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Das Herz aller Dinge

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Das Herz aller Dinge

dtv,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Graham Greenes Seelenthriller aus dem kolonialen Afrika: Ein Katholik zwischen zwei Frauen treibt der TodsĂŒnde Selbstmord entgegen.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Maßloses Mitleid

NĂ€chstenliebe ist die christliche Tugend schlechthin – kann man es mit ihr auch ĂŒbertreiben? Maßloses MitgefĂŒhl ist es jedenfalls, was Graham Greenes Major Scobie ins Grab bringt. Weil er, der glĂ€ubige Katholik, keine der beiden Frauen verletzen will, die er vor allem aus MitgefĂŒhl zu lieben meint, tĂŒrmt er TodsĂŒnde auf TodsĂŒnde: Er geht fremd, entweiht Beichte und Abendmahl und glaubt am Ende, sich nur noch in den Selbstmord retten zu können. Kaum jemand hat die seelische Zerrissenheit eines glĂ€ubigen Menschen so spannend und lebensnah geschildert wie Greene. Das Buch fasziniert auch, wenn man selbst nicht mit religiösen Skrupeln kĂ€mpft. Das mag daran liegen, dass Greene – obwohl bekennender Katholik – selbst ein eher sĂŒndiges Leben fĂŒhrte und mit dessen AbgrĂŒnden durchaus vertraut war. UrsprĂŒnglich wollte Greene seine Erfahrungen als Agent in Afrika literarisch aufarbeiten. Das Herz aller Dinge geht allerdings weit ĂŒber diesen Erfahrungshorizont hinaus und rĂŒhrt ans Allgemein-Menschliche.

Take-aways

  • Das Herz aller Dinge ist ein Meisterwerk des Briten Graham Greene.
  • Der Roman spielt in einer westafrikanischen Kolonie des britischen Empire. Greene selbst hat dort wĂ€hrend des Zweiten Weltkriegs als Agent gearbeitet.
  • Inhalt: Polizeioffizier Scobie, ein guter Katholik und aufrechter Beamter, lĂ€sst seine unglĂŒckliche Ehefrau zur Erholung nach SĂŒdafrika reisen. WĂ€hrend er im Berufsleben unter Korruptionsverdacht gerĂ€t, lĂ€sst er sich im Privaten mit einer jungen Witwe ein. Als seine Frau zurĂŒckkehrt, verzweifelt er an seinem unmoralischen Doppelleben und begeht schließlich Selbstmord.
  • Der Katholik Greene setzt seine Hauptfigur einer christlichen Zerreißprobe aus: Liebe zu den Menschen oder Liebe zu Gott?
  • Scobies Sorge um die geliebten Menschen lĂ€sst ihn das eigene Seelenheil vergessen.
  • Die Liebe erscheint als leeres Wort. Sie kommt nur in zwei fragwĂŒrdigen Formen vor: als Mitleid oder als erotischer Reiz.
  • Typisch fĂŒr Greene ist der nahtlose Wechsel zwischen dramatischer Handlung und psychologischen Einblicken.
  • Als Leser neigt man dazu, Scobies Überzeugungen auch dem Autor zu unterstellen. Doch Greene, der einen Ă€hnlichen Lebenswandel pflegte, sah seine Hauptfigur sehr kritisch.
  • Das Herz aller Dinge markierte Greenes endgĂŒltigen Durchbruch zu literarischem Ruhm.
  • Zitat: „MĂŒsste nicht jemand, der um alles weiß, was geschieht, der eingedrungen ist in das, was man das Herz aller Dinge nennt, sogar mit den Planeten Mitleid haben (...)“

Zusammenfassung

Keine Beförderung

Der junge Brite Wilson kommt als neuer Buchhalter der United African Company in einer westafrikanischen Haupt- und Hafenstadt an. Der Zweite Weltkrieg dauert an, das afrikanische Land gehört zu den Kolonien der britischen Krone. Auf dem Balkon seines Hotels wird Wilson von dem Telegrammzensor Harris angesprochen. Dieser orientiert ihn ĂŒber das örtliche Völkergemisch und macht ihn außerdem auf den vorbeispazierenden Major Henry Scobie aufmerksam. Scobie, Anfang 50, seit 15 Jahren vor Ort und stellvertretender Polizeichef des Landes, ist auf dem Weg ins BĂŒro. Dort werden ihm die jĂŒngsten betriebsinternen GerĂŒchte bestĂ€tigt: Sein Vorgesetzter, der Commissioner, wird in KĂŒrze in Pension gehen, doch Scobie ist nicht als sein Nachfolger vorgesehen. Er selbst nimmt die schlechte Nachricht gefasst auf, doch seine Frau Louise empfindet sie als schwere EnttĂ€uschung. Sie hat gehofft, durch den Aufstieg ihre soziale Isolation in der britischen Gemeinde ĂŒberwinden zu können.

„Sie sind ein fĂŒrchterlicher Mensch, Scobie. Scobie der Gerechte.“ (der Commissioner, S. 21)

Am Abend lernt Wilson bei seinem ersten Besuch im Klub das Ehepaar Scobie persönlich kennen. Er unterhĂ€lt sich angeregt mit Louise, die wegen ihrer literarischen Bildung oft belĂ€chelt wird, in Wilson aber endlich jemanden findet, der sich fĂŒr Poesie interessiert. Scobie freut die neue Bekanntschaft. Er lĂ€dt Wilson fĂŒr den spĂ€teren Abend auf einen Drink zu sich nach Hause ein. In der Nacht hört Scobie seine Frau leise weinen. Sie möchte dem Elend vor Ort entfliehen und nach SĂŒdafrika umziehen, zunĂ€chst ohne ihren Mann. Scobie hat fĂŒr diesen Wunsch VerstĂ€ndnis, doch fehlt ihm momentan das Geld, um die Schiffspassage bezahlen zu können. Bei der Bank fragt er vergeblich nach einem Kredit.

Lieblose Liebe

Scobie muss ein Passagierschiff routinemĂ€ĂŸig durchsuchen lassen. In der Toilette des KapitĂ€ns stellt er einen illegal transportierten Brief sicher. Weil er dem KapitĂ€n – ein Katholik wie er selbst – im Herzen vertraut, öffnet er den Brief, ĂŒberzeugt sich von dessen Harmlosigkeit und lĂ€sst ihn verschwinden. Am Abend kommt es zu einem Streit mit Louise. Sie wirft ihrem Mann Lieblosigkeit vor. Der Tod der gemeinsamen Tochter drei Jahre zuvor habe alle Leidenschaft in ihm erstickt. Seine herzliche Sorge sei nur noch PflichtgefĂŒhl, und im Grunde wĂ€re er lieber allein. Scobie beruhigt sie notdĂŒrftig: SelbstverstĂ€ndlich liebe er sie und werde nach wie vor alles tun, um sie glĂŒcklich zu machen. Er lĂ€dt Wilson zu einem weiteren Besuch ein. Bei einem Spaziergang mit Louise erfĂ€hrt dieser von ihren ReisewĂŒnschen. Er behauptet, sie zu lieben, und kĂŒsst sie. Louise widersetzt sich nicht, lĂ€sst aber keine weiteren AnnĂ€herungen zu. ZurĂŒck im Haus, wird den SpaziergĂ€ngern von Scobie mitgeteilt, dass er sofort dienstlich ins Landesinnere abreisen muss. Wilson möge seiner Frau doch noch etwas Gesellschaft leisten.

„Er hörte nie zu, wenn seine Frau redete. Sein Geist arbeitete bei dem gleichmĂ€ĂŸigen GerĂ€uschpegel ruhig weiter, doch wenn sich ein Unterton von Erregung in ihre Stimme einschlich, merkte er es sofort.“ (ĂŒber Scobie, S. 33)

Im Landesinneren hat sich ein junger District-Commissioner, von Spielschulden erdrĂŒckt, das Leben genommen. Der örtliche Pfarrer Clay weist Scobie darauf hin, dass der Tote durch den Selbstmord jede göttliche Gnade verwirkt habe. Scobie glaubt allerdings, dass Gott sehr wohl Erbarmen mit einem so unwissenden jungen Menschen hat. Nach der Aufnahme des Tatbestands wird Scobie von einem Fieberanfall ans Bett gefesselt. Noch wĂ€hrend seiner Krankheit bekommt er Besuch von dem syrischen HĂ€ndler Yusef, einem Bekannten aus der Hauptstadt. Yusef verbrennt mit großzĂŒgiger Geste alle noch ausstehenden Schuldscheine des Toten und versichert Scobie seiner Freundschaft. Der jedoch legt keinen Wert auf diese AnnĂ€herung. Es fĂ€llt ihm schwer, dem Syrer zu trauen. Yusef und sein Konkurrent Tallit, ebenfalls Syrer, sind fĂŒr illegalen Diamantenhandel berĂŒchtigt und versuchen mit allen Mitteln, lokale Beamte auf ihre Seite zu ziehen. Yusef bietet Scobie an, ihm zu einem gĂŒnstigen Zinssatz das Geld zu leihen, das er fĂŒr Louises Überfahrt braucht. Scobie lehnt zunĂ€chst ab. Als er jedoch nach einer Woche auf dem Krankenlager nach Hause zurĂŒckkehrt, er wieder die Liebe seiner Frau zu spĂŒren glaubt und außerdem ein Schiff mit Kurs auf SĂŒdafrika im Hafen einlĂ€uft, nimmt er Yusefs Angebot an. Nach dem Abschied von Louise bekommt er erneut Besuch von dem Syrer. Der verrĂ€t ihm, dass sein Konkurrent Tallit Diamanten aufs nĂ€chste Schiff nach Europa schmuggeln will. Zugleich warnt er ihn vor einem Geheimagenten der britischen Regierung, der mit Tallit Umgang haben soll. Scobie hat Wilson im Verdacht.

Unter SchiffbrĂŒchigen

Wochen spĂ€ter erwartet Scobie im Grenzort Pende die Ankunft einer Gruppe von SchiffbrĂŒchigen. Sie haben 40 Tage in Rettungsbooten hinter sich, nachdem ihr Schiff vom Feind versenkt wurde. Auch Wilson befindet sich vor Ort, da er die lokalen LagerbestĂ€nde seiner Firma zu prĂŒfen hat. Er und Scobie unterhalten sich ĂŒber den jĂŒngsten Diamantenfall: Im Kropf eines Papageis habe Tallit Steine zu schmuggeln versucht – wobei man sich nicht sicher sein könne, ob ihm der Vogel nicht zuvor von Yusef untergeschoben worden sei.

„Wieso (...) liebe ich diese Stadt so? Vielleicht deshalb, weil hier die menschliche Natur noch keine Zeit hatte, sich zu tarnen. (...) Hier konnte man den Menschen fast genauso lieben, wie Gott ihn liebte, der das Schlimmste von ihm wusste.“ (Scobie, S. 46 f.)

Unter den Überlebenden der Schiffskatastrophe befinden sich ein etwa sechsjĂ€hriges, frisch verwaistes MĂ€dchen und eine junge Frau von 19 Jahren namens Helen Rolt, deren Gatte umgekommen ist – beide schweben in Lebensgefahr. Scobie hĂ€lt eine Weile Wacht am Bett des halluzinierenden MĂ€dchens und gibt sich als ihr Vater aus, als sie nach diesem fragt. Kurz darauf stirbt sie, und Scobie glaubt, den Tod der eigenen Tochter, an deren Sterbebett er seinerzeit nicht anwesend sein konnte, nachempfunden zu haben. Er bleibt noch ein paar Tage bei den SchiffbrĂŒchigen in Pende und lernt dabei Helen Rolt nĂ€her kennen. Mit Wilson kommt es zu einer unangenehmen Aussprache. Dieser verdĂ€chtigt Scobie, von Yusef gekauft zu sein. Außerdem erzĂ€hlt er ihm von seinem Kuss mit Louise und bezichtigt ihn unlauterer Neigungen gegenĂŒber Helen. Scobie nimmt die Taktlosigkeiten gelassen hin.

Ein Kuss mit Folgen

Einen guten Monat spĂ€ter sieht er Helen Rolt durch Zufall wieder. Sie ist in die Hauptstadt umgesiedelt, wo man ihr eine Wellblechbaracke in Scobies Nachbarschaft zugewiesen hat. Als der Major bei nĂ€chtlichem Fliegeralarm dort klopft, um die schadhafte Verdunkelung zu reparieren, brauchen beide einen Augenblick, um sich ĂŒberhaupt wiederzuerkennen. Schließlich plaudern sie stundenlang – bis weit ĂŒber das Entwarnungssignal hinaus. In der Polizeizentrale wird Scobie vom KolonialsekretĂ€r und vom Geheimdienstoberst Wright zur DiamantenaffĂ€re befragt. Tallit behauptet mittlerweile, Scobie sei von Yusef bestochen worden. Scobie leugnet seine Bekanntschaft zu Yusef nicht, wohl aber die Bestechung. Den Kredit fĂŒr die Schiffspassage seiner Frau lĂ€sst er unerwĂ€hnt. SpĂ€ter fĂ€hrt er zu Yusef. Dieser gesteht, ihn mit eigenen Edelsteinen auf eine falsche FĂ€hrte gelockt zu haben, um Tallit hinter Gitter zu bringen. Scobie geht, verĂ€rgert und enttĂ€uscht. Beim nĂ€chsten Besuch in Helen Rolts Baracke wĂ€chst zwischen den beiden die Vertraulichkeit. Scobie empfindet der jungen Frau gegenĂŒber ein großes VerantwortungsgefĂŒhl und viel Mitleid. An einer beilĂ€ufigen körperlichen NĂ€he entzĂŒndet sich ein Funke, der die beginnende Freundschaft blitzschnell auf eine andere Ebene befördert. Aus einem Kuss wird eine Liebesnacht, und plötzlich steckt Scobie in einer außerehelichen AffĂ€re.

Selbstmordgedanken und eine Erpressung

Wilson bewohnt inzwischen die Baracke neben Helen Rolt. Eines Nachts sieht er Scobie vor Helens HĂŒtte. Nachdem die AffĂ€re einen Monat gedauert hat, kommt es zu einem ersten, heftigen Streit. Helen, die nur heimlich Geliebte, schickt Scobie fort. Der schreibt ihr daraufhin einen leidenschaftlichen Brief und schiebt ihn unter der BarackentĂŒr durch. In der Polizeizentrale setzt er den Commissioner ĂŒber seine Schulden bei Yusef in Kenntnis – ohne damit seinem Ansehen zu schaden. Nachts, wieder vor Helens Baracke, sehnt er sich kurz nach der Einfachheit des tugendhaften Lebens zurĂŒck – und feiert dann doch beglĂŒckt die Versöhnung. Allerdings scheint sein Brief verschwunden zu sein. Zu Hause findet er ein Telegramm von Louise vor. Sie kĂŒndigt ihm unerwartet ihre RĂŒckkehr an.

„Sogar in Kriegszeiten muss man sich hin und wieder darin ĂŒben, einfach zu glauben, weil diese Eigenschaft sonst völlig verkĂŒmmert.“ (S. 68 f.)

Scobie fĂŒhlt sich von der zweifachen Verantwortung und dem verdoppelten Mitleid – fĂŒr Louise und fĂŒr Helen – ĂŒberfordert. Spontan sieht er im eigenen Tod einen Ausweg aus der moralischen Klemme – wohl wissend, dass nach katholischem Glauben nicht nur Ehebruch, sondern auch Selbstmord eine TodsĂŒnde ist. Als er Helen von Louises bevorstehender RĂŒckkehr berichtet, verbindet er dies mit einem neuerlichen Liebesschwur. Helen stellt ihm dagegen in einem kurz darauf geschriebenen Brief frei, die AffĂ€re zu beenden oder sie weiterzufĂŒhren, er solle handeln, wie immer es ihm beliebe. Yusef besucht Scobie und setzt ihn plötzlich unter Druck: Er ist in den Besitz von Scobies Liebesbrief gelangt. Den droht er Louise bei ihrer Ankunft auszuliefern, wenn Scobie nicht ein SchmugglerpĂ€ckchen an den KapitĂ€n des in KĂŒrze einlaufenden Schiffes weitergebe. Der Major gehorcht und hĂ€ndigt das PĂ€ckchen wĂ€hrend der Routinedurchsuchung des Schiffes aus.

Verdammt trotz Abendmahl und Beichte

Bald darauf geht auch Louises Schiff vor Anker. Das Wiedersehen der Eheleute ist liebevoll, aber ohne Leidenschaft. Als Zeichen des neuen Zusammenhalts bittet Louise ihren Mann, am folgenden Tag gemeinsam mit ihr das Abendmahl zu feiern. Unter dem Vorwand, Wilson sprechen zu mĂŒssen, besucht Scobie noch am selben Nachmittag Helen. Vergeblich versucht er, ihr seine religiöse Verzweiflung und deren GrĂŒnde verstĂ€ndlich zu machen. Am folgenden Morgen fingiert Scobie eine Schmerzattacke, die er mit Cognac betĂ€uben mĂŒsse – so kommt er um das Abendmahl herum. Louise trifft in der Stadt auf Wilson, der sie abermals bedrĂ€ngt. Er versucht zudem, sie gegen ihren Mann aufzubringen, indem er auf dessen AffĂ€re mit Helen Rolt anspielt – und erhĂ€lt fĂŒr seine Taktlosigkeit eine Ohrfeige. Louise ignoriert den Hinweis auf die AffĂ€re und bittet ihren Mann fĂŒr den nĂ€chsten Tag erneut zum gemeinsamen Abendmahl. Davor geht Scobie zur Beichte. Er gesteht Pater Rank seine regelmĂ€ĂŸige Unkeuschheit, lĂ€sst es aber an aufrichtiger Reue fehlen. Die Absolution erhĂ€lt er deshalb vorlĂ€ufig nicht. Als er am nĂ€chsten Morgen trotz allem mit Louise zur Kommunion geht, glaubt er sich der ewigen Verdammnis unweigerlich ausgeliefert.

Mord

Vom Commissioner erfĂ€hrt Scobie, dass er nun doch zu dessen Nachfolger ernannt werden soll. Er spricht mit Helen darĂŒber, die damit erneut das Ende ihrer AffĂ€re gekommen sieht. Scobie selbst hĂ€lt das fĂŒr ganz und gar ausgeschlossen, streitet sich mit der Geliebten aber dennoch ĂŒber seine religiösen Nöte, deren Ernst sie nicht begreift. Nebenbei keimt in ihm der Verdacht, sein ĂŒber lange Jahre treuer Diener Ali liefere intime Informationen an Wilson. Sicher ist er sich allerdings nicht: Womöglich hat er, dem man lĂ€ngst nicht mehr vertrauen sollte, mittlerweile selbst die FĂ€higkeit zu vertrauen eingebĂŒĂŸt. Yusef lĂ€sst Scobie – als kleine Aufmerksamkeit – einen Diamanten ĂŒberbringen, was Ali mitbekommt. Scobie weist den Stein zurĂŒck, steuert jedoch in der folgenden Nacht das BĂŒro des HĂ€ndlers fĂŒr eine Aussprache an. Auf dem Weg kommt es zu einem weiteren Wortwechsel mit Wilson, der ihm frei ins Gesicht sagt, dass er Louise liebe. Scobie lĂ€sst ihn schließlich einfach stehen. Yusef gegenĂŒber bringt er nicht nur seine AffĂ€re zur Sprache, sondern auch seinen Argwohn in Bezug auf Ali. Der HĂ€ndler bittet ihn, diese Angelegenheit ihm zu ĂŒberlassen und sich gleich darum kĂŒmmern zu dĂŒrfen. Nur wenige Stunden spĂ€ter findet Scobie seinen treuen Diener ermordet auf. Er gibt sich die Schuld an Alis Tod.

VorgetÀuschte Angina Pectoris

Bei der nĂ€chsten Begegnung mit Scobie ist Helen entschlossener denn je, ihren innerlich zerrissenen Geliebten freizugeben und die Stadt zu verlassen. Scobie akzeptiert diesen Schlussstrich allerdings nicht. Er will lieber selbst allem ein Ende setzen. Der Suizid scheint ihm immer unausweichlicher, und er trifft die nötigen Vorkehrungen, um diesen gut zu tarnen. In seinem Tagebuch notiert er Symptome von Angina Pectoris, er spielt beim Arzt den Kranken und beklagt auch seiner Frau gegenĂŒber die charakteristischen Schmerzen. Ein letztes Mal besucht er die Kirche und bittet Gott, ihn einfach in den Tod und in die Verdammnis zu entlassen. Dann hört er Gott aus seinem Innern sprechen: Er solle am Leben bleiben, auf seine Liebe bauen und noch einmal den Kampf gegen die SĂŒnde aufnehmen. Doch Scobie bleibt bei seinem Entschluss: Er hortet Schlaftabletten und schluckt sie schließlich mit einem Mal und viel Alkohol. Nach Scobies Tod weist Wilson Louise darauf hin, dass die letzten Tagebuchaufzeichnungen ihres Mannes – entgegen dessen Intention – eindeutig auf Selbstmord hindeuten. Louise lĂ€sst ihrerseits erkennen, dass sie lĂ€ngst ĂŒber Scobies AffĂ€re Bescheid wusste. Helen gibt bereits wenige Tage nach dem Todesfall dem Begehren des kleinen Beamten Bagster nach. Louise sucht Trost bei Pater Rank. Dieser kann ihr ĂŒber Scobie immerhin versichern, „dass er Gott wirklich geliebt hat“.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Herz aller Dinge ist ein gradlinig und chronologisch erzĂ€hlter Roman. Die Gedanken der Hauptfigur Scobie nehmen breiten Raum ein, verringern aber nicht das ErzĂ€hltempo. Im Gegenteil sorgen gerade Scobies Gewissensnöte fĂŒr Spannung und Dramatik. Eine von Greenes Finessen steckt im oft unmerklichen Übergang von der Perspektive des ErzĂ€hlers zu derjenigen der Hauptfigur. Von Scobie wird zwar in der dritten Person gesprochen, doch werden dessen Gedanken und Empfindungen so weit wie möglich wiedergegeben. Zugleich bewahrt sich der ErzĂ€hler eine gewisse Distanz zur Hauptfigur, indem einzelne Kapitel aus Wilsons Perspektive geschildert werden – allerdings ohne diesem Gegenspieler ein vergleichbares Innenleben zu gestatten. Ohnehin sind die zentralen Figuren psychologisch nur in GrundzĂŒgen ausgestaltet. Nicht die einzelne Persönlichkeit ist entscheidend, sondern die PlausibilitĂ€t von Scobies Passionsgeschichte. Mit der Mischung aus dramaturgischem Geschick – der Unterhaltungsliteratur entnommen – und tiefgrĂŒndiger Thematik gelingt Greene ein packendes Werk ĂŒber ein abstraktes religiöses Problem.

InterpretationsansÀtze

  • Scobies Problem ist sein ĂŒbersteigertes Mitleid. Mit seinem EinfĂŒhlungsvermögen und seinem VerstĂ€ndnis fĂŒr die Nöte der Mitmenschen ist Major Scobie ein herausragender Beamter und tadelloser Christ. Weil er aber sein Mitleid nicht einzuhegen weiß, wird aus der Tugend ein Laster, das ihn schließlich ins UnglĂŒck stĂŒrzt.
  • Der Roman zeigt die Welt als Jammertal, aus dem man erst mit dem Tod entlassen wird – im besten Fall ins Himmelreich, im schlimmsten ins Reich der Verdammnis. Der Sinn des Lebens bleibt ebenso unergrĂŒndlich wie der der göttlichen Gnade.
  • Greene entlarvt die Liebe als leeres Wort; sie kommt im Roman nur in zwei fragwĂŒrdigen Formen vor: als Mitleid oder als erotischer Reiz. Tiefes GlĂŒck empfindet der Antiheld Scobie einzig in anspruchsloser Einsamkeit.
  • Scobie scheitert an einer christlichen Zerreißprobe: am Unvermögen, die Liebe zu den Menschen zugunsten der Liebe zu Gott einzuschrĂ€nken. Dieses moralische Dilemma steht im Zentrum des Romans und erhellt ganz allgemein die Probleme eines praktizierenden Katholiken.
  • Greene sah seine Hauptfigur selbst sehr kritisch und wollte mit ihr nach eigener Aussage zeigen, „dass Mitleid der Ausdruck furchtbaren Hochmuts sein kann“. Insbesondere Scobies Gedanke, er wĂŒrde Gott entlasten, wenn er sich durch Selbstmord dessen Sorge entziehe, erscheint tatsĂ€chlich als Anmaßung. Trotzdem ist man als Leser geneigt, Scobie mit Nachsicht zu betrachten – gerade wegen Greenes gelungener EinfĂŒhlung in dessen Charakter.
  • Der Roman ist auch eine Untersuchung ĂŒber Nutzen und Nachteil des Glaubens. In Greenes eigenem Leben kontrastierte der katholische Glaube mit einer „sĂŒndhaften“ LebensfĂŒhrung, weshalb die SeriositĂ€t seines Bekenntnisses oft bezweifelt wurde. TatsĂ€chlich gab der Autor zu, katholische Figuren auch darum auftreten zu lassen, weil sie den dramatischen Effekt steigerten.

Historischer Hintergrund

Die Nachkriegszeit in Großbritannien

Großbritannien gehörte zu den SiegermĂ€chten des Zweiten Weltkriegs, ging aber geschwĂ€cht daraus hervor. Gegen die Konservative Partei des bisherigen Premiers Winston Churchill konnte die linksorientierte Labour Party bei den Wahlen im Juli 1945 einen Erdrutschsieg verbuchen. Clement Attlee fĂŒhrte in den folgenden Jahren eine der radikalsten britischen Regierungen des 20. Jahrhunderts an. SchlĂŒsselindustrien wie Stahl und Kohle wurden ebenso verstaatlicht wie die Bank of England, das Transportwesen oder die Gas- und Stromversorgung. DarĂŒber hinaus etablierte die Labour-Regierung den modernen britischen Sozialstaat einschließlich des 1948 gegrĂŒndeten öffentlichen Gesundheitsdienstes. Im gleichen Jahr erhielt Großbritannien, noch immer von Nahrungsmittelknappheit betroffen, erstmals Gelder aus dem Marshallplan, dem US-Wiederaufbauprogramm fĂŒr Europa. Trotz seiner SchwĂ€che und seiner egalitĂ€ren Politik auf nationaler Ebene hielt das Land an den immensen kolonialen Besitzungen fest. Dabei entsprach das imperialistische Denken immer weniger dem Geist der Zeit. Schon seit dem Ersten Weltkrieg hatten sich vielerorts Widerstandsbewegungen formiert. 1947 gelang schließlich Indien und Pakistan der Schritt in die UnabhĂ€ngigkeit, ein Jahr spĂ€ter folgten Burma (Myanmar) und Ceylon (Sri Lanka). Das westafrikanische Sierra Leone – Graham Greenes StĂŒtzpunkt als Geheimagent – blieb bis 1961 in britischer Hand. Die europĂ€ische Leitreligion, das Christentum, verlor zunehmend an Boden. Die Verweltlichung der britischen Gesellschaft schritt voran.

Entstehung

Graham Greene begann mit der Arbeit an Das Herz aller Dinge unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bereits seit 1944 arbeitete er als Verlagsdirektor in London, wĂ€hrend seine Frau mit den zwei gemeinsamen Kindern in Oxford lebte. Greene versuchte, seine EindrĂŒcke und Erfahrungen aus Sierra Leone, wo er 1941–1944 als Agent fĂŒr den britischen Geheimdienst tĂ€tig gewesen war, fĂŒr das Romanprojekt fruchtbar zu machen. ZunĂ€chst plante er einen eher unterhaltenden Agententhriller. Erst mit der Zeit schĂ€lte sich Scobie als zentrale Figur heraus. „Die Gestalt Wilsons“, schrieb Greene spĂ€ter in seiner Autobiografie, „ist das wenig befriedigende Überbleibsel des Unterhaltungsromans.“ In der Rekapitulation seiner Kriegsjahre wurde sich Greene bewusst, dass die Zeit in Westafrika weniger aus „echter Action“ bestand denn aus einer „Flucht vor der Wirklichkeit und der Verantwortung“. So trat die exotische Kulisse im Roman schrittweise in den Hintergrund. Obwohl er das afrikanische Setting des Buches beibehielt, rĂŒckte Greene Themen ins Zentrum, die weniger mit dem Kolonialismus zu tun haben als mit seinen privaten Problemen in England. Wie die Hauptfigur Scobie kĂ€mpfte der Autor mit Selbstmordgedanken und lebte zerrissen zwischen zwei Frauen: Neben der schwer lösbaren Bindung an seine Frau Vivien unterhielt er eine AffĂ€re zu einer Londoner Illustratorin. Beim Schreiben spielten auch professionelle Sorgen eine Rolle: Nach Jahren ohne ein ambitioniertes Romanprojekt erschien dem Autor sein „Handwerkszeug arg eingerostet“. Es kostete ihn erhebliche MĂŒhe, die ErzĂ€hlperspektive zweizuteilen und den richtigen Ton zu treffen. In einer spĂ€ter verfassten Einleitung zum Roman bedauert er die „technischen MĂ€ngel“ des Buches.

Wirkungsgeschichte

Das Herz aller Dinge war Graham Greenes Durchbruch zu literarischem Ruhm. WĂ€hrend von Greenes vorherigem Roman nur 18 000 Exemplare abgesetzt wurden, verkaufte sich das neue Buch binnen dreier Jahre 300 000 Mal allein in Großbritannien. Zum Erfolg trug nicht zuletzt die EntrĂŒstung kirchlicher Institutionen bei, die an dem Roman eine in ihren Augen fragwĂŒrdige Darstellung glĂ€ubigen Lebens kritisierten. Das Buch stand in Irland sogar eine Zeit lang unter kirchlichem Bann; die Jugend wurde vor der demoralisierenden LektĂŒre gewarnt. Zugleich fand der Roman aber auch prominente katholische FĂŒrsprecher, darunter den Schriftsteller Evelyn Waugh, der ihn als „zutiefst ehrfurchtsvoll“ lobte. Waugh ließ in seiner Rezension allerdings auch durchblicken, dass ihm Scobies Selbstmordmotive nicht einleuchteten: „Die Vorstellung, gerade aus Liebe zu Gott die eigene Verdammnis anzustreben, scheint mir entweder ein sehr freier, poetischer Ausdruck oder eine böse Blasphemie. Denn der Gott, der dieses Opfer annĂ€hme, wĂ€re weder liebenswert noch gerecht.“ Den prominentesten Verriss verfasste George Orwell, der das Konzept des „geheiligten SĂŒnders“ kritisierte und Greene u. a. vorwarf, er wĂŒrde die Verdammnis zur erlesenen Erfahrung stilisieren: „Die Hölle scheint eine Art exquisiter Nachtklub, dessen Zutritt Katholiken vorbehalten ist, denn die anderen, die Nichtkatholiken, sind zu unwissend, um ĂŒberhaupt schuldig zu werden.“

1953 wurde das Buch erstmals verfilmt, mit Trevor Howard und Maria Schell in den Hauptrollen. Aus RĂŒcksicht auf den Zeitgeschmack verzichtete der Film jedoch auf den finalen Selbstmord. Heute zĂ€hlt Das Herz aller Dinge zu den herausragenden BĂŒchern in Greenes Gesamtwerk und gilt als einer der wichtigsten britischen Romane des 20. Jahrhunderts.

Über den Autor

Graham Greene wird am 2. Oktober 1904 in Berkhamsted (Hertfordshire) in England geboren. Als Kind ist Greene ein schĂŒchterner Junge, der sich schnell einigelt und von Gleichaltrigen abwendet. Dass sein Vater Schuldirektor ist, macht ihm den Kontakt zu anderen Kindern nicht einfacher. So wird Greene zum EinzelgĂ€nger und Außenseiter, der sich immer öfter in die fantastische Welt der Literatur flĂŒchtet. Die Schule wird fĂŒr ihn zur Qual: Sein Hass darauf wird so stark, dass er sogar Selbstmordversuche unternimmt und seine Eltern mit 15 Jahren mit dem Entschluss konfrontiert, die Schule nicht mehr zu besuchen. Die Eltern schicken ihn zu einem Therapeuten nach London, der Greene dazu ermutigt, zu schreiben. Greene beginnt ein Geschichtsstudium am Balliol College in Oxford, das er nach eigenen Angaben „betrunken und schuldengeplagt“ 1925 beendet. Es folgen mehrere Anstellungen bei unterschiedlichen Redaktionen, unter anderem beim Nottingham Journal, wo er seine spĂ€tere Frau Vivien Dayrell-Browning kennenlernt. In diese Zeit fĂ€llt auch seine Konversion zur katholischen Kirche, die sein weiteres Werk entscheidend beeinflussen wird. Eine Anstellung bei der Times fĂŒhrt ihn nach London. Sein erster veröffentlichter Roman Zwiespalt der Seele (The Man Within, 1929) wird so erfolgreich, dass sich Greene fortan ganz auf die Schriftstellerei konzentriert. Um neues Material zu finden und seine Abenteuerlust zu befriedigen, begibt er sich auf grĂ¶ĂŸere Reisen: Seinen Aufenthalt in Schweden verarbeitet er in dem Buch Ein Sohn Englands (England Made Me, 1935); Der Weg nach Afrika (Journey Without Maps, 1936) resultiert aus seiner Reise durch Liberia; seine Arbeit fĂŒr den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 in Sierra Leone findet Niederschlag in Das Herz aller Dinge (The Heart of the Matter, 1948); und die Erlebnisse in Mexiko fließen in Die Kraft und die Herrlichkeit (The Power and the Glory, 1940) ein. Viele von Greenes Romanen werden verfilmt, Der dritte Mann (The Third Man, 1950) wird sogar direkt fĂŒr die Verfilmung geschrieben. Greene stirbt am 3. April 1991 in Vevey in der Schweiz.

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