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Iphigenie auf Tauris

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Iphigenie auf Tauris

Ein Schauspiel

dtv,

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12 take-aways
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What's inside?

Ein Schlüsseltext der Weimarer Klassik: Goethes kunstvolles Drama über den Sieg des Guten im Menschen.


Literatur­klassiker

  • Drama
  • Weimarer Klassik

Worum es geht

Eine berückend humane Welt

Goethes Drama Iphigenie auf Tauris gilt als ein Meilenstein der Weimarer Klassik. Ebenso kunstvoll wie eindrücklich wird darin vorgeführt, wie ein friedliches Miteinander der Menschen verwirklicht werden kann. Goethe greift dabei auf einen antiken Mythos zurück. Iphigenies Vater will seine Tochter der Diana opfern, doch die Göttin entführt sie vom Altar weg ins ferne Tauris. Dort bringt Iphigenie es zur allseits geschätzten Priesterin, König Thoas begehrt sie sogar zur Frau, aber Iphigenie will selbstbestimmt leben, was ihr als Ehefrau unmöglich scheint. Als ihr Bruder Orest auf Tauris strandet, schöpft sie Hoffnung, doch der König nötigt sie, einen alten Rachekult wieder aufzunehmen und den Bruder zu opfern. Das Drama findet jedoch vor allem dank Iphigenies edler Gesinnung ein Happy End und verhilft Wahrheit und Freundschaft zum Sieg. Iphigenie auf Tauris erfüllt einen Herzenswunsch der Aufklärer: Goethe lässt in diesem Drama den Menschen aus eigener Kraft frei und mündig werden. Selten wurde für diesen Prozess eine derart wohlklingende und innovative Sprache gefunden, selten wurde der Kunst so unbefangen zugetraut, vom guten Leben nicht nur zu träumen, sondern es auch zu realisieren.

Take-aways

  • Goethes Iphigenie auf Tauris ist ein Schlüsseltext der Weimarer Klassik.
  • Das Drama knüpft an den antiken Mythos der Tantaliden an. Er erzählt von einem alten, durch Gräueltaten zerrütteten und von den Göttern verfluchten Geschlecht.
  • Iphigenies Vater Agamemnon will seine Tochter der ihm zürnenden Göttin Diana opfern. Er will Diana besänftigen, damit sie dem Krieg gegen Troja nicht im Wege steht.
  • Doch die Göttin rettet Iphigenie aus Griechenland und versetzt sie ins ferne Tauris, wo Agamemnons Tochter fortan als angesehene Priesterin wirkt.
  • Der dortige König Thoas begehrt sie sogar zur Frau, Iphigenie lehnt seinen Antrag jedoch ab, da sie ein freies und selbstbestimmtes Leben führen will.
  • Um Iphigenie zu erpressen, befiehlt er ihr, einen alten Rachekult wieder aufzunehmen. Sie soll zwei auf Tauris Gestrandete opfern: ihren Bruder Orest und seinen Freund Pylades.
  • Orest hat seine Mutter Klytemnestra getötet und soll nun auf Tauris das Standbild der Diana rauben, um von den ihn verfolgenden Rachegöttinnen erlöst zu werden.
  • Iphigenie willigt zunächst ein, Thoas zu belügen und zu berauben, um den Griechen die Flucht zu ermöglichen.
  • An die Güte und Treue des Königs erinnert, entschließt sie sich dann doch, bei der Wahrheit zu bleiben und edel zu handeln.
  • Thoas verzichtet zu guter Letzt auf die Opferung und entlässt die Griechen in die Freiheit.
  • Iphigenie gilt als Goethes Bekenntnis zu Aufklärung und Humanismus. Durch die Kunst soll der Mensch dazu gebracht werden, Freiheit und Frieden zu verwirklichen.
  • Iphigenie ist eine "schöne Seele", die vorbildhaft Herz und Verstand in Einklang bringt und dadurch für das Wohlergehen aller sorgt.

Zusammenfassung

Die Vorgeschichte

Iphigenie entstammt dem Geschlecht der Tantaliden. Ihr Ahnherr Tantalus war ein gern gesehener Gast an der Tafel der Götter. Sie zogen ihn ins Vertrauen, schätzten seine Klugheit und fragten ihn oft um Rat. Doch Tantalus war als Mensch den hohen Ansprüchen der Götter nicht gewachsen. Bald hieß es, er habe ihr Vertrauen missbraucht und sich frevelhaft verhalten. Tantalus und seine Nachkommen wurden hart bestraft. Die Götter raubten ihnen den Verstand und lieferten sie ungeschützt ihren Affekten aus. Von da an kannten sie weder Geduld noch Rat noch Mäßigung. Von Rach- und Eifersucht getrieben, töteten sie, wer ihnen in die Quere kam, seien es auch die eigenen Kinder, Eltern oder Geschwister.

„Wie eng-gebunden ist des Weibes Glück! / Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen, / Ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar / Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt! / So hält mich Thoas hier, ein edler Mann, / In ernsten, heil'gen Sklavenbanden fest.“ (Iphigenie, S. 10)

Tantalus' Sohn Pelops etwa schreckte nicht vor Mord und Verrat zurück, um sich die schöne Hippodameia zur Ehefrau zu nehmen. Zwei Kinder wurden dem Paar geschenkt, und diese wiederholten die Bluttaten ihrer Ahnen. Den Anfang machte Atreus, Iphigenies Großvater. Sein Bruder Thyest hatte mit Atreus' Frau geschlafen. Um Rache zu nehmen, schlachtete Atreus seinen Neffen und setzte ihn Thyest zur Speise vor. Kaum hatte dieser das Fleisch aufgegessen, warf ihm Atreus zum Beweis die Arme und Beine des Neffen hin. Thyest erbrach das Gegessene und verfluchte sein Geschlecht. Jahre später rächte er sich grausam und drängte seinen Sohn Ägisth dazu, Atreus zu töten.

„Zwey Fremde, die wir in des Ufers Höhlen / Versteckt gefunden, und die meinem Lande / Nichts gutes bringen, sind in meiner Hand. / Mit diesen nehme deine Göttinn wieder / Ihr erstes, rechtes, lang' entbehrtes Opfer! / Ich sende sie hierher; du weißt den Dienst.“ (Thoas zu Iphigenie, S. 31)

Nicht weniger brutal verhielt sich Iphigenies Vater Agamemnon. Am Vorabend des Trojanischen Krieges, die Schiffe lagen bereits im Hafen von Aulis, hinderte eine Flaute die Griechen daran, in See zu stechen. Da beschloss Agamemnon, von Ehrgeiz zerfressen, seine Tochter der Diana zu opfern. Zuvor hatte er die Göttin beleidigt, nun wollte er sie mit dem Opfer versöhnlich stimmen. Iphigenie lag schon auf dem Altar, das Messer war am Hals angesetzt, da griff Diana rettend ein und entführte das Mädchen, in eine Wolke gehüllt, nach Tauris. Den Griechen warf sie eine Hirschkuh hin; sie hielten das blutende Tier für das geopferte Mädchen.

Krank vor Heimweh

Seit damals dient Iphigenie, fern der Heimat, ihrer Retterin Diana als Priesterin. Jahre sind vergangen und Iphigenie hat es zu hohem Ansehen gebracht. Doch der Erfolg stellt sie nicht zufrieden. Zwar dient sie der Diana würdevoll, aber nur, um ihre Pflicht zu erfüllen. Ihr Herz sehnt sich nach der Heimat, nach einem freudvollen Leben in Griechenland. Denn nur dort meint sie ein freies, selbstbestimmtes Leben führen zu können. Auf der Insel Tauris hingegen, wo ein barbarischer König nach eigener Willkür herrscht, fühlt sie sich in ihrer Entfaltung behindert. Sie als Frau ist überdies zur Passivität verdammt: Sie muss ihr Schicksal hinnehmen, sie kann nur hoffen und warten, dass es besser wird. Es ist allein den Männern vorbehalten, ihr Leben schöpferisch zu gestalten, nur sie haben ein Recht auf Besitz, Herrschaft und Heldentaten.

„Mich haben sie zum Schlächter auserkoren, / Zum Mörder meiner doch verehrten Mutter, / Und eine Schandthat schändlich rächend, mich / Durch ihren Wink zu Grund' gerichtet.“ (Orest über die Götter, S. 38)

Während Iphigenie mit ihrem Schicksal hadert, trifft Arkas ein. Der Bote des Königs Thoas ist gekommen, um Iphigenie für den Heiratsantrag seines Herrn zu gewinnen. Er lobt die Priesterin für die guten Werke, die sie bisher auf Tauris vollbracht hat, darunter die vorläufige Abschaffung einer grausamen Sitte: Vor langer Zeit haben Eindringlinge den einzigen Sohn des Königs getötet. Thoas hat daraufhin Rache geschworen: Jeder Fremde, der auf der Insel landet, soll Diana geopfert werden. Der mädchenhafte Charme der Priesterin aber hat Thoas dazu bewogen, diesen blutigen Rachekult auszusetzen. Durch die Heirat, so Arkas, ließe sich das Menschopfer für immer abschaffen. Doch der Appell verfehlt seine Wirkung, denn Iphigenie sieht nur ihre Zweifel bestätigt: Im Schatten eines Mannes bliebe sie so unfrei und unglücklich wie bisher, zumal das Exil sie stets empfinden lässt, wie wenig vertraut ihr ihre Umgebung ist.

Die Brautwerbung

Iphigenie empfängt den König distanziert; sie versucht, sein Werben zu ignorieren - vergeblich. Immerhin gelingt es ihr, ihm ein Versprechen abzuringen: Sollte sich für sie einmal die Möglichkeit ergeben, in die Heimat zurückzukehren, möge Thoas sie ziehen lassen. Der König willigt ein, da er ihre Familie für längst ausgestorben hält. Als Gegenleistung soll sie ihm aber das Geheimnis ihrer Herkunft offenbaren. Iphigenie gibt ihr Einverständnis, denn sie hofft, dass die Verbrechen ihrer Vorfahren ihn von seinen Heiratsplänen abbringen werden. So erzählt sie von den Bluttaten ihrer Familie und von ihrer Rettung vor dem Tod auf dem Opferaltar. Doch ihr Bericht lässt Thoas kalt - er besteht auf der Heirat, vor allem, weil er einen Erben braucht, um seine Herrschaft über den Tod hinaus zu festigen. Tief enttäuscht von ihrer Ablehnung versucht der König nun, Iphigenie zu erpressen, und befiehlt, den Rachekult unverzüglich wieder aufzunehmen. Gerade kürzlich wurden an der Küste zwei Fremde aufgegriffen, diese sollen nun von Iphigenie der Diana geopfert werden.

Die zwei Fremden

Bei den Gefangenen handelt es sich ausgerechnet um Iphigenies Bruder Orest und dessen Freund Pylades. Die beiden besprechen die heikle Lage, in die sie geraten sind. Orest erinnert an die glücklichen Tage ihrer Jugend. Damals lebten sie fern der Heimat, ihre Herkunft belastete sie nicht, eine verheißungsvolle Zukunft stand ihnen offen. Doch dieses Glück ist nun offenbar restlos aufgebraucht. Die Götter, meint Orest, scheinen nur noch Leid für sie bereitzuhalten und haben sie willkürlich übers Meer gejagt. Pylades indessen deutet ihre Ankunft auf Tauris als gutes Zeichen. Er hat volles Vertrauen in einen delphischen Orakelspruch: Der Gott Apoll hat ihnen Erlösung zugesagt, falls es ihnen gelingt, das hölzerne Standbild seiner Schwester Diana von Tauris nach Griechenland zu bringen. Götter, die solches versprächen, würden keine Rache suchen, sondern wollten zum Wohle der Menschen wirken, hofft Pylades.

„Ein lügenhaft Gewebe knüpf' ein Fremder / Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, / Zur Falle vor die Füße; zwischen uns / Sey Wahrheit! / Ich bin Orest! Und dieses schuld'ge Haupt / Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod: / In jeglicher Gestalt sey er willkommen.“ (Orest zu Iphigenie, S. 55)

Orest jedoch erinnert den Freund heftig erregt daran, eben von den Göttern zum Mörder gemacht worden zu sein: Während der Vater Agamemnon in Troja kämpfte, betrog ihn seine Frau Klytemnestra mit Ägisth. Als Agamemnon nach Hause zurückkehrte, empfing ihn das heimliche Liebespaar zunächst freudig, bereitete ihm sogar ein warmes Bad, doch als er aus dem Wasser steigen wollte, warf man ein Netz über ihn und erschlug ihn. Damit rächte sich Klytemnestra für die (vermeintliche) Opferung ihrer Tochter Iphigenie. Orest bekam Wind von dem Meuchelmord und fragte Apoll um Rat. Dieser trug ihm auf, umgehend Rache an der Mutter zu nehmen. Folgsam schlich er ins elterliche Haus und tötete bei erstbester Gelegenheit die Mutter. Seitdem verfolgen ihn die Furien: Rachegeister, die seine Seele mit Selbstzweifeln, Schuld- und Reuegefühlen zermürben. Nur der Tod, glaubt Orest, könne ihn erlösen. Pylades hofft dagegen, die unbekannte Priesterin auf Tauris für ihre Zwecke einspannen zu können.

Das Wiedersehen

Als Iphigenie auf Pylades trifft, erkennt sie in ihm einen Landsmann. Voll Zutrauen und Freude löst sie ihm die Fesseln und bittet Diana, ihnen beiden zur Flucht zu verhelfen. Pylades täuscht sie aber über seine und Orests wahre Identität. Gleichwohl erfährt Iphigenie nun Genaues über das Schicksal ihrer Familie: dass der Trojanische Krieg siegreich beendet sei, dass er viele, auch namhafte Opfer gekostet habe und dass es in ihrem Elternhaus zu einem Blutbad gekommen sei. Iphigenie ist von den schlimmen Neuigkeiten tief erschüttert. Pylades sieht sich in seiner Hoffnung bestätigt, sie für seine Fluchtpläne gewinnen zu können.

„Auf Erden war in unserm Hause / Der Gruß des Mordes gewisse Losung, / Und das Geschlecht des alten Tantalus / Hat seine Freuden jenseits der Nacht.“ (Orest, S. 64)

Später erscheint Orest und zögert nicht einen Moment, Iphigenie unverblümt die Wahrheit zu sagen. Seine Gewissenskonflikte, seine Herkunft, ja sogar seinen Muttermord gesteht er ihr ein. Trotz alldem freut sich Iphigenie sehr, ihren Bruder wiedergefunden zu haben, und gibt sich ihm zu erkennen. Aber Orest kann die Freude seiner Schwester nicht teilen. Er steigert sich in den Wahn hinein, von den Göttern verflucht und ihrer Rache ausgeliefert zu sein. Entkräftet sinkt er zu Boden. Iphigenie eilt davon, um Hilfe zu holen.

Die Heilung

Allein zurückgeblieben, hat Orest eine verwirrende Vision: Er ist zu den Toten hinabgestiegen und findet dort seine Familie in Eintracht versammelt. Thyest unterhält sich vertraulich mit Atreus. Klytemnestra und Agamemnon halten sich verliebt die Hände. Die Todfeinde sind versöhnt, das Böse scheint endlich gesühnt. Nur der Erste aller Mörder, der den Götterfluch verschuldet hat, fehlt: Tantalus. Orest muss erkennen, dass Schuld und Sühne nach wie vor lebendig sind, die Wunden der Vergangenheit sind längst nicht geheilt. Iphigenie und Pylades treffen auf Orest, der tief verwirrt und im Glauben ist, bei den Toten zu sein. Anfangs gelingt es den beiden nicht, ihn zurück ins Leben zu holen, doch als sie ihm freundlich zureden und er ihre körperliche Nähe spürt, tritt eine Wendung zum Besseren ein. Orest erwacht - und ist wie durch ein Wunder von seinem Wahn geheilt. Sogar die Furien haben sich verflüchtigt und Orest strotzt nur so vor Tatendrang. Sogleich hält er Pylades an, sich eine List auszudenken, um das Standbild der Diana rauben und in die Freiheit fliehen zu können.

Erneute Skrupel

Iphigenie befallen starke Zweifel. Ihre Freude, den Bruder geheilt und sie alle drei bald befreit zu wissen, hat einen hohen Preis: Thoas soll belogen und bestohlen werden. Damit würde das Trio nur das Schlechte wiederholen, das ihre Familie so grausam verdorben hat, und Iphigenie ist überzeugt, dass die Flucht so böse enden muss. Ehe sie mit sich ins Reine kommen kann, stellt Arkas sie brüsk zur Rede: Die Fremden sollen endlich der Göttin geopfert werden. Iphigenie versucht, auf Zeit zu spielen, und weigert sich, mit der Opferung zu beginnen. Sie beruft sich dafür auf ihr Recht als Priesterin; nur sie könne den richtigen Zeitpunkt für die Weihehandlung bestimmen. Doch ihre Ausflucht verfängt nicht. Mehr noch, Arkas erinnert Iphigenie an Thoas' Redlichkeit und Treue ihr gegenüber. Iphigenie muss erkennen, wie unedel sie im Begriff ist zu handeln. Verwirrt gestattet sie Arkas, Thoas die Verzögerung der Opferung mitzuteilen, und vereitelt so fürs Erste die Flucht: Der König ist nun vorgewarnt.

„Laß mich zum erstenmal mit freyem Herzen / In deinen Armen reine Freude haben!“ (Orest zu Iphigenie, S. 66)

Pylades versucht zu retten, was noch zu retten ist. Wortgewaltig redet er auf Iphigenie ein, um ihre Skrupel zu zerstreuen: Die Notlage, in die sie geraten sei, rechtfertige den Betrug an Thoas. Doch Iphigenie hält nunmehr entschlossen dagegen. Jede Lüge, gleich welcher Art, gilt ihr als schweres Verbrechen, und sie beschließt, sich und die Ihren mit ehrenhaften Mitteln zu retten.

Entwaffnende Redlichkeit

Arkas' Bericht drängt Thoas zu sofortigem Handeln. Das Boot der fluchtbereiten Griechen soll aufgespürt, die Priesterin zur Rechenschaft gezogen werden. Der König ist wütend auf Iphigenie. Sie hat, so glaubt er, sein Vertrauen missbraucht und ihn verraten. Wie zur Bestätigung dieser Meinung tritt ihm die Priesterin auffallend selbstbewusst entgegen. Sie begehrt abermals gegen die sozialen Zwänge auf, die ihr als Frau auferlegt sind, und fordert Mitgefühl mit den Gefangenen ein. Doch so sehr sie an Thoas' Herz appelliert, so ungerührt zeigt er sich. Da beschließt sie, alles auf eine Karte zu setzen: auf die der ungeschminkten Wahrheit. Iphigenie gibt nun die tatsächliche Identität der Griechen preis und verrät deren Plan, das Götterbild zu rauben. Die Ehrlichkeit verunsichert Thoas, auch weil Iphigenie ihn an sein Versprechen erinnert, sie freizugeben, sofern eine Hoffnung auf Heimkehr bestünde. Nun hat sie ihn schon fast für sich gewonnen - da erscheinen plötzlich Pylades und Orest, schwer bewaffnet, auf der Szene und erzürnen den König erneut. Ein Schwertkampf scheint unausweichlich.

Das Gute siegt

Iphigenie tritt beherzt zwischen die Streithähne und zählt all die Indizien auf, die für ihre Ehrlichkeit sprechen und den Fremden als ihren Bruder Orest ausweisen sollen: das kleine Mal an der rechten Hand, die Schramme quer über die Augenbraue, die Ähnlichkeit mit dem Vater und nicht zuletzt Iphigenies Wiedersehensfreude. Endlich zeigt sich Thoas von der Wahrheit überzeugt, doch ein letztes Ärgernis bleibt, nämlich der geplante Raub eines taurischen Heiligtums. Doch Orest hat zum Glück eine Lösung parat: Er und Pylades hätten den Orakelspruch falsch gedeutet. Er beziehe sich nicht auf das Bildnis der Diana, der Schwester des Apoll, sondern auf die Schwester des Orest und Priesterin der Diana. Nicht das Bild, sondern Iphigenie solle nach Griechenland gebracht werden. Alle sind mit dieser Deutung einverstanden, den drei Griechen steht der Weg in die Freiheit offen. Doch erst als Thoas auf Iphigenies Drängen ewige Freundschaft gelobt, machen sie sich auf die Reise in die Heimat.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Drama ist ganz klassisch in fünf Akte eingeteilt. Es wahrt die Einheit von Raum, Zeit und Handlung (d. h. es gibt weder Zeitsprünge noch Ortsveränderungen noch Nebenhandlungen) und ist streng symmetrisch aufgebaut. Der dritte Akt bildet den Dreh- und Angelpunkt des Stücks, hier erreicht die Handlung ihren Höhepunkt, und hier deutet sich zugleich die Wende zum Guten an: Iphigenie und Orest geben sich einander zu erkennen und planen ihre Flucht. Die Priesterin bedient sich anschließend zunächst unredlicher Mittel, ehe sie sich auf eine stärkere Macht besinnt: die Wahrheit. Geschrieben ist das Stück im lyrischen Stil. Die Blankverse (reimlose, fünfhebige Jamben, also Versfüsse, in denen eine betonte auf eine unbetonte Silbe folgt) lassen die Akteure in einem förmlichen, distanzierten Tonfall sprechen, alle Leidenschaften werden gemäßigt. Hässliche, impulsive Regungen sollen außen vor bleiben und die Rede soll ungestört dem guten Ende entgegenfließen. Entsprechend reden die Personen oft in Sentenzen und geben Spruchweisheiten zum Besten, wenn sie Konflikte miteinander austragen. Probleme werden somit von vornherein mit Vernunft behandelt und eskalieren niemals. Darin zeigt sich das Drama als zutiefst klassisch: Das Schöne hat sich kunstvoll mit dem Wahren und Guten verbündet.

Interpretationsansätze

  • Goethes Iphigenie erprobt einen humanen Weg aus der Abhängigkeit in die Freiheit. Dafür thematisiert das Drama alltägliche Zwänge, die den Menschen in seiner Entfaltung behindern. Jedem dieser Zwänge lässt sich eine Figur zuordnen: Iphigenie ist verbunden mit der beengenden Rolle der Geschlechter, Pylades mit der Verlogenheit der Politik, Orest mit Schicksalsgläubigkeit und Thoas mit einer unterdrückerischen Herrschaftsform.
  • Zudem vertritt das Drama eine geschichtsphilosophische These: Thoas und Iphigenie verkörpern zwei historisch bestimmbare Stufen der Menschheitsgeschichte. Der Skythe Thoas steht der Barbarei und der mythischen Zeit nahe, in der das Schicksal die führende Macht ist, der Mensch gilt als fremdbestimmt, unmündig und schuldig. Die kluge Griechin dagegen verkörpert die aufgeklärte Moderne und ihr Verlangen nach Menschlichkeit. Diana hat Iphigenie bereits räumlich aus dem familiären Schuldzusammenhang herausgerissen, indem sie das Mädchen nach Tauris brachte. In Iphigenie wird so der Wille geweckt, das eigene Leben selbstbestimmt zu führen.
  • Es wäre verständlich, würde Iphigenie versuchen, auch mit unredlichen Mitteln das Leben ihres Bruders zu retten, doch sie achtet aus freien Stücken die Wahrheit höher als den eigenen Vorteil. Hinter ihrer vorbildlichen Moral steht der Leitsatz des Goethe'schen Humanismus: Der Mensch kann weder zu sich noch zu seinem Glück kommen, wenn er seine privaten Interessen auf Kosten anderer durchsetzt. Die ihm gegebene Freiheit bedeutet nicht: Alles ist möglich, sondern: Nur das für alle Gute ist erlaubt. Goethe stellt somit der menschlichen Freiheit die Wahrheit und die Freundschaft als Korrektiv zur Seite.
  • Das Drama findet mit Thoas' berühmtem Schlusswort "Lebt wohl!" ein ebenso glückliches wie offenes Ende. Der König hat zwar die Versöhnung mit begründet, doch als Einziger kann er aus ihr keinen persönlichen Vorteil ziehen. Er verliert seine beste Priesterin und damit auch die passende Frau, um einen Erben zu zeugen und seine Herrschaft zu sichern. Von Thoas, dem am Ende aufgeklärten Herrscher, hängt also ab, ob der Friede von Dauer sein wird.

Historischer Hintergrund

Kulturelle Blütezeit in Weimar

Die Weimarer Klassik stand stark unter dem Einfluss der Aufklärung und der Französischen Revolution. Deren Forderungen, den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu führen und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu verwirklichen, machten sich die Klassiker zu eigen. Sie missbilligten jedoch jede Form von Gewalt, um die humanistischen Ideale durchzusetzen. Ihr Vertrauen galt der Kunst, der sie eine erzieherische Aufgabe zusprachen: Sie sollte "schöne Seelen", also Menschen zeigen, denen es vorbildlich gelingt, widerstreitende Interessen mit Vernunft auszugleichen. Mit derart ästhetischer Erziehung durch Kunst und Kultur sollten die Herrschenden animiert werden, nicht nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, sondern das Wohlergehen aller im Auge zu behalten. Das Formideal der Klassik bestimmte 1755 der Kunsttheoretiker Johann Joachim Winckelmann. Seine Betrachtung und Beschreibung antiker Malerei und Skulptur wurde richtungsweisend, und man erklärte die Kunstwerke der Antike und deren "edle Einfalt und stille Größe" zum allein gültigen Vorbild.

Im Sinne des klassischen Menschenbildes wirkte auch die verwitwete Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach. Ihr verdankte Weimar seine Blütezeit als Stadt der Künste und des Geistes. Um ihre Söhne Carl August und Constantin ausbilden zu lassen, holte sie namhafte Schriftsteller und Philosophen an ihren Hof. Den Anfang machte 1772 der Schriftsteller Christoph Martin Wieland, ihm folgten u. a. Johann Gottfried Herder - er wirkte in Weimar als Generalsuperintendent - und schließlich Goethe selbst. Dieser freundete sich schnell mit Carl August an. Auf dessen Betreiben hin machte Goethe als Geheimer Legationsrat politisch Karriere. 1799 kam schließlich Friedrich Schiller nach Weimar. Dessen Freundschaft mit Goethe festigte Weimars Ruf als Zentrum der deutschen Klassik.

Entstehung

Anfangs konzipierte Goethe Iphigenie auf Tauris als höfisches Festspiel. Es sollte zum ersten Kirchgang der Herzogin Luise, Carl Augusts Ehefrau, nach der Geburt ihrer Tochter aufgeführt werden. Der festliche Anlass verbot eine blutige Tragödie und legte vielmehr eine versöhnliche Botschaft nahe. Goethe ließ sein Schauspiel entsprechend in der Spätzeit des Tantalidenmythos beginnen, als die letzte Gräueltat bereits geschehen ist. Der Mythos selbst war Goethe aus unterschiedlichen Quellen geläufig. In Homers Odyssee wird er auf ihn gestoßen sein, vielleicht kannte er auch Jean Racines Iphigénie von 1674, auf jeden Fall ließ er sich von Euripides und seiner Iphigenie bei den Taurern (ca. 414-412 v. Chr.) anregen.

Das Stück wurde nicht rechtzeitig zum Kirchgang der Herzogin fertig; es kam einen Monat später als geplant in einer Prosafassung zur Aufführung. Unzufrieden mit seinem Werk nahm Goethe das Manuskript mit auf seine Italienreise, die er im Herbst 1786 überstürzt und heimlich antrat. Unter dem Eindruck der antiken Stätten arbeitete er dort die "schlotternde Prosa" in Verse um. Dadurch erreichte das Drama genau die stilistische Harmonie, die für die humanistische Botschaft erforderlich war.

Wirkungsgeschichte

Schon die Uraufführung der Prosafassung mit Corona Schröter als Iphigenie und Goethe selbst als Orest hinterließ einen starken Eindruck. In seinen Erinnerungen notierte der Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland hymnisch: "Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit an einem Manne als damals an Goethe." Der zweiten Fassung der Iphigenie, nunmehr in Verse umgestaltet, begegnete das Publikum zunächst mit gemischten Gefühlen. Bei einer Lesung in Rom - Goethe hatte einen kleinen Kreis junger Künstler eingeladen - irritierte der klassische Ton. Auch in Weimar, wo die Prosafassung noch in Erinnerung war, mochte man sich mit Goethes Verssprache nicht recht anfreunden. Als das Stück jedoch 1787 erschien, erntete es viel Beifall und Bewunderung. Schiller und Wieland, später auch G. W. F. Hegel und Theodor W. Adorno würdigten es als einen Schlüsseltext der Geistesgeschichte.

Zu Goethes Lebzeiten wurde das Stück nochmals aufgeführt, und zwar in einer Bearbeitung von Friedrich Schiller. Goethe selbst, seinem "gräzisierenden Schauspiel" ein wenig entfremdet, nannte die Iphigenie nunmehr "ganz verteufelt human". Auch viel früher schon, als er noch an dem Drama arbeitete, stand er dem Stück skeptisch gegenüber: Zu hart empfand er den Kontrast, in dem die Idee reiner Menschlichkeit zu den sozialen Realitäten seiner Zeit stand. Eine Dienstreise hatte ihn im nahe Weimar gelegenen Apolda unmittelbar mit dem Elend arbeitsloser Handwerker konfrontiert. An Charlotte von Stein, die große Dame des Weimarer Hofes, schrieb er bündig: "Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürker in Apolda hungerte."

Über den Autor

Johann Wolfgang von Goethe wird am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und wächst in einer gesellschaftlich angesehenen und wohlhabenden Familie auf. Nach dem Privatunterricht im Elternhaus nimmt der inzwischen 16-Jährige auf Wunsch seines Vaters ein Jurastudium in Leipzig auf, das er 1770 in Straßburg mit dem Lizentiat beendet. Dort macht er die Bekanntschaft von Johann Gottfried Herder und verfasst erste Gedichte. In Frankfurt eröffnet Goethe eine Kanzlei, widmet sich aber vermehrt seiner Dichtung. 1774 veröffentlicht er Die Leiden des jungen Werther; einige Dramen folgen. 1775 bittet ihn der Herzog Carl August nach Weimar; Goethe macht dort eine schnelle Karriere als Staatsbeamter. Nach zehn Jahren Pflichterfüllung am Hof reist er 1786 nach Italien. Diese "italienische Reise" markiert einen Neuanfang für sein Werk. 1788 kehrt Goethe nach Weimar zurück und lernt Christiane Vulpius kennen, mit der er bis zur Heirat 1806 in "wilder Ehe" zusammenlebt. Nach anfänglichen Differenzen freundet sich Goethe 1794 mit Friedrich Schiller an, in dessen Zeitschrift Die Horen Goethe mehrere Gedichte veröffentlicht. Die beiden Dichter verbindet fortan eine enge Freundschaft, auf der die Weimarer Klassik und ihr an der griechischen Antike orientiertes Welt- und Menschenbild aufbaut. Als "Universalgenie" zeigt sich Goethe an vielen Wissenschaften interessiert: Er ist Maler, entwickelt eine Farbenlehre, stellt zoologische, mineralogische und botanische Forschungen an, wobei er die Theorie einer "Urpflanze" entwickelt. 1796 erscheint der Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1808 das Drama Faust I und 1809 der Roman Die Wahlverwandtschaften. Ab 1811 arbeitet Goethe an seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit. Kurz vor seinem Tod vollendet er Faust II. Am 22. März 1832 stirbt Goethe im Alter von 83 Jahren in Weimar. Er gilt bis zum heutigen Tag als der wichtigste Dichter der deutschen Literatur. Seine lyrischen Werke, Dramen und Romane liegen als Übersetzungen in allen Weltsprachen vor.

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