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Nachtwachen

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Nachtwachen

Reclam,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Ein vergnügliches Rätsel für schlaflose Nächte.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Romantik

Worum es geht

Das Leben als wahnsinniges Marionettentheater

Der Autor der Nachtwachen hat seine Leser nachhaltig zum Narren gehalten. In erster Linie dadurch, dass er sich hinter dem durchaus gängigen Pseudonym Bonaventura versteckte. Die Frage, wer der geheimnisvolle Verfasser dieses Werks ist, spornte Literaturhistoriker fast zwei Jahrhunderte lang zu wilden Spekulationen an. Es gab kaum einen Dichter der Romantik, dem die ketzerische Satire nicht zugetraut wurde. Doch auch nachdem die Urheberschaft geklärt ist, bleibt die Freude an den Nachtwachen und ihren Mysterien bestehen. Der zynische Bericht eines brotlosen Dichters, der sich als Nachtwächter verdingt, ist voller Anspielungen auf die Themen der Frühromantik: Schein und Sein, Tod und Teufel, Maskerade und Entlarvung. Dem schreibenden Schelm ist dabei überhaupt nichts heilig. Im Totentanz des Nachtwächters werden Heuchler entlarvt, Marionetten begehren auf und die Irren sind weise und glücklich. Gerade wegen der verwirrenden Verstrickungen waren die Nachtwachen ihrer Zeit weit voraus. Bis heute bergen sie unzählige metaphorische Knacknüsse. Am Schluss bleibt nichts als das Lachen der Narren und die Erkenntnis, dass die Welt zwar ein Tollhaus sein mag, aber dass man sich darin prächtig amüsieren kann.

Take-aways

  • Die Nachtwachen des Bonaventura sind ein anonym verfasstes Werk der Frühromantik.
  • Inhalt: Ein brotloser Dichter verdingt sich als Nachtwächter. Während seiner Rundgänge durch die Stadt betrachtet er die Gesellschaft und setzt sich mit seinem bisherigen Leben auseinander. Er berichtet von seiner Zeit im Irrenhaus, begegnet bizarren Gestalten und beobachtet die Menschen in ihrem Kampf gegen die Sterblichkeit. Als er seinen verstorbenen Vater aus dem Grab holt, zerfällt dieser zu nichts.
  • Formal und inhaltlich sind die Nachtwachen ein Vorläufer der Moderne, womit sie ihrer Zeit weit voraus waren.
  • Bis 1900 wurden sie kaum besprochen, danach stritten sich die Literaturhistoriker über den Urheber hinter dem Pseudonym Bonaventura.
  • Erst 1987 wurden die Spekulationen durch den Fund einer Handschrift beendet: Der Text wurde dem Dichter Ernst August Friedrich Klingemann zugeordnet.
  • Das Werk ist eine Collage aus Erzählungen, Dialogen, Briefwechseln, Stegreifreden und lyrischen Passagen.
  • Die sowohl inhaltliche wie auch formale Strukturlosigkeit spiegelt das Chaos der Welt wider.
  • Als Leitmotive dienen der Teufel, die Marionette, der Humor und die Welt als wahnsinniges Theater.
  • Das Werk ist voller Sarkasmus, Zynismus und wilder Assoziationen. Hier ketzert ein Revoluzzer lustvoll gegen alles, was heilig ist.
  • Zitat: „Wo gibt es überhaupt ein wirksameres Mittel jedem Hohne der Welt und selbst dem Schicksale Trotz zu bieten, als das Lachen?“

Zusammenfassung

Nächtliche Rundgänge

Ein Nachtwächter namens Kreuzgang macht sich fertig für seinen abendlichen Rundgang durch die Stadt. Er vermummt sich, setzt den Helm auf und nimmt das Nachthorn zur Hand. Außer ihm schlafen fast alle, nur ein einsamer Dichter hat noch Licht in seinem Dachfenster. Der Nachtwächter bläst in sein Horn, ruft ihm die Zeit zu und geht weiter. Durch ein anderes Fenster sieht er einen Sterbenden, umringt von seiner Familie. Ein Geistlicher ist auch dort. Er versucht vergebens, dem sterbenden Freigeist ein Glaubensbekenntnis zu entlocken. Schimpfend verlässt der Geistliche die verlorene Seele; auf der dunklen Gasse prallt er mit dem Nachtwächter zusammen. Dieser hält ihn einen Moment lang für den Teufel und setzt ihm die Pike auf die Brust.

„Die Nachtstunde schlug; ich hüllte mich in meine abenteuerliche Vermummung, nahm die Pike und das Horn zur Hand, ging in die Finsternis hinaus und rief die Stunde ab, nachdem ich mich durch ein Kreuz gegen die bösen Geister geschützt hatte.“ (S. 5)

In der folgenden Nacht kommt der Nachtwächter an beiden Schauplätzen wieder vorbei. Beim schlaflosen Dichter brennt kein Licht mehr, stattdessen betrachtet dieser den Nachthimmel. Der Wächter bedauert, wie vernünftig die Welt geworden ist, und erinnert sich an seine eigene Vergangenheit als Humorist und Dramatiker. Bei der Wohnung des verstorbenen Ungläubigen beobachtet er drei geisterhafte Gestalten, die um Mitternacht ins Haus eindringen und scheinbar den aufgebahrten Leichnam stehlen. Als die Szene durch ein Wetterleuchten erhellt wird, sieht er, dass die Leiche plötzlich wieder daliegt. Die Eindringlinge haben jedoch eine Teufelsmaske neben sie gelegt. Vor Schreck vergisst der Nachtwächter, die Stunde zu blasen, und flieht in seine Hütte. Die Teufelsmaske im Totenbett gibt den Stadtmenschen Rätsel auf. Ihre äußere Schicht ist aus Eisen und hat ein Schloss, doch der Schlüssel dazu fehlt. Bevor die Behörden entschieden haben, was mit dem Teufelskopf zu tun sei, verschwindet er wieder.

Vom Ehebruch der Karolina

Der Nachtwächter sinniert in einer dunklen Nische vor einer Statue von Crispinus, dem Patron der Schuhmacher. Da entdeckt er direkt vor sich zwei Gestalten verschiedenen Geschlechts, die sich zu einem späteren Treffen verabreden. Der Mann beteuert seiner Geliebten Karolina, die Statue möge die beiden stören, wenn er es nicht ehrlich mit ihr meine. Der Nachtwächter schleicht sich an den Ort der Verabredung. Es ist das Büro eines Richters, den er beim Unterzeichnen von Todesurteilen vorfindet. Karolina ist dessen Ehefrau. Kurz nachdem sie ihren Mann ins Bett geschickt hat, taucht ihr Liebhaber auf. Jetzt platzt der Nachtwächter aus seinem Versteck, bläst in sein Horn und schreckt alle auf. Während die beiden Ehebrecher in Ohnmacht fallen, klärt der Nachtwächter den Ehemann auf, entschuldigt sich und überlässt die drei sich selbst.

Marionettentheater

An seinem Lieblingsort im alten gotischen Dom betrachtet der Nachtwächter sein eigenes illustriertes Lebensbuch. Die erste Abbildung zeigt einen Schuhmacher, dem eine Zigeunerin das Schatzgraben erklärt. Auf dem zweiten Holzschnitt ist der Schuster zu sehen, nachdem er den Schatz gehoben hat. Im Kästchen befindet sich der Nachtwächter selbst. Auf dem dritten Bild liest der Nachtwächter in Jakob Böhmes Morgenröte und sitzt auf einem anderen Buch aus der Hausbibliothek, während im Hintergrund der Schuster, sein Adoptivvater, werkelt. Der Nachtwächter liest nun im dritten Kapitel. Es ist sein Lebenslauf, den der Schuhmacher verfasst hat. Das ungewöhnliche Kind kam demnach tatsächlich lebendig aus einer Schatzkiste zu ihm, die er auf dem Friedhof ausgegraben hatte – und zwar bei einem Kreuzweg, weshalb das Kind den ungewöhnlichen Namen Kreuzgang erhielt.

„O Freund Poet, wer jetzt leben will, der darf nicht dichten!“ (S. 6)

Der Nachtwächter wird in seiner Lektüre von einer gespenstischen Erscheinung, einem Wahnsinnigen, unterbrochen. Dieser versucht, sich mit einem Dolch das Leben zu nehmen. Kreuzgang und der Mann geraten ins Gespräch. Der Lebensmüde will dem Nachtwächter seine Lebensgeschichte als Marionettenspiel vorzuführen. Es folgt ein Puppentheater in mehreren Akten, in dem zwei Brüder, ein Hanswurst, die Kolombine und weitere Figuren vorkommen. Die Puppen hinterfragen ihre Existenz als Marionetten und widersprechen dem wahnsinnigen Direktor. Dieser erklärt schließlich, dass er an seiner Unsterblichkeit leide. Er habe während Jahrhunderten vergeblich und auf vielerlei Arten versucht, sich umzubringen. Der Nachtwächter erwägt, den wahnsinnigen Puppenspieler mit eigener Hand zu erlösen, entscheidet sich aber dagegen und überlässt ihn seinem Schicksal.

Zwei Brüder und ein Weltgericht

Weil er von den Geschehnissen der Nacht noch so verwirrt ist, kann Kreuzgang am Tag nicht schlafen. Er versucht, die Metaphern des Puppenspiels in Prosa zu übertragen. Es ist die Geschichte der Brüder Don Juan und Don Ponce, die sich in die gleiche Frau, Ines, verlieben, ohne es zu wissen. Juan sucht Ines vergeblich in ganz Spanien. Als er resigniert heimkehrt, findet er sie als Ehefrau seines Bruders vor. Am Ende stirbt Ines, während die beiden Brüder wahnsinnig werden.

„So viel ist mir sonnenklar; ein gewöhnliches Menschenkind ist dieser Kreuzgang nicht, bin ich doch auch auf keine gewöhnliche Weise zu ihm gekommen.“ (der Schuster S. 27)

Der Nachtwächter hat eine Vorliebe fürs Verrückte. So überkommt ihn die Idee, der Stadt den Jüngsten Tag vorzuspielen, indem er nicht mehr die Zeit ausruft, sondern die Ewigkeit. Die Panik unter den Mitbürgern führt zu einer dramatischen Inszenierung des Weltgerichts. Zur Strafe wird ihm sein Horn entzogen.

Eine Absage an das Leben

Weil er keinen Schabernack mehr treiben darf, rekapituliert Kreuzgang sein Leben in Selbstporträts: Wenn er sich selbst betrachtet, nimmt er eine dreigespaltene Seele wahr: eine Grazie, eine Meerkatze und den Teufel. Die Widersprüche in ihm sind so groß, dass er beim Blasphemieren andächtiger ist als der Papst beim Beten. Wenn er jedoch erbauliche Werke liest, kommen ihm die boshaftesten Gedanken.

„Eins ist nur möglich; entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.“ (S. 57)

Schon früher hat er versucht, diese Widersprüche zu beschreiben: auf Flugblättern, die aus der Werkstatt des Schusters flatterten. Auf einem stand eine Leichenrede, die er zur Geburt eines Knaben schrieb. Eine Zeit lang war die Werkstatt des Schusters gleichzeitig ein Dichteratelier. Das Reimen war zuweilen sogar einträglicher als das Schuheflicken. Doch dann fühlte sich ein Fürst durch eine Satire angegriffen und veranlasste, dass Kreuzgang in den Kerker gesteckt wurde. Kaum war er wieder frei, verlegte er sich auf das Fach des Bänkelsangs und fand sein Auskommen als umherziehender Poet. Bald konnte er aber wieder nicht anders, als sich auf die Kirche und den Staat einzuschießen. Postwendend wurde er mit 50 Beleidigungsprozessen eingedeckt. In seiner Verteidigungsrede schlug er vor, die Richter sollten sich selbst als Verbrecher in der Praxis versuchen. Weiter argumentierte er, dass man Gerichtspersonen straflos unmoralisch nennen dürfe, da sie sich von jeder moralischen Haltung befreit hätten. Kreuzgang wurde wegen geistiger Umnachtung freigesprochen und ins Irrenhaus gesteckt.

„Die Menschheit organisiert sich gerade nach Art einer Zwiebel, und schiebt immer eine Hülse in die andere bis zur kleinsten, worin der Mensch selbst denn ganz winzig steckt.“ (S. 77)

Der Nachtwächter schaut im Dachkämmerchen des Stadtpoeten vorbei. Dieser hat sich inzwischen umgebracht, nachdem ein Verlag seine Tragödie nicht für tragisch genug befunden hat, um sie abzudrucken. Der Nachtwächter beugt sich über den Nachlass des Autors, seinen „Absagebrief an das Leben“. Er nimmt die Schrift mit und will sie kostenlos unters Volk bringen. In der Vorrede der Tragödie tritt ein Hanswurst auf, der erklärt, dass sich ernsthafte Wahrheiten am besten im Narrenkleid erzählen lassen.

Klapsmühle mit illustrem Personal

Im Irrenhaus fühlte sich Kreuzgang wohl. Unter seinen Mitnarren gefiel es ihm besser als im großen Irrenhaus der Welt. Er wurde zum Unteraufseher ernannt und analysierte für den Doktor die fixen Ideen der anderen Insassen: Der erste schätzte die Menschheit zu hoch und sich selbst zu niedrig ein. Der zweite war zu idealistisch, der dritte zu realistisch. Der vierte war seiner Zeit ein halbes Jahrhundert voraus. Der fünfte hatte zu verständliche Reden gehalten, während der sechste verrückt wurde, weil er einen Scherz zu ernst genommen hatte. Der siebte und der achte waren an der Poesie bzw. an der Rührung durchgedreht. Der neunte glaubte, der Weltschöpfer zu sein, und hielt oft höchst wunderliche Monologe, in denen er die Unvollkommenheit und den langweiligen Drang zur Unsterblichkeit der von ihm geschaffenen Menschen beklagte.

„Die Liebe ist nicht schön – es ist nur der Traum der Liebe der entzückt.“ (S. 88)

Weitere Genossen im Irrenhaus waren ein ehemaliger Hofdiener, der wie ein Hund bellte, ein Staatsbeamter, der sich in einen Wolf verwandelt hatte, einige, die aus Liebe in den Wahnsinn getrieben worden waren, und ein Rechenmeister, der die letzte Zahl finden wollte. Kreuzgang glaubt, dass Narren meisterhafter irren und näher an der Wahrheit liegen als gelehrte Professoren. Dabei sieht er ein, dass er selbst unheilbar irr ist.

Unbekannte und Unsterbliche

In einer weiteren wunderlichen Nacht folgt der Nachtwächter einem Schlafwandler, der mit einem Säugling im Arm über die Dächer klettert. Vor Kreuzgangs Augen gehen Szenen von Hochzeit und Totenzug ineinander über. Beim Frauenkloster wird eine Nonne lebendig begraben, weil sie Mutter geworden ist. Er trifft den Pförtner, einen alten Menschenhasser, der ihm deren blinden Säugling in die Arme drückt. Kreuzgang reicht ihn weiter an einen Blinden in einem Mantel, den er als den Vater des Babys erkennt. Dieser erzählt, warum er erblindet ist: Er hat die Helle der Liebe und das Licht der Schöpfung nicht mehr ausgehalten.

„Ich schüttelte mich und lachte, und hätte gern alle die Schläfer unter mir aufgerüttelt, und das ganze Geschlecht im Negligé angeschaut, wo es noch keine Schminke, falsche Zähne und Zöpfe und Brüste und Hintere auf- und an- und umgelegt, um den ganzen abgeschmackten Haufen auszupfeifen.“ (S. 105)

In der zwölften Nacht trifft Kreuzgang einen Dichter, der sich mit Lessings Perücke sein Stück Unsterblichkeit ergattert hat. Später hält der Nachtwächter auf dem Friedhof einen lebensmüden Jüngling davon ab, sich zu erstechen, nachdem sich dieser schon mit der Pistole den falschen Haarzopf vom Kopf geschossen hat. Kreuzgang redet begütigend auf ihn ein, bevor er merkt, dass der vermeintliche Selbstmörder in Wahrheit nur ein probender Schauspielschüler ist.

„Ach, man soll die alten Götter wieder begraben! Küssen Sie den Hintern, junger Mann, küssen Sie, und damit gut.“ (Kreuzgang zum Dilettanten, S. 109)

Am Morgen der Tagundnachtgleiche steigt Kreuzgang auf einen Berg, um zu dichten. Dann folgt er einem Zug von Kennern und Dilettanten in ein Museum und steht plötzlich zwischen lauter verkrüppelten, steinernen Götterfiguren. Ein kleiner Dilettant versucht, auf eine armlose Venus zu klettern, um ihren Hintern zu küssen. Nicht einmal die Götter sind mehr so unsterblich, wie sie einmal waren, denkt Kreuzgang, und möchte sie alle begraben.

Die Liebe zweier Narren

Im Irrenhaus traf der spätere Nachtwächter auf Ophelia, die er aus seiner Zeit als Schauspieler kannte. Er hatte den Hamlet gespielt, als die Schauspielerin mit dem Wahn ihrer Rolle ernst gemacht hatte und vom Theater fortgelaufen war. Kreuzgang kritzelte verliebte Betrachtungen an den Mond und an die Liebe auf seine Schreibtafel, während die wahnsinnige Ophelia in der Nachbarzelle hauste. Nach diesen Fingerübungen schrieb er ihr Liebesbriefe. Ophelia antwortete zwar, doch leider war sie zu verrückt, um ihr eigenes Ich und ihre wahren Gefühle zu finden. Schließlich erhörte sie seine Liebe zwar, doch die Flamme der Leidenschaft loderte nur kurz. Ophelia brachte ein totes Kind zur Welt und erkannte noch ihr eigenes Ich, bevor sie selbst starb, umringt von Narren.

„Sanftes Antlitz voll Gutmütigkeit und Rührung; denn beides mußt du in dir vereinen, weil du nicht einmal am Himmel den Mund aufreißest, weder zum Fluchen, noch zum Gähnen, wenn tausend Narren und Verliebte ihre Seufzer und Wünsche zu dir hinaufrichten (...)“ (an den Mond, S. 114)

Kreuzgang wurde aus der Irrenanstalt geworfen und begab sich zu Ophelias Grab auf den Friedhof. Dort suchte er Trost im Humor, worauf ihm ein Puppenspieler erschien. Kreuzgang ging mit ihm, um den Hanswurst zu spielen. Sie traten in einem Wirtshaus mit einer Tragikomödie auf. Das Volk nahm das Spiel für bare Münze und stürmte die Bühne. Der Pöbel entriss den beiden die Puppen, worauf sich der Puppenspieler auf der Bühne erhängte. Kreuzgang selbst gab das Theater auf und flüchtete sich in den Staatsdienst. Dort machte er Karriere und wurde schließlich als Nachtwächter angestellt.

Am Schluss bleibt nichts

Kreuzgang kehrt auf den Friedhof zurück. Dort sieht er im Traum einen Poeten, der zwischen Gräbern auf einem Schädel ein Naturgedicht über die Unsterblichkeit zu verfassen versucht. Der Nachtwächter trifft seine Mutter, die Zigeunerin, die ihm endlich seinen Vater vorstellt, indem sie ihm den Grabstein eines Alchimisten zeigt. Die Zigeunerin löst ihm das Rätsel seiner Herkunft: Im Moment seiner Zeugung war gerade der Teufel zu Besuch.

„Wo gibt es überhaupt ein wirksameres Mittel jedem Hohne der Welt und selbst dem Schicksale Trotz zu bieten, als das Lachen? “ (S. 126)

Während die Zigeunerin nun den Vater ausgräbt, taucht ein Verliebter auf, der mit seiner verstorbenen Braut zum Schäferstündchen verabredet ist. Er kann die Toten sehen und zeigt dem Nachtwächter die Bewohner der Gräber: Hofnarren, Poeten, eine Mutter mit dem Kind an der Brust. Als das Grab des Alchimisten offen ist, erblickt Kreuzgang seinen Vater unversehrt. Er will dessen Hände öffnen, die zum Gebet gefaltet sind. Doch als er ihn berührt, zerfällt der Leichnam zu Asche. Zurück bleibt nichts.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Buch ist in 16 Kapitel unterteilt, wobei jedes einer Nachtwache entspricht. Der Nachtwächter Kreuzgang berichtet aus der Ich-Perspektive. In fiebrigen, halluzinierenden Bildern rollt er sein Leben auf. Er betrachtet in traumartigen Episoden die Welt, an der er verzweifelt, und streut immer wieder Begegnungen aus seinen Nachtwachen ein. Collageartig werden Dialoge, Briefwechsel, Stegreifreden und lyrische Passagen in die Erzählung eingeflochten. Das Stilelement der reinen, bösen Satire zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk. Gespickt sind die Nachtwachen mit unzähligen Verweisen auf Zeitgenossen sowie auf die Antike. Der Held Kreuzgang bleibt durchgehend blasphemisch und ketzert mit geradezu heiligem Ernst. Mit verschlüsselten Metaphern und verworrenen Erzählsträngen wird Verwirrung gestiftet.

Auf die 16 Nachtwachen folgt ein Epilog, der als Einleitung zu „Des Teufels Taschenbuch“ bezeichnet wird. Darin verspricht der Teufel seinen lesenden Brüdern diabolisches Vergnügen bei der Lektüre: wahrhaftige Lügen über die Menschheit, die in jeder gesitteten teuflischen Gesellschaft bedenkenlos gelesen werden könnten.

Interpretationsansätze

  • Die Strukturlosigkeit des Textes spiegelt das Chaos der Welt wider. Die Verworrenheit wird bewusst als Entsprechung einer irren Gesellschaft eingesetzt. Vordergründig sind die Nachtwachen eine Collage von Stilmitteln um einen Totentanz von Narren, die wie Maschinen über die lächerliche Bühne des Lebens torkeln: Richter, Pfarrer und Dichter scheitern ebenso lachhaft wie der Hanswurst.
  • Die Nachtwachen sind eine Arabeske aus verschiedenen Episoden, die sich zu einem Ganzen vereinen. Als Leitmotive der Komposition dienen der Teufel, die Marionette, der Humor und die Welt als Theater.
  • Das Werk ist aber ebenso ein Pamphlet, eine Satire gegen die Zensurbehörde. Die konkrete Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen wird durch das Pseudonym verschleiert, vielleicht auch zum Schutz des Autors vor Repressalien.
  • Der Text kann als pubertäre Provokation eines stürmischen Jungautors gesehen werden. Mit Sarkasmus, Zynismus und bizarren Assoziationen ketzert hier ein Revoluzzer lustvoll gegen alles, was als heilig gilt: die Kunst, die Gesellschaft und das Wissen. Bonaventura ist ein satanischer Humorist, der rücksichtslos über die Sinnlosigkeit einer verrückten Welt spottet. Dabei demaskiert sich der Erzähler auch immer wieder selbst.
  • Formal wie inhaltlich ist der Roman seiner Zeit weit voraus und gilt als Vorläufer der Moderne. Das satirische Elaborat zieht jeglicher Diskussion um Poesie und Autorschaft den Boden unter den Füßen weg und kann daher dem poetischen Nihilismus zugeordnet werden.
  • Bonaventura spielt offen auf den Nihilismus von Jean Paul an: Er imitiert auch dessen Sprachduktus, jedoch in verspielter Überspitzung und ohne den Schwulst seines Vorbildes.

Historischer Hintergrund

Die deutsche Frühromantik

Als Frühromantik oder ältere Romantik wird die literarische Epoche bezeichnet, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Deutschland ihre Blüte fand. Neben den literarischen Salons in Berlin war Jena die Hochburg der Frühromantik. In der freien Universitätsstadt lehrten einflussreiche Philosophen wie Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und später auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Von 1785 bis 1803 erschien zudem die erfolgreiche Allgemeine Literatur-Zeitung in Jena. Die bedeutendsten Vertreter der Frühromantik, wie Clemens Brentano, die Brüder Friedrich Schlegel und August Wilhelm Schlegel sowie dessen Frau Caroline Schlegel (später Caroline Schelling) waren in Jena aktiv. Die libertäre Oase bestand aber nur kurzfristig. 1799 wurde Fichte entlassen und in der Folge verließen die berühmten Lehrer Jena reihenweise. 1806 versetzte Napoleon mit seinem Sieg gegen die preußischen und sächsischen Armeen vor den Toren der Stadt der fruchtbaren kulturellen Umgebung den Todesstoß. Die wichtigsten Themen in der Philosophie und Literatur der Frühromantik waren die Gegensätze zwischen dem schöpferischen Menschen und dessen Umwelt: Realismus und Idealismus sowie Dichtung und Leben. Friedrich Schlegel entwickelte zusammen mit Novalis die Theorie der „progressiven Universalpoesie“. In dieser sollten einerseits alle literarischen Formen von Lyrik über Dramatik bis zur Epik aufgehen. Zudem sollte sie wissenschaftliche Richtungen von Philosophie über Kunst bis zur Rhetorik vereinen.

Entstehung

Über die Entstehung der Nachtwachen ist wenig bekannt – lange Zeit kannte man nicht einmal ihren Autor. Ernst August Friedrich Klingemann, der heute als Verfasser gilt, muss sie ungefähr als 25-Jähriger geschrieben haben – als er gerade die Universität Jena verlassen hatte. Jena war damals die literarische Hochburg Deutschlands schlechthin. Klingemann kannte die Konzepte der Koryphäen Fichte oder Schelling aus den Vorlesungen in Jena und war Gast im Kreis um Clemens Brentano. Das erklärt auch, warum die Nachtwachen einen Seitenhieb auf die skandalträchtige Starmuse der Romantiker, Caroline Schlegel/Schelling, enthalten. Der junge Theaterfan war ein Bewunderer des deutschen Dichters Jean Paul, den er in den Nachtwachen streckenweise imitierte. Eine Voranzeige mit einem Auszug aus dem noch ungedruckten Roman erschien am 21. Juli 1804 in der in Leipzig herausgegebenen Zeitung für die elegante Welt, deren Mitarbeiter Klingemann war. Ob Klingemann aus persönlichen Gründen ein Pseudonym wählte oder ob er mit der Wertlosigkeit des literarischen Ruhms kokettierte, ist offen. Die Nachtwachen wurden Ende 1804 publiziert, in einem vom Verleger Ferdinand Dienemann herausgegebenen Journal, das nur wenige Jahre später einging.

Wirkungsgeschichte

Zumindest in den ersten Jahren hätte Klingemann den Schutz eines Pseudonyms gar nicht gebraucht, denn lediglich eine einzige Reaktion auf die Erscheinung ist überliefert: Jean Paul empfahl dem Violinisten Paul Thieriot in einem Brief die Nachtwachen zur Lektüre. Er hielt sie für einen Text aus der Feder von Schelling, der das gleiche Pseudonym für einige Gedichte verwendet hatte. Danach blieb es fast 100 Jahre lang still um die Nachtwachen, man sah darin höchstens ein Produkt der überwundenen Romantik.

Anfang des 20. Jahrhunderts kamen ernsthafte Zweifel an der vermuteten Autorschaft Schellings auf. In der Folge entbrannte unter Literaturhistorikern ein Wetteifern um die Klärung des Ursprungs der Nachtwachen. Die Spekulation um den mysteriösen Verfasser rückte das Buch ins Zentrum des Interesses. Mit kriminologischem Eifer wurden die Nachtwachen fast allen Dichtern der Romantik zugeschrieben: neben den bereits genannten auch E. T. A. Hoffmann und Gotthilf Heinrich von Schubert. Jede neue These fand prompt ihre Gegner. 1909 erschien eine Neuausgabe der Nachtwachen. Danach galt 60 Jahre lang der Bamberger Lyriker und Dramatiker Karl Friedrich Gottlob Wetzel als wahrscheinlichster Verfasser.

Ernst August Friedrich Klingemann wurde erst zu Beginn der 1970er Jahre ins Spiel gebracht. Doch viele trauten dem Verfasser von Trivialliteratur das herausragende Werk nicht zu, womit das muntere Rätselraten neu entfacht war. Der Verleger Dienemann selbst, ja sogar Johann Wolfgang von Goethe waren als Autoren im Gespräch, bis schließlich ein Fund in der Universitätsbibliothek Amsterdam 1987 das entscheidende Indiz lieferte. Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Haag entdeckte eine handschriftliche Werkaufstellung Klingemanns aus dem Jahr 1830. Die Liste enthält den Eintrag „Nachtwachen von Bonaventura, Penig, Dienemann 1804“. Seither gilt das Verfasserrätsel um Bonaventura als geklärt, obwohl einzelne unbeirrbare Zweifler weiterhin Vermutungen anstellen. Größtenteils konzentriert sich die Literaturwissenschaft seither auf eine Würdigung des Inhalts, der zuvor etwas im Schatten des Streits um die Zuordnung stand. Trotz des gelösten Rätsels um das Pseudonym bieten die Nachtwachen noch viel Freiraum für Interpretationen.

Über den Autor

Ernst August Friedrich Klingemann wird am 31. August 1777 in Braunschweig geboren. Bereits mit 18 Jahren verfasst er schriftstellerische Texte. Nach dem Schulabschluss zieht er als 21-Jähriger nach Jena, wo er Rechtswissenschaften und Philosophie studiert. Zur Zeit der literarischen Hochblüte Jenas besucht Klingemann Vorlesungen der Frühromantiker Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm von Schelling und August Wilhelm Schlegel. Erste Kontakte mit der Frühromantik hat er durch seinen Onkel Joachim Heinrich Campe, der gemeinsam mit Clemens Brentano eine Zeitschrift herausgibt. In Jena pflegt er selbst eine Freundschaft mit Clemens Brentano, ebenfalls ein gebürtiger Braunschweiger. 1801 bricht Klingemann sein Studium ab und geht zurück nach Braunschweig. Er schreibt u. a. für die Zeitung für die elegante Welt. 1804 erscheinen die Nachtwachen unter dem Pseudonym Bonaventura im Journal von neuen deutschen Original Romanen. Sie sind heute Klingemanns berühmtestes Werk; er wird aber erst 1987 als Autor identifiziert. Zu seinen Lebzeiten ist er jedoch ein erfolgreicher Romancier und Dramatiker. Er schreibt zahlreiche Tragödien, Lustspiele und populäre Possen, die oft gespielt werden. 1810 wird Klingemann Oberregisseur der Schauspielkompanie „Walthersche Gesellschaft“ und heiratet die Schauspielerin Elise Anschütz, ein Mitglied der Theatergruppe. 1818 wird er Direktor des Braunschweiger Nationaltheaters. Dort inszeniert er rund zehn Jahre später die Uraufführung von Goethes Faust und erzielt damit einen Riesenerfolg. Doch noch im selben Jahr wird er wegen Streitigkeiten mit dem Landesherrn, Herzog Karl II., entlassen. Nach einer kurzen Episode als Professor an seiner ehemaligen Schule kehrt er als Intendant zum Theater zurück. Klingemann stirbt am 25. Januar 1831 in seiner Heimatstadt Braunschweig.

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