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Billy Budd

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Billy Budd

Diogenes Verlag,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Herman Melvilles Abschiedswerk: Der „hübsche Matrose“ Billy Budd muss für seine Schönheit und Unschuld büßen.

Literatur­klassiker

  • Kurzprosa
  • American Renaissance

Worum es geht

Ein Unschuldiger wird der Disziplin geopfert

Billy Budd ist mehr als nur eine spannende Seemannsgeschichte. Die Handlung ist schnell erzählt: Ein junger und schöner Matrose, allseits beliebt, wird erstmals mit boshaftem Verhalten konfrontiert. Grundlos der Meuterei bezichtigt, kann Billy sich mit Worten nicht wehren und erschlägt unbeabsichtigt seinen Widersacher. Seemännischen Prinzipien zuliebe lässt ihn sein geliebter Kapitän hinrichten. Melvilles vielschichtige Novelle überrascht mit einer Fülle von ästhetischen, moralischen und historischen Motiven. Weil der Erzähler vom Innern seiner Figuren nicht mehr zu wissen scheint als der Leser, weil er vieles nur andeutet und sich jeder umfassenden Erklärung verweigert, lässt er Platz für ein breites Spektrum an Interpretationen. Was geht in Billy kurz vor seinem Tod vor? Ist Kapitän Vere gut oder böse? Der unterschwellige Pessimismus und die wankenden Gewissheiten machen Melvilles letztes Buch zu einem geradezu modernen Werk.

Take-aways

  • Billy Budd ist das letzte Werk von Herman Melville, dem Autor des berühmten Romans Moby Dick.
  • Die Titelfigur ist ein Matrose Anfang 20, schön, unverdorben und allseits beliebt.
  • Während der Napoleonischen Kriege wird er zum Dienst auf einem englischen Kriegsschiff zwangsverpflichtet.
  • Der Waffenmeister Claggart ist eifersüchtig auf Billy und intrigiert gegen ihn. Dieser bemerkt nichts von der drohenden Gefahr.
  • Völlig grundlos wird er von Claggart bezichtigt, eine Meuterei zu planen.
  • Vor Aufregung kann Billy sich nicht mit Worten verteidigen und schlägt Claggart nieder. Der stirbt.
  • Aus der Befürchtung, durch Nachsicht die Disziplin zu untergraben, lässt Kapitän Vere Billy von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilen.
  • Billy sieht seinem Ende in heiterer Gelassenheit entgegen und stirbt mit dem Ausruf: „Lang lebe Kapitän Vere!“
  • Melvilles Novelle handelt vom Konflikt zwischen den Erfordernissen militärischer Disziplin und menschlicher Gerechtigkeit.
  • Christliche Motive durchziehen den Text, doch die Grundhaltung ist pessimistisch.
  • Als Melville die Erzählung schrieb, war er als Schriftsteller längst in Vergessenheit geraten und arbeitete als Zollinspektor.
  • Billy Budd wurde erst 1924, mehr als 30 Jahre nach Melvilles Tod, veröffentlicht.

Zusammenfassung

Der Friedensengel auf dem Kriegsschiff

Weil es der englischen Kriegsmarine 1797 im Krieg gegen Frankreich an Seeleuten fehlt, verpflichtet sie Matrosen zwangsweise zum Dienst. Dieses Schicksal trifft auch Billy Budd. Im Mittelmeer kommt ein Leutnant an Bord von Billys Handelsschiff, der „Rights-of-Man“. Er sieht den Matrosen und will ihn sogleich für die Kriegsflotte anheuern. Billy, 21, ist ein so genannter „hübscher Matrose“: ein Bild von einem Mann, der bei jedem Landgang von einer Eskorte von Kameraden begleitet wird, die ihm an Bord viele alltägliche Kleinigkeiten abnehmen. Aber Billy ist nicht nur äußerlich schön, sondern auch von einem offenen und ehrlichen Wesen, der Inbegriff eines guten und naiven Menschen.

„Kraft und Geschmeidigkeit, so sehr sie zur vollkommenen männlichen Schönheit gehören, hätten doch allein kaum die Art der Verehrung erklären können, die dem ‚hübschen Matrosen‘ in manchen Fällen von seinen weniger glücklich begabten Kameraden zuteilwurde“

Kapitän Graveling versucht den Offizier umzustimmen: Seinen besten Mann könne er ihm doch nicht wegnehmen, Billy sei ein unersetzliches Juwel. Vor seiner Ankunft hätten sich die Matrosen gezankt, Billy jedoch wirke allein durch seine Erscheinung besänftigend. Die anderen Männer würden sogar für ihn waschen und nähen. Nun nehme ihm der Offizier seinen Friedensengel weg. Billy selbst leistet keinerlei Widerstand gegen die Zwangsrekrutierung. Seine Kameraden machen ihm diese Fügsamkeit still zum Vorwurf. Auf der Überfahrt zur Kriegsflotte erhebt sich Billy und grüßt sein altes Schiff, die „Rights-of-Man“ – was ihm einen Rüffel des Leutnants einträgt, obwohl Billy seine Geste keineswegs ironisch gemeint hat.

„Aber da kam Billy; und es war, als ob ein katholischer Priester den Frieden in ein irisches Wespennest gebracht hätte. Er predigte nicht etwa, noch sagte oder tat er besondere Dinge; doch etwas ging von ihm aus, das die Sauersten süß machte.“ (Kapitän Gr“

An Bord der „Indomitable“ wird Billy Toppmatrose am Fockmast. Auch auf dem Kriegsschiff ist er wegen seines guten Aussehens und seiner umgänglichen Art schnell beliebt. Seine Gelassenheit und seine eleganten Bewegungen erwecken den Eindruck, er sei von höherer Herkunft, als seine Tätigkeit vermuten ließe. Nach seiner Abstammung befragt, kann er jedoch keine genaue Auskunft geben. Er weiß lediglich, dass er eines Tages in Bristol in einem seidengefütterten Korb gefunden wurde. Vermutlich ist er adliger Herkunft, aber Billy ist ungebildet geblieben und kann nicht lesen. Auf den Schiffen hat er sich sein unverdorbenes Wesen erhalten. Nur einen kleinen Fehler hat er: Bei starken Gemütsbewegungen wird seine Stimme unsicher und stockend, er stottert.

Die neuen Vorgesetzten

Herr der „Indomitable“ ist Kapitän Vere, ein Junggeselle in den 40ern und bodenständiger Bücherliebhaber. Literatur mag er nicht wegen der Form des Geschriebenen, sondern wegen dessen Inhalt, und so bevorzugt er Biografien und Geschichten aus der wirklichen Welt, liest aber auch Philosophen wie Montaigne, die allgemein verständlich über die Wirklichkeit schreiben. Mithilfe der Lektüre hat er sich eine Basis aus Überzeugungen gebildet, die ihn vor neuen politischen und sozialen Ideen schützen. Er kümmert sich um seine Leute, duldet aber keinen Verstoß gegen die Disziplin.

„So war Billy durch Anlage und Schicksal eigentlich ein richtiger Barbar geblieben, wie Adam, ehe die vielgewandte Schlange sich in seine Gesellschaft schmeichelte.“ (S. 17)

Einer seiner Offiziere ist der Waffenmeister John Claggart, der für die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig ist. Ursprünglich bestand die Aufgabe eines Waffenmeisters darin, der Besatzung den Umgang mit Hieb- und Stichwaffen beizubringen, doch mit zunehmender Bedeutung der Schusswaffen hat sich seine Rolle zu der eines Polizeichefs gewandelt. Claggart ist Mitte 30, groß und schlank gewachsen, sein Gesicht hat schöne Züge, bis auf das plumpe, vorspringende Kinn. Sein Auftreten und seine Manieren verraten eine höhere Herkunft, und Gerüchten zufolge soll er sich auf der Flucht vor einer betrügerischen Vergangenheit in den Dienst der Marine gerettet haben. Smart, wie er ist, konnte er von den niedrigsten Diensten schnell zum Waffenmeister aufgestiegen. Auch seine einschmeichelnde Höflichkeit gegenüber Vorgesetzten, sein Talent zum Spionieren und sein Patriotismus waren seiner Karriere nicht abträglich.

Die verschüttete Suppe

Billy gefällt das Leben als Vortoppmann. Seine Pflichten erfüllt er gewissenhaft. Disziplin hat er aus Angst vor Strafe verinnerlicht. Denn gleich am ersten Tag auf der „Indomitable“ hat er zusehen müssen, wie ein Neuling, der bei einem Wendemanöver nicht auf seinem Posten war, ausgepeitscht wurde. Unter diesem Eindruck beschließt Billy, niemals etwas zu tun, was ihm auch nur den leisesten Vorwurf einbringen könnte. Deshalb ist er beunruhigt, als er immer wieder wegen Kleinigkeiten von Schiffkorporalen ermahnt wird. Billy sucht Rat bei einem alten Matrosen. Dieser, ein Däne, hat ihm gleich zu Beginn den Spitznamen „Baby Budd“ verpasst. Was Billy rätselhaft ist, durchschaut der Alte sofort: Der Waffenmeister habe es auf Billy abgesehen. Billy kann das nicht begreifen, da Claggart ihn einen „netten, hübschen Jungen“ nennt. Doch gerade diese schönen Worte sind dem Dänen verdächtig.

„Vielleicht aber gehört mehr dazu und auch wohl etwas anderes als bloß Schlauheit, um einen Menschen wie Billy Budd zu begreifen.“ (S. 49)

Billy zweifelt am Verdacht des alten Matrosen. Beim Mittagessen am nächsten Tag verschüttet er seine Suppe auf das frisch geschrubbte Deck. In diesem Moment kommt Claggart vorbei. Er klopft Billy freundlich mit dem Stöckchen auf die Schulter und sagt dabei: „Hübsche Bescherung, mein Junge!“ – Alle lachen, und Billy hält den Verdacht, Claggart könne etwas gegen ihn haben, mit dieser Bemerkung für ausgeräumt. Die Grimasse und wahre Gemütsverfassung des Waffenmeisters bemerkt er nicht.

„Aber der Kapitän stand wiederum reglos da, in seine Gedanken verloren. Dann fuhr er aufs Neue zusammen und rief mit Heftigkeit: ‚Geschlagen durch einen Engel Gottes! Und doch muss der Engel gehängt werden!‘“ (S. 59)

Claggart zeichnet sich durch angeborene Bosheit aus. Diese ist allerdings nicht offensichtlich, denn sie wird von Bildung überdeckt und ist frei von sinnlichen Ausschweifungen. Seine Ziele verfolgt der Offizier kühl berechnend. Den wahren Charakter solcher Menschen erkennt man nicht leicht, denn ihre Methoden und Handlungen erscheinen ganz vernünftig. Werden sie aber von einem bestimmten Gegenstand gereizt, bricht ihre wahnsinnige Natur sich Bahn. Claggart ist eifersüchtig auf Billys auffallende Schönheit. Als Ästhet bemerkt er den von Billys Erscheinung ausgehenden Zauber; die Unschuld des jungen Matrosen erfüllt ihn mit Verachtung.

Die Intrige des Waffenmeisters

In einer sommerlichen Nacht sitzt Billy verträumt an Deck, als sich ihm ein Matrose nähert. Er lockt ihn zu einem verschwiegenen Platz. Dort deutet er eine Verschwörung der zum Dienst gepressten Matrosen an und fragt Billy, ob er dabei mitmachen wolle. Der Matrose bietet ihm zwei Goldstücke für seine Unterstützung an. Billy stottert vor Empörung und vertreibt den Unruhestifter. Der Vorfall setzt ihm schwer zu. Erstmals in seinem Leben hat sich ihm jemand heimlich und in hinterhältiger Absicht genähert. Die verschwörerischen Überlegungen sind ihm so fremd, dass er das Ansinnen des Matrosen für sich behält, statt es pflichtgemäß einem Vorgesetzten zu melden. Als er dem alten Dänen davon berichtet, sieht der sich in seinem Verdacht bestätigt, Claggart habe es auf Billy abgesehen. Billy hingegen kann den Zusammenhang nicht erkennen. Gesundes Misstrauen geht ihm völlig ab.

„Wer könnte wohl in einem Regenbogen genau die Linie angeben, wo das Violett aufhört und das Orange beginnt? (...) So ist es auch mit Vernunft und Wahnsinn. (...) Kurzum, es ist bisweilen fast unmöglich festzustellen, ob ein Mann bei Verstand ist oder dra“

Die kleinen Schikanen gegen Billy hören auf. Wenn Claggart Billy unauffällig beobachtet, wie er in seiner Freizeit mit anderen Matrosen seinen Spaß hat, bekommt sein Gesicht nachdenkliche, traurige Züge, die manchmal voller Zärtlichkeit und Verlangen sind. Aber diese Anwandlungen weichen bald einem harten Gesichtsausdruck. Selbstsicher wegen seiner allgemeinen Beliebtheit deutet Billy weder die Blicke Claggarts noch andere Zeichen als schlechtes Omen.

„Hätte ich reden können, so hätte ich nicht zugeschlagen. Aber er log mir gemein ins Gesicht vor meinem Kapitän, und ich musste etwas erwidern und konnte es nur durch einen Schlag tun. Gott helfe mir!“ (Billy Budd, S. 64)

Eines Tages sichtet die „Indomitable“ eine feindliche Fregatte. Diese aber setzt die Segel und entkommt. Nach dem Ende der Verfolgungsjagd geht Claggart zu Kapitän Vere und redet in Andeutungen davon, dass sich wenigstens ein Matrose mit gefährlicher Gesinnung an Bord befinde, und dies auf einem Schiff, das nicht nur viele zum Dienst gezwungene Seeleute mit sich führe, sondern auch einige Männer, die an der letzten großen Meuterei beteiligt gewesen seien. Vere ist aus Erfahrung skeptisch gegenüber Claggarts Andeutungen, und die Art seines Vortrags widert ihn an. Erst als er Claggart auffordert, deutlicher zu werden, nennt dieser Billys Namen.

„(...) denn sind wir es selber, die das Urteil fällen, oder nicht vielmehr das Kriegsgesetz, das durch uns hindurch sein Recht fordert?“ (Kapitän Vere, S. 68)

Der Kapitän hatte bisher einen guten Eindruck von Billy und wollte ihn sogar zum Obermaat befördern. Er drängt Claggart, seine vagen Andeutungen zu konkretisieren und droht ihm für eine Falschaussage unverhohlen mit dem Galgen. Claggart führt daraufhin vermeintliche Worte und Handlungen des jungen Matrosen als Indizien an. Kapitän Vere will Aufsehen vermeiden und die Angelegenheit unauffällig prüfen. Er entschließt sich zu einer Gegenüberstellung von Claggart und Billy in seiner Kabine. Als Letzterer dort eintrifft, fordert Vere Claggart auf, seine Anschuldigungen Billy ins Gesicht zu sagen. Claggart wiederholt in wenigen Worten seine Anklage. Billy weiß nicht, wie ihm geschieht, er kann sich vor Entsetzen nicht verteidigen, sein Sprachfehler lässt ihn diesmal nur ein stummes Würgen hervorbringen. Zunächst erlahmt er, doch dann fährt sein rechter Arm blitzschnell hoch und trifft Claggart. Der stürzt zu Boden und rührt sich nicht mehr.

Das Kriegsgericht

Vere schickt Billy in die Schlafkabine und lässt den Arzt rufen. Der bestätigt, dass Claggart tot ist. Der Arzt ist beunruhigt von Veres Verhalten: Der Kapitän sagt, der Tote sei durch einen Engel Gottes geschlagen worden, und doch müsse dieser Engel gehängt werden. Vere lässt drei Offiziere in seine Kabine kommen und erklärt sie zum Kriegsgericht. Unter den gegebenen Umständen – die letzte große Meuterei ist erst vor Kurzem beendet worden – fühlt er sich zu raschem Handeln gedrängt, um auf seinem Schiff keinen Gedanken an einen Aufstand aufkommen zu lassen.

„Nicht dass Billy, wie Kinder, unfähig gewesen wäre zu begreifen, was Tod eigentlich bedeute. Aber er war ganz ohne jene tief wurzelnde Todesangst, die unter hochzivilisierten Menschen viel häufiger ist als unter so genannten Barbaren, welche in jeder Hin“

Als einziger Zeuge berichtet Vere selbst von den Geschehnissen. Billy bestätigt dessen Schilderung und bringt als einzige Verteidigung vor, er hätte nicht zugeschlagen, wenn er sich mit Worten gegen Claggarts Lügen hätte verteidigen können. Fragen nach den Motiven des Waffenmeisters für seine Verleumdungen und die Feindschaft gegenüber Billy erklärt Vere für irrelevant. Nur die Tat des Matrosen sei zu bewerten. Als sich das Gericht mit einem Urteil schwertut, führt Vere alle Skrupel und Bedenken gegen eine Verurteilung an, doch er fügt hinzu, das eigene Gewissen müsse dem Gewissen der Nation unterworfen werden, es müsse nach Kriegsrecht gehandelt werden, denn der Krieg kenne nur das Äußere und nehme keine Rücksicht auf Motive. Mit dem Appell an die militärische Notwendigkeit siegt die Disziplin über Menschlichkeit und Gerechtigkeit: Billy wird verurteilt und soll am frühen Morgen gehängt werden.

Billys Himmelfahrt

Der Kapitän selbst überbringt Billy die Nachricht. Nachdem er auch der Mannschaft das Urteil verkündet hat, verbringt Billy seine letzten Stunden in Ketten auf einem abgelegenen Deck. Sein bevorstehender Tod macht ihm keine Angst, einfach weil er ihn sich nicht vorstellen kann. Über sein Gesicht huscht ein helles Licht, er gibt sich Träumen und Erinnerungen hin. Der Geistliche kommt hinzu, aber zieht sich gleich wieder zurück, weil er spürt, dass er keinen stärkeren Frieden vermitteln kann, als ihn Billy ohnehin schon hat. Auch seinen Versuch in den frühen Morgenstunden, bei Billy Gedanken an eine mögliche Erlösung zu wecken, bricht er im Vertrauen darauf ab, dass Unschuld eine bessere Empfehlung vor Gott sei als der Glaube.

„Im gleichen Augenblick durchbrach die Sonne das tief im Osten ausgebreitete Wolkenvlies und ließ es aufleuchten in sanfter Glorie, als erscheine in mystischer Vision das Lamm Gottes am Himmel. Zur gleichen Zeit, verfolgt von den Blicken der dicht aneinan“

Um vier Uhr morgens wird die Mannschaft an Deck gerufen, um Billys Hinrichtung mit anzusehen. Der Verurteilte wird an die Rahe des Großmastes geführt. Als man ihm den Strick um den Hals legt, ruft er aus: „Gott segne Kapitän Vere!“ Die Mannschaft wiederholt diesen Ruf. Die Blicke aller hängen an Billy, als er, während die Sonne im Osten durch die Wolken bricht, zum Himmel hinaufgezogen wird. Seine gefesselte Gestalt zeigt keinerlei eigene Bewegung. Dass sein Körper im Todeskampf nicht zuckt, ist später Gesprächsstoff für die Mannschaft. Auch der Arzt hat keine Erklärung für dieses Phänomen. Nach Billys Hinrichtung schwillt unter der versammelten Mannschaft ein bedrohliches Gemurmel an, das durch Befehle abgeschnitten wird. Die Mannschaft wird mit Arbeit beschäftigt. Erst zu Billys Bestattung ruft man die Matrosen wieder an Deck. Lange kreisen Seevögel um die aufgeschäumte Stelle im Meer, an der Billys Körper ins Wasser geglitten ist.

Auf dem Rückweg zur englischen Flotte trifft die „Indomitable“ auf das französische Schiff „Atheist“. In dem Gefecht können die englischen Seeleute zwar die „Atheist“ kapern, doch Kapitän Vere wird von einer Kugel verwundet. In Gibraltar flüstert er vor seinem Tod immer wieder Billy Budds Namen. Einige Wochen später erscheint ein Zeitungsartikel, in dem die Ereignisse auf der „Indomitable“ völlig verfälscht dargestellt werden. Unter den Matrosen jedoch kursiert die Ballade „Billy in Ketten“, mit der sie das Ende ihres Kameraden besingen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Billy Budd ist in 26 Kapitel unterteilt. In einer kurzen Vorbemerkung skizziert Melville, wie im Jahr 1797 der revolutionäre Geist aus Frankreich sowie die schlechte Behandlung der Matrosen in Englands Marine Meutereien auslöste. Der Autor erzählt nicht geradlinig: Nachdem er in den ersten zwei Kapiteln den Typen des „hübschen Matrosen“ skizziert und Billy Budd eingeführt hat, widmet er sich anschließend ausführlich den Helden der englischen Marine und den der Haupthandlung vorausgehenden Meutereien. Erst im achten Kapitel kehrt er zu Billy und dessen Schicksal zurück. Überlegungen und Kommentare des Autors begleiten die Schilderung des Geschehens. Melville beschreibt seine Charaktere ausführlich und deutet ihre Motive an, ohne sie jedoch restlos aufzuklären. Er analysiert sie, lässt ihnen aber gewisse Geheimnisse. Eine eigentlich zentrale Szene der Erzählung, nämlich das Gespräch, in dem Kapitän Vere Billy das Todesurteil mitteilt, wird völlig ausgespart. Melvilles Sprache ist präzis und klar. Mit seinen zahlreichen Bezügen auf antike Philosophen und biblische Motive erhebt er das erzählte Ereignis zu einer besonderen Begebenheit von andauernder Gültigkeit. Billy Budd endet mit der Ballade „Billy in Ketten“, mit der die Seeleute sich des Matrosen erinnern – über die äußeren Umstände, die zu seinem Tod führten, erzählt sie jedoch nichts.

Interpretationsansätze

  • Billy Budd kann als Allegorie auf die Entwicklung der Welt gelesen werden. Durch den Sündenfall wird sie ihrer Natürlichkeit beraubt, zusammengehalten nur noch von einer Ordnung, in der Hierarchie und Disziplin über die Menschlichkeit dominieren. So muss der „Friedensengel“ Billy in einer vom Krieg beherrschten Welt zum Opfer dieser Ordnung werden.
  • Die Erzählung durchzieht ein christliches Opfermotiv. Melvilles Haltung zur christlichen Erlösung scheint aber trotz der als Himmelfahrt erzählten Hinrichtung Billys ambivalent zu sein; dafür spricht der pessimistische Grundton der Erzählung.
  • In den Gestalten von Billy und Claggart stehen sich Gut und Böse gegenüber. Melvilles Sympathie gehört nicht dem zivilisierten Waffenmeister, sondern dem reinen und unverdorbenen Naturkind Billy.
  • Die wirklich tragische Figur der Geschichte ist Kapitän Vere. Er durchschaut sowohl Claggarts Bosheit als auch Billys Unschuld, doch er muss den Matrosen hinrichten lassen, um die Ordnung auf seinem Kriegsschiff und in der gesamten Marine nicht zu gefährden. Mit seinem Handeln opfert Vere zugleich seine menschlichen Gefühle: seinen Gerechtigkeitssinn und seine Zuneigung zu Billy. Veres eigener Tod kurz darauf ist folgerichtig.
  • Nicht zu übersehen sind die homoerotischen Motive der Erzählung. Der Mikrokosmos Kriegsschiff ist eine reine Männerwelt. Auch wenn Melville es bei Andeutungen belässt, hat Vere für Billy möglicherweise mehr als väterliche Gefühle, und bei Claggart verwandelt sich die Sehnsucht nach dem schönen Matrosen in Aggression und Hass.
  • Melville verwendet sprechende Namen: Billy wechselt vom Handelsschiff „Rights-of-Man“ (Menschenrechte) auf die „Indomitable“ (unbezwingbar). Das englische „bud“ bedeutet Knospe und steht für die jugendliche Schönheit Billys.

Historischer Hintergrund

Amerika im 19. Jahrhundert

Die Mitte des 19. Jahrhunderts war in Amerika eine Zeit großer Umbrüche: Die Industrialisierung, der Eisenbahnbau, die Immigration aus allen Ländern der Welt, religiöse Separatistenbewegungen und die Eroberung des Westens durch immer neue Siedler prägten das Land. Gleichzeitig spaltete die Frage der Sklaverei die Vereinigten Staaten zunehmend. Als 1860 Abraham Lincoln zum US-Präsidenten gewählt wurde, trat die Mehrheit der Südstaaten aus Protest aus der Union aus. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikt gipfelte im Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861–1865. Der Krieg riss tiefe Gräben auf, doch letztlich gingen die USA gestärkt aus ihm hervor. Lincoln setzte die Wiedervereinigung durch; unter seiner Führung wurden die Sklaven befreit und die Vereinigten Staaten entwickelten sich zu einer modernen Industriemacht.

In der Literaturgeschichte wird die Zeit zwischen 1848 und 1890 mit dem Begriff des Realismus bezeichnet. Die Schilderung der realen Lebensumstände und die Kritik an sozialer Verelendung standen im Vordergrund des schriftstellerischen Interesses. Ähnlich wie der poetische Realismus in Deutschland (Gottfried Keller, Wilhelm Raabe, Theodor Storm, Theodor Fontane) zeigten die amerikanischen Realisten, zu denen sowohl Herman Melville als auch Mark Twain und Melvilles Idol Nathaniel Hawthorne gehörten, eine besondere Ausformung, die mitunter als „symbolischer Realismus“ bezeichnet wird. Bei aller Realitätsnähe wiesen die Werke dieser Autoren über die dargestellte Welt hinaus und legten viel Wert auf die psychologische Plausibilität ihrer Figuren. Die Texte Melvilles veranschaulichen den symbolischen Realismus sehr deutlich. Schon sein großer Roman Moby Dick steckt bei aller realistischen Schilderung voller Symbole.

Entstehung

Als Melville 1886 mit der Arbeit an Billy Budd begann, war er als Schriftsteller längst in Vergessenheit geraten. Sein kurzer literarischer Ruhm aufgrund einiger Südsee-Abenteuergeschichten lag über drei Jahrzehnte zurück. Möglicherweise wollte der Schriftsteller, der inzwischen als Zöllner arbeitete, sich nach seiner Pensionierung noch einmal als Autor beweisen.

Auch wenn über seine Motive lediglich Mutmaßungen angestellt werden können, scheint der Gedanke, Melville habe die Themen seines bisherigen Werks noch einmal zugespitzt verarbeiten wollen, nicht abwegig. Da ist der Kampf zwischen Gut und Böse, personifiziert in Billy und Claggart, und der noch viel dramatischere und auch tragischere Konflikt Kapitän Veres, der gegen besseres Wissen und um die Ordnung aufrechtzuerhalten mit der Verurteilung Billys ein Unrecht begeht – und so dem Bösen doch noch zum Triumph verhilft. Melville machte den Kapitän erst in der letzten Phase der Niederschrift zur zentralen Figur der Erzählung.

Der Autor arbeitete bis kurz vor seinem Tod 1891 an Billy Budd. Ob er sein letztes Werk zu diesem Zeitpunkt selbst als abgeschlossen betrachtet hat, ist nicht bekannt.

Wirkungsgeschichte

Das Manuskript von Billy Budd wurde erst 1920, fast 30 Jahre nach Melvilles Tod, in seinem Nachlass entdeckt. 1924 erschien die Erzählung als Teil einer englischsprachigen Gesamtausgabe seiner Werke, die möglicherweise wesentlich zur Wiederentdeckung des Autors und der revolutionären ästhetischen Struktur seiner Texte beigetragen hat. Jedenfalls verhalf in den 1920er Jahren ein Kreis von New Yorker Literaturwissenschaftlern seinem Werk zu Anerkennung.

Seit der kritischen Ausgabe von 1962 gilt als geklärt, wie der vom Autor geplante Titel lautet: Billy Budd, Sailor. An Inside Narrative. Der Untertitel verweist doppeldeutig sowohl auf einen authentischen Bericht als auch auf die Erzählung eines inneren Vorgangs.

Für Thomas Mann war die Erzählung „wirklich eine der schönsten der Welt“. Im Jahr 1951 erfolgte eine Dramatisierung für das Theater durch Louis O. Coxe und Richard Chapman. Eine Filmfassung entstand 1962 unter der Regie von Peter Ustinov. Zwei Komponisten ließen sich von dem Stoff zu Opern inspirieren. Im September 1949 wurde die Vertonung von G. F. Ghedini in Venedig uraufgeführt. Benjamin Brittens Oper Billy Budd hatte im Dezember 1951 Weltpremiere; 1961 schrieb der Komponist eine Neufassung.

Über den Autor

Herman Melville wird am 1. August 1819 in New York geboren. Sein Vater ist im Textilimportgeschäft tätig; 1830 macht er Bankrott und stirbt. Melville zieht zu seinen Verwandten nach Albany, verdingt sich als Pelzverkäufer, Bankangestellter und Lehrer. Im Jahr 1841 heuert er auf dem Walfänger „Acushnet“ an und reist in die Südsee. Er verlässt das Schiff nach 18 Monaten und lebt einige Zeit auf den Marquesas-Inseln bei den Polynesiern. Nach mehreren Zwischenstationen heuert Melville 1843 auf einer Fregatte der US-Marine als Matrose an. Als er ein Jahr später entlassen wird, beginnt er seine Abenteuer auf See in Romanen zu verarbeiten. Zwischen 1846 und 1849 veröffentlicht Melville drei Erzählungen, die auf großes Interesse und eine breite Leserschaft stoßen: Typee (1846), Omoo (1847) und Mardi (1849). Als „der Mann, der unter Kannibalen gelebt hat“, wird er quasi über Nacht berühmt. Er entschließt sich, Schriftsteller zu werden, und veröffentlicht in den folgenden Jahren mehrere Novellen und Reiseberichte, die allesamt das Leben auf See zum Thema haben. Mit seiner Frau Elizabeth Shaw zieht er auf eine Farm in Pittsfield, Massachusetts. Hier lernt er den Schriftsteller Nathaniel Hawthorne kennen, der großen Einfluss auf seine Arbeit ausübt. Hawthorne ist es schließlich auch, der ihm verschiedene Verbesserungen an Moby Dick (1851) vorschlägt. Obwohl der Roman bei Publikum und Kritikern durchfällt, gibt Melville das Schreiben nicht auf, doch auch seine folgenden Werke werden vom Publikum verschmäht. So sieht sich Melville 1861 gezwungen, seine Farm zu verkaufen und als Zollinspektor in New York zu arbeiten, wo er am 28. September 1891 stirbt. Sein Tod wird von der New York Times lediglich mit einer Kurzmeldung bedacht.

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