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Heldenplatz

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Heldenplatz

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Ein monströser Hassausbruch gegen Österreich: Thomas Bernhards letztes Theaterstück löste schon vor seiner Uraufführung einen landesweiten Skandal aus.

Literatur­klassiker

  • Drama
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Theatralischer Frontalangriff auf Österreich

Mit Heldenplatz unternahm Thomas Bernhard 1988, kurz vor seinem Tod, einen letzten Frontalangriff auf seine österreichischen Landsleute. Bernhard, einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit, schrieb das Theaterstück anlässlich des 100. Geburtstags des Wiener Burgtheaters und des 50. Jahrestags von Österreichs "Anschluss" an Nazi-Deutschland. Heldenplatz spielt nach dem Selbstmord eines alten jüdischen Professors in Wien. Hausangestellte und Familie blicken auf dessen Verbitterung zurück und ereifern sich dabei in wütenden Schimpftiraden über den Judenhass der Wiener, die Stumpfsinnigkeit der Österreicher, die Verderbtheit der Politik und die Niederträchtigkeit des Menschen im Allgemeinen. Die Witwe des Verstorbenen hört im Wahn noch immer die Volksmassen schreien, die 1938 auf dem Wiener Heldenplatz Adolf Hitler begeistert willkommen hießen. Der wortmächtige Übertreibungskünstler Bernhard verzichtet auf einen klassischen Konflikt und macht den brillant aufbrausenden Text selbst zum eigentlichen dramatischen Zentrum seines Werks. Im Jahr der Premiere löste das Stück einen landesweiten Skandal aus. Die Wucht des Textes ist nach wie vor beeindruckend - heute allerdings lassen sich auch seine komischen Qualitäten genießen.

Take-aways

  • Heldenplatz ist das letzte Theaterstück des österreichischen Autors Thomas Bernhard. Es wurde 1988, wenige Monate vor seinem Tod, uraufgeführt.
  • Das Stück provozierte bereits vor der Premiere einen landesweiten Skandal. Politiker und Journalisten protestierten gegen die darin enthaltenen Schmähungen Österreichs.
  • Der "Übertreibungsvirtuose" Thomas Bernhard legt seinen Hauptfiguren zahlreiche Hasstiraden gegen Land und Leute in den Mund.
  • Ein alter jüdischer Professor hat in seiner Wohnung am Wiener Heldenplatz Selbstmord begangen. Die drei Szenen des Stücks spielen am Tag seiner Beerdigung.
  • Seine Wirtschafterin und sein Hausmädchen rekapitulieren in der ersten Szene die Lebensansichten des verbitterten Dahingeschiedenen.
  • Die zweite Szene spielt im Volksgarten: Die Töchter des Toten sowie sein Bruder, ebenfalls Professor, ereifern sich über Österreichs Verkommenheit.
  • In der dritten Szene trifft sich die Familie zum Leichenschmaus in der Wohnung am Heldenplatz. Auch hier gehen die Hassreden weiter.
  • Immer wieder wird der vermeintliche Judenhass der Wiener angeprangert.
  • Die Witwe des Verstorbenen hört seit Jahren im Wahn die Volksmassen schreien, die Hitler 1938 auf dem Heldenplatz zujubelten.
  • Gegen Ende des Stücks schwillt das Geschrei bedrohlich an. Nur die Witwe hört es - und die Zuschauer.
  • Schließlich fällt die Witwe mit dem Kopf auf die Tischplatte. Es herrscht großes Erschrecken.
  • Bernhard verfügte testamentarisch, dass für die Dauer des Urheberrechts, also 70 Jahre, jede Aufführung und Veröffentlichung seiner Werke in Österreich verboten sei.

Zusammenfassung

Erste Szene: Reinemachen zur Beerdigung

Professor Josef Schuster hat Selbstmord begangen, indem er sich aus dem Fenster seiner Wohnung nahe des Wiener Heldenplatzes gestürzt hat. Am Tag der Beerdigung sind die Wirtschafterin Frau Zittel sowie das Hausmädchen Herta damit beschäftigt, die Habseligkeiten des Professors für die Räumung der Wohnung herzurichten. Die beiden befinden sich im großen Garderobenzimmer, in dem mehrere nach Oxford adressierte Koffer stehen geblieben sind. Herta schaut, während sie Schuhe putzt, immer wieder aus dem Fenster - offenbar versucht sie, den Selbstmord des Professors zu verstehen. Frau Zittel, mit der Kleidung des Verstorbenen befasst, beginnt ein Gespräch, das fast zum Monolog wird, denn Herta unterbricht den Redestrom der Wirtschafterin stets nur mit kurzen Bemerkungen.

„dass ich Österreicher bin / ist mein größtes Unglück“ (Professor Josef Schuster laut Frau Zittel, S. 25)

Der Professor und die Frau Professor standen kurz davor, nach Oxford umzuziehen. Dort hatten sie als jüdische Emigranten bereits die Kriegs- und Nachkriegszeit verbracht. Nun werde die Frau Professor, so meint Frau Zittel, wohl fürs Erste aufs Land nach Neuhaus ziehen. Wien habe sie immer gehasst. In der Wohnung am Heldenplatz höre sie ständig ein gespenstisches, massenhaftes Geschrei. Das sei auch der Grund für den Plan, nach Oxford zurückzukehren: Dort gebe es keinen Heldenplatz, dort sei Hitler nie gewesen, dort gebe es keine Wiener, und dort schrien die Massen nicht, um ihren Führer willkommen zu heißen.

Das größte Unglück: Österreicher sein

Der Professor sei ja gar nicht krank gewesen, fährt Frau Zittel fort. Anders sein Bruder - der sei bereits von Kindesbeinen an herzkrank und bekäme nun kaum noch Luft. Frau Zittel beginnt, Hemden zu bügeln. Der Professor habe Unordnung gehasst und sei sehr diszipliniert gewesen, wiederum im Gegensatz zu seinem Bruder, dem alles gleichgültig sei. Ganz sicher werde die Frau Professor, die doch ein Stadtmensch sei, es in Neuhaus nicht lange aushalten. Der Professor habe im Grunde ja nur seinen Bruder geliebt und alle anderen gehasst. Franzose habe er sein wollen, Österreicher zu sein, sei sein größtes Unglück gewesen. Immer wieder habe ihr der Professor, ein selbsterklärter "Genauigkeitsfanatiker", wütend gezeigt, wie die gebügelten Hemden zusammenzulegen seien. Frau Zittel erzählt weiter, dass die Frau Professor bereits seit zehn Jahren das Geschrei vom Heldenplatz höre. Der Professor habe die Wohnung trotzdem nicht aufgeben wollen. Das wäre ja - habe er immer gesagt -, als würde ihn Hitler zum zweiten Mal aus der Wohnung verjagen. Der Professor habe seine eigenen Töchter gehasst. Er habe sie seine "studierten Schauertöchter" genannt und seinen Sohn eine Niete. Man wünsche sich Kinder und bekäme stattdessen Unmenschen. Frau Zittel bügelt weiter und erinnert sich: Seide hat der Professor nicht ertragen. Überhaupt stoße ihn alles ab, so sagte er, was die Menschheit liebe. In Wien hielt er es nicht mehr aus, aber nach Oxford wollte er im Grunde auch nicht zurück.

Spießrutenlauf durch den Hass

Zum Essen wird die Familie des Verstorbenen erwartet. Frau Zittel freut sich, dass bereits der Tisch gedeckt ist. Die Hemden des Professors müssten nach wie vor gebügelt werden, denn nun könne dessen Sohn sie tragen, ebenso wie die Schuhe. Dem Professor seien immer alle ausgeliefert gewesen, einschließlich der drei Kinder. Sie selbst sei böse von ihm traktiert worden, doch habe er auch gesagt, dass sie als Einzige etwas wert sei. In Wien zu existieren war dem Professor zufolge eine Unmenschlichkeit. Er habe gesagt, die Stadt sei schlimmer als vor 50 Jahren, seine Tochter werde als Jüdin angespuckt, und an der Universität absolviere er selbst einen Spießrutenlauf durch den Hass. Zu Herta sagt Frau Zittel, sie dürfe sich glücklich schätzen, dass sie keine Eltern habe. Die Elternlosen, so der Professor, seien lebenslänglich im Vorteil. Der Professor sei nicht verrückt gewesen, nur unverstanden. Der Geistesmensch - habe er immer gesagt - sei ewig allein und unverstanden. Frau Zittel richtet Herta das Haar. Dann sehen beide aus dem Fenster, da die Herrschaften bald eintreffen werden.

Zweite Szene: Ein Gang durch den Volksgarten

Anna und Olga, die Töchter des Professors, gehen nach dem Begräbnis ihres Vaters gemeinsam durch den Wiener Volksgarten, der Wohnung am Heldenplatz entgegen. Ihr Onkel, Professor Robert, kommt nur langsam nach. Anna bekundet, soeben das kürzeste und fürchterlichste Begräbnis ihres Lebens überstanden zu haben. In Oxford, sagt sie, wäre ihr Vater auch nicht mehr glücklich geworden. Ihr selbst sei Oxford ein Alptraum. Nur sei Wien eben täglich ein noch viel größerer Alptraum. Mittlerweile gebe es dort mehr Nazis als 1938. Sie kämen wieder aus ihren Löchern gekrochen und warteten nur darauf, offen feindselig gegen die Juden vorgehen zu können. In Österreich werde man im Grunde nur geduldet, wenn man aufrichtiger Nazi oder aufrichtiger Katholik sei. 90 % ihrer Kollegen an der Universität seien Nazis. Man komme nur mit Stumpfsinn und Niedertracht an einen öffentlichen Posten. Dem Vater sei ja am Ende gar kein Gespräch mehr möglich gewesen, höchstens noch mit seinem Bruder, dem Onkel Robert. Der sei kein Selbstmordtyp, der habe nicht immerzu Angst und könne das Leben noch genießen. Der Vater sei doch eigentlich eher mit Frau Zittel verheiratet gewesen. Die Mutter habe er vernichtet. Die sei unfähig zu einer geistigen Beschäftigung. Die Zittel habe dagegen angefangen, seinetwegen Philosophie zu lesen.

Die Welt ist längst zerstört

Olga bleibt zurück, um Professor Robert, der an zwei Stöcken geht, zu einer Bank zu begleiten. Abermals wird über Oxford und Neuhaus gesprochen. Die Kinder des Verstorbenen werden das neu erworbene Haus in England wieder verkaufen müssen. Der Umzugsplan war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Mutter sei nach Neuhaus verbannt, das sie zwar hasse, an das sie sich aber nun gewöhnt habe. Auch Professor Robert lebt in Neuhaus, wird allerdings heute in der Wohnung seines toten Bruders am Heldenplatz bleiben. Anna fragt ihren Onkel, ob er bereits gegen die neue Straße protestiert habe, die Neuhaus und auch den Garten der Familie durchschneiden werde. Professor Robert jedoch will nicht protestieren - schon gar nicht jetzt, an seinem Lebensabend. Er will seine Ruhe haben. Der Selbstmord sei übrigens keine Überraschung für ihn gewesen. Schließlich habe sein Bruder schon als Kind mit dem Gedanken gespielt. Und zuletzt sei seine Situation wirklich aussichtslos gewesen. Die Wohnung am Heldenplatz - fatal. Das Landleben - verhasst. Außerdem habe er genau wie seine Frau an Verfolgungswahn gelitten.

„es gibt jetzt mehr Nazis in Wien / als achtunddreißig / du wirst sehen / alles wird schlimm enden“ (Anna zu Olga, S. 63)

Anna protestiert gegen den Vorwurf des Verfolgungswahns: Der neue Judenhass sei wirklich schlimmer als 1938, nur wolle er, Onkel Robert, das nicht wahrhaben. Natürlich, sagt Professor Robert, die Wiener seien und blieben Judenhasser. Er wisse das zwar, aber er lasse sich nicht mehr darauf ein. Da könne er gleich ununterbrochen protestieren, angesichts des weltweiten Raubbaus an fast allem. Die Welt sei doch längst zerstört, von den Regierenden, den Architekten, den Intellektuellen und in Österreich vor allem von den Parteien und der Kirche. Die Österreicher seien ein dummes und brutales Volk - eigentlich erstaunlich, dass nicht alle bereits aus reiner Verzweiflung Selbstmord begangen hätten. Dem Volk sei nur das Theater geblieben. Überhaupt sei das ganze Land ein Theater. Sechseinhalb Millionen Statisten schrien nach einem Regisseur. Der werde kommen und das vom Unglück besessene Volk endgültig in den Abgrund stoßen.

Das Aus ist das Ziel

Professor Robert räumt ein, auch Oxford sei nicht frei von Judenhass. Eigentlich würden die Juden in ganz Europa gehasst. Anna bittet ihren Onkel, sich zu beruhigen. Dieser entgegnet, er gestatte sich eben gelegentlich eine Erregung, um zu beweisen, dass er noch am Leben sei. Er blickt aufs Parlamentsgebäude. Alles sei am Tiefpunkt angekommen, Österreich sei eine geist- und kulturlose Kloake, die ganz Europa verpeste. Die regierenden Pseudosozialisten hätten den aktuellen Nationalsozialismus erst heraufbeschworen, sie seien die Totengräber des Landes. Im Grunde sei der Bruder jetzt gut aufgehoben. Das Aus ist das Ziel! Denn das Leben biete letztlich nichts als Schmerz. Und als Jude sei man in Österreich ohnehin zum Tode verurteilt. Der Judenhass sei nun einmal die absolut unverfälschte Natur der Österreicher. Gern würde Professor Robert über diese Zustände ein Buch schreiben. Doch ihm fehle längst die Kraft. Was die Schriftsteller schrieben, verfehle ohnehin die Wirklichkeit. Sie gäben zwar zu, dass alles fürchterlich sei. Doch die Wirklichkeit sei noch viel fürchterlicher, als man je beschreiben könne. Am Ende bleibe womöglich tatsächlich nur der Selbstmord.

Dritte Szene: Warten am Esstisch

Im Speisezimmer der ausgeräumten Wohnung am Heldenplatz sitzen Professor Robert, Anna, Olga, Professor Liebig und Frau sowie Herr Landauer am notdürftig gedeckten Tisch. Sie erwarten die Witwe des Verstorbenen und deren Sohn Lukas. Der hat nach der Beerdigung zunächst seine Geliebte, eine Burgtheater-Schauspielerin namens Fräulein Niederreiter, nach Hause gebracht, um dann mit der Mutter weiterzufahren, Richtung Heldenplatz. Professor Robert regt sich erneut auf - begleitet von gelegentlichen zustimmenden Kommentaren des Kollegen Liebig. Er möchte sich zwar noch immer nicht die Laune verderben lassen, aber der Amerikanismus habe alles in Wien zerstört. Außerdem stecke in jedem Wiener ein Massenmörder. Die österreichischen Regierungen seien austauschbar. Was die Politiker dächten und sagten, sei Unrat. Auch die Zeitungen, fügt Professor Liebig an, schrieben nur Mist und seien Schweineställe. Professor Robert zieht allerdings den Abschaum der Sensationspresse der Abgeschmacktheit seriöser Zeitungen vor. Mit den wirklichen Drecksblättern bringe er seinen Blutkreislauf schon morgens in Wallung. Abermals äußert er Verständnis für den Freitod seines Bruders. Auch er selbst sei im Grunde schon seit Jahren tot und warte nur noch darauf, ganz und endgültig tot zu sein.

Alle zusammen sind todunglücklich

Gelegentlich werden am Tisch familiäre Angelegenheiten kommentiert. Ist Onkel Robert eventuell bereit, nun die Altersheimkosten von Frau Zittels Mutter zu übernehmen? Waren nicht Hertas Großeltern im Konzentrationslager? Wie konnte Lukas bloß so geschmacklos sein, seine Geliebte nach dem Begräbnis umständlich nach Hause zu fahren? Längst müsste er mit der Mutter da sein. Die Katastrophe werde eintreten, sagt Professor Robert: Das Fräulein Niederreiter werde Lukas heiraten und damit die Familie endgültig vernichten. Er und sein Bruder Josef hätten nie nach Wien zurückkehren dürfen. Unter der Oberfläche sei der Nationalsozialismus längst wieder an der Macht.

„In Österreich musst du entweder katholisch / oder nationalsozialistisch sein / alles andere wird nicht geduldet / alles andere wird vernichtet“ (Anna, S. 63)

Professor Robert erinnert sich: Durch die Vermittlung eines befreundeten Kollegen konnten sein Bruder und er damals über die Schweiz nach England flüchten. Josef lehrte später in Oxford, er selbst in Cambridge. Sein Bruder mochte nie über seine Arbeit sprechen. Er hasste Debatten. Auch alle Verehrung habe er immer gehasst. Herr Landauer, ein Freund und Verehrer des Verstorbenen, erinnert sich an seltene Momente, in denen der Professor lauter glückliche Menschen um sich herum sah. Allerdings habe er daraufhin angemerkt, dass sie alle zusammen eben doch todunglücklich seien. Welcher Abstand, sagt Professor Robert, sei zu erkennen zwischen dem Geist seines Bruders und dem Stumpfsinn, der über Österreichs Universitäten gekommen sei. Die Geistesbedürfnisse in diesem gefährlichsten aller europäischen Staaten befänden sich auf dem Nullpunkt. Nur unter größter Selbstverleugnung könne man sich überhaupt noch einmal wohlfühlen beim Spaziergang in Wien. Beneidenswert die Kraft des Bruders, dem es gelang, sich aus diesem Unstaat ins Aus zu retten.

Das Geschrei der Massen vom Heldenplatz

Frau Professor und ihr Sohn Lukas treffen ein. Es wird Platz gemacht. Frau Zittel trägt die Suppe auf. Lukas und seine Mutter überlegen, später noch Minna von Barnhelm im Theater in der Josefstadt zu sehen. Möglicherweise, gibt Lukas zu bedenken, sei das allerdings geschmacklos: nach dem Begräbnis eine Komödie zu besuchen, noch dazu in der Josefstadt, wo selbst Tragödien zu Operetten verhunzt würden. Die Wiener Theaterlage sei fatal, wirft Professor Robert ein: Das Burgtheater habe auf gemeingefährliche Weise den Ernst gepachtet, während das Lachen in der Josefstadt die Menschen gemein mache. Zunehmend klarer ist das Geschrei der Massen bei Hitlers Ankunft 1938 auf dem Wiener Heldplatz zu hören. Frau Professor Schuster verkrampft sich: Sie ist die Einzige am Tisch, die den langsam anschwellenden Lärm vernimmt. Das Tragische, sagt Professor Robert, sei nicht der Tod seines Bruders, sondern das eigene Zurückbleiben. Man stecke in der Österreichfalle. Es sei eine absurde Idee gewesen, nach Wien zurückzugehen. Aber die Welt bestünde nun einmal aus absurden Ideen. Das Geschrei der Massen vom Heldenplatz wird fast unerträglich laut. Der Kopf von Frau Professor Schuster fällt vornüber auf die Tischplatte. Alle erschrecken.

Zum Text

Aufbau und Stil

Heldenplatz besteht aus drei Szenen. Das Stück folgt weder der Fünf-Akte-Struktur des klassischen Dramas noch besitzt es eine dramatische Handlung im traditionellen Sinn. An die Stelle des dramatischen Konflikts tritt bei Bernhard die dramatische Struktur des Texts. Mithilfe literarischer Techniken wie Übertreibung, Steigerung und Variation kommt er wieder und wieder auf bestimmte inhaltliche Motive zurück. Stilistisch gelingt es Bernhard, eine Balance aus sprachlicher Eleganz und Brutalität zu finden. Seine Ausdrucksweise wird nie vulgär. Im Gegenteil erhöht das Zusammenspiel von bildungsbürgerlichem Duktus und dem Extrem-Vokabular von Wut und Entgleisung die literarische Kraft des Stückes. Dabei gewinnt der Rhythmus des Textes eine nahezu musikalische Qualität. Bernhards Personen sind vordergründig realistisch konzipiert. Sie verhalten sich allerdings auf überzeichnete Weise zwanghaft. Statt um psychologisch voll ausgebildete Charaktere handelt es sich eher um Sprachrohre mit wiederkehrenden Reflexen. Die Textmenge ist sehr ungleich verteilt: Die Beiträge passiver Figuren wie Herta, Olga oder Frau Professor Schuster beschränken sich in der Regel auf knappe Einwürfe. Aktive Figuren wie Frau Zittel und Anna, vor allem aber Professor Robert, schwingen ihre Reden dagegen ohne große Rücksicht auf etwaige Gesprächspartner. Sie brauchen das Gegenüber bestenfalls als Stichwortgeber. So wird das dramatische Prinzip des Dialogs quasi durch eine Aneinanderreihung von Monologen ersetzt. Wie sehr Bernhards Stück im Übrigen vor Wut und Verzweiflung vibrieren mag - es lässt sich durchaus auch als komisches Werk verstehen, zumal der Österreichhass in dieser monströsen Ausprägung kaum für jedermann verständlich ist.

Interpretationsansätze

  • Mit Heldenplatz reagierte Bernhard unmittelbar auf das so genannte "Bedenkjahr 1988", mit dem in Österreich des 50. Jahrestags des "Anschlusses" ans nationalsozialistische Deutsche Reich gedacht wurde. Der Titel des Stücks bezieht sich auf jenen zentralen Wiener Platz, auf dem die Österreicher Adolf Hitler begeistert willkommen hießen. Doch die Geschichte ist nicht aus und vorbei: Die Mitglieder der Familie Schuster beklagen voller Wut einen neuen Judenhass in der österreichischen Gesellschaft.
  • Bernhard übt in seinem Stück krasse Kritik am Wesen der Österreicher. Sie erfolgte zu einer Zeit, in der durch die Affäre um Kurt Waldheim und den Aufstieg der rechtspopulistischen Partei FPÖ die ungenügende Vergangenheitsbewältigung im Land erneut zum Problem wurde.
  • Über diese konkrete Anklage hinaus ist Heldenplatz ein leidenschaftlicher Rundumschlag gegen einen allgemeinen Kulturverfall. Bernhards Schimpfkaskaden zielen auf korrupte Politiker, geistlose Akademiker, gemeingefährliche Bürger, skrupellose Kapitalisten und letztlich auf die Verkommenheit des Menschen an sich. Niemand entkommt den schrillen Vorwürfen. Ob allerdings die extreme Überzeichnung gesellschaftliche Probleme klarer sehen lässt oder sie im Gegenteil eher verwischt, ist eine strittige Frage.
  • Bernhards Ankläger scheinen selbst unheilbare Zwangscharaktere zu sein, die fast automatisch ihrem Hass freien Lauf lassen. Auch wenn der Autor den Schmähreden einen vernünftigen Kern unterstellen mag, so zeigt er doch zugleich die Fixierung der Redner und ihre tragische Unfähigkeit zum Glück. Sie vergraben sich in die Verzweiflung und feiern ihren Weltekel. Darin steckt auch ein Stück Selbstkritik Bernhards an der eigenen Erregungsmethodik.

Historischer Hintergrund

Das Bedenkjahr und der Geschichtsklitterer

Ende der 80er Jahre galt Österreich als moderner, gefestigter Sozialstaat. Seit Anfang der 70er Jahre wurde das Land von den Sozialdemokraten regiert. 1988 kam es zu einem geschichtsträchtigen Jubiläum: Während dieses sogenannten "Bedenkjahres" setzte sich das Land offiziell mit dem fatalen "Anschluss" an Hitlers Deutsches Reich auseinander, den 50 Jahre zuvor große Teile der österreichischen Bevölkerung gutgeheißen hatten. Nur zwei Jahre vor dem "Bedenkjahr" war das Land bereits mit einem anderen, fragwürdigen Fall von Vergangenheitsbewältigung konfrontiert worden: 1986 kandidierte der ehemalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim für das Amt des Bundespräsidenten. Zwei Monate vor der Wahl enthüllte das Nachrichtenmagazin profil, dass Waldheim in seiner Autobiografie über die eigene Rolle während des Nationalsozialismus unvollständig und z. T. falsch informiert hatte. Obwohl ihm u. a. die SA-Mitgliedschaft nachgewiesen werden konnte, stritt Waldheim alle Vorwürfe ab und wurde, ungeachtet der schlechten Presse, zum Bundespräsidenten gewählt. Damit bekleidete zur Zeit des "Bedenkjahrs" ausgerechnet ein Mann das höchste repräsentative Staatsamt, der der Mitwisserschaft an nationalsozialistischen Verbrechen verdächtig war und offenbar bereitwillig die Vergangenheit verdrängte. 1986, im Jahr der Waldheim-Affäre, gelang es außerdem dem rechtspopulistischen Jungpolitiker Jörg Haider, Vorsitzender der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) zu werden. Mit seiner nationalistischen Orientierung und fremdenfeindlichen Untertönen prägte er in den Folgejahren die Politik der Partei und bescherte dieser eine ungeahnte Popularität, bis sie nach der Jahrtausendwende bei Wahlen abstürzte und sich spaltete. Erst 1991 rang sich die damalige österreichische Regierung unter Franz Vranitzky zu einem eindeutigen Bekenntnis der Mitschuld Österreichs an Verbrechen der NS-Zeit durch.

Entstehung

Heldenplatz entstand als Auftragsarbeit zum 100-jährigen Bestehen des Burgtheater-Gebäudes. Der damalige Intendant des Theaters, Claus Peymann, war Bernhards Hausregisseur. Seit 1970 hatte er die Mehrzahl von Bernhards knapp 20 Dramen zur Uraufführung gebracht. Bernhard schrieb das Stück zunächst im Winter 1987/88 in seinem abgelegenen Bauernhaus bei Ottnang. Durch verschiedene chronische Krankheiten war er gesundheitlich bereits stark geschwächt. Das Stück sollte ursprünglich am 14. Oktober 1988 Premiere haben, pünktlich zum Burgtheater-Jubiläum. Doch mehrere Schauspieler rebellierten - gegen den ihnen verhassten Intendanten Peymann und gegen die maßlosen Hassreden im Stück, in denen auch das Burgtheater selbst geschmäht wird. Auszüge des noch unveröffentlichten Textes gelangten an die Presse und lösten einen Aufschrei der Empörung aus. Zahlreiche Politiker protestierten gegen Zitate, denen zufolge die Österreicher Nazis und Debile seien. Bundespräsident Kurt Waldheim, ehemals SA-Mitglied, empfand die Textstellen als "grobe Beleidigung des österreichischen Volkes" und ersuchte bereits vor der Premiere um die Absetzung des Stückes, in dem übrigens er selbst als "ein verschlagener verlogener Banause und alles in allem deprimierender Charakter" nicht besonders gut wegkommt. Der Vorsitzende der Freiheitlichen Partei, Jörg Haider, forderte gar einen Landesverweis für den Deutschen Peymann. Bernhard, der Aufregung und Protest von früheren Skandalen her kannte, gab nicht klein bei, sondern konterte: "Die Fassung, über die sich jetzt alle aufregen, war ja viel zu schwach! Ich hab’ das Stück verschärft und noch viel Scheußlicheres gefunden." Heldenplatz wurde schließlich am 4. November 1988 am Burgtheater uraufgeführt.

Wirkungsgeschichte

Die Uraufführung endete mit Buhrufen und Protesten - aber auch mit einem knapp 45-minütigen Applaus. In der vom vorangegangenen Skandal aufgeheizten Atmosphäre galt der Beifall nicht nur dem Stück, sondern auch dessen wehrhaftem Autor Thomas Bernhard.

Die Theaterkritik, obwohl sie keineswegs an Bernhards Rang innerhalb der zeitgenössischen Literatur deutscher Sprache zweifelte, war allerdings nicht wirklich begeistert vom Stück selbst. Die Schimpftiraden, der grantelnde Akademiker, die gescheiterte Familie - viele Elemente seien aus anderen Werken Bernhards bereits gut bekannt und dort treffender gestaltet worden. "Entweder ist Heldenplatz ein starkes Stück mit etlichen Schwächen", schrieb ein Kritiker in der Zeit, "oder es ist ein schwaches, trübes Stück, von Genieblitzen illuminiert." Der Autor Bernhard wurde prinzipiell verteidigt, doch man kritisierte sein offensichtliches Spekulieren auf den größtmöglichen Knalleffekt.

Wenige Tage vor seinem Tod am 12. Februar 1989 verfügte Bernhard testamentarisch, dass für die urheberrechtliche Dauer von 70 Jahren jede Aufführung und Veröffentlichung seiner Werke in Österreich zu verbieten sei. Dieses Verbot wurde später durch die Nachlassverwalter gelockert. In Bernhards Theaterstücken, vor allem in den monologisierenden Passagen aufbrausenden Hasses oder Ekels, kann man ein zentrales Element des so genannten "postdramatischen Theaters" entdecken: Anstelle von Handlung und Handelnden wird der Textkörper selbst zum eigentlichen dramatischen Ereignis.

Über den Autor

Thomas Bernhard wird am 9. Februar 1931 in den Niederlanden als unehelicher Sohn österreichischer Eltern geboren. Den Vater lernt er nie kennen. Die Mutter, eine mittellose Haushaltshilfe, gibt den Sohn zunächst in Pflege. Das Verlassensein prägt Bernhard und sein späteres Werk tief. 1932 kehrt die Mutter nach Österreich zurück, sie lebt mit dem Kind bei ihren Eltern. Bernhards Großvater Johannes Freumbichler ist ein verarmter Heimatschriftsteller, der dem Enkel bald als Vaterersatz gilt. Die Schulzeit empfindet Bernhard als Qual. 1945 misslingt ein Selbstmordversuch. Armut und schlechte Noten veranlassen ihn 1947 zur Aufgabe der Schule und zum Beginn einer Lehre. 1949 kommt er aufgrund einer Rippenfellentzündung ins Krankenhaus und entgeht nur knapp dem Tod. Dann wird Tuberkulose diagnostiziert. Bernhard verbringt knapp zwei Jahre in Krankenhäusern und Sanatorien; dort beginnt er zu schreiben und lernt auch seinen "Lebensmenschen", die 35 Jahre ältere Hedwig Stavianicek kennen. Im Anschluss arbeitet er als Journalist, später studiert er Schauspiel. 1957 veröffentlicht er seinen ersten Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle. Doch erst der Roman Frost (1963) bringt den Durchbruch. Bernhard gilt bald als einer der wichtigsten Autoren deutscher Sprache. Auch sein zweiter Roman Verstörung (1967) wird gefeiert. 1970 inszeniert Claus Peymann Bernhards erstes langes Theaterstück Ein Fest für Boris. Damit beginnt eine fruchtbare Zusammenarbeit, denn Peymann wird etliche von Bernhards abendfüllenden Stücken auf die Bühne bringen. Bernhard setzt sich unter Schreibdruck, sei es wegen seiner Immobilienkäufe oder seiner sich verschlechternden Gesundheit. Er veröffentlicht oft mehrere Werke pro Jahr, bis ihn Mitte der 80er Jahre Atemnot und Herzschwäche langsam in die Knie zwingen. 1984 rüttelt der Roman Holzfällen die Wiener Künstlerszene auf, 1986 erscheint sein Prosa-Meisterwerk Auslöschung, und Ende 1988 erlebt Bernhard mit Heldenplatz eine letzte Skandalpremiere. Am 12. Februar 1989 stirbt Thomas Bernhard in Gmunden an Herzversagen.

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