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Tauben im Gras

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Tauben im Gras

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Deutschland kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: Kein Roman hat Menschen und Stimmung so genau beschrieben wie dieser.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Ein Tag Nachkriegsdeutschland

Wolfgang Koeppen hat uns nicht besonders viele Bücher hinterlassen. Am berühmtesten ist dieser erste Roman der "Trilogie des Scheiterns", wie sie vom Verlag genannt wurde. Tauben im Gras ist vor allem ein Stilexperiment, ein Roman, bei dem Ästhetik und Form mindestens genauso wichtig sind wie der Inhalt. Der Erzähler schildert einen Tag in der Stadt München und lässt den Leser an den Gedanken und Gefühlen von rund 30 Figuren teilhaben. Koeppens Pandämonium hat eine Menge zu bieten: schreibblockierte Poeten, fanatisch religiöse Kindermädchen, eine sexbesessene Schauspielerfrau, einen schwarzen US-Soldaten, der mit einer Deutschen um das Leben des gemeinsamen Kindes kämpft, kleine Dienstleute, alte Nazis, verbohrte Spießer, einen wütenden Mob, einen Nachkriegsfilmstar und eine Rasselbande ehemaliger NS-Pimpfe. Koeppen montiert den Bewusstseinsstrom einer ganzen Metropole mit Reklamesprüchen und Schlagzeilen zusammen. Es ist nicht immer leicht, der Handlung zu folgen; in jedem Fall aber bietet Tauben im Gras einen atmosphärisch dichten Blick auf die Straßen und in die Köpfe der Menschen im Nachkriegsdeutschland.

Take-aways

  • Tauben im Gras, Wolfgang Koeppens bekanntestes Werk, ist der erste Teil einer Serie von drei Nachkriegsromanen.
  • Koeppen veröffentlichte das Buch nach nur drei Monaten Arbeit im Jahr 1951.
  • Es schildert einen Tag im Leben von rund 30 Figuren im Nachkriegsmünchen.
  • Kaleidoskopartig springt der Erzähler zwischen den Personen hin und her, webt Reklamesprüche und Schlagzeilen ein und enthüllt die geheimsten Gedanken seiner Figuren.
  • Der arme Schriftsteller Philipp irrt durch die Stadt, während seine Freundin Emilia die Läden abklappert, um ihre gemeinsame Habe zu Geld zu machen.
  • Der farbige amerikanische Soldat Washington kämpft darum, dass seine deutsche Freundin Carla ihr gemeinsames Kind bekommt.
  • Der ebenfalls farbige Soldat Odysseus vergnügt sich auf Münchens Amüsiermeile und wird von einem rassistischen Mob verjagt.
  • Der amerikanische Dichter Mr. Edwin hält einen Vortrag im Amerikahaus. Danach lauern ihm jugendliche Kriminelle auf.
  • Eine Gruppe junger amerikanischer Lehrerinnen besucht München: Eine von ihnen macht sowohl Bekanntschaft mit Emilia als auch mit Philipp.
  • Koeppen erzählt mit harten Schnitten: Erst allmählich lassen sich Beziehungen der Figuren erkennen.
  • Der Titel des Romans ist ein Gertrude-Stein-Zitat: die ruhenden, aber leicht aufzuscheuchenden Vögel als Sinnbild für die menschliche Orientierungslosigkeit.
  • Die Kritiker lobten Koeppens Stil, rügten ihn aber für seinen mangelnden Optimismus.

Zusammenfassung

Von Erzherzögen und Luströssern

München, nach dem Zweiten Weltkrieg. Flugzeuge kreisen über der Stadt, aber niemand schenkt ihnen Beachtung. Sie haben keine Bomben mehr geladen. In der Garderobe eines Filmstudios wird Alexander angekleidet: Er spielt den "Erzherzog", eine Rolle in einer deutschen Superproduktion. Am Morgen ist er noch über seine schlafende Frau gestolpert: Messalina, das "Lustross", wie man sie in den Bars nennt. Zu viel Alkohol hat sie getrunken. Und nicht nur sie: Da waren noch die Lesbe Alfredo in tiefem Schlummer und das Mädchen Susanne, das Alexander zur Befriedigung seiner eigenen Lust in der Nacht aufgegabelt hatte. Das Kindermädchen Emmi hat unterdessen Alexanders kleine Tochter gewaschen: Hillegonda hatte allerdings keine Lust, gewaschen zu werden, keine Lust, hinauszugehen, keine Lust, in der Kirche für ihre Eltern um Vergebung zu bitten. Doch Emmi ist erbarmungslos: Wenn die Glocken läuten, zerrt sie das Kind in die Kirche.

Der arme Poet

Philipp hat die Nacht nicht zu Hause bei Emilia verbracht, sondern in der Absteige "Zum Lamm". Er irrt durch die Stadt. Soll er es wagen, nach Hause zu gehen? Hat sich Emilia beruhigt? Vielleicht ist sie inzwischen von ihrem Tobsuchtsanfall müde geworden und liegt auf dem Bett. Schreiben sollte er, ein Buch schreiben, aber er kann nicht. Sein letztes wurde erst von den Nazis verboten und später missachtet. Er kann nicht mehr schreiben, denkt er. Nun geht er mit einem Patentkleber hausieren, um Geld zu verdienen.

„Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel. (...) Noch waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer. Die Auguren lächelten. Niemand blickte zum Himmel auf.“ (S. 9)

Zu Hause wacht Emilia auf und sucht in der ganzen Wohnung nach Philipp. Nackt spaziert sie umher, als sie Philipps Schreibmaschine entdeckt. In ihren Augen ist er ein Versager, ein Schriftsteller ohne Ruhm - Ruhm, der ihr gebühren würde. Sie legt sich auf das Bett, zitiert Philipp in Gedanken zu sich her und beginnt zu onanieren. Emilia versucht zu vergessen, sie will das Hier und Jetzt verdrängen. Der Großvater hat für sie vorgesorgt. Doch die Millionen, die Reichsschatzanweisungen des Geheimen Kommerzienrates sind jetzt nur noch wertloses Papier. Nichts als Dreck. Gedanken rasen ihr durch den Kopf. Ihr Gesicht zuckt. Taumelnd geht sie zu Philipps Schreibmaschine und tippt: "Ich liebe dich doch, Phillip. Bleib bei mir."

Blut fürs Schlachtfeld

Frau Behrend, die "Frau Obermusikmeister", träumt vergangenen Zeiten nach, als ihr Ex-Mann noch in strammer Uniform den Freischütz dirigiert hat. Jetzt spielt er nur noch für amerikanische Soldaten, Schwarze, Nigger, in irgendwelchen Spelunken. Außerdem hat er sie für eine Tschechin verlassen. Ihre Tochter geht sogar mit so einem schwarzen Soldaten. Eine Schande. Immerhin gibt es jetzt wieder alles: Fleisch, Speck, Käse. Auch das Kino läuft wieder: Fünf ehemalige Hitlerjungen sehen sich schon am Morgen Der letzte Bandit an. Früher haben sie hier der Wochenschau gelauscht, sich an den Kriegsbildern berauscht. Kämpfen bis zum Endsieg, das wollten sie auch. Doch jetzt muss man ans Überleben denken. Die Mark fürs Kino ist nicht ehrlich verdient. Stehlen und Betteln heißt die Devise.

„Emilia war nicht schuld, dass die alte Sicherheit eingestürzt war, in deren Schoß zwei Generationen sich’s gemütlich gemacht hatten. Sie wollte Rechenschaft!“ (S. 37)

Gleich zehn Mark bekommt der Nervenarzt Dr. Behude für seinen Dienst am Leben: Er lässt sich Blut abzapfen. Blut gegen Geld, das ist der Deal. Während er auf dem Tisch liegt und ihm der Lebenssaft abgezapft wird, denkt er an seine Zukunft: Bald schon werden die Hilfesuchenden dieser Stadt wieder bei ihm auf dem Tisch bzw. der Couch liegen.

Der schwarze Odysseus

Am Bahnhof kommt Odysseus Cotton an. Dunkle Haut, strahlend weiße Zähne. Amerikanischer Besatzer, Schutzmacht, Sieger. In der Hand ein Kofferradio, aus dem beschwingt Night and Day herausdröhnt. Vor dem Bahnhof wartet der Dienstmann Josef auf Kundschaft. Krumm und lahm sitzt er da, gebeugt vom Schuften, vom Töten im Krieg. Er bietet sich an, das Radio zu tragen. Odysseus lässt es zu, lächelnd, wohlwollend, aus der Warte des Siegers. Gemeinsam schlendern sie durch die Gassen. Die Frauen beneiden den Schwarzen, den sie "Nigger" und "Bahama-Joe" nennen, denn er hat Geld. Kann man einen Schwarzen heiraten? Die Gefahr ist zu groß: Schwarze Bastarde will niemand haben, das wäre Rassenschande. Odysseus und Josef gehen an den Trümmern vorbei, den Schleppern und kleinen Gaunern, den Huren, den notdürftig errichteten Läden. An einer Kreuzung treffen sie fast auf Emilia, die auf dem Weg zum Pfandleiher ist. In einem schwarzen Cadillac fährt Mr. Edwin vorbei. Der Schriftsteller soll einen Vortrag im Amerikahaus halten. Was kann er den Menschen sagen im Land Goethes, Winckelmanns, Stefan Georges? Auch Dr. Behude, der eben mit seinem Fahrrad die Kreuzung erreicht, will Edwins Vortrag über den Sieg des abendländischen Geistes hören. Gut für seine Arbeit, gut für seine Patienten.

Liebe in Schwarzweiß

Noch jemand überquert die Kreuzung: Washington Price, Sergeant der US-Armee. Der schwarze Offizier überlegt sich, wie er seine deutsche Freundin Carla, die Tochter von Frau Behrend, davon überzeugen kann, dass sie sein Kind behält. Dazu braucht er Geld, viel Geld, denn dem Geld, das glaubt er, würde sie trauen - wenn schon nicht ihm selbst. Carla ist zur gleichen Zeit auf dem Weg zu Dr. Frahm. Das schwarze Kind in ihrem Leib soll er ihr wegmachen. Liebt sie Washington? Sie weiß es nicht. Sie hat arbeiten müssen. Ihr Mann, verschollen im Krieg, schickte kein Geld. Sie fing bei der Transporttruppe des US-Militärs als Sekretärin an. Washington war ihr Vorgesetzter. Er war höflich, beschützte sie vor den geilen Blicken der anderen Schwarzen, schenkte ihr Kaffee, Zigaretten, Konserven. Bald kamen die Nachbarn, bestellten bei ihr, was Washington besorgen sollte. Carla erschien das wie ein Tribut, den sie entrichten musste, damit die Nachbarn schwiegen und es akzeptierten, dass sie mit dem Schwarzen schlief. Sie war bereit, mit ihm in die USA zu gehen, berauschte sich an der Vorstellung von den Annehmlichkeiten in Amerika. Doch nun kommt dieses Kind. Sie will es nicht haben.

Das Land der Dichter und Denker

Im Reisebus fährt eine Schar amerikanischer Lehrerinnen vorbei. Unter ihnen ist die erst 21-jährige Kay. Für sie ist der Besuch der amerikanischen Besatzungszone ein historischer Moment. Sie findet, dass die Deutschen blass und grau aussehen. Unter dem Land der Dichter und Denker hat sie sich etwas anderes vorgestellt. Odysseus ist derweil mit seinem Begleiter Josef in einer Kneipe angekommen: Beide lassen sich das Bier schmecken. Unterdessen klingelt bei Washingtons Eltern am Mississippi das Telefon: Der Sohn braucht Geld, er will eine Weiße heiraten. O Gott, denken die Eltern, eine Weiße in ihrem Schwarzen-Ghetto! Juden waren in Deutschland unerwünscht, Schwarze sind es in den USA. Aber auch in Deutschland: Heinz, Carlas kleinem Sohn, reden alle ein, er sei arm dran, weil ein "Nigger" mit seiner Mutter gehe, und deshalb meidet der Junge seinen Ersatzvater Washington. Dieser hasst alle "Unerwünscht"-Schilder. Er träumt davon, ein kleines Lokal in Paris zu eröffnen. Dort würde er ein Schild aufhängen: "Niemand unerwünscht." Kurz darauf sucht er im Militärkaufhaus Wäsche für Carla aus. Die bittet derweil bereits den Arzt eindringlich, ihr das Kind aus dem Leib zu schneiden. Er will sie in eine Klinik einweisen.

Verwechslungen

Washington steht mit Blumen vor Carlas Tür. Vergebens: Sie ist fort. Von der Hauswirtin erfährt er, dass sie bei Dr. Frahm ist. Die Angst schnürt Washington die Kehle zu: Will sie sein Kind töten lassen? Emilia klappert inzwischen die Läden ab. Obwohl ein Antiquitätenhändler sie heimlich begehrt, kann sie ihre letzten Habseligkeiten nur zu einem Spottpreis versetzen. Philipp ist unterdessen das Opfer einer Verwechslung geworden: Eigentlich soll er für eine Zeitung den Dichter Edwin interviewen. Im Hotel halten ihn aber plötzlich alle für einen Vertrauten des Schriftstellers und bestürmen ihn mit Fragen. Unter den Leuten ist auch die Gruppe der Lehrerinnen. Die junge Kay gefällt Philipp. Er versucht aus dem Hotel zu fliehen. Im Hinterhof trifft er auf Edwin. Auch Emilia wird Edwin später begegnen: in einem Antiquitätengeschäft, wo sie wieder eine von Philipps kleinen Kostbarkeiten für wenig Geld verkaufen muss. Dann wird Philipp jedoch schon auf der Couch von Dr. Behude liegen und eine seiner Therapiesitzungen über sich ergehen lassen.

„Er brauchte Geld. Er wollte nicht unterliegen. Er wollte Carla, und er wollte Carlas Kind.“ (über Washington, S. 48)

Carla betritt das Domcafé, wo ihre Mutter, Frau Behrend, bereits sitzt. Sie möchte am liebsten gar nicht mit ihrer Tochter, der "Negergeliebten", gesehen werden. Trost bekommt Carla von ihrer Mutter keinen - nur den Ratschlag, dass es richtig wäre, den "Bastard" zu entsorgen, solange er noch nicht das Licht der Welt erblickt hat. Carla beeilt sich, schnell in die Klinik zu fahren. Dort allerdings eröffnet ihr der Doktor, dass er den Abbruch nicht vornehmen werde: Der "Erzeuger" sei bei ihm gewesen und er sehe keinen Grund, warum Washington kein guter Vater sein könne. Carla ist wie vom Donner gerührt.

Lust am Krieg und Flucht vor ihm

Richard Kirsch ist enttäuscht von München. Er hat erwartet, hier alles in Schutt und Asche vorzufinden, aber keine Spur davon. Schon im Flugzeug hat er sich vorgestellt, wie das besiegte Land aussehen würde. Richards Vater, ehemaliger deutscher Reichswehrsoldat, ist rechtzeitig vor Hitler in die USA ausgewandert. Er wurde Pazifist, wollte nicht mehr kämpfen und Konflikte friedlich lösen. Ganz anders der Sohn: Richard meldete sich zur Airforce. Jetzt will er seine Tante treffen: Frau Behrend. Unterwegs lernt er eine Strumpfverkäuferin aus dem Warenhaus kennen. Die sucht schon lange nach einem amerikanischen Mann, der nicht so gramvoll und leidgeplagt ist wie ihre deutschen Altersgenossen. Gemeinsam gehen die beiden ins Bräuhaus, wo sie Frau Behrend aber nicht finden können.

„War Philipp nicht Schriftsteller? Herr der Schreibgeräte? Ein gedemütigter Herr! Wenn er den Mund aufmachte, ein Zauberwort ausspräche, würden sie losklappern: willige Diener. Philipp wusste das Zauberwort nicht. Er hatte es vergessen. Er hatte nichts zu sagen.“ (S. 59)

Schnakenbach ist dem Krieg entflohen, indem er wochenlang Wachhaltedrogen genommen hat. Das machte ihn zu einem regelrechten Wrack, und die Musterungskommission befand ihn für untauglich. Jetzt lässt ihn sein Körper im Stich: Schnakenbach befindet sich in einer Art permanentem Schlaf, den er nur mit Medikamenten zeitweise unterbrechen kann.

„Washington will Geld vom Ersparten der Alten, er kündigt ihnen die Heirat an, das Kind, was wissen sie? Sie wissen. Verstrickung, der Sohn in Not. Nichts Gutes: Sünde.“ (S. 64)

Emilia ist inzwischen bei einem Juwelier angekommen. Aber der will ihren "Großmutterschmuck" nicht haben. Die amerikanische Lehrerin Kay ist auch im Laden. Emilia verspürt den Wunsch, etwas Subversives zu tun, sich von all den sie umgebenden Zwängen zu befreien: Sie schenkt Kay die Kette. Die beiden Frauen umarmen und küssen sich unter den ungläubigen Augen des Juweliers.

Der Mob will Rache

Messalina, die Frau des Schauspielers Alexander, ist in einer Wirtschaft auf der Suche nach dem Mädchen Susanne, das sie zu ihrer abendlichen Orgie einladen will. In der gleichen Kneipe befinden sich auch Odysseus und Josef. Der Schwarze ist bestohlen worden und wird handgreiflich. Der aufgebrachte Mob wirft ihn aus der Kneipe. Susanne folgt ihm. Sie war es, die ihm das Geld gestohlen hat. Als Odysseus in der Hitze des Gefechts Josef an der Stirn getroffen hat, ist dieser bewusstlos niedergesunken; der Mob schwört Rache. Josef aber ist nicht tot und wird ins Krankenhaus gebracht.

„(...) tu nur das Schlechte, lauf zum Arzt, es bleibt dir gar nichts anderes übrig, als das Schlechte zu tun, ich will dich hier nicht mit dem Negerkind -“ (Frau Behrend, S. 121)

Wütend beschuldigt Carla Washington, den Arzt gegen sie ausgespielt zu haben; wenig später beruhigt sie sich aber wieder. Im "Negerclub" trinkt das Paar auf die gemeinsame Zukunft. Gerüchte verbreiten sich im Bräuhaus wie ein Lauffeuer: Ein Schwarzer habe einen Taxifahrer erschlagen und dann noch ein Kind. Beides ist nicht wahr, dennoch entlädt sich der Hass der Leute. Washington wird fälschlicherweise für den vermeintlichen Mörder gehalten. Der "Negerclub" wird gestürmt. Die Menge wirft Steine. Einer davon trifft Carlas Sohn Heinz.

Der abendländische Geist

Das Amerikahaus, in dem Edwin seinen Vortrag halten soll, beginnt sich zu füllen. Philipp ist vom Neuen Blatt dazu verdonnert worden, über den Vortrag zu berichten. Kay will zu ihrer Reisegruppe aufschließen. Vor dem Eingang trifft die Amerikanerin Philipp wieder, der ihr mit Hilfe seines Presseausweises Zugang zu der eigentlich ausverkauften Veranstaltung verschafft. Schnakenbach hat sich in den Lesesaal des Amerikahauses zurückgezogen und schläft ein. Edwins Vortrag über den abendländischen Geist reißt niemanden vom Hocker, zumal die Lautsprecheranlage streikt und darum von den gelehrten Worten nur ein Gekrächze übrig bleibt. Philipp und Kay fliehen gemeinsam aus dem Saal. Sie fühlen sich zueinander hingezogen: Sie sieht in ihm den deutschen Dichter, er in ihr die amerikanische Fremde. Unterdessen winden sich Odysseus und Susanne bereits in den heftigen Zuckungen der Liebe: schwarz auf weiß in einer Hausruine. Kay und Philipp gehen in eine schmutzige Absteige und hören dort einen Hilfeschrei: Es ist Edwin. Der Dichter hat sich von seiner eigenen Lesung fortgestohlen und ist nun ein paar jugendlichen Kriminellen in die Hände gefallen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die formale Gestaltung dominiert in Koeppens Roman über den Inhalt. Aufbau, Stil und Technik machen den großen Reiz von Tauben im Gras aus. Rund 100 Handlungssplitter fügt Koeppen zu einem kaleidoskopartigen, auf den ersten Blick undurchsichtig scheinenden Romanteppich zusammen. Geschildert wird genau ein Tag im Nachkriegsleben einer deutschen Großstadt, die nicht beim Namen genannt wird; aus Sehenswürdigkeiten, Zeitungsschlagzeilen und Straßennamen lassen sich jedoch Ort und Zeit ableiten: München, wahrscheinlich am 20. Februar 1951. Koeppens Erzähler weiß alles, er kann die ungeordneten Gedankenströme seiner vielen großen und kleinen Figuren gleichermaßen wiedergeben und vermischt sie mit Reklamesprüchen und Schlagzeilen. Koeppen verfolgt die Menschen der Stadt wie ein Kameramann, fokussiert sie eine Weile, zoomt sogar kurz an ihre innersten Gefühle heran, geht dann wieder in die Totale und erfasst Figuren am Bildrand, mit denen er das gleiche Spiel wiederholt. Im zweiten Teil des Romans konzentriert sich die Handlung vor allem auf drei Orte: das Amerikahaus, ein Café und ein Bierlokal. Dort begegnen sich die handelnden Figuren, dort liegen die Knotenpunkte ihrer Lebenswege.

Interpretationsansätze

  • Intertextualität, also das Phänomen, dass ein Text auf andere Texte verweist, kommt in Koeppens Roman an mehreren Stellen vor. Bezüge auf die Bibel, die Mythologie und die Zeitgeschichte finden sich auf fast jeder Seite. Das offensichtlichste intertextuelle Element ist sicherlich das Konstrukt "ein Tag in einer Stadt", das stark an Ulysses von James Joyce erinnert. Mit der Figur des schwarzen Amerikaners Odysseus weist Koeppen ebenfalls auf den Jahrhundertroman des Iren hin.
  • Der Titel des Romans leitet sich von einem Wort der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein ab ("Pigeons on the grass alas") und spielt auf den Zustand der Orientierungslosigkeit der deutschen Nachkriegsgeneration an, die sich als Spielball der Supermächte empfand: wie Tauben, die sich im Gras eine Ruhepause gönnen und jederzeit wieder aufgescheucht werden können.
  • Bei der Vielzahl der Akteure im Roman ist es schwierig, eine eigentliche Hauptfigur auszumachen. Viele Rezensenten sehen den gescheiterten Schriftsteller Philipp, der autobiographische Züge Koeppens trägt, im Zentrum des Geschehens, aber auch der moralisch integre Washington spielt eine große Rolle.
  • "Jede menschliche Beziehung ist blöd", lässt Koeppen eine seiner Figuren sagen. Tatsächlich gleicht die Welt des Romans einem beziehungslosen und chaotischen Großstadtdschungel. Die Orientierungslosigkeit, die einen dort befällt, kann der Leser anhand von Koeppens Montagetechnik nachempfinden.
  • Koeppens Figuren wandeln wie Verurteilte durch eine sinnentleerte, trostlose Welt, in der sie alle auf der Flucht vor etwas zu sein scheinen, das sich nicht konkret fassen lässt. Es ist wohl die Flucht vor dem schieren Dasein in der Zeit nach dem Krieg, eine Art Lebensangst, die fast alle Figuren in der Hoffnungslosigkeit versinken lässt.
  • Am Ende des Romans schildert Koeppen ein Deutschland, das an der Nahtstelle zwischen West und Ost liegt. Ein dritter Weltkrieg scheint jederzeit möglich. Allerdings bilden solche politischen Fragestellungen nicht das Zentrum des Romans, der eher den Mikrokosmos von Individuen zeigt, die versuchen, sich in der Nachkriegswelt zurechtzufinden.

Historischer Hintergrund

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

Im Februar 1945 trafen sich der US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und der sowjetische Staatschef Josef Stalin in der Nähe von Jalta (damals UdSSR, heute Ukraine), um zu beschließen, was mit dem besiegten Deutschland nach dem Krieg geschehen sollte. Das Land wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt, die von jeweils einer der Siegermächte und einem gemeinsamen Kontrollrat verwaltet wurden: im Norden Großbritannien, im Osten die Sowjetunion, im Südwesten Frankreich und im Süden die USA. Die Hauptstadt Berlin teilte man ebenfalls in vier Besatzungszonen auf. Deutschland sollte entmilitarisiert, entnazifiziert, demokratisiert und dezentralisiert werden, und die überlebenden Nazigrößen sollten vor Gericht gestellt werden. Die Sowjetunion beanspruchte zehn Milliarden Dollar Reparationszahlungen und verlangte die Demontage eines Teils der deutschen Industrie. Die Grenze Polens verschob sich an die Oder-Neiße-Linie und das nördliche Ostpreußen fiel an die Sowjetunion.

Als die Sowjets begannen, in ihrer Zone den Sozialismus einzuführen, kam es zum Bruch mit den anderen Alliierten, die Deutschland nunmehr als Bollwerk gegen den Kommunismus wiederaufbauen wollten. Die Wege der Westzonen und der Ostzone trennten sich und es begann der Kalte Krieg, auch im politischen Leben des geteilten Deutschland: In der Sowjetzone wurde am 21. April 1946 die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) gegründet; am 15. September 1949 wählte der westdeutsche Bundestag mit Konrad Adenauer den ersten Bundeskanzler. Die Figuren in Koeppens Roman leben in diesem fragilen Staat, für den die Gefahr bestand, innerhalb kürzester Zeit auseinander zu brechen und Schauplatz eines dritten Weltkriegs zu werden.

Entstehung

Die Literatur nach 1945 wird mit Begriffen wie Trümmer-, Stunde-Null- oder Kahlschlagliteratur bezeichnet. Es geht darin um Heimkehrerschicksale und den Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg. Wolfgang Koeppen beschreibt in seinem Roman Tauben im Gras zwar auch das Schicksal der Menschen nach dem Krieg, allerdings meinen einige Interpreten, dass er mit dem Buch ästhetisch da weitergemacht habe, wo er vor dem Krieg aufgehört hat. In nur drei Monaten brachte er den Roman zu Papier - ein enormes Tempo, wenn man bedenkt, dass er seit 15 Jahren keinen Roman mehr veröffentlicht hatte. In einem Werkstattgespräch mit dem Schriftstellerkollegen Horst Bienek aus dem Jahr 1961 äußerte sich Koeppen tatsächlich so, als habe er 15 Jahre gewartet, um den Roman nach dem Ende der Nationalsozialisten schnell in die Tat umzusetzen: "Was nun die Tauben im Gras betrifft, so waren diese für mich in ihren Übertreibungen die Folge eines aufgestauten, eines zu spät verwirklichten Stilexperiments. (...) Natürlich hatte ich ein Pandämonium im Sinn. Immer. Ich sehe die Welt pandämonisch."

Unter Koeppens Vorbildern sind drei besonders augenfällig: Die Technik des Bewusstseinsstroms hat James Joyce in seinem Ulysses perfektioniert, und die Montagetechnik erinnert an Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz sowie an John Dos Passos’ Manhattan Transfer.

Wirkungsgeschichte

Die Reaktionen auf Tauben im Gras waren gespalten. Das Stilexperiment wurde gelobt, aber den Inhalt - diese hoffnungslose, kritische Sicht des deutschen Nachkriegsalltags - konnten einige Rezensenten Koeppen einfach nicht verzeihen. Er wurde der "pseudo-revolutionären Pubertät" bezichtigt und - nachdem auch der Nachfolgeroman Das Treibhaus erschienen war - sogar als Hochstapler bezeichnet: "Wir finden uns lieber für einige Jahrzehnte damit ab, das Feld junger deutscher Literaten unbewohnt, anstatt es als Rummelplatz dürftigen Hochstaplertums missbraucht zu sehen", ereiferte sich ein Kritiker. Der Mangel an Optimismus setzte sich in den beiden kurz darauf folgenden Romanen Koeppens fort und ging sogar in aggressive Töne über. Koeppen geriet in den Ruf, nur anklagen zu können, statt Positives zuwege zu bringen. Diese verengte Sichtweise veränderte sich freilich mit den Jahren und Jahrzehnten. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki schrieb über Tauben im Gras: "Wer diesen Roman nicht gelesen hat, der solle nicht glauben, er kenne die deutsche Literatur nach 1945." Auch wenn der Autor selbst dazu niemals Stellung bezogen hat, wird der Roman meist als erster Teil einer Trilogie gelesen, die durch Das Treibhaus und Der Tod in Rom ergänzt wird. Im Jahr 2000 wurde auf Initiative von Günter Grass und Peter Rühmkorf die Wolfgang-Koeppen-Stiftung ins Leben gerufen, um an den Autor zu erinnern und die Gegenwartsliteratur zu fördern.

Über den Autor

Wolfgang Koeppen wird am 23. Juni 1906 als uneheliches Kind in Greifswald geboren. Der Vater erkennt den Sohn nie an, deshalb verbringt dieser seine Kindheit nur in der Obhut der Mutter, zunächst in Ortelsburg in Ostpreußen. Mit 13 Jahren kehrt er nach Greifswald zurück. Um Geld zu sparen, muss der ehemalige Gymnasiast die Mittelschule besuchen, die er ohne Abschluss verlässt. 1919 beginnt er eine Buchhändlerlehre und hört Vorlesungen an verschiedenen Universitäten, vor allem in den Fächern Theaterwissenschaft und Literaturgeschichte. Stationen als Dramaturg in Würzburg (1926) und Feuilletonredakteur beim Berliner Börsen-Courier folgen. Neben Theater-, Film- und Literaturkritiken entstehen auch erste literarische Arbeiten. Ende 1933 muss Koeppen seinen Redakteursposten aufgeben. Er reist nach Italien und siedelt ein Jahr später in die Niederlande über. Zuvor erscheint sein erster Roman Eine unglückliche Liebe (1934) und ein Jahr später Die Mauer schwankt. 1938 kehrt Koeppen nach Deutschland zurück, weil er sich im Ausland keine Existenzgrundlage hat schaffen können. In Berlin schreibt er Drehbücher für die UFA, zieht dann in die Nähe des Starnberger Sees und nach München um, wo er u. a. für Bavaria-Film arbeitet. Von 1951 bis 1954 erscheinen seine drei Romane Tauben im Gras, Das Treibhaus und Der Tod in Rom, die als "Trilogie des Scheiterns" den Autor in der literarischen Welt bekannt machen. Koeppen schreibt in der Folge, gefördert durch den als Kulturredakteur beim Süddeutschen Rundfunk arbeitenden Alfred Andersch, vermehrt Reiseliteratur: Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre veröffentlicht er nach längeren Reisen Berichte über Russland, die USA und Frankreich. 1962 wird Koeppen der Büchner-Preis verliehen. Der Autor schreibt nur noch wenig, erst 1971 wagt er sich an den Prosaband Romanisches Café und 1976 an den autobiographischen Roman Jugend. Koeppen, von der Kritik oft als großer Schweiger der deutschen Literatur bezeichnet, veröffentlicht bis zu seinem Tod vor allem kleinere Schriften, Erzählungen und weitere Reiseberichte. Er stirbt am 15. März 1996 in München.

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