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Die Judenbuche

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Die Judenbuche

Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Westphalen

dtv,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Ein mutmaßlicher Mörder richtet sich selbst. Hat er die Tat begangen? Die Judenbuche gibt noch nach 150 Jahren Rätsel auf.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Biedermeier

Worum es geht

Ein Dorf sucht einen Mörder

Ein Krimi im ländlichen Westfalen: Der Jude Aaron wird tot unter einer Buche gefunden. Der Verdacht fällt auf Friedrich, den Außenseiter des Dorfes, der einige Jahre zuvor schon einmal des Mordes bezichtigt wurde. Gemeinsam mit seinem Kumpel und Doppelgänger Johannes verschwindet er. Die Juden des Dorfes ritzen in den Stamm der Buche auf Hebräisch einen Rachespruch ein. 28 Jahre später taucht ein Fremder im Dorf auf, der schließlich als Johannes erkannt wird. Irgendwann findet man ihn erhängt an der Judenbuche, und nun wird er anhand einer Narbe als Friedrich identifiziert. So scheint die Tat gesühnt zu sein. Doch ist der Tote tatsächlich Friedrich? Gewisse Zweifel sind berechtigt, denn die Narbe wurde nie zuvor erwähnt. Die Judenbuche ist ein rätselhafter Text voller Andeutungen und Mutmaßungen, die nicht aufgelöst werden. Deshalb sahen ihn die Zeitgenossen auch als misslungen an. Inzwischen hat sich die Sichtweise geändert. Durch ihre Ungereimtheiten wird die Erzählung heute als Vorläufer der literarischen Moderne gewertet. Die psychologisch genauen Schilderungen und die geheimnisvolle Grundstimmung vermögen Leser bis heute zu fesseln.

Take-aways

  • Die Erzählung Die Judenbuche ist das einzige fertiggestellte Prosawerk der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff.
  • Inhalt: Friedrich Mergel wächst in schwierigen Verhältnissen auf und ist in seinem Dorf ein Außenseiter. Als der Jude Aaron unter einer Buche ermordet aufgefunden wird, fällt der Verdacht auf Friedrich. Dieser flüchtet und bleibt verschwunden. Die Juden des Ortes ritzen einen Rachespruch in die Buche. Nach 28 Jahren kommt ein Fremder in den Ort und erhängt sich bald darauf an der Buche. Erst dann wird er als Friedrich identifiziert.
  • Die Erzählung geht auf einen realen Mordfall zurück, den ein Onkel der Dichterin 1783 schriftlich festhielt.
  • Der Text wird u. a. als eine Milieustudie des 18. Jahrhunderts interpretiert.
  • Die Sprache ist auffallend nüchtern und sachlich.
  • Ein wesentliches Merkmal der Erzählung ist ihre Rätselhaftigkeit. Viele Aspekte der Handlung werden nur angedeutet oder bleiben im Unklaren.
  • Bei den zeitgenössischen Lesern und Kritikern fand das Werk keinen großen Anklang, es galt als zusammenhanglos und unausgereift.
  • Später wurde der Text wegen seiner Mehrdeutigkeit als Vorläufer der modernen Literatur angesehen.
  • Annette von Droste-Hülshoff litt zeitlebens an den Konventionen, die ihr ihre gesellschaftliche Stellung auferlegte, konnte sich aber nicht davon befreien.
  • Zitat: „Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir gethan hast.“

Zusammenfassung

Die Eltern

In dem abgelegenen Dorf B. nimmt man es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der Gerechtigkeit nicht so genau. Die Gutsherren herrschen nach Gutdünken, und die Menschen aus dem Volk schlagen sich so durch. Um die Gesetze kümmert sich niemand; Holzdiebstahl im Wald ist eine Art Volkssport, an dem sich sogar der Bürgermeister beteiligt. In diesem Ort lebt Hermann Mergel. Er ist ein Trinker. Anfangs ist er seinem Laster nur am Wochenende verfallen, deshalb hat er auch keine Schwierigkeiten, eine Ehefrau zu finden. Allerdings nur bis zum folgenden Wochenende: Am Sonntag nach der Hochzeit flüchtet seine Frau zurück in ihr Elternhaus. Hermann bleibt nun einige Jahre allein. Sein Haushalt verkommt immer mehr. Doch eines Tages findet sich wieder eine Frau für ihn: Margreth Semmler, die im Dorf recht angesehen ist und als junges Mädchen einmal sehr hübsch war. Nun hat sie die 40 überschritten, sieht aber immer noch gut aus. Ausgerechnet Margreth will ihn nun heiraten. Sie ist überzeugt, dass sie Hermann schon in den Griff bekommen wird.

Der Tod des Vaters

Eine Zeit lang scheint es gut zu gehen, aber bald trinkt Hermann wieder häufiger und wird gewalttätig. 1738, im zweiten Jahr der Ehe, bekommt Margreth einen Sohn, der Friedrich genannt wird. Hermann Mergel liebt sein Kind sehr und benimmt sich von nun an etwas zivilisierter. Als Friedrich neun Jahre alt ist, geht sein Vater eines Tages zu einer Hochzeit. Gegen Abend setzt ein heftiger Schneesturm ein. Margreth rechnet damit, dass ihr Mann sich wieder so sehr betrinkt, dass er erst am nächsten Tag heimkommen wird. Deshalb wartet sie nicht auf ihn, sondern legt sich mit ihrem Sohn schlafen. Der Sturm tobt um das Haus, und Friedrich fürchtet sich. Er glaubt, jemand würde an die Tür klopfen, aber Margreth beruhigt ihn: Das seien nur die Balken des alten Holzhauses, die im Sturm ächzen. Friedrich schläft ein. Als er tief in der Nacht wieder wach wird, hört er die Mutter beten. Der Sturm tobt noch immer. Wieder vernimmt Friedrich ein Klopfen an der Tür und Stimmen. Erneut will ihm die Mutter nicht glauben, aber dann bemerkt sie es auch: Jemand ruft nach ihr. Einige Männer haben den Vater tot im Wald gefunden, im Brederholz.

Der Sohn eines Gespensts

Im Dorf fangen die Leute an zu munkeln, dass im Brederholz der Geist von Hermann Mergel umgehe. Einige Dorfbewohner wollen ihn in der Nacht dort singen gehört oder sein Gesicht zwischen den Zweigen gesehen haben. Auch Friedrich kommen die Gerüchte zu Ohren, und er leidet sehr darunter. Ein paar Mal prügelt er sich mit den anderen Kindern, weil sie über seinen Vater reden. Schließlich zieht er sich immer mehr von ihnen zurück, wird verschlossen und verträumt. Er verbringt seine Zeit mit Viehhüten und geht an ganz abgelegene Weideplätze, um allein zu sein. Eines Tages – Friedrich ist inzwischen zwölf Jahre alt – bekommt Margreth Besuch von ihrem Bruder Simon, einem hässlichen und etwas unheimlichen Junggesellen. Seit ihrer Hochzeit mit Hermann hat sich Simon nicht mehr um seine Schwester gekümmert. Nun fragt er vor allem nach Friedrich. Nach einer Weile erfährt Margreth auch den Grund: Der Junge soll von nun an die meiste Zeit bei Simon leben, für ihn arbeiten und später sein Erbe sein. Margreth zögert, sie möchte ihren Sohn nicht hergeben. Außerdem fällt Simons Erbe sowieso an Friedrich. Doch schließlich gibt sie nach. Als Friedrich nach Hause kommt, nimmt ihn der fremde Onkel gleich mit. Inzwischen ist es Nacht geworden. Die beiden gehen in der Dunkelheit durch den Wald. Ihr Weg führt sie durch das Brederholz, und Simon kann es nicht lassen, Friedrich auf die Stelle aufmerksam zu machen, wo die Leiche seines Vaters gefunden wurde.

Das fremde Kind

Am nächsten Abend wartet Margreth sehnsüchtig auf ihren Sohn. Plötzlich sieht sie ihn am Küchenherd stehen. Doch als sie ihn anspricht, reagiert der Junge völlig verängstigt und kann kaum sprechen. Da erkennt sie, dass es gar nicht Friedrich ist. Vor ihr steht ein fremder Junge, der ihm sehr ähnlich sieht. Erschrocken ruft sie nach ihrem Sohn. Da kommt Friedrich aus dem Schlafzimmer, in der Hand eine selbst gebastelte Geige, die er dem Jungen schenkt. Die Mutter will wissen, wer der Fremde ist. Friedrich erklärt es ihr: Der Junge hat keinen Vater, weshalb er Johannes Niemand heißt. Er lebt als Schweinehirt bei Simon. Als Johannes gehen will, bietet Friedrich ihm ein Stück Brot an. Margreth mutmaßt, dass der Junge bei Simon noch Abendbrot bekommen wird, aber Johannes verneint. Simon lässt ihn für sich arbeiten, sorgt aber sonst nicht für ihn. Margreth gerät ins Grübeln: Johannes sieht Friedrich so ähnlich. Ist Simon womöglich der Vater des Jungen und beutet ihn aus? Sie ahnt, dass es ein Fehler war, ihren Sohn dem Onkel zu überlassen. Friedrich selbst allerdings ist stolz auf sich: Er hat zum ersten Mal Geld verdient. Am Montag soll er wieder für Simon arbeiten. Margreth möchte ihn am liebsten bei sich behalten, lässt ihn dann aber doch gehen, denn sie hat das Geld bitter nötig.

Die Holzdiebe

Friedrich lebt nun die meiste Zeit beim Onkel. Er ist selbstbewusst geworden und verdient gut, gibt aber den Großteil des Geldes für neue Kleider aus. Als fleißiger, gut aussehender junger Mann wird er im Dorf geachtet. Ab und zu zieht er immer noch als Hütejunge in den Wald, obwohl er mit seinen inzwischen 18 Jahren dafür eigentlich schon zu alt ist. Der Holzdiebstahl, bisher allgemein als Kavaliersdelikt angesehen, nimmt auf einmal bedrohlich zu. Eine Bande treibt ihr Unwesen: Sie haut nachts Bäume um und transportiert sie weg. Die Diebe werden „Blaukittel“ genannt, doch keiner weiß, wer sie sind. Obwohl die Förster nachts Wachen aufstellen, sind die Übeltäter nicht zu fassen. Eines Morgens ist Friedrich wieder mit den Kühen im Wald. Es ist noch dunkel, kurz vor Sonnenaufgang. Ein Stück entfernt hört er Geräusche wie von Holzfällern. Plötzlich steht Oberförster Brandis mit einigen seiner Gehilfen vor ihm. Sie sind auf der Suche nach den Blaukitteln. Brandis beschuldigt Friedrich, in die Diebstähle verwickelt zu sein. Aber dieser weist alle Anschuldigungen von sich. Die anderen sind inzwischen weitergegangen, und Brandis weiß nicht wohin; da schickt Friedrich ihn in die falsche Richtung.

Der Mord

Als Friedrich um die Mittagszeit zu seiner Mutter kommt, erzählt er ihr von der Auseinandersetzung mit Brandis, er klagt über Kopfschmerzen und legt sich ins Bett. Einige Stunden später kommt der Amtsschreiber zu Margreth und bittet um etwas zu trinken. Dabei erzählt er ihr, dass man Brandis tot im Wald gefunden hat – ermordet von den Blaukitteln. Vorsichtig fragt er nach, wann Friedrich nach Hause gekommen ist, worauf Margreth den Amtsschreiber hinauswirft. Da taucht Johannes auf und sagt, Friedrich solle sofort zum Onkel kommen. Der lehnt erst ab, er fühlt sich zu krank. Doch dann steht er doch auf und geht mit Johannes. Weil der Gutsherr nicht da ist, führt der Amtsschreiber die Ermittlungen durch und befragt die Zeugen. Die Forstbeamten berichten, wie sie in jener Nacht mit Brandis unterwegs waren und im Wald Geräusche hörten, die offenbar von Holzfällern kamen. Während der Oberförster noch mit Friedrich gesprochen hatte, waren sie ohne ihn weitergegangen und hatten bemerkt, dass die Blaukittel etwa 20 Bäume gefällt und abtransportiert hatten, ohne weitere Spuren zu hinterlassen. Auf dem Rückweg hatten die Forstbeamten Brandis tot im Gebüsch gefunden, erschlagen mit einer Axt. Nun wird Friedrich befragt, aber ergebnislos: Einige Zeugen bestätigen, dass er schon gegen vier Uhr morgens aus dem Wald zurückkam – zu früh, um Brandis gefolgt sein und ihn ermordet haben zu können. Schließlich wird die Untersuchung ohne Ergebnis abgeschlossen. Die Blaukittel tauchen danach nicht mehr auf.

Die Hochzeit

Am Sonntag steht Friedrich in aller Frühe auf, er will zur Beichte. Da trifft er auf Onkel Simon, der ihn darauf hinweist, dass man bei der Beichte nicht seinen Nächsten beschuldigen dürfe. Friedrich fragt den Onkel, wo seine Axt sei. Simon redet sich heraus und schickt ihn weg: Er solle ruhig das Sakrament entweihen und mit seiner Beichte seinen Onkel ins Elend stürzen. Darauf bleibt Friedrich zu Hause. In der folgenden Zeit wird er noch großspuriger und unberechenbarer. Ob man ihm trauen kann, weiß keiner mehr so recht. Eines Tages im Herbst 1760 – Friedrich ist inzwischen 22 Jahre alt – findet im Dorf ein großes Hochzeitsfest statt. Friedrich feiert mit und ist der wildeste Tänzer. Da bricht ein Aufruhr los: Johannes hat ein Stück Butter stehlen wollen, ist aber entdeckt worden, weil die Butter geschmolzen und ihm durch die Kleider gelaufen ist. Friedrich ohrfeigt ihn und jagt ihn fort. Dann zieht er seine silberne Taschenuhr, um die anderen zu beeindrucken. Doch da taucht plötzlich der Jude Aaron auf und verlangt von Friedrich das Geld für die Uhr, die dieser noch nicht bezahlt hat. Die Dorfbewohner amüsieren sich köstlich, Friedrich verschwindet kleinlaut.

Der Spuk im Brederholz

Als am Abend Herr von S., der Gutsbesitzer, von der Hochzeit nach Hause kommt, findet er seine Dienerschaft in heller Aufregung: Zwei seiner Knechte haben in der Dunkelheit im Brederholz einen Schlag und einen Schrei gehört – der Geist von Hermann Mergel geht offenbar wieder um. Der Gutsherr ärgert sich über diesen Unfug. Drei Tage später tobt nachts ein fürchterliches Unwetter, alle im Schloss sind auf den Beinen. Da stürzt Aarons Frau herein: Ihr Mann ist ermordet worden. Vor drei Tagen war er aufgebrochen, um Geld von seinen Schuldnern einzutreiben. Weil er nicht zurückkam, hat sie sich auf die Suche nach ihm gemacht. Im Wald hat sie seine Leiche gefunden, im Brederholz unter einer großen Buche. Nun ist dem Gutsherrn klar, worauf die vermeintliche Geistererscheinung im Wald zurückzuführen ist. Da er auf der Hochzeit die Szene zwischen Friedrich und Aaron selbst miterlebt hat, erscheint ihm Friedrich nun dringend tatverdächtig. Er zieht mit einigen Schützen los, um ihn zu verhaften. Sie umstellen Margreths Haus, finden Friedrich aber nicht, er ist anscheinend gerade geflohen. Margreth wirkt während der Untersuchung wie versteinert.

Der Kauf der Judenbuche

Nicht nur Friedrich ist verschwunden, sondern auch Johannes. Die Juden des Dorfes sind sehr beunruhigt über die Tat und helfen tatkräftig mit, den Mörder zu finden, aber ohne Erfolg. Schließlich wird der Fall zu den Akten gelegt. Nun bitten die Juden den Gutsherrn, dass sie die große Buche kaufen dürfen, unter der Aaron ermordet wurde, sodass sie keiner fällen darf. Der Gutsherr lässt sich darauf ein. Eines Abends ziehen die Juden gemeinsam zur Buche, und am nächsten Tag ist in den Stamm eine hebräische Inschrift eingeritzt. Etwa ein halbes Jahr nach dem Mord erzählt der Gutsherr seinem Amtsschreiber, er hätte vom Gericht in P. einen Brief erhalten, in dem stand, dass ein Unbekannter den Mord an einem Juden namens Aaron gestanden hätte. Dieser hätte aber leider nicht mehr befragt werden können, da er sich in seiner Zelle erhängt hätte. Also sei Friedrich vielleicht doch nicht der Täter. Er bleibt aber verschollen, seine Mutter verliert darüber den Verstand und stirbt schließlich.

Der Fremde

28 Jahre nach dem Mord an Aaron, am 24. Dezember 1788, taucht auf einmal ein Fremder im Dorf auf. Er ist völlig erschöpft und wirkt etwas verwirrt. Schließlich gibt er sich als Johannes zu erkennen, der viele Jahre in der Türkei in Gefangenschaft war und nun zurückgekehrt ist. Der Gutsherr, inzwischen ein alter Mann, interessiert sich für den Fall und lässt ihn ins Schloss bringen. Johannes erzählt, wie Friedrich vor 28 Jahren in der Nacht zu ihm kam und ihm sagte, dass sie fliehen müssten, wegen zwielichtiger Holzgeschäfte, in die er und Simon verwickelt wären. Sie schlugen sich durch bis Freiburg, ließen sich dort vom österreichischen Militär anwerben und zogen gegen die Türken in den Krieg. Johannes geriet in Gefangenschaft und musste viele Jahre schwere Arbeit leisten, ehe ihm die Flucht gelang. Was aus Friedrich geworden ist, weiß er nicht. Johannes bleibt im Dorf und erledigt Botengänge für den Gutsherrn. Aber er geht nicht durch das Brederholz, lieber macht er einen weiten Umweg. Weil er auch sonst einen verstörten Eindruck macht, fürchtet man, er könnte den Verstand verlieren.

Die Sühne

Eines Tages im September ist Johannes verschwunden. Der Gutsherr fürchtet, er sei irgendwo gestürzt und könne nicht wieder aufstehen, deshalb lässt er überall nach ihm suchen, aber ohne Erfolg. Etwa zwei Wochen später ist Förster Brandis, der Sohn des Ermordeten, im Brederholz unterwegs. Es ist warm, und er möchte sich ausruhen, deshalb setzt er sich unter die Judenbuche in den Schatten. Dabei steigt ihm ein unerträglicher Gestank in die Nase. Er glaubt erst, es wären Pilze, bis er über sich im Baum jemanden hängen sieht. Es ist Johannes. Der Gutsherr ist dabei, als die Leiche weggenommen wird, und erkennt eine Narbe an dem Toten. Deshalb ist er sich sicher: Der Mann, der an der Judenbuche seinen Tod gefunden hat, war nicht Johannes, sondern Friedrich Mergel. Die Inschrift an dem Baum lautet übrigens: „Wenn du dich diesem Ort näherst, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast.“

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Erzählung Die Judenbuche ist ein kurzes Gedicht vorangestellt, das auf die Schuldhaftigkeit jedes Menschen hinweist. Die Handlung setzt einige Jahre vor Friedrich Mergels Geburt ein und endet mit seinem mutmaßlichen Tod. Dabei stimmt die Datierung am Ende nicht mit dem zeitlichen Verlauf der Handlung überein: Friedrich bzw. Johannes kehrt zu Weihnachten 1788 in sein Heimatdorf zurück und erhängt sich im Herbst des folgenden Jahres, also 1789. Als Todesjahr wird aber wiederum 1788 angegeben. Erzählt wird aus der auktorialen Perspektive. Allerdings ist die Erzählstimme nicht allwissend, sondern betont immer wieder die Unzuverlässigkeit ihrer Informationen, u. a. mit Formulierungen wie „Margreth soll sehr geweint haben“ oder mit dem Einschub „wie man sagt“. Dadurch bleibt vieles in der Schwebe und wird nur angedeutet. Die Sprache ist nüchtern und schmucklos, dazu passt die genaue Datierung vieler Ereignisse. Erzählende Passagen wechseln sich mit Dialogen ab.

Interpretationsansätze

  • Die Judenbuche wird häufig als sozialpsychologische Milieustudie gesehen. Friedrichs Entwicklung nimmt einen großen Raum ein, er wächst in einer problematischen Umgebung auf, in der Moral und Gesetz keine große Rolle spielen, und ist schon als Kind ein Außenseiter. Eine Entwicklung zum Mörder wird dadurch für den Leser nachvollziehbar.
  • Entsprechend zum inhaltlichen Bezug auf das Judentum lässt sich Die Judenbuche auch als die Geschichte eines alttestamentarischen Racheakts interpretieren: Nachdem der Mörder nicht gefunden werden kann, soll die Buche als Zeugin Recht schaffen. Der hebräische Spruch wird zum geheimnisvollen Menetekel, das sich schließlich erfüllt. Die Narbe, an der der Mörder erkannt wird, erinnert an das Kainsmal im Alten Testament, das einen Mörder sichtbar brandmarkt.
  • Die Natur erscheint als autonome Kraft, die das erreicht, was den Menschen nicht gelingt, nämlich den Mörder ausfindig zu machen und zu richten. Mit Naturbeschreibungen wird auch die Handlung gespiegelt: Die meisten dramatischen Szenen spielen bei Nacht und häufig während eines Unwetters. Die Entdeckung der Leiche Friedrichs allerdings findet an einem sonnigen Tag statt. Auch das passt ins Bild, denn an diesem Tag wird der Fall für die Dorfbewohner geklärt.
  • Friedrichs Onkel Simon wird häufig als die Verkörperung des Bösen interpretiert, das über Friedrich Macht gewinnt und ihn schließlich zum Mörder werden lässt. Schon nach der ersten Begegnung mit dem Onkel ist Friedrich merklich verändert. Später ist es Simon, der Friedrich von der Beichte und damit von einer möglichen Erlösung abhält. Dagegen steht der schüchterne, linkische Johannes für die Persönlichkeit, die Friedrich vor der Begegnung mit Simon gewesen ist. Während Johannes Friedrichs Vergangenheit verkörpert, ist an Simon erkennbar, wie Friedrich sich in Zukunft entwickeln wird.
  • Viele Zusammenhänge bleiben im Dunkeln: Ist Friedrich tatsächlich Aarons Mörder? Die auffällige Narbe wird erst am Ende erwähnt – hat der Gutsherr den Toten wirklich korrekt identifiziert? Ist Johannes der uneheliche Sohn Simons? Wer hat den Förster erschlagen? In ihrer Mehrdeutigkeit und Rätselhaftigkeit bietet die Geschichte dem Leser viel Raum für eigene Interpretationen.

Historischer Hintergrund

Die Feudalgesellschaft im 18. Jahrhundert

Im 18. Jahrhundert war Deutschland noch von der Ständegesellschaft geprägt: Das Land gehörte adligen Gutsherren, die es an leibeigene Bauern zur Bewirtschaftung weitergaben. Die Gutsherren wiederum waren anderen, höheren Adligen unterstellt und mussten ihnen Dienste leisten. Dieses feudale System stammte noch aus der Zeit der Germanen, bildete sich im Mittelalter weiter aus und blieb in seinen Grundzügen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bestehen. Die Bauern mussten den Gutsherren Abgaben leisten. Sie waren an den ihnen zugeteilten Grundbesitz gebunden und durften ihn nicht verlassen. Lange Zeit besaß der Gutsherr auch das Recht, darüber zu entscheiden, wen seine Leibeigenen heiraten durften. Im Gegenzug war der Gutsherr verpflichtet, die Bauern zu schützen und ihnen in Notzeiten beizustehen. Der Gutsherr hatte auch die Gerichtsbarkeit über seine Leibeigenen und durfte sie bestrafen. Nur die Stadtbewohner unterstanden dieser Gerichtsbarkeit nicht. Während die Adligen im Wohlstand lebten, war das einfache Volk sehr arm und wurde oft von Seuchen und Hungersnöten heimgesucht. Im Zuge der Französischen Revolution wurde auch in Deutschland die Leibeigenschaft Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts nach und nach aufgehoben. In Westfalen gab es ab 1808 keine Leibeigenen mehr. Der Adel blieb jedoch weiterhin privilegiert; erst in der Weimarer Republik wurden 1919 alle Adelsprivilegien aufgehoben.

Entstehung

Der Erzählung Die Judenbuche liegt ein realer Mordfall zugrunde: Im Jahr 1783 erschlug der Knecht Hermann Georg Winckelhan einen Juden, der ihn wegen nicht bezahlter Schulden vor Gericht gebracht hatte. Winckelhan floh, geriet in algerische Gefangenschaft und kam erst 25 Jahre nach der Tat zurück in sein Heimatdorf. Weil er in der Sklaverei genug gelitten hatte, blieb er straffrei. Er erhängte sich aber bald darauf an der Stelle, an der der Mord geschehen war: an einer Buche, in der die Juden des Ortes nach der Tat einen Rachespruch eingeritzt hatten. Werner Adolph von Haxthausen, Annette von Droste-Hülshoffs Großvater, hatte als Gutsherr des Dorfes seinerzeit die Ermittlungen geleitet. 1818 veröffentlichte dessen Sohn August Franz von Haxthausen, der Onkel der Dichterin, einen Text mit dem Titel Geschichte eines Algierer Sklaven, den er auf Basis der Gerichtsakten verfasst hatte. Annette von Droste-Hülshoff kannte die Geschichte des Judenmörders schon als Kind.

Von 1837 bis 1841 arbeitete sie an der Erzählung. Zu den historischen Fakten erfand sie eine Vorgeschichte, die die Entwicklung der Hauptfigur zum Mörder darstellt. Außerdem verlegte sie den Mord vor auf das Jahr 1760. Das gab ihr die Möglichkeit, die Handlung 1789, im Jahr der Französischen Revolution, abzuschließen – ein Hinweis darauf, dass sich nach diesem Datum die Zeiten grundlegend geändert hatten. Viele Orte der Handlung lassen sich wiedererkennen. Die Geschichte spielt in der Gegend von Paderborn. Das Dorf B. entspricht dem Ort Bellersen, das Brederholz ist ein Waldgebiet zwischen Bellersen und Bredenborn. Auch der Holzfrevel der Dorfbewohner hat ein historisches Vorbild: Die Bewohner von Bredenborn beanspruchten die Rechte an dem Waldgebiet, ebenso wie die Freiherren von Haxthausen. Aus diesem Grund gab es dort immer wieder Auseinandersetzungen.

Literarisch war Droste-Hülshoff möglicherweise von Friedrich Schillers Erzählung Der Verbrecher aus verlorener Ehre beeinflusst, in der ein Mann unter widrigen Lebensumständen zum Mörder wird. Das Motiv der Narbe, an der der Mörder wiedererkannt wird, erinnert an Homers Odyssee: Auch Odysseus wird an einer Narbe erkannt, als er nach Jahren heimkehrt. Eigentlich sollte Die Judenbuche Teil eines größeren Werks über Westfalen sein, das Droste-Hülshoff aber nie fertigstellte.

Wirkungsgeschichte

Die Judenbuche ist der einzige Prosatext von Annette von Droste-Hülshoff, der nicht Fragment geblieben ist. Im Frühjahr 1842 erschien die Erzählung in 16 Teilen im Morgenblatt für gebildete Leser. Die Erzählung traf den Zeitgeschmack jedoch nicht und fand bei den Lesern keine große Resonanz. In der Folge wurde sie zu Lebzeiten der Dichterin nicht mehr abgedruckt. Die Kritik bemängelte die scheinbare Zusammenhanglosigkeit und Unklarheit der Handlung. Theodor Fontane urteilte: „Das Maß der Kunst oder gar der Technik ist nicht hervorragend.“ 1876 nahm Paul Heyse Die Judenbuche auf Anraten seines Freundes Theodor Storm in seine Sammlung Deutscher Novellenschatz auf. Das brachte der Geschichte den Durchbruch. Die spätere Kritik bewertete die Uneindeutigkeit des Textes nicht mehr als literarische Schwäche, sondern als ein bewusstes Stilmittel. Annette von Droste-Hülshoff wurde so zur Vorläuferin moderner Schriftsteller wie Franz Kafka. Inzwischen ist die Novelle in zahlreiche Sprachen übersetzt worden, ihre Autorin zählt zu den wichtigsten Stimmen der deutschen Literatur.

Über die Autorin

Annette von Droste-Hülshoff wird am 10. Januar 1797 auf Burg Hülshoff bei Münster geboren. Sie kommt zu früh zur Welt und ist ein kränkliches, aber auch intelligentes Kind. Schon als Siebenjährige schreibt sie erste Gedichte. Als junge Frau ist sie nicht sonderlich beliebt: Sie gilt als zu wissbegierig und dominant; schnell schlägt ihr Selbstbewusstsein in Besserwisserei und Überheblichkeit um. Zugleich gibt es für sie keine Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Von einem adligen Fräulein erwartet man, dass sie sich die Zeit mit Hobbys vertreibt; allzu viel Bildung und eine berufliche Tätigkeit gelten in ihren Kreisen als unschicklich. Droste-Hülshoff fügt sich notgedrungen in die Konventionen, leidet aber lebenslang an Depressionen und Ängsten. Sie schreibt Gedichte, Balladen und Versepen, daneben musiziert, komponiert und zeichnet sie. Als 1826 der Vater stirbt, zieht sie mit der Mutter auf deren Witwensitz in Nienberge. Von einigen längeren Reisen abgesehen, wird sie hier den Rest ihres Lebens verbringen. Als sie ihren ersten Gedichtband plant, ist die Mutter strikt gegen eine Veröffentlichung: Es ziemt sich nicht für eine Adlige, auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Buch erscheint schließlich doch, allerdings nur mit den Initialen der Autorin. Große Beachtung findet es nicht; die meisten Exemplare gehen an die Autorin zurück. Eine besondere Bedeutung hat für Annette von Droste-Hülshoff in dieser Zeit der Schriftsteller Levin Schücking, der Sohn einer Freundin. 1841 vermittelt sie ihm eine Stelle als Bibliothekar bei ihrer Schwester, die in Meersburg am Bodensee lebt, und hält sich ebenfalls dort auf. Doch schon 1842 verlässt Schücking Meersburg, ein Jahr später heiratet er. Den Kontakt zu Droste-Hülshoff lässt er allmählich einschlafen, sehr zu ihrem Kummer. 1844 erscheint eine Gesamtausgabe ihrer Gedichte, allmählich stellt sich ein erster Erfolg ein. Die Dichterin aber ist zunehmend einsam und kränklich. Sie stirbt am 24. Mai 1848 in Meersburg. Zu ihren wichtigsten Werken zählen die Gedichtbände Das Geistliche Jahr (1851) und Heidebilder (1841/42) sowie die Erzählung Die Judenbuche (1842).

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