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Die letzte Welt

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Die letzte Welt

Fischer Tb,

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12 take-aways
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What's inside?

Der Erfolgsroman der 80er Jahre: Ransmayrs Version von Ovids „Metamorphosen“ als Szenario einer Apokalypse.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Postmoderne

Worum es geht

Auf Ovids Spuren

Ransmayrs Erfolgsroman Die letzte Welt erzählt die Geschichte des Römers Cotta, der sich auf die Suche nach dem tot geglaubten Dichter Naso (= Ovid) und dessen Hauptwerk, den Metamorphosen, macht. In Tomi am Schwarzen Meer, dem Verbannungsort Nasos, wird er Zeuge, wie die Küstenstadt zerfällt und seine Bewohner in Steine oder Vögel verwandelt werden. Schritt für Schritt erobert die Natur die Stadt zurück. Mit diesem Weltuntergangsmotiv bringt das Buch die Ohnmachtsgefühle und Existenzängste einer von der technischen Entwicklung überrollten Gesellschaft Ende des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck. Ransmayrs Roman ist intelligente Literatur über Literatur, er überträgt Ovids Metamorphosen in zeitgemäße Prosa und lässt dabei Antike und Gegenwart miteinander verschmelzen. Mit seiner einzigartigen poetischen Sprache entführt dieses Meisterwerk der modernen Literatur den Leser auf eine Reise in eine faszinierende Fantasiewelt.

Take-aways

  • Ransmayrs Die letzte Welt ist eines der wichtigsten Werke der Postmoderne.
  • Der Roman ist Literatur über Literatur: Ovids Metamorphosen bilden die Vorlage.
  • Erzählt wird die Geschichte des Römers Cotta, der in die Stadt Tomi ans Schwarze Meer reist, um dort den Dichter Naso (= Ovid) und sein Werk, die Metamorphosen, aufzuspüren.
  • Cottas Suche nach dem aus Rom Verbannten bleibt jedoch erfolglos.
  • Mit Schriftzeichen versehene Stofffähnchen sind die einzige Spur des Poeten und seines Werks.
  • Cotta findet heraus, dass Naso den Bewohnern Tomis Geschichten über Steine und Vögel erzählt hat.
  • Als eines Morgens der Knabe Battus plötzlich zu Stein geworden ist, glaubt Cotta, verrückt zu werden.
  • Um den Dichter endlich zu finden und die wundersamen Geschehnisse aufzuklären, begibt sich Cotta in die Berge.
  • Dort glaubt er Naso zu erkennen, doch das Gesehene entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Baumstumpf.
  • Als sich vor Cottas Augen drei Stadtbewohner in Vögel verwandeln, genauso wie er es auf einem Stofffähnchen gelesen hat, wird ihm klar, dass Naso die Schicksale der Menschen von Tomi vorhergesehen und vorherbestimmt hat.
  • Endgültig verrückt geworden, eilt Cotta zurück ins Gebirge, um dort das Fähnchen mit seinem eigenen Namen zu suchen.
  • Ransmayrs Roman wurde wegen seiner poetischen Sprache und seinen bildmächtigen Traumwelten zu einem Erfolgsbuch der 80er Jahre.

Zusammenfassung

Ankunft in Tomi

In Rom geht das Gerücht um, dass der Dichter Publius Ovidius Naso, der vom Kaiser Augustus vor neun Jahren nach Tomi, der eisernen Stadt, verbannt wurde, tot sei. Der Römer Cotta, ein Bewunderer Nasos, glaubt nicht an dessen Tod und beschließt, in die am Schwarzen Meer gelegene Stadt zu reisen, um dort den Dichter und eine letzte Fassung seines Hauptwerks, der Metamorphosen, zu suchen. Nach 17 Tagen auf stürmischer See trifft Cotta an einem Aprilmorgen in Tomi ein. In der Stadt kommt er mit seinen Nachforschungen nur schleppend voran, findet aber schließlich heraus, dass der gesuchte Dichter zusammen mit seinem griechischen Knecht Pythagoras in Trachila hausen soll. So macht Cotta sich auf den Weg in den einige Gehstunden entfernt liegenden Weiler, wo er aber nur Ruinen antrifft. An zahlreichen aus dem Gestrüpp hervorragenden Steinmalen flattern Stofffähnchen. Auf einem kann Cotta die Worte "Keinem bleibt seine Gestalt" lesen. Etwas später entdeckt er inmitten der Ruinen ein unversehrtes Steinhaus. Beim Erkunden der Zimmer stellt der Römer aber schnell fest, dass das Haus schon längere Zeit verlassen ist. Durch Zufall entdeckt er jedoch im Dunkeln unter der Treppe einen alten Mann. Es ist Nasos Knecht Pythagoras, der seinen Verstand verloren zu haben scheint. Auf die Fragen Cottas reagiert er nur mit Gekicher und Selbstgesprächen.

„Tomi, das Kaff. Tomi, das Irgendwo. Tomi, die eiserne Stadt.“ (S. 9)

Während Cotta in Trachila weilt, beginnt in Tomi die jährliche Filmvorführung des Liliputaners Cyparis. Gezeigt wird die tragische Liebesgeschichte von Ceyx und Alcyone. Ceyx, der seine Angebetete für eine Reise übers Meer verlassen muss, ertrinkt bei einem Schiffbruch. Alcyone, die sein Schicksal schon im Traum vorausgesehen hat, eilt, nachdem ihr die Nachricht über Ceyx’ Tod überbracht wurde, zum Meer. Dort wartet sie in einer Höhle darauf, dass ihr die Strömung den Leichnam des Geliebten zuspült. Als dieser eines Tages wirklich auf dem Riff liegt, eilt die Trauernde hin, und beide verwandeln sich in zwei davonfliegende Eisvögel.

Eine in Stein gemeißelte Botschaft

Inzwischen ist Cotta mit seinen Nachforschungen in Trachila nicht weitergekommen. Seit Stunden sitzen er und Nasos Knecht schweigend da. Cottas Gedanken schweifen in die Vergangenheit zurück, als sich ihm Pythagoras plötzlich nähert. Dieser scheint etwas zur Vernunft gekommen zu sein und fragt den Besucher flüsternd, was er wolle, worauf Cotta ihn nach Nasos Buch, den Metamorphosen, fragt. Der Alte, nun aufgeweckt, packt ein Windlicht und eine Karaffe mit Essig und bedeutet Cotta, ihm zu folgen. Mühsam kämpfen sich die beiden durchs Gestrüpp und erreichen eine Lichtung, auf der Steine, Granittafeln und Säulen kreuz und quer durcheinanderliegen. Unzählige kleine, schleimige Nacktschnecken bedecken die Steine. Der Knecht übergießt sie mit dem mitgebrachten Essig, worauf die von der Säure getöteten Tiere zu Boden fallen und die Steine freigeben. An den entblößten Stellen erblickt Cotta eingemeißelte Schriftzeichen. Auf 15 Steine verteilt steht folgender Text: "Ich habe ein Werk vollendet, das dem Feuer standhalten wird und dem Eisen, selbst dem Zorn Gottes und der allesvernichtenden Zeit. Wann immer er will, mag nun der Tod, der nur über meinen Leib Gewalt hat, mein Leben beenden. Aber durch dieses Werk werde ich fortdauern und mich hoch über die Sterne emporschwingen, und mein Name wird unzerstörbar sein." Für Cotta stammt diese Botschaft ohne Zweifel von Naso - doch wo ist der Dichter geblieben? Pythagoras erzählt ihm, dass Naso an einem Wintermorgen ins Gebirge gegangen und bisher nicht zurückgekehrt sei.

Nasos Aufstieg und Fall in Rom

Aus der Steinbotschaft folgert Cotta, dass Naso sein Hauptwerk, die Metamorphosen, vollendet haben muss. Vor neun Jahren existierten in Rom nämlich erst Fragmente des Werks. Die verwirrenden Erzählungen des Dichters über Menschen, die sich in Bestien verwandeln und diese sich wiederum in Steine, ließen damals die Römer gegenüber Naso immer misstrauischer werden. Die Inszenierung eines Auszugs aus dem rätselhaften Werk führte in Rom sogar zu einem Skandal. Das Stück, das die Geschichte vom geldgierigen Midas erzählt, der alles, was er berührt, zu Gold verwandelt und von diesem Fluch erst kurz vor seinem Hungertod erlöst wird, wurde sofort verboten. Das Ereignis machte den Poeten in Rom zu einer Berühmtheit und ihm wurde die Ehre zugesprochen, die achte Rede zur Eröffnung des neuen Stadions in Rom zu halten. Seine Ansprache begann Naso mit der folgenreichen Begrüßung: "Bürger von Rom". Damit versagte er allen Hofleuten und insbesondere dem Kaiser jegliche Ehrerbietung. Diese Unverschämtheit führte dazu, dass nicht nur die vergessene Huldigung, sondern auch Nasos Metamorphosen als Beleidigung Roms, ja dass das Werk sogar als die Schrift eines Staatsfeindes angesehen wurde. Nasos Vergehen kommentierte der Kaiser nur mit einer jähen, knappen Handbewegung, die von seinen Gefolgsleuten als "Aus meinen Augen!" gedeutet wurde. Allein diese Geste hatte zur Folge, dass Naso nach Tomi verbannt wurde. Seine Arbeiten übergab der Dichter selbst noch vor seiner Abreise den Flammen.

Flucht aus Trachila

Nach dem Entziffern der Schrift kehren Cotta und Pythagoras ins Steinhaus zurück. Cotta wird von einer großen Müdigkeit erfasst und schläft sofort ein. Geplagt von einem Albtraum, in dem ihm eine furchterregende Missgeburt mit einem ganz von Augen bedeckten Schädel begegnet, schreckt er aber bald wieder auf. Vom Entsetzen gepackt, flüchtet Cotta aus dem Haus und beschließt, noch diese Nacht nach Tomi zurückzukehren. Unterwegs begegnet er einer Wolfsgestalt, in der er den Seiler Lycaon, seinen Zimmerherrn aus Tomi, erkennt. Daraufhin eilt der verstörte Cotta noch schneller hinab in die Stadt, wo in den Gassen ausgelassen gefeiert wird. Der Römer gerät ins fasnachtliche Treiben. Bei näherer Betrachtung der Gestalten bemerkt Cotta, dass sich die Menschen Tomis als Götter und Helden des uralten Rom verkleidet haben. Im Getümmel glaubt er sogar Naso zu sehen, der sich jedoch als ein Verkleideter mit Pappnase entpuppt. Cotta ist sich sicher, dass die Leute die Geschichten der Gestalten, als die sie sich verkleidet haben, alle von Naso kennen müssen.

„In diesem Gebirge verhallte die Welt, und Cotta erinnerte sich an sie.“ (S. 42)

Von den Ereignissen gezeichnet, verbringt Cotta die folgenden Tage mit Fieber im Bett, während in Tomi langsam der Frühling Einzug hält. Als der Römer erstmals wieder aus seiner Kammer in die Werkstatt des Seilers hinabsteigt, erblickt er am Boden kniend eine schwarz gekleidete Frau, die eifrig putzt. Echo ist Lycaons Haushaltshilfe und zugleich die Dorfprostituierte. Das Gesicht der sonst bezaubernd schönen Frau ist von einem von Zeit zu Zeit auftauchenden Schuppenfleck entstellt und lässt Cotta zurückweichen.

Cotta und Echo

Am Tag der Abreise des Filmvorführers Cyparis kommen Cotta und Echo erstmals ins Gespräch. Auf die Frage, was sie über Naso wisse, erfährt Cotta, dass der Dichter, nachdem er in Tomi für einen Brandstifter gehalten wurde, in die Berge floh und nur noch selten an die Küste herunterkam. Nach und nach habe man ihm wieder vertraut und gern seinen Geschichten gelauscht. Meistens habe er solche über Steine oder Versteinerungen erzählt. Nach einer für beide, Cotta und Echo, beschämenden Liebesnacht trifft sich das Paar nur noch zu langen Spaziergängen und Gesprächen. Auf einem dieser Ausflüge erzählt Echo Cotta auch Nasos Geschichte vom Untergang der Welt, die mit einem hundertjährigen Wolkenbruch beginnt. Die riesigen Wasserfluten begraben alles unter sich, auch die von Gier, Blödheit und Herrschsucht geplagte Menschheit. Als der Regen endlich aufhört, lässt das abfließende Wasser auch noch die letzten Fische auf dem Trockenen zurück. Die einzigen Überlebenden des Unwetters sind ein Mann und eine Frau: Deucalion und Pyrrha. Die verzweifelte Pyrrha beginnt aus Ratlosigkeit, Steine in die zurückgebliebenen Wassertümpel zu werfen - wo sich diese unversehens zu Menschengestalten verwandeln. Die so entstandenen Menschen aus mineralischer Härte, frei von allen Gefühlen, so sagt Echo, stellten für Naso die neue, wahre Menschheit dar. Diese von Echo erzählte Geschichte des Dichters öffnet Cotta die Augen: Es existiert keine zweite Niederschrift oder Abschrift der verbrannten Metamorphosen, sondern Naso hat stattdessen seine Geschichten den Menschen Tomis erzählt. Cotta beschließt, von nun an die ihm vorgetragenen Geschichten aufzuschreiben. Als er jedoch am nächsten Tag Echo wieder besuchen will, ist sie verschwunden.

Das faszinierende Episkop

Ein glühender Sommer hält in Tomi Einzug und hüllt alles in eine Gleichgültigkeit, die auch Cotta erfasst. Geplagt von schlaflosen Nächten, entdeckt der Römer, dass die Wandteppiche in seinem Zimmer die Kulissen der Metamorphosen abbilden. So findet er heraus, dass Naso auch der Weberin Arachne Geschichten erzählt hat, jedoch nicht von Steinen, sondern von Vögeln, die sie darauf in ihre Teppiche einwebte. An einem der folgenden Tage taucht vor der Küste Tomis plötzlich ein Schiff auf, das die Stadt aus ihrer Lethargie reißt. Die Handelswaren des Seefahrers Iason locken die Leute an. Eifrig wird Eisen gegen Seide, Zuckerhüte, duftende Öle oder andere exotische Waren eingetauscht. Am Abend sticht die "Argo" wieder in See, und das Spektakel ist so schnell zu Ende, wie es begonnen hat. Eine Maschine aber, die die Krämerin Fama an diesem Tag erworben hat, sorgt in der Küstenstadt für weitere Aufregung. Es handelt sich um ein Episkop, mit dem alles, was man unter eine Öffnung des Geräts legt, auf die nächstliegende Wand projiziert werden kann. Fasziniert drängt sich immer mehr Publikum in das Zimmer hinter Famas Krämerladen, wo stundenlang kuriose Gegenstände unter das Gerät gelegt werden. Der Faszination des Projektors am meisten erlegen ist Battus, der Sohn Famas. Er bedient den Apparat Tag und Nacht und weicht nicht mehr von der Seite des Bildwerfers. Doch eines Nachts, als Fama ins Hinterzimmer kommt, sieht sie ihren Sohn reglos vor der Maschine kauern - Battus ist zu Stein geworden.

Rückkehr nach Trachila

Battus Verwandlung in Stein ist für Cotta unfassbar, er glaubt, verrückt zu werden. Der einzige Mensch, der ihn seiner Ansicht nach davor bewahren kann, ist Naso. Somit macht sich Cotta ein zweites Mal nach Trachila auf, um den Verbannten endlich zu finden und die mysteriösen Ereignisse aufzuklären. Auf dem Weg in die Berge verirrt sich der Römer aber, sodass er sein Ziel erst am nächsten Morgen erreicht. Eine Steinlawine hat Trachila endgültig zerstört. Zwischen den Trümmern findet Cotta den Kadaver eines Wolfes. Und in einer Felsnische entdeckt er den qualmenden Ofen aus dem Haus des Dichters, vor welchem er den sitzenden Pythagoras und den an einen Steinkegel gelehnten Naso zu sehen glaubt. Voller Erleichterung stürzt er auf die beiden Männer zu, wobei er sich den Fuß verletzt. Doch bei ihnen angekommen, stellt sich heraus, dass er irrtümlicherweise einen Baumstumpf für Naso und ein Steinmal für seinen Knecht gehalten hat. Nach einem Anfall von Wahnsinn versucht Cotta dennoch, den Widerspruch zwischen seiner Vernunft und den unbegreiflichen Dingen, die in Tomi geschehen, zu überwinden. Er sucht ganz Trachila nach Hinweisen ab. Die an den Steinkegeln befestigten Fähnchen löst er ab und liest die darauf geschriebenen, sinnlosen und wirren Texte. Auf den Stofffetzen stehen auch die Namen von Bewohnern Tomis. Nach zwei Tagen kehrt Cotta an Krücken und mit den Fähnchen in der Tasche nach Tomi zurück, wo er das Haus des Seilers verlassen vorfindet.

Die Erfindung der Wirklichkeit

Nach dieser erneuten Rückkehr in die Stadt lebt Cotta allein im Haus Lycaons, das immer mehr von der Natur überwuchert wird. Die meiste Zeit verbringt er damit, die im Haus kreuz und quer an Seilen aufgehängten Fähnchen zu entziffern und zu ordnen. Öfters hilft er der Krämerin Fama, die ihm dabei Geschichten über die Bewohner der Stadt erzählt; manche davon kennt er schon von den Stofffetzen. So kommt Cotta zum Schluss, dass Naso anscheinend auf den Fähnchen nur die Stadtgespräche festgehalten hat. Als im Januar aber Philomela, die tot geglaubte Schwester der Fleischersfrau Procne, unerwartet in der Stadt auftaucht, wird er eines Besseren belehrt.

„Metamorphoses, Verwandlungen, hatte Naso dieses Buch genannt und dafür mit dem Schwarzen Meer gebüßt.“ (S. 44)

Philomela, die mit einem vernarbten Mund nach Tomi zurückgekehrt ist, wurde vor zehn Jahren von ihrem Schwager Tereus in den Bergen vergewaltigt und ihrer Zunge beraubt - eine Tat, die erst jetzt ans Licht kommt. Die entsetzte Procne rächt sich nun mit der sofortigen Ermordung ihres gemeinsamen Sohnes. Der wutentbrannte Fleischer Tereus will daraufhin die zwei Frauen mit einer Axt erschlagen. Doch als er sie findet, verwandeln sie sich vor seinen Augen in eine Schwalbe und eine Nachtigall und fliegen davon. Tereus, der zu einem Wiedehopf wird, entschwindet ebenfalls in die Lüfte. All dies geschieht vor Cottas Augen, genauso wie er es vorher auf den Fähnchen gelesen hat. Da erkennt er, dass die Worte Nasos auf den Fähnchen alle vergangenen und zukünftigen Schicksale der eisernen Stadt erzählen. Schließlich hat sich eine Erzählung des Dichters soeben wie eine Voraussage erfüllt. Gleichzeitig wird Cotta klar, dass die Fähnchen nicht nur die Zukunft voraussehen, sondern sie auch vorherbestimmen. Um den Stofffetzen zu suchen, auf dem sein eigener Name steht, verlässt er - verrückt geworden - das Haus und eilt ins Gebirge.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die letzte Welt ist in 15 Kapitel unterteilt. Die Handlung des Romans erstreckt sich über ein knappes Jahr: von April bis Januar. Immer wieder eingeflochten sind Rückblicke, etwa Cottas wiederkehrende Erinnerungen an Rom oder die umfangreichen Ausführungen zu Aufstieg und Fall des Dichters Naso. Je länger aber Cotta in Tomi weilt, desto seltener werden diese Rückblicke. Besonders bemerkenswert an dem Roman ist Ransmayrs Verflechtung der antiken Welt, in der der reale Naso alias Ovid lebte, mit Phänomenen der Gegenwart. Neben den Reden im antiken Rom, die mit Mikrofonen übertragen werden, finden in Tomi auch Filmvorführungen statt und es gibt Bushaltestellen, Konservenbüchsen und Fotoapparate. In dem im Anhang angefügten "Ovidischen Repertoire" werden zudem die unterschiedlichen Zeitalter mit paarweisen Personenbeschreibungen einander direkt gegenübergestellt. Die Geschichte über Cottas verzweifelte Suche nach dem Dichter Naso und seinem Hauptwerk wird dem Leser aus der Perspektive Cottas vorgetragen. Der Erzähler greift nicht vor und lässt die Rätsel, die sich stellen, erst durch Cotta lösen. So besitzt der Leser gegenüber der Hauptperson nie einen Wissensvorsprung und wird selbst zum Detektiv. Ransmayr verfügt über eine außerordentliche Sprachgewandtheit und einen reichen Wortschatz. Mit seiner einzigartigen poetischen Sprache entführt er den Leser in bildgewaltige Traumwelten und ruft Erinnerungen an die Sprache Ovids in seinen Metamorphosen wach.

Interpretationsansätze

  • Die letzte Welt ist ein Werk der Postmoderne, es ist Literatur über Literatur: Nicht nur werden im Roman der antike Dichter Ovid und sein Hauptwerk, die Metamorphosen, zum Gegenstand der Handlung, auch der Romantext insgesamt präsentiert sich mit seinen Verwandlungsgeschichten als eine spielerische Neufassung der Ovid’schen Metamorphosen.
  • Der Roman, der den kontinuierlichen Zerfall der Stadt Tomi und seiner Bewohner schildert, kann als Szenario einer Apokalypse gelesen werden. Während die Natur die Küstenstadt Schritt für Schritt zurückerobert, verwandeln sich ihre Bewohner in Vögel und Steine. Der sich anbahnende Weltuntergang scheint der einzige Ausweg zu sein, die Erde von der Verdorbenheit der Menschen zu befreien und sie der Natur zurückzugeben. Schon der Buchtitel Die letzte Welt weist auf die Apokalypse hin.
  • Die Natur steht im Buch symbolisch für die Triebe und Leidenschaften der Menschen. Dementsprechend wird sie in Rom, wo ein diktatorisches Regime das Volk unterdrückt, in Gärten kultiviert und gezähmt. In Tomi am Schwarzen Meer aber, wo die Bewohner von ihren zerstörerischen Leidenschaften getrieben werden, wuchert die Natur und bedroht die Existenz der Menschen.
  • Cotta ist das Idealbild eines Vernunftmenschen. Als Römer, der eine gute Erziehung genossen hat, kann er die wundersamen Geschehnisse in Tomi, die direkt aus dem Werk des Dichters Naso hervorzugehen scheinen, nicht verstehen, was ihn schlussendlich in den Wahnsinn treibt.
  • Der Roman entwirft das Bild einer von der Liebe verlassenen Menschheit. Dieses Motiv verdichtet sich in Nasos Geschichte über die Entwicklung der Menschen zu gefühllosen Wesen aus Stein, einer Brut von mineralischer Härte. Der in den Roman integrierte Binnentext rückt symbolisch den Verlust jeglicher Menschlichkeit in der "letzten Welt" vor Augen.
  • Der Prozess, der sich in Tomi vollzieht und der sich als das gesuchte Werk Nasos, die Metamorphosen, entpuppt, vollführt die Verwandlung der Fiktion in Wirklichkeit und der Wirklichkeit in Fiktion.

Historischer Hintergrund

Postmoderne Metamorphosen

Die Metamorphosen von Ovid sind ein vermutlich in den Jahren um Christi Geburt in Hexametern verfasstes Werk, es erzählt in 15 Büchern zahlreiche Verwandlungsgeschichten der römischen und griechischen Mythologie. Das Buch war schon zu seiner Zeit sehr populär. Die meisten Geschichten erzählen die Verwandlung eines Menschen oder eines niederen Gottes in eine Pflanze, ein Tier oder ein Sternbild. Das Werk beginnt mit der Entstehung der Welt aus dem Chaos und einer großen Flut, die nur ein einziges Menschenpaar überlebt. Beendet wird es mit der Verwandlung von Julius Caesars Seele in einen Stern.

Die Postmoderne war eine geistige Strömung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nicht nur die Literatur, auch andere Bereiche, wie etwa die Architektur oder die Soziologie, wurden von diesem Gedankengut geprägt. Die bis ins Extrem gesteigerte Freiheit des Einzelnen und der unaufhaltsame Fortschritt der Technik führten zu einer großen Unsicherheit in der Gesellschaft. Die Welt wurde als pluralistisch, zufällig und chaotisch angesehen. Da vieles nicht mehr erklärbar schien, entsagten die Vertreter der Postmoderne dem aufklärerischen Primat der Vernunft. Abgelehnt wurde auch das Innovationsstreben der Moderne. Stattdessen griff man mittels Zitaten und Collagen auf bestehendes Material zurück.

Im Zentrum der postmodernen Literatur steht die Intertextualität. Die Schriftsteller verstehen den literarischen Text nicht mehr als autonomes Werk eines schöpferischen Autors, sondern als Arrangement bereits verfasster Texte, die ihrerseits wieder auf andere Texte verweisen. Bekannte Romane der Postmoderne sind Der Name der Rose (1980) von Umberto Eco und Das Parfum (1985) von Patrick Süskind.

Entstehung

Christoph Ransmayr erhielt von seinem Förderer Hans Magnus Enzensberger den Auftrag, für dessen Buchreihe Die Andere Bibliothek Ovids Metamorphosen in zeitgemäße Prosa zu übertragen. Der Autor stellte sich dieser Aufgabe und veröffentlichte 1987 seine Ideen in dem Text Entwurf zu einem Roman. Dieser Entwurf enthält schon grob den Aufbau des endgültigen Manuskripts: Der Held, der zwar noch einen anderen Namen trägt, reist im Auftrag einer Akademie nach Tomi, um das ominöse Buch des Dichters Naso zu suchen. Den Dichter selbst findet er nicht. Aber er beginnt alle Geschichten des Poeten aufzuschreiben, die ihm von den Bewohnern Tomis erzählt werden. Seine Aufzeichnungen schickt er am Ende nach Rom, während er selbst in Tomi bleibt.

Ransmayr überarbeitete den Entwurf nochmals, wobei er den Akzent von der realistischen auf eine nunmehr imaginäre Ebene verschob. Ransmayrs Neufassung von Ovids Werk erschien ein Jahr nach dem veröffentlichten Entwurf unter dem Titel Die letzte Welt in Enzensbergers Buchreihe.

Ransmayrs postmoderner Roman beruht nicht auf Ovids Metamorphosen allein, wenngleich er vor allem Passagen aus diesem Versepos kunstvoll in seinem Werk zitiert und collagiert. Ebenso werden vom Autor auch Ausschnitte aus anderen Texten integriert. So finden sich im Buch z.?B. auch Zitate von Thomas Hobbes und Peter Handke. Vielerorts lässt Ransmayr eigene Ideen und Interpretationen einfließen, sodass die Originaltexte manchmal stark abgewandelt sind.

Wirkungsgeschichte

Der Roman wurde nach seinem Erscheinen im Jahr 1988 von den Kritikern geradezu frenetisch gefeiert. Die Begeisterung war so groß, weil dieses Werk in den Augen vieler Rezensenten nach langer Zeit endlich wieder einmal eine Bereicherung für die glanzlos gewordene deutsche Literatur der 80er Jahre bot. Dementsprechend wurde es als Durchbruch gefeiert. Besonders Ransmayrs poetische Sprache wurde gelobt.

Auch bei der Leserschaft erfreute sich der Roman großer Beliebtheit. Die letzte Welt stand sofort auf allen Bestsellerlisten und machte den bis dahin unbekannten Ransmayr zum Autor eines der erfolgreichsten Gegenwartsromane. Bis heute wurde das Werk in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Mittlerweile hat es auch das Interesse der Literaturwissenschaft auf sich gezogen und wird als wichtiger Text der Postmoderne eingestuft.

Über den Autor

Christoph Ransmayr wird am 20. März 1954 in Wels in Oberösterreich als Sohn eines Lehrers geboren und wächst in Roitham bei Gmunden am Traunsee auf. Nach abgeschlossenem Abitur studiert Ransmayr von 1972 bis 1978 Philosophie und Ethnologie an der Universität Wien. Danach arbeitet er einige Jahre als Kulturredakteur bei der Wiener Monatszeitschrift Extrablatt. Nebenbei schreibt er als freier Mitarbeiter Reportagen und Essays für die Zeitschriften Transatlantik, Geo und Merian. Seit dem Erscheinen seines Erstlingswerks Strahlender Untergang im Jahr 1982 lebt Ransmayr als freier Schriftsteller. Sein Roman Die Schrecken des Eises und der Finsternis folgt zwei Jahre später. Den endgültigen Durchbruch feiert der Autor 1988 mit seinem Roman Die letzte Welt. Nach diesem Erfolg begibt sich Ransmayr längere Zeit auf ausgedehnte Reisen nach Asien, Amerika und Irland. 1995 veröffentlicht der Schriftsteller mit Morbus Kitahara einen neuen Text, dem in kurzen Abständen weitere folgen. 2001 wird sein erstes Theaterstück Die Unsichtbare an den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Im September 2006 erscheint Ransmayr Roman Der fliegende Berg. Der Autor ist für seine Werke schon mehrfach ausgezeichnet worden, u. a. mit dem Franz-Kafka-Preis, dem Europäischen Literaturpreis "Prix Aristeion" und dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Christoph Ransmayr lebt und arbeitet seit 1994 im irischen Cork.

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