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Leben der schwedischen Gräfin von G***

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Leben der schwedischen Gräfin von G***

Reclam,

15 min read
10 take-aways
Text available

What's inside?

Gute Zeiten, schlechte Zeiten im 18. Jahrhundert.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Aufklärung

Worum es geht

Lerne, dein Schicksal zu ertragen

Gemessen an seiner begeisterten Aufnahme durch ein breites bürgerliches Publikum muss Leben der schwedischen Gräfin von G*** als einer der wichtigsten deutschen Romane im 18. Jahrhundert gelten. Gellert vermittelt in dem Werk sein eigenes Tugendideal. Das Verhalten der Hauptpersonen ist in allen Lebenslagen von Selbstbeherrschung und Disziplin bestimmt. Die erzieherischen Versuche des Autors zeigen sich darin, dass er immer wieder das tugendhafte Handeln der Protagonisten betont und ihnen eine Vielzahl triebhaft handelnder Charaktere entgegenstellt. Über 40 Figuren treten in dem kurzen Roman auf, und mehr als die Hälfte von ihnen stirbt im Lauf der Geschichte. Dem Leser stößt nach einiger Zeit die relative Beliebigkeit dieser Nebencharaktere auf. Die Überhöhung der stoischen, christlich-tugendhaften Protagonisten sowie der häufige und leichtfertige „Abgang“ der unwichtigeren Charaktere trüben ein wenig die Lesefreude, die der Roman bei den überraschenden und spannenden Stellen durchaus zu vermitteln weiß.

Take-aways

  • Gellerts Leben der schwedischen Gräfin von G*** gilt als bedeutender Beitrag in der Geschichte des deutschen Romans.
  • Inhalt: Eine schwedische Gräfin verliert ihren Mann im Krieg und heiratet dessen besten Freund. Der Graf hat aber überlebt und kehrt eines Tages aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Der zwischenzeitliche Gatte lässt dem Grafen tugendhaft den Vortritt, bleibt dem wiedervereinten Paar aber freundschaftlich verbunden. Schließlich sterben beide Männer. Die Gräfin bleibt allein zurück.
  • Den Roman bevölkern mehr als 40 Figuren, von denen die meisten im Lauf der Handlung sterben.
  • Gellert vermittelt dem Leser durch die vorbildlichen Handlungen und Gedanken der Protagonisten sein eigenes, christlich-aufklärerisches Tugendideal.
  • Charakteristisch für die Entstehungszeit ist die Erzählform des Romans, eine fiktive Lebensbeschreibung.
  • Mit seiner weiblichen Hauptfigur zeigt sich der Roman auch in Hinsicht auf sein Verständnis der Geschlechterrollen durchaus aufgeklärt.
  • Das Buch wurde erstmals anonym in zwei Teilen, 1747 und 1748, veröffentlicht.
  • Der Roman war zunächst ein großer Erfolg. Ab etwa 1770 begann man, ihn kritischer zu sehen.
  • Auf den heutigen Leser wirkt der Roman sehr konstruiert; zahlreiche Zeitsprünge und verworrene Nebenhandlungen hemmen den Lesefluss.
  • Zitat: „Einen Mann hatte ich wiedergefunden, den ich ausnehmend liebte, und einen sollte ich verlassen, den ich nicht weniger liebte. Man muß es fühlen, wenn man wissen will, was es heißt, von zween Affekten zugleich bestürmt zu werden, von denen einer so groß als der andere ist.“

Zusammenfassung

Jugend und Vermählung mit dem Grafen von G.

Die Gräfin hat ihre Jugend in Livland verbracht. Ihre Eltern sind früh gestorben, und so wächst sie bei ihrem Vetter auf. Sie lernt den Grafen von G. kennen und wird im Alter von 16 Jahren mit ihm verheiratet. Die beiden sind einander zugeneigt und verbringen einige sorgenfreie Ehejahre. Als der Graf zu seinem Regiment gerufen wird, bleibt die Gräfin allein zurück. Sie vertreibt sich die Zeit mit Spazierfahrten zu den Landgütern des Grafen, gemeinsam mit dessen Vater. Auf einer dieser Fahrten lernt sie die Witwe Caroline kennen, deren Sohn Carlson sie aufgrund der frappierenden Ähnlichkeit mit ihrem Mann als unehelichen Sprössling des Grafen erkennt. Nach seiner Rückkehr stellt sie den Grafen zur Rede. Er beichtet ihr, vor seiner Ehe eine Affäre mit Caroline gehabt zu haben, und bittet die Gräfin um Vergebung. Caroline und ihr Sohn werden weggeschickt, die Gräfin verzeiht ihm und das Eheleben ist fortan wieder harmonisch.

Der Tod des Grafen

Der Graf wird einige Jahre später an den Hof gerufen und erhält dort erneut einen Marschbefehl. Die Gräfin bleibt drei Monate lang am Hof, wo sie vom Prinzen von S. umworben wird. Sie weist seine Avancen jedoch ab, was den Prinzen verärgert. Er sorgt dafür, dass der Graf, als er zurückkehrt, des Hofes verwiesen wird. Graf und Gräfin begeben sich auf ihr Landgut. Dort leistet ihnen ein Kamerad des Grafen, der tugendhafte R., Gesellschaft. Doch wieder muss der Graf ins Feld ziehen. Dem Groll des Prinzen ist es zuzuschreiben, dass er zu einem riskanten Einsatz abgestellt wird: Er soll einen gefährlichen Pass sichern, was ihm aber nicht gelingt. Der Prinz wirft ihm vor, seine Pflicht verletzt zu haben, und verurteilt ihn zum Tode. Die Gräfin fällt in tiefe Trauer und R. steht ihr bei. Sie erfährt kurz darauf, dass der Graf noch vor Vollstreckung des Urteils den Wunden erlegen ist, die er sich im Kampf zugezogen hatte. Das erleichtert ihr die Trauer ein wenig, da ihr Mann damit nicht als Verbrecher, sondern als Kriegsheld gestorben ist. Die Ländereien des Grafen werden nun vom Prinzen beschlagnahmt. Um der Rache und Wollust des Prinzen zu entkommen, flieht die Gräfin mit R. in Richtung Amsterdam. Sie nehmen Carlson mit, und Caroline verspricht, baldmöglichst nachzukommen.

Ehe mit R.

In Amsterdam kommen die drei bei Bekannten von R. unter. R. übernimmt die Erziehung von Carlson, der schließlich Soldat wird. Sie verbringen vier ruhige Jahre, allerdings ohne dass Caroline wie abgemacht zu ihnen stößt. Die Gräfin erfährt in dieser Zeit viele Avancen von holländischen Männern. Doch sie gesteht dem treuen Freund R. ihre Zuneigung. Er erwidert diese und sie heiraten. Sie verleben weitere vier glückliche Jahre und bekommen eine Tochter. Als sie Carlson brieflich von ihrer Hochzeit berichten und ihn um einen Besuch bitten, antwortet der, dass er inzwischen Leutnant geworden ist. Außerdem hat er der Klosterschülerin Mariane zur Flucht aus dem Kloster verholfen und gedenkt, sie zu heiraten. Er ist bei Den Haag stationiert und bittet beide, ihn dort zu besuchen und ihm und seiner Verlobten ihren Segen zu geben. Die Gräfin und R. reisen zu ihm, finden Gefallen an der Verbindung und verbringen ein Jahr bei dem jungen Paar. Caroline kommt auch endlich in Holland an, und Carlson und Mariane bekommen eine Tochter.

Verbotene Liebe in Den Haag

Während der Vorbereitungen zur Rückreise nach Amsterdam erfährt Caroline, dass ihr Bruder Andreas, der einst bankrottgegangen ist und daraufhin in Ostindien sein Glück gesucht hat, soeben zurückgekehrt und in Amsterdam angekommen sei. In Amsterdam kommt er zu Besuch und berichtet davon, dass er einst eine Pflegetochter, ein anderes Kind von Caroline, aufgenommen hat. Diese heiße nun nicht mehr Caroline, nach ihrer Mutter, sondern Mariane, nach seiner verstorbenen Frau. Weiter erzählt er, dass sie im Kloster sei und er sie besuchen wolle. Als er weitere Details preisgibt, wird allmählich klar, dass Carlson und Mariane beide Kinder von Caroline und die jungen Eheleute also Geschwister sind. Zu viert reisen sie zu Carlson und Mariane nach Den Haag, um ihnen das Unglück mitzuteilen. Das junge Paar leidet sehr an der Veränderung der Umstände und daran, dass die Religion ihnen die Ehe verbietet und ihren Herzen widerspricht. Inmitten der Aufregung erhält Carlson die Order, sich zu seinem Regiment zu begeben. Mariane reist unterdessen mit den anderen zurück nach Amsterdam. Carlson stirbt kurz darauf, jedoch nicht im Feld, sondern an einer Fieberkrankheit. Mariane trauert unsäglich. Bei den Übrigen herrscht eine Mischung aus Trauer und Erleichterung über die Auflösung der unheilvollen Ehe.

Verrat und Tod

Als wieder etwas Ruhe eingekehrt ist, kommt Dormund, Carlsons Freund, der ihn am Sterbebett gepflegt hat, nach Amsterdam. Er lässt sich dort nieder und wirbt erfolgreich um Mariane. Sie heiraten. Doch Dormund erkrankt ein Dreivierteljahr später schwer. Er ringt mit dem Tod und will ein Geständnis ablegen: Er vertraut der Gräfin und R. an, dass er Carlson, seinen besten Freund, auf dem Krankenbett vergiftet hat, um sich an Mariane heranmachen zu können. Als Mariane das hört, rast sie vor Wut. Wider Erwarten erholt sich Dormund von seiner Krankheit. Er verlässt heimlich das Haus und flieht. Er hinterlässt einen Abschiedsbrief und sein ganzes Geld. Im Brief steht, er wolle wieder in den Krieg ziehen, um die furchtbare Schuld zu sühnen und zu sterben. Mariane wird, um ihre Schwermut zu kurieren, zur Ader gelassen. In der Nacht öffnet sie absichtlich die angelegten Verbände, worauf sie verblutet.

Überraschung in Den Haag

Kurz darauf ziehen die Gräfin, R., ihre Tochter sowie Caroline und Carlsons Tochter nach Den Haag zu Carolines Bruder Andreas. Nach einiger Zeit kommt aus Russland ein Schiff mit Waren für Andreas an. An Bord ist zur großen Überraschung aller der Graf von G., der erste Mann der Gräfin, den diese zehn Jahre lang für tot hielt. Sie ist voller Freude, liebt sie ihn doch noch immer – aber sie liebt auch R., mit dem sie nun so lange verheiratet war. Der Graf erkennt an der Reaktion der Gräfin, dass etwas nicht stimmt, und sie beichtet ihm, dass sie neu verheiratet ist. Er ist erschüttert und will wissen, wer der Ehemann ist. Daraufhin erhält er einen Brief von R., in dem dieser alles erklärt und ihm sagt, dass er sich unschicklich verhalten habe und auf die Gräfin verzichte. Er wolle weggehen und sich den beiden nie mehr zeigen. Doch die Gräfin und der Graf sind R. immer noch in tiefer Freundschaft und Dankbarkeit verbunden. Der Graf setzt alles in Bewegung, um R. aufzufinden. Es gelingt ihm, und er und die Gräfin können R. dazu bewegen, in Amsterdam zu bleiben. Er stimmt zu und bleibt mit den beiden befreundet.

Kriegsgefangenschaft in Moskau

Aus Briefen, die der Graf in russischer Kriegsgefangenschaft geschrieben hat und die nun erst zugestellt werden, und aus dessen eigenem Mund erfährt die Gräfin, wie es dem Grafen nach der verlorenen Schlacht am Pass erging: Er wurde von seinen Soldaten drei Tage vor seiner bevorstehenden Hinrichtung krank auf dem Feldbett zurückgelassen, als der Ort von russischen Truppen überrannt wurde. Diese nahmen ihn als Kriegsgefangenen mit nach Russland. Er erholte sich langsam und wurde nach Moskau gebracht. Auf der beschwerlichen Reise lernte er einen seiner Mitgefangenen kennen, einen Engländer namens Steeley, der ihm ein guter Freund und ein Rückhalt in der Gefangenschaft wurde. Steeley war glücklich verlobt gewesen, doch war seine Braut auf der Reise zur Hochzeitsfeier vom Blitz erschlagen worden. In seiner Trauer und Lebensmüdigkeit hatte sich Steeley zum Militär gemeldet und war gegen Russland in den Krieg gezogen, in dem er gemeinsam mit seinem Vetter Sidne, ebenso wie der Graf, gefangen genommen wurde. In Gefangenschaft lernten der Graf, Steeley und Sidne von einem Popen Russisch. Als ihr Geld, das sie von Bekannten von Steeley erhalten hatten, zur Neige ging und sie den Popen nicht mehr bezahlen konnten, wurde dieser wütend und bezichtigte die drei, den Zaren und die Kirche verleumdet zu haben. Die drei wurden gefoltert und Sidne erlag seinen Verletzungen. Der Graf und Steeley wurden lebenslänglich ins Arbeitslager nach Sibirien verbannt.

Kriegsgefangenschaft in Sibirien

Steeley und der Graf wurden nach Tobolskoy in Sibirien verlegt und auf dem Weg getrennt. Der Gouverneur teilte die Gefangenen dazu ein, Zobel zu fangen, deren Felle für den russischen Hof gebraucht wurden. Aufgrund der Kälte war dies eine beinah unerträgliche Arbeit. Eines Tages rettete der Graf einem polnischen Juden das Leben, der von seinem Pferd gefallen war und zu erfrieren drohte. Der Jude gab dem Gouverneur Geld und erwirkte so, dass der Graf keine Zobel mehr fangen musste. Von Steeley hörte der Graf derweil nichts. Er bat um Material, um Baupläne zeichnen und sich so nützlich machen zu können. Der Gouverneur war angetan von der Arbeit des Grafen, konnte ihn jedoch nicht freilassen, da der Graf ja vom Zaren auf Lebenszeit nach Sibirien verbannt worden war. Um ihm den Aufenthalt wenigstens etwas angenehmer zu gestalten, gab er ihm tatsächlich Steeley zur Seite. Gemeinsam ertrugen die Freunde die Gefangenschaft besser.

Freiheit des Grafen

Die Frau des Gouverneurs bewirkte durch Freundinnen am Hof des Zaren, dass der Graf freigelassen wurde. Steeley musste jedoch zurückbleiben. Der Graf reiste nach Moskau, wo er englische Adlige traf, die versuchten, Steeley freizukaufen, was schließlich gelang. Der Graf mochte jedoch Steeleys Ankunft nicht abwarten, da er zu seiner Frau reisen wollte, die er in Schweden vermutete. Da er von Moskau aus nicht direkt nach Schweden reisen konnte, stieg er in ein Schiff nach Holland und traf dort unvermutet auf die Gräfin.

„(…) er brachte mir die Religion auf eine vernünftige Art bei und überführte mich von den großen Vorteilen der Tugend, welche sie uns in jedem Stande, im Glücke und Unglücke, im Tode und nach diesem Leben bringt.“ (über den Vetter der Gräfin, S. 6)

Als eines Tages alle auf Einladung von Andreas versammelt sind, trifft zu ihrer Überraschung Steeley ein. Er stellt ihnen seine Reisebegleiterin vor – es ist die ehemalige Frau des Gouverneurs aus Sibirien. Sie heißt Amalie und ist inzwischen mit Steeley verlobt, da der Gouverneur kurz nach der Abreise des Grafen verstorben ist. Amalie erhielt als seine Frau und Stellvertreterin einen Brief aus Moskau, in dem Steeleys Freilassung bekannt gegeben wurde. Sie ließ ihn zu sich kommen, um ihm die frohe Nachricht zu verkünden und seine Geschichte zu erfahren. Bei dieser Gelegenheit verliebten sich die beiden. Sie reisten gemeinsam nach Moskau und erfuhren, dass der Graf inzwischen in Holland war. Also reisten sie ihm nach, um dort zu heiraten.

Letzte Station in London

Steeleys Vater kommt einen Tag später ebenfalls beim Grafen an. Auf der Suche nach seinem Sohn hat er erfahren, dass dieser freigelassen wurde und zum Grafen nach Holland gereist ist. Der Vater hatte kaum noch daran geglaubt, seinen Sohn lebend wiederzusehen, und ist glücklich, als er ihn doch umarmen kann. Aufgrund seines hohen Alters will er kurze Zeit nach dem Hochzeitsfest wieder abreisen, um seinen Lebensabend in der Heimat zu verbringen. Steeley will weder seinen Vater alleinlassen noch auf seine Freunde verzichten, weshalb man übereinkommt, dass auch der Graf und die Gräfin sowie R. und Caroline sich mit Steeley auf den Weg nach London machen. Steeleys Vater stirbt tatsächlich kurze Zeit später. Um dem Londoner Trubel zu entkommen, zieht sich die Gesellschaft nach der Beerdigung für einige Zeit auf den Landsitz von Steeleys Familie zurück.

Die Rückkehr des Prinzen

Während eines Abendessens bei Robert, einem Freund Steeleys, tritt unerwartet der Prinz von S., der damals die Gräfin hofiert und den Graf zum Tode verurteilt hat, an die Gesellschaft heran. Der Prinz ist irritiert – hat er doch den Grafen verstorben und die Gräfin verschollen geglaubt. Robert erkennt, dass etwas zwischen seinen Gästen vorgeht, und so teilen der Graf und die Gräfin ihre Geschichte mit ihm. Sie haben Todesangst, da sie immer noch die Rache des Prinzen fürchten. Robert versichert ihnen, dass sie in seinem Haus sicher sind. Er spricht mit dem Prinzen, und als dieser mit Robert zurückkommt, umarmt der Prinz den Grafen und bittet ihn um Vergebung. Der Prinz reist noch am Abend ab. Kurz darauf wird der Graf fiebrig und stirbt. Es herrscht große Trauer bei seinen Weggefährten. Nur wenige Tage darauf hofiert der Prinz von S. die Gräfin erneut. Er bittet sie, ihn als seine Gemahlin nach Schweden zu begleiten. Sie verneint erneut und lässt mitteilen, dass nun einzig noch R. ihr Gemahl sein könne. Sie liebt ihn noch immer sehr, doch auch er stirbt kurze Zeit darauf an einer Krankheit und lässt die Gräfin allein zurück.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman folgt mit seiner Aufmachung als fiktiver Lebensbeschreibung einer Mode des 18. Jahrhunderts. Er schildert das Leben der Gräfin von G. aus deren Sicht und umfasst einen Zeitraum von etwa 40 Jahren. Um den Anschein einer authentischen Lebensbeschreibung zu verstärken, hat Gellert etliche Briefe von Liebhabern oder Freunden in die Erzählung eingebaut. Diese Briefe sind auch ein Behelfsmittel, um Begebenheiten schildern zu können, bei denen die Gräfin selbst nicht anwesend war, und auch um das Gefühlsleben verschiedener Charaktere darzustellen. Insgesamt wirkt der Roman höchst konstruiert. Zahlreiche Zeitsprünge, verworrene Nebenhandlungen und die mehr als 40 Charaktere, die überdies in vielschichtigen Beziehungen zueinander stehen, hemmen den Lesefluss erheblich. Die Sprache des Romans klingt aus heutiger Perspektive sehr altertümlich. Immerhin erzählt Gellert recht flott und in kurzen, einfachen Sätzen.

Interpretationsansätze

  • Leben der schwedischen Gräfin von G*​*​* verfolgt eine pädagogische Absicht; der Roman drückt Gellerts ethisches Ideal aus: Die Protagonisten bewahren in allen Lebenslagen Vernunft, Selbstbeherrschung und Disziplin und treffen auch angesichts schwerster Schicksalsschläge durchweg vernünftige, auf das Wohl aller bedachte Entscheidungen.
  • Der Roman ist im Geiste einer christlichen Aufklärung geschrieben, die Vernunft und Religion verbinden soll: Wessen Glauben gefestigt ist, der erkennt die vernünftige Verfassung der Welt und die Unvernunft, die darin liegt, sich gegen das gottgegebene Schicksal aufzulehnen.
  • Gellerts Roman stellt damit eine simple, dualistische Weltanschauung vor: Die positiven Eigenschaften und Tugenden eines Menschen sind sein persönliches Verdienst; Not und Unglück hingegen sind bloßes Schicksal: Wenn es einem schlecht geht, so hat man das eben stoisch zu ertragen. So wird allerdings die Möglichkeit zur Auflehnung etwa gegen Ungerechtigkeiten als sündhaft abgetan und dem Einzelnen keinen Spielraum zur Veränderung äußerer Umstände gelassen.
  • In seiner Parteinahme für die Ideale der Tugendhaftigkeit, Gelassenheit und Bescheidenheit ist der Roman eine Art literarische Umsetzung der Vorlesungen über Moral, die Gellert ab 1745 mit großem Erfolg in Leipzig hielt.
  • Als Autor der frühen Aufklärung rüttelt Gellert an der damaligen Standesordnung. So wird die Gräfin von G. von einem Prinzen umworben, weist diesen jedoch ab. Auch heiratet sie, nachdem ihr Ehemann für tot erklärt wurde, als Adlige den bürgerlichen Freund des verstorbenen Ehemanns. Weiter adoptiert sie ein bürgerliches Kind und akzeptiert die ehemalige bürgerliche Geliebte ihres Ehemanns in ihrem Haus.
  • Gellert stellt geschlechterspezifische Vorurteile seiner Zeit infrage. Schon dass er seinen Roman von einer Frau erzählen lässt, ist fortschrittlich. Damit nicht genug: Er stellt die Gräfin und die anderen weiblichen Figuren als den Männern ebenbürtig und in gewissen Situationen sogar überlegen dar. Auch in der Schilderung einer freiwilligen Partnerwahl ist Gellert seiner Zeit voraus.

Historischer Hintergrund

Europa in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Die Großmächte im Europa des frühen 18. Jahrhunderts waren Österreich, Preußen, England, Frankreich, Spanien, Schweden, Dänemark und Russland. Mittels Heirat und Koalitionen teilten letztlich nicht mehr als 15 Familien einen Großteil des Kontinents untereinander auf. Zu den bedeutendsten Familien gehörten dabei die Habsburger und die Bourbonen. Es war eine Zeit permanenter militärischer Auseinandersetzungen um Territorien oder Erbansprüche. Neben vielen kleineren Territorialkriegen waren besonders der Spanische Erbfolgekrieg (1701 bis 1714) und der Große Nordische Krieg (1700 bis 1721) folgenreich. Durch Letzteren büßte die Großmacht Schweden ihre Vormachtstellung in Nordeuropa zugunsten Russlands und Dänemarks ein.

Europa wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch zum größten Teil absolutistisch regiert. Ludwig XIV., der berühmte Sonnenkönig, war für viele Herrscher das Leitbild. Das einfache Volk lebte größtenteils in Armut, während die Aristokratie auf seine Kosten prunkvolle Paläste und Schlösser im Stil des Rokoko errichten ließ. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wuchsen jedoch die Bemühungen des sogenannten dritten Standes, also des Bürgertums, mehr politische Macht und Teilhabe zu erlangen.

Damit einher ging die frühe Aufklärung. Philosophen wie Immanuel Kant und David Hume lieferten hierfür das theoretische Fundament. Es begann eine Epoche, die der Vernunft eine tragende Rolle zuwies und die versuchte, durch rationales Denken, durch Vertrauen in den technischen Fortschritt und durch religiöse Toleranz eine bessere Gesellschaft hervorzubringen. Teilweise vermischten sich diese Bemühungen noch mit dem herrschenden Absolutismus – so galt beispielsweise Friedrich der Große als aufgeklärter Monarch. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts führten diese Entwicklungen dann zu großen weltpolitischen Umwälzungen wie der Amerikanischen und der Französischen Revolution (1776 bzw. 1789), der Machtergreifung Napoleons (1799) und dem Beginn des kapitalistischen Zeitalters in England.

Entstehung

Gellert hatte in seinen universitären Vorlesungen zur Morallehre bereits eine christliche Tugendlehre und Vernunftethik entwickelt. Es kann davon ausgegangen werden, dass seine pädagogische Überzeugung der Auslöser für das Verfassen von Leben der schwedischen Gräfin von G*​*​* war und dass Gellerts Gedanken über eine aufgeklärte Moral maßgeblich in den Roman einflossen. Gellerts Protagonisten sind stets tugend- und standhaft angesichts der Schicksalsschläge, die sie erleiden. Gleichzeitig sind sie, den aufklärerischen Idealen Gellerts entsprechend, auch belesen, gelehrt, gütig und über Standesgrenzen erhaben.

Gellert veröffentlichte seinen Roman zunächst anonym, da es sich für einen Hochschullehrer eigentlich nicht schickte, in dieser Gattung zu schreiben. Angemessener wären Lyrik, Epos oder Drama gewesen. Die Gattung des Romans war in Deutschland zur Mitte des 18. Jahrhunderts eher unbeliebt und folglich auch unterentwickelt. Im europäischen Ausland hingegen erhielt der Roman zu dieser Zeit vor allem durch Daniel Defoe, Pierre Carlet de Marivaux, Antoine-François Prévost und Samuel Richardson neue Anregungen, die auch als Inspirationen für Gellerts Roman gelten können.

Wirkungsgeschichte

Dem Roman war eine gemischte Rezeption beschieden. Zur Zeit der Veröffentlichung war er ein großer Erfolg, der noch im 18. Jahrhundert fünf Auflagen sowie zahlreiche Übersetzungen und Raubdrucke erlebte. Das Publikum war von Gellerts Roman begeistert und auch die literarischen Zeitgenossen waren zunächst voll des Lobes. Dies änderte sich, als Gellert starb und die Generation des Sturm und Drang die Bühne betrat. Ab den 1770er-Jahren wuchs die Ablehnung des Romans. Man warf ihm vor, er sei plump moralisierend, anbiedernd und sentimental.

Leben der schwedischen Gräfin von G*​*​* ist heute außerhalb des literaturwissenschaftlichen Diskurses kaum beachtet und der Autor eher unbekannt. Auch die Bedeutung des Romans für die Literatur bleibt umstritten. Die einen sehen in ihm eine Befreiung von traditionellen Romanstrukturen, durch die das Genre wiederbelebt und die folgende literarische Epoche der Empfindsamkeit vorbereitet wurde. Andere Interpreten sind auch heute noch der Meinung, es handle sich um Trivialliteratur, die darauf ausgelegt war, den vorherrschenden Geschmack zu treffen, um den Absatz zu vermehren. Für beide Sichtweisen lassen sich durchaus Belege finden. Es bleibt immerhin festzuhalten, dass Leben der schwedischen Gräfin von G*​*​* daran beteiligt war, die Gattung des Romans salonfähig zu machen und so Bestsellern wie Johann Wolfgang von Goethes Die Leiden des jungen Werther überhaupt erst die Bühne zu bereiteten.

Über den Autor

Christian Fürchtegott Gellert wird am 4. Juli 1715 in Hainichen (Sachsen) geboren. Er ist der fünfte Sohn einer Pastorenfamilie und der jüngere Bruder von Christlieb Ehregott Gellert, aus dem später ein bedeutender Metallurge und Mineraloge wird. Er besucht die Fürstenschule St. Afra im sächsischen Meißen und studiert von 1734 bis 1739 Theologie und Philosophie an der Universität in Leipzig. Er versucht, sein Studium durch Auftritte als Prediger zu finanzieren, ist dafür jedoch zu schüchtern. Stattdessen arbeitet er als Privatlehrer für junge Adlige. Bereits in dieser Zeit verfasst er einige Lieder und Fabeln. Im Jahr 1744 schließt er in Leipzig seine Habilitation zur Theorie und Geschichte der Fabel ab, 1745 wird er außerordentlicher Professor für Poesie und Beredsamkeit an der Universität Leipzig. Zu Gellerts Studenten gehört auch der junge Goethe. Gellert ist außerdem bekannt mit der Familie Mozart. Seine Gesundheit ist zeitlebens schwach; auch zahlreiche Aufenthalte an verschiedenen Kurorten können daran nur wenig ändern. Gellerts Werke umfassen bekannte Kirchenlieder (beispielsweise Die Himmel rühmen), Fabeln (etwa Die Biene und die Henne), Lustspiele (etwa Die Betschwester) sowie einen Roman: Leben der schwedischen Gräfin von G***. Seine Werke zählen zu den meistgelesenen ihrer Zeit und werden in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt. Gellert wird vom Publikum verehrt und ist in der Mitte des 18. Jahrhunderts einer der beliebtesten deutschen Autoren. Seine Dichtung wird von breiten Kreisen des Bürgertums geschätzt und seine Geistlichen Lieder und Oden werden von bekannten Komponisten wie Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven und Carl Philipp Emanuel Bach vertont. Gellert stirbt am 13. Dezember 1769 im Alter von nur 54 Jahren in Leipzig.

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