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Flegeljahre

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Flegeljahre

Eine Biographie

Fischer Tb,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Zwillingsbrüder auf der Suche nach dem Glück: ein unkonventionelles Romanfragment aus dem frühen 19. Jahrhundert.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Romantik

Worum es geht

Ein Antientwicklungsroman

Flegeljahre, heute für viele Jean Pauls wichtigstes Buch, sorgte bei seinem Erscheinen 1804/05 für Befremden: Ein Held, begleitet von seinem ungleichen Zwillingsbruder, wird nach einer unerwarteten Testamentsverlesung durch einen Aufgabenparcours geschickt, eine Art Schule des Lebens. Der Roman ist zwar als Entwicklungsroman angelegt, verzichtet aber auf eine Entwicklung des Helden. Er verliert sogar den Testaments-Plot zwischenzeitlich aus den Augen und bricht schließlich ab, nachdem höchstens ein Drittel des Parcours bewältigt ist. Heute liest sich der Text gerade wegen der ausbleibenden Abrundung aufregend modern. Die beiden Brüder, der eine träumerisch-naiv, der andere ironisch und verschlagen, nähern sich einander nicht an: Sie entsprechen den beiden unversöhnlichen Polen von Jean Paul selbst. Keine der beiden Figuren gelangt allein zu einer Ganzheit; eine solche ist nur möglich in dem Doppelroman, den sie zusammen schreiben. Da dieser sich an vielen Stellen mit den Flegeljahren überschneidet und Jean Paul zudem als Figur auftaucht, weiß man oft nicht, wo die Realität aufhört und die Fiktion anfängt. Mit seinem Witz, seiner hohen Dichte an Sprachspielen und seiner großen Genauigkeit im Schildern von Gesellschaftsszenen ist der Klassiker auch heute noch eine vergnügliche Lektüre.

Take-aways

  • Flegeljahre ist der Roman Jean Pauls, in dem er sich selbst am besten ausgedrückt fand und der heute als einer seiner wichtigsten gilt.
  • Inhalt: Der schwärmerische Jüngling Walt soll ein bedeutendes Vermögen erben, allerdings erst, wenn er verschiedene Aufgaben erfüllt hat. Sein verschollener Zwillingsbruder Vult taucht auf, um ihm dabei zu helfen und um gemeinsam mit ihm einen Roman zu schreiben. Als sich beide in dieselbe Frau verlieben, gewinnt Vult diese für Walt und verschwindet wieder.
  • Der Roman blieb Fragment, das Ende ist lediglich ein provisorisches: Walt hat erst zwei der neun Aufgaben abgeschlossen und zwei weitere begonnen.
  • Die Zwillinge repräsentieren die beiden Seiten des Autors: eine empfindsam-naive und eine ironisch-raffinierte.
  • Entgegen seiner Anlage ist der Text kein Entwicklungsroman: Walt verändert sich weder durch die Erbschaft und die Aufgaben noch durch den Einfluss seines Bruders.
  • Bezüge auf den Autor und sein Werk lassen die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.
  • Zahlreiche parodistische Passagen kritisieren die damalige Ständegesellschaft.
  • Bei seinem Erscheinen 1804/05 war das Buch ein Misserfolg.
  • Jean Paul war ein literarischer Einzelgänger, der zwischen Klassik und Romantik stand.
  • Zitat: „Ich lasse dich, wie du warst, und gehe, wie ich kam.“ (Vult zu Walt)

Zusammenfassung

Ein unerwartetes Testament

In der Fürstenresidenzstadt Haßlau wird das Testament des reichen Van der Kabel eröffnet. Erbanwärter sind sieben entfernte Verwandte: Kirchenrat Glanz, Polizeiinspektor Harprecht, Hofagent Neupeter, Hoffiskal Knoll, Buchhändler Paßvogel, Frühprediger Flachs und der Elsässer Flitte. Die Enttäuschung ist groß: Sie alle erben nichts. Der Universalerbe ist ein junger Jurastudent und Dichter, den Van der Kabel erst kürzlich kennen lernte, auf den er aber große Stücke hielt, weil dieser Mann geradezu naiv gutherzig sei. Es handelt sich um Gottwalt Peter Harnisch, genannt Walt. Sein Erbe ist allerdings an die Bedingung geknüpft, dass er neun Lebensstationen Van der Kabels im Kern „nachlebt“. So soll er etwa einen Tag lang Klavierstimmer und einen Monat lang Gärtner sein. Zuletzt soll Walt, seinem eigenen Wunsch gemäß, Pfarrer werden. Die sieben leer Ausgegangenen erhalten den Auftrag, aufzupassen, dass Walt das Testament befolgt, und werden dazu ermuntert, ihn bei Bedarf zu schikanieren: Für Fehler, die Walt in seinen Erbämtern macht, treten Strafartikel zugunsten der Sieben in Kraft, die zunächst aber noch geheim sind. Das Testament sieht ferner vor, dass jemand Walts Geschichte aufschreibt. Dies ist, aus 55 000 Schriftstellern von den Testamentsvollstreckern ausgewählt, Jean Paul Friedrich Richter. Walts Lebensgeschichte ist das vorliegende Buch Flegeljahre.

Die Vorgeschichte

Walts verschollener Zwillingsbruder, der Flötenvirtuose Vult van der Harnisch – den Adelstitel hat er sich selbst verpasst – besucht inkognito sein Heimatdorf Elterlein. Im Wirtshaus erfährt er nicht nur, dass Walt geerbt hat und dass er am folgenden Tag sein Notaritatsexamen ablegen wird, sondern er bekommt auch seine und Walts Kindheit erzählt: Der Vater der Zwillinge ist Lukas Harnisch, ein armer Bauer, der außerdem das Amt des Gemeindevorstehers in Elterlein innehat und darin ganz aufgeht. Bei der Geburt der Zwillinge kam zuerst Gottwalt zur Welt, und als sich andeutete, dass noch ein Kind folgte, sagte Lukas, es werde ein Mädchen oder was Gott wolle – auf Latein: „Quod Deus vult.“ Und deshalb wurde das zweite Kind Vult genannt. Lukas, der Hobbyjurist, wollte unbedingt, dass einer seiner Söhne Jurist wird, aber der zarte, träumerische, blonde Walt eignete sich offensichtlich nicht dafür: Sein Traumberuf war und ist Pfarrer. Also sollte der schwarzhaarige, stämmige Spitzbube Vult Jura studieren, aber der riss als Jugendlicher von zu Hause aus und schloss sich einem vagabundierenden Musiker an. Daher musste schließlich doch Walt Jurist werden – dabei liebte er die Poesie und verfasste Prosagedichte. Nach seinem Studium in Leipzig steht nun sein Notariatsexamen bevor.

Vult gibt sich zu erkennen

Vult ist in die nahe gelegene Residenzstadt Haßlau gereist, um ein Flötenkonzert zu geben. Inkognito will er nun seine Eltern wiedersehen. Dem Bruder möchte er sich nur zu erkennen geben, wenn er diesen für würdig befindet. Walt besteht das Notariatsexamen knapp, Vult beobachtet alles von einem Baum vor dem Fenster aus. Er ist begeistert von den selbst verfassten Versen, die Walt nach dem offiziellen Teil auf Bitten des ebenfalls anwesenden Lehrers vorträgt. Die beiden Brüder begegnen sich erstmals auf dem Weg von Elterlein nach Haßlau, wo Walt leben will, um im ersten der neun Erbämter für drei Monate Notar zu sein. Nach einem gemeinsamen Abend im Wirtshaus gibt sich Vult als verlorener Zwillingsbruder zu erkennen. Er werde nun bei ihm bleiben, sagt er, und zwar aus zwei Gründen: Erstens, um ihm bei der Erfüllung der Testamentsaufgaben und gegen die sieben Enterbten beizustehen – denn Walt sei nicht besonders welttauglich. Zweitens, um mit ihm gemeinsam einen Doppelroman zu schreiben. Er selbst habe bereits ein satirisches Werk mit dem Titel Grönländische Prozesse veröffentlicht; leider habe niemand davon Notiz genommen. Zum neuen Roman soll Walt die romantisch-poetische Haupthandlung und Vult die satirischen Abschweifungen liefern. Als Titel schlägt Vult Flegeljahre vor, aber Walt ist das zu verwegen. Schließlich einigen sie sich auf Hoppelpoppel oder das Herz.

Auf der Suche nach adliger Freundschaft

Walt mietet sich bei einem der Enterbten ein, dem Hofagenten Neupeter. Dieser stellt ihm ein extra schlechtes Zimmer zur Verfügung, was Walt aber gar nicht bemerkt. Auch Vult findet ein Zimmer und plant, eine Augenkrankheit zu simulieren, sodass es den Anschein hat, als würde er blind ein Konzert geben – das ziehe mehr Leute an. Walt beginnt mit dem Doppelroman. Einen ganzen Band hindurch soll der Held sich nach Freundschaft sehnen, wie es auch bei Walt der Fall ist. Kurz darauf sieht dieser beim Spazierengehen von Weitem einen schönen, jungen Mann, Graf Klothar, und will unbedingt sein Freund werden. Bei einem Abendessen bei Neupeter ist auch der Graf anwesend, und da es Walt gelingt, sich in das geistreiche Gespräch einzubringen, glaubt er, sie seien nun Freunde. Er folgt ihm in den nächtlichen Park, aber Graf Klothar lässt ihn einfach stehen. Doch immerhin findet Walt einen Brief, der dem Grafen aus der Tasche gefallen ist – eine weitere Gelegenheit, ihn zu sehen. Der Brief stammt von Klothars Braut Wina Zablocki. Sie löst darin die Verlobung, weil sie, eine Katholikin, ihre Kirche nicht wechseln will. Dass der protestantische Klothar dies verlangt hat, dürfe ihr Vater, General Zablocki, auf keinen Fall wissen; es würde ihn zu sehr kränken.

Misslungene Freundschaft

Bei Vults Konzert sieht Walt Wina zum ersten Mal und verliebt sich sofort unsterblich in sie. Seinen Gefühlen für Klothar tut das aber zunächst keinen Abbruch. Er eilt zur Villa des Grafen, um ihm den verlorenen Brief zurückzugeben. Als er jedoch hört, dass Klothar zum Essen bei General Zablocki ist, will er ihn dort aufsuchen. Sein Plan, dem Grafen den Brief dort zu übergeben, geht nicht auf: Er wird lediglich zum General vorgelassen, der verspricht, den Brief weiterzugeben. Zablocki plaudert noch ein wenig mit Walt und erteilt ihm dann den Auftrag, französische Briefe zu kopieren – erotische Memoiren. Täglich eine Stunde soll Walt dafür in die Generalsvilla kommen – Walt ist selig. Dann wird er als Notar zu Graf Klothar bestellt: Es geht um eine Schenkung an Wina. Doch vor Beendigung der Notariatshandlungen erhält Klothar einen Brief, dem ein zweiter Brief beigelegt ist – es ist das Schreiben von Wina. Klothar bricht die Schenkung ab.

„Ob er gleich ein juristischer Kandidat ist, so ist er doch kindlich, ohne Falsch, rein, naiv und zart, ordentlich ein frommer Jüngling aus der alten Väterzeit und hat dreißigmal mehr Kopf, als er denkt.“ (Van der Kabel über Walt, S. 18)

Auf Vults Vorschlag hin lässt sich Walt von einem Theaterschneider fein ausstaffieren und als Freund seines Bruders (der ja einen adligen Namen trägt) beim Grafen einführen. Der Graf erinnert sich zunächst nicht an Walt, worauf dieser ihm sagt, er sei der Notar, der ihm den verlorenen Brief übergeben habe. Nun ist es ein für alle Mal aus mit jeder möglichen Freundschaft: Der Graf unterstellt Walt nämlich, den Brief gelesen und absichtlich genau demjenigen gegeben zu haben, der ihn auf keinen Fall in die Hände bekommen sollte: Winas Vater. Walt ist eine Zeit lang geknickt, aber dann beginnt er mit dem Abschreiben der erotischen Briefe im Haus Zablockis und hofft, Wina dort zu begegnen. Er hört sie jedoch nur einmal singen. Danach wird das Briefkopieren unterbrochen, Vater und Tochter reisen für eine Weile nach Leipzig.

Reise ins Blaue

Walt überkommt die Reiselust. Ziellos geht er in Richtung Nordosten – im Norden liegt Elterlein, im Osten Leipzig. Die Landschaft und Reisebegegnungen beflügeln seine romantische Fantasie. Bald widerfahren ihm unerklärliche Dinge: In einem Wirtshaus, wo er Station macht, wird er mit Namen angesprochen; im nächsten Gasthaus hat das Wirtskind seinen Namen in ein Schulheft geschrieben. Zudem begegnet ihm ein unheimlicher Mann mit Maske. Unterwegs erhält er einen Brief von Vult, der ihm einen prophetischen Traum schildert. Darin hat er sowohl Walts bisherige Reisestationen als auch dessen künftige gesehen. Vult sagt ihm voraus, er werde Geld in der Erde finden; der Maskenmann werde ihm die Stelle zeigen. Und tatsächlich: Er beobachtet, wie der Mann mit der Maske einen Stab in einen Maulwurfshügel steckt, und als Walt dort gräbt, findet er einige Geldstücke. Walt ist nun erst recht bezaubert. Die weitere Reiseroute schlägt er genau so ein, wie der Brief es vorsieht.

„Vult aber eröffnete, warum er dableibe, nämlich erstlich und hauptsächlich, um ihm als einem arglosen Singvogel, der besser oben fliegen als unten scharren könne, unter dem adeligen Inkognito gegen die sieben Spitzbuben beizustehen (...)“ (S. 96)

Unterwegs trifft er zu seiner großen Freude General Zablocki und dessen Tochter Wina. In der Stadt Rosenhof wohnen sie im gleichen Hotel. Der General lädt Walt ein, am Abend mit ihm und Wina zu essen. In der darauffolgenden Nacht versucht die Schauspielerin Jakobine, Walt zu verführen, was dieser allerdings nicht bemerkt. Trotzdem ist er um ihren Ruf besorgt, als sie plötzlich in seinem Zimmer steht. An seinen eigenen denkt er dabei gar nicht – obwohl das Testament empfindliche Verluste für so einen Fall vorsieht. Die verfängliche Begegnung endet abrupt, als man eine Flöte hört und die Maske des Maskenmannes durchs offene Fenster geworfen wird. Sie landet vor Jakobines Füßen, die schreiend wegläuft.

Wina und die Liebe

Am nächsten Morgen macht Walt mit Wina und Zablocki einen Ausflug zu einer spektakulären Felsenformation. Walt ist stark ergriffen von der Landschaft und der Gegenwart seiner Angebeteten. Als er dieser Regung in Worten Ausdruck verleiht, schaut sie ihn sehr bewegt an und beide zittern. Nach diesem Erlebnis macht Walt sich auf den Rückweg nach Haßlau. Dort erfährt er zu seiner Verärgerung von Vult, dass dieser alle Wunder auf der Reise für ihn arrangiert hat; er war der Maskenmann und der Flötenspieler.

„(...) ein Paar Zwillinge müssen, als ihr eigenes Widerspiel, zusammen einen Einling, ein Buch zeugen, einen trefflichen Doppel-Roman. Ich lache darin, du weinst dabei oder fliegst doch – du bist der Evangelist, ich das Vieh darhinter (...)“ (Vult zu Walt, S. 99 f.)

Inzwischen neigt sich sein dreimonatiges Erbamt als Notar dem Ende zu, und Walt muss vor den Testamentsvollstreckern Bilanz ziehen. Knoll weist ihm zehn Formfehler nach, etwa dass er in einem Dokument zweierlei Tinte benutzt hat. Der jetzt eröffnete Strafartikel des Testaments sieht vor, dass vom zu erbenden Wald für jeden von Walts Schnitzern ein Baum an jeden der sieben Erben geht – das sind 70 Bäume, die Walt abgeben muss. Als nächstes Erbamt wählt er, bei einem der sieben Erben eine Woche lang zu wohnen. Er geht zu Flitte. Der freut sich, die beiden haben eine lustige Zeit und sprechen viel Französisch. Doch als Flitte von seinen Gläubigern aufgespürt wird, unterzeichnet Walt eine Bürgschaft für ihn – Vult hält ihn deshalb für wahnsinnig und glaubt außerdem, dass Flitte Walts Fehler beim Französischsprechen vor dem Testamentsausschuss in Anschlag bringen werde. Aber Walt verteidigt vehement seinen Glauben an das Gute im Menschen. Tatsächlich hat Van der Kabel vorgesehen, dass Walt jeder Französischfehler angerechnet wird. Doch Flitte behauptet, sich keiner Fehler entsinnen zu können, und Walt sieht sich in seiner Menschenliebe bestätigt.

„O, reiner starker Freund, die Poesie ist ja doch ein Paar Schlittschuh, womit man auf dem glatten reinen krystallenen Boden des Ideals leicht fliegt, aber miserabel forthumpelt auf gemeiner Gasse.“ (Vult zu Walt, S. 116)

Als nächstes Erbamt wählt er das des Korrektors – zwölf Bogen soll er Korrektur lesen. Allein im ersten übersieht er 21 Fehler. Die Brüder, die eine Weile nicht miteinander gesprochen haben, nähern sich einander wieder an. Vult zieht bei Walt ein, der inzwischen wieder bei Neupeter zur Untermiete wohnt. Nach einem kurzen Streit versöhnen sie sich, schreiben intensiv an ihrem Roman und schicken bereits Auszüge an Verleger, aber überall wird das Manuskript abgelehnt. Vult hofft, in Neupeters Haus Wina öfter zu sehen, die mit Neupeters hässlicher Tochter Raphaela befreundet ist. Vult hat sich nämlich ebenfalls in Wina verliebt – von dieser Gemeinsamkeit wissen die Brüder jedoch nichts; stattdessen glaubt Vult, dass Walt an Raphaela interessiert sei. Als dieser zum letzten Mal bei Zablocki ist, um die restlichen Briefe zu kopieren, sieht er Wina wieder. Sie bittet ihn, dafür zu sorgen, dass Vult zu Raphaelas Geburtstag Flöte spielt. Außerdem solle Vult den Text zur Musik schreiben, damit Wina singen könne. Sie habe nämlich einen wunderbaren Vers von Vult in der Zeitung gelesen. Wina hat jedoch die beinahe gleichen Namen der Brüder verwechselt. Walt bekennt, dass er der Dichter ist, worauf sie beide sehr ergriffen sind.

Vults letzter Streich

Vult will Raphaelas Geburtstag nutzen, um Wina zu erobern. Er gesteht ihr seine Liebe, aber sie gibt ihm einen Korb. Von da an ist Vult zutiefst frustriert – Walt dagegen selig vor hoffnungsvoller Verliebtheit. Kurz darauf begreift Vult, dass nicht Walt, sondern Flitte Raphaela begehrt und dass Walt in Wina verliebt ist. Das nächste Mal sehen die Brüder Wina auf einem Maskenball. Walt geht als Fuhrmann, Vult in Frauenkleidern als Hoffnung, Wina ist eine Nonne. Walt tanzt mit Wina und ist glücklich. Dann kommt Vult und bittet ihn darum, die Kostüme und Masken zu tauschen. Als Walt verkleidet gesteht Vult Wina seine Liebe und erfährt, dass auch sie Gefühle für Walt hegt. In einem Abschiedsbrief schreibt Vult seinem Bruder, dass die Liebe, die nun vor ihm liege, keine brüderliche Freundschaft mehr brauche. Er packt seine Sachen. Da Walt nach Hause kommt, bevor er weg ist, stellt er sich schlafend, dann schlafwandelnd, um weiterzupacken, und schließlich gibt er vor, aufzuwachen. Später erzählt ihm Walt einen Traum, und Vult antwortet, statt zu sprechen, mit seiner Flöte. Flöte spielend geht er aus dem Zimmer und verlässt Walt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman ist in vier als „Bändchen“ bezeichnete Teile und insgesamt 64 Kapitel gegliedert. Neben inhaltlich orientierten Kapitelüberschriften (z. B. „Sonntag eines Dichters“ oder „Antritt der Reise“) ist jedem Kapitel jeweils ein Objekt aus der Kunst- und Naturaliensammlung des verstorbenen Van der Kabel zugeordnet, etwa „Katzensilber aus Thüringen“ oder „Mammutsknochen aus Astrakan“ – was an eine Enzyklopädie erinnert und eine ironische Distanz zum Geschilderten erzeugt. Die Beglaubigungsfiktion – dass der Schriftsteller Jean Paul Friedrich Richter eine wahre Geschichte mithilfe verschiedener Dokumente lediglich aufschreibt – wird im Verlauf des Textes immer wieder aufgerufen, obwohl auch seelische Vorgänge geschildert werden, die unmöglich auf jene Dokumente zurückzuführen sind. Stilistisch ist der Text eine ungewöhnliche Mischung aus hymnisch-erhabenen Passagen, wenn es um Walts inneres Erleben geht, und ironisch-satirischen Anteilen, wenn Vult im Mittelpunkt steht. Der Erzähler wiederum integriert beides in einer oft sehr komischen, wortspielreichen Erzählhaltung.

Interpretationsansätze

  • Mit der Konstellation der unterschiedlichen Zwillingsbrüder werden Lebensmodelle zur Diskussion gestellt: Der schwärmerisch-naive, empfindsame Walt wird ergänzt und korrigiert durch den scharfsinnig-verschlagenen Vult. Dieser ist aber keineswegs immer der Sieger: Bei Wina unterliegt er, und in der Erfüllung der Erbaufgaben kann er Walt kaum helfen. Auch sein Misstrauen den Menschen gegenüber bestätigt sich nicht immer, z. B. bei Flitte. Die Flegeljahre zeigen die Spaltung und Entfremdung des modernen Ich. Eine Ganzheit erreicht keiner der beiden Brüder.
  • Am Ende sagt Vult selbst, dass letztlich keiner der Brüder den anderen in seinem Wesen beeinflusst hat. Damit sind die Flegeljahre ein Antientwicklungsroman, obwohl der im Testament festgesetzte Aufgabenparcours ja durchaus dazu angelegt ist, Walt am Leben zu schulen. Passend ist in dieser Hinsicht, dass der Roman Fragment geblieben ist: Es gibt keinen Abschluss, kein Ankommen. Vult verlässt Walt wieder; von den neun vorgeschriebenen Erbämtern sind nur zwei absolviert und zwei noch unabgeschlossen; und was aus der Liebe des mittellosen Walt und der adligen Wina wird, steht in den Sternen.
  • Allein im Doppelroman der Brüder gelingt eine Vereinigung ihrer unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen zu einem Kunstganzen. Was die Brüder gemeinsam haben, ist der Lebensentwurf des Künstlers. Beide sind im bürgerlichen Leben, besonders in materieller Hinsicht, wenig erfolgreich.
  • An vielen Stellen weist der Roman Merkmale selbstbezüglicher Literatur auf. Der Erzähler trägt denselben Namen wie der Autor; Van der Kabel hieß ursprünglich Friedrich Richter; Vult ist der Verfasser der Grönländischen Prozesse, Jean Pauls erster Satirensammlung; der Doppelroman enthält z. T. die gleichen Inhalte und behandelt außerdem die gleichen Themen wie die Flegeljahre – zuerst soll er sogar diesen Titel bekommen. Jean Paul treibt so ein irritierendes Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit.
  • Durch Ironie und Satire übt Jean Paul Kritik am Ständesystem seiner Zeit; vor allem den Dünkel der Adligen und Reichen nimmt er aufs Korn. Weder Walt noch Vult ist bereit, die Hierarchie der Stände anzuerkennen.

Historischer Hintergrund

Deutsche Reformhoffnungen

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestand das Deutsche Reich aus zahllosen Kleinstaaten. Die Wirtschaft wurde durch unzählige Grenzen und Zölle gehemmt. Das politische System war vom Absolutismus geprägt, in der Gesellschaft galt die jahrhundertealte Ständeordnung – auch wenn einzelne Herrscher sich von der Aufklärung beeindruckt zeigten, wie etwa der preußische König Friedrich der Große, der nach den Prinzipien eines aufgeklärten Absolutismus regierte. Die deutsche Nation war ein Konstrukt in den Köpfen der Gebildeten und ging von der sprachlichen und kulturellen Einheit aus – das Zentrum war Weimar und damit vor allem Johann Wolfang von Goethe. Mit den französischen Truppen kamen auch die Ideen der Französischen Revolution nach Deutschland. 1806 besiegte Napoleon bei Jena und Auerstedt das preußische Heer und besiegelte damit das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Unter dem Eindruck dieser Niederlage setzte sich in Preußen, wie auch in anderen deutschen Staaten, die Erkenntnis durch, dass politische Reformen notwendig waren. Das Ergebnis war der Versuch einer „Revolution von oben“, einer Modernisierung des Staates durch Reformen wie die Abschaffung der Zünfte. In dieser Zeit der französischen Besatzung erstarkte das Nationalgefühl der Deutschen.

Entstehung

Erste Vorarbeiten zu den Flegeljahren reichen bis ins Jahr 1795 zurück. Jean Paul beabsichtigte anfangs eine knapp erzählte Idylle, in der es darum gehen sollte, wie ein Mensch aus armen Verhältnissen plötzlich in eine glücklichere Lage versetzt wird. Die ersten Notizen zeigen außerdem, dass die Figur Vult aus Walt hervorgegangen ist – ursprünglich sollte Walt die Eigenarten beider Charaktere in sich vereinen. Gemäß den ersten Fassungen einiger Kapitel sollte dann Jean Paul selbst als Walts Zwillingsbruder im Text auftauchen und mit ihm zusammen Die unsichtbare Loge schreiben, Jean Pauls ersten Roman von 1793. Freunden gegenüber bestätigte er die autobiografische Anlage der beiden Hauptfiguren.

Ab 1801 arbeitete er kontinuierlicher an dem Werk, z. T. in „Wechselschreiberei“ mit dem Roman Titan. 1803 gingen die ersten drei Bände an den Verleger Cotta in Stuttgart; sie erschienen im Mai 1804. Die äußerst reservierte Aufnahme erschwerte dem Autor jedoch die Fortsetzung. Im August 1804 begann er mit dem vierten Band, unterbrach die Niederschrift aber oft und widmete sich anderen Arbeiten. Im Mai 1805 beendete er den vierten Band, der im gleichen Jahr erschien. Weitere Bände waren konzipiert, der Handlungsplan stand schon fest und sollte Walt schließlich zu einem umfassenden Happy End führen. Jean Paul gab das Vorhaben einer Fortsetzung nie ganz auf. Er bezeichnete den Roman einmal als sein bestes Werk, „worin er recht eigentlich wohne“.

Wirkungsgeschichte

Nicht nur den Autor entmutigte der Misserfolg der ersten drei Bände. Auch sein Verleger Cotta wollte den vierten Band kaum noch drucken, hatte er doch die ersten drei fast nicht verkaufen können. Die Zeitgenossen waren ratlos – zu wenig gehorchte der Roman irgendeiner bekannten Dramaturgie: Für einen Entwicklungsroman gibt es zu wenig Entwicklung, die Figur des Helden ist geteilt in zwei Helden, es gibt keinen Guten, keinen Bösen, und die Handlung um das spektakuläre Testament tritt zwischenzeitlich stark in den Hintergrund. Ein zeitgenössischer Kritiker schrieb: „Welch ein Chaos von reifen und unreifen Kenntnissen – von Brocken aus allen Fächern der Gelehrsamkeit, von echtwitzigen und platten Einfällen – von erhabenen, tiefgedachten und seichten, falschen Gedanken – von schönen und zarten, kränklichen und überspannten Gefühlen.“ Nur wenige schätzten das Werk gleich bei seinem Erscheinen, etwa Karoline Herder und Ludwig Tieck. Letzterer setzte sich stark für den Roman ein und trug zu seinem späteren Ruhm bei.

Ein anderer zeitgenössischer Bewunderer war Karl August Varnhagen von Ense, der, als die Franzosen Halle besetzt und die Universität geschlossen hatten, mit seinem Kommilitonen Wilhelm Neumann nach dem Vorbild Walts und Vults einen Doppelroman zu schreiben begann. Später schrieben auch noch Friedrich de la Motte Fouqué und August Ferdinand Bernhardi mit, und das Werk erschien 1808 anonym unter dem Titel Die Versuche und Hindernisse Karls. Es war eine respektvolle Parodie der Flegeljahre, aus Bewunderung für Jean Paul verfasst, der selbst darin auftaucht. Auf die Romantiker hatten die Flegeljahre unbestreitbaren Einfluss; das Doppelgängermotiv (die Zwillingsbrüder), die Reise ins Blaue, der Fragmentcharakter und die Integration unterschiedlicher Textgattungen wurden zentrale Kennzeichen der Romantik. Literaturgeschichtlich steht Jean Paul als Einzelgänger zwischen Klassik und Romantik, keiner der beiden Epochen ganz zugehörig. Die Flegeljahre gelten vielen heute als sein wichtigstes Werk.

Über den Autor

Jean Paul (so der Künstlername von Johann Paul Friedrich Richter) wird am 21. März 1763 im fränkischen Wunsiedel als Sohn eines protestantischen Dorfpfarrers geboren. Mit 16 Jahren kommt der wissbegierige Junge, der alles liest, was er in die Hände bekommt, auf das Gymnasium in Hof. Der Tod des Vaters im gleichen Jahr stürzt die Familie in schwere Not. Um Johann und seine vier jüngeren Brüder ernähren zu können, arbeitet die Mutter als Spinnerin. Das Studium der Theologie in Leipzig, das er 1781 aufnimmt, kann er kaum finanzieren. Der hochgebildete Autodidakt, der nebenbei Vorlesungen der Philosophie und Mathematik besucht, wird auch von Heimweh bedrängt. Seine durch die Armut entstandene Außenseiterrolle betont er selbstbewusst mit auffallender Kleidung und offenem Haar. Strebsam verfolgt er das Ziel, allein vom Schreiben leben zu können. Zunächst aber muss er sich sein Brot mit einer Anstellung als Hauslehrer verdienen, die er nach seiner Rückkehr zur Mutter 1786 antritt. In der bayerischen Provinz, wo er in beengten Verhältnissen lebt, entwickelt der begeisterte Pädagoge seine eigenen Lehrmethoden. Nebenbei verfasst Jean Paul satirische Schriften und seinen ersten Roman Die unsichtbare Loge (1793), der seinen Ruhm als Schriftsteller begründet. Hier verwendet er auch zum ersten Mal seinen Künstlernamen, in Anlehnung an Jean-Jacques Rousseau, für den er eine große Bewunderung hegt. Es folgt der Roman Hesperus (1795). Dieser wird begeistert aufgenommen und verkauft sich gut. Mit 38 Jahren heiratet Jean Paul – der sich zwar mehrmals verlobt hat und viele Liebesbriefwechsel pflegt, aber wohl noch keusch ist – Karoline Mayer. Nach den Misserfolgen mit Titan (1803) und Flegeljahre (1804/05) siedelt er mit seiner Frau und den zwei Kindern nach Bayreuth. Dort wird ein drittes Kind geboren. Er zieht sich von der Familie zurück, reist viel, arbeitet wie besessen und wirkt – aufgedunsen durch seinen maßlosen Bierkonsum – älter, als er eigentlich ist. Den Tod seines Sohnes Max, von dem er erwartete, er werde in seine Fußstapfen treten, verwindet er nicht. Vier Jahre später stirbt Jean Paul – inzwischen fast erblindet – am 14. November 1825 in Bayreuth.

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