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Das Narrenschiff

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Das Narrenschiff

Reclam,

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10 take-aways
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What's inside?

Sebastian Brants satirische Zeitgeistkritik wurde zum Bestseller der frühen Neuzeit.

Literatur­klassiker


Worum es geht

Zeitgeistkritik und Selbsterkenntnis

Als Sebastian Brants Narrenschiff 1494 erschien, war es eine Sensation. Das Buch geriet zum deutschsprachigen Bestseller der frühen Neuzeit und wurde noch zu Lebzeiten des Autors in mehrere Sprachen übersetzt. Mit seiner Klage über Gottlosigkeit und Sittenverfall wie auch mit seiner Prophezeiung des nahen Weltendes traf Brant den Nerv seiner krisengeschüttelten Zeit. Für die immer wiederkehrenden Kriege, Hungersnöte und Seuchen machte der Basler Jurist und Humanist nicht zuletzt die Lasterhaftigkeit der Menschen verantwortlich, die nur noch nach Besitz gierten und darüber die göttliche Weisheit vergäßen. Brants satirische Zeitgeistkritik bleibt indes nicht abstrakt und blutleer, sondern taucht tief in das pralle Leben des Mittelalters. In einer volkstümlichen, oft derben Sprache erzählt Brant von den kleinen und großen menschlichen Schwächen. Der Leser soll seine eigene Torheit erkennen und sich durch Einsicht bessern. In vielerlei Hinsicht mag das Buch noch spätmittelalterlichem Denken verhaftet sein, seine Botschaft aber mutet schon modern an: Erkenne dich selbst und ändere dein Leben.

Take-aways

  • Sebastian Brants 1494 erschienenes Narrenschiff ist bis heute das berühmteste Werk in frühneuhochdeutscher Sprache.
  • Inhalt: Die Welt ist ein einziges Narrenhaus und geht auf ihr Ende zu. Habsucht und Neid, Ehebruch und Betrug, unmäßiges Fressen und Saufen – die Zahl der Torheiten und Laster ist groß. Wer in diesen Narrenspiegel schaut und sich darin selbst erkennt, ist auf dem Weg der Besserung. Wer sich indes als Weiser betrachtet, ist der allergrößte Narr.
  • Brant verband neues humanistisches Denken mit spätmittelalterlichen literarischen Traditionen.
  • Die Idee des Buchs gründet auf der im Mittelalter verbreiteten Vorstellung der sieben Todsünden.
  • Mit seiner Prophezeiung des nahenden Weltuntergangs traf Das Narrenschiff den Nerv einer von Pest und Hunger, Krisen und Kriegen beherrschten Zeit.
  • Brant wollte ein möglichst großes Lesepublikum erreichen und verfasste sein Werk deshalb auf Deutsch statt auf Lateinisch.
  • Er erhebt Vernunft und Selbsterkenntnis zu Wegweisern und deutet damit bereits ein modernes Selbstverständnis des Menschen an.
  • Ein Großteil der Holzschnitte, die die jeweiligen Schwächen und Laster illustrieren, stammt von Albrecht Dürer.
  • Das Buch wurde zu einem europäischen Bestseller und etablierte die Figur des Narren in der Literatur.
  • Zitat: „Den narren spiegel ich diß nenn / Jn dem ein yeder narr sich kenn“

Zusammenfassung

Gelehrte Narren

Zurzeit erscheinen Unmengen von Ausgaben der Heiligen Schrift und gelehrte Abhandlungen über die wahre christliche Lehre. Man sollte meinen, dass die Menschen dadurch besser würden, doch sie leben mehr denn je in Sünde und Unwissenheit. Den unzähligen Narren, die unsere Straßen bevölkern, gilt es einmal den Spiegel vorzuhalten, auf dass jeder sich darin wiedererkenne. Wer hineinschaut und sich selbst für weise hält, ist der größte Narr, wer aber der eigenen Torheit gewahr wird, der ist auf dem Weg zur Weisheit. Jeder Leser dieses Buches wird seine ganz eigene Art der Narrheit darin wiederfinden und hoffentlich die Wahrheit erkennen.

„Den narren spiegel ich diß nenn / Jn dem ein yeder narr sich kenn“ (S. 108)

Viele der angeblich so weisen Bücher, die heute massenhaft gedruckt werden, sind völlig unverständlich und eignen sich nur dazu, Fliegen totzuschlagen. Eine Unmenge verschiedener Lehren sind in Umlauf, angeblich kluge Köpfe interpretieren die Heilige Schrift und verkehren damit die Botschaft des Heiligen Geistes in ihr Gegenteil. Vor solchen falschen Propheten sollte man sich hüten. Überhaupt ist das Studieren eine sinnlose Tätigkeit. Die meisten Studenten, so sie nicht ohnehin nur saufen und ein Lotterleben führen, lernen bloß unnützes Zeug. Was nützt es auch, viel herumzureisen, andere Länder kennenzulernen, geografische und astronomische Fakten zu sammeln? Das ist Erkenntnis ohne jede Selbsterkenntnis. Eine Fülle von neuen Lehren und Schulen sind entstanden, und doch bringt keine von ihnen die Wahrheit ans Licht. Vernunft, Besonnenheit und Weisheit lernt man nicht an den Universitäten von Padua und Paris. Pythagoras, Platon und Sokrates mögen ruhmreich sein, und doch haben sie nicht die rechte Weisheit über das Leben hier auf Erden gefunden.

Göttliche Weisheit gegen irdische Güter

Ein Narr ist, wer keinen fremden Rat annimmt, keine Kritik gelten lässt, keine Strafe akzeptiert und glaubt, die Weisheit gepachtet zu haben. Selbst Alter ist heute kein Garant mehr für Weisheit. Es gibt Hundertjährige, die sich wie böse Kinder benehmen und für ihre Schlechtigkeit auch noch geehrt werden wollen – kein gutes Vorbild für die Jugend. Närrisch ist auch, wer bei anderen alles tadelt und blind für seine eigenen Fehler ist. Selbstgefällig betrachtet man sich im Spiegel, putzt sich heraus, findet sich klüger und hübscher als den Rest, hebt die eigenen Gaben und Leistungen hervor. Statt sich in Demut zu üben, ist man stolz auf seinen Rang und Besitz, auf Jugend und Schönheit – und bedenkt nicht, dass all dies vergänglich ist. Wer sich selbst für den Größten hält und über das Unglück anderer spottet, vergisst, dass es ihn schon als Nächsten treffen kann. Denn Glück ist nicht dauerhaft. Was hochkommt, fällt wieder herab und keiner weiß, was morgen sein wird. Das liegt allein in Gottes Hand.

„Dann wer sich für einen narren acht / Der ist bald zuo eym wisen gmacht“ (S. 108)

Die Fixierung aufs Geld ist heute leider verbreitet: Alle Welt ehrt die Reichen, man fragt nur noch nach Besitz, nicht mehr nach Anstand und Vernunft. Dabei sind Tüchtigkeit, Ehre und Weisheit umsonst zu haben und wertvoller als Reichtum und weltliche Güter. Doch Weisheit und Redlichkeit werden nicht mehr geschätzt. Was nach Geld riecht, hält man für wertvoll. Mit Geld kann man heute fast alles erreichen, einen Sitz im Rat, Ämter, ja sogar Gerichtsbarkeit ist käuflich. Auf Armut dagegen schaut man spöttisch herab, dabei ist sie eine Gabe Gottes und der Ursprung der Tugend. Armut verleiht Freiheit, während Besitz nur Neid und Habgier erzeugt. Wer arm ist, hat nichts zu verlieren, wer nackt ist, schwimmt leichter. Der Narr häuft Güter an, ohne Freude daran zu haben, der Weise lehnt irdischen Reichtum ab.

„Eß hat keyn wyser nye begerdt / Das er moecht rich syn hie vff erdt / Sunder das er lert kennen sych“ (S. 119)

Die Bettelei, die sich derzeit rasant ausbreitet, ist allerdings keineswegs ehrenhaft. Schnorrer, die ihre Habe verprasst haben, Bettler, die Gebrechen vortäuschen oder eine geliehene Kinderschar mit sich führen, um Mitleid zu erregen, Ganoven, die sich durch Handel mit falschen Reliquien bereichern – sie alle leiden selten Hunger, vielmehr bereichern sie sich auf Kosten anderer. Töricht handelt auch, wer etwas findet, was jemand anderem gehört, und es behält, weil er meint, Gott habe es ihm beschert. Oder derjenige, der seine Zeit vertrödelt und nicht für Notzeiten vorsorgt. Wer nicht aussät, der soll auch nicht ernten. Wer für sich nicht aussät und für andere erntet, wer sich also immer um andere sorgt, statt auf sich selbst achtzugeben, ist ebenfalls ein Narr. Jeder muss für sich selbst vorsorgen. Wer ein Haus baut, muss ja auch vorher die Kosten kalkulieren, sonst wird es ein böses Ende haben.

Der Verfall der Sitten

Ein Narr ist, wer stets der neusten Mode folgt und sich leicht zu allem möglichen Unsinn verführen lässt. Früher etwa war es ehrenvoll, einen Bart zu tragen, heute rasieren sich die Männer, kräuseln und bleichen sich die Haare und schminken sich wie die Weiber. Man zeigt viel nackte Haut, die Kleidung bedeckt kaum mehr Bauchnabel und Busen, und man stolziert in den teuren Kleidern und mit erhobenem Kopf umher. Weisheit dagegen äußert sich in der Missachtung der schnell wechselnden Moden, in Schamgefühl, Zurückhaltung und gutem Benehmen. Daran aber mangelt es den Narren. Hemmungslos stopfen sie sich den Magen voll, schütten kübelweise Wein in sich hinein und schaden damit nicht nur ihrer Gesundheit, sondern auch ihrem Ansehen. Gern tanzen sie und bedenken nicht, dass der Tanz Teufelswerk ist. Nachts bringen sie ihrer Angebeteten ein Ständchen, singen zur Laute und pfeifen in den Gassen, bis man den Nachttopf über ihnen auskippt. Leidenschaftlich widmen sie sich dem Glücksspiel, würfeln und zocken bis in die Morgenstunden, ohne zu schlafen – eine Sünde vor Gott.

„Des ist zu wuondern nit dar an / Das narren narrecht kynder han“ (S. 129)

Narren sind auch jene, die viel schwatzen, tratschen und schon die Antwort parat haben, ehe man gefragt hat. Dabei ist Schweigen oft besser. Wer seine Zunge nicht im Zaum halten kann, sorgt für Unruhe und Unfrieden, verfällt in Gotteslästerung, Spotten und Fluchen. Doch leider stehen Schwätzer und Schmeichler heute hoch im Ansehen – selbst in der Kirche ist man vor Lärm und Getratsche nicht mehr sicher. Nur bei der Beichte schweigen sie. Besonders Frauen reden viel dummes Zeug, überhaupt sind sie eine Gefahr für Sitte und Anstand. Oft sind sie eitel, verschwenderisch und zänkisch, stürzen Männer ins Verderben und spinnen Netze, in denen die Toren sich verfangen. Viele Ehefrauen betrügen ihre Männer. Doch daran sind die Männer zum Teil auch selbst schuld, weil sie ihre hübschen, lebenslustigen Frauen gewähren lassen, sich Gäste ins Haus holen und zusehen, wie diese ihre Gattinnen verführen. Eine fromme Frau sollte sich richtig benehmen, zu Boden schauen und nicht mit jedermann herumschäkern. Ein Narr ist, wer mit seiner Frau verkehrt und ihren Liebesschwüren glaubt, obwohl sie ihn betrügt. Überall lauern Betrug und List, man kann gar nicht argwöhnisch genug sein. Vorsicht geboten ist auch bei Frauen, die sich öffentlich für Geld anbieten. Wer ihnen folgt, ist ein Narr und fährt zur Hölle.

„Besser ist haben guot geberd / Dann alle richtum vff der erd / Vß sytten man gar bald verstat / Was einer jn sym hertzen hat“ (S. 138)

Natürlich spielt die Erziehung eine wichtige Rolle. Wer seine Kinder nicht züchtigt, straft und ihnen alles nachsieht, ist schlicht und einfach dumm. Die Jugend ist noch formbar, und die Rute treibt den Kindern die Narrheit aus. Heute aber kommt es häufig vor, dass Kinder nicht mehr erzogen werden. Man ist nicht mehr bereit, für gute Lehr- und Schulmeister Geld auszugeben. Aus Geiz stellt man schlechte Erzieher an, mit dem Ergebnis, dass die Kinder dümmer sind als zuvor. Närrische Eltern geben ein schlechtes Vorbild ab. Sie treiben böses Spiel und Liebschaften vor den Augen ihrer Kinder und wundern sich dann, wenn ihre Söhne lästern und fluchen, huren, prassen und zocken und ihnen stets nur Kummer bereiten.

Allerlei Charakterschwächen und Aberglaube

Wer einen Freund hintergeht oder ein Geheimnis verrät, handelt närrisch. Doch leider ist wahre Freundschaft heute selten; wo Geld ins Spiel kommt, hört sie auf, und wo Eigennutz herrscht, können gemeinschaftliche Beziehungen nicht gedeihen. Wer aber seinen eigenen Nutzen über den Gemeinnutzen stellt, ist dumm, denn was der Allgemeinheit dient, dient auch ihm selbst. Gleichzeitig haben Freundschaft und Beziehungen in der Politik nichts verloren, sie sorgen dort bloß für Bestechung, Korruption und Vetternwirtschaft.

„Wem nit der gmein nütz jst als werd / Als eigen nutz des er begert / Den halt jch für ein naerschen gouch / Was gmeyn ist / das ist eigen ouch“ (S. 141)

Manche haben Freude daran, durch Lügen und Verleumdungen Zwietracht zu säen, Freunde zu entzweien, zu zanken oder vor Gericht zu klagen. Den Schaden haben sie am Ende selbst. Wieder andere werden leicht zornig oder ungeduldig, dabei mildert Geduld den Streit. Manche Narren sind voller Hass, ihr Neid und ihre Missgunst raubt ihnen den Seelenfrieden und die Ruhe. Andere wollen allein tragen, was zu schwer für sie ist, und werden davon blass und dünn.

„Eyn narr muoß vil gesoffen han / Eyn wiser maeßlich drincken kan / Vnd ist gesünder vil dar mit / Dann / der mit kübeln jn sich schüt“ (S. 163)

Viel Aberglaube ist in der Welt. Manche Narren vertrauen auf die Sterne, auf Wahrsager, Traumdeuter und schwarze Magie. Aus irgendwelchen Zeichen wollen sie die Zukunft ablesen, als läge diese nicht allein in Gottes Hand. Und dann sind da noch die Kranken, die keinen ärztlichen Rat annehmen, die verschriebene Diät nicht befolgen und Wunden nicht behandeln lassen, weil das wehtun könnte. Stattdessen hören sie auf alte Weiber mit ihren Kräutern und Tinkturen, vertrauen auf magische Zeichen und Zauberwurzeln oder rufen gar den Teufel an. Krankheit ist oft eine Folge von Sünde: Bei der Beichte ehrlich zu sein, hilft also mitunter mehr als die beste Arznei. Eins ist jedenfalls gewiss: Wer reuig auf dem Krankenbett verspricht, sein Leben zu ändern und es dann nicht tut, der wird bestraft.

Herkunft, Arbeit und ewiges Aufschieben

Viele Narren rühmen sich großer Leistungen und vergessen darüber ihre einfache Herkunft. Da will einer Junker genannt werden, als wüssten nicht ohnehin alle, wer sein Vater war. Bauern machen das dicke Geld, tragen Seidenhemden und Goldketten, Handwerkerfrauen kleiden sich wie Gräfinnen, und wer vorher Bürger oder Kaufmann war, will plötzlich ein edler Ritter sein – natürlich ohne mit dem Schwert für Gerechtigkeit zu kämpfen. Dabei vergisst man, dass aller Adel allein auf Tugend beruht. Wer Sitte, Ehre und Anstand nicht kennt, ist nicht adlig, selbst wenn sein Vater ein Fürst war.

„Was hülff eyn menschen das er gwynn / Die gantz welt / vnd verdurb er drynn“ (S. 188)

Nicht nur mit dem Adel, auch mit dem Handwerk geht es den Bach runter. Jeder Knecht will heute Meister sein und das schafft er, ohne je sein Handwerk gelernt zu haben. In der Folge findet man lauter Pfuscharbeit, die zwar preisgünstig, aber auch wertlos ist. Schlechte Zimmerleute machen viele Hobelspäne, Maurer lassen Spalten im der Wand, die Schneider machen weite Stiche. Alles soll möglichst schnell produziert und billig sein. Dabei kostet Qualität Zeit und Geld. Gute Arbeit muss angemessen bezahlt und gelobt werden. Auch der Betrug hat zugenommen: Lahme Pferde werden beschlagen, durchscheinende Stoffe im halbdunklen Laden verkauft, unter frische Ware wird faule gemischt. Maße und Gewichte sind getürkt, Falschgeld ist im Umlauf, Spekulanten treiben ihr böses Spiel, und der Tugendhafte kommt nur selten auf einen grünen Zweig. Aber Gott belohnt Mühsal und Fleiß und straft Betrug und Faulheit.

„Mancher vff erden würt geert / Der noch sym tod zuor hellen fert“ (S. 204)

Ein Narr ist auch, wer alles aufschiebt. Morgen, morgen, sagt der Narr, morgen fange ich damit an, zu lernen und richtig zu handeln. Aber dieses Morgen gibt es nicht, es ist flüchtig und schmilzt wie Schnee, und dann erkrankt der Körper, weil man nicht genug auf die Seele geachtet hat. Andere fangen eine Sache an, verlieren aber schnell die Lust daran, verlangen nach Neuem und werden nicht besser. Wem Gott eingibt, er solle sein Leben ändern und sich bessern, der muss sofort damit anfangen. Man weiß nie, ob er einen morgen noch mal ruft.

Das Ende der Welt

Die Feinde der Christenheit rücken vor, die Zahl der Glaubensabtrünnigen wächst, das Reich befindet sich in der Auflösung. Der Jüngste Tag ist nicht mehr fern. Nicht nur bei Türken und Mohammedanern, auch in unserem Land werden die christliche Lehre und die Heilige Schrift nicht mehr gebührend in Ehre gehalten. Am Wortsinn der Bibel wird herumgedeutelt, Gott wird gelästert, die heiligen Gebote werden verletzt, und alle Welt meint gegen den Ablass wettern zu dürfen, der doch zu den Fundamenten unseres Glaubens zählt. Wen wundert es da noch, dass Gott eine Plage nach der anderen – Kriege, Hungersnöte, Pest und Dürren – schickt.

„O narr gedenck zuo aller fryst / Das du eyn mensch / vnd toetlich bist“ (S. 284)

Dumm ist, wer im Hier und Jetzt das Leben genießt und keinen Gedanken auf den Tod und das Jenseits verschwendet. Sterben müssen wir alle, auch wenn wir nicht wissen, wann, wo und wie. Weder Macht oder Titel noch Reichtum, Jugend und körperliche Stärke bewahren uns davor. Der Tod macht alle gleich. Da hilft auch kein noch so prächtiger Grabstein, wir werden doch alle von Würmen zerfressen. Wer auf Erden Honig genießt und glaubt, Gott habe alle Sünden vergessen, wird im Jenseits die bittere Galle schmecken. Auch wenn Gott einen jetzt noch verschont, irgendwann straft er alle Sünder – spätestens, wenn man in der Hölle schmort. Wer glaubt, man könne Gott und der Welt zugleich dienen, ist ein Narr. Man kann es nicht jedem recht machen, sonst verrenkt man sich und schluckt viel, was einem nicht schmeckt. Der Weise konzentriert sich auf eine Sache, er bleibt auf dem rechten Weg und achtet nicht auf das Geschwätz der anderen. Gut ist, wer sich von der Welt abwendet und die Höhen und Tiefen des Schicksals durchmisst, ohne zu fallen oder schuldig zu werden.

Zum Text

Aufbau und Stil

Sebastian Brants Narrenschiff ist in 112 Kapitel untergliedert, die sich – vielleicht bewusst als Abbild einer ungeordneten Welt – in einer beliebig wirkenden Abfolge jeweils einem Laster widmen. Dem Laster- und Schwächenkatalog geht eine Vorrede voraus, in der Brant seinen didaktischen Anspruch betont. Es ist gut erkennbar, dass der Autor auf ein großes Lesepublikum zielt. So sind jedem Kapitel ein einprägsames dreizeiliges Motto und ein Holzschnitt vorangestellt, der den Inhalt des Spruchs illustriert. In einer Zeit eingeschränkter Lesefähigkeit konnte dadurch jeder die Botschaft der paarweise angeordneten Verse leicht verstehen. Brant nennt zunächst ein abstraktes Laster, um es gleich darauf mit vielen Beispielen und Geschichten aus dem Alltag zu konkretisieren. Seine Sprache – wie er selbst betont, hat er das Buch bewusst in Deutsch (Neuhochdeutsch) und nicht in Latein verfasst – ist volkstümlich, voll derber Ausdrücke, Sprichwörter und damals gängiger Redewendungen. Wie Martin Luther schaut Brant dem Volk aufs Maul und spart nicht an Drastik und satirischer Schärfe. Die betont einfache Sprache kontrastiert einerseits mit dem hohen ästhetischen Anspruch Brants, andererseits auch mit den vielen gelehrten Beispielen und Zitaten aus der antiken Mythologie, der klassischen römischen Literatur und der Bibel.

Interpretationsansätze

  • Das Narrenschiff gründet auf der im Mittelalter verbreiteten Annahme, dass es sieben Todsünden gibt: Hochmut, Geiz, Neid, Zorn, Wollust, Völlerei und Trägheit. Daneben deutet Brant auch Verstöße gegen die biblischen Zehn Gebote als Narrheit, wobei er ihnen kaum mehr Gewicht beimisst als etwa dem nächtlichen Singen auf der Straße.
  • Auf dem Holzschnitt, der die Titelseite des Buches ziert, ist das Narrenschiff abgebildet, das den ganzen Text als allegorisches Bild durchzieht. Sämtliche Arten von Narren sind darauf eingeschifft und nehmen Kurs auf das Land „Narragonien“. Weitere Leitmotive sind der Narrenbrei, der Narrentanz und der Narrenorden.
  • Brant begründete eine neue literarische Richtung, die satirisch-didaktische Narrenliteratur. Er verband in seinem Narrenschiff Elemente des Journalismus, des politisch-religiösen Kommentars und der Versdichtung mit der spätmittelalterlichen Tradition von Schwank, Moralsatire und Totentanz.
  • Brant greift auf die populäre Figur des Narren zurück, der in Fastnachtsspielen und bei Hofe seine Possen reißt, der seine seelischen und körperlichen Defizite öffentlich zur Schau stellt, der dumm, frech und wollüstig auftritt. Indem Brant den Narren religiös-ethischen Kategorien unterwirft, macht er ihn zum Werkzeug seiner Belehrung. Der Narr ist nicht mehr Gegenstand einer derben, karnevalesken Komik, sondern Symbolfigur für all jene, die vom Pfad der Weisheit abgekommen sind.
  • Indem er den traditionell mittelalterlichen Tendenzen auch neue, humanistische beimischt, deutet Brant ein modernes Selbstverständnis des Menschen an. Seine streng katholische, antireformatorische Haltung und sein pessimistisches Geschichtsbild erscheinen zwar konservativ, gleichzeitig untergräbt er diese Haltung aber, indem er Vernunft und Selbsterkenntnis zu Wegweisern erhebt. Als humanistisch kann auch sein Interesse an Klassikern der Antike und sein pädagogisches Streben bezeichnet werden.

Historischer Hintergrund

Apokalyptische Krisenvorstellungen in der frühen Neuzeit

Am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert herrschte in West- und Mitteleuropa der weitverbreitete Glaube, man lebe in der Endzeit. Noch Martin Luther war der Meinung, der Weltuntergang stehe unmittelbar bevor. Nicht nur die Auflösungserscheinungen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, das mit der Zentralgewalt des Kaisers gegenüber den erstarkenden Territorialfürsten zunehmend an Bedeutung verlor, auch die allmähliche Erosion der seit dem Mittelalter überkommenen Ständeordnung trugen zur Endzeitstimmung bei. Zwar war die durch Geburt bestimmte Aufteilung in Adel, Klerus und Bauern weiterhin gegeben. Wer als Sohn eines Bauern geboren wurde, blieb in der Regel ein Leben lang Bauer. Dennoch entsprach die starre Dreiständeordnung vor allem in den wachsenden Städten mit ihren vielfältigen sozialen Verflechtungen immer weniger der Realität der vormodernen Gesellschaft.

Die Vorstellung vom nahenden Untergang erhielt durch regelmäßig wiederkehrende Hungersnöte und Seuchen, die die Bevölkerung spürbar dezimiert hatten, zusätzlich Auftrieb. Von hohem symbolischem Stellenwert war auch die Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453. Dass es dem Osmanischen Reich unter Sultan Mehmet II. gelungen war, die Stadt und damit das Byzantinische Reich zu Fall zu bringen, berührte in Westeuropa das christliche Selbstverständnis und wurde allgemein als Zeichen des Niedergangs gedeutet. In den folgenden Jahrzehnten, in denen das Osmanische Reich sein Herrschaftsgebiet immer weiter nach Westen ausdehnte und zur Großmacht aufstieg, mehrten sich Stimmen, die den Vormarsch der „Türken“ als Gottes Strafe für die Sünden der Menschen apostrophierten.

Unter dem Eindruck des nahenden Weltendes und der Zerrissenheit der christlichen Kirche, die mit ihren protzenden Päpsten und Prälaten, lasterhaften Mönchen und ungebildeten Pfarrern weit von der seit dem Spätmittelalter angekündigten „Erneuerung an Haupt und Gliedern“ entfernt war, vertiefte sich im 15. Jahrhundert die christliche Volksfrömmigkeit. Selbst ernannte Volksprediger, Reformpublizisten und Verfasser populärer Erbauungsschriften fanden ein enormes Publikum. In Wallfahrten, Heiligenkulten und Totenmessen sowie im Studium der Bibel, von der schon vor Luthers Ausgabe zahlreiche deutsche Übersetzungen erschienen waren, suchten die Menschen ihr Verlangen nach persönlicher religiöser Erfahrung zu stillen. Die oftmals tiefgläubigen christlichen Humanisten entdeckten heidnische Autoren der Antike für sich neu und hofften auf eine Wiederbelebung der idealisierten Vergangenheit. Philologie und richtiger Sprachgebrauch, die pädagogische Unterweisung der Jugend sowie die moralische Erziehung jedes Einzelnen zählten zu den wichtigsten Anliegen des humanistischen Reformprogramms.

Entstehung

Im Unterschied zu vielen zeitgenössischen humanistischen Autoren nutzte der große Volkspädagoge Sebastian Brant bewusst die Möglichkeiten, die der von Johannes Gutenberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts erfundene Buchdruck ihm bot. Von Beginn an plante er, Das Narrenschiff als gedrucktes Buch für ein möglichst breites Publikum herauszugeben; die im Spätmittelalter noch übliche handschriftliche Verbreitung und Rezitation spielten bei ihm dagegen kaum mehr eine Rolle. Zwischen 1492 und dem Frühjahr 1494 stellte er Das Narrenschiff fertig. Sein enger Freund, der reiche Basler Mäzen, Verleger und Förderer vieler Autoren Johann Bergmann von Olpe brachte es 1494 in einer aufwändig gestalteten, ästhetisch sehr anspruchsvollen Ausgabe heraus. Rund zwei Drittel der im Buch abgebildeten Holzschnitte fertigte aller Wahrscheinlichkeit nach der junge Albrecht Dürer an, der sich zu jener Zeit auf Wanderschaft in Basel befand.

Wirkungsgeschichte

Das Narrenschiff traf den Nerv der Zeit und wurde für viele Jahrzehnte zum erfolgreichsten Buch in deutscher Sprache. Noch zu Lebzeiten des Autors sollte es in zahlreichen, teilweise nicht autorisierten Nachdrucken erscheinen. Brant wurde mit dem römischen Dichter Horaz verglichen und als eine Art deutscher Dante gefeiert. Durch die lateinische Übersetzung von 1497, die Brant selbst intensiv betreute, erlangte das Narrenschiff in ganz Europa Berühmtheit und wurde schon bald ins Englische, Französische und Niederländische übertragen. Bis ins 18. Jahrhundert entfaltete das Werk einen kaum zu überschätzenden Einfluss und sorgte dafür, dass sich der Narr zu einer festen Größe im Denken und in der Literatur des frühneuzeitlichen Europas etablierte. Autoren wie Erasmus von Rotterdam, Hans Sachs, Johann Fischart und Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen knüpften an das Vorbild des Narrenschiffs an. Außerhalb der Literatur prägte Das Narrenschiff zahlreiche Bräuche, Sprichwörter und Redewendungen und beeinflusste mit seinen Illustrationen die bildende Kunst.

Über den Autor

Sebastian Brant wird 1457 als Sohn des angesehenen Gastwirts und Ratsherrn Diebolt Brant und seiner Frau Barbara in Straßburg geboren. 1475 nimmt er an der Universität Basel das Studium der Artes und der Rechtswissenschaften auf und kommt schon früh mit der oberrheinischen Humanistenbewegung in Kontakt. Nach Abschluss des Studiums heiratet er 1485 die Baslerin Elisabeth Burgis, Tochter des Zunftmeisters der Basler Messerschmiede, mit der er in der Folgezeit sieben Kinder bekommt. 1489 wird Brant zum Doktor der Rechte promoviert und ins Professorenkollegium aufgenommen. Den Schwerpunkt seiner Lehre bilden das kirchliche und das römische Zivilrecht. Nebenbei arbeitet er als Advokat, Richter und Rechtsgutachter. Ab den 1490er-Jahren entfaltet Brant, der schon früh literarisches Interesse erkennen lässt und während seiner Studienzeit eine Abschrift der Ars Poetica von Horaz verfertigt hat, eine rege schriftstellerische und publizistische Tätigkeit. Neben juristischer Fachliteratur und deutschen wie lateinischen Dichtungen verfasst er auch zahlreiche Gelegenheitsschriften und Flugblätter mit Bezug zu aktuellen und naturwissenschaftlichen Fragen. Im Kreis befreundeter Basler Humanisten beschäftigt sich Brant mit Fragen des Buchdrucks und der Medien und tritt auch selbst als Übersetzer, Korrektor und Herausgeber vieler Werke, unter anderem von Petrarca und Augustinus, auf. 1501 kehrt er in seine Geburtsstadt Straßburg zurück. Dort ist er zunächst als Jurist tätig und wird bald auf den Posten des Stadtschreibers berufen. Kaiser Maximilian I. macht ihn zum kaiserlichen Rat und Beisitzer des Hofgerichts in Speyer. In dieser Zeit tritt er kaum mehr mit eigenen literarischen Publikationen an die Öffentlichkeit, wirkt aber vermehrt als Förderer. Auf einer dienstlichen Reise ins niederländische Gent erbietet Brant 1520 dem neu gewählten deutschen König Karl V. die Reverenz der Freien Reichsstadt Straßburg. Brant stirbt am 10. Mai 1521 in Straßburg.

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