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Mattia Pascal

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Mattia Pascal

Manesse,

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10 take-aways
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What's inside?

Ein Taugenichts kommt zu Geld und nimmt eine neue Identität an, die ihn aber nicht glücklich macht: der bekannteste Roman des Bühnengenies Pirandello.

Literatur­klassiker

  • Entwicklungsroman
  • Moderne

Worum es geht

Die Unmöglichkeit, ein anderer zu sein

Mattia Pascal durchlebt die typische Identitätskrise des modernen Menschen: Wer bin ich, wo komme ich her, wo gehe ich hin? Manchem Leser wird der Versuch, sich ein passendes Ich zurechtzuschneidern – und daran zu scheitern –, bekannt vorkommen. Mattias Fall ist freilich besonders drastisch: Durch Zufall reich geworden und für tot gehalten, beginnt er ein neues Leben jenseits der früheren Enge und Armut. Doch bleibt ihm die Liebe verwehrt, sodass er schließlich desillusioniert nach Hause zurückkehrt – wo aber längst nicht mehr alles beim Alten ist. Pirandello beschreibt den menschlichen Selbstbetrug, das Spiel mit Schein und Sein farbig und präzis. Nebenbei erfährt man viel über die junge Nation Italien um 1900, die einerseits von extremer Rückständigkeit, andererseits von raschem Fortschritt und widerstreitenden gesellschaftlichen Kräften geprägt war. Die unsichere gesellschaftliche und individuelle Situation, der Pessimismus gegenüber Moderne und Fortschritt – das klingt nach schwerer Kost. Dass Pirandello trotzdem ein überaus vergnügliches Buch gelingt, spricht für den späteren Nobelpreisträger.

Take-aways

  • Mattia Pascal ist der bekannteste Roman des für seine Bühnenstücke berühmten Luigi Pirandello.
  • Inhalt: Mattia Pascal gelangt durch das Glücksspiel an viel Geld, er wird für tot gehalten und nutzt das aus, um sich eine andere Identität zuzulegen. Das neue Leben wird ihm jedoch zum Gefängnis: Aus Angst, dass der Schwindel auffliegt, kann er keine Beziehungen zu anderen Menschen eingehen. Auch seine große Liebe verliert er dadurch. Am Ende kehrt er in sein altes Leben zurück – das allerdings nicht mehr dasselbe ist.
  • Die Kernaussage des Romans: Eine Identität lässt sich nicht ablegen wie ein alter Hut.
  • Pirandello schrieb das Buch während der Nachtwachen am Krankenbett seiner psychotischen Frau.
  • Der Roman wurde schon kurz nach seinem Erscheinen in viele Sprachen übersetzt und ein Welterfolg.
  • Trotz des tragischen Stoffes gelingt Pirandello ein humoristisches Feuerwerk.
  • Mattia Pascal erinnert an Figuren der deutschen Literatur wie Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl oder Max Frischs Stiller.
  • Der Autor verarbeitete im Roman viel Autobiografisches: Wie Pascal stammte er aus Sizilien, lebte in Rom und reiste nach Deutschland.
  • Einige Jahre nach Erscheinen des Romans trat Pirandello der faschistischen Partei Italiens bei. Sie schien ihm ein Gegenprogramm zur zerrissenen Moderne zu bieten.
  • Zitat: „Etwas vom wenigen, vielleicht sogar das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich Mattia Pascal hieß.“

Zusammenfassung

Vorwort

Der Erzähler betont, dass er Mattia Pascal ist. Er widmet sein Manuskript der Bibliothek seiner Heimatstadt, in der er arbeitet. Don Eligio, der die Bibliothek beaufsichtigt, hat ihn zur Niederschrift seiner Erlebnisse bewogen. Er hat Mattia Bücher zu lesen gegeben und ihn aufgefordert, genauso zu schreiben. Allerdings hat er ihn auch gewarnt: Der Mensch sei dazu verdammt, sich in Illusionen zu ergehen; die Wahrheit sehe er so gut wie nie.

Das erste Leben des Mattia Pascal

Mattias Vater stirbt an Malaria, als der Junge viereinhalb Jahre alt ist. Er hat sein Vermögen mit Handelsgeschäften als Seefahrer gemacht und hinterlässt neben Mattia und dessen Mutter einen weiteren Sohn, Roberto. Sie wohnen weiterhin in ihrem großen, alten Haus. Sein Geld hat der Vater in Häusern und Ländereien angelegt. Die kränkliche Witwe verzärtelt ihre Söhne, ist aber unfähig, das Erbe zu verwalten, und geht nur noch zum Kirchgang vor die Tür. Sie vertraut ihr Vermögen Herrn Malagna an, der es jedoch veruntreut. Ihre zänkische Schwägerin Scolastica durchschaut den Verwalter und versucht, die Mutter aus seinen Fängen zu befreien, indem sie eine Heirat mit einem Witwer anbahnt. Mit dessen Sohn Gerolamo Pomino ist Mattia befreundet. Roberto und Mattia sind eine herrschaftliche Lebensweise gewohnt. Ein Hauslehrer unterrichtet sie, aber sie haben nur Streiche im Kopf. Tante Scolastica versucht, den Druck auf die Kinder zu erhöhen, doch sie entziehen sich ihr und verstecken sich hinter der Mutter.

„Etwas vom wenigen, vielleicht sogar das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich Mattia Pascal hieß.“ (S. 5)

Als Mattia 18 wird, hat Malagna fast das ganze Vermögen verschleudert. Die Mutter merkt nichts, denn sie bekommt ausreichend Geld zum Leben. Mattia macht Oliva den Hof, der Tochter des Verwalters eines der Familiengüter. Sie heiratet jedoch den Witwer Malagna, der sich von der jungen Frau Nachwuchs erhofft. Als die Kinder ausbleiben, beginnt Malagna, Oliva zu quälen. Sie vermutet allerdings, dass nicht sie, sondern er unfruchtbar ist. Mattia ist nicht übermäßig traurig über die Verbindung der beiden. Er erfährt, dass Malagna womöglich untreu ist: Sein Freund Pomino berichtet ihm von einem Mädchen, in das er, Pomino, verliebt sei: Romilda. Um sie schleiche Malagna herum. Mattia und Pomino ersinnen einen Plan, um die junge Frau zu retten: Sie soll sich in Pomino verlieben und ihn heiraten. Mattia macht den Heiratsvermittler, mit dem Ergebnis, dass Romilda sich in ihn verliebt anstatt in den schüchternen Freund. Sie möchte, dass er sie entführt. Er bittet sich Bedenkzeit aus. Da erreicht ihn ein Brief von ihr mit der Botschaft, dass sie ihn nie wiedersehen wolle. Es stellt sich heraus, dass sie ein Kind erwartet.

„Kurz und gut, man sieht, im Kreise so vieler rechtschaffener Leute hatte ich allein den Schaden angerichtet. Also musste ich dafür auch geradestehen.“ (S. 58)

Malagna brüstet sich nun gegenüber seiner Ehefrau damit, dass er eindeutig nicht unfruchtbar sei – tatsächlich aber ist Mattia der Vater des Kindes. Nun wird er unter Druck gesetzt, vor allem von seiner Mutter: Er soll Romilda heiraten. Ironisch meint Mattia, dass er im Kreise so vieler rechtschaffener Leute wohl der Einzige sei, der gesündigt und nun zu büßen habe. Aber er kommt der Forderung der Mutter nach und geht die Ehe ein. Seine Schwiegermutter unterstellt ihm, ihre Tochter zugrunde gerichtet zu haben, und macht ihm das Leben zur Hölle. Um wenigstens einen Gutshof zu retten, verkauft die Familie Pascal ihr sonstiges Vermögen. Sie erzielt nur einen schlechten Preis, da Malagna hinter ihrem Rücken alles für einen Spottpreis aufkauft. Die Familie ist bankrott und zieht bei der Schwiegermutter ein. Faulpelz Mattia versucht, Arbeit zu finden. Eines Tages kommt es nach vielen Zänkereien zum Eklat: Eine frühere Magd der Pascals will die Mutter zu sich nehmen, um ihr ein friedliches Zuhause zu gewähren. Mattias Schwiegermutter ist empört und entlässt die Magd. Daraufhin reist Tante Scolastica an, wirft der Schwiegermutter einen großen Klumpen Teig an den Kopf und stürmt mit Mattias Mutter davon.

Der erste Tod des Mattia Pascal

Mattia steht sein ganzes Elend vor Augen, aber er kann darüber nur lachen. Er streicht ziellos durch die Gegend und trifft auf Pomino. Der gibt ihm den Hinweis, dass in der Boccamazza-Bibliothek ein Mitarbeiter gesucht werde. Mattia bekommt die Stelle und hat dadurch schlagartig mehr Geld als seine missgünstige angeheiratete Verwandtschaft. Seine erste Amtshandlung ist, die Stadt um die Anschaffung von Katzen zu bitten, die die Mäuse in der Bibliothek jagen sollen. Niemand besucht jemals die Bibliothek, außer ihr ehemaliger Leiter, Mattias Vorgänger, und der stirbt nach kurzer Zeit. Aus Langeweile beginnt Mattia, sich mit den Büchern um ihn herum zu beschäftigen.

„Seitdem, darf man wohl sagen, habe ich Geschmack daran gefunden, über all mein Unglück und meine Qualen zu lachen.“ (S. 69)

Seine Frau bringt Zwillingsmädchen zur Welt, doch eines stirbt gleich nach der Geburt und das zweite nach einem Jahr, gleichzeitig mit Mattias Mutter. Die Trauer um den Verlust bringt ihn fast um. Sein Bruder schickt ihm Geld für das Begräbnis. Seine Tante hat aber bereits alles bezahlt, und so bleibt ihm der Betrag. Er will mit dem Geld fliehen und nach Amerika reisen. Mit dem Zug erreicht er Monte Carlo. Französisch hat er notdürftig durch seine Lektüre in der Bibliothek gelernt, und zufällig stößt er auf ein Buch, das Erfolg beim Glücksspiel verspricht. Er beginnt, im Kasino zu spielen. Die Leidenschaft packt ihn, und bei einem ersten großen Einsatz gewinnt er hoch. Als er sich mit seinem riesigen Gewinn erschöpft zurückzieht, heftet sich ein zwielichtiger Spanier an seine Fersen und versucht, ihn zum Setzen des Gewinns zu überreden. Mattia lehnt ab. Trotzdem spielt er weiter, gewinnt zunächst wiederum sehr viel, beginnt dann aber zu verlieren. Als einer der Spieler im Garten des Kasinos Selbstmord begeht, findet Mattia aus seinem Spielrausch heraus und setzt sich in den Zug Richtung Heimat. Kurz vor der Ankunft zu Hause entdeckt er beim Zeitunglesen eine seltsame Meldung: Auf seinem Gut sei der verweste Leichnam eines Selbstmörders gefunden worden. Man habe die Leiche als Mattia Pascal identifiziert.

Das zweite Leben des Mattia Pascal

Mattia springt beim nächsten Halt aus dem Zug: Er fühlt sich frei. Um ganz sicherzugehen, dass er für tot gehalten wird, besorgt er sich am nächsten Tag weitere Zeitungen aus seinem Heimatdorf. Darin liest er einen herzzerreißenden Nachruf auf ihn, der ihn aufwühlt. Allerdings macht ihn misstrauisch, dass seine Ehefrau die Leiche als ihren Mann identifiziert hat: Mattia hat ein schielendes Auge, die Leiche wohl nicht, und er glaubt, dass sie das hätte stutzig machen müssen. Vielleicht ist sie ganz zufrieden mit seinem Tod. Er denkt über einen neuen Namen nach, lässt sich die Haare schneiden und besorgt sich elegante Kleidung und eine Sonnenbrille, um sein Auge zu verbergen. Im Zug nach Turin hört er eine Unterhaltung mit, die ihn auf den Namen „Adriano Meis“ bringt. So nennt er sich fortan. Seinen Ehering wirft er in die Zugtoilette. Er beobachtet Kinder und Großväter, um seine eigene, fiktive Kindheit besser nacherzählen zu können, reist in Italien umher und besucht zahlreiche Städte. Später fährt er auch nach Deutschland. Zurück in Mailand, fühlt er sich plötzlich sehr einsam. Fast kauft er sich von einem Straßenhändler einen Welpen, aber er schreckt vor den Zwängen zurück, die das mit sich bringt: etwa die Hundesteuer, die er als nirgendwo registrierter Mensch kaum entrichten kann. Der zweite Winter seines Herumreisens schlägt ihm aufs Gemüt; er beschließt, sesshaft und „erwachsen“ zu werden, und überlegt sogar, nach Hause zurückzukehren.

„Dieses Nachzeichnen, dieses gedankliche Erbauen eines Lebens, das nicht wirklich gelebt worden war, sondern Stück um Stück von anderen Menschen und an einzelnen Orten aufgelesen und zu dem meinigen gemacht und als meines empfunden wurde, bereitete mir in der ersten Zeit meines Vagabundierens eine merkwürdige, neue, in gewisser Weise von Wehmut durchwirkte Freude.“ (S. 147)

Mattia reist nach Rom weiter und mietet dort ein Zimmer. Er liest die theosophischen Schriften seines Vermieters Anselmo Paleari, eines schwärmerischen Ministerialbeamten in Rente, und diskutiert mit ihm über Religion und den Sitz der Seele. Häufig fühlt er sich wie ein Scharlatan und ein unlauterer Eindringling, vor allzu großer Vertrautheit mit den Menschen schreckt er zurück. Nach und nach allerdings freundet er sich mit Adriana an, der verwitweten Tochter des Hauses. Eine weitere Mieterin, Fräulein Caporale, verliebt sich in ihn. Er fühlt sich aber eher zur Ersteren hingezogen – dass ihr Name seinem Pseudonym Adriano ähnelt, hält er für ein gutes Zeichen.

Adriano Meis in Schwierigkeiten

Eines Tages taucht Papiano, der Schwager Adrianas, im Haus auf. Er benimmt sich herrisch und beansprucht sie offenbar für sich. Mattia verspürt das Bedürfnis, sie zu beschützen. Der Schwager versucht, ihn auszuhorchen, und es stellt sich heraus, dass er, Papiano, ein Betrüger ist, der Fräulein Caporale um ihr Vermögen gebracht hat. Plötzlich taucht auch noch der Spanier auf, den Mattia – damals noch unter richtigem Namen – in der Spielbank von Monte Carlo getroffen hat. Mattia beschließt, sein scheeles Auge operieren zu lassen, um nicht erkannt zu werden. Nach der Operation muss er 40 Tage im Dunkeln liegen. Der Spanier allerdings ist kurz nach seiner Ankunft schon wieder abgereist. An Mattias Bett sitzend, entwickelt sein Vermieter Paleari eine „Laternosophie“, nach der der Mensch das ihn umgebende Dunkel mit seinem Laternchen, seinen Ideen und Illusionen, zu erhellen versucht, bis der Tod das Licht ausbläst. Außerdem hält Paleari spiritistische Sitzungen ab. An diesen nehmen auch Fräulein Caporale und Adrianas Schwager teil. Erstere dient als Medium. Eine Séance soll während Mattias Genesung in dessen dunklem Zimmer stattfinden. Die gläubige Adriana weigert sich zunächst, teilzunehmen. Sie macht dann aber doch mit, ebenso wie Mattia, der hofft, der Schwager werde sich bis auf die Knochen blamieren. Doch bei der Séance kommt es tatsächlich zu ungeheuerlichen Vorfällen, z. B. beginnt ein Tisch zu schweben. Mattia glaubt an einen Schwindel und nutzt die Dunkelheit, um Adriana zum ersten Mal zu küssen. Später quält ihn der Gedanke an den unbekannten Selbstmörder, der ihm mit seinem Tod ein neues Leben ermöglicht hat. Am nächsten Tag lässt er zum ersten Mal wieder Licht in sein Zimmer. Der Kuss hat ihn in Aufruhr versetzt. Er bringt es aber nicht übers Herz, Adriana die Wahrheit zu sagen: dass er eigentlich verheiratet ist und sie sich keine falschen Hoffnungen machen darf.

„Ja und, was war ich anderes als ein erfundener Mensch? Eine durch die Welt ziehende Erfindung, die für sich bestehen wollte und übrigens notgedrungen für sich bestehen musste, wie sehr sie sich selber in die Wirklichkeit hineinbegeben hatte.“ (S. 148)

Als er den Arzt, der ihn operiert hat, bezahlen will, entdeckt er, dass er bestohlen worden ist. Adriana bricht weinend zusammen: Sie hat geahnt, dass ihr Schwager Papiano Mattia während der Séance bestehlen wollte, sie hat es aber nicht glauben wollen und ihn daher nicht gewarnt. Ziellos läuft Mattia durch Rom. Sein Leben kommt ihm wie der Schatten eines Toten vor. Als er ins Haus zurückkehrt, hat Adriana sich seiner Bitte widersetzt und von dem Diebstahl erzählt, damit der Schwager zur Verantwortung gezogen werde. Mattia behauptet, er habe das Geld wiedergefunden, und entschuldigt sich bei allen – denn aufgrund seiner falschen Identität kann er keine Anzeige erstatten. Der Schwager aber begreift, dass er durchschaut wurde. Adriana weint und will die Lüge nicht mittragen. Mattia kündigt seinen Abschied an; er hält sein Lügengebäude kaum noch aus.

„,Frei!‘, sagte ich immer noch; doch ich begann, die Bedeutung meiner Freiheit zu erfassen und ihre Grenzen abzuschätzen.“ (S. 195)

Kurz darauf findet sich die ganze Familie im Haus des Marchese Giglio d’Auletta ein, der gegen die Einheit Italiens kämpft. Mattia ist auch dabei; trotz seiner Gemütsverfassung hat ihn die Neugier gepackt. Der Marchese sucht das Heil in der weltlichen Macht der Kirche und verbündet sich mit papsttreuen Aristokraten. In seinem Haus lässt sich die Spanierin Pepita Pantogada malen, die ein Auge auf Mattia geworfen hat. Durch ein dummes Missverständnis kommt es zwischen Mattia und dem Maler Bernaldez zu einem Streit. Nach einer Rauferei flieht der Maler, und der Marchese verlangt von Mattia, Bernaldez zum Duell zu fordern. Auf dem Nachhauseweg fragt Mattia Adrianas Schwager, ob er für ihn als Sekundant auftreten wolle, doch der lehnt ab. Mattia fühlt sich allein und ohnmächtig. In einem Café bittet er Soldaten um Hilfe, aber sie machen sich nur über ihn lustig.

Der zweite Tod des Mattia Pascal

Plötzlich wird Mattia klar, dass er seine zweite Identität, Adriano Meis, umbringen muss. Er will aus dem Schattenleben heraustreten. Die erlebte Beleidigung gibt ihm einen Vorwand: Er inszeniert seinen Selbstmord und verschwindet mit seinem restlichen Geld aus der Stadt. Mit dem Zug fährt er nach Pisa, wo er sich in Mattia Pascal zurückverwandelt. Die römischen Tageszeitungen berichten über Meis’ Selbstmord, sodass Mattia beruhigt ist: Sein Manöver scheint funktioniert zu haben. Bevor er endgültig in seine Heimat aufbricht, besucht er seinen Bruder Roberto. Dieser wohnt mit Frau und Tochter in einem hübschen Haus. Roberto freut sich sehr, erzählt Mattia aber auch, dass seine „Witwe“ Romilda wieder geheiratet habe: und zwar den schüchternen Pomino, der immer in sie verliebt war. Mattia freut sich zunächst, Romilda los zu sein. Doch Roberto klärt ihn auf, dass mit seinem Erscheinen die neue Ehe für nichtig erklärt würde. Trotzdem sucht Mattia die Familie seiner Frau auf. Die Eheleute geraten in Panik, als sie ihn erkennen, und Mattia ist entsetzt, als er sieht, dass Romilda mit Pomino ein Töchterchen hat. Doch er beruhigt sich wieder und sagt ihnen, dass er ihre Ehe nicht anfechten und sich nicht aus dem Totenregister streichen lassen werde. Danach geht er durch die Straßen seiner Heimatstadt. Zunächst erkennt ihn niemand, aber als sich die Kunde verbreitet, sind alle aus dem Häuschen. Er trifft auch Oliva wieder, die seinen fünfjährigen Sohn an der Hand führt. Seine Tante Scolastica nimmt ihn bei sich auf. Er arbeitet wieder in der Bibliothek, besucht ab und zu sein eigenes Grab auf dem Friedhof und wartet – als der „verblichene Mattia Pascal“ – auf seinen dritten, wahren Tod.

Zum Text

Aufbau und Stil

Mattia Pascal ist in der Ich-Form verfasst; der Titelheld selbst schildert sein Leben. Dabei wechseln sich groteske Situationsbeschreibungen, spritzige Dialoge und Selbstreflexionen ab, Letztere in „innerem Dialog“. Der laufende Wechsel von Innensicht und äußerer Handlung macht den Bericht sehr lebendig. Vor der eigentlichen Erzählung stehen gleich zwei Vorworte, in denen der Erzähler den Leser auf die Ereignisse vorbereitet: Im ersten weist er bereits darauf hin, wie wichtig der Satz „Ich bin Mattia Pascal“ in seinem Leben geworden sei; außerdem steigert er die Spannung mit der Bemerkung, eigentlich schon zweimal gestorben zu sein. Im zweiten Vorwort schildert er die Motivation, seinen Bericht zu Papier zu bringen. Auch einen Nachspann gibt es: Darin liefert der Autor Pirandello eine gewitzte Reflexion über das Wahre und das Wahrscheinliche im Leben und in der Kunst: Man habe seinem Roman Unglaubwürdigkeit vorgeworfen, dabei sei nichts unwahrscheinlicher und damit unglaubwürdiger als das Leben; Mattia Pascal wirke also deshalb unecht, weil er so echt wie das Leben sei. Damit spießt Pirandello ein Paradoxon der Kunst auf: Sie muss künstlich sein, um echt zu wirken.

Interpretationsansätze

  • Mattia Pascal ist die Geschichte einer Identitätskrise: Der Held reift während seiner Wanderjahre zu einer Persönlichkeit heran, die langsam versteht, dass die Gesellschaft niemanden aus der ihm einmal zugeteilten Identität aussteigen lässt.
  • Pascal fühlt sich zunächst befreit, als er eine neue Identität annimmt. Doch dann erkennt er, wie unfrei er tatsächlich ist: Er ist wie ein Mann ohne Schatten, ähnlich Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl. Zu keinem Menschen kann er eine Beziehung aufbauen, weil dies sein Lügengebäude zum Einsturz bringen würde. Pirandello macht einen psychologischen Konflikt deutlich: Wer nicht weiß, wer er ist, kann sich nicht in die Gesellschaft integrieren.
  • Viele Figuren tragen sprechende Namen, so auch Mattia Pascal selbst, der oft die Rolle des beobachtenden Narren hat: „Matto“ ist Italienisch für „verrückt“; Pascal erinnert an den Philosophen Blaise Pascal, dessen Pensées Pirandello beeinflussten.
  • In Monte Carlo und auf seinen Reisen zeigt sich die Welt dem Helden als tragikomisches Panoptikum: Es wimmelt von fragwürdigen Figuren. Nur Adriana, seine große Liebe, ist rein und fromm: eine Marienfigur, die betrübt auf die besudelte, verlogene Welt schaut.
  • Der Roman verweist auf die Gefahren der Moderne: Mangelnde Bildung und ökonomische Dummheit bringen Mattias Familie zu Fall. Die Kirche hat keine Antworten, also flüchtet sich etwa Mattias römischer Vermieter ins Esoterische. Gewinner der Gesellschaft sind vitale, aber skrupellose Geschäftemacher wie der Verwalter Malagna. Das Buch vermittelt eine pessimistische und desillusionierte Sicht auf Fortschritt und Wissenschaft.
  • Reizvoll sind die zahlreichen literarischen Zitate im Text: Der ungebildete Taugenichts Mattia kommt durch Bücher mit Kultur in Kontakt und erlangt so eine andere Ebene des Nachdenkens über sich und die Welt.

Historischer Hintergrund

Italien ohne Italiener: das Risorgimento

Bis ins 19. Jahrhundert standen große Teile der italienischen Halbinsel immer wieder unter der Herrschaft fremder Mächte. Nach dem Ende der Besetzung durch Napoleon versuchten viele italienische Fürsten, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, sodass der Franzose später eher als Reformer denn als Unterdrücker wahrgenommen wurde. In Sizilien herrschten weiterhin spanische Bourbonen, in Nord- und Mittelitalien die Habsburger. Publizisten wandten sich damals gegen die absolutistische Regierungsform und die Fremdherrschaft und forderten ein geeintes Italien. Auch gegen die weltliche Herrschaft des Papstes formte sich Widerstand. In einigen Teilen des Landes kam es zu Aufständen, die allerdings niedergeschlagen wurden.

Der Revolutionär Giuseppe Garibaldi marschierte mit seinem „Zug der Tausend“ 1860 nach Sizilien und befreite die Insel von den Bourbonen. Schließlich wurde mithilfe von Volksentscheiden die Einigung Italiens beschlossen. Vittorio Emanuele II. von Sardinien wurde 1861 König von Italien. Venetien kam erst nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 dazu. Den Kirchenstaat eroberten italienische Truppen 1870, während des Deutsch-Französischen Krieges: Erst damit war die Einigung geopolitisch abgeschlossen.

„Italiener“ gab es aber trotzdem noch nicht, weder sprachlich noch kulturell. Das Land war von zahlreichen Dialekten geprägt, nur ein winziger Teil der Bevölkerung beherrschte die italienische Schriftsprache, abgesehen davon waren über zwei Drittel Analphabeten. Was das „Italienischsein“ ausmachte, musste also erst geschaffen werden. Prägend war dafür u. a. die Idee der deutschen Romantik, eine gemeinsame Volkssprache als Grundlage für eine Nation zu sehen. Stifter eines nationalen Bewusstseins wurden Lyriker und Dramatiker, aber auch Komponisten wie Giuseppe Verdi.

Entstehung

Pirandello schrieb Mattia Pascal 1903 am Krankenbett seiner Frau Antonietta. Es war ein Schicksalsjahr für das Ehepaar: Mit der Zerstörung einer Schwefelmine, in die die beiden ihr Vermögen investiert hatten, verloren sie ihren wirtschaftlichen Rückhalt. Es war wohl dieses Ereignis, das Antoniettas Nervenkrankheit ausbrechen ließ; sie verbrachte ein halbes Jahr gelähmt im Bett.

Der Autor wob viel Autobiografisches in den Roman ein, etwa die rückständige Atmosphäre seiner sizilianischen Heimat, die er trotz aller Vorbehalte liebte. Er ließ zudem Mundartliches einfließen, ein Thema, dem auch seine Doktorarbeit gewidmet war. Was Maßeinheiten, Geldwerte oder politische Regelungen betrifft, ist der Autor fast dokumentarisch genau. Seine Freundschaft mit den Veristen mag ihn hierbei beeinflusst haben: „Verismo“ war die literarische Strömung, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts, vom französischen Naturalismus angeregt, soziale Probleme der Zeit aufgriff.

Das mit dem Risorgimento verbundene Bemühen um das Zusammenwachsen der jungen Nation schlug sich in Pirandellos Werk insofern nieder, als seine Sprache für alle Italiener verständlich sein sollte. Beeinflusst haben ihn womöglich auch die deutschen Romantiker Adelbert von Chamisso, Jean Paul und Novalis.

Wirkungsgeschichte

Mattia Pascal erschien 1904 und wurde zu einem der größten Erfolge des Autors. Der Roman gilt als Standardwerk und Ausgangspunkt der modernen italienischen Literatur und steht weiterhin auf den Lehrplänen der Schulen. Er wurde in viele Sprachen übersetzt und machte Pirandello weit über Italien hinaus bekannt. Im Roman skizzierte der Autor bereits seine Philosophie, die er 1908 in seinem theoretischen Hauptwerk Der Humor ausarbeitete. Die Fragen nach der Krise des Ichs, nach Schein und Sein, der Bedeutung von Tod und Selbstmord und der Illusion sollte Pirandello durch sein ganzes Werk beschäftigen; die Begriffe „pirandellianisch“ bzw. „pirandellesk“ wurden eigens dafür geprägt.

Pirandellos eigentümliche Mischung aus Pessimismus und Humanismus beeinflusste die Existenzialisten Jean Anouilh und Jean-Paul Sartre. In Max Frischs Roman Stiller geht es wie in Mattia Pascal um den vergeblichen Versuch, ein anderer zu sein. Bereits 1925 verfilmte der französische avantgardistische Regisseur Marcel L’Herbier den Stoff von Mattia Pascal mit dem Stummfilmschauspieler Iwan I. Mosschuchin in der Hauptrolle. 1984 führte der italienische Regisseur Mario Monicelli bei Die zwei Leben des Mattia Pascal die Regie; die Filmmusik komponierte Ennio Morricone, Schauspieler waren u. a. Senta Berger und Marcello Mastroianni.

Über den Autor

Luigi Pirandello wird am 28. Juni 1867 auf dem Landgut Càvusu (später Caos genannt) nahe dem heutigen Agrigent auf Sizilien geboren und wächst in einer wohlhabenden Familie auf. Die gesellschaftlich rückwärtsgewandte Atmosphäre Siziliens und der autoritäre, cholerische Vater prägen seine Jugend. Sein Studium der Philologie führt ihn nach Palermo, Rom und später nach Bonn, wo er eine sprachwissenschaftliche Dissertation über die Mundart seiner Heimatstadt Girgenti (Agrigent) schreibt. Obwohl er sich in die Tochter seiner Wirtsleute in Bonn verliebt hat, kehrt er nach Italien zurück und willigt in die arrangierte Heirat mit Antonietta Portulano ein, der Tochter eines Geschäftsfreundes des Vaters. Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor. Pirandello lebt mit seiner Familie als Journalist und Schriftsteller in Rom; die ersten Dramen und Romane entstehen. Die Ehe wird für das Paar zur Qual. Nach einem Grubenunglück im Jahr 1903, in dessen Folge das Familienvermögen verloren geht, denkt Pirandello zunächst an Selbstmord, doch dann beschließt er, mehr zu arbeiten, um seine Familie durchzubringen. Antonietta, von Anfang an von Verlustängsten und Eifersucht geplagt, wird psychisch krank. 1919 willigt Pirandello ein, dass sie in eine Heilanstalt gebracht wird. Der Autor wird Professor für italienische Literaturgeschichte und ein gefeierter, international bekannter Schriftsteller. Als 1921 sein Stück Sechs Personen suchen einen Autor (Sei personaggi in cerca d’autore) aufgeführt wird, kommt es zum Skandal: Die Idee, Theaterfiguren könnten vom Regisseur ihre eigene Aufführung verlangen, überfordert das Publikum. 1924 tritt Pirandello in die faschistische Partei ein. Benito Mussolini erscheint ihm als Retter vor dem Zerfall der italienischen Gesellschaft, Pirandello hält eine hymnische Rede auf den Duce. Dieser übergibt ihm die Leitung eines eigenen, vom Staat subventionierten Theaters und wohnt der Eröffnung eines seiner Stücke bei. Pirandello geht mit seiner Truppe auf Tournee, teilweise aus Zwang, da das Geld knapp ist. Der Faschismus enttäuscht ihn. 1934 erhält er den Nobelpreis für Literatur. Am 10. Dezember 1936 stirbt er in Rom.

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