert er eine Welt, in der der Einzelne zwischen Staatsbürokratie und Kapitalismus zerrieben wird, ohne dass er auch nur die geringste Chance hat, sich gegen die herrschenden Verhältnisse aufzulehnen. Je mehr Abenteuer der Held besteht, desto tiefer sinkt er. Belohnung oder Erlösung gibt es nicht. Das Totenschiff ist ein kompromissloses, spannendes, eindringliches Werk, das seinen rätselhaften Verfasser zu einem der meistdiskutierten Autoren seiner Zeit machte. Genau wie andere Romane Travens ist es einem sozialkritischen Realismus verpflichtet, der allerdings nie in den Sog von Politpropaganda, Schwarz-Weiß-Malerei und Weltverbesserungskitsch abdriftet. Fazit: Unbedingt lesenswert!

Take-aways

  • B. Travens Totenschiff aus dem Jahr 1926 ist einer der berühmtesten sozialkritischen Romane der Weltliteratur.
  • Das Werk schildert die Abenteuer des amerikanischen Seemanns Gale, der in Antwerpen die Abfahrt seines Frachters verpasst und ohne Dokumente zurückbleibt.
  • Seine Versuche, sich auf den amerikanischen Konsulaten verschiedener Länder neue Papiere zu beschaffen, scheitern an der Bürokratie.
  • Gale wird mehrmals verhaftet und von den Behörden über die Grenzen von Belgien, Holland und Frankreich abgeschoben.
  • Einzig in Spanien erfährt er Gastfreundschaft und wird von der Polizei trotz fehlender Dokumente in Ruhe gelassen.
  • Aus Geldnot und Aberglaube lässt er sich auf dem völlig heruntergekommenen Schiff „Yorikke“ zu einer schmutzigen und gefährlichen Arbeit verpflichten.
  • Die Arbeitsverhältnisse und hygienischen Zustände auf der „Yorikke“ sind katastrophal, doch wenigstens findet der Held im Matrosen Stanislaw einen Freund.
  • Bei einem Hafenrundgang werden die beiden auf ein anderes Schiff entführt, das kurz darauf untergeht, wobei Stanislaw ums Leben kommt. Gales Schicksal bleibt ungewiss.
  • B. Traven hat um seine Herkunft und Biografie zeitlebens ein großes Geheimnis gemacht, das bis heute nicht restlos geklärt ist.
  • Wahrscheinlich verbirgt sich hinter seinem Pseudonym ein um 1890 geborener deutscher Anarchist namens Ret Marut, der nach dem Ersten Weltkrieg hingerichtet werden sollte und nach Mexiko floh.
  • B. Traven ist der Verfasser zahlreicher Abenteuerromane, die ihn noch zu seinen Lebzeiten berühmt machten.
  • Das Totenschiff war auf Anhieb ein großer Erfolg und wurde 1959 verfilmt, wobei Mario Adorf und Horst Buchholz die Hauptrollen spielten.

Zusammenfassung

Ein fatales Abenteuer im Hafen von Antwerpen

Auf der „S. S. Tuscaloosa“ hat der amerikanische Deckarbeiter Gale ein schönes Leben. Das Schiff, das eine Ladung Baumwolle von New Orleans nach Antwerpen transportiert, ist modern und sauber, die Verpflegung hervorragend, die Mannschaft zufrieden und motiviert. Während die anderen Matrosen in Antwerpen an Land gehen, bleibt Gale zunächst an Bord. Dann entschließt er sich ebenfalls zu einem Streifzug durch das Hafenviertel der Stadt, weshalb er einen Offizier um einen Vorschuss von 10 $ bittet. Er landet in einer Kneipe, betrinkt sich und verbringt die Nacht mit einem Mädchen. Als er am Morgen zum Hafen zurückkehrt, stellt er mit Schrecken fest, dass die „Tuscaloosa“ ohne ihn ausgelaufen ist. Schlimmer noch: Sein Pass und seine Seemannskarte sind auf dem Schiff geblieben, und Gale findet sich plötzlich in einer beklemmenden Lage wieder. Von einem Ordnungshüter aufgegriffen, wird er auf die Polizeistation gebracht. Die Beamten verabreichen ihm ein karges Frühstück und fragen ihn, in welches Land er zu gehen wünsche. Frankreich und Deutschland möge er nicht, lautet seine Antwort. Zwei Polizisten begleiten ihn zum Bahnhof, setzen sich mit ihm in den Zug und bringen ihn zur Grenze. Gale befürchtet, gehängt zu werden. Stattdessen wird er über einen schmalen Wiesenpfad nach Holland abgeschoben. Er solle zum nächsten Bahnhof gehen und sich eine Fahrkarte nach Rotterdam kaufen.

Ohne Papiere keine Arbeit

Die Absicht, in der holländischen Hafenstadt auf einem neuen Schiff anzuheuern, erweist sich ohne Identitätspapiere als hoffnungslos. Auch der amerikanische Konsul kann Gale nicht weiterhelfen, überreicht ihm aber immerhin einen Verpflegungsgutschein. Wenig später fällt Gale abermals der Polizei in die Hände, von der er alsbald über die grüne Grenze nach Belgien zurückgeschickt wird – nur um von einer belgischen Grenzpatrouille erneut zur Rückkehr nach Rotterdam gezwungen zu werden. Ein paar Matrosen verstecken ihn nun auf ihrem Schiff und bringen ihn ins französische Boulogne, von wo aus er mit dem Zug nach Paris fährt. Weil er keine Fahrkarte hat, wird er festgenommen und kommt für zehn Tage ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung geht er erneut aufs amerikanische Konsulat, in der Hoffnung, man werde ihm einen neuen Pass ausstellen. Während der gestrandete Matrose im Vorzimmer des Konsuls wartet, erlebt er, wie eine fette, reiche, arrogante Amerikanerin im Handumdrehen und ohne irgendwelche Formalitäten einen neuen Pass ausgestellt bekommt. Gale gegenüber ist der Konsul zwar freundlich, muss aber mit Bedauern feststellen, dass er nicht das Geringste ausrichten könne. Als ihn Gale fragt, weshalb dann die Dame so rasch zu ihrem neuen Pass gekommen sei, erhält er die Antwort, dies sei ein völlig anderer Fall – schließlich handle es sich um die Gattin eines reichen Bankiers aus New York.

Spanien oder Tod

Im Express zwischen Paris und Limoges wird Gale erneut verhaftet, wobei er sich diesmal als Deutscher ausgibt. Er erhält abermals eine kurze Gefängnisstrafe, danach macht er sich auf den Weg nach Spanien. Da Deutsche im Unterschied zu Amerikanern offensichtlich ziemlich beliebt sind, bekommt er dank seiner neuen falschen Nationalität hin und wieder etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf. Bei einem Bauern kann er sogar sechs Wochen lang arbeiten. In der Nähe der spanischen Grenze verirrt er sich und betritt versehentlich eine Festungsanlage, was streng verboten ist. Ein Offizier teilt dem Matrosen mit, dass er laut Kriegsgesetz innerhalb von 24 Stunden erschossen werden soll. Dem zum Tode Verurteilten ist diese Ankündigung ziemlich gleichgültig – im Grunde, so denkt er sich, ist er ohne Papiere und ohne Identität schon lange so gut wie tot. Die Zeit bis zur Hinrichtung nutzt er, um sich zum maßlosen Erstaunen seiner Wärter den Bauch vollzuschlagen und beharrlich um die Doppelportion für Offiziere zu bitten. Schließlich wird der Gefangene dem Festungskommandanten vorgeführt, der sich bereit erklärt, ihn zu begnadigen, sofern er unverzüglich nach Deutschland zurückkehrt. Doch Gale antwortet seinem verdutzten Gegenüber, in diesem Fall ziehe er es vor, erschossen zu werden. Er wolle nach Süden, und die einzige mögliche Wahl laute: Spanien oder Tod. Der Kommandant willigt ein, ihn nach Spanien zu entlassen. Als der Matrose abermals nach einem Doppelfrühstück für Offiziere verlangt, brechen sämtliche anwesenden Soldaten über so viel Unverfrorenheit in lautes Gelächter aus.

Ein Schiff namens „Yorikke“

Die spanischen Grenzwächter empfangen den Erzähler freundlich, obwohl er keine Papiere hat. Allein die Tatsache, dass sie ihn für einen Deutschen halten, verschafft ihm einen gewaltigen Sympathiebonus. Ein Beamter nach dem anderen will ihn im eigenen Haus beherbergen und verköstigen, es kommt zu einem richtigen Wettkampf der Gastfreundlichkeit – bis es dem derart Umschwärmten eines Tages zu viel wird und er die Flucht ergreift. Von keinem Polizisten belästigt, verbringt er seine Zeit bald in Sevilla, bald in Cádiz. Schließlich lässt er sich von einem Kohlendampfer nach Marseille bringen, in der irrigen Annahme, er könne dort wieder Arbeit auf einem Schiff finden. In einer Hafenkneipe gibt ihm die junge Kellnerin etwas zu essen, sammelt unter den Gästen Geld für ihn und nimmt ihn auch noch mit auf ihr Zimmer. Wenn er wieder nach Marseille komme, solle er sie besuchen, sagt sie ihm am nächsten Morgen zum Abschied. Gale kehrt nach Barcelona zurück und beobachtet, wie ein komplett heruntergekommenes Schiff in den Hafen einläuft. Am Bug trägt es den Namen „Yorikke“, und seine Besatzungsmitglieder sehen nicht wie Matrosen, sondern wie zerlumpte Bettler aus. Gale ist wie alle Seeleute äußerst abergläubisch, weshalb er eine ihm angebotene Arbeit niemals und unter keinen Umständen ausschlägt. Als ihn einer der „Yorikke“-Matrosen zum Anheuern auffordert, sieht er sich deshalb mit Schrecken gezwungen, auf das Angebot einzugehen.

Drecksarbeit und kein Ausweg

Der Held befindet sich noch keine Minute an Bord der „Yorikke“, als er seinen Entschluss schon bereut: Sein Schlafplatz – von den Matrosen Bunk genannt – hat keine Matratze, keine Decken und kein Kissen. Der Schlafraum ist eng, überfüllt und schmutzig, statt von elektrischem Licht wird er nur schwach von einer Petroleumlampe erleuchtet. Die Mannschaft erzählt sich, es gebe auf dem Schiff eine Schreckenskammer, zu der niemand den Schlüssel besitze und in der menschliche Skelette versteckt seien – Überreste ehemaliger Matrosen, die man den Ratten zum Fraß vorgeworfen habe, weil sie sich in einem Hafen davonmachen wollten oder die Bezahlung der Überstunden verlangt hätten. Als Gale sich beim Kapitän des grausigen Schiffes meldet, stellt er fest, dass man ihn übers Ohr gehauen hat: Er soll nicht wie abgemacht als Heizer, sondern als Kohlenzieher arbeiten, womit er die anstrengendsten, schmutzigsten und gefährlichsten Aufgaben zu erledigen hat. Der Lohn ist viel tiefer als vereinbart, und das Schiff fährt auch nicht nach Liverpool, wo es der Neuankömmling laut Vertrag wieder hätte verlassen dürfen. Seine Empörung ruft beim Kapitän nicht mehr als ein höhnisches Grinsen hervor.

„Die Romantik der Seegeschichten ist längst vorbei. Ich bin auch der Meinung, dass solche Romantik nie bestanden hat. Nicht auf Segelschiffen und nicht auf der See. Diese Romantik bestand lediglich in der Fantasie des Schreibers jener Seegeschichten.“ (S. 11 f.)

Das Abendessen besteht aus einer dünnen Erbsensuppe, Pellkartoffeln und braunem Wasser, das Tee sein soll. In seiner Stellung als Kohlenzieher muss Gale nach dem Essen auch das Geschirr abwaschen und die Aborte scheuern. Seine Arbeitszeit und die zu schiebenden Wachen sind so lang, dass er kaum zum Schlafen kommt. Die anderen Mitglieder der Mannschaft sagen ihm, dass er gerne Überstunden aufschreiben könne, wenn ihm dies Vergnügen bereite. Aber er solle ja nicht damit rechnen, dass diese bezahlt würden. In kurzer Zeit sieht Gale genauso zerlumpt aus wie die übrige Mannschaft. Er fühlt sich als lebender Toter. Zu desertieren habe ohne gültige Papiere und ohne Geld keinen Sinn, erfährt er von der Mannschaft. In ihrem erbärmlichen Zustand würden die Matrosen sogleich erkannt, festgenommen und auf die „Yorikke“ zurückgebracht, wonach ihnen der Kapitän zwei oder drei Monatsheuern abziehen würde.

Grässliche Unfälle und Geschichten

Nach einiger Zeit freundet sich Gale mit Stanislaw an, der als Heizer arbeitet und die „Yorikke“ als Totenschiff bezeichnet. Er hilft Gale bei den schwierigsten und gefährlichsten Arbeiten, z. B. beim Aschehieven oder beim Hantieren im Kesselraum, wo sich die Matrosen oft fürchterliche Verletzungen holen. Am schlimmsten ist es, wenn Roste herausfallen: Sie wieder einzusetzen führt nicht nur zu Verbrennungen, sondern auch zu Schnittwunden, und nicht selten werden den Matrosen bei dieser Arbeit sogar Gliedmaßen abgetrennt. Stanislaw erzählt, dass ein Mitglied der Mannschaft einmal von einem kochenden Wasserstrahl derart verbrüht worden sei, dass ihm die Haut in Fetzen herunterhing und er nach mehreren qualvollen Stunden starb. Die Schreie, die er vor seinem Tod ausgestoßen habe, hätten nichts Menschliches mehr gehabt.

„Ich zweifle ganz ernsthaft daran, dass es überhaupt auf der Welt noch Menschen gibt, die nicht Polizei sind. Die Polizei ist dafür da, um für Ruhe zu sorgen, und niemand macht mehr Ruhestörung, niemand belästigt die Menschen mehr, niemand bringt mehr Leute zum Wahnsinn als die Polizei.“ (S. 41 f.)

Stanislaw erzählt Gale auch von seiner eigenen verworrenen Biografie: Geboren wurde er in Posen, mit 14 Jahren riss er von zu Hause aus und schlug sich zunächst als Gehilfe bei Fischersleuten und später als Matrose auf verschiedenen Schiffen durch. Für einige Zeit wurde er gegen seinen Willen in die deutsche Kriegsmarine gesteckt. Während Posen bei Stanislaws Geburt zu Deutschland gehört hatte, fiel es nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an Polen. In der Folge verweigerten beide Staaten die Ausstellung eines neuen Passes, wobei die Funktionäre behaupteten, Stanislaw sei Bürger des jeweils anderen Landes. Dem Papierlosen blieb nichts übrig, als sich illegal nach Holland durchzuschlagen. In Amsterdam heuerte er erstmals auf einem Totenschiff an, bis er schließlich auf dem schlimmsten aller Totenschiffe endete: der „Yorikke“.

„Heute sind der Pass, das Visum, der Einwanderungsbann die Dogmen, auf die sich die Unfehlbarkeit des Papstes stützt, an die man zu glauben hat, oder man muss die verschiedenen Grade der Folterungen über sich ergehen lassen.“ (S. 56)

Ähnlich erging es einem Matrosen namens Paul, der aus Mülhausen im Elsass stammte: Für die Franzosen war er Deutscher und umgekehrt. Er ließ sich bei der Fremdenlegion anwerben, hielt es jedoch nicht lange aus und desertierte, streifte einige Zeit lang mittellos durch Nordafrika und wurde beinahe von einer marokkanischen Räuberbande erschlagen. Nur weil er ihnen glaubhaft machte, dass er nicht Franzose, sondern Deutscher sei, ließen sie von ihm ab. Schließlich landete auch Paul auf der „Yorikke“, die er als zehnmal schlimmer und unmenschlicher bezeichnete als die schlimmste Kompanie der Fremdenlegion. Er begann Blut zu spucken und lag eines Nachts in einer großen Blutlache auf einem Kohlenhaufen. Kurz darauf starb er in seiner Koje.

Endstation „Empress of Madagascar“

Trotz dieser Elendsgeschichten und trotz aller Entbehrungen stellt sich bei Gale nach und nach ein Gefühl der Gewöhnung ein. Ja, er muss sich sogar eingestehen, dass ihm die Existenz des zerlumpten Außenseiters zumindest phasenweise zu gefallen und er die „Yorikke“ zu lieben beginnt. Bei einem Streifzug durch den Hafen von Dakar entdeckt er ein Schiff namens „Empress of Madagascar“, das ihn beeindruckt, weil es sauber und modern wirkt. Allerdings weist es einen Konstruktionsfehler auf und soll versenkt werden, damit der Besitzer wenigstens die Versicherungsprämie kassieren kann. Gemeinsam mit seinem Freund Stanislaw setzt Gale den Spaziergang fort, als beide plötzlich hinterrücks angegriffen und niedergeschlagen werden. Nach einiger Zeit wacht Gale wieder auf und stellt fest, dass man ihn auf die „Empress of Madagascar“ entführt hat. Die Mitglieder der Besatzung behaupten allerdings, sie hätten ihn schlafend und besoffen in einer Ladekammer des Schiffs gefunden. Der Kapitän beschimpft ihn als blinden Passagier und Verbrecher, der sich dem Zugriff der Polizei entziehen wolle; eigentlich müsste man ihn über Bord werfen oder auspeitschen. Dann heuchelt der Kapitän Gnade und zwingt Gale, als Heizer zu arbeiten. Auch Stanislaw ist den Häschern in die Hände gefallen. Als sich ein Heizer im Kesselraum den Fuß einklemmt und von der Glut bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden droht, bleibt Gale und Stanislaw nichts anderes übrig, als ihm mit einem Hammer den Fuß abzuschlagen. Es gelingt ihnen, den Verunglückten an Deck zu ziehen.

„Im Grunde und ganz ohne Scherz gesprochen, war ich ja schon lange tot. Ich war nicht geboren, hatte keine Seemannskarte, konnte nie im Leben einen Pass bekommen, und jeder konnte mit mir machen, was er wollte, denn ich war ja niemand, war offiziell überhaupt gar nicht auf der Welt, konnte infolgedessen auch nicht vermisst werden.“ (S. 83)

Während eines Sturms läuft die „Empress of Madagascar“ auf ein Riff auf. Beim Versuch, sich zu retten, kommt die ganze Mannschaft mit Ausnahme Gales und seines Freundes ums Leben. Tagelang treiben die beiden im Wasser, bis Stanislaw vor Durst und Hunger wahnsinnig wird. Er glaubt die „Yorikke“ zu sehen und trennt das Tau durch, mit dem sie sich an einer im Wasser treibenden Schiffswand festgebunden haben. Obwohl auch Gale von Halluzinationen heimgesucht wird, erkennt er den fatalen Irrtum seines Freundes und versucht verzweifelt, ihn zurückzurufen. Vergeblich: Stanislaw mustert für die „große Fahrt“ an und ertrinkt. Gales Schicksal bleibt ungewiss.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Totenschiff erzählt in chronologischer Abfolge und in Ich-Form die Abenteuer des gestrandeten amerikanischen Matrosen Gale. Die Handlung des in 48 Kapitel gegliederten Romans ist auf drei ungleich lange „Bücher“ verteilt. Im ersten Buch beschreibt der Ich-Erzähler seinen Irrweg durch verschiedene europäische Länder und seine erfolglosen Versuche, zu einem neuen Pass zu gelangen. Der Hauptteil des Romans schildert dann die katastrophalen Zustände auf dem Totenschiff „Yorikke“, die von Mitleidlosigkeit und unmenschlicher Ausbeutung geprägt sind. Unterbrochen werden sie von einem kurzen Rückblick auf die Biografie des Heizers Stanislaw, mit dem sich Gale anfreundet. Die letzten Kapitel handeln vom Überlebenskampf der im Meer dahintreibenden Matrosen Gale und Stanislaw. B. Travens Stil ist lakonisch, direkt und frei von jeder anklägerischen Sentimentalität. Das Buch enthält zahlreiche äußerst pointierte Dialogpartien, die mit ihrer ungekünstelten Lebhaftigkeit überzeugen. Außerdem besticht Traven durch die genaue und kenntnisreiche Schilderung der technischen Vorgänge, die sich auf einem Schiff abspielen. Er verwendet häufig Begriffe aus der Seemannssprache, jedoch ohne den Roman in den Fachjargon abgleiten zu lassen. Das bevorzugte Stilmittel des Autors ist die Ironie: Der Ich-Erzähler hat sich mit seiner aussichtslosen Stellung als sozialer Außenseiter abgefunden und beschreibt selbst grausamste Vorfälle mit abgebrühtem Witz. Daneben streut er immer wieder politisch-gesellschaftliche Betrachtungen ein, die durch ihre kompromisslos anarchische Radikalität überraschen.

Interpretationsansätze

  • Das Totenschiff enthält zwar zahlreiche Elemente des klassischen Abenteuerromans, verkehrt diese jedoch in ihr Gegenteil: Der Held erfährt durch seine gefährlichen Reisen und halsbrecherischen Erlebnisse keine Befreiung, sondern versinkt immer tiefer im Elend.
  • Der Roman übt scharfe Kritik an kapitalistischer Ausbeutung: Die Angehörigen der Arbeiterklasse haben keine Chance, dem gnadenlos ausbeuterischen kapitalistischen System zu entkommen. Sie sind von Geburt an zum Verlieren verurteilt.
  • Daneben steht die Kritik an der Bürokratie: Der Staat hilft den Ausgebeuteten nicht, sondern erscheint als undurchschaubares, unmenschliches System, das den Einzelnen zur Nummer degradiert und ihn jeglicher Identität beraubt. Die Bürokratie setzt sich auch gewissenlos über die Regeln hinweg, die sie selbst aufgestellt hat und deren Einhaltung sie vor allem gegenüber der Unterschicht einfordert. Selbst die wenigen Funktionäre, die Verständnis aufbringen und Mitleid empfinden, vermögen dieser gnadenlosen Maschinerie nichts entgegenzusetzen.
  • In dieser Welt hängt die Identität eines Menschen allein von seinen Papieren ab: Einzig Pässe, Ausweise und Geld vermögen der individuellen Existenz einen Wert zu verleihen. Ohne Dokumente ist der Einzelne ein Nichts.
  • Das Totenschiff mit seinen brutalen Gesetzen ist ein Symbol dieser unmenschlichen Gemeinschaft.
  • Durch Kapitalismus und Bürokratie wird der Einzelne völlig deformiert, sodass er sich am Ende sogar mit dem System identifiziert, anstatt sich dagegen aufzulehnen. Der Erzähler Gale gewöhnt sich nicht nur an die Zustände auf der „Yorikke“, er beginnt das Totenschiff sogar zu lieben. Eine Veränderung zum Besseren erscheint undenkbar.
  • Einzig die Freundschaft und Solidarität zwischen den Unterdrückten ermöglicht einen Hauch von Menschlichkeit. In Travens Roman zeigt sich dies in der Beziehung zwischen dem Erzähler und dem Matrosen Stanislaw.

Historischer Hintergrund

Die Münchner Räterepublik

Mit der Münchner Räterepublik, an der sich auch B. Traven beteiligte, wurde der Versuch unternommen, nach dem Ersten Weltkrieg einen sozialistischen Staat auf bayerischem Boden zu schaffen. Infolge des verlorenen Krieges versank Deutschland in Not und Chaos, weshalb es im ganzen Land zu gewalttätigen Erhebungen kam. In München wurde am 7. November 1918 der bayerische König Ludwig III. abgesetzt und der Freie Volksstaat Bayern ausgerufen. Ein Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat berief Kurt Eisner von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei zum Ministerpräsidenten. Nachdem Eisner am 21. Februar 1919 von einem rechtsextremen Attentäter ermordet worden war, spitzten sich die Kämpfe zwischen pluralistisch-parlamentarischen Kräften und den Anhängern eines sowjetkommunistisch inspirierten Rätesystems zu. Letztere riefen am 7. April die Räterepublik aus. Die amtierende Regierung zog sich nach Bamberg zurück, während die Hauptstadt weitgehend isoliert blieb und unter den militärischen Druck gegenrevolutionärer Kräfte geriet. Sie bestanden zum einen aus von der Berliner Regierung entsandten Reichstruppen, zum anderen aus rechtsradikalen Freikorps. Ende April kam es in München zu heftigen Kämpfen, wobei auch Massaker an der Zivilbevölkerung begangen wurden. Wenig später war die Stadt von den Rechten besetzt. Die Idee der sozialistischen Räterepublik war damit blutig gescheitert, und das Pendel schlug zurück: Während der Weimarer Republik wurde München zu einem Zentrum des rechtsnationalistischen, antidemokratischen Widerstands. Es entstand ein politisches Umfeld, das Adolf Hitler zum Sprungbrett für seine spätere Machtergreifung nutzen sollte.

Entstehung

Das Totenschiff erschien im Jahr 1926, als sich B. Traven im mexikanischen Exil befand. Die heutige Forschung geht davon aus, dass der Autor in seiner Jugendzeit selber auf Schiffen gearbeitet hat und das im Roman beschriebene Ambiente darum zumindest teilweise aus eigener Anschauung kannte. Über literarische Vorbilder und Einflüsse kann nur spekuliert werden. Sicher ist, dass Traven bei der Niederschrift des Werks gängige Elemente aus der Seefahrer-, Abenteuer- und Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts aufgriff, wie sie sich etwa bei Joseph Conrad, James Fenimore Cooper, Robert Louis Stevenson oder Jack London finden. Veröffentlicht wurde Travens Werk zunächst in der gewerkschaftseigenen Büchergilde Gutenberg.

Wirkungsgeschichte

Das Totenschiff wurde unmittelbar nach seiner Publikation im Jahr 1926 zum Bestseller und zählt heute neben Der Schatz der Sierra Madre (1927), Der Busch (1928) und Die Rebellion der Gehenkten (1936) zu den berühmtesten Romanen B. Travens. Mit diesen und anderen Werken begründete er seinen Ruf als einer der großen sozialkritischen Autoren, die die deutsche Literatur im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Die radikale Kritik an Ausbeutung, staatlichen Zwängen und entmenschlichter Bürokratie machte Traven zu einem literarischen Fixpunkt für die 68er-Bewegung. Seine zahlreichen in Lateinamerika spielenden Romane etablierten das von der Linken hochgehaltene Thema des Elends in der Dritten Welt, und seiner radikalen Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung wurde umso größere Bedeutung beigemessen, als sie in literarisch hochstehender Form daherkam. „Traven ist ein episches Talent größten Ausmaßes“, schrieb etwa der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky.

Das Geheimnis um die Herkunft und Identität des Schriftstellers schuf zudem einen Mythos, den viele Literaturwissenschaftler und Journalisten zu ergründen versuchten, indem sie in Mexiko seinen biografischen und literarischen Spuren nachgingen. 1988 schrieb der Harvard-Germanist Karl S. Guthke mit B. Traven – Biografie eines Rätsels das bis heute grundlegende Buch über Leben und Werk des Schriftstellers. Traven selber hat das Geheimnis um seine Person zeitlebens mit Kalkül gepflegt. „Die Biografie eines schöpferischen Menschen ist ganz und gar unwichtig“, erklärte er. Seine in zahlreiche Sprachen übersetzten und millionenfach aufgelegten Bücher machen ihn bis heute zu einem der erfolgreichsten und meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller.

Diese Popularität schlug sich in mehreren Verfilmungen nieder. 1959 erlebte die Kinoversion von Das Totenschiff in Hamburg ihre Premiere. Sie war von der deutschen Produktionsgesellschaft UFA unter beträchtlichem finanziellem Aufwand realisiert worden. Regie führte der Österreicher Georg Tressler, in den Hauptrollen traten Mario Adorf und Horst Buchholz auf. Schon elf Jahre zuvor hatte die Verfilmung von Der Schatz der Sierra Madre mit Humphrey Bogart und Walter Huston bei den Kritikern begeisterte Reaktionen ausgelöst und drei Oscars erhalten. Im Jahr 1967 plädierte die Stockholmer Zeitung Aftonbladet ebenso vehement wie vergeblich dafür, Traven den Nobelpreis zu verleihen.

Über den Autor

B. Traven ist das Pseudonym eines deutschsprachigen Schriftstellers, dessen Identität und Herkunft bis heute nicht restlos geklärt sind. Die moderne Forschung geht davon aus, dass er um 1890 geboren wird und unter dem Namen Ret Marut zwischen 1917 und 1921 die anarchistische Zeitschrift Der Ziegelbrenner herausgibt. Außerdem ist er Schauspieler und Tänzer und arbeitet wahrscheinlich auch als Schiffsjunge oder Matrose. Als Aktivist der Münchner Räterepublik soll er standrechtlich erschossen werden, kann jedoch über England und Kanada nach Mexiko fliehen, wo er zunächst auf Ölfeldern arbeitet und unter verschiedenen Namen auftritt. Nachdem sich seine erste Frau Esperanza López Mateos 1951 das Leben genommen hat, heiratet er ein Jahr später die Mexikanerin Rosa Elena Lujan. Diese wird später behaupten, ihr Mann sei ein unehelicher Sohn Kaiser Wilhelms II. gewesen. Obwohl Traven auf den wenigen erhaltenen Fotos dem gleichaltrigen Kronprinzen Wilhelm tatsächlich verblüffend ähnlich sieht, gilt diese These mittlerweile als widerlegt. In Mexiko City, das Mitte der 20er Jahre lediglich 400 000 Einwohner zählt und für seine hervorragende Luft berühmt ist, findet er Anschluss an einen Zirkel linker Intellektueller. Traven unternimmt zahlreiche Reisen in die mexikanischen Provinzen und in andere lateinamerikanische Länder. Ab 1925 beginnt er in schneller Folge mit der Publikation seiner Romane, von denen Das Totenschiff und Der Schatz der Sierra Madre die bekanntesten werden. Traven wird schon zu Lebzeiten zum geheimnisumwitterten Bestsellerautor und zum bekanntesten literarischen Außenseiter der Weimarer Republik. Als während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche deutsche Emigranten seine Bekanntschaft suchen, zieht er sich ins damalige Fischerdorf Acapulco an der Pazifikküste zurück. Nur wenige Eingeweihte wissen, wer der Verfasser der weltweit berühmten Traven-Romane ist und wo er lebt, und sie tun alles, um ihn nach außen abzuschirmen. 1969 stirbt B. Traven in Mexiko City. Seit seinem Tod sind zahlreiche Versuche unternommen worden, das Geheimnis seiner Identität zu lüften. Zu einem abschließenden Ergebnis haben sie bislang nicht geführt.

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