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Persische Briefe

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Persische Briefe

Reclam,

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10 take-aways
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What's inside?

Ein verbotenes Buch: Montesquieus bissige Abrechnung mit seiner Zeit und ihren Autoritäten stand lange auf dem Index.

Literatur­klassiker

  • Briefroman
  • Aufklärung

Worum es geht

Frankreich, ein fremdes Land

Usbek und Rica, zwei junge Männer aus Persien, halten sich für einige Jahre in Frankreich auf, um Land und Leute kennen zu lernen. Sie schreiben Briefe an ihre Landsleute und berichten darin ausführlich von der für sie fremden Kultur. Die Frauen in Usbeks Harem nehmen sich währenddessen immer größere Freiheiten heraus. Montesquieu ist uns heute vor allem als Verfasser staatstheoretischer und geschichtsphilosophischer Schriften bekannt. Auch sein Briefroman Persische Briefe atmet den Geist der Aufklärung. Das Buch war seinerzeit eine Provokation, erschien wegen der französischen Zensur im Ausland und geriet schließlich doch auf den Index. Die Perspektive der beiden Männer aus einer fremden Kultur erlaubt es Montesquieu, die Gesellschaft, in der er lebt, infrage zu stellen und dabei Fragen der religiösen Toleranz oder der Stellung der Frau in der Gesellschaft anzusprechen – Themen, die auch fast 300 Jahre später nicht ad acta gelegt werden können.

Take-aways

  • Die Persischen Briefe zählen zu den bekanntesten Werken des französischen Staatstheoretikers Montesquieu.
  • Inhalt: Die beiden Perser Usbek und Rica reisen nach Frankreich, um die französische Kultur kennen zu lernen. In Briefen teilen sie den Menschen in ihrer Heimat ihre Erfahrungen in der Fremde mit. Derweil gerät die Lage in Usbeks Harem so außer Kontrolle, dass sich eine der Frauen das Leben nimmt.
  • Die Persischen Briefe sind der erste Briefroman, der viele schreibende Personen und damit viele unterschiedliche Perspektiven in sich vereint.
  • Das Werk besteht aus insgesamt 161 Briefen, die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von neun Jahren.
  • Montesquieu übt scharfe Kritik an der absolutistischen Gesellschaft und an der Kirche.
  • Die Persischen Briefe sind ein Plädoyer für Vernunft, Freiheit und Toleranz, die zentralen Werte der Aufklärung.
  • Um die Zensur in Frankreich zu umgehen, veröffentlichte man das Buch anonym in Amsterdam.
  • Das Werk war ein großer Erfolg und brachte die Form des Briefromans in Mode.
  • Wegen seiner Kritik an Kirche und Religion kam das Buch 1761 auf den Index.
  • Zitat: „Der Papst ist das Oberhaupt der Christen. Er ist ein alter Götze, den man aus Gewohnheit beweihräuchert.“

Zusammenfassung

Aufbruch in eine neue Welt

Die beiden Perser Usbek und Rica verlassen im Jahr 1711 ihre Heimat und unternehmen eine Bildungsreise in Richtung Europa. Usbek hat seine fünf Frauen Fatima, Roxane, Zachi, Zelis und Zephis zu Hause zurückgelassen, sie werden von Eunuchen bewacht. Sie vermissen ihn und können, ebenso wie andere Familienangehörige und Freunde, nicht verstehen, was die beiden ins Ausland zieht. Aus Furcht, er könne sich unrein machen, wenn er so lange unter Ungläubigen weilt, nimmt Usbek Briefkontakt zu einem Mullah auf, der ihn unterstützen und seine theologischen Fragen beantworten soll. Aktuell beschäftigt Usbek die Frage nach der religiösen Reinheit: Er versteht nicht, warum manche Dinge im Islam als unrein angesehen werden. Der Mullah reagiert ungehalten, kann die Frage aber nur mit einer Legende beantworten, wonach das Schwein in der Arche Noah aus dem Kot des Elefanten entstand und deshalb als unrein gelten muss.

In Europa

Usbek und Rica sind im Osmanischen Reich angekommen, und Usbek ist erschüttert über die dortigen Zustände: Das Land ist rückständig, Wirtschaft und staatliche Ordnung sind wenig entwickelt. Inzwischen hat er erfahren, dass sich seine Frau Zachi mit einem weißen Eunuchen getroffen hat. Das ist ihr nicht erlaubt; für die Frauen im Harem sind nur die schwarzen Eunuchen zuständig. Usbek ist außer sich, schreibt seiner Frau lange Vorhaltungen und droht dem Eunuchen die schlimmsten Konsequenzen an, wenn sich der Fall wiederholen sollte. Im Jahr 1712 kommen Usbek und Rica in Italien an, ihrer Zwischenstation auf dem Weg nach Frankreich, wo die beiden länger bleiben wollen. Usbek ist erstaunt, dass die italienischen Frauen kaum verschleiert sind und viele Freiheiten genießen. Noch größer ist das Erstaunen der Reisenden, als sie endlich Paris erreichen. So hohe Häuser haben sie noch nie gesehen, und auch das hektische Treiben in den Straßen sind sie nicht gewohnt. Ebenso ungewohnt ist für sie ein König wie der französische, der so viel Macht besitzt, dass das ganze Reich seinem Wort folgt. Er bevorzugt oder benachteiligt Menschen je nach Laune und hält prunkvoll Hof, obwohl das Land enorme Schulden hat. Dass in diesem Land die Minister sehr jung sein können, die Mätressen des Königs aber sehr alt, finden die beiden Perser ebenfalls recht merkwürdig.

Religion

Die christliche Religionsausübung ist für die beiden Perser ganz unverständlich. Es gibt viele Verhaltensvorschriften, aber ein Bischof kann einen von allen befreien, die man nicht einhalten will. Die Christen nehmen ihre Religion nicht ernst, sie leben nicht danach, lehnen sie aber auch nicht ab. Stattdessen streiten sie ständig über die richtige Auslegung. Wer jedoch eine neue Lehre aufbringt, wird grundsätzlich erst einmal als Ketzer angesehen und muss sich verantworten. In Frankreich gehen solche Prozesse meistens gut aus, aber in Spanien landet man schnell auf dem Scheiterhaufen, und der Besitz des Ketzers fällt an die Kirche. Usbek bemerkt, dass Christentum und Islam durchaus Ähnlichkeiten und Berührungspunkte haben. Ein Mönch erklärt ihm, dass es seine Aufgabe sei, den Menschen zu zeigen, wie sie mit möglichst wenig Aufwand ins Paradies kämen. Sie sollen nur die Todsünden vermeiden, um den Rest bräuchten sie sich nicht zu kümmern. Usbek findet das sehr merkwürdig. Rica besichtigt eine Klosterbibliothek und ist verblüfft, wie viele Bücher zur Auslegung der Bibel dort stehen. Er möchte wissen, ob denn nun alle Fragen beantwortet sind, doch das ist nicht der Fall – ganz im Gegenteil, es gibt noch viele Streitpunkte. Nach Ansicht des Mönchs liegt das daran, dass jeder die Texte der Bibel so auslegt, wie es seiner eigenen Meinung entspricht, statt sie als Glaubenssätze zu akzeptieren.

Die Stellung der Frau

Usbek ist erschüttert darüber, wie tief die Frauen in Frankreich moralisch gesunken sind: Sie sind ganz selbstverständlich mit Männern zusammen und zeigen Gesicht und Körper, ohne sich dafür zu schämen. Verwunderlich ist für die beiden Perser auch, dass man es in Frankreich mit der Treue nicht so genau nimmt. Während die Perser sehr auf die Tugend ihrer Frauen bedacht sind, gehen Franzosen grundsätzlich davon aus, dass ihre Gattinnen sie betrügen. Sie nehmen es gelassen hin und sind ihrerseits bereit, andere Frauen zu verführen. Rica beginnt den freien, entspannten Umgang von Frauen und Männern zu schätzen. Er macht sich auch Gedanken darüber, ob es gerecht sein kann, die Frauen so zu unterdrücken, wie es in seiner Heimat geschieht. Sicher, Frauen sind anders als Männer, aber vielleicht entstehen die Unterschiede nur durch die unterschiedliche Erziehung, die man Jungen und Mädchen angedeihen lässt.

Die Torheiten der Gesellschaft

Usbek und Rica stellen fest, dass es in Frankreich sehr wichtig ist, auf sich aufmerksam zu machen und schön zu reden. Wer das kann, ist in der Gesellschaft beliebt. Usbek belauscht ein Gespräch, in dem zwei Männer sich versprechen, einander vor anderen möglichst geistreich erscheinen zu lassen. So glauben sie gute Chancen zu haben, bald in die Akademie aufgenommen zu werden. In Paris gibt es viele Geschäftemacher, die den Leuten mit den verrücktesten Versprechungen das Geld aus der Tasche ziehen. Frauen wollen hier immer jünger scheinen, als sie tatsächlich sind, was ihnen natürlich nicht gelingt. Die Mode in Frankreich ändert sich laufend. Dementsprechend müssen die Männer viel Geld ausgeben, um ihre Frauen immer modisch einzukleiden. Überhaupt scheint die Mode in diesem Land das Wichtigste zu sein, und die Franzosen sind offen für alle diesbezüglichen Torheiten, beispielsweise furchtbar hohe Frisuren oder Absätze. Die französischen Intellektuellen treffen sich in den Kaffeehäusern und verplempern dort ihre Zeit mit Debatten über Spitzfindigkeiten, statt wirklich wichtige Dinge zu besprechen.

Streit im Harem

Zu Hause stirbt einer von Usbeks Eunuchen. Der Obereunuch möchte keinen neuen kaufen, sondern einen der Sklaven zum Eunuchen machen lassen. Dieser sträubt sich heftig und wendet sich sogar persönlich mit einem Brief an Usbek. Usbek bestimmt, dass der Sklave nicht entmannt werden darf, stattdessen soll doch ein neuer Eunuch gekauft werden. Bald darauf wendet sich der Obereunuch schon wieder an Usbek: Im Harem geht alles drunter und drüber, zwischen den Frauen herrscht nur noch Streit. Er möchte hart durchgreifen und die Frauen mit Strafen zum Gehorsam zwingen, wie er es aus anderen Häusern kennt. Doch leider gibt Usbek keine Erlaubnis dazu, sondern ermahnt seine Frauen nur, untereinander Frieden zu halten.

Staat und Gesetz

Usbek und Rica bemerken Unterschiede im Staatswesen. Die Fürsten in Europa herrschen nicht so uneingeschränkt wie jene in Persien. Dort kann der Herrscher jeden töten lassen, muss aber auch immer um sein eigenes Leben fürchten. In Europa gehen die Fürsten mit ihren Untertanen gnädiger um und werden deshalb auch selbst gnädiger behandelt. Obwohl die Strafen hier weit weniger drakonisch sind, herrscht dennoch keine Anarchie. Im Gegenteil, die Menschen nehmen die mildere Strafe ebenso ernst. Daraus schließt Usbek, dass man ein Volk nicht unbedingt mit harter Hand regieren muss, um Ordnung zu schaffen. Rica stellt fest, dass Männer – ob nun als Ehemann oder Vater – in Frankreich nur sehr wenig Autorität haben. Familiäre Streitigkeiten werden oft vor Gericht entschieden, und meistens ist es der Mann, der unterliegt. Dabei schämen sich die Frauen nicht, auch die intimsten Details ihres Ehelebens in die Öffentlichkeit zu bringen.

Religiöse Toleranz und Wissenschaft

Usbek kommt zu der Erkenntnis, dass es falsch ist, Andersgläubige zu verfolgen. Angehörige verschiedener Religionen in einem Staat zu haben, kann sogar von Vorteil sein: Denn so bemüht sich jeder, seinem Glauben Ehre zu machen. Gerade die Angehörigen religiöser Minderheiten dienen dem Staat sehr treu und sind fleißig, um nicht unangenehm aufzufallen. Religionskriege entstehen nicht deshalb, weil es unterschiedliche Religionen gibt, sondern weil es den Anhänger der verschiedenen Religionen an Toleranz fehlt. Dabei ist jeder Missionseifer Unsinn, denn gerade die eifrig Missionierenden würden ja selbst nie das tun, was sie von anderen verlangen, nämlich eine andere Religion annehmen. Die französischen Gelehrten sind nach Usbeks Meinung mit ihrer philosophisch-religiösen Erkenntnis lange nicht so weit wie die islamischen, aber dafür haben sie die Gesetze der Natur erkannt, etwa wie sich Körper bewegen oder wie hoch die Geschwindigkeit von Schall und Licht ist. Das sind sehr wichtige Erkenntnisse, die eigentlich noch mehr Wert haben als religiöse Fragen.

Fortschritt und Wohlstand

Usbeks Neffe Rhedi, der sich in Venedig aufhält, steht den Entdeckungen und Erfindungen der Europäer kritisch gegenüber: Wer das Schießpulver erfindet, kann auch noch viel schlimmere Dinge entwickeln, Waffen, die ganze Nationen auslöschen. Rhedi zweifelt, ob der Fortschritt immer zum Guten führt; so soll z. B. die Chemie sehr gefährlich sein. Usbek sieht das ganz anders und weist Rhedi wegen seiner Bedenken zurecht: Sollten tatsächlich einmal schlimme Waffen erfunden werden, dann würden die Völker sich zusammenschließen und diese verbieten. Die Weiterentwicklung der Wissenschaften sei für die Menschen von Vorteil. Fortschritt bedeutet immer auch Wohlstand, und ohne den Wohlstand seiner Bürger hätte der Staat keine Einnahmen und würde zusammenbrechen.

Wohlstand und Bevölkerungsdichte

Rhedi macht sich Sorgen, weil er den Eindruck hat, dass sich die Erde langsam entvölkert: In der Antike wohnten viel mehr Menschen in Italien, die Städte blühten, doch jetzt ist alles verfallen. Ähnlich sieht es in Griechenland, Nordafrika und vielen anderen Gegenden aus. Usbek stimmt ihm zu: Die Welt und die Menschen sind verletzlich, man denke nur an Seuchen wie die Pest, die die Menschheit fast ausrottete. Den Grund für diese Entwicklung sieht Usbek in der Religion: In der Antike war die Scheidung erlaubt, die Vielehe jedoch verboten. Dann kamen Christentum und Islam auf. Die Vielehe im Islam belastet die Männer, denn sie sind verpflichtet, für alle ihre Frauen zu sorgen. Da der Islam außerdem hohen Wert auf die Tugend der Frauen legt, müssen diese ständig bewacht werden, zweckmäßigerweise von Eunuchen. Diese aber können keine Kinder zeugen, ebenso wie die vielen Sklavinnen, die nicht heiraten dürfen und deshalb auch keinen Nachwuchs bekommen. Allein das sorgt schon dafür, dass die Bevölkerung abnimmt. In der Antike dagegen wurden Ehen zwischen Sklaven gefördert und die Kinder versorgt. Sklaven durften Berufe ausüben und Geld besitzen, was den Wohlstand des Landes erhöhte.

„Rica und ich sind vielleicht die ersten Perser, die ihr Land aus Wissensdurst verlassen und die auf die Annehmlichkeiten eines ruhigen Lebens verzichtet haben, um unter Mühsalen nach der Weisheit zu suchen.“ (Usbek, S. 13)

Bei den Christen hat das Scheidungsverbot zu einem Bevölkerungsrückgang geführt, denn wenn eine Ehe unauflöslich ist, verliert sie schnell ihren Reiz. Bei den Katholiken kommt noch hinzu, dass die Priester und Ordensleute im Zölibat leben müssen und also auch keine Nachkommen zeugen dürfen. In den Klöstern wird viel Reichtum angesammelt, der jedoch der Wirtschaft nicht zur Verfügung steht. Afrika entvölkert sich, weil die dortigen Herrscher ihre Untertanen als Sklaven nach Amerika verkaufen, wo sie in Massen sterben, ohne Nachkommen. Viel Nachwuchs gibt es dagegen in einem Land, wo Wohlstand herrscht: Dort können Kinder überleben und sich zu gesunden, leistungsfähigen Erwachsenen entwickeln. Umgekehrt führt eine größere Bevölkerungsdichte zu mehr Wirtschaftstätigkeit. Wohlstand entwickelt sich in einem Land, in dem die Regierung nicht streng ist und es den Menschen gut geht.

Das bittere Ende

Der Obereunuch schlägt Alarm: Im Harem ist das Chaos ausgebrochen. Die Frauen sind ungehorsam, neulich war sogar ein junger Mann heimlich im Haus. Es muss etwas geschehen. Usbek befiehlt ihm, mit aller Härte durchzugreifen. Doch seine Anweisung kommt zu spät: Der Obereunuch stirbt, bevor Usbeks Brief ihn erreicht. Nun übernimmt fürs Erste der älteste Sklave die Oberaufsicht. Der traut sich aber nicht, den Brief an den Obereunuchen zu öffnen. So vergeht wieder einige Zeit, bis Usbek zum zweiten Mal den Befehl erlässt, im Harem sofort wieder Ordnung zu schaffen. Doch dieser Brief geht verloren. Inzwischen wendet sich auch Solim, ein anderer Eunuch, an Usbek, weil er die Zustände für unhaltbar hält: Die Frauen nehmen sich alle Freiheiten heraus und treffen sich heimlich mit Männern. Usbek ernennt nun Solim zum Obereunuchen und gibt ihm alle Freiheiten, die Frauen zu strafen. Daraufhin beklagen sich wiederum die Frauen bei Usbek – über die strenge Behandlung. Roxane wird mit einem Liebhaber erwischt; der junge Mann wird getötet. Darauf nimmt Roxane Gift und gesteht Usbek in einem Brief kurz vor ihrem Tod, dass sie ihm trotz aller Bewachung die ganze Zeit untreu gewesen sei.

Zum Text

Aufbau und Stil

Montesquieus Persische Briefe sind ein Briefroman. Der Verfasser gibt sich im Vorwort lediglich als Übersetzer der Briefe aus und spiegelt damit dem Leser vor, es handle sich um authentische, nicht fiktionale Texte. Insgesamt 161 Briefe, mit Ort und Datum versehen, sind ohne weitere Zusätze chronologisch aneinandergereiht. Der Zeitraum der Handlung erstreckt sich über die Jahre 1711–1720, also bis kurz vor Erscheinen des Romans. Die beiden Hauptfiguren Usbek und Rica schreiben an Freunde und Bekannte in Persien und in anderen Ländern, tauschen aber auch untereinander Briefe aus, da sie sich nicht immer am selben Ort aufhalten. Zudem erhalten sie Briefe aus der Heimat, etwa Nachrichten aus dem Harem. Auf diese Weise vereint der Roman in sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Perspektiven und Themen. In die Briefe fügt Montesquieu zahlreiche andere Textsorten ein, etwa Anekdoten oder orientalische Märchen. Oft sind sie nichts anderes als verfremdete, satirische Darstellungen aktueller Ereignisse in Frankreich, etwa das „Fragment eines alten Mythenschreibers“ im 142. Brief. Viele Briefe sind sehr knapp gehalten, manche bedienen sich aber auch einer üppigen Metaphorik, die gut zum orientalischen Flair der Geschichte passt.

Interpretationsansätze

  • Montesquieu übt scharfe Kritik an der absolutistischen Gesellschaft. Das Werk zeigt deutlich satirische Züge, etwa wenn der Autor Erzählungen aus der persischen Geschichte verwendet, um verschlüsselt aktuelle Ereignisse in Frankreich zu kritisieren.
  • Mit der Form des Briefromans, insbesondere mit dem distanzierten Blick von Menschen aus einer fremden Kultur, ermöglicht Montesquieu seinen Lesern, ihre vertraute Welt mit anderen Augen zu sehen. Er kann Kritik nicht nur offen äußern, sondern zugleich auch relativieren: Es ist ja nur natürlich, dass eine andere Kultur zunächst einmal sehr merkwürdig erscheint.
  • Dem Geist der Aufklärung entsprechend fließen politische und soziale Themen in das literarische Werk ein. Im Zentrum steht nicht die Situation von Individuen, sondern der Zustand der Gesellschaft im Allgemeinen und die Möglichkeiten eines grundlegenden Wandels. Typisch für die Epoche ist der positive Blick auf Wissenschaft und Fortschritt, die als Basis für eine positive Entwicklung der Menschheit gelten.
  • Der Roman ist ein deutlicher Aufruf zur Toleranz gegenüber anderen Völkern und Religionen. Usbek und Rica zeigen eine Offenheit und Neugierde, die für die Europäer ein Vorbild sein kann. Montesquieu stellt Christentum und Islam einander gegenüber und zeigt zahlreiche Parallelen auf. Auf diese Weise wendet er sich gegen jeden Überlegenheitsanspruch – egal von welcher Seite.
  • Ein zentrales Thema des Werks ist die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Montesquieus Schilderungen eines persischen Harems sind ein Plädoyer für die Gleichberechtigung der Frau, auch in Europa.
  • Demokratie und Wohlstand hängen für Montesquieu zusammen: Nur dort, wo die Bürger nicht unterdrückt werden, kann sich eine freie Wirtschaft entwickeln, die die Grundlage für den Wohlstand eines Staates ist.

Historischer Hintergrund

Absolutismus und Aufklärung

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte Frankreich eine Vormachtstellung in Europa und wurde von Ludwig XIV. in absolutistischer Manier regiert. Alle Macht im Staat war auf die Person des Königs konzentriert, das Heer unterstand ihm ebenso wie die Kirche. Der übrige Adel war damit praktisch entmachtet, die Parlamente nahmen im Wesentlichen nur noch die Aufgabe von Gerichten wahr. Auch die Wirtschaft wurde staatlich gelenkt. Das Leben am königlichen Hof war prunkvoll. Für die Adligen, die vor dem König erscheinen mussten, bedeutete dies eine enorme finanzielle Belastung, viele von ihnen verschuldeten sich hoch.

Ludwig XIV. starb 1715; unter seinem Nachfolger Ludwig XV. änderte sich nicht viel an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Doch ähnlich wie in anderen europäischen Ländern brach sich in dieser Zeit in der französischen Philosophie und Literatur neues Gedankengut Bahn. Die so genannten Aufklärer traten für mehr Freiheit und Toleranz ein. Sie wandten sich gegen einen starken, alles beherrschenden Staat und forderten mehr Demokratie. Das Denken der Menschen sollte von Vernunft geprägt sein statt von vorgegebenen Glaubenslehren. Sie wandten sich gegen den Herrschaftsanspruch der Kirche und forderten eine Gleichberechtigung aller Religionen. Von staatlicher Seite wurden die Aufklärer mit Misstrauen betrachtet, ihre Werke in der Regel von der Zensur verboten. Doch auf Dauer war das Freiheitsstreben nicht aufzuhalten: Die Ideen der Aufklärung bereiteten den Boden für die demokratische Verfassung der USA im Jahr 1787 ebenso wie für die Französische Revolution zwei Jahre später.

Entstehung

Für seine Persischen Briefe informierte sich Montesquieu zuvor ausführlich über Persien und den Islam. Zu seinen Quellen zählten u. a. die Persischen Reisen des Edelsteinhändlers Jean Chardin, der einige Jahre in Persien gelebt hatte, und der Reisebericht Reisen durch die Türkei, Persien und Indien von Jean-Baptiste Tavernier. Informationen über den Islam lieferte ein Werk des mittelalterlichen Philosophen Hermannus Dalmata, außerdem besaß Montesquieu den Koran in französischer Übersetzung. Literarisch ließ er sich sicher auch von den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht inspirieren, die ab 1704 in französischer Übersetzung erschienen waren. Die Form des Briefromans war bereits seit der Antike bekannt. Auch die Methode, aktuelle Gesellschaftskritik zu üben, indem man Ausländer in Briefen in ihre Heimat berichten lässt, war nicht neu. Bereits der Briefroman Der türkische Spion und seine geheimen Berichte an die Hohe Pforte von Jean-Paul Marana aus dem Jahr 1684 folgt einem ähnlichen Muster.

Die Persischen Briefe wurden 1721 anonym veröffentlicht. Um die Zensur zu umgehen, publizierte Montesquieu das Werk nicht in Frankreich, sondern in Amsterdam. Er bekannte sich zwar nie öffentlich zu dem Buch, doch wussten die damaligen Leser auch bei anonymen Texten in aller Regel, wer der Autor war. In späteren Ausgaben veränderte Montesquieu das Werk, ließ Briefe weg, fügte neue hinzu und strich allzu provokante Aussagen.

Wirkungsgeschichte

Die Persischen Briefe stießen auf großes Interesse. Schon im ersten Jahr nach Erscheinen wurde das Werk mehrfach nachgedruckt; allein bis zum Tod Montesquieus gab es über 30 Ausgaben und Übersetzungen. Zu diesem Erfolg trug sicher bei, dass nach dem Erscheinen der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht das Thema Orient in Frankreich sehr in Mode war, die Persischen Briefe trafen also den Zeitgeschmack. Die Perspektive zweier Ausländer auf die französische Gesellschaft gab Montesquieu die Möglichkeit, viele Tabuthemen offen anzusprechen, was ebenfalls gut ankam. Und nicht zuletzt zog auch die Rahmenhandlung im Harem mit ihrer kaum verhüllten Erotik die Leser in ihren Bann.

Die Persischen Briefe sind der erste Briefroman, in dem sich viele verschiedene Briefpartner untereinander austauschten. Das Werk brachte den Briefroman in Mode und inspirierte in der Folge zahlreiche andere Autoren zu Texten nach ähnlichem Muster. Die Romanform ist bis heute aktuell, wie z. B. das Buch Briefe in die chinesische Vergangenheit (1983) von Herbert Rosendorfer bezeugt. Inhaltlich hatten die Persischen Briefe mit ihrer Forderung nach Toleranz und Vernunft großen Einfluss auf die frühen Aufklärer.

Mit seiner bissigen Kritik an der Kirche und anderen Autoritäten fand das Werk aber nicht nur Bewunderer. So verfasste der Geistliche Abbé Gaultier 1751 die Schrift Die Persischen Briefe der Gottlosigkeit überführt, in der er sich gegen die Kritik Montesquieus an Kirche und Religion wandte. Montesquieus ironische Darstellung der Académie française führte dazu, dass es erhebliche Widerstände gab, als er selbst in diese illustre Gesellschaft aufgenommen werden sollte. Ab 1761 stand sein Werk gar auf dem Index der von der katholischen Kirche verbotenen Bücher.

Über den Autor

Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu wird am 18. Januar 1689 getauft, sein Geburtsdatum ist vermutlich einige Tage vorher. Er ist der älteste Sohn einer französischen Adelsfamilie und lebt auf Schloss La Brède bei Bordeaux. Mit sieben Jahren verliert er seine Mutter, ab 1700 wird er in einem Klosterinternat erzogen. Der Großvater hat das Amt des Gerichtspräsidenten im Parlament von Bordeaux gekauft, später hat ein Onkel den Posten inne, den der junge Montesquieu einmal übernehmen soll. Folglich studiert er Jura und wird 1714 Gerichtsrat, zwei Jahre später Gerichtspräsident. Große Freude scheint ihm dieses Amt nicht zu machen, denn 1726 verkauft er es wieder und lebt fortan abwechselnd auf dem Familiensitz La Brède und in Paris. Noch als Gerichtspräsident verfasst er nebenbei philosophische und staatstheoretische Schriften und den Briefroman Lettres persanes (Persische Briefe, 1721). 1728 wird Montesquieu in die Académie française aufgenommen. Im selben Jahr beginnt er eine lange Europareise, obwohl er inzwischen verheiratet ist und drei Kinder hat. Die Familie bleibt in Frankreich zurück, Montesquieu reist drei Jahre lang durch verschiedene europäische Staaten und tritt 1730 in London den Freimaurern bei. Ab 1731 lebt er wieder überwiegend in La Brède und verfasst staatstheoretische Schriften, in denen er indirekt Kritik am Absolutismus übt. Sein Hauptwerk De l’esprit des lois (Vom Geist der Gesetze) erscheint 1748. Darin führt Montesquieu das Prinzip der Gewaltenteilung ein, also der Trennung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Regierung, das heute die Grundlage aller demokratischen Staaten ist. Das Werk stößt auf so viel Widerstand, dass er sich genötigt sieht, es in einer weiteren Schrift zu verteidigen; trotzdem wird es 1751 verboten. Montesquieu stirbt am 10. Februar 1755 in Paris.

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